Das Erdbeben von Chile am 27. Februar 2010

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Erdbeben in Chile vom 27. Februar 2010

  Lage des Epizentrums, USGS.

Am 27. Februar um 3:34 Uhr Ortszeit wurde Chile von einem Erdbeben der Magnitude 8,8 erschüttert. Damit gehört das Erdbeben zu den stärksten Erdbeben, die jemals gemessen wurden (irgendwo No. 5 der stärksten Beben) und ist ca. 100 mal stärker als das Beben, welches Haiti am 12. Januar erschütterte. Das Epizentrum liegt rund 115 Kilometer NNE der zweitgrößten Stadt Chiles, Conceptión, und 325 Kilometer SW der Hauptstadt, Santiago. Bislang sind rund 700 Todesopfer geborgen worden, aber es steht zu befürchten, dass diese Zahl noch steigen wird, je weiter die Rettungskräfte vordringen. Das Epizentrum liegt an der Grenze, an der die pazifische Nacza-Platte unter die südamerikanische Platte taucht. Die beiden Platten bewegen sich dabei mit der für geologische Verhältnisse hohen Geschwindigkeit von rund 80 mm pro Jahr aufeinander zu. Das ist auch einer der Hauptgründe dafür, dass dieses Erdbeben so stark war, und dass die chilenische Küste im speziellen und die südamerikanische Pazifikküste im Allgemeinen immer wieder Schauplatz extrem starker Beben war. Seit 1973 fanden hier mindestens 13 Beben statt, die eine Magnitude von 7,0 oder sogar größer hatten. Und am 22. Mai 1960 fand nur rund 230 Kilometer südlich des aktuellen Bebens das stärkste jemals gemessene Erdbeben mit einer Magnitude von 9,5 statt.

 

Die Westküste Südamerikas mit der Plattengrenze in einer Aufnahme der Shuttle Radar Topography Mission, die im Februar 2002 von Bord der Endeavour durchgeführt wurde. NASA Earth Observatory.

Bemerkenswerter Weise hat Charles Darwin auf seiner berühmt gewordenen Reise mit der Beagle die Gegend um 1835 besucht, einige Jahre nach einem Erdbeben, das möglicherweise eine Magnitude von 8,5 aufwies. Seine Beobachtungen der der verantwortlichen Störung und der Veränderungen an Land helfen auch heute noch den Seismologen, wenn sie versuchen, die Aktivität der Störungen vorherzusagen. Das Prinzip, nachdem man hier vorgeht, ist denkbar einfach: Eine Störung, die einmal für ein schweres Erdbeben verantwortlich war, wird auch in der Zukunft gefährlich bleiben, vor allem, wenn sie sich über längere Zeiträume ruhig verhält. Und dieser Teil war seit dem Erdbeben von Charles Darwin sehr ruhig geblieben. Das Erdbeben von 1960 hat dann südlich für eine Entladung der Spannung gesorgt, und bereits 1906 entlud sich nördlich bei Valparaiso die Spannung in den Gesteinen. In dem Segment aber, das am 27. Februar nachgab, wuchs die Spannung weiter. Das wurde letztes Jahr von einem Team um Jean-Claude Ruegg (2009) vom Institut de Physique du Globe in Paris mit Hilfe von GPS-Messungen nachgewiesen. Hier wurde explizit vor der Gefahr eines schweren Erdbebens in der Region gewarnt. Also auch hier, ähnlich wie bei Haiti, hatten die Geophysiker die Gefahr erkannt. Nun ist e aber eine Seite, die potentielle Gefahr zu kennen, und eine ganz andere, vor einem Erdbeben zu warnen. Denn der genaue Zeitpunkt, an dem sich die aufgestaute Spannung entladen würde, der ist bislang noch nicht vorhersehbar. Aber es zeigt auch, dass man der trügerischen Ruhe einer aktiven Störung nicht trauen darf, und dass, je länger diese Ruhe andauert, desto mehr Spannung aufgebaut werden kann, die sich dann mit einem Schlag entlädt.
Das Beben von 1960 verursachte einen großen Tsunami, der auch weit entfernt auf Hawaii und in Japan für Tod und Zerstörung sorgte. Glücklicherweise hatte das aktuelle Beben keine so großen Auswirkungen, der entstandene Tsunami hatte zwar an den Küsten Chiles verheerend gewirkt, aber er war auf Hawaii und in Japan vergleichsweise klein und diente hauptsächlich als spektakuläres Naturschauspiel. Einer der Gründe war sicher auch die lange Vorwarnzeit, die dort diesmal gut genutzt werden konnte. Auf einigen näher zum Epizentrum liegenden Inseln hingegen reichte die Zeit nur knapp, die tief liegenden Gebiete zu evakuieren. Außerdem lag das Epizentrum des Bebens in einem Gebiet mit vergleichsweise geringerer Wassertiefe, so dass auch dies den Tsunami in Grenzen hielt.
Das Beben hatte auch im tieferen Sinn erderschütternde Folgen. Die Erdachse hat sich um ganze 2,7 Milliarcsekunden verschoben, das entspricht rund 8 Zentimetern. Außerdem ist der Tag um volle 1,26 Mikrosekunden kürzer geworden. Zum Vergleich, das Beben von Sumatra 2004 hat die Tageslänge um volle 6,8 Mikrosekunden verkürzt.

 

Das Erdbeben hat nicht nur direkt viele Gebäude zerstört, sondern auch indirect, in dem es die Gasleitungen brechen ließ und so Brände auslöste. Das zeigen auch Satellitenaufnahmen des Terra-Satelliten, der die Hauptstadt Chiles, Santiago, am 27. Februar überflog und mit dem Moderate Resolution Imaging Spectroradiometer (MODIS) aufnahm. Über der Stadt ist Nebel zu erkennen, der eventuell auf Luftverschmutzung zurück geht. Über den nördlichen Teilen der Stadt hängen aber zusätzlich dicke schwarze Rauchwolken, die auf ausgedehnte Brände hindeuten.

Auch bei diesem Erdbeben hat sich die Infrastruktur als besonders empfindlich gezeigt. Das macht es Rettungskräften nach einem Erdbeben sehr schwer, schnell zu den Verschütteten und Verletzten zu gelangen, oder Hilfsgüter in das Katastrophengebiet zu transportieren. Die Gefahr steigt noch, wenn man aufgeschwemmte Sedimente und aufgeständerte oder gar doppelstöckige Fahrwege nimmt. Ein anderes Beispiel wäre hier das Loma Prieta Beben in Kalifornien von 1989. Das Beben mit der Magnitude 6,9 hat einen Doppelstöckigen Freeway zusammenbrechen lassen. Durch die Zerstörung werden dann nicht nur die Straßen selber unpassierbar und bilden für die Benutzer der unteren Etage regelrechte Todesfallen, sie bilden mit ihren Trümmerbergen auch Hindernisse, die Stadtteile regelrecht abschneiden können. Das Video zeigt eine Simulation eines 7.0 Erdbebens auf eine Küstenparallele Straße und ein doppelstöckiges Viadukt, das Alaskan Way Viadukt in Seattle.

 

J.C. Ruegg, A. Rudloff, C. Vigny, R. Madariaga, J.B. de Chabalier, J. Campos, E. Kausel, S. Barrientos and D. Dimitrov (2009): Interseismic strain accumulation measured by GPS in the seismic gap between Constitución and Concepción in Chile. Physics of the Earth and Planetary Interiors.Volume 175, Issues 1-2, June 2009, Pages 78-85

 

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Gunnar Ries studierte in Hamburg Mineralogie und promovierte dort am Geologisch-Paläontologischen Institut und Museum über das Verwitterungsverhalten ostafrikanischer Karbonatite. Er arbeitet bei der CRB Analyse Service GmbH in Hardegsen. Hier geäußerte Meinungen sind meine eigenen

6 Kommentare

  1. Das ist wirklich schrecklich, dass innerhalb so kurzer Zeit zwei starke Beben etlichen Menschen das Leben kostet.
    Es ist wirklich problematisch, dass Hilfe (wie z.b. Lebensmittel) erst so spät zu den Opfern gelangen und nun das Plündern anfängt. Ich hoffe, dass wir demnächst von solchen schrecklichen Nachrichten verschont bleiben.

  2. Spannungen

    Wie werden denn diese Spannungen aufgebaut? Nur durch die Plattentektonik oder gibt es auch andere Ursachen dafür? Aufhalten läßt sich das Ganze nicht, aber es ist zumindest etwas, daß eine solidere Bauweise den Schaden eingrenzen kann.

  3. Spannungsaufbau

    Die Spannungen kommen sowohl in Chile als auch in Haiti durch die Plattentektonik. Entscheidend ist dabei auch, wie schnell sich die Platten bewegen. In Haiti waren es 20 mm im Jahr bzw. für die verantwortliche Störung 7 mm pro Jahr. In Chile läuft alles etwas schneller ab, da bewegen sich die Platten mit 80 mm pro Jahr aufeinander zu. Wenn sich also die Platten an den aktiven Störungen verhaken, bauen sich die entsprechenden Spannungen auf. Dabei verrät sich die Störung dann durch eine trügerische seismische Ruhe. Es ist also besser, wenn es häufiger kleine Erdbeben gibt, welche die Spannungen abbauen. Diese seismische Ruhe war es auch, welche die Geophysiker vor den potentiellen Erdbeben warnen ließen. Kennt man die Länge der Ruhephase und die Bewegungsstärke, kann man die mögliche Erdbebenstärke relativ gut einschätzen.

  4. Neben der Geschwindigkeit wird wohl auch die Masse der Platten ein entscheidender Faktor sein, schätze ich mal.

    Woher kommt diese seismische Ruhe? Weil sich an den Störungen kaum mehr etwas bewegt und somit die Spannung aufgebaut wird?

  5. Ich glaube nicht, dass die Masse so eine große Rolle spielt. Auch kleinere Platten können starke Beben verursachen.
    Die seismische Ruhe zeigt eigentlich nur an, dass sich zwischen den Platten irgendwas verhakt hat. Das geht dann auch nur so lange gut, bis irgendetwas bricht und sich die ganze Spannung mit einem Schlag entlädt. Es sind ja nur Bereiche einer Störung, die ruhig sind, während sich die benachbarten Bereiche weiterbewegen.

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