Asbesthaltige bauchemische Produkte – Welches Risiko besteht bei der Bearbeitung?
Bei der Gefährdungsbeurteilung im Umgang mit asbesthaltigen Materialien spielt zumindest in Deutschland die Einteilung in „festgebundene“ und „schwach gebundene“ asbesthaltige Produkte eine wichtige Rolle. Diese Einteilung erfolgt jedoch nicht unbedingt nach dem Faserfreisetzungspotential, wie man vermuten könnte, sondern nach ganz anderen Kriterien. Das macht die Gefährdungsbeurteilung nicht unbedingt einfacher.
Was versteht man unter „bauchemischen Produkten“? Darunter fallen die meisten Produkte wie Putze, Spachtelmassen oder auch Fliesenkleber, denen in der Vergangenheit häufig Asbest zugesetzt wurde. Ihre Asbestgehalte liegen größtenteils um oder sogar unter 1 Massenprozent. Die Spannweite kann von gut 8 Massen-% bis unter 0,1 Massen-% reichen. Diese große Spannweite hat natürlich nicht nur große Konsequenzen für die Analytik, sondern auch für die Gefährdung der Personen, die damit umgehen müssen.
Schwach gebundener oder stark gebundener Asbest
Viele sind im Zusammenhang mit Asbest sicher schon einmal über die Begriffe „festgebundener“ und „schwach gebundener“ Asbest gestolpert. Doch was genau bedeuten diese Begriffe? Und welche Kriterien liegen ihnen zugrunde?
Man könnte vermuten, dass hier tatsächlich die Bindung der Fasern die Hauptrolle spielt, also letztlich das Faserfreisetzungspotential wiedergegeben wird. Dem ist aber nicht ganz so. Vielmehr spielt die Rohdichte der Matrix eine Rolle für die Klassifizierung. So fallen beispielsweise Materialien mit einer Rohdichte von mehr als 1400 kg/m³ und einem Asbestgehalt von 15 Massen-% oder weniger in die Kategorie „festgebunden“.
Hat unser asbesthaltiges Material eine Rohdichte von 1000 kg/m³, so gilt es als schwach gebunden. Wie man leicht erkennen kann, gibt es hier eine kleine Lücke. Alle Produkte, deren Dichte in diesen Bereich fällt, werden als „sonstige Asbestprodukte“ bezeichnet. Das Faserfreisetzungspotenzial wird im Vergleich zu anderen klassifizierten Materialien bewertet [1].
Nehmen wir als Beispiel die bereits erwähnten bauchemischen Produkte, also die üblichen Fliesenkleber, Spachtelmassen und Putze. Diese würden aufgrund ihrer Dichte oft problemlos in die Kategorie der festgebundenen Asbestprodukte fallen. Man sollte sich jedoch nicht täuschen lassen, denn auch festgebundene Asbestprodukte setzen bei der Verarbeitung durchaus nennenswerte Fasermengen frei[2] .
Diese Einteilung stellt also keine direkte Abschätzung des Gefährdungspotentials der jeweiligen Produkte dar. Das wirft natürlich die Frage auf: Kann das weg? Ja, es ist durchaus möglich, dass diese Einstufung in Zukunft wegfällt. Dann stellt sich aber die Frage, was an ihre Stelle treten soll.
Sinnvoll wäre es, hier das Faserfreisetzungspotential des betreffenden Stoffes als Grundlage zu nehmen. Dazu muss dieses aber auch bekannt sein, und daran hapert es noch.
Faserfreisetzungspotential
Das Problem mit dem Faserfreisetzungspotenzial besteht wahrscheinlich darin, dass es nicht einfach aus einer Materialeigenschaft wie der Rohdichte abgeleitet werden kann. Vielmehr handelt es sich um eine sehr spezifische Eigenschaft, die wahrscheinlich für jedes Material einzeln bestimmt werden müsste. Dies würde eine Gefährdungsabschätzung zwar genauer, aber wahrscheinlich nicht unbedingt einfacher machen.
Unter Faserfreisetzungspotenzial wird hier verstanden, wie viele Fasern das betreffende Material bei einer bestimmten Behandlung freisetzen kann. Die Angabe erfolgt hier in Fasern pro m³ Luft.
Auch hier wird schnell klar, dass es sich nicht nur um eine Materialeigenschaft handelt. Vielmehr hängt das Faserfreisetzungspotenzial auch stark von der Art der Verarbeitung ab.
Ein Team um Jan Petrausch von der Wessling Consulting-Engineering GmbH & Co. KG versucht, das Faserfreisetzungspotenzial verschiedener bauchemischer Produkte zu ermitteln[3] .
Staubungsversuche
Um das Faserfreisetzungspotential der verschiedenen Produkte zu ermitteln, wurden verschiedene Staubungsversuche mit speziell hergestellten schwach- und festgebundenen Materialien mit weniger als 1 Ma% Asbest, wie Ausgleichsmassen, Gipsputz und -spachtel, Mörtel, Estrich, Fliesenfugenmörtel, Fliesenkleber oder Maschinenputz durchgeführt.
Bei den Staubungsversuchen wurde der entstehende Staub auf Filter aufgebracht. Der Staub wurde in einatembaren Staub (E-Staub) und alveolengängigen Staub (A-Staub) unterteilt.
Anschließend wurden die Filter im Rasterelektronenmikroskop mit angeschlossener EDX ausgewertet, die gefundenen Asbestfasern vermessen und deren Masse bestimmt.
Da sowohl das abgesaugte Luftvolumen als auch die Filterfläche bekannt waren, konnte die Anzahl der auf der abgesaugten Filterfläche gefundenen Fasern problemlos auf das gesamte beprobte Luftvolumen hochgerechnet werden.
Hohe Faserfreisetzung
Bei den Versuchen wurden zwischen knapp 100.000 und 1,4 Mio. Fasern pro m³ freigesetzt. Diese Werte liegen zumeist sehr deutlich über den Akzeptanz- und Toleranzgrenzen, wie sie in der TRGS 910 für Arbeitsplätze vorgeschrieben sind. Besonders auffällig waren die Mörtel und Estriche, die nach herkömmlicher Klassifizierung als fest gebunden gelten. Sie lagen sowohl beim A- als auch beim E-Staub deutlich im oberen Bereich, auch im Vergleich zu Materialien, die nach herkömmlicher Einstufung als „schwach gebunden“ gelten, wie z. B. Gipsputz und -spachtel.
Dies kann unter anderem darauf zurückzuführen sein, dass der Betonestrich im Vergleich zu den anderen Produkten einen hohen Massengehalt an Asbest aufwies. Dies ist möglicherweise zu berücksichtigen, da dies zunächst nur für diesen speziellen Versuchsaufbau gilt. Die tatsächlichen Asbestgehalte in der „freien Wildbahn“ können abweichen.
Der Mörtel hingegen hatte in diesem Versuch nur einen Massengehalt von 0,1 % Asbest, womit er im unteren Bereich der Asbestgehalte in dieser Versuchsreihe liegt (nur die Gipsputze hatten teilweise geringere Gehalte) und daher hier nicht als Erklärung für die hohe Faserfreisetzung herangezogen werden kann.
Eigentlich würde man bei den nach herkömmlicher Auffassung „schwach gebundenen“ Gipsputzen eine erhöhte Faserfreisetzung erwarten. Im Versuch zeigten sie jedoch nur vergleichsweise geringe Freisetzungen im unteren Bereich der Versuchsreihe.
Dies könnte also durchaus bedeuten, dass auch von fest gebundenen asbesthaltigen Materialien mit geringen Asbestgehalten bei der Bearbeitung durchaus ein signifikantes Risiko ausgeht.
Fazit
Über das Faserfreisetzungsverhalten verschiedener Materialien ist bisher vergleichsweise wenig bekannt. Daher fehlen bisher Vergleichsmöglichkeiten.
Für eine Gefährdungsbeurteilung spielen verschiedene Faktoren eine Rolle, insbesondere der Asbestgehalt, die Festigkeit der Faserbindung und die jeweilige Verarbeitungsmethode. Diese Kriterien dürften für die Freisetzung von Asbestfasern wesentlich bedeutsamer sein als die Rohdichte des Materials allein. Insofern sind die Ergebnisse sicherlich als erster Ansatz zu werten. Ich gehe davon aus, dass die Autoren ihre Methode weiter ausbauen und verfeinern und auch andere Materialien und Bearbeitungsmethoden untersuchen werden. Diese und vergleichbare Versuche sind meiner Meinung nach der richtige Weg, um die Gefährdung durch asbesthaltige Materialien vernünftig abzuschätzen.
References
- [1] Bossemeyer, H.-D.; Dolata, S.; Schubert, U. and Zwiener, G. (2016). Schadstoffe im Baubestand, Verlagsgesellschaft Rudolf Müller .
- [2] VDI/GVSS (2015). Asbesthaltige Putze, Spachtelmassen und Fliesenkleber in Gebäuden.Diskussionspapier zu Erkundung, Bewertung und Sanierung, .
- [3] Petrausch, J.; Hönig, M. and Jüstel, T. (2024). Untersuchung des Faserfreisetzungspotenzials von asbesthaltigen bauchemischen Produkten/Examination of the fibre release potential of asbestos containing construction chemicals, Gefahrstoffe 84 : 23-27.
Danke für den Einblick in eine Materie die alle angeht.
Wenn man also im Keller einen Betonboden hat, dann empfielt es sich den gelegentlich mit dem Staubsauger abzusaugen.
Und jetzt die Frage, geht der Betonstaub durch den Staubsugerfilter hindurch ?
Ich würde vermuten, dass die meisten Haushaltsstaubsauger da vielleicht nicht ganz die richtigen Geräte sind.
Wer weiß schon, wo im Altbau überall Asbest inhaltig ist. Zu sagen ist auch, dass Asbest konstant überall in der Luft vorhanden ist. Die Vorstellung, jede Faser wäre potentiell Krebs, wird daher übertrieben sein. Natürlich ist dennoch Vorsicht geboten.
Wer Angst vor asbesthaltigem Betonboden bzw dessen Abrieb hat, sollte ihn testen lassen ?oder unwissend dick versiegeln?.
Unterm Strich müssen wir damit leben, was Dekaden trotz Wissen der Hersteller & Politik toleriert wurde. Asbest, kmf, Blei, Quecksilber, pfas… Aber egal, Hauptsache der Rubel rollt.
Man sollte sich von der Asbestproblematik auch nicht verrückt machen lassen. Im Normalfall sind die Fasern im Estrich und auch in anderen Materialien erst einmal ganz gut gebunden, solange man sie in Ruhe lässt. Mit dem Versiegeln wäre ich vorsichtig, hier könnte das Verdeckungsverbot greifen,
Gunnar Ries,
die Vermutung liegt nahe. Welcher Mieter oder Hausbesitzer kauft sich einen Spezialsuager nur auf den Verdacht hin, im Estrich könnte Asbest sein. Und welcher Mieter oder Hausbesitzer lässt seinen Betonboden auf Asbest untersuchen. Übrigens, wieviel kostet so eine Untersuchung, wenn man ein Stück Beton einschickt ?
Die Kosten für Estriche unterscheiden sich von Labor zu Labor ein wenig, dürften aber irgendwo zwischen 80 und 100 € liegen
Hallo Herr Ries, ich brauche eine Info: gibt es ein Land auf der Welt, in dem keine Asbestprodukte (oder kaum) vorhanden sind? Wissen Sie etwas dazu?
Herzlich, RB
Zumindest meiner Kenntnis nach wurde Asbest oder asbesthaltige Produkte weltweit verkauft