Erdbeben von Haiti – doch nicht die Enriquillo-Störung?

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Die Enriquillo-Plantain Garden Verwerfung, die ursprünglich für das verheerende Magnitude 7 Erdbeben in Haiti vom 12. Januar 2010 mit seinen über 200 000 Toten verantwortlich gemacht wurde, ist daran möglicherweise unschuldig. Das wurde letzte Woche auf einem AGU Treffen bekannt. Vielmehr soll eine bisher unbekannte Störung das Beben ausgelöst haben. Dadurch wird das tektonische Bild, das wir bisher von der Region hatten, komplizierter als es ohnehin schon ist.
 
Herdflächenlösung für das beben von Port-au-Prince am 12. Januar 2010.

 Das zeigte sich schon an der Herdflächenlösung, die zwar deutlich auf eine Blattverschiebung deutet, aber es zeigen sich auch andere Elemente. Das Ganze ähnelt in gewisser Hinsicht einer Schrägaufschiebung. Die Nodalflächen, welche die dunklen und die hellen Bereiche des „Wasserballs“ voneinander trennen, sind nicht exakt vertikal, und sie sind leicht gebogen anstatt gerade. Das bedeutet, dass neben einer Bewegung aneinander vorbei, wie er für „normale“ Blattverschiebungen anzunehmen wäre, auch noch eine konvergente, also gegeneinander gerichtete Bewegung zu finden ist. Während also ein großer Teil der beteiligten Krustenblöcke aneinander entlang schiebt, findet sich auch eine leichte Aufschiebung des einen gegenüber dem anderen Block. Das zeigen auch Radar-Höhenmessungen, wie sie von Satelliten durchgeführt wurden.
 
Radar Hebungsmessungen Haiti

Gebiete mit Hebung (rot) und Senkung (blau) des Erdbebens vom 12. Januar 2010. Grün eingezeichnet ist die Enriquillo-Störung und das Epizentrum (Stern). Credit: Eric Fielding/JPL/NASA/JAXA.

 
Dabei zeigen sich zwei interessante Dinge: Im Norden hat das Beben zu einer deutlichen Hebung des Geländes geführt, während sich das Gelände im Süden absenkte. Die Grenze zwischen beiden Gebieten ist scharf und ohne nennenswerten Übergang. Die Grenze zeigt eine Störung, die grob in ost-westlicher Richtung streicht. Allerdings, und das ist das eigentlich interessante an der Aufnahme, folgt dieses Gebiet des Übergangs nicht der bekannten Enriquillo-Störung, die in dem Bild ebenfalls eingezeichnet ist, sondern liegt wie auch das Epizentrum südlich von ihr.
Außerdem ziehen sich die Gebiete mit Hebung bzw. Senkung bis in deutliche Entfernung von der Zone des Übergangs in nördliche bzw. südliche Richtung. Ein derartig breites Gebiet beeinflussen Störungen, die flach einfallen. Bei steil einfallenden Störungen wäre ein deutlich kleineres Gebiet von den Änderungen betroffen. Und die Enriquillo-Störung fällt steil ein.
 
 Je flacher eine Aufschiebung einfällt, desto weitere Bereiche werden von der Hebung bzw. der Absenkung beeinflusst.
 
Das bedeutet, dass die Enriquillo-Störung mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit für das Erdbeben am 12. Januar in Haiti nicht verantwortlich war. Es sieht ganz danach aus, dass hier eine Störung aktiv wurde, die sehr flach nach Norden einfällt und die Enriquillo-Störung möglicherweise in der Tiefe schneidet. Dieser neu entdeckten Störung hat man den vorläufigen Namen Leogane-Störung gegeben, nach der Stadt, welche sich im Zentrum des von der Hebung betroffenen Gebiets befindet.
Doch damit ist noch nicht genug. Auch der Anteil der Blattverschiebung an dem Beben ist möglicherweise nicht der Enriquillo-Störung zuzurechnen, sondern stammt von einer weiteren Störung in der Gegend, die zum selben Zeitpunkt aktiviert wurde. Das war einer der Gründe, warum es nicht sofort aufgefallen ist, dass die Enriquillo-Störung überhaupt nicht für das Beben verantwortlich war. Denn die Erdbebenwellen, die von den beiden parallel stattfindenden Ereignissen ausgingen, wurden in den Erdbebenstationen zusammen aufgefangen und als ein einzelnes Ereignis gewertet.
Interpretation Haiti Beben

Denn die Bewegung zwischen der Nordamerikanischen und der Karibischen Platte werden nicht nur von einer Störung aufgefangen, sondern von einem ganzen Bündel mehr oder weniger paralleler Störungen. Das mag auf den ersten Blick nicht viel ändern. Es sind ja immer noch dieselben 40 Kilometer westlich, in denen der Hauptanteil der freigesetzten seismischen Energie die Verheerungen anrichtete und es sind immer noch dieselben 20 Kilometer östlich, in denen sich seit mehr als 250 Jahren die aufgestaute seismische Energie nicht entladen hat, was immer noch eine ernstzunehmende Gefahr für Port-au-Prince darstellt.
Für die Abschätzung des seismischen Risikos ist es aber entscheidend, ob es sich um eine große Störung handelt, oder ob das Risiko von ganzen Schwärmen von Störungen ausgeht. Und es macht die Frage schwieriger, welche zusätzliche Last durch das Beben auf die Strukturen östlich des Epizentrums geladen wurde, und die sich in nicht allzu ferner Zukunft dann in einem neuen, möglicherweise ebenso verheerenden Beben entladen könnte. Das sind aber genau die Fragen, die sich in Haiti stellen, wenn man Port-au-Prince wieder aufbaut und die Infrastruktur gegen kommende Erdbeben schützen will.

 
Eric Calais in einem Video über die Mechanismen des HaitiErdbebens

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Gunnar Ries studierte in Hamburg Mineralogie und promovierte dort am Geologisch-Paläontologischen Institut und Museum über das Verwitterungsverhalten ostafrikanischer Karbonatite. Er arbeitet bei der CRB Analyse Service GmbH in Hardegsen. Hier geäußerte Meinungen sind meine eigenen

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