Zufällig Gefunden

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Mensch, Gesellschaft und Wissenschaft
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Zufallsfund (nachgestellt) Was passiert, wenn man bei einer augenscheinlich gesunden Versuchsperson etwas im Gehirn findet, das auf eine Erkrankung hindeutet? Was erst wie eine Signalauffälligkeit aussieht, kann sich beim näheren Betrachten als ein Hinweis auf einen Hirntumor, eine gefährliche Gefäßveränderung oder einen früheren Schlaganfall entpuppen. Unter der Überschrift, „Wie ein Hirnscan das Leben verändern kann“, haben wir uns hier bei den Menschen-Bildern bereits mit dem Problem der Zufallsfunde beschäftigt.

Besonders wichtig ist mir, den Schaden für die Versuchsperson gering zu halten – aber ein Schaden kann nicht nur entstehen, wenn man eine klinisch relevante Auffälligkeit übersieht, sondern auch dann, wenn man eine harmlose Veränderung irrtümlich für klinisch relevant hält.

Letzten Freitag wurde nun ein Meilenstein für den Umgang mit solchen Zufallsfunden in Deutschland erreicht – am Life&Brain Institut des Universitätsklinikums Bonn haben sich Psychologen, Ärzte, Hirnforscher, Philosophen und ein Rechtswissenschaftler aus ganz Deutschland getroffen, um eine praktikable, ethisch und juristisch abgesicherte Lösung zu entwickeln. Federführend war dabei Thomas Heinemann, Professor und Medizinethiker am Bonner Institut für Wissenschaft & Ethik, der bereits im letzten Jahr mit seinen Kollegen die Diskussion über das Thema entfachte, als ihr Leitlinienvorschlag im Deutschen Ärzteblatt erschien.

Das jüngste Treffen soll nun Grundlage einer Empfehlung werden, an der sich künftig Institutionen und Forscher orientieren können. Zu begrüßen war, dass von allen Teilnehmern das Problem der Zufallsfunde ernst genommen und nicht als nebensächlich abgetan wurde; und dass sich viele sogar bereit zeigten, im Fall einer entdeckten Auffälligkeit die Expertise eines Fachmanns, beispielsweise eines Neuroradiologen oder Nuklearmediziners, zur Beurteilung des Fundes einzuholen.

Bei einem Viertel der Versuchspersonen kann man Auffälligkeiten finden. Überwiegend handelt es sich dabei aber um harmlose Normabweichungen. Nur in ein bis zwei von einhundert Messungen lassen sich Veränderungen feststellen, die eine dringende medizinische Abklärung erfordern.

Eine Minimallösung wäre es hingegen, die entsprechenden Versuchspersonen mit ihren Aufnahmen unkommentiert zum Arzt zu schicken. Epidemiologische Studien zeigen allerdings, dass in Abhängigkeit des verwendeten Messprotokolls bei einem Viertel der Versuchspersonen Auffälligkeiten gefunden werden. Drei von vier dieser Auffälligkeiten sind jedoch absolut harmlos und auch bei den restlichen muss es sich nicht um eine schlimme Erkrankung handeln. Insgesamt legen die Zahlen nahe, dass in ein bis zwei von einhundert Messungen ein medizinisch dringender Zufallsfund auftaucht. Die Minimallösung würde also darauf hinauslaufen, eine große Anzahl an Personen unnötig zu verunsichern, bis – womöglich erst nach Wochen – ein Fachmediziner eine Erkrankung ausschließen kann.

Dabei stehen die Forscher vor dem Problem, die Grenze zwischen Wissenschaft und Medizin nicht zu verwischen. Ihre Untersuchungen sind nicht diagnostisch und die Sequenzen sind nicht für Forschungsfragen optimiert; dennoch lassen sich bestimmte strukturelle Veränderungen oder Auffälligkeiten der Blutversorgung damit erkennen, wie etwa bei dem Beispielbild oben. Gleichwohl fehlt den meisten Wissenschaftlern die nötige Expertise zur Einschätzung des Fundes und lässt sich im Rahmen eines Experiments nicht einfach ein Arzt einschalten, der sich der Versuchsperson annimmt und den Fall weiter abklärt. Das Problem wird aber nicht von alleine verschwinden, sondern mit der zunehmenden Genauigkeit der Messsequenzen eher noch häufiger auftreten.

Hierbei zeigte sich, dass juristische und ethische Perspektive durchaus auseinander gehen können: Meinen Vorschlag, Forschern ein gewisses Grundwissen über das Gehirn zu vermitteln, sodass man die häufigsten Funde selbst einschätzen kann, hielt der Rechtswissenschaftler Tade Spranger für bedenklich: Wie er bereits in unserem Artikel für die Nervenheilkunde schrieb (PDF), wachse die rechtliche Verantwortung mit der Expertise des Untersuchenden. Handele es sich beispielsweise nur um einen Techniker, würde man von ihm weniger erwarten, einen Zufallsfund zu finden, als von einem ausgebildeten Facharzt. Will es ein Forscher also vermeiden, seine Versuchspersonen unnötig zu verunsichern, indem er sich beispielsweise fortbildet, steige für ihn auch das Risiko. Sollte er nämlich etwas klinisch Relevantes übersehen und daraus ein Schaden entstehen, könne er sich zivil- und strafrechtlichen Konsequenzen einhandeln.

Also doch eine Minimallösung, um sich rechtlich abzusichern und damit die Kosten der Versuchsperson und dem Gesundheitssystem aufbürden? Wie man sieht, ist das Problem der Zufallsfunde voller Dilemmata – letztlich wird dem einzelnen Forscher nichts anderes übrig bleiben, als in eigenem Ermessen Entscheidungen zu treffen. Das geschieht idealerweise moralisch und juristisch informiert; die Moral ist ja aber auch nicht dazu gedacht, den Menschen die Entscheidungen abzunehmen, sondern sie bloß zu leiten.

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2 Kommentare

  1. Gesundheit – Ethik – Moral….

    gehören im Prinzip zusammen und dennoch…sind wir, wie Du so schön schreibst, in der Lage diese – oft zum Nachteil der Betroffenen – wieder voneinander zu trennen. Ich würde mir eine ethisch fundierte und philosophisch diskutierte Vorgehensweise wünschen.

    Dass es so schwierig ist, als Wissenschaftler sich Zusatzkenntnisse zu verschaffen, ohne gleich in rechtliche Verantwortlichkeiten verstrickt zu werden, ist für mich ein Symptom, dass hier politisch-juristische Überregulierungen in unserem Lande – letztendlich zum Nachteil der Betroffenen – existieren.

    Nun ja, warum einfach, wenn es auch kompliziert geht?

    Könnte es nicht ausreichen, dass Wissenschaftler in Form eines “Disclaimers” darauf hinweisen, dass sie dies und jenes – ohne jegliche juristische Verbindlichkeiten annehmen – und wenn die jeweiligen Probanden eine nähere Abklärung wünschen, sich diese näher untersuchen lassen können? Meinethalben könnten die Probanden vor Versuchsteilnahme ein entspr. standardisiertes “Disclaimer-Schriftstück” unterschreiben ??

    Wäre damit nicht allen auf einfache Art geholfen?

    Besonders in Erstaunen versetzt hat mich Deine Feststellung, dass ungefähr ein Viertel der Vpn Abweichungen von der “Normalität” aufweisen…..
    Zeigt sich hier wieder die Problematik zur Aussagekraft von Gehirnscans, wie sie von Dir und Vinzenz Schönfelder diskutiert werden?

  2. Abweichungen vom Normalen…

    Hallo Monika,

    dass es Abweichungen vom Normalen geht, dürfte in diesem Fall nicht auf das Konto der Hirnscans gehen, denn die Auflösung struktureller Aufnahmen ist mit 1 mm³ recht gut und damit 27-mal so gut wie standardmäßig bei funktionellen Messungen mit der MRT.

    Es liegt einfach daran, dass jedes Gehirn einzigartig ist und wächst; man kann auch nicht wirklich sagen, was das “normale Gehirn” ist, nur manchmal sieht man eben Abweichungen in der Symmetrie, Vergrößerungen, Verkleinerungen, Risse usw. usf. Wahrscheinlich braucht man nur genau genug zu suchen und man würde in fast jedem Gehirn etwas sehen, das nicht normal aussieht, insbesondere mit zunehmendem Lebensalter.

    Man darf aber eben nicht vergessen, dass diese Abweichungen von der Norm oft ganz natürlich sind und nicht auf Krankheiten hinweisen.

    Viele Grüße

    Stephan

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