Occupy SciLogs: Wir Menschen, so klein
BLOG: MENSCHEN-BILDER
Die permanente Angst führt zum Verlust von Menschlichkeit. Heute gehen Zehntausende Menschen auf die Straße, um für eine würdevolle Zukunft zu demonstrieren.
Meine wissenschaftlichen Dienstreisen führen mich um die Welt, an so entfernte Orte wie die USA und Kanada, Japan und Taiwan. Dabei hat mich schon oft fasziniert, dass es überall Menschen gibt, mit ihren eigenen Bedürfnissen und Plänen, Wünschen und Absichten. Ich bin nur einer von knapp sieben Milliarden und doch denke ich mich als das Zentrum meiner Welt. Aus der Ferne betrachtet sind alle so klein aber für alle anderen bin ich nur ein Staubkorn am kosmischen Horizont; und ein paar andere dieser Staubkörner kommen zu Konferenzen oder Tagungen und schenken mir ein paar Momente ihrer Aufmerksamkeit.
het landschap met de rivier doortrekt me
en laat me achter, zonder een gevoel, zonder
een gedachte – het laat me weten
hoe overbodig ik benik zit hier, zie dit en vergeet dit, hetzelfde moment
ik ben alleen en niemand weet waar ik ben
en wat ik zie, ook ikzelf nietRutger Kopland, preisgekrönter niederländischer Dichter; Pseudonym des emeritierten Groninger Psychiatrie-Professors Rutger van den Hoofdacker
(die landschaft mit dem fluss durchzieht mich
und lässt mich zurück, ohne ein gefühl, ohne
einen gedanken – sie lässt mich wissen
wie überflüssig ich binich sitze hier, sehe dies und vergesse es, im selben moment
ich bin allein und niemand weiß wo ich bin
und was ich sehe, auch ich selbst nicht)
So klein, wir Menschen – ein Blick von der Besucherplattform des 101 in Taipeh, Taiwan. Damals war es noch das höchste Gebäude der Welt. Die Millionenstadt wirkt aus dieser Höhe wie in dem Computerspiel Sim City, dabei verbergen sich dort Tausende Menschen, die ebenso einzigartig sind wie ich.
Heute gehen Zehntausende Menschen auf die Straßen, um für eine sozial gerechtere Welt zu demonstrieren. So auch der Rentner, den ich wieder in meinem Lieblingscafé in Utrecht treffe, ein alter Marxist auf dem Weg zum Börsenplatz in Amsterdam, der sich erst noch ein Stück hausgemachte Schokoladentorte gönnt. Idealistische Träumer werden sie bestenfalls vom Establishment genannt und man rechnet damit, dass die Massen bald wieder nachhause gehen. Spätestens die nächtlichen Temperaturen um den Gefrierpunkt werden es schon richten.
Doch was bleibt den Menschen heute noch, wenn nicht ihre Träume von einer besseren Zukunft? Oder überhaupt eine Zukunft, wie es diese Demonstrantin in Sidney mit Kreide auf den Bürgersteig schreibt. In den 1980ern gab es den Kalten Krieg, der unterschwellig immer da aber für die meisten doch weit weg war, wenn sie sich nicht selbst an den Spionage- oder Kriegsspielen beteiligt haben. In den 1990ern herrschte Aufbruchstimmung in den Köpfen, nach dem Mauerfall, eine andere Welt schien möglich. Dabei wurde abseits der Euphorie von eiskalten Geschäftemachern zunehmend Raubbau betrieben, an Werten im Osten, die man für die Globalisierung aufstellen oder bloß mit Gewinnmaximierung verramschen wollte, Privatisierungen überall, im Zweifelsfall bürgt der Steuerzahler, Explosion der Staatsverschuldung. Es gab die Jugoslawienkriege aber eigentlich waren die 1990er Jahre doch für die meisten von uns relativ angstfreie Jahre.
Nicht so die erste Dekade der 2000er. Anschläge in den USA, daraufhin außer Kontrolle geratende Kriege in Afrika, Terrorwarnungen überall. An der Heimatfront die schrittweise Aushöhlung der sozialen Sicherungssysteme von 2003-2005. Auch im öffentlichen Dienst werden die Gehälter umgekrempelt, die Hochschulen werden durchökonomisiert und sollen im nationalen wie internationalen Wettkampf bestehen. Jeder soll sich dafür noch mehr anstrengen. Was einst als sichere Anstellung galt, ist es schon lange nicht mehr. Halbe Stellen für anderthalbfache Arbeit, Professuren auf Zeit, gekürzte Gehälter für Neulinge, eine Zwölfjahresfrist für wissenschaftliche Mitarbeiter, eine Generation unangepasster Akademiker wird verschrottet. In jeder neuen Verhandlungsrunde geht es gar nicht mehr um die Verbesserung des status quo, sondern um die bloße Rettung eines Teils dessen, was für frühere Generationen noch selbstverständlich war, während diejenigen, die schon oben sitzen und Gold in den Zähnen haben, von der Besitzstandwahrung sprechen.
Angst überall
Wurden und werden die Kriege auch in der Ferne geführt, erst der Terror, dann medizinische Warnungen vor tödlichen Pandemien und nun die Wellen der Finanzkrise bringen die Angst tagtäglich vor unsere Haustür. Ich erinnere mich an das Beispiel einer Absolventin der Psychologie, die ich in meiner Bonner Zeit kennengelernt habe. Meines Erachtens hervorragend für die berufliche und private Zukunft aufgestellt, hatte sie selbst große Angst davor, überhaupt eine gute Stelle zu finden. Was sollen dann erst diejenigen denken, die nicht so gut qualifiziert sind wie sie?
…ich glaube, dass es nicht nur aussichtslos ist, den American Dream zu verfolgen, sondern selbstzerstörerisch, denn schließlich zerstört es alles und alle, die darin involviert sind. Dies muss es per Definition, denn es nährt alles außer jenen Dingen, die wichtig sind: Integrität, Ethik, Wahrheit, unser wahres Herz und Seele. Warum? Der Grund dafür ist simpel: Leben heißt geben und nicht kriegen. (Hubert Selby, Jr., 1999, im Vorwort zu seinem Buch “Requiem for a Dream”, meine Übersetzung)
Neben dem monetären Preis, den wir und nachfolgende Generationen über die Staatsverschuldung begleichen müssen, bezahlen wir alle auch einen moralischen und gesellschaftlichen Preis – und damit meine ich nicht die gekürzten Subventionen für Theater, Musikfestivals oder andere kulturelle Aktivitäten. Die sozialpsychologische Strömung des Situationismus hat Belege dafür geliefert, wie soziale Umstände die Menschen zu Tätern machen können oder allein schon Stress die Hilfsbereitschaft senkt. Ich erinnere dabei nur an Philip Zimbardos Stanford Prison Experiment, das Studenten dazu gebracht hat, ihre Kommilitonen zu quälen, und vorzeitig abgebrochen werden musste (siehe dazu auch dieses neue Gehirn&Geist Interview mit Zimbardo).
Wo ist die Bombe? “Bitte achten Sie auf verlassene Gehirne!” Eine Warnung vor Warnungen vor Bombendrohungen, gefunden an einer Berliner U-Bahn-Station.
Die allgegenwärtige Angst kann uns nicht nur lähmen, sondern auch zum Verrat dessen führen, was im Zentrum unserer Gemeinschaft steht, unseren Grundrechten. Grundrechte, für die unsere Vorfahren kämpfen mussten und zahlreiche von ihnen sogar starben. Kein Zufall, dass Folter und gegen die Menschenrechte verstoßende Gefangenschaft im Kampf gegen den Terror Hochkonjunktur haben – und auch in Deutschland wurde jüngst die Folter zumindest angedroht und setzt sich so mancher führende Rechtswissenschaftler für die Instrumentalisierung Weniger zum Wohle der Vielen ein. Dabei wird gerne vergessen, dass die Würde des Menschen nach Artikel 1 Absatz 1 Grundgesetz nicht nur unantastbar ist, sondern sie zu achten und schützen Verpflichtung aller staatlichen Gewalt; und in Absatz 2 heißt es dann weiter:
Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.
Während Zehntausende weltweit auf die Straßen gehen, um für eine Zukunft zu demonstrieren, sitzen unsere führenden Politiker am Verhandlungstisch und arbeiten mit ihrer modischen Blumenkrawatte geschmückt an der nächsten kongenialen Lösung, die wieder nicht funktionieren wird. Gemäß der Internetseite Global Rich List gehöre ich jetzt zum reichsten Prozent der Welt, gegen das die 99% der Demonstrantenbewegung protestieren. Tatsächlich habe ich mir erst heute wieder in einem der exklusiveren Läden in Utrecht zwei Hemden gekauft und rede mir ein, dass mich das individuell macht – diese Stoffstücke, die in irgendeiner fernen Fabrik produziert wurden, in diesem Fall „Styled in Italy – Made in Portugal“. So wie mein Computer, „Designed in California“ aber „Made in China“. Wir wollen stylen, designen und denken – arbeiten aber sollen lieber die anderen.
Unsere Kleidungsstücke sind durch sorgfältige Details und zum großen Teil handgemachte Bearbeitungen gekennzeichnet, die sie einzigartig und original machen. Streifungen, Farbnuancierungen, Unterschiede im Farbton sowie Unregelmäßigkeiten der Struktur des Gewebes sind Besonderheiten des Kleidungsstücks und ein Zeichen für hohe Qualität.
Konsum wird meine Probleme nicht lösen – vor dem offenen Fenster an einem Altweibersommertag in meinem Wochenendbüro in Utrecht.
Diese Konsumlust – sie ist nicht mehr als eine Ablenkung und ein Schein, etwas Besonderes zu sein, eine Zukunft zu haben. Auch das Bürgertum tritt aus Angst vor Statusverlust lieber nach unten, anstatt gegen oben für mehr Gerechtigkeit zu kämpfen und trägt damit doch nur noch weiter zur Beschleunigung des gesellschaftlichen Auseinanderbruchs bei. Was muss noch passieren, damit wir verstehen, dass wir zwar nicht gleich, wohl aber alle gleichwertig sind, und auch danach handeln?
OccupyScilogs! 🙂
Lieber Stephan,
vielen Dank für diesen ebenso engagierten wie nachdenklichen und sogar selbstkritischen Blogpost. Ich bin sehr froh, dass es auf den Scilogs auch Platz für solche Gedanken und Denker gibt. 🙂
Beste Grüße
Michael
PS: Hast Du Dich schon einmal mit der empirischen Glücksforschung befasst? Gerade zum Thema Schein-Glück durch Konsum hat sie schon viel gezeigt. In der aktuellen Gehirn & Geist gibt es ja auch einen Artikel dazu.
@ Michael
Haha, danke für das Lob! Ich habe den Titel meines Beitrags gerade angepasst. Occupy SciLogs – hört sich fast nach einem Bloggewitter an. 🙂
Tjaja, davon, dass das nur ein Scheinglück ist, brauchst du mich nicht zu überzeugen. Nur muss ich dann meine Schlussfrage in diesem Kontext wiederholen: verstehen … und danach handeln!
Es dürfte Menschen geben, die sich lieber noch im Scheinglück wägen als ganz ohne. Gerade in diesem Kontext finde ich die Bücher Hubert Selbys so beeindruckend, wo sich die Menschen auf unterschiedliche Weise mit ihrem Scheinglück selbst zerstören: Die Mutter mit Fernsehshows, Pralinen und Amphetamin, die Jungs mit Heroin und die Freundin mit Heroin und schließlich Hardcore-Prostitution.
Hallo Stephan,
das ist tatsächlich ein großartiger Artikel. Ich denke da auch schon eine Weile drüber nach, womit ich Michael beruhigen kann. Ich hatte mir letztes Jahr ein Tablet zugelegt und bin von diesem Gerät auch völlig begeistert. Wenn ich mir jetzt aber anschaue, mit welche Geschwindigkeit immer neuere und bessere Geräte auf den Markt drängen, wird mir irgendwie komisch. Die kann man ja bald konsumieren wie Collegeblocks. Zumindest Denker gibt es hier also mehrere, ich konnte das bisher aber nicht so eloquent in Worte fassen. Bei Nashörnern bin ich einfach routinierter…
soziale Verantwortung
Die Proteste richten sich gegen eine zunehmend unsoziale Gesellschaftsordnung. In den letzten Jahren wurden unter dem Scheinargument der Globalisierung die Lasten und Vorteile ungleich verteilt. Bei den höchsten Einkommen erfolgte Steuerverminderung, auf die Masse der Bevölkerung kam der Abbau der sozialen Leistungen zu; mit dem Scheinargument ´Eigenverantwortung´.
Es ist vermutlich kein Zufall, dass die Proteste in den USA ihren Anfang nahmen. Dort weigerten sich die Reichen einer Steuererhöhung zuzustimmem und trieben diese Weigerung sogar bis zum Rand der Staatsinsolvenz.
Uns wurde weisgemacht, dass man die hohen Einkommen steuerlich entlasten müsse damit die Reichen mehr Mittel haben um für die Zukunft unseres Landes zu investieren – gelandet ist das Geld in der Schweiz.
Die Proteste werden weitergehen, wenn es nicht endlich eine Politik mit sozialer Verantwortung gibt. Wir brauchen eine Sondersteuer damit die Staatsverschuldung von den Verursachern abgebaut wird und nicht der nächsten Generation überlassen wird.
Wir brauchen aber auch die Geldmarktsteuer, denn es geht nicht dass sich einige Leute die Gewinne in die Tasche stopfen und Verluste von der Gesellschaft getragen werden müssen
@ Sören: Nashorn-Gedicht
Danke, Sören, jüngst waren ja auch wieder die Warteschlagen vor den Apple-Stores für das iPhone 4S zu sehen. Bei mir käme jedenfalls eher ein Nashorn ins Haus als so ein Tablet ohne Tastatur. 🙂
Es ist doch gut, dass wir dich dabei haben, denn wer würde sonst über eine Rhino-Geburt schreiben können, wenn nicht du? Und solltest du doch einmal einen Versuch wagen wollen, dich in ein anderes Genre vorzutasten, dann versuche es doch für den Anfang mit einem Nashorn-Gedicht!
Verdichtung
Stephan Schleim zu Sören Schewe: “Es ist doch gut, dass wir dich dabei haben, denn wer würde sonst über eine Rhino-Geburt schreiben können, wenn nicht du? Und solltest du doch einmal einen Versuch wagen wollen, dich in ein anderes Genre vorzutasten, dann versuche es doch für den Anfang mit einem Nashorn-Gedicht!”
Bei Gedichten kann ich ja schon mal aushelfen. Wie wäre es mit diesem hier:
Das Nashorn auf der Kirchturmspitze
Ein Nashorn, sitzend auf der Kirchturmspitze,
erzählte Kühen tolle Witze.
Doch die hingegen, ganz verstockt,
haben glotzend bloß sich hingehockt.
“Was? Ihr wollt partout nicht lachen?
Muss ich das denn auch noch machen?
Wenn ihr dumm seid wie die Kälber,
lache ich ganz einfach selber!”
Das Nashorn kichert, lacht “Hi hi”,
da plötzlich fällt es irgendwie.
Im Fall noch lacht es laut “Ho ho”
und landet unsanft auf dem Po.
Es schlich sich weg, ganz schamesrot,
überließ die Kühe ihrer Not.
Die grübeln heute noch im Schneidersitze:
“Wie kam das Nashorn auf die Kirchturmspitze?”
von Peter Friedrich
Ein Gedicht verlangt natürlich nach einer Interpretation, wir kennen es noch aus der Schule, da muss man das “Verdichtete” wieder ins normale Deutsch übersetzen, oder so.
Bei den Kühen braucht man da nicht lange nachzudenken, angesichts der Bankenkrise und anderer Scherze, die Stephan Schleim hier beschreibt, hocken wir alle da und glotzen ganz verstockt, da uns dazu nichts mehr einfällt.
Aber wer ist das Nashorn und wie kam es an die Kirchturmspitze, wer hat ihm dabei geholfen? Wir hören das Nashorn auch lachen und kichern. Doch ist es wirklich schon heruntergefallen oder war das Ganze nur der Traum des Herdenviehs?
@ Mona: Interpretationen
Vielleicht ist das auch nur eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme von DeutschlehrerInnen, dass sie uns immer die Frage danach vorgehalten haben, was der Poët/die Poëtin sich dabei gedacht habe?
Durch meinen persönlichen Umgang mit Künstlern habe ich den Eindruck gewonnen, dass die sich oft gar nichts dabei denken, sondern spontane Einfälle ausprobieren.
Im Nachhinein kann man freilich alles interpretieren. Pädagogisch kann das durchaus wertvoll sein aber daraus folgt eben nicht, dass das Kunstwerk politisch ist.
Das Nashorn scheint mir im Übrigen in dem Gedicht gegen andere Tiere austauschbar zu sein. Warum zum Beispiel kein Hirsch? Das wäre in Deutschland doch viel plausibler.
Da sieht man eben: Hätte ein Rhino-Kenner wie Schewe so ein Gedicht geschrieben, es wäre sicher viel Rhinospezifischer. 🙂
@Mona und Stephan
Naja, in eibem anderen Genre bewege ich mih ja durchaus, schließlich gehören Nashörner nicht so unbedingt zu den landwirtschaftlichen Nutztieren – oder habe ich da etwas Fundamentales verpasst?
Von Deiner Vermutung Stephan, dass Interpretationen lediglich eine ABM von Deutschlehrern für die Schüler sei, bin ich ganz begeistert. Exakt das habe ich mir auch immer gedacht, dabei ist das Gedicht durchaus nett und ich habe mich sehr darüber gefreut. Übermäßige Wort-für-Wort-Analysen steigern die Freude daran nicht unbedingt^^ Danke Mona!
Die Kühe könnten dabei auch die Politiker sein, die völlig verstockt am Verhandlungstisch sitzen und die beinahe nur noch reagieren statt agieren. Und das Nashorn auf der kirchturmspitze? Nun, vielleicht war ich das ja…
@Stephan Schleim
“Durch meinen persönlichen Umgang mit Künstlern habe ich den Eindruck gewonnen, dass die sich oft gar nichts dabei denken, sondern spontane Einfälle ausprobieren.”
Naja, unter Künstlern gibt es eben solche und solche. Leute die Gedichte schreiben nennt man allgemein auch eher Dichter oder Poeten und nicht “Künstler”, auch wenn oft von der Dichtkunst gesprochen wird. Ich kann mir auch kaum vorstellen, dass sich die großen deutschen Dichter bei ihren Gedichten “nichts” gedacht haben.
@Sören Schewe
Deine Interpretation gefällt mir. Wie ich sehe hast Du durchaus auch noch andere Talente als Ackerbau und Viehzucht sie einem abverlangen.
Andere Idee: vielleicht warten die Kühe auch nur darauf, dass das Nashorn wieder runter kommt, denn das schafft man immer – entweder aktiv selbst oder man wird geschafft. Das gilt übrigens auch für viele heute große Unternehmen, die Stephan in seinem Artikel oben erwähnt. Da fragt man sich ja mitunter auch: wie kommen die da hoch – und warum?
PS: Mona, ich habe noch viele andere Interessen. Wenn sich bei mir tatsächlich alles nur um Landwirtschaft drehte, wäre ich wohl ein Fall fürn Hirn-Klempner…
@ Sören, vom Nashorn-Nutzen
Aus der Perspektive der vergleichenden Rhinologie muss ich doch zu bedenken geben, dass der (beispielsweise dem Horn) beigemessene Nutzen durchaus kulturell variabel ist.
Aber in dieser Kritik an der Konsumkultur sollten wir uns nicht zu sehr über Nützlichkeit den Kopf zerbrechen. Deshalb bleibe ich für den Moment lieber bei den Gedichten und da sind mir heimische Waldtiere nunmal lieber, ob nun oben auf dem Kirchturm oder unten auf der Licht.
(Schreibe ich, während ich auf ein paar Miniaturschafe auf dem Voorveldse Polder in Utrecht schaue.)
@ Mona: Dichter und Denker
Wir können die großen Dichter und Denker nicht mehr fragen; vielleicht haben sie manchmal aber auch eher gefühlt als gedacht, wenn sie ein Gedicht geschrieben haben.
Wenn ich an die Menschheit, bzw den einzelnen Menschen denke, fällt mir da immer, Carl Sagans Palue blue Dot ein..
“From this distant vantage point, the Earth might not seem of any particular interest. But for us, it’s different. Look again at that dot. That’s here, that’s home, that’s us. On it everyone you love, everyone you know, everyone you ever heard of, every human being who ever was, lived out their lives. The aggregate of our joy and suffering, thousands of confident religions, ideologies and economic doctrines, every hunter and forager, every hero and coward, every creator and destroyer of civilization, every king and peasant, every young couple in love, every mother and father, hopeful child, inventor and explorer, every teacher of morals, every corrupt politician, every “superstar,” every “supreme leader,” every saint and sinner in the history of our species lived there – on a mote of dust suspended in a sunbeam.”
@Stephan, Sören, Mona
Mit Freude sehe ich, in welcher kirchturmartigen Ernsthaftigkeit sich bei den Brainlogs gleich zwei Bloggewitter-Ideen entfaltet haben:
1. OccupyScilogs
2. Rhinologie
Danke Euch für das fröhliche Schmunzeln am Montagmorgen, kurz vor der Bürotür!
🙂
@ Schleim
Noch so’n Aufsatz, und ich geh’ in’s Kloster…
Danke dafür.
Helmut
@ Helmut: Kloster
Wenn, dann gehen wir zusammen. Ich weiß da auch schon eins in Südfrankreich. 🙂
Kein Kloster
Der Post war sehr schön – aber doch bitte kein Kloster! Ich würde Euch vermissen.
Ich habe den Artikel bei mir auf Google+ empfohlen – Martin, was muss ich tun, damit hier ein Trackback erkannt wird?
@Schleim @Leyh – Kloster
Als es mir mal richtig dreckig ging, bin ich probeweise tatsächlich ein paar Tage ins Kloster gegangen. Im Altmühltal, ins Franziskanerkloster in Dietfurt.
Ich hab’s nicht lange ausgehalten (die Gründe will ich hier nicht auseinanderdröseln) – aber eines ist mir in GUTER Erinnerung geblieben: das Schweigegebot. Drei Tage lang die Klappe halten. Tat richtig gut.
Und bringt mich jetzt in einen spannenden Konflikt – hat es Sinn, die Klappe aufzumachen, um über’s Klappehalten zu reden?
@Stephan Schleim
Ist da das Kloster in der Nähe von Bordeaux gemeint? Vielleicht können Sie die anderen Herren motivieren, wenn Sie Ihnen erzählen das in diesem Kloster auch Frauen willkommen sind. Nein, nicht was Ihr jetzt denkt! Man übt dort miteinander nur langsames Gehen, aufmerksames Zuhören und mitfühlendes Sprechen.
Ach ja, Mantras werden dort auch gesungen:
http://www.youtube.com/watch?v=oF4kYnS39os
In einem Deiner Beiträge mußt Du auf diesen hier von Stephan verlinken, das Häkchen bei “Trackbacks verschicken” setzen, abspeichern und auf der nächsten Seite den Link zu Stephans Blog auswählen und wegschicken.
Da mache ich doch direkt mal mit hier.
Was ich so bei Stephan herausgelesen habe ist der eigentliche Grund der Probleme unser Egoismus, der die verschiedensten Ausprägungen hat. Geld, Konsum, Populärität, Macht, Erfolg usw. Meist geht es dabei auf Kosten der anderen und wird damit letztendlich unglücklich. Also wäre Verzicht, Solidarität, Selbstbeschneidung der Ausweg. Und warum macht man das? Damit es einem besser geht. Aber ist das nicht wiederum auch Egoismus? Werde ich somit nicht von meiner Selbstaufopferung abhängig? Eigentlich kann ich machen, was ich will, ich drehe mich doch immer um mich selbst. Gibt es denn gar kein Ausweg?
Trackback-Support
Sorry Martin, hatte nur Dein Video-Manual in meiner Mail gesehen, nicht Deinen Kommentar.
Google+ kann mehr – das stelle ich immer wieder fest. Dies scheint eine der Funktionen zu sein, die ich noch nicht entdeckt habe. Wenn Sie existiert.
@ Helmut, Mona
Übers Klappehalten sollte man am besten die Klappehalten und es einfach mal ausprobieren – das war mir bisher aber zu viel. Ich halte es da lieber mit achtsamer Geselligkeit und gemeinsamen Meditationsübungen. So glücklich wie in den zwei Wochen dort bei der Gehmeditation war ich noch nie vorher in meinem Leben – und das ohne Internet, Konsum und allem.
@ Huhn
“Gibt es denn gar kein Ausweg?”
Nein.
Das ist ja der Mist.
@ Wicht
Da bin ich aber anderer Meinung.
@ Martin: Spiritualität und Egoismus
Das ist eigentlich ein Thema für ein gemeinsames Gespräch in Deidesheim, hier aber nur kurz ein Verweis darauf, dass es im Buddhismus – allerdings ist das nun schon wieder ein paar Jahre her, dass ich mich damit beschäftigt habe – verschiedene Traditionen gibt.
Die älteren Traditionen wie Hinayana werden häufig mit der Idee in Zusammenhang gebracht, dass man sich selbst (z.B. durch strenge Meditation wie im Zen) erleuchtet und das war’s dann (Ideal des “Alleinverwirklichers”).
Im Vajrayana hingegen, das ist die neueste Strömung, wie beispielsweise der tibetische Buddhismus, gibt es das Bodhisattva-Ideal, das darin besteht, sich zwar selbst auf dem Weg zur Erleuchtung zu befinden aber so lange im Kreislauf des Samsara zu verharren, bis alle anderen Wesen Erleuchtung erfahren haben.
Ich persönlich denke, dass irgendwo dazwischen eine gesunde Balance besteht; und gerade so habe ich das übrigens in Plum Village erfahren, wo einerseits die Zen-Tradition besteht aber andererseits auch eine starke Gemeinschaft, in der man auch Rücksicht auf verschiedene Bedürfnisse und Fähigkeiten nimmt.
Und übrigens, @Mona, gibt es dort zwei Frauenkloster und anderthalb Männerkloster. Im Sommer sowie in der Weihnachts-/Neujahrszeit sind dort aber sowieso auch ganze Familien willkommen, nimmt man es also – zumindest für die Gäste – nicht so streng mit den Regeln; und sollte Helmut das wollen, könnte er dort auch schweigen. Dafür gibt es ein Schildchen, das sich die Leute an die Jacke heften.
Meine Sicht ist aus einer Perspektive des Christentums und damit auch von der Buddhistischen unterschiedlich. Das wäre wirklich mal etwas für Deidesheim.
@ Martin
Schön, dann können wir ja gleich nach der Präsentation des neuen Vorschaufunktionplugins für die Kommentare bei einem leckeren Glas Wein (Weißwein, der Rote wurde ja gestohlen) darüber diskutieren; und danach sucht die Hälfte der SciLogger Klöster auf. 😉
Zen @Stephan Schleim
“Die älteren Traditionen wie Hinayana werden häufig mit der Idee in Zusammenhang gebracht, dass man sich selbst (z.B. durch strenge Meditation wie im Zen) erleuchtet und das war’s dann (Ideal des “Alleinverwirklichers”).
Im Vajrayana hingegen, das ist die neueste Strömung, wie beispielsweise der tibetische Buddhismus, gibt es das Bodhisattva-Ideal, das darin besteht, sich zwar selbst auf dem Weg zur Erleuchtung zu befinden aber so lange im Kreislauf des Samsara zu verharren, bis alle anderen Wesen Erleuchtung erfahren haben.”
Zen ist die “ungläubigste” Form des Buddhismus. Man schafft sich keine Götzen und hängt auch keinen Dogmen und Idealen an, denn in Buddhas Lehre heißt es: “Glaubt nicht dem Hörensagen und heiligen Überlieferungen, nicht Vermutungen oder eingewurzelten Anschauungen, auch nicht den Worten eines verehrten Meisters; sondern was ihr selbst gründlich geprüft und als euch selbst und anderen zum Wohle dienend erkannt habt, das nehmt an.”
Im Zen muss jeder seinen Weg alleine gehen, natürlich kann er sich Weggefährten suchen, aber man sollte niemanden irgendwelche “religiösen” Regeln oder Ansichten aufzwingen wollen. Auch zweifelt man den Weg eines anderen nicht an, denn jeder hat einen eigenen, individuellen Weg und jeder Weg hat dieselbe Berechtigung.
Ansonsten habe ich hier schon mal einen Beitrag über Zen-Buddhismus geschrieben:
https://scilogs.spektrum.de/chrono/blog/natur-des-glaubens/phanomene/2009-10-30/religion-ohne-gott-zen-buddhismus
P.S. Ich hoffe es gibt guten Wein in Deidesheim, denn eine Zenweisheit lautet: “Das Leben ist zu kurz um schlechten Wein zu trinken.” 😉
Michael von Brueck – Über den Buddhismus
“Meine Sicht ist aus einer Perspektive des Christentums und damit auch von der Buddhistischen unterschiedlich.”
In der christlichen Mystik finden sich durchaus auch Gemeinsamkeiten mit dem Buddhismus. Der Religionswissenschaftler Michael von Brueck ist als Christ aufgewachsen, aber er befasst sich seit vielen Jahren intensiv mit dem Buddhismus und kann viel darüber sagen. Auf YouTube gibt es ein vierteiliges Interview mit ihm.
http://www.youtube.com/watch?v=HK1o6KnifCk
Nicht aufgeben
Hmm, was mir am Buddhismus nicht gefällt, ist, dass man sich beinahe jede Welt zurechtmeditieren kann. Das ist dann zwar vielleicht wirklich eine Befreiung vom Leid, um die es Gautama Buddha ging, hat für mich aber letztlich doch den Beigeschmack von Flucht.
Genormter Glaube oder freier Geist
“Hmm, was mir am Buddhismus nicht gefällt, ist, dass man sich beinahe jede Welt zurechtmeditieren kann. Das ist dann zwar vielleicht wirklich eine Befreiung vom Leid, um die es Gautama Buddha ging, hat für mich aber letztlich doch den Beigeschmack von Flucht.”
Ja scheußlich, nicht wahr? 🙂 Anstatt sich einen schönen christlichen Himmel mit vielen Englein und einem lieben Gott zurechtzubeten, der unser Leben steuert und die bösen Ungläubigen ins ewige Höllenfeuer schickt, treten diese gottlosen Gesellen die Flucht an, oft bis in die unendlichen Weiten des Weltalls. Deswegen sind wohl auch die meisten Science-Fiction-Autoren Atheisten oder Agnostiker, bzw. sympathisieren mit dem Buddhismus, wie Gene Roddenberry (Star Trek). Wenn man sich die Frage stellt “Was wäre, wenn?”, dann muss man die Schere im Kopf wohl erst einmal beiseitelassen.
Nichts auf der Welt stelle ich mir öder vor, als wenn jeder dasselbe denken oder glauben würde. Mit wem will ich mich da noch austauschen, von wem kann ich lernen und wer soll mich inspirieren?
@ Mona
Gemeinsamkeiten kann man immer finden. Heute Morgen gab es an der Haltestelle Gemeinsamkeit mit einem wildfremden Menschen. Wir hatte beide Regentropfen auf der Jacke.
Hm, so weit ich weiß, hat Stephan Schleim nicht viel mit dem Christentum am Hut. Ansonsten sind das doch schon sehr profunde Kenntnisse übers Christentum. In der Tat gibt es viele sehr alte Hilfswerke (Waisen-, Krankenhäuser, Altenheime, Schulen, Armenhäuser, Suppenküchen etc.) die aus christlichen Motiven der Nächstenliebe entstanden sind. Die meisten haben sich doch gar nicht dafür interessiert. Aber das ist nur ein Aspekt des Christentums.
@Martin Huhn
“Ansonsten sind das doch schon sehr profunde Kenntnisse übers Christentum. In der Tat gibt es viele sehr alte Hilfswerke (Waisen-, Krankenhäuser, Altenheime, Schulen, Armenhäuser, Suppenküchen etc.) die aus christlichen Motiven der Nächstenliebe entstanden sind. Die meisten haben sich doch gar nicht dafür interessiert. Aber das ist nur ein Aspekt des Christentums.”
Keine Sorge, über das Christentum könnte ich schon mehr erzählen. Auch wollte ich das Ganze nicht als Herabwürdigung sehen, sondern es war lediglich als Antwort auf das “zurechtmeditieren” von Stephan Schleim gedacht. Und um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen habe ich auch noch einen Smiley reingesetzt.
Übrigens, Nächstenliebe ist keine christliche Erfindung.
Siehe dazu auch: http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/0,1518,688340,00.html
@ Mona & Martin
Ich hoffe, ihr wollt jetzt hier nicht ausdiskutieren, welche Religion die bessere ist. 😉
Fest steht doch so viel: 1) Was eine Religion ausmacht, 2) wie manche Menschen das verstehen und 3) was sie dann daraus machen, sind ganz unterschiedliche Dinge.
Nö, keine Bange. Das ist ja ein Reizthema und wird von einigen hier nicht gerne gesehen, weil unwissenschaftlich (außer wenn es negative Betrachtungsweisen sind, dann ist es wissenschaftlich genug 😉 ). Ich wollte das nur nicht so lapidar stehen lassen. Es gibt halt viele, die fragen, wozu das Christentum überhaupt gut sein soll und durch die einseitige Betrachtungsweise wird dann viel unterm Teppich gekehrt, was heute für selbstverständlich angesehen wird.
Handeln?
Vielleicht finden sich Antworten in der Praktischen Philsophie. Ich lese gerade (Achtung Werbung ;-} im Buch “Philosophisch Leben – Meister Eckhart” von T. Polednitschek (sehr empfehlenswert) über den “äußeren Menschen”, der, außengeleitet wie er ist, sich seiner selbst (und damit eigentlich auch andern Menschen) entfremdet hat und zu einem innengeleiteten Leben nicht fähig ist – deswegen auch über einen überflüssigen oder schädlichen Konsum nicht reflektieren kann. Eigentlich ist zwar jedem klar, daß (Weg)Nehmen einen Preis hat, nicht nur Fremde (weit weit weg, klein… kaum zu sehen, fühle ich nicht) dafür bezahlen .. arbeiten … schwitzen, sterben.. sogar getötet werden.. Lebewesen geqält werden.. Leben zersört wird.. aber solange es einer wegschieben kann raus aus der eigenen Realität, ändert sich nichts. Für mich liegt der Weg mehr im Nicht-handeln, nicht Nehmen, öfter mal Seinlassen, nicht einfach Mittun – deswegen kein Konsumverzicht – aber mehr Bewußtsein in Bezug auf das, was mein Geld und Konsum bewirkt und auch bewußte Einflußnahme.
noch mal über Nashorn…
„Durch meinen persönlichen Umgang mit Künstlern habe ich den Eindruck gewonnen, dass die sich oft gar nichts dabei denken, sondern spontane Einfälle ausprobieren.“
Die Künstler denken schon. Nur in dem Medium, in dem sie arbeiten. Ein Maler denkt in Far-ben, visuellen Vorstellungen, Formen etc. Ein Dichter hat eigenes Denkmedium. Die Tatsa-che, dass wir es „übersetzen“ in die „normale“ Sprache, um miteinander über das Werk sprechen zu können, bedeutet nicht, dass die Künstler (auch Dichter) nicht dabei denken. Dass die Künstler mögen nicht sich selbst „übersetzen“, ist ja selbstverständlich. Sie kommu-nizieren mit uns durch ihr Werk.
„Das Nashorn scheint mir im Übrigen in dem Gedicht gegen andere Tiere austauschbar zu sein. Warum zum Beispiel kein Hirsch? Das wäre in Deutschland doch viel plausibler.“ Man-o-man. Aber genau dass es nicht plausibel ist, macht aus dem Gedicht das, was es ist…
„Im Nachhinein kann man freilich alles interpretieren. Pädagogisch kann das durchaus wert-voll sein aber daraus folgt eben nicht, dass das Kunstwerk politisch ist.“ Es ist eben der Sinn des Kunstwerks. Einmal in die Welt gesetzt, nimmt er eigene, von dem ihn erschaffenen Künstler unabhängige Wege.
@ Pottel: denkende Hirsche
Dass ein Künstler/eine Künstlerin sozusagen beim Schöpfen mit den Händen denkt, das finde ich beinahe schon wieder poetisch. Mir gefällt der Gedanke.
Und dass ich mich darüber mockiere, dass das Nashorn kein Hirsch ist, das war eigentlich als Scherz gemeint. 😉