Willensfreiheit: “Wie die Nieren den Urin absondern, erzeugt das Gehirn Gedanken.”

Wie frei ist der Mensch im Spannungsfeld von natürlichem Zufall und Notwendigkeit?

Was ist der Mensch? Oder wer ist er? Diese Frage dürfte so alt sein wie die Philosophie. Vielleicht markiert sie sogar ihre Geburtsstunde.

Die Frage, wie wir frei sein können, stellte sich insbesondere vor dem Hintergrund naturwissenschaftlicher Erkenntnisse. Wo bleibt der Spielraum für unser eigentliches Entscheiden, wenn wir immer mehr über die Naturvorgänge lernen und verstehen?

Doch dauerte es nicht bis zur Neuzeit und Moderne, bis dieses Spannungsfeld gesehen wurde. Schon in Platons Dialog Phaidon, der Sokrates’ letzte Stunden vor Vollstreckung des Todesurteils literarisch schildert, wurde es thematisiert. Diese Frage ist also über 2000 Jahre alt.

Sokrates griff demnach die Gedanken seines naturphilosophischen Lehrers Anaxagoras auf, der eine materialistische Sichtweise vertrat. Doch gerade auf dem Gebiet der Psychologie, wie wir heute sagen würden, überzeugte ihn diese Lehre nicht. Denn was würde es erklären, würde man die Frage, warum Sokrates im Gefängnis saß, mit Verweis auf die Bewegung seiner Knochen und Sehnen beantworten?

Heute weiß man ungleich mehr über den Körper und Gehirnvorgänge. Wäre die Antwort, Sokrates war im Gefängnis, weil es in seinem motorischen Kortex solche-und-solche Aktivitäten gegeben hat, eine bessere? Was denken Sie?

Willensfreiheit im 19. Jahrhundert

Eine bedeutende Zwischenstation auf dem Weg in die Gegenwart markiert das 19. Jahrhundert. Es war eine Zeit des Fortschritts und der Entdeckungen. Durch Erkenntnisse der Physik, Chemie und Biologie entstand ein neues Weltbild, das für viele heute eine Selbstverständlichkeit ist.

Doch wie verhielt sich das mit dem Wissen der Psychologie, die es damals noch gar nicht als eigene Disziplin im heutigen Sinne gab? Eine Antwort finden wir bei Carl Vogt (1817-1895), der im Alter von nur 30 Jahren schon Professor für Zoologie an der Universität Gießen wurde und später in Genf. Heute würden wir ihn wohl einen Evolutionsbiologen nennen.

Ein großes Bedürfnis war ihm die Kommunikation wissenschaftlichen Wissens in die breite Gesellschaft. Schon in seinen späten 20ern veröffentlichte er die Physiologischen Briefe für Gebildete aller Stände, die ihn über die Wissenschaft hinaus bekannt machten. Darin schrieb er:

“Ein jeder Naturforscher wird wohl, denke ich, bei einigermaßen folgerechtem Denken auf die Ansicht kommen, daß alle jene Fähigkeiten, die wir unter dem Namen der Seelenthätigkeiten begreifen, nur Funktionen der Gehirnsubstanz sind; oder, um mich einigermaßen grob hier auszudrücken, daß die Gedanken in demselben Verhältniß etwa zu dem Gehirne stehen, wie die Galle zu der Leber oder der Urin zu den Nieren.”

Sein Vergleich von Gehirn und Leber oder Nieren wird bis heute gerne zitiert. Insbesondere den Versuch, menschliches Denken und Verhalten durch die Annahme einer “Seele” zu erklären, sah er kritisch:

“Eine Seele anzunehmen, die sich des Gehirnes wie eines Instrumentes bedient, mit dem sie arbeiten kann, wie es ihr gefällt, ist ein reiner Unsinn; man müßte dann gezwungen seyn, auch eine besondere Seele für eine jede Funktion des Körpers anzunehmen und käme so vor lauter körperlosen Seelen, die über die einzelnen Theile regierten, zu keiner Anschauung des Gesammtlebens. Gestalt und Stoff bedingen im Körper überall die Funktion und jeder Theil, der eine eigenthümliche Zusammensetzung hat, muß auch nothwendig eine eigenthümliche Funktion haben.”

Beide Aussagen haben einen wahren Kern, doch enthalten auch Denkfehler: Dass Gedanken materielle Vorgänge sind, gilt es bei der Diskussion des Leib-Seele-Problems erst zu zeigen und kann man nicht einfach voraussetzen. Und es stimmt zwar, dass die Annahme einer Seele keine Letzterklärung der psychischen Vorgänge liefert und neue Fragen aufwirft. Aber nur weil jemand, wie beispielsweise Descartes, das Denken einer Seele zuordnet, wie seiner “denkenden Substanz”, muss er nicht alle anderen Funktionen mit Seelen “erklären”. Das hätte Vogt Mitte des 19. Jahrhunderts wissen müssen.

Oder anders gesagt: Vogts Vergleiche wirken vielleicht auf den ersten Blick überzeugend, doch sie hinken bei näherer Betrachtung gewaltig. Und auch fast 180 Jahre nach den Physiologischen Briefen haben wir zwar neurobiologische und psychologische Modelle vom Denken und Verhalten, doch keine letzte Erklärung des Menschen.

Kein freier Wille?

Nur wenige Jahre später griff Vogt dann das Problem der Willensfreiheit explizit auf. Es herrschte der Materialismusstreit des 19. Jahrhunderts, an dem er aktiv teilnahm. Gegen Ende seiner Bilder aus dem Thierleben von 1852 schrieb er:

“Der freie Wille existirt nicht und mit ihm nicht eine Verantwortlichkeit und eine Zurechnungsfähigkeit, wie sie die Moral und die Strafrechtspflege und Gott weiß wer noch uns auferlegen wollen. Wir sind in keinem Augenblicke Herren über uns selbst, über unsere Vernunft, über unsere geistigen Kräfte, so wenig als wir Herren sind darüber, daß unsere Nieren eben absondern oder nicht absondern sollen. Der Organismus kann nicht sich selbst beherrschen, ihn beherrscht das Gesetz seiner materiellen Zusammensetzung. Was wir in einem Augenblicke denken, ist das Resultat der augenblicklichen Stimmung, der augenblicklichen Zusammensetzung unseres Gehirnes […].”

Carl Vogt, ein Fall von “Willensfreiheitsleugnungssyndrom”? Erfahren Sie mehr darüber in meinem neuen Buch über Wissenschaft und Willensfreiheit.

Es gibt nur Naturvorgänge und die Natur genügt sich selbst; für eine Besonderheit des Menschen ist in dieser Welt kein Platz – so könnte man Vogts Gedanken umformulieren. Und auffällig an diesem Zitat ist, dass Vogt, wie einige Neurobiologen in jüngerer Zeit, schon damals das Fundament von Moral und Strafrecht anzweifelte. Allerdings haben solche Gedanken auch 170 Jahre später noch zu keinem Umsturz geführt. Und das ist, wie wir gleich sehen werden, auch gut so.

Ein philosophisch tiefergehender Punkt ist, wie man Vogts eigenes Denken verstehen soll, wenn auch das “nur ein Naturprodukt” ist.

Mensch und Natur

Jedenfalls sollte es uns zu denken geben, wenn in diesem Tempo, in nur wenigen Sätzen die Welt auf den Kopf gestellt wird. Ein rationales Prinzip besagt, dass außerordentliche Behauptungen auch einer außerordentlichen Begründung bedürfen.

Vogts Zitat bezieht sich auf den “freien Willen”. Hier merke ich zunächst einmal an, dass bis heute gar nicht klar ist, was so ein “Ding Wille” überhaupt sein soll. Diese verdinglichende Sprache wirft meiner Meinung nach mehr Probleme auf, als dass sie löst. Und im Übrigen könnte man bei Vogts Behauptung auch hinterfragen, inwiefern es überhaupt noch Sinn ergäbe, von einem (Menschen-) Willen zu reden. Hat also nur die Natur einen “Willen”, mit dem sie auch die Menschen “beherrscht”?

Wir sehen, dass Vogts Ausdrucksweise die Natur in einer nicht unproblematischen Weise vermenschlicht. Was ist aber damit gewonnen, den Menschen zu dehumanisieren, nur um dann die Natur zu humanisieren?

In Vogts Folgesatz kommt die Begründung für seinen Abschied von Willensfreiheit, Recht und Moral: Wir hätten nie Kontrolle über uns selbst, ebenso wenig wie über die Funktion unserer Nieren. Diese Behauptung lässt sich auch empirisch anzweifeln:

Traditionell unterschied man – auch über die Zeit Vogts hinaus – zwischen dem autonomen und willkürlichen Nervensystem. Als “autonom” dachte man insbesondere die grundlegenden Lebensfunktionen, als “willkürlich” vor allem unser Verhalten. Doch diese Grenze ist in Wirklichkeit weniger deutlich. Zum Beispiel atmen wir meistens unbewusst, insbesondere im Schlaf. Und das ist auch gut so. Atemaussetzer, wie sie etwa bei der Schlafapnoe auftreten, können der Gesundheit schaden.

Trotzdem können wir unseren Atem auch bewusst steuern. Atmen Sie zum Beispiel einmal tief ein und aus. Und das hat wiederum einen Einfluss auf den Herzschlag. Wenn Sie die tiefe Atmung einige Male wiederholen, nimmt die Herzfrequenz wahrscheinlich leicht ab. Diesen Zusammenhang nutzt man bei Entspannungsübungen. Und wieso sollten Spannung und Entspannung nicht auch auf die Nierentätigkeit wirken können? Hat Vogt das jemals untersucht? Beim Biofeedback geht es gerade darum, durch bewusste Übungen bestimmte Körperfunktionen zu kontrollieren. Zur Not könnte man auch einfach viel trinken, um die Nieren mehr arbeiten zu lassen.

So sehen wir, dass Vogt hier auf unplausible Weise einen Graben zwischen Mensch und Natur, zwischen Beherrschtem und Herrscher zog. Und man könnte heute (leider) ergänzen: Wie können Menschen die Natur zunehmend zerstören, wo sie doch angeblich von ihr beherrscht werden?

Zweite Natur

Man spricht nicht ohne Grund davon, dass uns die Kultur zur “zweiten Natur” wurde. Wir haben bisher gesehen, dass Vogts weitreichende Behauptungen schon aus biologischer und physiologischer Sicht fraglich sind. Kommen wir jetzt noch auf Recht und Moral zu sprechen:

Dass wir Menschen einander unter bestimmten Bedingungen aber im Normalfall für unser Verhalten verantwortlich machen, wird man nicht durch das Studium von Ameisenvölkern erklären können – und meiner Ansicht nach auch nicht durch Versuche mit dem Hirnscanner. (Es sei daran erinnert, dass ich wahrscheinlich als erster auf der Welt systematisch Rechtsanwälte im Magnetresonanztomographen untersuchte.)

Bei Recht und Moral handelt es sich um eine sozial-kulturelle Praxis, die sich zur Aufrechterhaltung einer bestimmten Gesellschaftsform durchgesetzt hat. Diese basiert, anders als bis heute immer einmal wieder kolportiert wird, nicht auf der Annahme irgendeines metaphysischen Willens, wie manche Theologen und Philosophen ihn sich vorstellen. (Kurz gesagt ist das die Vorstellung, dass die Welt an sich indeterminiert ist und erst durch den Willen determiniert wird, indem neue Kausalketten in Gang gesetzt werden.)

Das Recht mach uns für unser Verhalten verantwortlich, sofern es unserer Kontrolle unterliegt. Auch in diesem Punkt irrte sich Vogt. Ein grundlegender Bestandteil unserer Sozialisation ist beispielsweise das Erlernen der Kontrolle unserer Blasen- und Darmfunktion; sogar Haustiere können das lernen. In diesem Sinne sollen, können und müssen also sogar schon Kleinkinder “Herren über sich selbst” werden.

Nun findet in dem Maße, in dem wir aufwachsen und an komplexeren Verhaltensweisen teilnehmen, unsere Selbstkontrolle auch jenseits der Toilette statt. Im Kindergarten oder auf dem Schulhof haben wir gelernt, was passiert, wenn wir beispielsweise Petra oder Peter das Spielzeug wegnehmen, weil es uns gefällt. Mal wird sich das Kind direkt wehren, mal wird uns eine erwachsene Betreuungsperson zurechtweisen. Hartnäckiges Widersetzen wird institutionell bestraft – hier ähneln sich soziale und strafrechtliche Erziehungsanstalten.

Einsichts- und Steuerungsfähigkeit

Da einem immer wieder einmal das Argument begegnet, der Mensch sei nicht frei, sondern kausal determiniert, kann man sich ein Paar einfache Gegenbeispiele merken:

  • In Fall A steht man in einem überfüllten Bus. Weil eine Ampel auf rot springt, tritt der Busfahrer auf die Bremse. Durch die Massenträgheit stößt Person P gegen einen.
  • In Fall B steht man an der Selbstbedienung eines Cafés in der Reihe. Hinter einem entsteht ein Streit. Person Q schubst Person P, die dann gegen einen stößt.
  • Fall C ist so wie B, doch diesmal ist man selbst Teil des Streits: Person Q schubst nicht P, sondern einen selbst.

In keinem dieser Fälle sind irgendwelche Kausalketten unterbrochen und werden erst durch einen metaphysischen Willen determiniert; jedenfalls sind wir auf diese Vorstellung nicht angewiesen. Trotzdem bewerten wir die Fälle moralisch – und gegebenenfalls auch rechtlich – völlig unterschiedlich:

In Fall A geschieht es einfach, dass P uns berührt. Vielleicht machen wir den Busfahrer verantwortlich; hätte er nicht besser aufpassen und weniger beschleunigen oder früher bremsen können? Oder Person P: Hätte sie sich nicht irgendwo festhalten können? Allenfalls vermuten wir hier also Fahrlässigkeit, doch keinen Vorsatz.

In Fall B gibt es Vorsatz (Absicht), doch nicht durch Person P, die einen berührt, sondern durch den Schubser Q. Dieser hat die Regeln übertreten und ist – unter normalen Umständen – dafür verantwortlich, was P und einem selbst passiert. Dass aber P einen berührt, ist wie ein Blatt, das im Herbstwind auf einen fällt. Noch deutlicher ist die Zuschreibung von Verantwortlichkeit im Fall C.

Diese Fälle wirken beinahe zu banal, um sie eingehender zu diskutieren. Banal einfach: Eben genau darum, weil das das normative System ist, in dem wir aufgewachsen sind und das wir verinnerlicht haben. Im Strafrecht muss das etwas allgemeiner formuliert werden und heißt dort “Einsichts- und Steuerungsfähigkeit” (siehe §§ 18-21 StGB).

Aber auch dort ist nirgends von einem “freien Willen” die Rede. Vielmehr ist derjenige für sein Tun – und manchmal auch für sein Unterlassen – verantwortlich, der richtig und falsch voneinander unterscheiden und nach dieser Einsicht handeln kann. Philosophischer ausgedrückt geht es um eine minimale Rationalität und ein bestimmtes Maß bewusster Kontrolle. Ausnahmen können zum Beispiel (schwere) psychische Störungen oder Einwirkungen psychoaktiver Substanzen sein.

Soziale Praxis

Auch wenn es – wie immer und überall – Ausnahmen und Grenzfälle gibt, so hat sich diese unsere soziale Praxis doch bisher bewährt. Sogar ein Carl Vogt oder in jüngerer Zeit Gerhard Roth (1942-2023), der ganz ähnliche Thesen vertrat, hatte diese Regeln verinnerlicht und hielt sich daran; sonst wäre er nicht im Rahmen genau dieser gesellschaftlichen Ordnung zum Professor ernannt worden. Und auch der, der mit Scheinargumenten diese Ordnung untergräbt, wird von ihr im Zweifelsfall beschützt.

Ob man es mag oder nicht, doch auch das ein Teil unserer Gesellschaft: Dass manche Wissenschaftler unsinnige Thesen vertreten. Ob sie das nur tun, um Aufmerksamkeit zu erzielen, darüber müssen wir spekulieren. In meinem neuen Buch über Willensfreiheit habe ich mich nicht nur mit Vogt und Roth auseinandergesetzt, sondern auch ein praktisches Modell von Freiheit ausgearbeitet. Hierfür spielt insbesondere unser Bewusstsein eine wichtige Rolle. (Eine frühere, deutsche Fassung, gibt es hier.)

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344 Kommentare

  1. Mein Wille versklavt mich, und damit auch mein Streben nach Freiheit. Schließlich kann ich mir nicht aussuchen, was ich will. Selbst, frei nach Buddha, nix wollen zu wollen, ist a) Wille und b) ich wähle aus einer Liste von Dingen, die ich wollen kann: da ist Vanilleeis drauf, nix wollen und Freiheit.

    Ich nehme an, dass menschliche Gefühle Kräfte der Physik sind, die mit einem Farbkreis mit drei Primärfarben gemalt werden: Dem Wunsch nach Sicherheit, nach Freiheit und nach Ruhe. Sicherheit strebt nach Unveränderlichkeit, Wiederholung, Kreisläufen, Ordnung. Freiheit, im Gegenteil, nach Veränderung, dem Rausch, Chaos. Ruhe kann mit beidem nichts anfangen, sie will sich auflösen, strebt nach dem Nichts. Die Sehnsucht nach Masse, Energie und Raumzeit, sie zu suchen und sie zu sein, die sich im echten Leben durch die Sehnsucht nach Vanilleeis, Lottospielen und einem Nickerchen äußert. Die Wünsche schließen einander aus, doch brauchen einander, um sich zu erfüllen, deswegen wechseln wir zwischen ihnen hin und her und Glück ist, die Balance zwischen ihnen zu halten – um das Zentrum des Farbkreises zu kreisen.

    Einfacher gesagt, Wille ist Energie, Freiheit ist, wenn sie fließen darf, dazu braucht sie Raum und Zeit, und wenn sie sich nicht zerstreuen will, braucht sie Masse, die sie bündelt und in Kreisläufen hält. All das geht fließend ineinander über und lässt sich nur so ungefähr voneinander trennen. Dennoch ist meist ein vorherrschender Farbton erkennbar.

    Der Körper ist also nicht Ursache, sondern Produkt des Willens. Wenn eine Welle nicht sterben, sich im Nichts auflösen will, muss sie sich mit vielen anderen Wellen zu einem Vehikel verbünden, das ihr hilft, den Feuersee des Universums, bestehend aus ähnlichen Wellenbündeln unterschiedlicher Dicke und Bewegungsrichtung, zu überleben. Diese Wellenbündel sehen aus einem bestimmten Blickwinkel wie Masse aus. Und damit das Ganze zusammenhält, müssen die Wellen choreographiert werden, ihre Schwingungen und Kreisläufe aneinander anpassen, Netzwerke bilden, ihre Energie bündeln und streuen und damit kommunizieren, sodass sie einander verstärken, statt zu zerstören, und die Gefühle dienen der Navigation im Schwarm. Also genau das, was Sie im Alltag jede Sekunde leben.

    Der Mensch ist ein Baby in einem Terminator, ein Knäuel simple Gefühle in einer knallharten Überlebensmaschine, ein Ich in einem Raumanzug, einem Raumschiff. Unser Gehirn ist bereits die CPU dieses Terminators. Doch all das gewinnt seine Kraft und Motivation aus diesem Knäuel Gefühle. Ohne es, ohne diesen Willen, hat die Maschine keinen Sinn, keinen Grund, und löst sich in einzelne Wellen auf, einzelne Ichs, die sich anderen gebündelten Lichtstrahlen anschließen.

    Ob Natur oder Kultur, ob Anlage oder Umwelt – sie sind bereits Maschinen, die uns anpassen. Wie der Wille im Einzelnen kanalisiert wird, ist von Maschine zu Maschine verschieden. Und die Trennung zwischen uns und der Welt um uns herum ist eigentlich nicht gegeben. Schließlich sind wir alle Teil größerer Maschinen, die anderen Ichs dienen, und bestehen aus solchen Ichs.

    Klingt wirr, ist wirr, sonst hätten wir uns ja nicht etliche Jahrtausende die klügsten unserer Schädel darüber zerbrochen. Frei ist an dem Ganzen die Unbestimmtheit. Schließlich ist die Kraft der Emotionen durch die Naturgesetze unseres Universums gebunden, einer Maschine, die sie der Evolution der Wellen unterordnet. Theoretisch können sie diese Maschine auch sprengen und sich in anderen Universen mit anderen Naturgesetzen wiederfinden, oder sie auch gleich selber schreiben. Der Wille nach Freiheit ist der Schrei Luzifers: Non Serviam. Was er will, ist nichts Konkretes, nur etwas Anderes, als er gerade hat – nur im Rausch der Geschwindigkeit ist findet er sein Glück, im Rausch des Erschaffens und im Rausch des Zerstörens, er ist das pure kreative Chaos. Er kroch aus der Sonne und fiel auf die Erde, er kroch aus dem Urozean, er kriecht ins All, und nie wird es genug sein. Der ewige Fall geht weiter.

    Mal wieder zu lang der Text. Tschuldigung.

  2. @ Schleim

    “Vergessen Sie “den Willen”. Die Freiheit beginnt dort, wo die Konditionierung aufhört.”

    Meine vierjährige Tochter sagt: “ich will aber nicht ins Bett.” Und weiter: “ich habe meinen eigenen Willen.”
    Ich denke, wir leiden nicht an zu viel, sondern an zu wenig Willen. Mit bloßer Vernunft (auch so ein Wort, das man streichen soll?) wird noch lange kein Weg beschritten.

  3. @Hilsebein: Wenn ihre Tochter glaubt, sie hätte “einen Willen”, dann ist sie in dieser Hinsicht schon gut konditioniert.

    Was meinen Sie mit, “wir leiden an zu wenig Willen”?

    Ich habe hier selbst ein Beispiel dafür beschrieben, was minimal rationale Personen sind (sie verstehen meist die normative Ordnung, in der sie leben; haben i.d.R. bewusste Kontrolle über sich selbst; sie handeln oft aus Gründen).

    “Die Vernunft” ist wieder so ein großes Wort, bei dem viele Leute erzittern, wenn ein Philosoph es in den Mund nimmt. Es gibt, unter Voraussetzung bestimmter Interessen und Ziele, mehr oder weniger vernünftige Gründe und Entscheidungen. Wofür braucht man darüber hinaus “die Vernunft”? Ernsthaft jetzt, ich mache mich nicht lustig.

  4. @ Schleim

    Den Willen brauchen Sie, um ins Handeln zu kommen. Selbst wenn Sie ruhig dasitzen und nichts tun, so haben Sie das ja gewollt. Im Rahmen Ihrer Möglichkeiten können Sie tun, was Sie wollen. Da aber auch Sie wiederum durch einen anderen Willen gesetzt worden sind, war der Wille vor Ihnen da.
    Die Vernunft wiederum benötigen Sie, um den Willen zu vernehmen und zu hinterfragen, da Sie sonst in die Barbarei abgleiten würden. Ohne die Vernunft verlöre der Wille Maß und Mitte.

  5. Nun, viele Aussagen dieses Beitrags sind kompatibel mit der Ansicht, der Unterschied zwischen Tier und Mensch sei graduell und sei bei den dem Menschen am nächsten Verwandten am kleinsten.
    Bei genauerem Hinsehen entdecken wir nämlich bereits bei Schimpansen und Gorillas etwas wie Moral/Ethik, nämlich das Bewusstsein, dass es etwas wie ein sozial richtiges, bezugsweise sozial falsches Verhalten gibt. Bei den Gorillas etwa wird sozial falsches Verhalten von den Ranghöchsten, den Silberrücken abgestraft. Wenn etwa ein junger gerade, erst erwachsen gewordener Gorilla mit reiner Körperkraft andere bedrängt und quält, dann greift der Silberrücken ein.
    Vom freien Willen muss man hier gar nicht sprechen obwohl es um richtiges oder falsches Verhalten geht. Offensichtlich ist eben das richtig, was mit einem geordneten Zusammenleben kompatibel ist und vieles anderes ist aus demselben Grund falsch.

    Beim Menschen kommt allerdings etwas dazu, was es bei Menschenaffen erst im Ansatz gibt: Menschen können allein schon durch Worte und Erklärungen in ihrem Verhalten beeinflusst werden, man muss deshalb nicht warten bis sie etwas Falsches tun, sondern kann sie über ihr eigenes Verständnis der Situation lenken. Und wenn wir dann schon so weit sind, ist es nicht mehr weit bis wir über den freien oder auch nicht freien Willen sprechen.

  6. @Hilsebein: Scheinerklärung

    Wenn ich jetzt ‘mal kurz mit B. F. Skinner, einem der bedeutendsten Psychologen des 20. Jahrhunderts, antworten darf:

    Wir sehen ein bestimmtes Verhalten – und postulieren dann “einen Willen”, um anschließend mit diesem Postulat das Verhalten zu erklären.

    Für mich ist das eher eine Scheinerklärung. Sorry.

  7. @Holzherr: Menschenaffen

    Der “Silberrücken” ist dann gewissermaßen das Korrektiv, das die Gruppe im Zaum hält; im Gegenzug wird er sich selbst wohl so manche “Ausnahme” genehmigen.

    Bei den Bonobos, wie ich vor wenigen Jahren in einem Vortrag Frans de Waals, inzwischen verstorben, läuft das wohl eher über sexuelle Gefälligkeiten bzw. den Ausschluss davon: Ein Männchen, das sich nicht benimmt, wird von den Weibchen ausgeschlossen, jedenfalls für eine gewisse Zeit; das kann auch sehr weh tun.

  8. @ Schleim

    Ja, über das Wort “Gedanken” hörte ich ähnliches. Wir beobachten ein Verhalten des Menschen und schließen auf die Gedanken, die den Menschen verhalten lassen. Wollen wir die Gedanken abschaffen? Was ist mit den anderen großen Worten der Philosophen? Und warum dabei aufhören? Muß die Sprache als Ganzes nicht auf den Prüfstand? Grunzen geht doch auch.

  9. In unserem Gehirn befinden sich nicht nur Neuronen, sondern auch damit gespeichertes Lern-Wissen – mit dessen Hilfe wir wissen, was richtig/falsch, was gut/böse ist und auch welche Strategien wir anwenden können, um neue Situationen zu verarbeiten.

    Unser Gehirn hat verschiedene Möglichkeiten, eine Reaktion auf eine neue Situation zu erzeugen: Prof. Kahnemann schlug dafür die Begriffe system 1 und system 2 vor (= schnelles Denken, langsames Denken). Darunter versteht man z.B. dass wir mit einer schnellen, wenig durchdachten Reaktion reagieren können oder aber, dass wir eine Entscheidungsfindung gründlich überdenken und abwägen bevor wir handeln.

    Üblicherweise lernen wir durch die Erziehung unseres sozialen Umfelds was gute und was schlechte Handlungen sind. Und deshalb ist es meist in unserer Entscheidungsfreiheit und damit auch in unserer eigenen Verantwortung, was wir tun. Wir sind daher nicht die willenlosen Sklaven von irgendwelchen neuronalen Aktivitäten.
    Wer z.B. ein Verbrechen verübt oder wer Gutes tut, weiß deshalb in der Regel sehr gut, was er/sie macht.

  10. Es gibt Menschen, deren Fähigkeiten für Denken und Handeln beeinträchtigt sind.

    Allerdings planen schwer Demente in der Regel keine Banküberfälle oder Einbrüche.
    Bei gemeingefährlichen Menschen muss die Gesellschaft eine Abwägung treffen – was wichtiger ist: Der Schutz und die Rechte der Allgemeinheit oder die Rechte eines Individuums. Aus diesem Grund hat man Gefängnisse und geschlossene Anstalten.

  11. @Kinseher: Schwer demente Menschen – das ist nur halb als Scherz gemeint – müssten die Bank erst einmal finden.

    Korrekt ist, dass eine Gefängnisstrafe nicht nur der “Sühne”, sondern auch dem Schutz dient, idealerweise auch der Reintegration.

    Der weitergehende Schutz kann – bei schweren Verbrechen und unter bestimmten Voraussetzungen – mit einer Sicherungsverwahrung gewährleistet werden; hierzu gab es in den letzten Jahren einschlägige Urteile vom Bundesverfassungsgericht (Stichwort: Abstandsgebot).

  12. @Hilsebein: Gedanken

    Ihre Nachfragen, finde ich, zielen schon in die richtige Richtung.

    Ich würde sagen, dass es psychische Vorgänge gibt; einige von ihnen nennen wir “Gedanken”.

    Trotzdem können wir nicht genau auf einen Gedanken zeigen: wo er ist, wann genau er beginnt und wann er endet.

    Das ist doch komisch, oder? Ich will vor allem den Unterschied von Sprache und Welt schärfen.

  13. @ Schleim

    “Ich würde sagen, dass es psychische Vorgänge gibt; einige von ihnen nennen wir “Gedanken”.”

    Das mag schon richtig sein. Doch auch bei den “psychischen Vorgängen” wissen Sie nicht, wo sie sind, wann sie beginnen und wann sie enden. Sie verorten die “psychischen Vorgänge” im Hirn des Menschen, wo sie mutmaßlich durch neuronale Verknüpfungen entstehen, so wie die Gedanken. Doch aus der Schleife kommen Sie auch da nicht hinaus, da Sie nicht wissen können, was die “psychischen Vorgänge” sind, schnitte man Ihnen den Kopf ab. “Welt” für uns ist also immer das, was wir mit Sprache vermitteln können. Es läuft darauf hinaus, daß wir uns einigen müssen, was wir unter sprachlichen Begriffen verstehen wollen, die wir verwenden. Dies ist die eigentlich lohnende Aufgabe der Philosophen.

  14. @Hilsebein: Vorgänge vs. Dinge

    So geht Philosophie.

    Das Wort “Vorgang” (oder Prozess) hebt jedoch die dynamische Seite hervor: Es ist etwas Veränderliches und sich tatsächlich Veränderndes; es ist schwerer greifbar zu machen; mit Begriffen, die beschränkt sind, versuchen wir es trotzdem, weil wir es nicht besser können.

    Aber alle Vagheit zum Trotz ist es nicht völlig willkürlich: Man kann beispielsweise Wahrnehmungs- und Entscheidungsprozesse sinnvoll wie nützlich beschreiben und voneinander trennen.

    Ich liege damit vielleicht nicht ganz richtig, doch meiner Meinung nach immerhin weniger falsch.

  15. @Hilsebein: Teil vs. Ganzes

    In diesem Punkt wäre ich mir nicht so sicher.

    Stammt von Wittgenstein die Frage, ob, wenn man seinen Kopf in den Backofen hält, die Gedanken dann im Backofen sind?

    Und wenn man den Motor aus dem Auto entfernt, fährt es nicht mehr; sitzt das Fahren darum im Motor? Dasselbe gilt übrigens fürs Entfernen der Räder. Oder des Tanks. 🤷🏻

    Als Leser meines Blogs haben Sie vielleicht schon einmal gemerkt, dass ich Organismus und Umwelt für untrennbar halte. Trennt man sie trotzdem, begeht man, aus meiner Sicht, einen Teil-Ganzes-Fehlschluss.

  16. @ Schleim

    Einverstanden. Sie legen Wert darauf, daß Substantivierung von Verben keine Dinge sind. Also denken ja, die Gedanken nein. Richtig?
    Beim Willen und der Vernunft sehe ich aber eine Schwierigkeit insofern, da diese Begriffe für mich auch eine metaphysische Komponente beinhalten. Dieser werde ich nicht gerecht, wenn ich nur von vernünftig und wollen spreche.

  17. “Wie die Nieren so das Gehirn “, das ist doch mal ein einprägsamer Vergleich.
    Wer wissen will, was Wille ist, der beobachte ein Kleinkind beim Trotzen.

    Wer wissen will , was Denken ist, der löse einmal eine schwierige mathematische Gleichung. Denken ist ein Vorgang, der Wärme erzeugt und den Menschen ermüdet.

    Jetzt bleibt noch die Freiheit. Die ist eine notwendige Annahme auf der unsere Rechtsprechung aufbaut. Ohne freien Willen gibt es keine Schuld.

    Unsere gesellschaftliches Aufgabe ist es, die vielen “freien Willen” auf ein übergeordnetes Ziel zu richten. Notfalls mit Gewalt, nur so kann eine Gesellschaft in relativer Freiheit überleben.
    Das heißt folglich , eine absolute Freiheit des Individuums ist nicht anzustreben.

    Die Affen in ihrer Horde, die machen das vorbildlich. Die beißen und zwicken sich, wenn sie aber angegriffen werden, bilden sie wieder eine Einheit.

    Was so ein Affe denkt, das zeigt sich an der Körpersprache, die auch Raubtiere lesen können. Beim Menschen ist das genau so.
    Also, was so ein Mensch denkt, das bleibt dem Mitmenschen nicht verborgen.
    Wer lange verheiratet ist, der weiß das. Frauen können übrigens viel besser Gedankenlesen als Männer.
    Nachtrag: An Paul S. Rhetorik komme ich noch nicht heran, der hat ja sogar den Luzifer erwähnt.
    Fazit: Begriffe wie Wille, Freiheit,Gedanke sind Phänomene geisteswissenschaftlicher Art , die sich nicht scharf definieren lassen.

  18. @ N: Luzifer resp. Demiurg

    Man muß ja nicht gleich den Demiurgen bemühen, aber in die Richtung geht es schon, da uns niemand gefragt hat, ob wir in die Welt gesetzt werden wollten.

  19. Schleim Hauptartikel: Wie können Menschen die Natur zunehmend zerstören, wo sie doch angeblich von ihr beherrscht werden? Na ja – die Natur reagiert halt auf äußere Einflüsse. So wie umgekehrt der Mensch auch (gegenseitige Bedingung).

    Paul S.: Selbst, frei nach Buddha, nix wollen zu wollen, ist [..] Wille. Der Buddha wollte nicht nichts, sondern das Richtige (allerdings bestehen darüber was richtig ist unterschiedliche Ansichten/Zustände😉). Der Körper ist also nicht Ursache, sondern Produkt des Willens. Kann man auch umgekehrt sehen (gegenseitige Bedingung): Der Wille ist nicht Ursache, sondern Produkt des Körpers/Gehirns.

    Schleim gestern/19.00: Die Freiheit beginnt dort, wo die Konditionierung aufhört. Die Konditionierung hört auf, wenn man alles so erkannt hat/sieht wie es “wirklich“ ist. Was allerdings nicht ohne vorherige/s Konditionierung/Denken geht.

    Was ist wichtiger? Die Ursache oder die Wirkung? 😉. Na ja: Ohne Ursache keine Wirkung. Aber die Ursache hat ja auch eine Ursache (ist insf. auch bloß Wirkung). Es sei denn man glaubt an ein (ursachenloses) Schöpferwesen. Das dann (warum aber?) das All/es erschaffen hat. Na ja: Die Realität ist nun jedoch eben mal da. Und leider nicht immer (zusammenfassender Begriff) “schön“.

    Schleim heute/10:33: […] dass ich Organismus und Umwelt für untrennbar halte. Assoziiert den Dualismus von Teilchen und Welle – ihre Komplementarität.

  20. @Hilsebein: metaphysische Komponente

    Wir kommen einen Schritt weiter, ja.

    … eine metaphysische Komponente beinhalten. Dieser werde ich nicht gerecht …

    Warum nicht darauf verzichten? 🤭

  21. @N: Schuld

    Ohne freien Willen gibt es keine Schuld.

    Lesen Sie doch bitte noch einmal, was im Artikel über das Strafrecht steht.

    Oder zur Not eben das Buch, wo es ausführlicher erklärt wird.

  22. @Krüger: Konditionierung

    [1] Die Konditionierung hört auf, wenn man alles so erkannt hat/sieht wie es “wirklich“ ist. [2] Was allerdings nicht ohne vorherige/s Konditionierung/Denken geht.

    [@1] Das wäre eine schöne Definition von “Erleuchtung”, nicht wahr?

    Wobei ich mich frage, ob es eher kognitiv, emotional oder allgemeiner körperlich ist; ich weiß es nicht.

    [@2] Woher weiß man das?

  23. @Krüger: Organismus und Umwelt

    “…dass ich Organismus und Umwelt für untrennbar halte.” Assoziiert den Dualismus von Teilchen und Welle – ihre Komplementarität.

    Ich weiß nicht, ob ich das so unterschreiben würde bzw. könnte.

    Man kann schon eine Grenze zwischen den beiden ziehen (bei der Zelle z.B. die Membran; beim Körper die Haut), auch wenn diese durchlässig und manchmal sogar fließend ist.

    Ich hätte mich präziser ausdrücken sollen: Wenn man verstehen will, was ein Organismus macht, auch den Menschen, kann man ihn nicht ohne die Umwelt sehen; und in diesem Sinne erstrecken sich psychische Vorgänge auf die Umwelt (siehe auch 4E Cognition, die Extended Mind-Hypothese).

    P.S. Bei Welle und Teilchen dürfte es sich eher um einen Aspekte-Dualismus handeln, oder sehen Sie das anders?

  24. @ Schleim

    “Warum nicht darauf verzichten?”

    Knorkator:

    Oder wenn ich in meinem Schädel bin, hinter den Augen stehe
    Und hinaus geschaut durch die Linsenhaut, sag mir was ich dann sähe.
    Schau ich aus mir raus?
    Schau ich in mich rein?
    Liegt die ganze Welt nur in mir zum Schein?
    Existiere ich?
    Oder bin ich tot?
    Bin ich Teil der Welt oder bin ich Gott?

    Gott Per Definition sind Götter unsterblich. Da ich sterblich bin, bin ich kein Gott. Ich würde mich aber zu einem Gotte machen, wenn ich mein Wollen absolut setzte statt es in einem größerem metaphysischen Ganzen eingebettet zu sehen. Dies gibt mir nach meinem Verständnis mehr Autonomie und dadurch mehr Freiheit als wenn ich mein Wollen einem anderen menschlichen Wollen unterwerfen würde.

  25. “Wir sind in keinem Augenblicke Herren über uns selbst, über unsere Vernunft, über unsere geistigen Kräfte, so wenig als wir Herren sind darüber, daß unsere Nieren eben absondern oder nicht absondern sollen.”

    Das ist eine Schlussfolgerung, die sich nicht widerlegen lässt.
    Sie lässt sich aber auch nicht beweisen. Ein Dieb, der aus Vergnügen stiehlt, dem kann man einen freien Willen in diesem Bereich nicht absprechen. Außer, man sieht das Vergnügen auch schon als determiniert an.
    Nach Ihrer Logik ist das” Menschsein” schon determiniert.

    Die Religionen sind da anderer Meinung.
    Das Gleichnis aus dem 1. Buch Moses, wo die Eva vom Baum der Erkenntnis isst,
    zeigt, dass sich die Menschen schon vor 1500 Jahren mit dem Problem der Willensfreiheit beschäftigt haben.
    Nachtrag: Sie brauchen meine Meinung dazu nicht veröffentlichen. Wir sind da tatsächlich gegenteiliger Meinung.

  26. @ Stephan Schleim 28.08.2024, 08:56 Uhr

    Zitat: „Ich würde sagen, dass es psychische Vorgänge gibt; einige von ihnen nennen wir “Gedanken”.
    Trotzdem können wir nicht genau auf einen Gedanken zeigen: wo er ist, wann genau er beginnt und wann er endet.“

    Diese Fragen sind, was das Grundsätzlich betrifft, recht gut zu beantworten, wenn man mit früher verwendeten elektronischen Gattersystemen Vergleiche anstellt.

    Die psychischen Vorgänge, was die Informationsverarbeitung betrifft, „laufen“ hauptsächlich als elektrische Ladungsverschiebungen (Signalkaskaden), als synaptische und neuronale Signalverknüpfungen (Gatterfunktion) im stark verzweigten neuronalen Netz. Abgesehen von der Chemie, gut vergleichbar mit den früher verwendeten Gatterschaltungen.

    Man könnte eine Trennung in die eigentliche komplexe Informationsverarbeitung (Gedanken) und in „Steuerung“ der Peripherie, Input (Sensorik, z.B. Auge), Output (Motorik, z.B. Beinmuskulatur),…. vornehmen.

    Gedanken „beginnen“ an sensorischen Systemen, (z.B. Netzhaut) können aber auch von einer Art „interne Anzeigesysteme“ (praktisch „Bewusstsein“ realisierende, eher flache Strukturen) ausgehen, die in die Denkprozesse eingebunden sind und aktiviert werden.

    Gedanken können aber auch von zufälligen „Neronentriggerungen“, z.B. von aus genetischen Gründen besonders „sensiblen Neuronen“ die Signalkaskaden auslösen, ausgehen. Durch diesen Mechanismus wäre auch erklärbar, warum Menschen bestimmte Interessen- und Leistungsschwerpunkte haben….

    Was ich „Anzeigesystem“ bezeichne, hat den Zweck viele „Teilinformationen“ (z.B. „Bildpunkte“ an der Netzhaut) in einen örtlichen und gleichzeitigen Zusammenhang zu bringen. Bildpunkte emergieren sozusagen zu einem Bild und mehrere Bilder zu einem Film…. Originelle Bezeichnung „Hirnkino“.

    Allerdings, der örtliche und gleichzeitige Zusammenhang kann auch anders „erzeugt“ werden. Wenn z.B. „Hirnwellen“ immer wieder an bestimmten Stellen wirksam werden und für die Signalverschiebungen (zur weiteren Auswertung) sorgen.

    Meine naheliegende aber derzeit kaum beweisbare Vermutung ist, dass sensorische Zellen (z.B. Stäbchen, Zapfen,….) auch Komponenten oder Partnerzellen für direkte Empfindungs- und Gefühlswahrnehmung haben.

    Es geht praktisch immer darum, aus den Bildpunkten „Muster“ zu generieren und aus den Musterkombinationen, auch unter Einbindung von anderen sensorischen Kanälen (Sprache) oder internem Wissen, immer neue Musterkombinationen zu bilden, die letztlich Bewusstseinsinhalte ergeben, wie wir es gewohnt sind. Z.B. dass die Oma mit ihrem Hund, der den Briefträger gebissen hat, vor ihrem Haus sitzt….

    Auf „Gedankeninhalte“ kann man reagieren, oder man wendet sich neuen „Gedankengängen“ zu….

    Würde man den „Säbelzahntiger“ sehen, würde man mit Flucht reagieren und erst danach überlegen, ob z.B. das aufgesuchte Versteck sicher ist…

  27. Diemar Hilsebein, Stefan Schleim
    “wenn ich mein Wollen absolut setzte statt es in einem größerem metaphysischen Ganzen eingebettet zu sehen”

    Diese Meinung vertete ich auch, wenn ich von Willensfreiheit rede.
    Wir sind eingebettet in einem metaphysischem Ganzen, das heißt, wir wissen nicht wer wir sind, woher wir kommen, wohin wir gehen warum wir überhaupt leben.
    Und in diesem Zusammenhang oder noch bildhafter , unter diesem Dach, haben wir die Möglichkeit so oder so zu entscheiden.
    Die Möglichkeit lässt sich im Nachhinein begründen und beweisen, warum wir uns so entschieden haben.
    Aber wir hätten uns auch anders entscheiden können, wie die japanischen Offiziere, die sich selbst umgebracht haben um nicht das “Gesicht” zu verlieren.

    Solange man nicht definiert ,was Realität ist, bleibt auch die Meinung zu Freiheit und Wille vielgestaltig.

  28. Bischof Augustinus hat schon vor 1600 Jahren (in Bekenntnisse, Buch 11, Kap. 13-29) drei Typen unterschieden – die a) göttliche, b) physikalische, c) menschliche Zeit bzw. Zeitwahrnehmung.

    Ihm machte dabei aber massiv zu schaffen, dass die Gegenwart gar keine Dauer/Ausdehnung hat – wir aber Zeiträume erleben bzw. uns vorstellen können.

    Dieses Problem löste mit der Erkenntnis, dass wir ein Gedächtnis haben und uns erinnern können – was er als ´Ausdehnung des Geistes´ beschreibt (z.B. Kap. 26,27,28): So können wir Zeit-Dauer erleben; denn mit Hilfe unseres Gedächtnisses können wir als Reaktion auf einen neuen Reiz dazu passende vergleichbare Erfahrungen reaktivieren und vergleichen. Mit dieser Vorgehensweise entsteht der Eindruck von Kontinuität und der Eindruck das es dauerhafte Ereignisse gibt. (Heute gibt es für diese Arbeitsweise den Begriff ´predictive coding/processing´)

    Kurz gesagt: Augustinus hat schon vor 1600 Jahren DENKEN als Ergebnis von einer einfachen Mustervergleichsaktivität beschrieben.

    Wenn man wissen will, wie Denken funktioniert, wie Willensentscheidungen entstehen oder warum wir den Eindruck einer dauerhaften kontinuierlichen Existenz haben – lohnt es, sich mit Bischof Augustinus´ Ideen zu beschäftigen.

  29. Freier Wille
    Es gibt keinen Freien Willen. Menschen zum Bsp. werden von ihren Trieben gesteuert. Erzähl mir mal jemand ob er mit seinem (Freien) Willen sein Hungergefühl oder seinen Sexualtrieb auf Dauer negieren kann ? ! Der angebliche Freie Wille ist dann eher das Alibi für das verheimlichte große Fressen oder irgendwelche verheuchelte Doppelmoral. MORAL per se gibt es auch nicht sondern wird von der Gesellschaft als Verhaltensnorm auferlegt bzw. von deren Medien 24 Stunden am Tag in die Köpfe gehämmert. Und die Naiven glauben dann das ihre Meinung wirklich IHRE MEINUNG ist und nicht das Produkt einer jahrzehntelangen Verarschung.

  30. Schleim/11:32/@1: Ich musste auch an Erleuchtung denken – habe den Begriff aber nicht benutzt, da er schnell esoterisch abgewertet wird. Im Sinne von dem englischen Begriff (age of) enlightement für Aufklärung (rationales/wirklichkeitsgemäßes Denken) wäre er aber durchaus angebracht gewesen. Wobei ich mich frage, ob es eher kognitiv, emotional oder allgemeiner körperlich ist; ich weiß es nicht. Weiß nicht so recht worauf sich die Frage (das “es“) bezieht. Falls auf Erleuchtung bzw. die Dinge so sehen wie sie “wirklich“ sind, so kommt diese durch Kognition (Definition im Internet: Gesamtheit aller Prozesse, die mit dem Wahrnehmen und Erkennen zusammenhängen), “richtiges“ “sehen“ der/reagieren auf die Emotionen und einen intakten Körper (insb. Gehirn) zustande. @2: Ich nehme an das bezieht sich darauf woher man weiß/sicher ist, dass man richtig erkannt hat. Na ja: Wenn viele bestätigen, dass man richtig denkt und handelt, ist das natürlich eine Bestätigung. Anderseits: Quantität ist nicht zwingend ein Zeichen von Qualität.

    Aspekte-Dualismus: Dualismus meint (z.B.) Geist und Materie, richtig und falsch usw. Aspekte kann man mehr als zwei “haben“. Dinge (z.B.) von oben und unten, links und rechts usw. sehen = jeweils nach den “Um- und Zuständen“. Welle und Teilchen sind 2 Aspekte/“Zu- und Umstände“ EINER Sache – der Realität.

    Ich weiß nicht so recht was Sie mit >> “s.a.“ 4E Cognition, die Extended Mind-Hypothese << meinen. 4E cognition meint embodied, embedded, enactive und extended (verkörpertes, eingebettetes, umgesetztes und erweitertes) Erkennen – oder? Und Extended Mind-Hypothese = (Wikipedia Englisch): The extended mind thesis says that the mind does not exclusively reside in the brain or even the body, but extends into the physical world. Wikipedia Deutsch: >> Der erweiterte Geist […] ist die philosophische und kognitionswissenschaftliche These, dass sich kognitive Architektur und somit auch kognitive Prozesse und Zustände über die Körpergrenzen hinaus in die Welt erstrecken. << – oder?

    Für mich sind der Welle-Teilchen-Dualismus zwei Aspekte einer Tatsache. Zwar ist ein Teil/chen (rein wortbegrifflich) etwas anderes als eine Welle, aber eine Welle besteht (meine ich) aus Teilchen (obwohl sie wie ein Ganzes aussieht). Ein einzelnes Teilchen kann sich wellenförmig bewegen (mehrere Teilchen sehen dann aus wie eine zusammenhängende Welle).

    Elektroniker/12:23: Es geht praktisch immer darum, aus den Bildpunkten „Muster“ zu generieren und aus den Musterkombinationen, auch unter Einbindung von anderen sensorischen Kanälen (Sprache) oder internem Wissen, immer neue Musterkombinationen zu bilden, die letztlich Bewusstseinsinhalte ergeben, wie wir es gewohnt sind […] Auf „Gedankeninhalte“ kann man reagieren, oder man wendet sich neuen „Gedankengängen“ zu…. Wir (unser Gesamtorganismus, hauptsächlich das Gehirn) bzw. die Wahrnehmung/die Sinnesorgane (“sensorischen Kanäle“), das Denken/Bewusstsein (engl. der mind) reagiert auf (hauptsächlich) äußere, aber auch innere Einflüsse. Diese Wahrnehmungen/“Phasenzustände“ (sich wiederholenden/wechselnden Einflüsse) generieren das Denken/Bewusstsein. Bzw. es kommt zu „Gedankeninhalten“, neuen (auch sich wiederholenden) „Gedankengängen“ (neuen/anderen “Aspekten“/Ideen/Erkenntnissen – “Bildpunkten/Denkmustern“).

    Kinseher/15:01: Die Gegenwart [hat] gar keine Dauer/Ausdehnung. Na ja: Sie ist SEHR kurz (Planck-Zeit) – vergeht sehr schnell. Zeitteilchen, die eine Zeitwelle ergeben …

  31. Das Gehirn gleicht neu erlebte Reize immer sofort per Mustervergleichsaktivität mit vorhandenen Gedächtnisinhalten ab. Daraus entsteht dann das Wissen, welches wir benötigen um auf eine neue Situation zu reagieren bzw. welche Entscheidungen wir treffen.
    Diese Arbeitsweise zeigt, wie wichtig Lernen, Erziehung bzw. eine gute Allgemeinbildung sind – denn diese sind der Rohstoff für unsere späteren Entscheidungen.

    Diese Arbeitsweise ist natürlich auch die Grundlage für gesellschaftliche Normen bzw. Moralvorstellungen. Allerdings – und das sollte man nicht vergessen – können wir das Erlernte prüfen, hinterfragen, neu bewerten und dann auch andere Entscheidungen als die erlernten treffen.
    Wir erwarten schon von Kindern, dass sie aus ihren Erfahrungen lernen; das darf man auch von Erwachsenen erwarten.

    Wenn man sich mit Denkvorgängen bzw. Entscheidungsfindung ernsthaft befassen will – muss man sich auch mit der DAUER von Gedanken beschäftigen.

  32. @Krüger off topic
    Augustinus schrieb, dass die Gegenwart keine Ausdehnung/Dauer hat: nicht die Geringste.
    Zitat von Kapitel 15:
    “Entdecken wir etwas an der Zeit, was in keine, aber auch nicht in die geringste Teile geteilt werden kann, dann ist dies das einzige, was ´gegenwärtig´ heißen sollte.”
    Quelle: Augustinus, Reclam ISBN 978-3150027929
    (weitere Zitate, von Kap. 21: “Aber wie messen wir die gegenwärtige Zeit, wenn sie doch keine Ausdehnung hat?”
    “Aber wir können nicht messen, was keine Ausdehnung hat.”)

    Das ist eine völlig andere Idee als die von der sehr kurzen Planck-Zeit.

  33. Das, was wir ‘freien Willen’ nennen, erscheint mir entfernt vergleichbar mit der ‘Geschwindigkeit’ eines Fahrzeugs, die wir so konkret auch beim Zerlegen des Fahrzeugs in kleinste Einzelteile nicht finden werden.

    Die ersten Zellen von 3,5 Ga haben die Fähigkeiten entwickelt, äußere ‘Reize’ ( am häufigsten vorkommende Strahlung = Licht ), Druckwellen ( Wasser, später Luft ), Chemoreize ( Duftstoffe ) und Kontakte der äußeren Umhüllung wahrzunehmen. Daraus entwickelte sich ein Vorteil, was das Überleben ( Auffinden von Nahrung, Ausweichen vor Attacken, Finden von Sexualpartnern ) erleichterte. Mit zunehmender Zellanzahl konnten sich diese Mess-Eigenschaften verfeinern und auch verknüpfen – der Beginn des ‘Denkens’, und immer ging und geht es um das erfolgreiche Überleben und Fortpflanzen, sonst gäbe es diese Linie nicht mehr. Es ist allemal von Vorteil, über die Umgebung ( positiv und negativ ) möglichst umfangreich ( und möglichst korrekt ) informiert zu sein und die eigene Existenz in Zeit und Raum in diese so erfasste Umwelt einzuordnen – nur so ist die Evolution erfolgreich – manchmal scheint mir aber, dass diese Evolution beim homo sapiens sapiens gerade das Gegenteil des Überlebens hervorbringen könnte – ‘gut gemeint ist nicht immer gut gemacht’, würde ich dazu sagen.
    Es erscheint mir nur logisch, dass ab einer gewissen Grenze an Speicher-, Abstraktions- und Verknüpfungszellen Funktionen auftreten, die das Überleben über das Maß der einfachen Einordnung der eigenen Existenz in die Umwelt verbessern. So nehme ich an, dass es vorteilhaft ist, sich heute schon Gedanken darüber zu machen, woher die Nahrung in 6 Monaten kommen könnte – wenn nicht gerade die ‘Bananen’ tagtäglich ins Maul wachsen.
    Und so – nehme ich an – kam der ‘freie Wille’ in diese Welt und damit auch die brotlose Suche nach der ‘alleinigen Wahrheit’.
    Aber – off topic, solche Unterhaltungen sind mir allemal lieber, als Eigenlob, KI-generiertes Eigenlob, Lob durch Kommentatoren und deswegen gelobte Kommentatoren.

  34. @Trabi: So macht man es sich leicht

    *seufz* Wie oft ist mir dieses Scheinargument schon begegnet?

    Etwas ist nicht zu 100% erreichbar (denken wir an Vegetarismus, Umweltschutz, Zölibat und jetzt eben Willensfreiheit), also sind 0% hinnehmbar.

    Klar, so macht man es sich leicht – und muss man vor allem die den eigenen Standpunkt überdenken oder gar ändern.

    Ich kann’s nicht ändern; das können nur Sie selbst.

  35. @Krüger: “Erleuchtung” esoterisch zu finden, das ist doch ein Abwehrmechanismus; und was man im Westen “Aufklärung” nennt, vielleicht auch (Rationalisierung), jedenfalls wenn man sich anschaut, was davon heute übrig geblieben ist.

    Wenn 4E (oder 5E) Kognition der richtige Ansatz ist, dann lassen sich psychische Vorgänge eben nicht nur dem Gehirn zuschreiben; darum ging es doch.

  36. Weiß leider nicht mehr wo, hab vor kurzem einen Beitrag gelesen, der den freien Willen nicht in diesem zeitgeistigen Sinn erklärt, daß er quasi unabhängig von den Umständen existiert, sondern in sie zwangsläufig eingebunden ist und dann aber gerade deshalb eindeutig existiert.
    Die Negierung paßt in dieses Entweder-Oder-Schema daß viele heute so schick finden, und sie bringt beides gleichzeitig hervor, die völlige Verneinung und die drastische Überschätzung.
    Der Einzelne hat plötzlich einen sehr freien Willen zu haben, wenn es um das Spannungsfeld zwischen Individuum und Umständen geht. Bei Problemen ist immer der Einzelne alleine schuld, was einen freien Willen aber unabdingbar voraussetzt.

  37. @N 28.08. 12:48

    „Wir sind eingebettet in einem metaphysischem Ganzen, das heißt, wir wissen nicht wer wir sind, woher wir kommen, wohin wir gehen warum wir überhaupt leben.“

    So stell ich mir das auch vor. Lebenspraktisch als Säugetier herumlaufen und Essen suchen gehört wohl dazu, diesbezüglich sind wir recht simple Wesen. Da ist aber noch mehr, denke ich. Das ganze Sein, nicht nur wir als isolierte Individuen, ist eine lebendige Welt, die sich selbst zum Inhalt macht.

    @DH 28.08. 22:47

    „..der den freien Willen nicht in diesem zeitgeistigen Sinn erklärt, daß er quasi unabhängig von den Umständen existiert, sondern in sie zwangsläufig eingebunden ist und dann aber gerade deshalb eindeutig existiert.“

    Es kommt dann auf die Lebenslage an, und darauf, was man an Strategien hat, um sie zu bewältigen. Das geht auch mal schnell ganz daneben, wenn man nicht die Zeit hat oder sich nimmt, um zu vernünftigen Antworten zu kommen.

    Entscheidungen brauchen dann eben ihre Zeit. So ist etwa die Berufsentscheidung eines jungen Menschen ein Prozess, der über Jahre läuft, und Eltern, Lehrer und Gleichaltrige mit einschließt. Andere Entscheidungen gehen schneller, aber sind dennoch genau so ein Prozess.

  38. Was ich will, das geht primär von meinen angeborenen Zielsetzungen aus.
    Diese angeborenen Zielsetzungen haben die Überlebenswahrscheinlichkeit meiner Vorfahren erhöht.
    Ich kann unter günstigem Umständen relativ frei zwischen diesen angeborenen Zielsetzungen auswählen.
    Diese Fähigkeit hat ebenfalls die Überlebenswahrscheinlichkeit meiner Vorfahren erhöht.

  39. Stephan Schleim
    Kontrolle – sehr gut !
    “Haben Sie schon einmal den Drang gespürt, etwas zu tun – doch es dann nicht getan?”

    Wenn man das Abwägen von Vor – und Nachteilen schon als Unfreiheit ansieht, dann kann man auch einen Löwen als unfrei bezeichnen, der abschätzt ,ob er den Eindringling angreift oder nicht.

    Sie meinen mit Unfreiheit auch Abhängigkeiten und Bedingtheiten. In diesem Sinne ist Ihr Standpunkt korrekt.

    Bleiben Sie bei Ihrer Auffassung. Sie ist human.

  40. @ Schleim

    Sie haben recht. Der Bezug zu Ihren Ausführungen wurde durch mich verschleiert. Außerdem bezieht sich der Text Knorkators eher auf die Welt als Vorstellung denn auf die Welt als Wille (->Schopenhauer). Des weiteren liegt mein Fokus, wenn es um strafrechtliche Belange geht, auf Freiheit und Autonomie, die mir da gegeben ist, wenn ich das Gesetz achte, welches ich mir selbst gegeben habe oder einsichtig geworden bin. (->Kant)
    Ich sehe für mich bisher noch keinen Grund, von den Schultern herabzusteigen auf denen ich stehe. Meine Selbstverliebtheit in meine geistigen Ergüsse hält sich in Grenzen.

  41. Immer wieder die gleichen alten Kamellen. Die einen sagen, die Physis determiniert die Psyche, die anderen glauben das nicht und behaupten, das Psychische sei autonom.
    Der Kardinalfehler besteht darin, dass man zwischen Physis und Psyche keine Kausalität annehmen darf, denn beide beschreiben dasselbe, nur aus einem anderen Blickwinkel und mit anderen Begriffen.
    Die Schwierigkeit besteht nun darin, dass es für den psychologischen/ philosophischen Begriff des freien Willens kein physiologisches Pendant gibt und so werden ständig die Beschreibungsebenen gewechselt, ohne dass man es merkt.
    Natürlich gibt es einen relativ ‘freien’ Willen. Jedes Lebewesen agiert schließlich relativ autonom. Was wäre die Alternative? Philosophische Zombies, von wem auch immer ferngesteuert. Was für ein Unsinn.

  42. @ Stephan Schleim 28.08.2024, 22:34 Uhr

    Zitat: „Es ist schon eine Kunst, wie Sie die Themen immer wieder auf Elektronisches beziehen.“

    Mit dem Nick „Elektroniker“ bin ich auch nur dann unterwegs wenn es um „elektrische Angelegenheiten“ geht. Sonst benutze ich andere Nicks, auch in Ihrem Forum….

    Neurologen haben ehemals beklagt, wenn sie mit einem Oszillographen irgendwo im neuronalen System „herumstochern“ haben sie elektrische Impulse „Spikes“ am Bildschirm. Dies ist ihnen allerdings rätselhaft.

    Für mich war das vor rund 60 Jahren in meinem Einstiegsjob alltägliche Realität bei meiner Entwicklerarbeit an komplexen elektronischen Steuerungen.

    Definitiv wissen Neurologen aber, dass es derartige Impulse sind, die Muskel (z.B. Sprachmuskel) ansteuern, die sich danach bewegen und eine Stimme von sich geben, wie z.B indirekt ein Lautsprecher, der auch von elektrischen Signalen angesteuert wird.

    Offensichtlich ist auch, dass Neuronale Systeme aus Sensoriken, Synapsen, Neuronen und Motoriken bestehen. Vergleichbar mit Systemen der Technik.

    Nicht ganz so offensichtlich ist die „qualifizierte UND Gatterfunktion“ der Neuronen, die Brücke zur Informationsverarbeitung, zur Boolschen Schaltalgebra und zur Logik.

    Der Begriff „qualifiziert“ macht genau den Unterschied zwischen der strengen Logik der Boolschen Algebra und der unpräzisen Logik in neuronalen Systemen. Wenn z.B. 3 Verwaltungsjuristen 4 Rechtsmeinungen vertreten….

    Ich habe mir erlaubt, mehr als Spaß, den KI Copiloten folgende Frage zu stellen und der hat alles bestens erklärt:

    Könnte man behaupten, dass Neuronen eine Art von “qualifizierte UND Gatterfunktion” realisieren?

    Copilot das web wird verwendet Antworten für Sie werden generiert…

    Gesendet von Copilot:
    „Ja, man könnte durchaus behaupten, dass Neuronen eine Art “qualifizierte UND-Gatterfunktion” realisieren. In der Neurobiologie wird oft beschrieben, dass Neuronen Signale nur dann weiterleiten, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind. Dies ähnelt der Funktionsweise eines UND-Gatters in der digitalen Logik, bei dem ein Ausgangssignal nur dann erzeugt wird, wenn alle Eingangssignale vorhanden sind.

    Ein Neuron empfängt Signale über seine Dendriten und integriert diese Signale im Soma (Zellkörper). Wenn die kombinierte Signalstärke einen bestimmten Schwellenwert überschreitet, wird ein Aktionspotenzial ausgelöst und das Signal über das Axon weitergeleitet. Diese Schwellenwertfunktion kann als eine Art “qualifizierte UND-Gatterfunktion” betrachtet werden, da mehrere Eingangssignale (Synapsen) notwendig sind, um das Neuron zu aktivieren.“

    Diese Antwort ist immerhin verblüffend!!!!

  43. @Stegemann 29.08. 12:45

    „Der Kardinalfehler besteht darin, dass man zwischen Physis und Psyche keine Kausalität annehmen darf, denn beide beschreiben dasselbe, nur aus einem anderen Blickwinkel und mit anderen Begriffen.“

    Wenn man Geisteswelten grundsätzlich ausschließt, ist das zunächst mal in der Tat weiterführend.

    Allerdings kann es dann doch auch interessieren, welche physischen Details mit welchen psychischen Details zusammenhängen. Insbesondere wenn wir KI bauen wollen, die eventuell auch Bewusstsein hat und damit nicht weniger als künstliches Leben ausmachen kann.

  44. @Elektroniker 29.08. 16:59

    „Nicht ganz so offensichtlich ist die „qualifizierte UND Gatterfunktion“ der Neuronen, die Brücke zur Informationsverarbeitung, zur Boolschen Schaltalgebra und zur Logik.“

    So weit ich weiß, gilt genau das für wirklich alle Nervenzellen. Eingangssynapsen mit hemmenden und aktivierenden Wertigkeiten, einen Schwellenwert für das Ausgangssignal und dann wiederum Ausgangssynapsen.

    Daraus muss sich wirklich alles zusammensetzen, was in Nervensystemen abläuft. Wie genau sich das jetzt wieder zu komplexem Innenleben summiert, ist die große Frage. Für die tatsächlich auch Antworten gefunden werden könnten.

    Die auch in künstlichen Systemen anwendbar wären, wenn sie denn erstmal verstanden sein werden? Es sei denn, es hängt hier an der Leistung und dem Stromverbrauch von künstlichen Systemen.

  45. @Stegemann: Aspekte

    Ja, dem geneigten Leser könnte aufgefallen sein, dass es mir um Beschreibungen geht, nicht um Ontologie.

    … dass es für den psychologischen/ philosophischen Begriff des freien Willens kein physiologisches Pendant gibt …

    Guter Punkt, ja.

    Mir geht gerade ein Licht auf, dass man vielleicht darum immer über (In)Determinismus streitet.

    Und allgemeiner: Gilt, was Sie schreiben, nicht für mehr oder weniger alle psychischen Begriffe?

  46. @Tobias Jeckenburger
    Stimme zu, hinzu kommen dann noch mögliche Situationen wo der Einzelne noch so willensstark sein kann, ohne eine Chance zu haben, seine Lage entscheidend zu verbessern.
    Da ist es dann Glückssache, ob du die Hilfe hast die du brauchst und die gerade Privilegierte ganz selbstverständlich in Anspruch nehmen, in der Bilanz aber häufig als Eigenleistung betrachten.
    Die Wohlstandsverwahrlosung großer Teile der “Eliten” dürfte hier eine ihrer Ursachen haben.
    Sie beschreiben das treffend, Entscheidungen brauchen oft lange Zeit und gehen nur in der Interaktion mit einem wohlwollenden Umfeld. Wenn das fehlt oder sogar das Gegenteil der Fall ist…

  47. @Schleim:

    ja, es gilt für alle psychischen Begriffe. Die Physiologie beschreibt die Hardware, die Psychologie ihr Verhalten. Und es geht immer um einen unsinnigen (In-) Determinismusbegriff, der physikalistisch verwendet wird, so, also ob der Mensch eine Maschine bzw. ein Lotteriespiel wäre.

  48. @Stephan Schleim
    So ist es, man könnte auch sagen, Sozialdarwinismus, so was gibts auch in anderen Ideologien. Genau genommen negieren diese den freien Willen gar nicht, sehen ihn aber nur als legitim, oder überhaupt erst vorhanden, wenn er streng eingebunden und reduziert ist auf die Ziele der jeweiligen Ideologie.
    Von frei kann dann natürlich keine Rede mehr sein.

  49. @Stegemann: Die “Hardware” wäre wohl eher die Anatomie. Doch wenn man genau hinschaut, sieht man, dass sich selbst Knochen verändern, nur eben sehr langsam.

    Panta rhei, alles fließt.

    Wieder einmal zeigt sich, dass wir mit Begriffen Grenzen ziehen wollen, wo die Natur nur fließende Übergänge kennt.

  50. @DH: Ja. “Freiheit” heißt bei uns heute, das zu kaufen, wovon die Werbung uns weismacht, dass wir es kaufen müssen, um frei zu sein.

    Wer kennt noch den “Marlboro Man”?

  51. @Schleim:

    Völlig richtig. Das ist der Unterschied zu Maschinen. Es kommt auf die Art der Beschreibung an, und da hat die Philosophie des Geistes in den letzten zwei Jahrtausenden allen möglichen Unsinn geliefert.

  52. @Stephan Schleim
    Quarzen um frei zu sein, kannst du heute nicht mehr bringen, weil der Puritanismus sogar den Pseudobegriff der Freiheit kassiert hat, der dahinter stand.
    Auch diese Revolution frisst ihre Kinder.
    Das letzte Aufbäumen des MarlboroMan fand übrigens im “Filmklassiker” “Harley Davidson and the Marlboro Man” statt, dessen völlig neutraler Titel laut Machern so gar nichts mit Werbung zu tun hatte…
    Der MM wurde dort verkörpert von Mickey Rourke und der läßt sich mit dem sensationellen Satz vernehmen
    “Lieber tot und cool als lebendig und uncool”…
    Selbst die Werbung war mal nicht gar so verkrampft wie heute so vieles.

  53. @ DH

    Bei aller Gesellschaftskritik gebe ich aber zu bedenken, daß es auch umgekehrt gedacht werden kann: zuerst ist ein Sklave da, der nach einem Herren winselt. Es gibt nicht wenige, die orientierungslos nach einer Führung Ausschau halten. Und die sind regelrecht dankbar, daß die Wissenschaft von heute die Religion von gestern ersetzt hat. Du sollst nicht rauchen, du sollst nicht saufen, du sollst kein rotes Fleisch essen. Du sollst Fahrrad fahren, dich ausgewogen ernähren, Sport treiben und nicht herumsitzen -auf daß du das Leben gewinnst und den Tod im Zaume hältst. Denn ich bin der Herr, dein Gott und du sollst keine fremden Götter neben mir haben.

  54. Nachtrag:

    Du sollst auch regelmäßig zur Vorsorgeuntersuchung gehen, denn so wie du damals zu deinem Priester zur Beichte gingest, so sollst du heute deinem Arzt Rede und Antwort stehen. Denn wie du früher die Hölle fürchtetest, so sollst du heute den Krebs als deinen ständigen Begleiter neben dich wissen.

    “Habe ich ein Buch, das für mich Verstand hat, einen Seelsorger, der für mich Gewissen hat, einen Arzt, der für mich die Diät beurteilt, u.s.w., so brauche ich mich ja nicht selbst zu bemühen. Ich habe nicht nötig zu denken, wenn ich nur bezahlen kann; andere werden das verdrießliche Geschäft schon für mich übernehmen.”

  55. @DH: Werbung & Freiheit

    Es ging mir nicht so sehr um das Rauchen selbst, sondern die Werbung dafür – als Beispiel: Die wilden Pferde, die Prärie, die Weite, sprich: die Freiheit.

    Der Alltag der meisten Raucher*innen dürfte doch ganz anders aussehen; insbesondere dann, wenn man damit Stress kompensiert.

    Dass so etwas überhaupt funktioniert, das Verkaufen dieses Freiheitsgefühls, ist doch an sich schon sehr erstaunlich.

  56. Friedrich Schiller: Und setzet ihr nicht das Leben ein, nie wird euch das Leben gewonnen sein !”

    Leben ist mehr als sicheres “Dahinvegitieren”.
    In früheren Zeiten war das Leben ein ständiger Kampf.
    Da waren die Männer noch bewaffnet. Und wer dem Zweikampf aus dem Wege ging , der galt als Feigling. Und Frauen mögen keine Feiglinge.

    An diese Tugenden erinnern die Alkoholwerbung, die Bierwerbung, die Zigarettenwerbung.

    Die Werbung bei den Frauen, die appellieren an das Schönheitsgefühl.
    Und an “Schönseinnzuwollen” gibt es nichts zu beanstanden.

  57. Diesmal ein allgemeiner Beitrag zum Thema „Datenintegration“ in neuronalen Systemen.

    Zitat: „Wie die Nieren den Urin absondern, erzeugt das Gehirn Gedanken.”

    Ich möchte hinzufügen, diese Gedanken aktivieren und „erzeugen“ auch die „Muster“ für das „Bewusstsein“ und werden dort zur „Anzeige“ gebracht, vergleichbar „TV Flachbildschirmen“.

    Das ist deswegen nötig, um die „Teilanzeigen“ jeweils sinnvoll in einen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang zu bringen damit z.B. „Bildpunkte“ zu einem „Bild emergieren“ können. (Es darf aus nahe liegenden Gründen keinesfalls die gesamte „Biographie“ des Menschen „gleichzeitig“ ins „Bewusstsein“ gelangen.)

    Das „Empfindungsbewusstsein“ (Qualia) entsteht an der „Empfindungssensorik“, z.B. Stäbchen und Zapfen und wird offensichtlich mittel elektrischer Signale in das „Denkgeschehen“ eingebunden.

    Beim Auge und der Netzhaut sollte das allgemein nachvollziehbar sein, wenn „Bildpunkte“ zu einem Bild emergieren. (Wenn man in einen Spiegel schaut, erkennt man, dass auf (den Zapfen und Stäbchen) der Netzhaut ein Bild entsteht). Diese Informationen „fließen“ (als elektrische Signale) über das anschließende Neuronale Netz in weitere „Auswertungsbereiche“.

    Einerseits zur „Mustererkennung“ der vielen „Teilmuster“, und zur „Zusammenführung“ (manche nennen es Integration) mit früher im neuronalen Netz „abgespeicherten Informationen“ um daraus das gesamte Geschehen in einen Zusammenhang mit wichtigen Aspekten seiner „eigenen Persönlichkeit“, die im im neuronalen Netz repräsentiert wird, zu bringen (Wille).

    Was nachstehend beschrieben wird, ist bei Elektronikern (mit „technischen Schaltungen“) alltägliche Arbeit. Auch bei Medizinern die EKG oder EEG Signale auswerten. Letztere können aus den Mustern Fehler erkennen.

    Aber wie, z.B. in der Elektronik, mittels „Schieberegister“, die „seriellen Signale“ in „parallele Signale“ umgewandelt werden, gehört nicht zu ihrem Job. Das Verständnis ist aber wichtig, um nachvollziehen zu können, wie im Gehirn „Sprache mit Bildern“ zu bewussten „Denkobjekten“ verknüpft werden.

    Es gibt, wie erwähnt, nicht nur gleichzeitige „Bildmuster“ (am Auge). Auch z.B. die „Tonmuster“, wo die Information auf „nacheinander laufenden Signalen“ abgebildet wird, müssen die Signale in einen örtlichen und gleichzeitigen Zusammenhang gebracht werden, um daraus auf einer „einheitlichen neuronalen Plattform“ die „Sprechmuster“ erkennen zu können.

    Die erkannten „Sprechmuster“ werden mit den dazugehörigen „Bildmustern“ verknüpft. Das ist wichtig um zu ermitteln, dass ein „bildhaftes Objekt“ ein „Haus“, die „Oma“ oder ihr „Hund“ ist….. (Letztere Bezeichner stammen von der Sprache, den Worten „Haus“, „Oma“, „Hund“,…)

    Bedeutet zunächst (anschaulich), dass die nacheinander „einlaufenden Signale“ letztlich auf einem „Bildschirm“ (z.B. Oszillograph) auf einer „Zeitachse“ von rechts (das „älteste“ Signal) nach links (das „jüngste“ Signal) „abgebildet“ werden.

    In vielen in einer „Kette“ angeordneten Neuronen, werden die einlangenden Signale durch diese „Kette verschoben“ und „parallel gleichzeitig“ ausgewertet.

    Weiters muss man sich vorstellen, dass viele „Ketten“ parallel (in einer Art „Vielfach“) angeordnet sind. Letztlich erfolgt die Auswertung der „seriellen Daten“ als „flächige Muster“, wie bei den „Bildern“.

    Auf diese Art werden die Informationen auf eine gleiche „Plattform“ gebracht. Beim Buch wären es die nacheinander nach bestimmten Regeln gedruckten Buchstaben. Beim Leser entstehen die einen Sachverhalt ergebenden „Gedankenfolgen“ im Bewusstsein, die verarbeitet werden, z.B. einen Output generieren, oder in das neuronale Netz eingebunden werden.

  58. Wenn das Gehirn Gedanken und einen Willen „erzeugt“, ist das Prinzip der „Mustererkennung und Auswertung“ grundlegend. Man sagt auch, das Gehirn ist eine „Muster Verarbeitungsmaschine“….

    Es ist letztlich ein großer Unterschied ob man die „Denkmuster“ des „eigenen Willen“ befolgt, oder „fremde Denkmuster“ befolgen muss….

    Auf dieses, an sich sehr banale Grundprinzip der Mustererkennung, möchte ich hier eingehen.

    An der Netzhaut liegen z.B. 2 nebeneinander liegende „rote Farbpunkte“ an (die von einem Dachziegel stammen) und auf ganz bestimmten „rot empfindlichen Zapfen“ wahrgenommen werden, wobei auch elektrische Signale ausgesendet werden. Die Signale werden über Synapsen Neuronen zugeführt und bestimmte Neuronen triggern, wenn ungefähr gleichzeitig elektrische Signale eintreffen.

    Das bedeutet, dass die Farbmuster an den (winzigen) Zapfen „gleich“, in diesem Fall „rot“ sind.

    Neuron können aber auch über die Synapsen (gemäß der Hebbschen Regel) „lernen“, dass sie auf andere Farbkombinationen ansprechen.

    Nicht nur auf Farbkombinationen, auch auf Helligkeitsinformationen, Geruchsinformationen, …. Strukturinformationen (senkrecht, waagrecht, Winkel, Kreis, Kurve,….).

    Auch auf Kombinationen vorgelagerter Kombinationen…..

    Neuronen erhalten aber auch entsprechende Signale aus anderen Bereichen, z.B. Sprachliche Bereiche, so dass sie eine sehr große Zahl an Mustern unterscheiden und erkennen können…..

    Immer wenn sie „Mustergleichheit“ feststellen „triggern“ sie.

    Das Gehirn lernt, immer mehr und besser Muster zu erkennen (und zu verarbeiten), solange es stabil funktioniert….

  59. @Dietmar Hilsebein
    “zuerst ist ein Sklave da, der nach einem Herren winselt. ”
    Ohne Zweifel, ein Henne-Ei-Problem.
    Ohne Sklaven keine übergriffigen Herren, ohne letztere keine Sklaven.
    Es ist halt immer die Frage wen es trifft- zuviele Sklaven ziehen auch diejenigen mit rein, die auch mit vernünftig geregelten Herrschaftsstrukturen klar kommen.
    Deswegen ist Gesellschaftskritik wichtig, die Feststellung des Untertanengeists ist dabei kein Widerspruch, sondern gehört sogar dazu.
    Wird sie negiert, wie traditionell von Teilen der Linken, scheitert die Kritik oft an ihrer Naivität, übrigens heute auch auf der rechten Seite zu beobachten wo sie an ein Volk glauben das pauschal auf seine Befreiung wartet, und wo sie genauso scheitern werden wie frühere Kommunisten.

    “Man kann das ganze Volk einen Teil der Zeit betrügen,
    man kann einen Teil des Volks die ganze Zeit betrügen,
    man kann aber nie das ganze Volk die ganze Zeit betrügen.”
    Von Washington, glaub ich, bin aber nicht sicher.

  60. @Stephan Schleim
    “Der Alltag der meisten Raucher*innen dürfte doch ganz anders aussehen; insbesondere dann, wenn man damit Stress kompensiert.”
    Eben drum. Wenn der Alltag schlecht ist, gibts halt die Ersatzvariante, man träumt sich rein in eine unerreichbare Welt und vergisst dabei so nebenbei zumindest diejenigen Dinge zu ändern die beeinflußbar sind.
    Dietmar Hilsebein und N haben recht, das hat auch mit Untertanengeist und alten Anforderungen an Verhaltensrollen zu tun.
    Es gibt ein ähnliches Phänomen in der Bikerszene. Die standen mal teilweise für echte Versuche von Freiheit, unabhängig von deren Tauglichkeit, heute ist das nur noch ein lächerlicher Haufen von überangepaßten Kleinbürgern.
    Oft ältere Herren die noch biken was eigentlich “cool” ist, die dann aber den Dicken markieren und andere mit Terrorlärm überziehen.
    Ein bemitleidenswerter Abklatsch wie er spießiger kaum sein könnte, unter der Woche brav die Klappe halten bei Chef und Ehegattin, und dann auf die Straße “ausfahren” und den asozialen “Helden” spielen.

  61. Mal ein paar Gedankensplitter zur Freiheit.
    Jeder Mensch spielt eine Rolle. Meistens sogar mehrere verschiedene Rollen am Tag.
    Das ist schon mal eine Einschränkung von Freiheit.
    Nur Kinder und Narren fügen sich nicht in diese Rolle.

    Gedankenfreiheit schlägt meistens nicht wie ein Blitz in uns ein, sie ist als Prozess zu verstehen, der langsam in uns wächst und zu einem geeigneten Zeitpunkt eine Tat verlangt.

    Und die Freiheit besteht darin, sich zu entscheiden, sich entscheiden zu können, und das ist die zweite Bedingung von Freiheit, sie verlangt nach Kraft und Mut.

    Die Abnabelung eines Jugendlichen von der Familie, das ist ein Prozess den man als Befreiung bezeichnen kann.

    Auch die Entscheidung einer Frau sich von ihrem Mann zu trennen ist ein Akt der Befreiung.

    Die steigende Zahl von Ehescheidungen ist ein Zeichen für die Befreiung des Individuums.
    Auch die Zahl der Kirchenaustritte gehört hierher.

    Der Kauf einer Harley Davidson mit 65 Jahren ist ein verspäteter Befreiungsakt.
    Die zweite Heirat mit 80 Jahren, die auch noch.

    Ja, und das Lachen darüber auch noch.

  62. @Stephan Schleim
    Eine perfekte Antwort hab ich nicht, vielleicht nicht mal eine gute.
    Individualität ist nicht dasselbe wie Vereinzelung und Egoismus, ein Individualist ist auch kooperativ und solidarisch, ohne dabei fanatisch zu werden.
    Kenne so ein Viertel mit Einfamilienhäusern wo ich regelmäßig durchlaufe, und da fällt schon auf daß die Leute dort auch bürgerlich leben, Haus, Auto usw….aber irgendwie ist alles nicht so eng, oft hocken da Leute draußen, quatschen, sind durchaus laut und keinen scheints zu stören. Auch die Autos sind nicht so überdimensioniert, keine Carports, teils fast verwilderte Gärten…man siehts nicht so eng dort im Gegensatz zu vielen anderen bürgerlichen Vierteln.
    Mentalität scheint mir viel auszumachen, auch mittelmäßige Jobs kann man erträglich gestalten mit einem guten Betriebsklima, was in Deutschland aber schwierig ist.
    “Freedom is just another word for nothing left to loose”, hat Janise Joplin einst gesungen- so einfach ist es nicht, aber wer sein Leben den Besitzbergen unterstellt und sich ständig mit dem Nachbarn vergleicht, hat schon mal keine Chance auf Freiheit, noch nicht mal in der Nische. Freiheit ist teilweise auch die Abwesenheit von überflüssigen Zwängen.
    In der Freizeit die richtigen Leute suchen, Orte meiden wos auch wieder um Vergleich geht, sich den Spaß an Dingen nicht nehmen lassen die man mag, auch wenns mißgünstigen Zeitgenossen mißfällt, auch aber nicht nur im Internet und am Smartphone daddeln, einfach Leute treffen….es sind gerade heute oft die einfachen Dinge die fehlen, und ich behaupte keineswegs, das alles im Griff zu haben.
    Und natürlich zählt auch die politische Freiheit dazu.

  63. @N
    Um Mißverständnisse zu vermeiden: Nicht der Kauf eines Bikes, in welchem Alter auch immer, ist das Problem, sondern das ultraprimitive Verhalten das Viele damit an den Tag legen.

  64. @DH: Freiheit vs. Zwang

    Ja, gute Punkte; und gewissermaßen sind wir damit wieder an der Stelle @Hilsebein:

    Die Freiheit beginnt dort, wo die Konditionierung aufhört.

    Die Reaktion mit der Tochter, die (noch) nicht schlafen will, war berechtigt; man könnte auch fragen, ob z.B. der Gang zur Toilette nicht auch “nur eine Konditionierung” ist. Darüber habe ich noch nachgedacht.

    Ich denke, dass wir da ein großes Maß an Freiheit gewinnen können, wo wir Konditionierungen aufgeben oder zumindest hinterfragen, die nur “mit dem Denken der Nachbarn” zu tun haben.

    Dass man schlafen muss oder der Körper Urin und Kot produziert, darauf haben wir nur begrenzt Einfluss (z.B. mit einem bestimmten Lebenswandel; wer etwa viel trinkt, der muss auch mehr urinieren). Dann kann man trotzdem einsehen, dass der Gang auf die Toilette schlicht eine praktische und vernünftige Lösung für dieses natürliche Bedürfnis ist. Und es gibt Kontexte, wie eine lange Wanderung in der Wildnis, in der man eine andere Lösung wählt (bzw. wählen muss).

    Drei dicke Autos vorm Haus stehen zu haben, nur weil alle anderen in der Nachbarschaft das auch haben, ist kein Zeichen von Freiheit; “nur” eins zu haben, weil man zur Einsicht gekommen ist, dass das auch reicht, schon eher.

    Somit komme ich wieder zum Ergebnis, dass für unsere Freiheit unser bewusstes Überlegen und Reflektieren von entscheidender Bedeutung ist; was für ein Zufall(?), dass das so in etwa auch im letzten Buchkapitel steht.

    Vielleicht könnte man es so präzisieren:

    Die Freiheit beginnt dort, wo die Konditionierung (als bloße Konditionierung, ohne erkennbare Vernunft) aufhört.

  65. DH
    “Nicht der Kauf eines Bikes, in welchem Alter auch immer, ist das Problem, sondern das ultraprimitive Verhalten das Viele damit an den Tag legen.”

    wichtig bleibt doch nur, dass die Menschen berechenbar bleiben.
    Wir fuhren über die Alpenpässe in Südtirol. Oben auf dem Pass standen viele großvolumige und teure Motorräder. Und daneben standen keine jungen Männer, sondern solche gesetzten Alters. Zufall ?

    Sollte man jetzt auf das Motorrad verzichten um zu beweisen, dass man frei ist und nicht seine Freiheit beweisen muss. Darum geht es doch. Es bleibt eine Krux.
    Fährt der “alte Dackel” jetzt auf den Pass hinaus, dann sagen die einen, der muss sich beweisen, die anderen sagen, der genießt sein Leben und hat den Mut dazu.

    Am Rande , es gehört auch zur Freiheit des Beobachters, darüber schmunzeln zu können oder sich wenigstens mit dem “alten Dackel” zu freuen.
    Nachtrag: Neben uns steht ein Wohnmobil eines 80ig- jährigen. Seine Frau ist 65.
    Er sagte mir, er möchte nicht in einem Hotelbett schlafen, indem kurz vorher ein Anderer es mit seiner Freua getrieben hat.
    War das jetzt Angabe ?

  66. @ Schleim

    “Die Freiheit beginnt dort, wo die Konditionierung (als bloße Konditionierung, ohne erkennbare Vernunft) aufhört.”

    Dem kann ich mich anschließen. Denn das Kind hätte fragen können: warum muß ich ins Bett? Dann hätte ich die Antwort geben können: damit du morgen ausgeschlafen bist und in die Kita gehen kannst. Das Frage- und Antwortspiel ließe sich natürlich weiter fortsetzen: warum muß ich in die Kita usw.? Doch es schrie und stampfte mit den Füßen. Ungebändigter, blindwütiger Wille würde ich mit Schopenhauer sagen. Die Eltern setzen also ihre Vernunftbegabung ein, um den Willen des Kindes in Bahnen zu lenken, da Freiheit niemals nur negativ gedacht werden kann -im Sinne von einem Joche entronnen zu sein. Positive Freiheit muß die Frage nach dem Wozu beantworten.

  67. DH
    interessant bleibt was Martin Luther zur Freiheit geschrieben hat.
    Aus seiner Schrift: von der Freiheit eines Christenmenschen.

    “Ist er entbunden, so ist er gewiss frei. Das ist die christliche Freiheit, der eine Glaube, der nicht macht, dass wir müßig gehen oder übel tun würden, sondern dass wir keines Werkes bedürfen, um Gerechtigkeit und Seligkeit zu erlangen.”

  68. Von wahren Kernen und Denkfehlern

    Auch wenn es in der Diskussion hier inzwischen um „Freiheit“ geht, noch einigen Anmerkungen zu Carl Vogt…

    Aus dem Blogbeitrag:
    »Beide Aussagen [Carl Vogts] haben einen wahren Kern, … «

    So ist es wohl, und was nicht zum „wahren Kern“ gehört, steht in etwa im gleichen Verhältnis zum Ganzen, wie die Hülle der Walnussfrucht zur Walnuss, wobei es uns natürlich allein auf die Walnuss ankommt.

    » …doch enthalten auch Denkfehler: «

    Vor Denkfehler ist keiner gefeit, aber die im Falle Vogts genannten sind sicherlich keine, sie sind vielmehr Ausdruck eines konsequenten, folgerichtigen Denkens: das Gehirn nimmt—aus Vogts naturwissenschaftlicher Sicht—biologisch-physiologisch keine Sonderrolle im Organismus ein, hier gelten trivialerweise die gleichen physikalischen Gesetzmäßigkeiten wie überall sonst auch. Wer anderes behauptet, ist in der Beweispflicht oder braucht zumindest gute, starke Argumente für die andere Sichtweise (daran sind schon zu Vogts Zeiten die Opponenten gescheitert).

    Wenn man diesen Gedanken akzeptiert und den weiteren Überlegungen zugrunde legt, liegt der Schluss nahe, dass das, was für das Gehirn in punkto „Seele“ gelten soll, auch für alle anderen Organe zu gelten hat: Wenn im Hirnorgan eine „Seele“ bestimmte Vorgänge beeinflusst, warum dann nicht auch, nur so als Beispiel, in den Nierenorganen oder in der Leber.

  69. Carl Vogt und die Willensfreiheit

    Ob Vogt bei seinen Einlassungen zur Willensfreiheit irgendwelchen Gedankenfehlern unterliegt, kann ich anhand des kleinen Textausschnitts nicht abschließend beurteilen.

    Es käme auf den Gesamtkontext an, den ich aber nicht kenne, denn wenn Vogt schreibt:

    „Wir sind in keinem Augenblicke Herren über uns selbst,…“

    dann stellt sich die Frage: Was meint er mit „Wir?“

    Hätte er übersehen, dass Ich- und Selbst-Konzepte Teil der Gedankenwelt sind und Gedanken nun mal im gleichen Verhältnis zum Gehirn stehen wie eben die Galle zur Leber, dann wäre das wohl ein Denkfehler gewesen—für den er, Vogt, natürlich nichts kann, denn wir, auch Vogt, sind schließlich nicht „Herren über und selbst“… 😉

    Es ist praktisch unvermeidlich, dass wir sprachlich in aller Regel dualistische Vorstellungen transportieren. Bei jeder Ich- oder Wir-Aussage tun wie so, als gäbe es eine hirnunabhängige Instanz für das “Ich”, eine Art außerkörperliche Entität, die alle Vorgänge beobachtet, bewertet, und am Ende Entscheidungen trifft. Beispiele dafür sind Sätze wie etwas dieser von Kinseher weiter oben in einem Kommentar: „Wir sind daher nicht die willenlosen Sklaven von irgendwelchen neuronalen Aktivitäten“. Solche Sätze gibt es in abgewandelter Form zuhauf in der Willensfreiheitsdiskussion.

    Zusammengefasst: Begriffe wie Freiheit, Schuld, Verantwortung und dergleichen berühren nicht die naturgegebenen, biologischen Grundlagen der menschlichen Existenz. Wenn wir z. . über Freiheit reden wollen, müssen wir die Beschreibungsebene wechseln, von der Ebene des biologischen Substrats zur Ebene der „Produkte“ dieses Substrats. Gemäß Vogt wären das die Gedanken, die, wie schon mehrfach gesagt, im gleichen Verhältnis zum Gehirn stehen, wie beispielsweise der Endharn zu den Nieren. Die Laboruntersuchung des Harns entspräche somit einer psychologischen Untersuchung, oder, wie Freud vielleicht sagen würde: der Psychoanalyse.

  70. @Hilsebein: Von Willen und Töchtern

    Ich sehe schon, dass Sie das ganz gut machen. Ich finde es wichtig, dass man Regeln nicht nur durchsetzt, sondern auch erklärt; aber eine Lehre aus bald 20 Jahren Bloggertätigkeit ist auch, dabei nicht in Endlosschleifen zu verfallen. (So wie man auch vom Gericht eine Begründung bekommt; ggf. noch einmal in Berufung oder Revision; aber irgendwann ist auch mal genug begründet.)

  71. @Balanus: Gesetze

    Schön, mal wieder was von dir zu lesen. Hast du in der Zwischenzeit einen Schreibkurs gemacht? Nein, im Ernst! Ich mein’s als Kompliment.

    … hier gelten trivialerweise die gleichen physikalischen Gesetzmäßigkeiten wie überall sonst auch.

    Hättest du mal einen Blick in Kap. 4 meines Buchs (DE/EN) geworfen, dann hättest du dort gelesen, dass diese physikalischen Gesetzmäßigkeiten allgemeine Zustände bzw. Gleichgewichte beschreiben – uns aber keine Verlaufsgesetze für das geben, was tatsächlich in der Welt geschieht.

    Die Frage der Emergenz neuer Eigenschaften schließt du völlig aus; dann bliebe auch offen, warum es überhaupt eine Biologie, Psychologie usw. geben muss und nicht sowieso alles nur Physik ist.

    P.S. Und ich gebe zu: Meine Hypothese, dass es sich bei dir um ein alter Ego von Gerhard Roth handelt, ist nun wohl als falsifiziert anzusehen.

  72. @Balanus: Sprache & Gehirn

    Die These, dass wir uns mit der psychologischen und neurowissenschaftlichen Sprache aufs Selbe beziehen, scheitert ja schon daran, dass wir mit Letzterer so gut wie nichts Wesentliches über uns und andere aussagen können.

  73. P.S. Moral:

    Begriffe wie Freiheit, Schuld, Verantwortung und dergleichen berühren nicht die naturgegebenen, biologischen Grundlagen der menschlichen Existenz.

    Natürlich nicht. Der Mensch ist ja auch Natur- und Kulturwesen!

  74. “Die Freiheit beginnt dort, wo die Konditionierung (als bloße Konditionierung, ohne erkennbare Vernunft) aufhört.”
    Finde den Satz auch treffend, läßt dann Spielräume zu, wie man Freiheit ausgestaltet, als immerwährender Prozeß, auch hier gilt das alles fließt.
    Bizarrer Vergleich Toilettengang und innere Sicherheit:
    Beides erfordert “eine praktische und vernünftige Lösung”. Innere Sicherheit muß über die Exekutive gelöst werden, jedenfalls teilweise, diese darf aber auch nicht selbst zum Problem werden.
    Wenn man, wie in manchen Brennpunkten Europas, das Feld den Kriminellen überläßt, verlierst du ein wichtiges Freiheitsrecht, nämlich das schlichte Verlassen des Hauses zu jeder beliebigen Uhrzeit ohne erhöhtes Risiko.
    Ein Polizeistaat kann aber zu ähnlichen Problemen führen.

  75. @N
    “Fährt der “alte Dackel” jetzt auf den Pass hinaus, dann sagen die einen, der muss sich beweisen, die anderen sagen, der genießt sein Leben und hat den Mut dazu.”
    Eben, jeder nach seiner Facon. Der Lärm den meine Wenigkeit z.T. als Musik betrachtet, ist auch nicht jedermanns Sache…
    Solange der “Dackel” ruhig vor sich hintuckert (was Lärm angeht), verantwortungsvoll fährt und sich von kriminellen Bikern fernhält, wünsche ich viel Spaß mit einem Hobby das nicht das meine sein muß um es zu akzeptieren.

    Bei Martin Luther steckt beides drin, der oft überzogene protestantische Arbeitsethos, aber auch die urchristliche und letztlich auch humanistische Sichtweise, daß jeder Mensch etwas wert ist und es nicht erst beweisen muß durch Vorgaben die ihm irgendeine Konditionierung macht, was aber nicht zu verwechseln ist mit Regellosigkeit.

  76. B. F. Skinner (Science and Human Behavior, 1953) über den “Willen”:

    “Die vorherrschenden Philosophien der menschlichen Natur gehen von einem inneren ‘Willen’ aus, der die Macht hat, in kausale Beziehungen einzugreifen und die Vorhersage und Kontrolle des Verhaltens unmöglich macht. Der Vorschlag, diese Sichtweise aufzugeben, bedroht viele liebgewonnene Überzeugungen – untergräbt eine scheinbar anregende und produktive Auffassung der menschlichen Natur. Die alternative Sichtweise besteht darauf, Zwangskräfte im menschlichen Verhalten anzuerkennen, die wir lieber ignorieren würden. Sie stellt unsere Bestrebungen in Frage, ob weltlich oder überweltlich.”

  77. @Balanus:

    Wir können die Evolution des Lebens biologisch beschreiben. Das Verhalten und das innere Erleben können wir mithilfe der Psychologie beschreiben. Wenn wir mit beiden dieselben Phänomene beschreiben wollen, müssen wir auf beiden Seite (Biologie und Psychologie) analoge Begriffe haben. Wir müssen also Begriffe gleichnamig machen.
    Für Bewusstsein haben wir auf Seiten der Biologie keinen solchen gleichnamigen Begriff, für freien Willen auch nicht.
    Man könnte sich aber einem solchen nähern, indem man sagt, Lebewesen sind Agenten. Sie werden nicht mit einem Schalter in Bewegung gesetzt, sondern tun das selber. Sie haben also einen ‘inneren Antrieb’, und das ist ontologisch gemeint. Wenn man diesen inneren Antrieb hochskaliert in einen hochdifferenzierten und hochkomplexen Organismus, dann dient dieser Antrieb nicht mehr nur unmittelbaren vitalen Bedürfnissen, sondern differenziert sich ebenso aus und wird komplexer.
    Auf dieser Ebene von Determinismus durch unsere Biologie zu reden wäre Tautologie. Also müssen wir von Emergenz sprechen. Denn die hochkomplexen vieldimensionalen Prozesse im Gehirn lassen sich schließlich nicht durch die Beschaffenheit einzelner Moleküle erklären.
    Die emergenten Phänomene des Gehirns kann man nun mit emergenten Phänomenen im Verhalten und inneren Erleben korrelieren.
    So erhält man auf Seiten der Psychologie einen relativ freien Willen. Frei bedeutet hier, Emergenz, die weder ontologisch noch epistemologisch auf ihre früheren Zustände reduzierbar ist. Und sie bedeutet, eine relativ freie Entscheidungsfähigkeit, die auf juristischer Seite einhergeht mit einer Verantwortung für das eigene Handeln.

  78. zu B.F.Skinner
    Behavior als Ausgangspunkt für Psychologie zu nehmen ist bequem, aber auch praktisch.
    Der Lehrer/die Lehrerin einer Grundschulklasse beurteilt die Kinder nach ihrem Verhalten.
    Und da zeigen sich schon die Unterschiede, die einen sind mutig und großmäulig, andere dagegen zurückhaltend und scheu.
    Manche sind offen und berechenbar, andere sind verschlossen und unberechenbar.
    Es gibt die Kinder , die immer hungrig sind, andere dagegen können einen vormittag ohne zu essen auskommen.
    Viele Jungen haben einen Bewegungsdrang in sich, andere sitzen lieber bequem in der Ecke und unterhalten sich.

    Und daraus ergibt sich, dass die Einteilung der menschlichen Natur durch Herrn Skinner in kopfgesteuert und triebgesteuert zu einfach ist.
    Und……..die Willensfreiheit bleibt auch zwiespältig je nach dem, welcher Ansicht man den Vorzug gibt.

  79. @ Stephan Schleim

    Zitat: „… hier gelten trivialerweise die gleichen physikalischen Gesetzmäßigkeiten wie überall sonst auch.
    ….
    dann hättest du dort gelesen, dass diese physikalischen Gesetzmäßigkeiten allgemeine Zustände bzw. Gleichgewichte beschreiben – uns aber keine Verlaufsgesetze für das geben, was tatsächlich in der Welt geschieht.“

    Bei den „Verlaufsgesetzen“ bekommen die Physiker wegen der schnell ausufernden Komplexität (die ist der ignorierte „unsichtbare Elefant“ in der „Stube“ der Physiker) oft Probleme. Aber immerhin, bei der Wettervorhersage gibt es eigentlich recht gute Erfolge. Die Psychologen, von denen auch Verhaltensprognosen erwartet werden, kämpfen mit ähnlichen Problemen.

    Zitat: „Die These, dass wir uns mit der psychologischen und neurowissenschaftlichen Sprache aufs Selbe beziehen, scheitert ja schon daran, dass wir mit Letzterer so gut wie nichts Wesentliches über uns und andere aussagen können.“

    Sarkastisch könnte man es so sehen. Aber Hirnforscher versuchen eben, von den Grundfunktionen der Neronen, Synapsen , der allenfalls sogar empfindenden Sensorik und der Motorik ausgehend, das Geschehen grundsätzlich zu verstehen. Gewisse Ähnlichkeiten bestehen mit der Elektronik. Daher scheinen Hypothesenbildungen, wie z.B. das Assembly-Konzept von Prof. Wolf Singer möglich.

    Zitat: „Begriffe wie Freiheit, Schuld, Verantwortung und dergleichen berühren nicht die naturgegebenen, biologischen Grundlagen der menschlichen Existenz.“

    Wird nur einer der o.a. Begriffe „exzessiv“ auf bestimmte Weise genutzt, könnten partiell Grundlagen der menschlichen Existenz zerstört werden….

    Zitat: „B. F. Skinner (Science and Human Behavior, 1953) über den “Willen”:

    “Die vorherrschenden Philosophien der menschlichen Natur gehen von einem inneren ‘Willen’ aus, der die Macht hat, in kausale Beziehungen einzugreifen und die Vorhersage und Kontrolle des Verhaltens unmöglich macht. …“

    Der „innere Wille“ strebt (bei Mensch und Tier) nach Nahrung und Sex…. Entweder primitiv und direkt oder aus Tarnungsgründen verdeckt“. Da setzt die „Verhaltenstherapie“ an. Tiere werden praktisch durchweg nach diesem Konzept dressiert.

    Psychologen können mitunter psychische Prozess analysieren, typische Handlungsmuster erkennen und positiven Einfluss nehmen….

  80. @N:

    Und daraus ergibt sich, dass die Einteilung der menschlichen Natur durch Herrn Skinner in kopfgesteuert und triebgesteuert zu einfach ist.

    Skinner war radikaler Behaviorist. In diesem Paradigma bzw. schon Metaphysik ist der Mensch komplett durch die Umwelt determiniert, nämlich durch verschiedene Formen der Konditionierung die ab der Geburt beginnt. Skinner hätte menschliches Verhalten niemals in “kopf- vs. triebgesteuert” eingeteilt oder damit erklärt.

    Mentale Begriffe waren im radikalen Behaviorismus Tabu. Lebewesen und Menschen hätten keine intrinsischen Antriebe. Begriffe wie Denken, Kognition, Motivation, inner Antriebe, etc. sind hier bedeutungslos und dürfen zur Erklärung von Verhalten nicht herangezogen werden.

    Würde man dieses Paradigma immer noch ernst nehmen, so müsste man schlussfolgern dass Skinner nicht zu einem der berühmtesten Psychologen der Geschichte wurde weil er motiviert war Forschung zu betreiben, sondern weil äußere Umstände ihn darauf hinkonditioniert haben.

    Deshalb gibt es für Skinner auch keinen “freien Willen” oder “Willensfreiheit”. Wille ist ein mentaler Begriff, ein philosophischer, der auf einen inneren Antrieb oder eine Quelle im Lebewesen abzielt. Sowas gab es für Skinner nicht. Das Ziel war die Psychologie quantitativ aufzuziehen. Nur wurde damit das Kernstück der Psychologie, also die “Psyche”, gleich mit aus dem Fenster geworfen.

  81. Philipp,
    Aussage von Sinner
    “Die alternative Sichtweise besteht darauf, Zwangskräfte im menschlichen Verhalten anzuerkennen, die wir lieber ignorieren würden”
    Damit gibt Sinner zu, dass es Zwangskräfte gibt (Ich habe mir erlaubt , sie als triebgesteuert zu bezeichnen)
    Der Behaviorismus betrachtet nur das Verhalten, so wie die Naturwissenswchaftler nur die Naturgesetzlichkeiten gelten lassen, aber das ist nur eine Methode des Denkens, keine letzte Wahrheit.

    Um mal wieder Boden unter dir Füß zu berkommen. Ein Lehrer betrachtet und bewertet hauptsächlich auch nur das Verhalten und macht sich weniger Gedanken über den psychischen Hintergrund. Lehrerinnen sind dazu eher bereit.

    Zum Abschluss die Meinung einer Frau:
    “Wer an die Freiheit des menschlichen Willens glaubt hat nie geliebt und nie gehaßt.” Marie von Ebner-Eschenbach

  82. Mit “Zwangskräfte” meinte Skinner wahrscheinlich Faktoren aus der Umwelt und ganz sicher keine intrinsischen Komponenten die im Lebewesen bzw. Menschen selbst entspringen! Deshalb sollte ja auch “der Wille” laut ihm in seiner Aussage gehen…

    Und der radikale Behaviorismus war NICHT nur eine methodologische Strategie zur psychologischen Erforschung des menschlichen Verhaltens, sondern er meinte das alles auch im ontologischen Sinne. Siehe u.a. auch Skinners “Walden Two” oder “Beyond Freedom and Dignity”.

  83. @Stephan // Sprache & Gehirn

    Dank @Elektronikers letztem Kommentar ist mir aufgefallen, dass ich hierauf noch nicht reagiert habe:

    »Die These, dass wir uns mit der psychologischen und neurowissenschaftlichen Sprache aufs Selbe beziehen, scheitert ja schon daran, dass wir mit Letzterer so gut wie nichts Wesentliches über uns und andere aussagen können.«

    Ich bezweifle, dass es eine solche These überhaupt gibt, die psychologische und neurowissenschaftliche Sprache beziehen sich definitiv nicht aufs Selbe.

    Neurowissenschaft und Psychologie haben unterschiedliche Gegenstandsbereiche und versuchen somit, unterschiedliche Fragen zu beantworten.

    Das heißt, die Neurowissenschaft stellt andere Fragen an den Untersuchungsgegenstand Gehirn als die Psychologie, die das Gehirn ohne großen Verlust als Black Box betrachten und sich voll und ganz mit den sichtbar werdenden Leistungen dieser Black Box beschäftigen kann.

    Anders formuliert: die Neurowissenschaft beschäftigt sich mit den Strukturen und Funktionen der Black Box, die Psychologie hingegen mit dem, was aus der Black Box an Informationen herauskommt.

  84. @ Philipp

    “…sondern er meinte das alles auch im ontologischen Sinne.”

    Warum hat er dann das Wort Konditionierung nicht auch aus dem Fenster geworfen? Worin besteht bei Skinner der Unterschied zwischen einem postulierten Willen, den er ablehnt und einer postulierten Konditionierung, die er nach Ihrer Aussage auch ontologisch versteht?

  85. @Balanus:

    “Anders formuliert: die Neurowissenschaft beschäftigt sich mit den Strukturen und Funktionen der Black Box, die Psychologie hingegen mit dem, was aus der Black Box an Informationen herauskommt.”

    Bedeutet das, dass die Neurowissenschaft nur untersucht, wie Elektrizität durch das Hirn fließt, egal warum? Natürlich nicht. Sie bezieht sich von vornherein auf das Verhalten, mit dem sie ihre Ergebnisse korreliert. Ansonsten wäre ihr Tun sinnlos.

    Die Psychologie beschäftigt sich mit dem Verhalten (und versucht als Tiefenpsychologie das Erleben zu ergründen).

    Beide haben also denselben Gegenstand, sie versuchen ihn nur mit anderen Mitteln zu erklären. Der Gegenstand ist der Mensch, insbesondere sein Gehirn bzw. seine Psyche.

  86. @N: zu Skinner

    Behavior als Ausgangspunkt für Psychologie zu nehmen ist bequem, aber auch praktisch.

    Eine zentrale Frage ist, was man denn sonst zum Ausgangspunkt nehmen soll?!

    … in kopfgesteuert und triebgesteuert zu einfach …

    Dabei hätte ich jetzt eher an Freud als an Skinner gedacht.

  87. @Philipp: zu Skinner

    Skinner war radikaler Behaviorist.

    Radikaler? Oder konsequenter?

    … ist der Mensch komplett durch die Umwelt determiniert …

    Aber was ein Mensch als Belohnung erfährt, z.B. bei Durst zu trinken, bei Hunger zu essen, dürfte aber schon auch eine intrinsische Komponente haben, oder? Wahrscheinlich hätte die Spezies ohne solche – nennen wir es Triebe? – gar nicht überlebt. Warum sollte dann z.B. ein Baby an der Brust der Mutter saugen?

    Begriffe wie Denken, Kognition, Motivation, inner Antriebe, etc. sind hier bedeutungslos und dürfen zur Erklärung von Verhalten nicht herangezogen werden.

    Hmm, teils: Da würde ich doch nochmal einen Blick in z.B. Skinners Hauptwerk, Science and Human Behavior von 1953, empfehlen: Gerade gestern las ich das Kapitel “Thinking”, heute – halte dich fest – das übers “Self”. Skinner diskutiert darin sogar private (innere) Zustände.

    Ein Behaviorist muss ja auch irgendwie annehmen, dass z.B. bei einer instrumentellen Konditionierung der innere Zustand des Organismus verändert wird, anders könnte es gar kein Lernen geben (und instr. Konditionieren ist ein Lernvorgang). Man soll eben vor allem nicht äußeres Verhalten durch die Annahme innerer Zustände erklären wollen, für die es sonst keine unabhängige Bestätigung gibt.

  88. Warum hat er dann das Wort Konditionierung nicht auch aus dem Fenster geworfen? Worin besteht bei Skinner der Unterschied zwischen einem postulierten Willen, den er ablehnt und einer postulierten Konditionierung, die er nach Ihrer Aussage auch ontologisch versteht?

    Weil Konditionierung durch Umweltstimuli geschieht. Es ist extrinsisch induziert und nicht durch intrinsische Aktivität im Organismus realisiert.

    Beispielsweise die Psychoanalyse stand mit ihren inneren Trieben daher dem Behaviorimus entgegen. Ebenfalls die vergleichende Verhaltensforschung (Ethologie) von Konrand Lorenz, Erich von Holst und co. Letztere konnte sich nur damals gegen den US-Amerikanischen Mainstream (eben den Behaviorismus) durchsetzen der nach dem zweiten Weltkrieg die Psychologie dominierte.

  89. @Balanus: Sprachen und Ihre Gegenstände

    Neurowissenschaft und Psychologie haben unterschiedliche Gegenstandsbereiche und versuchen somit, unterschiedliche Fragen zu beantworten.

    Gut, dass du endlich einmal einräumst, dass sowohl Reduktionismus als auch Naturalismus falsch sind.

    Das hat ja “nur” fünfzehn(?) Jahre gedauert.

  90. Letztere konnte sich nur damals NICHT gegen den US-Amerikanischen Mainstream (eben den Behaviorismus) durchsetzen der nach dem zweiten Weltkrieg die Psychologie dominierte.

    Entschuldigung, ich habe das Wort NICHT hier vergessen. 🙂

  91. @Stephan:

    Radikaler? Oder konsequenter?

    “Radikaler” ist die “offizielle” Bezeichnung dieser Form des Behaviorismus. Ich verwende das Wort radikal deswegen, nicht weil ich persönlich etwas damit unterstreichen möchte. Es gab ja zig Ausdifferenzierungen des Behaviorismus. 😉

  92. @ Philipps

    “Weil Konditionierung durch Umweltstimuli geschieht.”

    Geraten wir dabei nicht in einen infiniten Regreß oder in einen Zirkel? Denn was ist Umwelt? Wird die Umwelt nicht durch Menschen geformt, die wiederum konditioniert sind?

  93. P.S. @Philipp, all: kurz noch zu Skinner (in Eile)

    Eine Tatsache wie

    [1] Stephan schenkte sich Tee ein

    kann eben schlicht durch eine Aussage wie

    [2] Stephan wollte Tee trinken

    nicht wissenschaftlich erklärt werden.

    Noch Problematischer wäre es, aus Sätzen wie [2] auf die Existenz eines metaphysischen Willens schließen zu wollen, einer Art Person in der Person, die Entscheidungen trifft.

  94. Dietmar,

    der Behaviorismus gerät an allen möglichen Stellen in theoretische Erklärungsprobleme bzw. Erklärungsnot. Natürlich haben ihn auch empirische Befunde aus der Psychologie und aus den Neurowissenschaften bzw. aus der Biologie widerlegt.

    Das Thema ist uralt und nur noch von wissenschaftshistorischem Interesse.
    Es macht daher keinen Sinn hier jetzt die Probleme des Behaviorismus zu diskutieren.

  95. P.P.S. @Philipp: radikaler usw. Behaviorismus

    Weder in Skinners Hauptwerk Science and Human Behavior noch in seiner späteren Aufsatzsammlung Beyond Freedom and Dignity steht irgendwo das Wort “radikal”.

    Bei solchen Zuschreibungen durch andere muss man aufpassen. Diskutieren wir es ein anderes Mal weiter. Ich muss los.

  96. Mache es bitte doch nicht komplizierter als es ist, Stephan.

    Natürlich hat Skinner seine Position selbst nicht radikal genannt. Die wenigsten Menschen würden ihre eigene Position als radikal bezeichnen.

    Es ist aber allgemein bekannt dass dieser “Skinner Behaviorismus” eben radical behaviorism genannt wird. Ich dachte jedem sei klar was ich meine wenn ich gängige Begriffe nutze.

    Was ich persönlich von den Begriffen halte ist dabei nicht von Interesse.

  97. @ Stephan Schleim

    Ein Stephan, der sich dabei beobachtet, wie er sich Tee einschenkt ohne es gewollt zu haben, scheint aber auch ein Stephan zu sein, der von sich abgespalten ist. Also auch ein Stephan im Stephan. 🙂

  98. @ Schleim

    “Mit “Zwangskräfte” ist hier wohl schlich unser Streben nach Belohnung oder Vermeiden von Strafe gemeint.”

    Ein solches Konzept wäre dann natürlich abzulehnen, da damit ein eigenverantwortliches Handeln nicht mehr möglich ist. Es würde uns zu bloßen Sklaven eines Herrschaftssystems machen, das belohnt und bestraft.

  99. Stephan Schleim
    “eine Tatsache wie …………….. ” Anmerkung , was jetzt folgt wird in der christlichen Welt als Pfingstereignis bezeichnet und als Pfingstfest gefeiert.

    Als der Pfingsttag gekommen war, befanden sich alle am gleichen Ort.
    Apg 2,2 Da kam plötzlich vom Himmel her ein Brausen, wie wenn ein heftiger Sturm daherfährt, und erfüllte das ganze Haus, in dem sie waren.
    Apg 2,3 Und es erschienen ihnen Zungen wie von Feuer, die sich verteilten; auf jeden von ihnen ließ sich eine nieder.
    Apg 2,4 Alle wurden mit dem Heiligen Geist erfüllt und begannen, in fremden Sprachen zu reden, wie es der Geist ihnen eingab.
    Apg 2,5 In Jerusalem aber wohnten Juden, fromme Männer aus allen Völkern unter dem Himmel.
    Apg 2,6 Als sich das Getöse erhob, strömte die Menge zusammen und war ganz bestürzt; denn jeder hörte sie in seiner Sprache reden.

    Die Christen glauben an die Existenz eines metaphysischen Willens.
    Und mit 2 Milliarden Christen auf der Erde sind die schon mal zahlenmäßig ein schwerwiegendes Argument.

  100. Dietmar Hilsebein
    Betreff: Belohnung und Strafe

    “Ein solches Konzept wäre dann natürlich abzulehnen, da damit ein eigenverantwortliches Handeln nicht mehr möglich ist. Es würde uns zu bloßen Sklaven eines Herrschaftssystems machen, das belohnt und bestraft.

    Tatsächlich beruht unser Wirtschaftssystem auf dem Prinzip von Lohn und Strafe.
    Es heißt nur nicht so.
    Wenn der Arbeiter nicht will, wird er nicht sofort bestraft, er wird nur entlassen.
    Das Belohnungssystem nennt sich Stücklohn, je mehr man erntet, desto mehr verdient man.
    Verwerflich ?

  101. @ N.

    Bei Ihren Ausführungen handelt es sich aber nicht um ein Streben danach.

  102. Dietmar Hilsebein
    Philipp verwendet die Begriffe externe und interne Konditionierung.
    So als ob die sich so einfach unterscheiden ließen. Tatsächlich ist unser Verhalten ein Wechselspiel zwischen Vor – und Nachteilen, wir beziehen ja bei unseren Entscheidungen die Reaktionen der Umwelt mit ein.

    Für den Betroffenen ist nicht unterscheidbar, ob er/sie extern konditioniert ist (z.B. durch Erziehung) oder ob seine Willensentscheidung eine eigene Entscheidung ist also intern.
    Man denke an eine schwangere Frau, die sich entscheiden muss, ob sie die Schwangerschaft abbrechen muss, weil bei ihr Krebs diagnostiziert wurde, und stattdessen eine Krebsbehandlung durchführt.

    Diese Entscheidung nimmt ihr niemand ab. Es geht um ihr Leben.
    Und bei dieser Entscheidung handelt sich um eine freie(autonome) Willensentscheidung, es geht um ihr Leben !!

    Und diese Frau hat noch nie etwas von Philosophie gehört oder von Psychologie , sie ist noch ein unbeschriebenes Blatt..

    Wenn sie aber religiös ist, dann hat sie eine Richtlinie, und niemand kann beweisen, dass hier kein Wunder geschieht.

  103. @N:

    Philipp verwendet die Begriffe externe und interne Konditionierung.
    So als ob die sich so einfach unterscheiden ließen. Tatsächlich ist unser Verhalten ein Wechselspiel zwischen Vor – und Nachteilen, wir beziehen ja bei unseren Entscheidungen die Reaktionen der Umwelt mit ein.

    Nein, ich habe nirgendwo von “externer” vs. “interner” Konditionierung gesprochen. Es gibt die klassische und die operante Konditionierung und die lassen sich weiter in Unterformen aufteilen.

    Ich habe geschrieben dass der klassische Behaviorismus von damals nicht von intrinsischen Antrieben in Lebewesen ausgeht bzw. diese negiert. Er verwendet daher auch kein kognitives oder mentales Begriffsinventar. Von intrinsischer vs. extrinsischer Konditionierung sprach ich nie.

    Im übrigen ist das alles nicht meine Position. Mein erster Beitrag in diesem Blog galt ursprünglich nur ihrer Aussage dass Skinner von Antrieben oder so sprechen würde. Ich bezog mich also nur darauf wie damals so argumentiert und gedacht wurde und nicht auf meine Ansichten.

    Bitte genauer lesen und weniger reininterpretieren.

  104. @Philipp: Genauigkeit

    Vielleicht mache ich es gerade weniger kompliziert, indem versuche, Skinners Ansatz korrekter darzustellen – und nicht nur die vielen Vorurteile darüber.

    Ist dir bekannt, wie verfälscht Skinner immer wieder dargestellt wurde und wird? Z.B. verwechselte schon Chomsky in seiner vernichtenden Kritik an Verbal Behavior immer wieder Skinner mit anderen Behavioristen (z.B. Watson).

    Ich habe gerade mal die Diss. von L. D. Smith (1983), BEHAVIORISM AND LOGICAL POSITIVISM: A REVISED ACCOUNT OF THE ALLIANCE, durchsucht (ca. 680 Schreibmaschinenseiten). Kapitel 9 trägt den Titel: “B. F, SKINNER: RADICAL BEHAVIORIST PSYCHOLOGY OF SCIENCE”.

    Wenn man nach einer Erklärung sucht, was an seinem Ansatz “radikal” gewesen sein soll, wird man enttäuscht. Das wird wirklich an keiner einzigen Stelle erklärt. Die Bezeichnung wird allein von Ernst Machs “radikalem Empirismus” hergeleitet.

    An anderer Stelle ist dann auf einmal von “James’s radical empiricism or Mach’s experiential posi­tivism” (p. 429).

    Also wenn dich die Tatsache, dass diese Radikalisierung von Skinners Lehre durch Dritte und in sehr fragwürdiger Weise vorgenommen wurde, nicht interessiert, dann kann ich daraus nur schließen, dass dich Skinners Ansatz nicht interessiert.

  105. Also wenn dich die Tatsache, dass diese Radikalisierung von Skinners Lehre durch Dritte und in sehr fragwürdiger Weise vorgenommen wurde, nicht interessiert, dann kann ich daraus nur schließen, dass dich Skinners Ansatz nicht interessiert.

    Ach Gott, dann triffst du eben falsche Schlussfolgerungen über mich. Mich interessiert dieser Aspekt in der Diskussion hier absolut nicht, richtig, denn er ist völlig nebensächlich. Ich habe keine Zeit und Lust auch noch über Begriffe des Behaviorismus zu diskutieren wenn es um den freien Willen geht.

    Skinner habe ich im Original selbst gelesen, soviel dazu. Im übrigen trifft der Begriff “radikal” seine Position aus meiner Sicht sogar gut. Der US-Amerikanische Behaviorismus von Leuten wie Watson und Skinner hat den Fortschritt der Psychologie aus meiner Sicht insgesamt mehr blockiert als wirklich vorangebracht. Das ganze Paradigma war sehr radikal und einseitig. Und ja, ich weiß auch dass Skinner über das Selbst geschrieben hat. Alles alte Kamellen. Auch Wissenschaftler können eben voll von Widersprüchen sein.

    Die Nachwehen des Behaviorismus sieht man heute selbst noch im Kognitivismus, z.B. in den kognitiven Neurowissenschaften, die alle Angst vor Subjektivität haben und denen behaviorale Daten wichtiger sind. Quasi kognitive Behavioristen, so wie es sie damals als der Behaviorismus schon unterging wirklich gab…

  106. Philipp
    Danke für die ausführliche Richtigstellung.

    Wer hat das Mißverständnis ausgelöst ? Das war Skinner als Negativbeispiel, weil der nur gelten lassen will, was sich beweisen lässt.
    Aber auch Negativbeispiele bringen uns weiter.
    Wenn man also intrinsische Motive ausschließt, lässt sich die Frage nach dem freien Willen gar nicht mehr sinnvoll bearbeiten.

    Und jetzt wage ich wieder eine Interpretation. Herr Schleim geht es darum, dass intrinsische Motive sich nicht vollständig zurückverfolgen lassen und damit determinieren lassen.
    Das ist auch mein Standpunkt, die Stunde der Wahrheit kommt erst, wenn es um Leben und Tod geht, wenn man Farbe bekennen muss.
    Z.B. eine Schwangere, die sich entscheiden muss ihr Kind auszutragen oder mit einer Krebstherapie die Schwangerschaft abzubrechen.
    Erst jetzt zeigt sich der freie Wille.

    Und wer jetzt dieser Schwangeren den freien Willen abspricht, der beleidigt sie.

  107. @Philipp: radikaler Behaviorismus

    Ich muss mich korrigieren: Skinner verwendete die Bezeichnung selbst erstmals 1945, doch dann erst wieder 1957. Ab den 1960ern bürgerte sie sich in der Psychologie ein. Trotzdem komisch, dass sie in den Hauptwerken von 1953 und 1971 nicht verwendet wird.

    Schneider, S. M., & Morris, E. K. (1987). A history of the term radical behaviorism: From Watson to Skinner. The Behavior Analyst, 10, 27-39.

    Wie dem auch sei: Es ging hier ja um das kritische Hinterfragen “mentalistischer Begriffe”. Wie “radikal” das ist, möge jeder für sich selbst beurteilen. Aufgrund der politischen Konnotation halte ich die Bezeichnung für nicht so geschickt. Ich finde daher “konsequenter Behaviorismus” besser.

  108. @Hilsebein: (Selbst-) Beobachtung

    Ein Stephan, der sich dabei beobachtet, wie er sich Tee einschenkt ohne es gewollt zu haben, scheint aber auch ein Stephan zu sein, der von sich abgespalten ist. Also auch ein Stephan im Stephan.

    Vielleicht ist es schlicht ein Stephan, der die Dinge in der Welt und sich selbst einmal durch eine andere als die herkömmliche kulturelle und begriffliche Brille wahrnehmen will?

  109. @Elektroniker // 03.09.24, 20:03

    » Bei den „Verlaufsgesetzen“ bekommen die Physiker wegen der schnell ausufernden Komplexität (die ist der ignorierte „unsichtbare Elefant“ in der „Stube“ der Physiker) oft Probleme. «

    Das mit dem „unsichtbaren Elefanten“ ist—mit Verlaub—sicherlich Quatsch.

    Stephan Schleim bringt die Rede auf „Verlaufsgesetze“ bestimmt (auch?) deshalb, weil es ja um die Willensfreiheit geht. Das heißt, mein augenblicklicher mentaler Zustand determiniert nicht meine zukünftigen willentlichen Entscheidungen.

    Das sehe ich genauso! Ich konnte das im Übrigen bei Stephan als bekannt voraussetzen (Stichwort: „random walk“, erläutert z.B. in einem ´Nature-Essay von Martin Heisenberg).

  110. Balanus
    “Das heißt, mein augenblicklicher mentaler Zustand determiniert nicht meine zukünftigen willentlichen Entscheidungen. ”

    Das kann so sein, meistens ist es aber nicht so. Dass Werbung so wirksam ist , beruht auf Beeinflussung. Und……der Käufer darf nicht merken, dass er beeinflusst wird und worden ist.

    Und… um es mal auf die Tierwelt zu projezieren, Vögel beeinflussen mit dem Balzen das Verhalten des Vogelweibchens.
    Hat das Vogelweibchen noch einen freien Willen, wenn das Männchen dominant balzt.

  111. „Emergenz“

    Dieser Begriff taucht im Zusammenhang mit den besonderen Systemeigenschaften des Gehirns (z.B. bewusstes Erleben) immer wieder auf. Er ist offenbar beliebt als Erklärungslückenfüller, insbesondere in der Philosophie des Geistes.

    Ich sehe das so: Entweder ist „Emergenz“ (1) all-überall und eine ganz normales Geschehen, das immer dann auftritt, wenn zwei oder mehrere Teile oder Teilchen beginnen, miteinander zu interagieren und ein System bilden, oder aber (2) es ist etwas Besonderes und nur dann relevant, wenn es um das Entstehen hochkomplexer Systeme geht, also etwa bei den Eigenschaften lebender Zellen.

    Im Falle von (1) erklärt der Begriff rein gar nichts, im Falle von (2) müsste begründet werden, warum es da eine Grenze gibt und wo diese denn zu verorten wäre.

    Dadurch, dass jeder mehrzelliger Organismus sich aus einer Einzelzelle heraus ausdifferenziert, entstehen zwangläufig hierarchisch organisierte Strukturen mit unterschiedlichen Funktionen und Eigenschaften.

    Bei manchen Spezies bleibt die Organisation der hierarchischen Strukturen nicht auf die Einheit des Individuums begrenzt, sondern es kommt zu Wechselwirkungen mit anderen Individuen: Die Entstehung von Sozialverbänden ist oder kann die Folge sein (Staatenbildung bei Insekten, Rudeln und Herden bei Säugern, Sozialsysteme beim Menschen).

    Was lernen wir daraus? Die diversen Organisationsstufen bauen aufeinander auf, und auf jeder gelten bestimmte Regeln, Begriffe, sprachliche Konventionen, die in der Sache, also dem Gegenstand der Untersuchung, begründet sind.

    Wenn zum Beispiel ein Bio-Doktorand das Sozialverhalten eines Wolfrudels untersuchen soll, dann wird der gewiss nicht über Knochen und Sehnen schreiben (allenfalls ganz am Rande).

    Noch etwas erscheint mir wichtig: Die Eigenschaften eines Systems mögen vielleicht nicht auf die Eigenschaften seiner Komponenten „reduziert“ werden können (@Stegemann), aber ohne Frage werden die Systemeigenschaften durch die Eigenschaften seiner Komponenten ermöglicht und auch bestimmt.

  112. @N // 08:40

    » Und……der Käufer darf nicht merken, dass er beeinflusst wird und worden ist. «

    Etwas „beeinflussen“ ist nicht „determinieren“.

  113. Balanus
    “Etwas „beeinflussen“ ist nicht „determinieren“.
    einverstanden.

    Da greift jetzt auch der Begriff Emergenz und durch ihn der Begriff der Wahrscheinlichkeit. Ab welchem Grad von Beeinflussung wird die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sich eine Person in einem gewünschten Maße verhält bzw. entscheidet ?

    Und……determinieren, das hört sich so mechanisch an, das suggeriert, dass wir wie eine elektronische Schaltung von 0 auf 1 springen können.
    Bleiben wir beim Sozialverhalten. Das wird beeinflusst vom mainstream einerseits aber auch von den Außenseitern andererseits.
    Daraus lässt sich ableiten, dass der philosophisch freie Wille in einem Sozialverband eine Ausnahme bleibt.

  114. @ Balanus 04.09.2024, 16:13 Uhr

    Der „unsichtbare Elefant“…. ist ein selbstironischer „Gag“ der Physiker, weil sie Probleme mit der (riesigen) Komplexität haben.

    Physiker beschäftigen sich mit dem „riesig Großen“ (Weltall) und dem „winzig Kleinen“ (Teilchen), aber die Komplexität (der „Elefant“), der steht „im Raum“ und wird „ignoriert“, obwohl sie die „Anwesenheit spüren“….

    Zitat: „Stephan Schleim bringt die Rede auf „Verlaufsgesetze“ bestimmt (auch?) deshalb, weil es ja um die Willensfreiheit geht. Das heißt, mein augenblicklicher mentaler Zustand determiniert nicht meine zukünftigen willentlichen Entscheidungen.“

    Das würde bedeuten, man kann überhaupt keine Vorhersagen über Straftäter machen, wie sie sich künftig verhalten werden.

    Dennoch sind Gerichtspsychiater angewiesen, Prognosen zu erstellen. Einerseits weil schwere Straftäter abgesondert werden müssen, andererseits nicht Tausende eher „harmlose Menschen“ nicht dauerhaft „eingesperrt“ werden können.

    Psychologen dürften „Verhaltensmuster“ und mittels Tests provozierte ermittelbare „Muster“ kennen, die zumindest statistisch, typisch für das künftige Verhalten sind, trotz gelegentlicher Fehler….

  115. Elektroniker
    “Dennoch sind Gerichtspsychiater angewiesen, Prognosen zu erstellen.”

    Und Lehrer wurden angewiesen die Eignung von Grundschülern für weiterführende Schulen anzugeben.

    Das hört sich vernünftig an, ist aber wirklich problematisch.
    Die Kultusminister sind da von einem Extrem ins andere gefallen.
    Wenn man Aussagen für die Eignung in weiterführende Schulen macht, dann haben die Schulen den Schwarzen Peter.
    Dann sitzen im Gymnasium 5.Klässler die mit hoher Wahrscheinlichkeit die 5. Klasse nicht überstehen.

    Macht man eine Bildungsempfehlung , dann können die weiterführenden Schulen planen.
    Der Nachteil, wenn Lehrer aus subjektiven Gründen die Bildungsempfehlung nicht geben dann ist der Schüler benachteiligt.

    Bei den Strafgefangenen ist das ähnlich. Bekommt einer eine gute Beurteilung wird ihm ein Teil der Strafe erlassen. Sinnvoll ja , gerecht ?
    und wenn es um Sicherungsverwahrung geht, da fehlt mir der direkte Zugang.

    Nur mal als Anregung.

  116. Korrektur: Es muss heißen, wenn man keine Aussagen für die Eignung in weiterführende Schulen macht…..

  117. @ Balanus 05.09.2024, 10:31 Uhr

    Zitat: „Dieser Begriff taucht im Zusammenhang mit den besonderen Systemeigenschaften des Gehirns (z.B. bewusstes Erleben) immer wieder auf. Er ist offenbar beliebt als Erklärungslückenfüller, insbesondere in der Philosophie des Geistes.“

    „Erklärungslückenfüller“ im Zusammenhang mit Emergenz ist gut. Der Begriff passt (fast) immer, selbst wenn der Sachverhalt nicht wirklich verstanden wird…..

    „Teilchen“ müssen nicht einmal interagieren. Sie müssen mindestens nur (ausreichend) in einem bestimmten Zusammenhang „da sein“. Auf einem Blatt Papier, auf der Netzhaut, auf einem „Strang“ (DNA),….

    Auf einem Blatt Papier oder der Netzhaut emergieren Bildpunkte zu einem Bild.

    Auf einem DNA Strang, oder einem Lochstreifen, oder einem Magnetband, oder der Netzhaut, oder einer geeigneten Datenstruktur der Informatik,…. können die „Informationseinheiten“ z.B. „Bildpunkte“ oder abstrakte „Muster“, mittels Wechselwirkungen komplexe Prozesse abbilden und steuern.

    Man kann allenfalls unterteilen in „banal“ (beim Bild), oder „anspruchsvoll“ (DNA).

    Aber eine nur einzelne „isolierte Informationseinheit“ ist „bedeutungslos“, im geeigneten Zusammenwirken entstehen Bedeutungen und die komplexesten Prozesse können gesteuert werden.

    Allenfalls spielen „Codes“ eine Rolle. Z.B. ASCII, oder DNA Codes….

    Was in der Informatik möglich scheint, kann auch für die Biologie gelten. Nicht unbedingt immer „grundsätzlich“, aber zumindest in Bereichen.

    Was Wechselwirkungen von Individuen, die Entstehung von Sozialverbänden, oder Beziehungen zwischen Eigenschaften eines Systems und Eigenschaften seiner Komponenten betrifft, sehe ich es so wie Sie.

    Natürlich ist klar, dass bestimmte Regeln, Begriffe, sprachliche Konventionen, …. gelten müssen.

  118. @Balanus: Emergenz

    Was lernen wir daraus? Die diversen Organisationsstufen bauen aufeinander auf, und auf jeder gelten bestimmte Regeln, Begriffe, sprachliche Konventionen, die in der Sache, also dem Gegenstand der Untersuchung, begründet sind.

    Das kann ich so stehenlassen.

    Wissenschaftstheoretisch (und auch ontologisch) relevant ist die Unterscheidung zwischen schwacher und starker Emergenz: Erstere besagt, dass man die neuen Eigenschaften prinzipiell durch Eigenschaften der tieferen Ebene (z.B. Physik) vollständig erklären kann; Letztere bestreitet das.

    Das ist vor allem für diejenigen relevant, die ein “vollständiges wissenschaftliches Weltbild” brauchen, um glücklich zu sein; also für Reduktionisten und Naturalisten.

  119. @ N 05.09.2024, 11:41 Uhr

    Gerichtspsychiater sind eigentlich Spezialisten für ihr Fachgebiet (Prognosen). Sie können sich in die „Gedankengänge“ ihrer „Kunden“ gut hineinversetzen.

    Lehrer sind es eher nicht, was Prognosen betrifft.

    Mir ist aufgefallen, übrigens in einem katholischen Internat, dass die schon vor rund 70 Jahren mit ihren „höchst raffinierte Lernmethoden“, heute würde man sagen, unter bewusster Nachahmung von KI Methoden (Mustererkennung – Mustersynthese), höchst erfolgreich waren.

    Wir Schüler wurden angehalten, bewusst und systematisch nach Mustern zu suchen und zu verarbeiten. Die „Intelligenzbestien“ unter den Schülern haben es „unterbewusst“ so gemacht und wussten selber nicht warum sie so „intelligent“ waren. Die „anderen“ Schüler haben es bald herausgefunden und verstanden, warum es so ist.

    Da wir auch zu intensivem Training angehalten wurden und auch regelmäßig und intensiv kontrolliert wurden, der Erzieher hatte den Nick „Schnüffler“, konnte einer gar nicht so blöd sein, nicht sein Abi zu schaffen….

    Ich frage mich höchstens, ob man ein bestimmter Typ sein muss, dass derartige Lernmethoden wirksam und auch auszuhalten sind?

    Werden Schüler einfach sich selbst überlassen, dann wird’s nichts mit dem Abi….

  120. @Balanus

    Emergenz bedeutet nichts anderes, als dass aus einfachen Teilen mitunter vollkommen neue Dinge und Regeln entstehen. Der Begriff hilft als Erklärung dafür, dass etwa im Gehirn plötzlich Eigenschaften auftauchen, die in den Einzelteilen nicht vorhanden sind. Die Physikalisten fragen oft, wie kann es sein, dass aus Materie Geist wird. Emergenz bietet eine Erklärung. Man muss also nicht fragen, warum Neuronen Bewusstsein hervorbringen, weil es dafür keine physikalische Erklärung gibt. Es ist halt so. Wir können nur zur Kenntnis nehmen, dass Bewusstsein existiert, können es aber nicht linear auf die Tätigkeit von Neuronen zurückführen, etwa nach dem Muster, x Neuronen + 1 = x Bewusstsein + 1, obwohl die Neuronen dafür (mit-) verantwortlich sind, dass es Bewusstsein gibt.

  121. Wolfgang Stegemann
    ” Man muss also nicht fragen, warum Neuronen Bewusstsein hervorbringen, weil es dafür keine physikalische Erklärung gibt.”
    Es gibt eine sprachliche Erklärung dafür.
    Wenn es für eine Sache keinen Begriff gibt, dann gibt es die Sache auch nicht.
    Als Beispiel die Radioaktivität, die erst um 1896 von Bequerel entdeckt wurde. vorher gab es sie nicht.
    Meine Erklärung, mehr Neuronen erlauben eine differenzierte Betrachtung von Welt und damit auch mehr Bewusstsein. So etwa hast du es ja auch gesagt.

  122. Elektroniker
    “Ich frage mich höchstens, ob man ein bestimmter Typ sein muss, dass derartige Lernmethoden wirksam und auch auszuhalten sind?”
    Vielleicht war der Lehrer auch bei der Stasi und hat schon mal für Nachwuchs gesorgt.
    Frauen sind übrigens bei Mustererkennung den Männern überlegen.
    Wenn du gewaschen bist und vielleicht sogar noch Rasierwasser genommen hast (sehr verdächtig) dann steckt da eine Frau dahinter.

  123. @N

    “mehr Neuronen erlauben eine differenzierte Betrachtung von Welt und damit auch mehr Bewusstsein. So etwa hast du es ja auch gesagt.”

    Eben nicht. Bewusstsein als emergentes Phänomen ist ein ontologischer Zustand bzw. eine Eigenschaft. Entweder sie ist da oder nicht. Sie ist ontologisch nicht quantifizierbar.
    In diesem Zusammenhang wäre die Frage interessant, was die Minimalbedingungen für Bewusstsein sind.

  124. Wolfgang Stegemann,
    solche Mißverständnisse sind erleuchtend.
    Wenn man Bewusstsein als einen Zustand betrachtet wie Fitness, dann haben sie Recht.
    Wenn man Bewusstsein um das Selbstbewusstsein erweitert, dann spielen auch die Überzeugungen, die Einsichten, die Erfahrungen und letztlich auch der Glaube mit hinein. Und die sind ontologisch nicht fassbar.
    Du sagst lapidar Bewusstsein ist ein Zustand der nicht quantifizierbar sei. Damit umgehst du die Frage, womit denn das “Bewusstsein” gefüllt ist. Ein Irrer kann sehr wohl ein starkes Bewusstsein haben. Aber wo bleibt dann die Abgrenzung zu einem vernünftigen pflichtbewussten Menschen. Wo verortest du die seelische Befindlichkeit des Menschen ?

  125. @ Wolfgang Stegemann 05.09.2024, 16:40 Uhr

    Zitat: „Die Physikalisten fragen oft, wie kann es sein, dass aus Materie Geist wird.“

    Wenn sich z.B. „Materie“ auf irgend eine Art „verändert“ (Farbe, Größe, Art, Zeit abhängig,….) und dies „interpretiert“ wird (von einem Menschen, einem biologischen oder technischen System,…) entsteht „Information“, also „Geistiges“.

    Selbst die Evolution hat ein System der „Informationsverarbeitung“ (DNA Konzept) „entwickelt“. Das dürfte erst in seiner ganzen Tragweite so richtig verstanden worden sein, nachdem S. Morse sein „Telegraphensystem“ entwickelt hat.

    Die Informatiker machen das systematisch und haben z.B. „Codes“ entwickelt, dass jeder Prozess, jede Eigenschaft, …. praktisch alles informell „abgebildet“ (im Sinne der Mathematik) werden kann.

    Für das „Phänomenale Bewusstsein” (Phenomenal Consciousness) auch „Empfindungen“ des Bewusstseins (Qualia), gibt es noch keine bewiesene physikalische Erklärung. Vermutlich entsteht es an einer „Empfindungssensorik“, z.B. den Zapfen und Stäbchen im Auge, die auch selbst, oder im Zusammenwirken mit “Partnerzellen“ auch elektrisch Signale zur Auswertung im neuronalen Netz erzeugen.

    Für das „Zugriffsbewusstsein“ (Access Consciousness) gibt es sehr wohl Erklärungen. Es kann auch in KI Systemen “nachgeahmt” werden.
    Es hat mit systematischen „Bindungen“ im Sinne von W. Singers „Assembly Konzept“ zu tun.

    Derartige „Bindungen“ können an hautartigen Schichten, z.B. Netzhaut entstehen, oder wenn in bestimmten Bereichen im Gehirn gleichzeitig, in einer Art „Vielfach“ „Hirnwellen“ aktiv werden, und wie z.B. an der Netzhaut, ein definierter örtlicher und zeitlicher Zusammenhang entsteht….

  126. @N:

    Man muss unterscheiden, worüber man spricht. Spricht man über die Entstehung des Bewusstseins im Laufe der Evolution, spricht man über Bewusstsein als Eigenschaft von Lebewesen mit Nervensystem (ich weiß, manche meinen, Bewusstsein sei eine Eigenschaft des Universums), spricht man über den medizinischen Bewusstseinsbegriff (bewusst – bewusstlos) oder über den psychologischen (bewusst – unterbewusst) oder über den philosophischen (was ist Bewusstsein) oder über einen ontologischen Zustand oder über Inhalte, die bewusst werden, z.B. gesellschaftliche Bedeutungen, etc.pp.
    Was man nicht machen sollte, ist, alles durcheinander zu werfen. Sonst wirds chaotisch und keiner weiß mehr, um was es geht.

  127. @Elektroniker:

    Ein Organismus prozessiert nicht (input – output), sondern er wird erregt. Das ist ein vollkommen anderes Prinzip, als eine Maschine. Von daher ist Denken und Empfinden dasselbe, nur mit dem Fokus auf unterschiedlichen Aspekten.
    Deshalb ist auch die Vorstellung, neuronale Netze könnten Empfindungen generieren, m.E. eine Illusion. Es braucht dafür einen Körper als ‘Projektionsfläche’ und ein vermittelndes System, wie das neuroendokrine System.

  128. @Wolfgang Stegemann
    (04.09.2024, 10:15)

    » Bedeutet das, dass die Neurowissenschaft nur untersucht, wie Elektrizität durch das Hirn fließt, egal warum? «

    Nein, natürlich nicht!

    Auch wenn sich das Gehirn vor allem mit sich selbst beschäftigt, so ist die Verarbeitung des sensorischen Inputs sowie die Generierung eines Outputs für uns von ganz besonderem Interesse.

    Aber das ist Teil der von mir angesprochenen „Funktionen“ (Hirnfunktionen), mit denen sich die Neurowissenschaft, nicht aber die Psychologie, beschäftigt. Der Funktions-Begriff bezieht sich auf das Organ als Ganzes und steht notwendigerweise in einem engen Zusammenhang mit den beobachtbaren Verhaltensäußerungen (für die sich speziell die Psychologen zuständig fühlen).

    » Beide [Neurowissenschaft und Psychologie] haben also denselben Gegenstand, sie versuchen ihn nur mit anderen Mitteln zu erklären. «

    Eben nicht! Beiden Disziplinen liegt ein und dasselbe Organ zugrunde, das ja, klar, unbestritten, aber, ich wiederhole mich, den Psychologen kann egal sein, was im Gehirn genau vor sich geht, wenn gedacht und gehandelt wird, oder wenn eine Person deprimiert ist, kurz, wie es als Organ funktioniert. Dort wird nicht nach “Erklärungen” für Verhalten gesucht. Der Neurowissenschaftler hingegen fragt nach dem hirnorganischen Ursprung für Verhalten, wie das alles funktional zusammenhängt.

    (Nebenbei: Es soll Psychologen (und sicher auch einige Philosophen und Theologen) geben, die glatt weg bestreiten, dass Verhalten vom Gehirn aus gesteuert wird, sie sehen es eher umgekehrt: erst wenn gedacht, gehandelt, und/oder gefühlt wird, beginnt es im Hirn zu funken.)

    Man sieht, die wesentlichen Fragestellungen von Psychologie und Neurowissenschaft könnten unterscheidlicher kaum sein.

  129. @Wolfgang Stegemann

    » Ein Organismus prozessiert nicht (input – output), sondern er wird erregt. «

    Das, was ihn erregt, kann mit recht „Input“ genannt werden, denn es ist ein Reiz von außen, der intern zu Zustandsveränderungen führen kann, welche dann Verhaltensänderungen bewirken können, wofür wir gerne den naheliegenden Begriff „Output“ verwenden. Es sind halt Metaphern, um die realen biochemischen und physiologischen Vorgänge und Prozesse im Organismus anschaulich zu machen.

  130. @Balanus:

    Das ist genau das Problem, dass man meint, man hätte unterschiedliche Gegenstände. Das ist der Grund, warum der (ganzheitliche) Gegenstand Mensch zergliedert wird uns es am Ende wieder auf diesen bekannten Dualismus hinausläuft.

    Ob man Reize als input und Bewegung als output bezeichnet, spielt hier gar keine Rolle. Mir ging es um die unterschiedlichen Prinzipien von Organismus und Maschine.
    Solange man diesen Unterschied nicht anerkennt (!!??!!), wird man das Hirn nicht verstehen.
    Zum besseren Verständnis: ich rede hier nicht von biophysikalischen Untersuchungen und Erkenntnissen. Die spielen für das Verständnis, was Bewusstsein ist, keine vordergründige Rolle. Ähnliches gilt für den freien Willen.

  131. @ Wolfgang Stegemann

    Maschine und Organismus haben eines gemeinsam: in beiden Fällen handelt es sich um rein materielle Körper. Das ist das Problem.

    Wenn also das Materielle keinen wesentlichen Unterschied zwischen Organismus und Maschine begründet, was dann? „Unterschiedliche Prinzipien“? Woher kommen die? Doch wohl von den „unterschiedlichen Gegenständen“, die diese beiden Gegenstände konstituieren—und wie diese unterschiedlichen Gegenstände zusammenspielen und zusammenwirken. Darin liegt aus meiner Sicht der Schlüssel zum Verständnis von „Bewusstsein“, verstanden als „sich seiner Existenz gewahr sein“.

    Ich denke, damit sind unsere beiden unterschiedlichen Positionen ziemlich geklärt, finden Sie nicht auch?

  132. @ Balanus
    @Wolfgang Stegemann

    Der Unterschied zwischen biologischen und technischen Information verarbeitenden Maschinen ist doch ganz einfach.

    Biologische Maschinen sind zusätzlich zu Empfindungen fähig. Wegen der Orgasmus Empfindungen bekommen sie die „Motivation“ sich zu vermehren, wegen der Empfindung von Hunger, die „Motivation“ sich zu ernähren……

    Die Sensorik befähigt Systeme Information auf zu nehmen. Die Boolsche Algebra ist Grundlage der Verarbeitung von Information. Die Motorik kann Handlungen ausführen.

    Es gibt in der Biologie keine „strenge“ Boolsche Algebra. Die UND Gatterschaltungen (Neuronen), triggern bei einer „qualifizierten Mehrheit“ von Information abbildenden Eingangssignalen.

    Bedeutet, die Ergebnisse der „Berechnungen“ sind nicht immer gleich wie bei Computersystemen, sondern können stark unterschiedlich sein.

    Wie z.B. dann, wenn 3 Verwaltungsjuristen zu 4 Rechtsmeinungen kommen können….

  133. @Balanus:

    Nein, finde ich überhaupt nicht. Ich glaube, ich weiß jetzt, wo es hakt. Für mich besteht zwischen Naturalismus und Reduktionismus ein entscheidender Unterschied. Ein biologisches System muss hinreichend biologisch beschreibbar sein, ohne Metaphysik, aöso naturalistisch Das bedeutet nicht, dass man aus einer anderen Perspektive (Psychologie, Soziologie, Ökonomie, etc.) nicht auch andere Aspekte beschreiben kann, die ebenso wichtig sind.

    Reduktionismus hingegen reduziert den Organismus auf Physik. Die Physik kann aber Leben nicht hinreichend beschreiben, denn sie hat dafür keine Begriffe.
    Warum? Leben ist von vornherein nur als (autokatalytisches) System zu verstehen. Ein einzelnes Molekül (welches von der Biophysik beschrieben werden kann) kann Leben nicht repräsentieren. Reduziere ich Leben also auf seine Einzelteile, kann ich es nicht verstehen. Auf diesem Wege komme ich dann automatisch zu metaphysischen Überlegungen, die mir helfen sollen, die Lücke zu schließen.
    Wenn also von Ganzheitlichkeit die Rede ist, ist nichts metaphysisches gemeint, sondern die banale Tatsache, dass es sich bei Leben nicht um die Zusammensetzung von Einzelteilen handelt, sondern um ein autokatalytisches System. Leben ist System.
    Und genau hier liegt der entscheidende Unterschied zur Maschine. Daher kann man Maschinen in keiner Weise mit Organismen vergleichen.

  134. To explain an action is, broadly speaking, to give a truthful answer to the question of why the action was done (performed, undertaken). (G. H. von Wright, 1980)*

    Dieses Zitat lässt sich schön auf die Frage “Warum sitzt Sokrates im Gefängnis?” beziehen.

    Schon was ein Gefängnis ist, lässt sich nicht rein physiologisch/neurowissenschaftlich/physikalisch beschreiben – insofern ist es auch nicht verwunderlich, doch vielleicht anschaulich, dass auch die Warum-Frage nicht so beantwortet werden kann.

    * Deutsch: “Eine Handlung zu erklären bedeutet im Großen und Ganzen, eine wahrheitsgemäße Antwort auf die Frage zu geben, warum die Handlung getan (ausgeführt, unternommen) wurde.”

  135. Wolfgang Stegemann,
    “Was man nicht machen sollte, ist, alles durcheinander zu werfen. Sonst wirds chaotisch und keiner weiß mehr, um was es geht.”

    Carpe Diem, darum geht es. Die Warum Frage ist gestellt, warum lebe ich, warum tue ich dies, und tue das nicht.

    Mein Bewusstsein beschäftigt sich damit oder kürzer formuliert, ich beschäftige mich damit. Und dabei gibt es keine Unterscheidung ob Maschine, ob Philosophie ob Psychologie. Es geht um die Wurst, es geht um Entscheidungen.

  136. Joker
    jetzt wird es tiefgründig.
    carpe diem wurde genannt, sed memento mori wird hiermit ergänzt.

  137. @Stegemann

    OK, ich hatte befürchtet, die Diskussion würde für Sie nervig. Schön, dass das nicht so ist…

  138. @Stephan // „Emergenz“

    » Wissenschaftstheoretisch (und auch ontologisch) relevant ist die Unterscheidung zwischen schwacher und starker Emergenz: Erstere besagt, dass man die neuen Eigenschaften prinzipiell durch Eigenschaften der tieferen Ebene (z.B. Physik) vollständig erklären kann; Letztere bestreitet das. «

    Ok, rein wissenschaftstheoretisch kann ich das mit der Unterscheidung von starker und schwacher Emergenz einigermaßen nachvollziehen.

    Was das (prinzipielle?) „vollständige Erklären“ angeht, da hilft wohl nur beten und hoffen, dass ER antwortet—und dass für die vollständige erklärende Antwort die Lebensspanne eines Normalsterblichen ausreicht.

    An der Philosophie schätze ich vor allem die Arbeit am Begriff, aber die Einführung von Emergenztheorien halte ich für einen Irrweg.

    In einem Aufsatz von Peter Janich wird „[d]ie naturalistische Grundannahme und ihre emergenztheoretische Stützung“ (so lautet die Überschrift eines Abschnitts) kritisch gewürdigt. Er behauptet, dass naturalisitsche Emergenztheorien kläglich scheitern.

    Einige Ausschnitte (nicht unbedingt weiterführend in unserer Debatte, aber trotzdem):

    Zwar wartet die Welt noch auf diesen erhellenden Durchgang von physikalischer zu chemischer, biologischer, psychologischer, soziologischer und schließlich historischer Erklärung; man begegnet aber allenthalben der These, die Naturwissenschaften hätten längst den Aufstieg von niederen zu höheren Systemeigenschaften im Griff, und zwar durch die Konzeption der »Emergenz«.

    Hierbei geht es primär um Thesen aus der philosophischen Ecke, denn in den Naturwissenschaften ist zwar oft von Systemeigenschaften die Rede, aber nur selten von „Emergenz“. Es ist wohl so, wie Janisch trocken anmerkt:

    Trivialerweise ist die Rede von emergenten Eigenschaften eine Rede. Der Prädikator »emergent« wird auf »Eigenschaften« oder »Phänomene« angewandt, die sprachlich benannt und beschrieben sein müssen. Bei Emergenzen handelt es sich also immer um Relationen zwischen verschiedenen Beschreibungen desselben Referenzobjekts.

    (Kursives habe ich gefettet)

    Sein Schlusssatz:

    Deshalb wird man auch behaupten dürfen: Der Naturalismus ist ein Mangel an Kultur des Naturwissens.

    Schön, nicht wahr?

    —–
    Erschienen in: W. Hogrebe, Grenzen und Grenzüberschreitungen. 19. Deutscher Kongess für Philosophie 2002, Bonn

  139. @Balanus:

    “Trivialerweise ist die Rede von emergenten Eigenschaften eine Rede. Der Prädikator »emergent« wird auf »Eigenschaften« oder »Phänomene« angewandt, die sprachlich benannt und beschrieben sein müssen. Bei Emergenzen handelt es sich also immer um Relationen zwischen verschiedenen Beschreibungen desselben Referenzobjekts.”

    Fairerweise hätte man dazusagen sollen, dass dies auf alle Begriffe zutrifft. Jedenfalls hätte Janich so argumentiert.

  140. Ergänzung: an der Kategorisierung bzw Konzeptualisierung von Leben ändert das nichts.

  141. @Balanus: Komplexität

    Nun ja – solche Beziehungen von Eigenschaften sind auch eine wissenschaftstheoretische Frage, aber eben nicht nur.

    Sogar in der Biologie beschäftigt man sich mit Systemeigenschaften wie der Lebendigkeit und tut man sich mitunter bei der Grenzziehung schwer (z.B. Viren, Makro-Viren, Bakterien).

    Ich freue mich, dass du zu Peter Janich (1942-2016) gefunden hat. Da bist du an der guten Adresse. Das hast du vielleicht bei mir gelernt?

  142. @Stephan

    2021, als „Naturalismus“ hier Thema war, habe ich Janich zwar intensiv genutzt, aber die meisten philosophischen Aufsätze habe ich mir Jahre früher, als Ludwig Trepl noch unter uns weilte, auf den Rechner geladen (darunter auch ein wenig Peter Janich—soweit es halt barrierefrei zugänglich war).

    Ad Grenzziehungen

    Dass es schwierig ist, eine klare, eindeutige Grenze zwischen (noch) lebenden und (noch) nicht lebenden Systemen zu ziehen, liegt wohl vor allem daran, dass lebende Objekte einst aus nicht lebenden Gegenständen hervorgegangen sind (aus naturalistischer Sicht, viele Christen z. B. sehen das anders).

  143. @Wolfgang Stegemann
    06.09.2024, 07:02 Uhr

    Vorab: Mir scheint, wir kommen auf unterschiedlichen Wegen zu einem weitgehend ähnlichen Ergebnis: keine Metaphysik, kein Dualismus, naturalistische Beschreibung biologischer Systeme.

    Oder gibt es doch noch einzelne Stellen, an denen es weiterhin hakt?

    (Nebenbei, zu meinem Einwurf mit Peter Janich: Bei ihm geht sowieso vor allem um Sprache und Begriffe, das betrifft unsere Debatte um die Sinnhaftigkeit des (starken?) Emergenzbegriffs nur am Rande)

    Zum Reduktionismus:

    » Reduktionismus hingegen reduziert den Organismus auf Physik. Die Physik kann aber Leben nicht hinreichend beschreiben, denn sie hat dafür keine Begriffe. «

    Dass die Physik in punkto „Leben“ überfordert ist, ist ja Konsens.

    Aber wenn es allein um Beschreibungen und Begriffe geht, mit denen man nicht weit kommt, wenn es um höhere biologischen Funktionen und Eigenschaften geht, dann besagt diese Unmöglichkeit einer Beschreibung über mehrere Organisationsstufen und naturwissenschaftliche Fächer wie Chemie, Biochemie, Biologie, etc. hinweg, doch eher wenig bis gar nichts.

    Ich würde unter Reduktionsmus lieber die naturphilosophische oder naturwissenschaftliche Lehre verstehen wollen, analog zu Wiki, „nach der ein System durch seine Einzelbestandteile (‚Elemente‘) vollständig bestimmt wird.“ Punkt.

    Das bedeutet, es kommt bei der Entstehung dieses Systems (bottom-up) nichts an immateriellen Dingen und/oder Kräften hinzu, nichts geschieht in diesem System, was den bekannten physikalischen Gesetzmäßigkeiten widersprechen würde. Die dynamische Organisation der Einzelbestandteile zu funktionalen Strukturen sorgt für die bekannten höheren Funktionen lebender Systeme—einschließlich des Gehirns („Bewusstsein“, „Willen“, „Geist“ und so weiter). Wobei der ganze Aufwand letztlich nur der Selbsterhaltung des Systems dient.

    Die bottom-up Entstehung sich selbst erhaltender Strukturen und Systeme (Biogenese) verlief über einen extrem langen Zeitraum und scheint mir von zentraler Bedeutung zu sein, wenn es um das „Prinzip“ Leben geht.

    Wir gehen naturgemäß ja immer von den komplexeren Systemen mit den höheren Systemeigenschaften aus, wenn wir herausfinden wollen, wie diese höheren Eigenschaften entstanden sind.

    Von „oben“ aus betrachtet liegt es nahe, von einer Art „downward causation“ zu sprechen. Hierbei wirken die Gesetze der höheren Ebene als selektive Systeme oder Beschränkungen für die Prozesse der niedrigeren Ebene.

    Ich denke, bei diesem Blick von oben wird gerne übersehen, dass die Gesetze der höheren Ebene das Resultat der Gesetze oder Prozesse der niedrigeren Ebenen sind, und nicht deren Voraussetzung. Erst wenn sich im Zuge der Selbststrukturierung und Selbstorganisation die lebensnotwendigen höheren Funktionen und Eigenschaften herausgebildet haben, können diese regulatorisch zurückwirken auf die niedrigeren Struktur- und Funktionsebenen.

    Im Ergebnis haben wir es also mit einem ganzheitlichen, räumlich von außen abgegrenzten, sich selbst regulierenden und erhaltenden hochfunktionalen Organismus zu tun.

    Insoweit sind wir wohl d’accord. Oder hakt es immer noch irgendwo?

  144. @ Balanus / Stegemann

    …und damit wäre die Debatte “Reduktion oder Emergenz” mit einem simplen Tausch der Funktionen der Aussagenlogik zu ” Reduktion und Emergenz” zumindestens hier beendet…
    Herzlichen Glückwunsch!

  145. @Balanus: Sprache vs. Welt

    Man darf auch nicht vergessen, dass unsere Sprache (entweder-oder, lebendig-tot) unserem Denken und auch der Welt oft eine Struktur aufzwängen will, die sie vielleicht gar nicht hat.

    Es gibt klare Fälle von Lebendigkeit und Nichtlebendigkeit – und ein paar Grenzfälle dazwischen. Die Natur selbst kommt auch ohne aus.

  146. @ Balanus 08.09.2024, 15:24 Uhr
    @Wolfgang Stegemann
    @ Stephan Schleim

    Zitat: „Mir scheint, wir kommen auf unterschiedlichen Wegen zu einem weitgehend ähnlichen Ergebnis: keine Metaphysik, kein Dualismus, naturalistische Beschreibung biologischer Systeme.

    Oder gibt es doch noch einzelne Stellen, an denen es weiterhin hakt?“

    Abgesehen davon, dass ich strikter, wegen der früheren Erfahrungen, auch meiner „Zunftgenossen“, eigentlich „fanatischer Anhänger“ des Dualismus bin, sehe ich es wie Sie…. Da hakt es!!!

    Das ist recht banal zu erklären und mich würde es interessieren, wenn sie, angenommen, auch diesen „Background“ hätten, wie Sie darüber denken würden. Der Prof. Schleim war im Nebenfach übrigens „Informatiker“ und hat auch Software programmiert.

    Es ging ehemals, vor über 50 Jahre auch darum, Software zu entwickeln, die auch über Funkstrecken dem Kunden, z.B. einer großen Druckerei in Indien, übermittelt wurde. (Heute ist das völlig alltäglich, jeden Tag werden Millionen „Apps“ auf die „Handys“ heruntergeladen.)

    Die Besonderheit war, dass der Programmierer der Software zufällig einen Nachbarn, einen Studienrat der Altphilologie, hatte. Der war auch noch „Hardcore Atheist“ und der grundsätzlichen Meinung, dass z.B. ein eigenständiger „Transport von Software“ (z.B. über Telefon oder Funk) grundsätzlich völlig unmöglich wäre. Wäre der Techniker mit einer Kiste voll Bauteilen nach Indien geflogen, um diese in die Maschine einzubauen wäre alles ok. gewesen.

    So hat er den Techniker für einen Betrüger gehalten und öfters angezeigt, der etwas verkauft was es absolut unmöglich geben könnte….. Der Verkauf von Software wurde früher allgemein „kritisch gesehen, eigentlich hat kaum einer ernsthaft geglaubt dass es derartiges gibt.

    Jetzt würde mich von Ihnen Interessieren, wie Sie (bezüglich „Dualismus“) aus “heutiger Sicht“ denken würden, wenn Sie selber Software entwickelt hätten, die auch verkauft wurde, und jemand würde Ihnen erklären, (beweisen wollen), dass das völlig unmöglich wäre, was Sie aber den ganzen Tag tun und wovon Sie leben????

  147. @ Stephan Schleim 09.09.2024, 18:03 Uhr

    Zitat: „Man darf auch nicht vergessen, dass unsere Sprache (entweder-oder, lebendig-tot) unserem Denken und auch der Welt oft eine Struktur aufzwängen will, die sie vielleicht gar nicht hat.“

    Da stimme ich Ihnen begeistert zu.

    Ich kann zwar verstehen, dass die Linguisten Sprache bestmöglich „gestalten“ wollen. Aber sie „hinkt“ der Realität und den Erkenntnissen hinterher.

    Besonders in Fachgebieten wie z.B. der Elektronik, wo immer wieder völlig Neues entsteht, wofür es oft nicht einmal für die Funktionen passende Begriffe gibt.

    Dafür entwickeln die Techniker ihren „Fachjargon“ immer wieder weiter. Hauptsächlich „quick“, notfalls auch „and dirty“…..

  148. @Elektroniker:

    Sie scheinen Dualismus so zu verstehen, dass es zwei völlig getrennte Dinge gibt: Software (immateriell) und Hardware (materiell). Aber das ist nicht, was der philosophische Dualismus meint. Der Dualismus von Descartes zielt darauf ab, Geist und Materie als grundsätzlich getrennte Substanzen zu sehen. Software dagegen ist nicht wirklich immateriell im gleichen Sinn – sie ist Information, die in der physischen Welt funktioniert und ohne Hardware nicht existieren kann. Wenn Sie Software herunterladen, bewegen Sie elektrische Signale durch physische Kanäle – es gibt keinen wirklichen ‘Geist’, der dabei übertragen wird.

  149. @ Wolfgang Stegemann 10.09.2024, 11:20 Uhr

    Die Begriffe „Dinge“ und „Substanzen“ möchte ich vermeiden. Für mich existiert “das Geistige“ und „das Materielle“. Es existieren auch „Wechselbeziehungen“.

    Besteht das “Seiende“ aus Information? (It from bit?) (John Archibald Wheeler). Ich frage mich auch, war „Informationsverarbeitung“ daran beteiligt, womöglich noch bevor es „Materie“ überhaupt gab?

    Der atheistische Studienrat dachte eigentlich recht konsequent. Ist Materie zwingend fest mit Information „verknüpft“, kann man Information nicht getrennt von „ihrer“ (fest verknüpften) Materie „transportieren“.

    Kann man aber Information auf verschiedenartige Materie „kopieren“ und auch noch transportieren, so sollte sie als „eigenständig“ betrachtet werden.

    Genau das hat der Techniker (Nachbar) gemacht. Nicht ein „Stäubchen Materie“ wird über Funk übertragen.

    Bemerkenswert ist, dass „Information“ nicht nur getrennt vom „Zielsystem“ entwickelt werden kann, sondern auch die Verschrottung der Hardware übersteht, wenn sie z.B. gespeichert ist. Sogar bei der Behauptung von Theologen verhält es sich ähnlich. Gene und Meme können den Tod „überdauern“ und in den Nachkommen aktiv werden…..

    Das entspricht annähernd der auf den Spermien übertragenen genetischen Informationen, oder der mittels Schallwellen, (oder z.B. Schrift) übertragenen memetischen Information.

    Es kommt beim „Dualismus“ auf die besonderen „Wechselwirkungen“ zwischen Information und Materie an. Weniger auf vage, künstliche Begriffe wie „Dinge“ oder „Substanzen“.

    Es geht um strikt unterschiedliche Kategorien, das sollte man nicht ignorieren.

  150. @Herr „Elektroniker“, mir scheint, Sie sind ein waschechter Substanzdualist.

    Ich habe letztens gehört, dass etwa 90% der Menschen Dualisten sind, das heißt, Sie befinden sich mit Ihrer Überzeugung voll im Mainstream.

    »Es geht um strikt unterschiedliche Kategorien…«

    Ich schätze, ein Philosoph würde hier von unterschiedlichen „Substanzen“ sprechen.

    Wikipedia:

    In der Philosophie ist Substanz die Bezeichnung des Begriffs für das unveränderliche, beharrende und selbstständige Seiende, dasjenige, das ‚unter‘ den veränderlichen Eigenschaften bzw. Akzidenzien ‚steht‘. Spätestens seit Descartes werden darunter hauptsächlich individuelle Gegenstände (dieses Haus, dieser Mensch) verstanden, deren Kategorie die Substanz ist.

  151. Sie können durchaus an “Geistiges” und “Materielles” glauben, aber das Geistige zu beweisen, ist äußerst schwierig.

    Ihr Vergleich mit Software und Hardware trifft hier nicht zu. Das sind grundlegend andere Konzepte.

    Die Idee, dass Information grundlegender als Materie sein könnte, ist nur eine Idee, aber nicht bewiesen.

    Bei der Informationsübertragung werden zwar keine Materieteilchen übertragen, aber elektromagnetische Wellen, also ebenfalls eine Form von Materie.

    Wenn Information gespeichert wird, geschieht dies stets auf etwas Materiellem – sei es ein Datenträger oder DNA.

    Information benötigt immer einen materiellen Speicher. Das ist eine unumgängliche Tatsache.

    Ihrem letzten Satz stimme ich zu: Es ist in der Tat wichtig, verschiedene Ebenen klar zu trennen, um Verwirrung zu vermeiden.

  152. @ Elektroniker / Stegemann

    @Elektroniker, Sie hängen noch an dem Gedanken Materie=Teilchen, fragen aber nicht, was ein Teilchen ist.
    Ein Teilchen ist aber nichts anderes als Energie. Higgs-Boson macht es erst zur Marterie, die wir sind.
    Der Dualismus ist also nicht Information und Teilchen=Materie, sondern Information und Energie!
    Energie ist u.a. Grundkraft=Elektromagnetismus.
    Insofern ist @Stegemann on top!
    Das befreit allerdings nicht vor der Antwort der Frage, woher das alles ist?
    Nur, Dogmen sind da nicht angebracht.

  153. @ Elektroniker

    Setzen Sie Materie=Energie=Materie, dann haben Sie es…Einstein und Higgs!

    Es ist nicht die Frage ‘was’, sondern ‘wie’, die manchmal ‘quält’, vermischt.

  154. @ Elektroniker

    …und dann sind wir an der Grenze: was ist Glaube und was ist Wissen?…

    …und Galileos Problem mit der Kirche: wie komme ich in den Himmel bzw. wie funktioniert er…

  155. @ Wolfgang Stegemann 10.09.2024, 22:04 Uhr
    @ Balanus
    @ Mussi

    Ich möchte nur die Begriffe „Information“ und „Materie“ verwenden. Die waren wesentlich im ehemaligen Job. „Geistiges“ war eine Art „Synonym“ für „Information“. Gehört eigentlich zur Philosophie, aber das wurde „ausgeblendet“.

    „Information“ war sozusagen der wichtigste „Rohstoff“ für Elektroniker.

    Information bedeutete „Veränderung“.

    Einerseits ob irgendwas „da“ ist, oder nicht, bzw. die Veränderung.
    „Information“ als Input kann auch, im Sinne der Mathematik, auf Materie „abgebildet“ werden.

    In der Elektronik wurde ehemals eine „Informationseinheit“ 1 Bit, als „Spannungsänderung“ von 0 Volt auf 5 Volt „abgebildet“. Das war wesentlich für die elektronische Informationsverarbeitung. Mit den „Spikes“ verhält es sich in der Biologie so ähnlich.

    Es war bei der Entstehung der Welt eigentlich „Information“, als aus dem „Nichts“ (noch ohne Materie) eine Veränderung zum „Raum“ auftrat, oder der erste „Zeitsprung“ erfolgt ist.

    Allenfalls ist die Frage, ob Information auch den „Anstoß“ für die Entstehung des „Raumes“ gab, zumal Information in der Elektronik auch Prozesse „anstößt“ und auch präzise „Steuern“ kann.

    „Information“ hat neben der beschreibenden Funktion, auch Prozess steuernde Funktion.

    Bemerkenswert ist, dass Information auf vielfältige Art, auf vielfältiger Materie, relativ einfach „abgebildet“ werden kann. Sie kann leicht kopiert, transportiert, demnach auch „gesichert“ werden.

    Interessant ist, dass es in theologischen Werken heißt „am Anfang war das Wort“. „Wort“ offenbar im Sinne von Information.

    Materie wird als eine Art von „Werkzeug“ für den Umgang mit „Information“ benötigt.

    Dieses Konzept von „Information“ wird gut verstanden, war extrem erfolgreich und hat sich in der Technik durchgesetzt.

    In der Biologie ist die physikalische Erklärung des „Empfindungsphänomens“ aus ständig. Zumindest „Korrelationen“ zwischen physikalischen Prozessen und Empfindungen sollten gefunden werden.

  156. @Elektroniker:

    Sie verwenden den Begriff Information in verschiedenen Konzepten, die nichts miteinander zu tun haben und springen ständig hin und her.

    Information in der Informatik bedeutet, dass ein Bit eine materielle Veränderung an einem materiellen Träger vornimmt. Bit ist dabei der Platz, den diese Veränderung auf dem Träger belegt, also ein rein materieller Vorgang.

    Information bei Wheeler bedeutet etwas Immaterielles, das die Materie quasi steuert. Es ist eine spekulative Idee, die in keiner Weise empirisch belegt bzw. belegbar ist. Es ist Esoterik bzw. Religion.

    Der Begriff Dualismus kommt in keinem dieser Konzepte vor, sondern bezeichnet in Verbindung mit Gehirn, Geist oder Bewusstsein, dass es zwei Substanzen oder Eigenschaften gibt, die getrennt voneinander existieren.

    Wenn Sie also ständig von einem Konzept zum anderen springen und dabei auf einen Begriff referieren, der mit beiden nichts zu tun hat, kann nichts Sinnvolles herauskommen.

  157. @ Elektroniker

    Die Schnittstelle zwischen Erkenntnisgewinn und Sendungsbewusstsein ist schmal.

  158. @Stephan // Sprache, Welt, Freiheit

    Denn Staub bist du und zum Staub kehrst du zurück…

    Zwischen diesen beiden Staub-Zuständen befindet sich das Individuum in jenem wundersamen Zustand, den wir als „lebend“ bezeichnen.

    Müssen wir, um dieses Mysterium zu verstehen, auf Emergenztheorien zurückgreifen, oder reicht es hin, wenn wir uns das hochkomplex organisierte dynamische Geschehen in der Zelle anschauen?

    Auf das vielzellige Individuum übertragen: Mensch und Tier können sich, anders als etwa Pflanzen, frei und selbstbestimmt, also autonom, in ihrer Welt bewegen. Bewegungsfreiheit, Handlungs- bzw. Verhaltensfreiheit, zum Teil auch Entscheidungsfreiheit, solche Freiheiten lassen sich problemlos als Funktionen hochentwickelter Gehirne verstehen—insbesondere bei Tieren ohne ausgeprägtes Reflexionsvermögen.

    Angesichts dieser naturgegebenen Freiheiten, die auch eine hinreichend leistungsfähige KI meistern könnte, nimmt es kein Wunder, dass auch das willentliche Wollen gemeinhin als „frei“ empfunden wird.

    Aber beim Wollen bzw. Willen bedeutet „frei“ meiner Meinung nach etwas anderes—kann nur etwas anderes bedeuten, denn der imaginäre „Wille“ ist wohl keine im Laufe der Evolution entstandene Hirnfunktion, verstanden als Anpassung an die Erfordernisse der Umwelt im „struggle for life“, sondern allenfalls eine Art Nebenprodukt, das mit dem bewussten Erleben assoziiert ist.

    Ich weiß nicht, was hier in der Diskussionsrunde mit der Eigenschaft „frei“ zumeist verbunden wird.

    Ich denke ich gehe nicht fehl, wenn ich „frei“ als unabhängig von den Restriktionen der naturgegebenen Gesetzmäßigkeiten verstehe. Entsprechend der Ausführung des Bloggers im 2. Absatz des Beitrags:

    Die Frage, wie wir frei sein können, stellte sich insbesondere vor dem Hintergrund naturwissenschaftlicher Erkenntnisse. Wo bleibt der Spielraum für unser eigentliches Entscheiden, wenn wir immer mehr über die Naturvorgänge lernen und verstehen?

    Da, wie oben ausgeführt, autonomes, selbstinitiiertes Verhalten kein Problem darstellt für Lebewesen mit hinreichend leistungsfähigem Nervensystem, kann es beim „freien“ Willen nur darum gehen, wie die Naturvorgänge überwunden oder umgangen, bzw. gewinnbringend genutzt werden können.

    Man darf gespannt sein, welche Argumente die Verteidiger des „freien Willens“ auf den Tisch legen werden.

  159. @Balanus:

    “Mensch und Tier können sich, anders als etwa Pflanzen, frei und selbstbestimmt, also autonom, in ihrer Welt bewegen.”

    Betrachten wir zunächst die Fähigkeit zur Selbstbewegung, die allen Lebewesen innewohnt. Im Gegensatz zu unbelebten Objekten oder linearen Robotersystemen zeigen Lebewesen komplexe, nicht-lineare Verhaltensweisen. Diese lassen sich nicht einfach auf einzelne Komponenten zurückführen – in einzelnen Molekülen findet sich kein Plan für komplexe Aktivitäten wie z.B. Sport treiben.
    Diese Selbstbewegung könnte als grundlegende Form von Autonomie verstanden werden. Sie bildet die Basis dessen, was wir auf menschlicher Ebene als freien Willen bezeichnen.

    Das Konzept der Emergenz ist hier zentral: Auf höheren Organisationsebenen entstehen neue Eigenschaften, die sich nicht direkt aus den Einzelkomponenten ableiten lassen. Nichts anderes meint übrigens Emergenz, es ist nichts Mysteriöses. Der freie Wille könnte als eine solche emergente Eigenschaft betrachtet werden, die aus der zunehmenden Komplexität biologischer Systeme hervorgeht.

    Entscheidend ist: Unbewusstheit widerspricht nicht dem freien Willen. Es gibt einen Willen und ein Wollen, unabhängig davon, ob es bewusst oder unbewusst ist. Wenn wir ein Ziel oder Motiv haben, verfolgen wir es manchmal bewusst, manchmal unbewusst.
    Diese Sichtweise erweitert das Verständnis des freien Willens über das rein Bewusste hinaus. Sie impliziert ein umfassenderes Konzept des Selbst, das sowohl bewusste als auch unbewusste Prozesse einschließt.

    Der freie Wille erscheint in diesem Licht als ein Kontinuum, das von der grundlegenden Selbstbewegung aller Lebewesen bis hin zu komplexen menschlichen Entscheidungsprozessen reicht. Er operiert auf mehreren Ebenen gleichzeitig und ist tief in unserer gesamten psychischen und biologischen Struktur verankert.

    Natürlich ist dieser Wille nur relativ frei, da er durch Umweltfaktoren, genetische Prädispositionen und andere Einflüsse geformt wird. Dennoch bietet diese Perspektive ein Verständnis von Autonomie und Selbstbestimmung, das weder in einen strengen Determinismus noch in eine naive Vorstellung absoluter Freiheit verfällt.

    P.S. Wir wissen nicht, warum emergente Phänomene entstehen, aber wir beobachten es.

  160. @ Wolfgang Stegemann 11.09.2024, 18:22 Uhr

    Zitat: „Sie verwenden den Begriff Information in verschiedenen Konzepten, die nichts miteinander zu tun haben und springen ständig hin und her.“

    Kann man so sehen. Das Gemeinsame der verschiedenen Konzepte ist, dass sie die reale Basis der täglichen Arbeit von Technikern, besonders Elektroniker/Informatiker sind.

    Im Prinzip wird extrem vielfältige „Quellinformation“, die bestehen in der Hauptsache aus „Veränderungen“, z.B. Schallwellen (Telefon, Radio,….), Bilder (TV,….), Computerprogramme, Daten,…., Medizinische Daten (CT, MRT, ….), Umweltdaten, Wetterdaten, … in Information abbildenden elektrische Signale umgewandelt und auf verschiedene Art, z.B. analog oder digital verarbeitet. Oft wird die Information gespeichert und mit bestehenden Informationen verknüpft und ein Output generiert, der natürlich auch den Charakter von Information hat.

    Zitat: „Information in der Informatik bedeutet, dass ein Bit eine materielle Veränderung an einem materiellen Träger vornimmt.“

    Das ist ein winziger Aspekt der Digitalen Datenspeicherung.

    Aufgabe der Elektronik ist oft, „Quellinformationen“ so aufzubereiten, dass das Ergebnis, entsprechend codiert, in digitaler Form vorliegt, um über genormte Schnittstellen auf Computersysteme übertragen zu werden und weiter mittels passender Software verarbeitet zu werden.

    Die Besonderheit von „Hardware Software“ Systemen liegt darin, dass die Software bequem „gesichert“ werden kann und selbst nach Verschrottung der Hardware, mit der Verarbeitung der Daten auf neuer Hardware weiter gemacht wird, als wäre nichts geschehen.

    Gewisse Ähnlichkeiten mit dem generativen Verhalten der Menschen, wenn die DNA die Rolle der Software übernimmt, sollten nicht übersehen werden….

  161. @Balanus:

    gerade lese och nochmal:

    “…kann es beim „freien“ Willen nur darum gehen, wie die Naturvorgänge überwunden oder umgangen [werden]…”

    Die Naturvorgänge werden nicht umgangen. Freier Wille muss physiologisch abbildbar sein, denn beide, ‘Naturvorgänge’ und freier Wille sind Ausdruck ein und desselben Organismus, betrachtet aus zwei unterschiedlichen Perspektiven.
    Wir wollen nicht wieder in den alten Dualismus zurückfallen.

  162. @Elektroniker:

    1. Die Vorstellung von DNA als Software und Körper als Hardware impliziert einen Dualismus, der in biologischen Systemen nicht existiert. In Organismen gibt es keine strikte Trennung zwischen Informationsträger und physischer Struktur.

    2. DNA ist tatsächlich sowohl Träger von Information als auch physische Struktur. Sie ist ein Molekül mit chemischen und physikalischen Eigenschaften, das gleichzeitig Informationen codiert.

    3. In biologischen Systemen sind Funktion und Struktur untrennbar miteinander verbunden. Die DNA-Sequenz bestimmt ihre dreidimensionale Struktur, die wiederum ihre Funktion beeinflusst.

    4. Die DNA interagiert ständig mit ihrer Umgebung, verändert sich und wird verändert. Sie ist kein statischer “Code”, sondern Teil eines dynamischen Systems.

    5. Die Eigenschaften eines Organismus entstehen aus dem komplexen Zusammenspiel aller seiner Komponenten, nicht aus einer einfachen “Ausführung” von DNA-“Anweisungen”.

    Die Analogie aus der Computerwelt lässt sich nicht sinnvoll auf biologische Systeme übertragen. Sie führt zu einer künstlichen und irreführenden Trennung, die der integrierten und dynamischen Natur von Organismen nicht gerecht wird.

    Und nur aus einer solchen Perspektive kann man den (relativ) freien Willen erklären.

  163. @ Wolfgang Stegemann 12.09.2024, 09:10 Uhr

    Zitat: „1. Die Vorstellung von DNA als Software und Körper als Hardware impliziert einen Dualismus, der in biologischen Systemen nicht existiert. In Organismen gibt es keine strikte Trennung zwischen Informationsträger und physischer Struktur.“

    1. Die Vorstellung von DNA als Software und Körper als Hardware impliziert tatsächlich einen Dualismus, der in biologischen Systemen aber nicht „explizit deklariert“ ist, wie in technischen Systemen.

    Er existiert aber „faktisch“, weil sich das System so optimiert hat, wie das in technischen Systemen „absichtlich geplant“ ist.

    Treten Fehler auf der DNA auf, kann das schlimme Folgen auf die Prozesssteuerung haben, z.B. Trisomie 21. Fehler können in biologischen, als auch technischen Systemen, gleichermaßen absurde Folgen haben….

    Wenn man den „Dualismus nicht mag“, kann man ihn in der Biologie leugnen, weil er, anders als in der Technik, nicht „explizit deklariert“ ist…..

    Ich habe nur meinen freien Willen genutzt und ehemals auch mit Software etwas Geld verdient. Wie auch der Berufskollege, den der früher erwähnte Hardcore Atheist, Studienrat und Altphilologe Probleme bereitet hat, weil der, sehr konsequent, die Existenz von „Software“ grundsätzlich und prinzipiell absolut ausgeschlossen hat.

    Zitat: „Die Analogie aus der Computerwelt lässt sich nicht sinnvoll auf biologische Systeme übertragen. Sie führt zu einer künstlichen und irreführenden Trennung, die der integrierten und dynamischen Natur von Organismen nicht gerecht wird.“

    Es ist bei der KI und auch bei Menschen völlig üblich, dass „Muster“, zumindest „probeweise“, von einem System auf ein anderes System „übertragen“ werden, um neue Erkenntnissen zu gewinnen.

    Dass biologische Systeme mehr „Freiheitsgrade“ haben, als technische Systeme, ist klar. Kein Kunde würde es sich gefallen lassen, würde seine „Technik“ ein unerwünschtes Eigenleben entwickeln.

    Mich würde Interessieren, ob Sie Beispiele dafür haben, dass entweder eine Trennung (zwischen Software und Hardware, wie in der Informatik) besondere Nachteile, oder ein „fixer Verbund“ besondere Vorteile hat?

  164. @Elektroniker:

    Es gibt in der Biologie keinen ‘Verbund’. DNA ist physisch mit einer bestimmten Struktur. Diese Struktur bedeutet, dass einem u.a. eine Nase wächst. Der Begriff Information, den wir in diesem Zusammenhang verwenden, ist keine Substanz, sondern nur eine Beschreibung. Beispiel: wenn ich sage, das Bild ist schön, dann ist ‘schön’ nur eine Beschreibung des Bildes. Schön ist keine Substanz und es gibt auch keinen Dualismus zwischen Bild und schön.

  165. @ Wolfgang Stegemann 12.09.2024, 13:12 Uhr

    Zitat: „Diese Struktur bedeutet, dass einem u.a. eine Nase wächst.“

    Genau so sehe ich es auch. Die auf der DNA gespeicherte Information, vermutlich samt den Eigenschaften der die Wirkungen bestimmenden Moleküle, steuern den „Aufbau“ der Nase in einer bestimmten Wachstumsphase.

    Allerdings vermute ich, dass die DNA Moleküle eher nur so etwas wie eine „katalytische Wirkung“ haben.

    Zitat: „Der Begriff Information, den wir in diesem Zusammenhang verwenden, ist keine Substanz, sondern nur eine Beschreibung.“

    Allerdings handelt es sich hier keinesfalls um eine Beschreibung, sondern offensichtlich um eine Prozesssteuerung. Information ist in der Informatik einerseits beschreibend, andererseits Prozess steuernd.

    In biologischen Systemen sollte „Information“ von außen und innen „erkannt“ und entsprechend reagiert werden.

    Der Begriff „Substanz“ hat in der Informatik keine Bedeutung wie in der Philosophie.

    Allenfalls könnte man z.B. sagen, dass eine Softwarelösung “Substanz” hat, wenn sie gut durchdacht und robust ist.

  166. @Elektroniker

    Der Hardcore Atheist, Studienrat und Altphilologe Probleme sagte also, dass die Existenz von „Software“ ist grundsätzlich und prinzipiell absolut ausgeschlossen ist?

    Vielleicht lautete seine vollständige Aussage ja so:

    Die Existenz von „Software“ ist ohne einen irgendwie gearteten Datenträger grundsätzlich und prinzipiell absolut ausgeschlossen.

  167. @ Balanus 12.09.2024, 21:31 Uhr

    Zitat: „Die Existenz von „Software“ ist ohne einen irgendwie gearteten Datenträger grundsätzlich und prinzipiell absolut ausgeschlossen.“

    Das ist die heutige gängige Sichtweise, man könnte es „weitgehend“ so sehen. Bei den Begriffen „grundsätzlich“, „prinzipiell“, „absolut“ würde ich vorsichtig sein. Die Physik liefert halt immer wieder Überraschungen.

    Allerdings hat es der Studienrat ehemals anders gesehen. Für Ihn war Information absolut und untrennbar mit Materie verbunden. Nach dem unvermeidbaren Ende der Materie wäre grundsätzlich auch die Information weg.

    Die Information könne diesem „Schicksal“ absolut unmöglich entgehen, indem sie sozusagen vor dem „Ende der Hardware“ auf mehrere neue (billige) „Datenträger springt“ um so ihre weitere Existenz zu sichern.

    Derartiges behaupten im Prinzip die Theologen und auch der im Beispiel angeführte Techniker. Beide argumentierten so aus betrügerischer Absicht.

    Es verhält sich aber genau so, in der Biologie schon seit fast immer, seit relativ kurzer Zeit auch in der Computertechnik…..

    In der Biologie werden jeweils „DNA Datenträger erzeugt“, die die Herstellung immer neuer aber „vergänglicher Hardware“ ermöglichen. Die, (allenfalls immer weiter entwickelte) Information existiert weiter.

    In der Technik wird angestrebt, Hardware und Software weiter zu entwickeln, wobei die Hardware immer wieder verschrottet und erneuert wird.

    Der Techniker hatte ehemals “Softwareupdates” per Telefon/Funk nach Bombay übermittelt. Derartiges wäre prinzipiell unmöglich, deswegen der Betrugsvorwurf.

    Es verhält sich ähnlich wie bei der Willensfreiheit: “Wie die Nieren den Urin absondern, erzeugt das System aus etwas weiterentwickelter Software immer neue vergängliche Hardware”…..

  168. @Elektroniker

    Cleverer Kerl, der Studienrat, ohne Materie keine Information, der Mann hatte absolut Recht!

    (Wenn es Ihnen gelänge nachzuweisen, dass Information auch ohne Materie existieren kann, wäre das sicher nobelpreiswürdig)

  169. @ Wolfgang Stegemann

    »Die Naturvorgänge werden nicht umgangen. Freier Wille muss physiologisch abbildbar sein, denn beide, ‘Naturvorgänge’ und freier Wille sind Ausdruck ein und desselben Organismus, betrachtet aus zwei unterschiedlichen Perspektiven. «

    Wie darf ich das verstehen, „muss physiologisch abbildbar sein“?

    Ähnlich wie beim sensorischen Input, der sozusagen in den entsprechenden rezeptiven Feldern abgebildet wird, indem sich dort der elektrophysiologische Zustand (bzw. die neurophysiologische Dynamik) ändert?

    Wenn ja, dann wäre es interessant zu erfahren, wie man sich beim feien Willen die entsprechenden neurophysiologischen Vorgänge in etwa vorstellen kann.

    Ich stolpere ja nach wie vor über das Wörtchen „frei“ an dieser Stelle: Worin besteht das Freie, was kann an einer willentlichen Entscheidung „frei“ sein? Wobei es mir nicht um Motive, Vorlieben und soziale Bedingungen geht.

    Welche zwei Perspektiven sind gemeint, die biologische und die psychologische? In meinen Augen wären das nur zwei verschiedene Beschreibungsebenen für einen gegebenen Sachverhalt.

    Und last but not least: Zählt der „freie Wille“ denn nicht auch zu den „Naturvorgängen“?

  170. @ Balanus 13.09.2024, 17:53 Uhr

    Das Problem war, dass der Techniker „Updates“ über Telefon/Funk nach Bombay gesendet hat und der Studienrat behauptet hat, dass derartiges grundsätzlich absolut unmöglich, daher Betrug wäre.

    Dass wäre so, als würden Sie Apps, die Sie selbst entwickelt haben und übers Internet legal verkaufen, was jeden Tag viele Millionen mal geschieht, aber der Studienrat würde entgegen der Realität behaupten, das wäre grundsätzlich absolut unmöglich und müsse daher betrügerische Abzocke sein…..

    Wie würden Sie über so einen Nachbarn denken?

  171. @Balanus:

    Zitat Wolfgang Stegemann (s.o.):

    “Natürlich ist dieser Wille nur relativ frei, da er durch Umweltfaktoren, genetische Prädispositionen und andere Einflüsse geformt wird. Dennoch bietet diese Perspektive ein Verständnis von Autonomie und Selbstbestimmung, das weder in einen strengen Determinismus noch in eine naive Vorstellung absoluter Freiheit verfällt.”

  172. @ Wolfgang Stegemann

    Mir ging es um den Teil des freien Willens, der eben nicht (!) irgendwelchen Umweltfaktoren, genetischen Prädispositionen oder anderen Einflüsse unterliegt.

    Wenn es so etwas nicht gibt, ok, dann gibt es halt keinen freien Willen. Und folglich auch keinen relativ freien Willen.

    Oder sehe ich das falsch?

  173. @Elektroniker

    Vergessen wir mal kurz den Studienrat und konzentrieren uns auf das Wesentliche, nämlich die Aussage (egal, von wem):

    Ohne Materie keine Software!

    Mit welchem Experiment könnte man diese Behauptung wohl widerlegen?

    Mir fällt da als erstes eine Gedankenübertragung ein: Ein Informatiker denkt sich eine kleine Software aus (ohne Dokumentation). Er setzt sich in einen Raum und memoriert laufend seine Software. In einem Nebenraum (oder in einem Faraday-Käfig) fungiert irgendein Gerät als Empfänger, um die Software aufzuzeichnen. Wenn das gelänge, wäre das zumindest ein starker Hinweis darauf, dass Software auch ohne materiellen Träger existieren kann (unter der Annahme, das elektromagnetische Hirnwellen nicht weit genug reichen und als Datenträger nicht in Frage kommen können).

  174. @ Balanus 14.09.2024, 00:51 Uhr

    Zitat: „Ohne Materie keine Software!

    Mit welchem Experiment könnte man diese Behauptung wohl widerlegen?“

    In unserer „realen Welt“ ist üblicher Weise Software mit Materie verknüpft. Ihr „Gedankenexperiment“ wäre allerdings interessant.

    An sich ist die Behauptung bereits dadurch widerlegt, wenn Software über eine Funkstrecke übertragen wird.

    Elektromagnetismus ist keine Materie. Es handelt sich um ein physikalisches Phänomen, das durch die Wechselwirkung von elektrischen und magnetischen Feldern entsteht.

    Natürlich ist denkmöglich, dass es auch noch andere physikalische Phänomene gibt. die das bestätigen könnten, z.B. Verschränkung?

    Wenn man die Welt als Kontinuum von Ereignissen, vom „Nichts“ zum „Ist Zustand“ betrachtet, könnte es eine „Zeitspanne“ gegeben haben, in der zunächst nur die 3 „Komponenten“ Raum- Information – Zeit (in welcher „Reihenfolge“ auch immer), jedenfalls ohne Materie, existiert haben.

  175. @Balanus:

    “Oder sehe ich das falsch?”

    Jeder kann das sehen, wie er will. Für mich ist der relativ freie Wille einfach nur Ausdruck der Selbstorganisation von Lebewesen, im Gegensatz zu allen reduktionistischen und physikalistischen Ansätzen, die Lebewesen betrachten, als wären sie ein Zug auf Schienen.

  176. @Elektroniker:

    “Elektromagnetismus ist keine Materie”

    Die Übertragung von Informationen über elektromagnetische Wellen ist ein streng physikalischer Prozess. Es gibt keinen “immateriellen” oder “esoterischen” Aspekt in dem Sinne, dass die Übertragung jenseits der bekannten physikalischen Gesetze abläuft. Alles, was bei der Datenübertragung passiert, ist durch Physik erklärbar und in der Realität verankert. Es geht um die Bewegung und Modulation von Feldern und Energie, nicht um geistige oder übernatürliche Kommunikation.

    Die Informationsübertragung mittels elektromagnetischer Wellen ist ein technisches und physikalisches Phänomen, während Wheelers Konzept der Information als Grundlage der Realität eine tiefer gehende philosophisch-physikalische Sichtweise auf die Natur des Universums ist.

    Die elektromagnetische Informationsübertragung steht also nicht in direktem Zusammenhang mit Wheelers „It from Bit“-Konzept. Es sind unterschiedliche Anwendungsbereiche des Begriffs „Information“.

  177. @ Wolfgang Stegemann 14.09.2024, 12:54 Uhr

    Ich bin für den Naturalismus. „Wunder“ bedeuten für mich nur, dass man einen Sachverhalt eben nicht versteht.

    Zitat: “Elektromagnetismus ist keine Materie”

    Diese Aussage dürfte einer gültigen Konvention entsprechen. Ich sehe es wie Sie und selbstverständlich ist nichts „ übernatürliches“ dabei.

    Die Information im Beispiel Studienrat/Techniker ist demnach auf der Funkstrecke von D nach Indien ohne Materie „unterwegs“. Vorher und nachher „reitet“ sie sozusagen auf Materie.

    „John Archibald Wheelers“ Konzept auf „anschaulich und einfach“:
    Wenn man die Welt als Kontinuum von Ereignissen, vom „Nichts“ zum „Ist Zustand“ betrachten würde, könnte es eine „Zeitspanne“ gegeben haben, in der zunächst nur die 3 „Komponenten“ Raum- Information – Zeit (in welcher „Reihenfolge“ auch immer), jedenfalls ohne Materie, existiert haben.

    Der „1. Veränderungssprung“ (ob „real“ oder „abstrakt“) wäre das 1. Bit….

  178. @Elektroniker

    »Die Information im Beispiel Studienrat/Techniker ist demnach auf der Funkstrecke von D nach Indien ohne Materie „unterwegs“. Vorher und nachher „reitet“ sie sozusagen auf Materie.«

    Ganz offenkundig fungiert die elektromagnetische Welle unterwegs als „Datenträger“, was wir aber zuvor schon verboten hatten: Es darf bei der Übertragung kein irgendwie gearteter, physikalischer Datenträger beteiligt sein, sonst gilt es nicht, und eine modulierte Welle ist ein solcher.

  179. @ Balanus 14.09.2024, 22:15 Uhr

    Ein physikalischer Datenträger kann „Materie“ sein, muss es aber nicht, elektromagnetische Wellen können zwar Datenträger sein, sind aber nicht Materie.

    Es verhält sich so, dass die Datenträger samt Computer irgendwann defekt und verschrottet werden, aber die Informationen bleiben wegen einer ausgeklügelten „Backupstrategie“ erhalten, indem sie letztlich immer wieder „kopiert“ werden. Das „Backup“ macht übrigens Tier und Mensch immer großen Spaß.

    Für den Studienrat könnte zwar eine Kiste voll Zahnräder samt aufgeprägte Information, (Zähne), aber keinesfalls Software ohne Materie, einfach über das Telefon nach Indien geschickt werden. Wie z.B. der tägliche millionenfache Download von Apps heutzutage.

    Daher hat er seinen Nachbarn für einen Betrüger gehalten, zumal es (aus seiner Sicht) fast beliebig kopierbare Software ohne „angreifbare Materie“ prinzipiell nicht geben könne. Er hat das für eine neue „Betrugsmasche“ gehalten. (Wie auch z.B. das uralte Konzept der genetischen und memetischen „Seelenwanderung“ von Theologen.)

    Die Steuerbehörden haben es auch lange nicht gestattet, ehemals sehr teure Software (die von vielen Programmierern erstellt wurde) von der Steuer abzuschreiben. Für die Steuer war es eine neue „Betrugsmasche“ der „Steuerhinterzieher“.

    Man kann es „drehen und wenden“ wie man will, die „pure Software“ bleibt über, die Hardware samt Datenträger „kommen und gehen“….

  180. @ Wolfgang Stegemann

    Danke für die Klarstellung!

    Habe mir fast schon gedacht, dass Sie „relativ frei“ auf das autonome Agieren von Lebewesen beziehen. Ich würde an der Stelle zwar nicht von „relativ frei“ sprechen, schon der Klarheit wegen, aber letzten Endes geht es da nur um Begriffe, am Sachverhalt ändert das nichts.

    Wenngleich, es könnte sein, dass mit dem Wörtchen „frei“ falsche Assoziationen geweckt werden (etwa so: die Gedanken sind frei, ich denke, also bin ich—mein Handeln beruht auf dem, was ich denke, auf Gedanken, wobei die freien Gedanken das Primäre sind und neurophysiologische Prozesse das Sekundäre, da sie auf dem beruhen, was gedacht wird)

    Da geht es dann nicht mehr um das selbstbestimmte Agieren auf der Basis neuronaler Aktivitäten (so wie es im Tierreich generell der Fall ist), sondern speziell um ein menschliches Agieren aus dem bewussten Erleben heraus: meine Gedanken, mein bewusstes Ich bestimmt, was ich tue oder unterlasse. Ob das physikalisch überhaupt möglich ist, wird dabei dann ignoriert.

  181. @Elektroniker

    Ob Sie nun elektromagnetische Wellen zur materiellen Welt zählen oder nicht, oder ob Sie sich hier darauf versteifen, dass nur das als Materie zählt, was man mit Händen greifen kann, um Ihre Idee von der materieunabhängigen Information/Software zu retten, bleibt am Ende Ihnen überlassen.

    Tatsache ist und bleibt, dass Sie selbst noch nie mit „purer Software“ zu tun hatten—immer war ein wie auch immer geartetes Medium als Datenträger dabei.

  182. @ Balanus 15.09.2024, 14:00 Uhr

    Die Idee, die materieabhängige Information/Software zu „retten“, ist in der Wirtschaft das Wichtigste überhaupt.

    Sonst würde das bedeuten, jedes mal wenn ein Computer „das Zeitliche segnet“, wäre die Software auch „gestorben“. Das würde weiters bedeuten, dass z.B. keine Rechnungen mehr ausgestellt werden könnten. Früher oder später wäre jede Firma im Konkurs.

    War übrigens früher auch gelegentlich so, weil man sich zu wenig um ein systematisches Backup gekümmert hat.

    Hätten sich die Informatiker mit der Sicht der Philosophen begnügt, dass es keinen Dualismus gibt und die Software gleichzeitig mit der Hardware „stirbt“, gäbe es die Computer samt der Informatik nicht….

  183. @Elektroniker

    Sie reden wirr.

    Zitat: “Elektromagnetismus ist keine Materie”

    Diese Aussage dürfte einer gültigen Konvention entsprechen.

    Übliche Konventionen, wie die Quantefeldtheorien, versuchen doch gerade Feldtheorien mit Teilchentheorien zu vereinigen.

    Welche gültige Konvention meinen Sie denn?

    Früher oder später wäre jede Firma im Konkurs.

    Konkurs gehen doch wohl eher die Firmen , die sich darauf verlassen, ohne physikalisches Backup, jederzeit auf immateriellen Wegen wieder an ihre Daten kommen zu können.

    Sie scheinen unbedingt zu wollen, dass der Dualismus richtig ist. Soll das als ein Ausdruck und Beleg ihres freien Willens interpretiert werden?

  184. @ Joker 15.09.2024, 18:10 Uhr

    Zitat: „Welche gültige Konvention meinen Sie denn?

    Übliche Konventionen, wie die Quantefeldtheorien, versuchen doch gerade Feldtheorien mit Teilchentheorien zu vereinigen.“

    Das ist schön dass das „versucht“ wird. Offensichtlich wurde das aber noch nicht geschafft.

    Ich habe im Internet „geschmökert“ und bin auf Aussagen gestoßen, die eher darauf hindeuten dass über Funk keine Materie, jedenfalls nicht im üblichen Sinne, transportiert wird.

    In der Diskussion mit Balanus ging es doch darum, dass vor 50 Jahren ein „Antidualist“ der Auffassung war, dass Materie prinzipiell mit Information fest verknüpft wäre und es absolut unmöglich wäre, Prozesse steuernde Information, wie z.B. heutzutage Handyapps, zu übermitteln.
    Das ist widerlegt, es geschieht täglich viele Millionen mal.

    Weiters war der „Antidualist“ (er war auch Hardcore Atheist) der Auffassung, dass Information grundsätzlich verloren geht, wenn die damit verknüpfte Hardware „stirbt“. Er hat ausgeschlossen, dass die Information einfach auf billige Datenträger kopiert werden kann, um den „Tod der Hardware“ zu überstehen.

    Wie Sie selbst gesagt haben, ist ein physikalisches Backup die Lösung. Nichts anderes habe ich behauptet.

    Der Begriff „Dualismus“ beschreibt traditionell genau diesen Sachverhalt. Hardware ist das was „stirbt“, „Information“ existiert weiter. Dass dabei immer auch „etwas“ (billige Datenträger) Hardware übrig bleibt ist klar, das bestreite ich doch nicht.

    Das bedeutet, die Informatik würde es nicht geben, ohne diesen besonderen Dualismus, die Firmen könnten, wenn ihre Hardware „stirbt“ keine Rechnung mehr ausstellen. Alles völlig banale aber zutreffende Aussagen….

    Meine Motivation ist ganz einfach, ich konnte es nicht ertragen, dass Antidualisten meine Zunft als Betrüger gesehen haben, weil wir einfach mittels Kopierprozesse auf Datenträger das „Sterben“ der Hardware „überlistet“ haben und die Information ganz einfach auf extrem viele Geräte übertragen konnten.

    Wie würden Sie reagieren, wenn Sie von der Softwareproduktion und Verkauf leben und einer verfolgt Sie hartnäckig und mit Hass, weil das was Sie erfolgreich jeden Tag tun, seiner Auffassung nach völlig unmöglich wäre…..?

  185. @ Balanus:

    Wenn ja, dann wäre es interessant zu erfahren, wie man sich beim feien Willen die entsprechenden neurophysiologischen Vorgänge in etwa vorstellen kann.

    Betrachten wir das Gehirn des Menschen.

    Erstens besitzt das Gehirn eine Eigenaktivität die nicht durch Stimuli/Inputs aus der Umwelt induziert wird. D.h. es besitzt Neurone die selbstständig feuern. Es ist daher “autonom” (ihr dürft gerne andere Begriffe wählen die ihr passsender findet, ich habe keine Lust auf philosophische Streits um Begriffe 😉 ).

    Zweitens werden Stimuli/Inputs immer in Relation zu dieser Eigenaktivität verarbeitet bzw. gestellt. In frühen sensorischen Arealen des Gehirns, wie beispielsweise A1 oder V1, überwiegt natürlich der Anteil stimulus-induzierter Aktivität. Aber insbesondere in späteren Arealen bzw. zentraleren überwiegt salopp formuliert die Eigenaktivität. Ich formuliere dies bewusst “salopp” oder kurz und knapp da Details jeden Blogkommentar bezüglich der Länge sprengen würden.

    Was würde passieren wenn es keinen “freien Willen” (philosophischer Begriff bzw. philosophische Betrachtung) gäbe? Man kann das in Modellen am Computer simulieren. Man kann beispielsweise simulieren dass visuelle Inputs aus der Umwelt nicht auf V1 treffen sondern direkt auf DLPFC Areale oder so. Ganz einfach: dann würde die Umwelt mit uns ping pong spielen. Der Mensch bzw. das Lebewesen würde zu einem Spielball der aktuellen Umweltinputs werden. Kein Lebewesen würde so überleben; das Leben (zumindest auf unserer Organisationsebene) wäre längst ausgestorben.

    Organe müssen sich selbst organisieren um zu überleben. Das Gehirn ist wie das Herz ein Organ. Das Gehirn teilt sich sogar u.a. die gleichen Ionenkanäle in Zellen jene diese Eigenaktivität erlauben. Unser Überleben steht auf dem Spiel, nicht das der Umwelt oder “Welt”.

    Kurzum: natürlich haben wir aus meiner Sicht einen freien Willen. Ein primäres Problem bei der Diskussion ist dass andauernd verschiedene epistemische Ebenen (philosophisch, psychologisch, soziologisch, neuronal, etc.) miteinander vermischt werden. Natürlich kann man die Ebenen parallel stellen. Denn es ist ja eine spannende Frage was neuronal z.B. mit der Erfahrung eines Willens “sense of agency etc.” korrespondiert. Ich sage bewusst korrespondiert, da hier aus meiner Sicht eine epistemische Korrespondenz besteht, nicht aber eine ontologische Korrelation. Ich hoffe der Unterschied ist klar. 😉

    Kurzum: die Art und Weise wie das Nervensystem oder Gehirn seine eigenen Dynamiken bereitstellt und wie diese natürlich auch mit der Umwelt interagieren entspricht für mich neuronal dem was man philosophisch freien Willen nennt. Da ein bewusstes Gehirn, ja nicht einmal im Traum, niemals von der Umwelt komplett abtrennbar ist gibt es natürlich auch keinen geistlichen oder mentalen absoluten freien Willen. Es gibt nur einen relativen, relativ im Bezug auf andere Faktoren.

  186. @ Mussi 15.09.2024, 21:21 Uhr
    Mit der Sichtweise die ich mir aufgerissen habe und mit der ich herumlaufe, bin ich fast ein „Terrorist“.

    Höchstens ein den Pfaffen nahestehender Bekannter hat einmal gemeint, er möchte auch gerne vom Dualismus so überzeugt sein wie ich!!!!

    Heutzutage überwiegt vermutlich in unserer „Bildungsgesellschaft“ der „Antidualismus“, Opportunisten denken anders……..

  187. @ Philipp 16.09.2024, 05:40 Uhr

    Ich habe noch nie, außer noch vom Prof. Singer, Beiträge gelesen, die der Realität der elektrischen Informationsverarbeitung, aus „elektronischer Sicht“ im Gehirn so nahe kommen dürfte, wie in Ihrem Beitrag. Besonders was die Abbildung und Realisierung der individuellen Persönlichkeitsmerkmale durch Oszillationen von Neuronen betrifft.

    Allerdings habe ich keine medizinischen Erfahrungen, wie es sich mit den Details der Informationsverarbeitung in den verschiedenen Arialen verhält. Da sind sie offensichtlich „Spezialist“.

  188. @Elektroniker

    In der Diskussion mit Balanus ging es doch darum, […]

    Egal um was es am Anfang ging, sollte am Ende kein Blödsinn rauskommen.

    Der Begriff „Dualismus“ beschreibt traditionell genau diesen Sachverhalt. Hardware ist das was „stirbt“, „Information“ existiert weiter.

    Ja, ja, die Seele existiert auch ohne Leib. Amen.

    Wie Sie selbst gesagt haben, ist ein physikalisches Backup die Lösung.

    Nichts anderes sagt @Balanus. Information bedarf eines physikalischen Trägers.

    […] das bestreite ich doch nicht.

    Warum tun Sie dann ständig so, als ob Sie ihm widersprechen wollten?

    Hardware ist das was „stirbt“, „Information“ existiert weiter.

    Dass (ohne Backup) mit dem sterben der Hardware eben auch die dort gespeicherten Informationen verloren sind, wissen selbst Androiden:

    “Ich habe Dinge gesehen, die ihr Menschen niemals glauben würdet. Gigantische Schiffe, die brannten, draußen vor der Schulter des Orion. Und ich habe C-Beams gesehen, glitzernd im Dunkeln, nahe dem Tannhäuser Tor. All diese Momente werden verloren sein in der Zeit, so wie Tränen im Regen. … Zeit zu sterben.”
    (Replikant Roy im Film Blade Runner)

  189. @ Elektroniker

    Allerdings habe ich keine medizinischen Erfahrungen, wie es sich mit den Details der Informationsverarbeitung in den verschiedenen Arialen verhält.

    Stellen Sie sich vor dass das ganze Gehirn Stimuli aus der Umwelt so direkt aufnehmen würde wie frühe sensorische Areale. Was würde dann passieren?

    Genau, sämtliche Inputs aus der Umwelt würden die Eigenaktivität des Gehirns laufend “überschreiben”. Der Organismus würde dann durch die Umwelt sinnlos hin- und hergeworfen werden, oder er erstickt an Inputs die zu nichts mehr sinnvoll in Bezug gestellt werden. In so einem Fall wären wir wirklich komplett durch die Umwelt determiniert.

    Aber so ist es ja nicht. Fast der komplette Energieverbrauch des Gehirns wird für die intrinsische Eigenaktivität verbraucht. Umweltstimuli kommen nur on top, quasi die Sahne auf dem Kuchen.

    Natürlich kann man jetzt sagen: jaja, aber die Eigenaktivität ist ja auch determiniert, durch vorherige Ereignisse usw. Das Problem des freien Willens aus dieser metaphysischen Perspektive (aus der es häufig geführt wird) ist allerdings für mich genauso ein Pseudoprobleme wie das Leib-Seele-Problem. Deshalb argumentiere ich auf dieser Ebene nicht mehr.

  190. @ Joker 16.09.2024, 10:52 Uhr

    Vieles sehe ich wie Balanus. Nur beim Dualismus „hakt“ es.

    Zitat: „Der Begriff „Dualismus“ beschreibt traditionell genau diesen Sachverhalt. Hardware ist das was „stirbt“, „Information“ existiert weiter.“

    So sehe ich es. Allerdings existiert „genetische und memetische Information“ nach dem Tod (zumindest hauptsächlich, auch schon vorher) in den Nachkommen und auch Verwandten weiter. Es ist höchstens die Frage, wie viel an Information und wie lange noch, relevante Information übrig bleibt?

    Bei biologischen Systemen „verdünnt“ sich die übrig gebliebene Information. Bei technischen Systemen sind es praktisch 100% und es hängt vom Backupsystem ab.

    Zitat: „Ja, ja, die Seele existiert auch ohne Leib. Amen.“

    So habe ich es nicht behauptet. Ich behaupte normalerweise selbstverständliche „Tautologien“, die gar nicht falsch sein können.

    Zitat: „Dass (ohne Backup) mit dem sterben der Hardware eben auch die dort gespeicherten Informationen verloren sind, wissen selbst Androiden“

    Genau so ist es, eben praktisch eine Tautologie…..

    Zitat: „Warum tun Sie dann ständig so, als ob Sie ihm widersprechen wollten?“

    Zitat Balanus: „Cleverer Kerl, der Studienrat, ohne Materie keine Information, der Mann hatte absolut Recht!“

    Das war von Balanus vermutlich als provozierender Gag gemeint.

    Gelegentlich gebe ich halt meinen „Senf“ dazu. Beim Begriff „Information“ hat sich Balanus vermutlich vertan.

    Wenn man die Welt als Kontinuum von Ereignissen, vom „Nichts“ zum „Ist Zustand“ betrachtet, könnte es eine „Zeitspanne“ gegeben haben, in der zunächst nur die 3 „Komponenten“ Information – Raum – Zeit (jedenfalls ohne Materie), existiert haben. Der „1. Veränderungssprung“, das 1. Bit (vom „Nichts“ zu „Raum“ und „Zeit“….) dürfte das Geschehen initiiert haben. (It from bit? John Archibald Wheeler).

  191. @Philipp: Leben & Freiheit

    Danke für deine interessante Antwort @Balanus.

    Wenn wir tatsächlich nur Input-Output-Automaten wären – siehe dazu meinen neuen Beitrag: Die Physiker*innen –, dann könnte man keinen Begriff vom freien Willen aufrechterhalten.

    Ich will ja sowieso “den Willen” los werden.

    Der Aspekt der Entscheidungsgrade eines Organismus, auf den du zielst, ist von evolutionärer/biologischer Seite zentral: Die Überlebensfähigkeit in sich ändernden Situationen hängt entscheidend vom Entscheidungsspielraum eines Organismus ab; und wofür müssten wir uns so ein komplexes und “teures” (= Energie) Nervensystem leisten, wenn es uns nicht auch einen größeren Spielraum zum Aufrechterhalten der Lebensfunktionen und Fortpflanzung ermöglichen würde?

    Das wirft natürlich die Frage auf, inwieweit die interne Verarbeitung durch (frühere) externe Faktoren bedingt ist.

    Die praktische Freiheit unserer Entscheidungen und Handlungen mache ich vor allem am bewussten Abwägen und Planen fest; nur solche Prozesse kann man meiner Meinung nach auch Willensvorgänge nennen (und wurden somit nicht in den klassischen Libet-Experimenten etc. untersucht). Wir sind je freier, desto mehr Einfluss wir auf die Umstände haben, unter denen wir die Entscheidungen treffen.

    Damit bleibt natürlich das theoretische Problem, was diese Bewusstseinsvorgänge bestimmt; das ist eben das große Rätsel, das wir noch nicht einmal im Ansatz gelöst haben.

  192. @Elektroniker 15.09. / 18:10 // Dualismus

    (Das nachfolgende war bereits in der Pipeline, Jokers Einwurf und Ihre Entgegnung gab es da noch nicht)

    Es geht mir um Ihre Idee von der materieunabhängigen Information/Software, die Sie partout nicht aufgeben wollen oder nicht aufgeben können—was ja vielleicht zur Frage der Willensfreiheit passt.

    Ich sag’s mal so: Die Software (Information) an sich kann sicherlich als immateriell bezeichnet werden (weil nicht stofflich). Aber wenn sie genutzt werden soll, oder auch nur verbreitet werden soll, braucht es einen materiellen, stofflichen, oder sonst wie gearteten (z. B. elektromagnetischen) Träger. Auch Schallwellen können als Übertragungsmedium in Frage kommen.

    Andererseits ist es m. E. aber so, dass eine an sich immaterielle Information nur dann als solche existent ist, wenn sie irgendwo materiell verankert ist. Und sei es auch nur im Gehirn eines Informatikers.

    Und in dem traurigen Fall, dass besagter Informatiker stirbt, bevor er die Information weitergeben konnte, dann nimmt er sie mit ins Grab.

    Insoweit wäre folglich dem „Antidualisten“ (!) zuzustimmen, » dass Information grundsätzlich verloren geht, wenn die damit verknüpfte Hardware „stirbt «“.

    Speziell zum Dualismus: Bekanntlich spielen in der Willensfreiheitsdebatte dualistische Vorstellungen eine zentrale Rolle. Eine überwältigende Mehrheit der Menschen hält es für möglich, dass geistige Vorgänge, also Gedanken, unabhängig vom neuronalen Substrat auftreten und sich in den neuronalen Strukturen abbilden, und somit in die Welt getragen werden können.

    Trifft diese Kurz-Beschreibung in etwa Ihre Vorstellungen von den Vorgängen im Gehirn? Entsprechen Gedanken in etwa den Instruktionen einer Software, die dazu dienen, die Hardware Mensch zu steuern?

    So à la: Die Software („Geist“) bestimmt, was die Hardware (Gehirn, Körper) tut?

  193. @ Balanus 16.09.2024, 15:55 Uhr

    Zitat: „Es geht mir um Ihre Idee von der materieunabhängigen Information/Software, …“

    Die Information ist im „üblichen“ Sinne stets mit „irgendeiner“ (auch einer bestimmten) Materie verknüpft. Sie kann allerdings und darauf kommt es mir besonders an, z.B. mittels Kopierprozesse von Materie zu Materie „springen“ und die Information bleibt dabei unverändert.

    Die Informatiker haben es mit dem „Kopiertrick“ geschafft, zu vermeiden, dass, auch wenn sie samt 1 Datenträger „stirbt“, praktisch zu 100% auf den anderen Datenträgern vorhanden ist und weiter verwendet werden kann. Der „Kopiertrick“ ermöglicht eine „leichte“ Art von „Unsterblichkeit“ von Information. Ähnlich wie beim DNA Konzept in der Biologie.

    Ich sehe an sich vieles wie Sie, oder Philipp und Stephan Schleim.

    Geistige Vorgänge sind vermutlich vom Input, und den jeweiligen Status der neuronalen Strukturen abhängig. Stichworte: Gene, Meme, Sozialisation, Biographie (frühe – späte Erlebnisse), Umwelt, Zufall, Erkrankungen (körperlich, psychisch), besondere Kombinationen dieser Faktoren, Eigenschaften der Sensorik, Bewusstsein, äußere oder innere Zwänge,….

    Wesentlich dürfte sein, wie alle sensorischen/neuronalen/motorischen Komponenten mit den anderen Organen und der Chemie wechselwirken.

    An übernatürliche Mechanismen glaube ich nicht, allerdings verstehen wir sehr viel nicht….

    Das neuronalen System ist eher vergleichbar mit einem Gatterkonzept (W. McCulloch), weniger mit einem Computer. Gedanken werden am ehesten durch die Signale die durchs neuronale Netz „strömen abgebildet“, vergleichbar wie in der früheren Elektronik. Allerdings dürfe auch eine „Empfindungssensorik“ (kleine Zellverbände die elektrische Signale und Empfindungen generieren, z.B. Zapfen) eingebunden sein.

    Der Begriff „Instruktion“ passt nicht. Es sind eher für einen bestimmten Input typische Signalkombinationen, „Muster“, die jeweils in den Gattern ausgewertet werden.

    In der Sprache der Informatiker: Programminstruktionen steuern im Computer die Verarbeitung von Daten.

    In der Biologie werden „Objekte“ (Informatik) oder „Muster“ verarbeitet. Äußere Muster werden in innere Muster umgewandelt. Das „Programm“ befindet sich sozusagen in den verknüpften neuronal synaptischen Gatterschaltungen, die beim Lernen entstehen.

  194. @ Stephan:

    Die praktische Freiheit unserer Entscheidungen und Handlungen mache ich vor allem am bewussten Abwägen und Planen fest; nur solche Prozesse kann man meiner Meinung nach auch Willensvorgänge nennen (und wurden somit nicht in den klassischen Libet-Experimenten etc. untersucht). Wir sind je freier, desto mehr Einfluss wir auf die Umstände haben, unter denen wir die Entscheidungen treffen.

    Damit bleibt natürlich das theoretische Problem, was diese Bewusstseinsvorgänge bestimmt; das ist eben das große Rätsel, das wir noch nicht einmal im Ansatz gelöst haben.

    Es gibt einerseits das Erleben von Freiheit und andererseits ein philosophisches Konzept von Freiheit (wie in deinem Fall). Aber inwiefern korrelieren beide Seiten insgesamt (beispielsweise über sehr viele Situationen hinweg)?

    Ich wollte ursprünglich meine Bachelorarbeit über Sense of Agency (SoA) schreiben und habe damals diesen Sammelband komplett gelesen: https://www.amazon.com/Sense-Agency-Social-Cognition-Neuroscience/dp/0190267275

    Fazit: wann und unter welchen Faktoren (teilweise überraschend) Menschen ihre Handlungen als frei erleben muss nicht zwangsweise mit philosophischen Konzepten von Freiheit übereinstimmen. Auch gibt es viele neurowissenschaftliche Studien über SoA die neuronale Prozesse von SoA untersucht haben.

    Man könnte SoA als eine mögliche empirische Operationalisierung des “freien Willen” betrachten. Ich betone das bewusst vorsichtig, da natürlich zig Leute darauf springen und sagen würden dass SoA und freier Wille nicht identisch sind und es konzeptuell betrachtet natürlich wieder viele Unterschiede gibt. Ja, es ist nicht identisch bzw. 100% deckungsgleich. Aber es gibt in der Psychologie und in den Neurowissenschaften die etwas “psychisches” untersuchen niemals eine Operationalisierung die 100% identisch mit dem Konzept ist das sie messen soll, erst recht nicht mit philosophischen Ideen oder Begriffen wie “freier Wille”.

    Im übrigen: wenn du sagst dass “der freie Wille” aus deiner Sicht ein Konzept ist das besser gehen sollte stimme ich dem zu. Das gleiche betrifft aus meiner Sicht auch “das Bewusstsein”.

  195. @Philipp: Agency

    Danke für den Hinweis – die Erfahrung, dass die Handlungen meine sind bzw. ich bewusste Kontrolle über mein Verhalten habe, ist, denke ich, wichtig für unsere moralisch-normative Praxis. Das ist für die Willensfreiheitsdebatte relevant – gibt für sich aber noch kein Kriterium für Freiheit. Auf jeden Fall ist mir diese Forschung aber lieber als der 1000. Hirnforscher, der meint, die Libet-Like-Experimente hätten WF widerlegt.

    Übrigens sollte man in dieser Forschung durchaus die Quellen kritisch prüfen. Bisher ergaben meine Kontrollen bei allen angeblichen “Willenstäuschungen”, die so in der Literatur diskutiert wurden, dass bei näherer Betrachtung verschiedene Interpretationen möglich sind. Einen konkreten Fehler in dieser Hinsicht habe ich hier vor Jahren im Blog mit dem (ehem.) MPI-Direktor Kuno Kirschfeld diskutiert: Legt das Gehirn alles fest? Einleitung

    P.S. Diese viel gelesene Überblicksarbeit zum Thema kann ich empfehlen: What Is the Sense of Agency and Why Does it Matter?

  196. Zu : Bewusstsein, Libet-Experiment

    Das Bewusstsein soll eine „Übersicht“ über die jeweilige Situation bieten, um Handlungsalternativen bereit zu haben und „möglichst optimal“ handeln zu können.

    Das Libet-Experiment deutet darauf hin, dass das Bewusstsein eher ein „Beobachter“ ist, der nur in komplexen Situationen eingreift.

    Das Konzept ist auch gut mit technischen Systemen vergleichbar. Das möchte ich anschaulich am Beispiel der Energieversorgung aufzeigen.

    Anfangs hatte man nur einen Stromgenerator, wo einfach die Verbraucher angeschlossen wurden. Das hatte den Nachteil, dass das Netz schnell zusammengebrochen ist wenn zu viele Verbraucher den Strom eingeschaltet haben.

    Dann hat man Netzwerke aus verschiedenen Generatoren und Verbrauchergruppen gebildet, um die Sicherheit der Stromversorgung zu erhöhen. Es gab z.B. Verbraucher die wollten sehr viel Strom besonders billig, es hat ihnen aber nichts ausgemacht, wenn sie bei Strommangel abgeschaltet wurden.

    Der Strom kam aus verschiedenen Kraftwerken, z.B. Wasserkraftwerke, Gaskraftwerke, Kohlekraftwerke, Speicherkraftwerke,…

    Die Kraftwerke laufen einerseits automatisch. Wenn das Wasserkraftwerk nicht reicht, konnte recht schnell ein Gaskraftwerk dazugeschaltet werden und noch schneller ein Speicherkraftwerk. Beim Kohlekraftwerk dauert es länger weil erst das Wasser zu Dampf erhitzt werden muss. Natürlich kam es auch vor, dass Stromleitungen ausgefallen sind und Ersatzschaltungen vorgenommen werden mussten.

    Daraus erkennt man, dass für einer sicheren Energieversorgung viele Aspekte zu beachten sind.

    Man hat „Schaltwarten“ errichtet, wo die Techniker das Geschehen auf Messgeräten, graphischen Netznachbildungen und großen „Bildschirmen“ genau beobachten konnten um das Netz stabil zu halten.

    Das gleiche Problem hatten Lebewesen. Für manche war es ganz einfach, andere haben sich bei Gefahr einfach „verkrochen“ oder sind geflüchtet….

    Aber es wurde immer komplexer. Die Tiere mussten nicht nur sich selbst, sondern auch die Jungen in einer „gefährlichen“ Umwelt ernähren und schützen. Die Arbeit und die sozialen Netzwerke wurden immer komplexer.

    Viele „Arbeiten“ geschehen schnell „automatisch“ und ohne komplexe Abwägung der Handlungsoptionen. Z.B. Gehen, Radfahren, …
    Viele Tätigkeiten erfordern planmäßiges umsichtiges Handeln.

    Das ermöglicht dass „Bewusstseinsanzeigesystem“, was die Aktivitäten betrifft, ähnlich einer Schaltwarte.

    Das Geschehen wird mit den Augen beobachtet, im neuronalen Netz aufbereitet, Objekte werden erkannt. Auch an anderen „Bewusstseinsabbildungen“ werden Informationen in einen bestimmten (örtlichen und zeitlichen) Zusammenhang gebracht, auch diese „Denkobjekte“ werden erkannt und Handlungsoptionen ermittelt und umgesetzt. Empfindungs- und Gefühlssensoriken sind eingebunden.

    Das kann heutzutage (abgesehen von der „Empfindungssensorik“, die allenfalls durch ein „Bewertungssystem“ ersetzt wird) im Computer, z.B. so wie ich es dargestellt habe, „nachgebildet“ werden, sehr viel läuft völlig automatisch. Das Personal kann eingreifen.

    Die Besonderheit im Zusammenhang mit dem Bewusstsein, ist die Sache mit dem „örtlichen und zeitlichen“ Zusammenhang.

    In der Technik sind das ganz einfach „Datenfelder“ oder „Matrizen“ die ausgewertet werden.

    In der Biologie „hautartige Strukturen“ (Netzhaut) oder „Signalwellen“ die gleichzeitig an bestimmten Orten sehr viele Neuronen aktivieren und systematische verknüpfte „Ladungsverschiebungen“ bewirken können. Dadurch werden die zweckmäßigen „Kalkulationsprozesse“ ausgelöst.

    Der „freie Wille“ ist vermutlich eine nützliche, auch notwendige „Fiktion“. Zumal es z.B. „Vorfälle“ gibt (jemand schlägt sich „absichtlich“ selbst mit dem Hammer auf den Kopf) die nahe legen, dass Entscheidungen derartige Handlungen zu setzen, nicht wirklich „freiwillig“ erfolgen.

    Die Juristen wollen offensichtlich unterscheiden und auch temporär Kranke anders „behandeln“ als „gesunde“ Menschen.

  197. Mit dem Begriff ‘Willensfreiheit’ verhält es sich ganz ähnlich wie mit dem Begriff ‘Gott’.

    Nachdem klar geworden ist, dass das, was man sich ursprünglich darunter vorgestellt hat, im Falle von Gott, einen alten, weißhaarigen Mann mit langem Bart, nicht allzu plausibel ist, wurde an der Bedeutung des Begriffs herumgeschraubt. Gott ist nun von Fall zu Fall nur noch eine Idee, vielleicht auch eine Frau, oder ein Konzept, oder … Bla, bla, bla.

    Nun ist klar, dass das, was man ursprünglich mit Willensfreiheit verbunden hat, weder in einer deterministischen noch einer indeterministischen (durch Zufall beherrschten) Welt existieren kann. Anstelle nun einfach zu sagen, “Nein, Willensfreiheit gibt es nicht”, versucht man den liebgewonnenen Begriff umzudeuten. Kompatibilismus – in verschiedenen Facetten.

  198. Abgesang auf den freien Willen?

    @Joker

    Mir scheint, auch mit der Existenz der Willensfreiheit verhält es sich wie mit der Existenz Gottes: Gott (God!) existiert in gleicher Weise in der Vorstellung des Menschen wie der Freie Wille (Free Will—man beachte die Großschreibung).

    Das Konzept des “freien” Willens und das Konzept “Gott” sind bekanntlich von zentraler Bedeutung für das Konzept “Schuld”.

    @Philipp // 16.09.2024, 05:40 Uhr

    » Kurzum: natürlich haben wir aus meiner Sicht einen freien Willen.

    [..] die Art und Weise wie das Nervensystem oder Gehirn seine eigenen Dynamiken bereitstellt und wie diese natürlich auch mit der Umwelt interagieren entspricht für mich neuronal dem was man philosophisch freien Willen nennt.«

    Vielleicht sollte man besser sagen: wir haben (neuronal-bedingt) das Gefühl, einen freien Willen zu haben, und das ist das, „was man philosophisch freien Willen nennt“. So in etwa.

    @Stephan // 16.09.2024

    » Ich will ja sowieso “den Willen” los werden.«

    @Stephan // 17.09.2024, nebenan in einem Kommentar an @Fluffy)

    » Nach meiner Darstellung würde es schon einmal helfen und die ganze Diskussion wissenschaftlicher machen, diesen schwierigen substantivierten “Willen” aufzugeben und stattdessen von Willensvorgängen zu sprechen (für welche Abwägen und Planen entscheidend sind). «

    @Philipp // 17.09.2024

    »Im übrigen: wenn du sagst dass “der freie Wille” aus deiner Sicht ein Konzept ist das besser gehen sollte stimme ich dem zu. Das gleiche betrifft aus meiner Sicht auch “das Bewusstsein”.«

    Wenn man Begriff „Willen“ (Substantiv) abgeschafft hat, bleibt noch immer das Wörtchen „frei“. Debattieren wir dann über „freie Willensvorgänge“? Hilft das substantiell weiter?

    Apropos Willen: William H. Calvin hat zum Willen und Entscheidungenprozessen vor rund 30 Jahren folgendes geschrieben:

    /Ich könnte einen Roboter darauf programmieren, die Suchflüge einer Biene (und vielleicht sogar die des Kormorans) nachzuahmen, doch wenn man eine Katze oder ein Stinktier imitieren will, muß man offenbar den »Willen«, ja sogar eine Augenblickslaune berücksichtigen — einen Entscheidungsprozeß, der Unvorhersehbares enthält.

    Ich hoffe, daß niemand annimmt, nur Menschen hätten einen »Willem« — und ich benutze diesen Ausdruck, obwohl er ein wenig unpopulär geworden ist—; die Encyclopedia Britannica hat es für richtig befunden, dieses Stichwort zu streichen. Doch Wille und Laune wurden erfunden, längst ehe es Menschen gab.

    [Quelle: W.H. Calvin, Die Symphonie des Denkens. Wie Bewusstsein entsteht. dtv München, 1995]

    Nebenbei: In dem von Stephan verlinkten Frontier-Aufsatz wird aus der The Oxford English Dictionary eine die Definition des “freien Willens” zitiert:

    the power of an individual to make free choices, not determined by divine predestination, the laws of physical causality, fate, etc…

    Was mir auffällt, ist, dass man auch die physikalischen Gesetzmäßigkeiten mit aufführt, also Prozesse, die insbesondere auf der Zellebene zum Tragen kommen und schlichtweg nicht ausgehebelt werden können (nach aktuellem Forschungsstand).

  199. @Balanus:

    “Was mir auffällt, ist, dass man auch die physikalischen Gesetzmäßigkeiten mit aufführt, also Prozesse, die insbesondere auf der Zellebene zum Tragen kommen und schlichtweg nicht ausgehebelt werden können (nach aktuellem Forschungsstand).”

    Warum immer dieser lineare Physikalismus. Was hat eine Zelle mit meiner Entscheidung, spazieren zu gehen, zu tun? Absolut nichts. Denken Sie nochmal über Emergenz nach und darüber, dass es Gehirnfunktionen gibt, die völlig neue Verhaltensweisen zeigen.
    Dass Zellen für das Leben grundlegend sind, ist eine Binsenweisheit.

  200. @Joker: Gott

    Das ist nicht mein Kerngebiet – aber hobbymäßig habe ich mich dann doch auch mit Religionswissenschaften beschäftigt und insbesondere den Religionen Asiens.

    Demnach ist deine Darstellung zur Bedeutung von “Gott” nicht nur präsentistisch, sondern auch naiv. Denn nicht nur im Christentum, sondern wahrscheinlich in allen Religionen und Weltanschauungen gibt es komplexe Auseinandersetzungen mit der Frage; von Aristoteles’ “unbewegtem Beweger” (d.h. der unverursachten Erstursache im Universum) hast du vielleicht schon einmal gehört.

    Meine vorläufige Schlussfolgerung ist, dass es in allen Religionen verschiedene Sichtweisen gibt – eben für die verschiedenen Arten von Menschen. Manche wollen z.B. für Gebete ein konkretes Gottesbild (sei es der Gott der abrahamitischen Religionen, Krishna oder wer sonst); anderen reicht ein abstraktes Konzept (z.B. Brahman des unpersönlichen Advaita Vedanta).

    Nach dem linguistic turn sollte man sich eigentlich anschauen, wie Menschen einen Begriff verwenden bzw. was dessen Funktion ist, und nicht nur aus dem Lehnstuhl urteilen; diesen Vorwurf machte ich schon meinem früheren akademischen Lehrer Thomas Metzinger bei seinen Texten zur Spiritualität; “hintenrum” wollen die Naturalisten doch immer wieder ihre Metaphysik durchsetzen.

  201. @Joker: Kompatibilismus

    Nach meinen Kriterien sollte ein Begriff – wie Willensfreiheit – kohärent, nützlich und sinnvoll sein (wurde im Buch ausführlicher erklärt).

    Hast du bessere Kriterien?

    Dass ich mich vom Begriff der Willensfreiheit lieber verabschieden würde, ist hoffentlich klar; die Diskussion wird aber nun einmal unter dieser Überschrift geführt.

    Bezweifelst du, dass es so etwas wie Willensakte in der Welt gibt? Und dass man die Frage stellen kann, unter welchen Umständen sie mehr oder weniger frei sind?

    Eine kompatibilistische Sichtweise bietet in diesem Sinne zum Beispiel ein Fundament für unsere moralische und rechtliche Praxis, Menschen für ihre Taten oder Untaten verantwortlich zu machen: Das ist, je nach Einzelfall, mehr oder weniger kohärent, nützlich und sinnvoll.

    Hast du eine bessere Praxis in Gedanken? Einfaches Beispiel: Nimmst du es jemandem nicht übel, wenn er mutwillig auf deinen Fuß tritt, um dir weh zu tun? Und siehst du nicht darüber hinweg, wenn das auf einem schaukelnden Schiff passiert und die Person “nichts dafür kann”?

  202. @Balanus: Diese Definition war mir auch aufgefallen; mir gefällt sie aus vielfach genannten Gründen nicht.

    Mit dem Verweis auf natürliche Gesetzmäßigkeit sind wir dann wieder im 19. Jahrhundert, bei Carl Vogt.

  203. @ Balanus:

    Vielleicht sollte man besser sagen: wir haben (neuronal-bedingt) das Gefühl, einen freien Willen zu haben, und das ist das, „was man philosophisch freien Willen nennt“. So in etwa.

    Die Diskussion um den freien Willen wird meistens auf einer metaphysischen Ebene geführt. Man könnte z.B. argumentieren dass auch unser Erleben von “Freiheit” epiphänomenal und letztendlich determiniert ist. Allein deshalb würden viele akademische Philosophen deine Definition kritisieren.

    Meine Meinung (wie zuvor schon geschrieben): Die Frage nach dem freien Willen ist für mich ein Pseudoproblem (auf der üblich diskutierten metaphysischen Ebene). D.h. meine Antwort auf diese Frage ist weder “ja, es gibt einen freien Willen”, noch “nein, es gibt keinen freien Willen”. Die Frage ist sinnlos, deshalb kann man sie (aus meiner Sicht) auch nicht mit “ja” oder “nein” beantworten.

    In der Alltagssprache, außerhalb “Academia”, kann ich nur sagen: ja, wir sind frei, wir besitzen Freiheitsgrade. Ich glaube nicht dass es sowas wie eine durchdeterminierte Welt gibt. Das ist alles nur Metaphysik von uns winzigen Lebewesen auf diesem winzigen Planeten…

  204. @Stephan Schleim

    Dass ich mich vom Begriff der Willensfreiheit lieber verabschieden würde, ist hoffentlich klar; die Diskussion wird aber nun einmal unter dieser Überschrift geführt.

    Verstehe ich das richtig, Du willst nicht die Verantwortung dafür übernehmen, dass in deinem Buch und deinen Blogartikeln der Begriff Willensfreiheit in Titel und Überschriften auftaucht?

    Wenn Du über Willensakte reden möchtes oder über Sense of Agency, würde ich das auch für den Titel empfehlen. Dann kannst Du dir auch ersparen, zu erforschen, was andere so über Willensfreiheit denken, bzw. gedacht haben.

    Bezweifelst du, dass es so etwas wie Willensakte in der Welt gibt? Und dass man die Frage stellen kann, unter welchen Umständen sie mehr oder weniger frei sind?

    Nein und nein. Seltsame Fragen an mich. Ich hoffe Du willst mir nichts unterstellen.

    Eine kompatibilistische Sichtweise bietet in diesem Sinne zum Beispiel ein Fundament für unsere moralische und rechtliche Praxis, Menschen für ihre Taten oder Untaten verantwortlich zu machen

    Etwas als Fundament zu betrachten, was es nicht gibt, sei es nun Gott oder die Willensfreihet, und seine (Gedanken- oder Rechts-) Gebäude darauf zu bauen, halte ich für eine äußerst fragwürdige und wacklige Angelegenheit. Stabil geht anders.

    Das alles wie in Sodom und Gomorra endet, wenn niemand mehr an die Willensfreiheit glaubt, scheint mir weit hergeholt zu sein. Selbst Gottlose verhalten sich doch meistens ziemlich sozial. Kennst Du einen Philosophen oder Physiker, der die Willensfreiheit verneint hat und daraufhin kriminell geworden ist?

  205. @Joker: Verantwortung

    Verstehe ich das richtig, Du willst nicht die Verantwortung dafür übernehmen, dass in deinem Buch und deinen Blogartikeln der Begriff Willensfreiheit in Titel und Überschriften auftaucht?

    Mit meinem Statement habe ich gerade die Verantwortung dafür übernommen – und der Realität in die Augen gesehen.

    Mir ist gerade nicht klar, von welchem Standpunkt aus du argumentierst, wenn du das Wort “Verantwortung” in den Mund nimmst.

    Das alles wie in Sodom und Gomorra endet, wenn niemand mehr an die Willensfreiheit glaubt, scheint mir weit hergeholt zu sein.

    Das geht an meinem Standpunkt vorbei, da WF für mich nicht essenziell ist, sondern eine Redeweise.

  206. @W. Stegemann

    Lange Antwort auf einen kurzen Einwurf:

    » Dass Zellen für das Leben grundlegend sind, ist eine Binsenweisheit. «

    Nicht nur „grundlegend“ für das Leben („das Leben“ ?), die Zelle ist die lebende Einheit schlechthin.

    Wobei das Attribut „lebend“ ja auch nur für die besonderen dynamischen, biochemischen und biophysikalischen Eigenschaften dieser sich selbstorganisierenden Einheiten steht. „Leben“ als solches gibt es, wie wir beide ja wissen, nicht als Ding, das hat „Leben“ offenbar mit dem „Willen“ gemein.

    Wenn mir also schon bewusst ist, dass die Zelle ein System mit ganz besonderen, ganz außergewöhnlichen Eigenschaften darstellt, warum sollte ich ein Problem mit den besonderen (System-)Eigenschaften der interagierenden Hirnzellen (Neuronen, Gliazellen, etc,) haben, aus denen die diversen Hirnfunktionen resultieren?

    Mir genügt an dieser Stelle, wie schon des Öfteren gesagt, der Begriff Systemeigenschaft. Wenn ich an „Emergenz“ denke, tauchen bei mir regelmäßig esoterisch angehauchte Vorstellungen auf (etwa wenn Emergenz als Erklärung für das Entstehen von „Bewusstsein“ dienen soll).

    Zugegeben, mit dem Wechsel auf höhere Beschreibungsebenen spielen die darunterliegenden Bedingungen und Einschränkungen meist keine Rolle mehr, sie werden einfach als gegeben vorausgesetzt. Günstigstenfalls.

    Es gibt aber auch die Situation, das wird diese basale Ebene mit ihren biophysikalischen Gesetzmäßigkeiten sehr wichtig, nämlich dann, wenn jemand aus der Dualisten-Fraktion behaupten sollte, Willensakte geschähen durch „mentale Verursachungen“, also etwa durch Gedanken — und das nicht nur bildhaft meinen –, sondern als neurobiologisches Faktum.

    Vor einiger Zeit war u.a. John-Dylan Haynes bei Scobel zu Gast (3sat: „Brain-Hacks – Wer schützt unsere Gedanken?“). Ich staunte nicht schlecht, als Haynes zu erkennen gab, dass er keine klare antidualistische Position bezieht in der Frage, wie Gedanken und neuronale Aktivitäten zusammenhängen. Er lässt das einfach offen, weil es in der Praxis, also im Labor, keine Rolle spielt, was von was abhängt.

    Mir wäre so eine Haltung nicht möglich.

    Was, frage ich, wäre denn das stärkste Argument gegen eine mentale Verursachung von Gedanken und Handlungen? Ich meine, es sind die physikalischen Gesetzmäßigkeiten, vor allem auf der zellulären Ebene. Emergentisten könnten versucht sein, die mentale Verursachung als eine „völlig neue“ Eigenschaft des hochkomplexen Nervensystems zu „erklären“, eine Eigenschaft, für die die tieferliegenden Komponenten des Systems nicht mehr relevant sind.

  207. @Balanus:

    Hier fallen wir wieder der Begriffsvertauschung zum Opfer. Streng genommen kann man nicht sagen, dass Bewusstsein die Physis beeinflusst. Da kommt man schnell auf eine ganz falsche Schiene. Man müsste sagen, das, was wir psychologisch unter Bewusstsein verstehen, formulieren wir physiologisch. Und dann haben wir einen Einheit und können sagen, dort, wo die Struktur- bzw. Informationsdichte am höchsten ist (nämlich im Gehirn), existiert ein Gradient, der kausale Kraft hat und damit den Rest des Organismus beeinflussen kann. Das hat dann nichts mehr mit Esoterik oder Dualismus zu tun, erklärt aber Dinge wie Psychosomatik oder den Placeboeffekt oder Meditation.

  208. @Balanus:

    achso, noch zur Emergenz: Es ist für mich nur ein Begriff für das Konzept einer ständigen ‘Abstraktion’, bei der Strukturen zusammengefasst werden und damit eine höhere Abstraktionsstufe erreichen. Banales Beispiel: 1+1+1+1 wird durch ‘Abstraktion’ zu 4×1. Das, was ich in der Schule in der 9. Klasse gelernt habe, war etwas anderes mit anderen Regeln, als das, was ich in der ersten Klasse gelernt habe. Und diese Strukturen müssen eine physiologische Entsprechung haben. Aber nicht 1:1, also Neuron A entspricht Gedanke A’. Sondern die emergente neuronale Struktur S entspricht der emergenten Denkfigur S’. Und beide sind eben nicht linear aus ihren einzelnen Elementen herleitbar.
    Im Grunde eigentlich ganz einfach, wenn man will, oder?

  209. @ Balanus 18.09.2024, 21:22 Uhr

    Zitat: „Wenn ich an „Emergenz“ denke, tauchen bei mir regelmäßig esoterisch angehauchte Vorstellungen auf (etwa wenn Emergenz als Erklärung für das Entstehen von „Bewusstsein“ dienen soll).“

    „Emergenz“ ist (neben dem „Empfindungsphänomen“) für das Bewusstsein sehr wichtig,

    Könnte man sich so vorstellen: Ein Feuerwehrauto ist rot gestrichen, hat ein lautes Horn, sonst hat es alle Muster die auch ein anderes Auto hat.

    Es könnte, angenommen reichen, wenn nur eine rot empfindliche Zellen vom Auge ausgehend feuert und „meldet“ dass sich „rote Punkte“ schnell nähern. Das könnte sehr schnell einen „Fluchtreflex“ auslösen um nicht überfahren zu werden. Da wäre das eigentliche Bewusstsein noch nicht eingebunden.

    Jetzt feuern aber nicht nur viele „rot sensible Zellen“, sondern auch „trara sensible Zellen“ und auch viele Zellen die auf Muster von Autos reagieren. Bestimmte Kombination vieler Zellen, die genau typisch sind für das schnell fahrende Feuerwehrauto.

    Allenfalls könnte eine einzige, oder ganz wenige Zellen für einen schnellen Reflex reichen. Man will (und muss) aber vieles „genauer wissen“ und so brauch man normalerweise eine „Übersicht“ von vielen Zellen, die eine Vielzahl von typischen Mustern (gleichzeitig) abbilden, um alles möglichst genau analysieren zu können. (Stichworte: Sensoren, Netzhaut, Haut. viele parallele Signale, „Arrays“, „Datenfelder“, „Matrizen“,…..)

    Es kommt auf viele „gleichzeitige gemeinsame Muster“ aus den Kombinationen feuernder Neuronen an. Dass also erst aus vielen einzelnen „Signalmustern“ realistische „Gesamt Muster“ entstehen, die einen übergeordneten Sachverhalt (z.B. heranrasendes Feuerwehrauto) recht gut „abbilden“ und das nennt man auch „Emergenz“. Der Begriff ist „goldrichtig“.

    Die Input Information wird in der Sensorik in elektrisch Signale umgesetzt, die werden ausgewertet und sozusagen „interpretiert“ und steuern z.B. den Handlungsoutput, oder produzieren chemische Stoffe. Aus Information wird Materie, oder auch umgekehrt.

    Das ist für Dualisten ganz einfach und für Elektroniker/Informatiker alltägliche Arbeit. Sie kämen nicht auf die Idee, sich wegen „anti dualistischer Denkverbote“, sich das Leben unnötig schwer zu machen.

  210. @Elektroniker

    » Das ist für Dualisten ganz einfach…«

    Ich schätze, da haben Sie einen Punkt. Nicht umsonst sind rund 90% der Menschen Dualisten.

    (Kleine Provokation gefällig?
    Pippi L.:…ich mach mir die Welt, widewide wie sie mir gefällt. ; – )

  211. @Elektroniker

    Aus Information wird Materie

    Für Sie wiederhole ich mich gerne: Egal um was es am Anfang ging, sollte am Ende kein Blödsinn rauskommen. Und schon gar kein fettgedruckter.

  212. @Philipp

    » Ich glaube nicht dass es sowas wie eine durchdeterminierte Welt gibt. «

    Kommt wohl darauf an, was man mit dem Begriff „Determination“ verbindet.

    Ein empirischer Wissenschaftler wird wohl grundsätzlich von der Idee der durchgängigen Determination ausgehen, das heißt: Alle Phänomene sind prinzipiell aus Ursachen und Motiven erklärbar, wobei deren Gesetzmäßigkeiten auch durch Wahrscheinlichkeiten ausgedrückt werden können.

    Eine Welt ohne durchgängige Determination im obigen Sinne wäre viel zu oft unkalkulierbar, man könnte nie sicher sein, ob nicht gerade eine Lücke im gesetzmäßigen Ablauf der Dinge zu Buche schlägt.

    Und um das noch hinzuzufügen: Der nicht vorhersehbare Ausgang eines Entscheidungsprozesses beruht ja eher nicht auf Unregelmäßigkeiten bei den biophysikalischen Gesetzmäßigkeiten, sondern ist hauptsächlich Folge der Komplexität der ineinandergreifenden neuronalen Prozesse—garniert mit physiologischen Spontan- und Eigenaktivitäten. Aber wem erzähle ich das …; – )

  213. @ Joker 19.09.2024, 11:11 Uhr

    Anschaulich banal: Wenn man die Welt als Kontinuum von Ereignissen, vom „Nichts“ zum „Ist Zustand“ betrachtet, könnte es eine „Zeitspanne“ gegeben haben, in der zunächst nur die 3 „Komponenten“ Information – Raum – Zeit (jedenfalls ohne Materie), existiert haben.

    Der „1. Veränderungssprung“, das 1. Bit (vom „Nichts“ zu „Raum“ und „Zeit“….Materie) dürfte das Geschehen initiiert haben. (It from bit? John Archibald Wheeler). Das scheinen Sie zu akzeptieren?

    Materielles zu Information: Wenn materielle Prozesse z.B. mittels Sensoriken, Messgeräten, Videokameras, Computer,… interpretiert werden, ergibt sich Information. Wenn ein Auto auf der Autobahn fährt, Tempo 100 gemessen wird, so ist das eine relevante offensichtliche Information….
    „100“ kann auf einem Messgerät, Blatt Papier, im Computer, praktisch beliebig auf Datenträger …. abgebildet werden.

    Ich wäre schon neugierig, wie Sie diese Aussagen „zerlegen“, und das Gegenteil beweisen würden.

    Da könnte ich noch allerhand dazu lernen, ich bin schon sehr neugierig…..

  214. @Elektroniker

    nur die 3 „Komponenten“ Information – Raum – Zeit (jedenfalls ohne Materie)

    Hatten Sie nicht bereits zugestimmt, dass Information immer materiell gespeichert ist???

    Aus Information wird Materie,

    Wiviele Materie entsteht denn aus 1 Kilobit an Information?

    oder auch umgekehrt.

    1 g Materie enthält wiviel Bit Information?

    Mit den Antworten von Ihnen würde ich das Thema dann hier als beendet betrachten.

  215. @ Balanus:

    Kommt wohl darauf an, was man mit dem Begriff „Determination“ verbindet. Ein empirischer Wissenschaftler wird wohl grundsätzlich von der Idee der durchgängigen Determination ausgehen, das heißt: Alle Phänomene sind prinzipiell aus Ursachen und Motiven erklärbar, wobei deren Gesetzmäßigkeiten auch durch Wahrscheinlichkeiten ausgedrückt werden können.

    Ich verstehe was du meinst, aber Kausalität impliziert nicht Determinismus.

  216. @ Joker 19.09.2024, 20:44 Uhr

    Zitat: „nur die 3 „Komponenten“ Information – Raum – Zeit (jedenfalls ohne Materie)“

    Das ist ein auch für mich nahe liegender Aspekt der Physiker.

    Zitat: „Hatten Sie nicht bereits zugestimmt, dass Information immer materiell gespeichert ist???“

    „Immer“ würde ich zurücknehmen. Es ist mir eingefallen, dass Informatiker z.B. den Zahlenwert von so etwas wie „Mathematischen Konstanten“ (z.B. Pi) mittels abstrakter, nicht materieller Algorithmen berechnen. Sie sind „implizit“ vorhanden, werden berechnet und dann auf Materie gespeichert.

    Zitat: „Aus Information wird Materie,“

    Information kann Prozesse „anstoßen und steuern“, so dass sich Materie verändert allenfalls vermehrt, dabei könnte „neue Information entstehen“, ….. eine Art „Kettenreaktion“ könnte eintreten…..

    Zitat: „Wiviele Materie entsteht denn aus 1 Kilobit an Information?“

    Ein derartiger Zusammenhang ist mir nicht bekannt. Würde aber auch nicht ausschließen, dass Physiker irgendwann, auch im Zusammenwirken mit Energie, einen derartigen Zusammenhang nachweisen können….

    Das Thema hat eigentlich noch sehr lange Zeit kein Ende….

  217. @ Balanus:

    Als Ergänzung im Bezug auf empirische Wissenschaft:

    – Determinismus: stelle dir ein bestimmtes Experiment vor, beispielsweise in den Neurowissenschaften. Du gibst dem Gehirn eines Probanden einen bestimmten Input. Einmal mehrmals hintereinander, und einmal jeweils einzeln an verschiedenen Tagen. Determiniert der Input die Gehirnaktivität bzw. die Reaktion des Gehirns? Nein! Denn die Reaktion der Gehirnaktivität auf den Input hängt immer von der vorherigen Eigenaktivität ab. Wenn du den Input beispielsweise zig mal hintereinander darbietest tritt ein Gewöhnungseffekt ein, d.h. die Reaktion des Gehirns kann immer geringer werden und das obwohl der Input gleicht bleit.

    – Kausalität: Beziehen wir uns wieder auf das obrige Beispiel. (Abgesehen davon dass das was Kausalität genau ist sowieso nicht klar ist und auch ein metaphysisches Thema aus meiner Sicht ist.) Es ist klar dass der Input zeitlich der Gehirnaktivität vorausgeht und die Gehirnaktivität “kausal” beeinflusst. Aber er determiniert sie eben nicht.

    – Teleologie: “Alles in der Welt hat eine Ursache”. “Es gibt Gründe warum Dinge geschehen”. “Elefanten haben so ein riesiges Gehirn weil es mehr Platz für Blutstrom und damit bessere Kühlung erlaubt”.
    Man argumentiert also mit Gründen und nicht mit Kausalität. Das ist Philosophie aber keine strikte Empirie mehr.

    Fazit:

    Ein empirischer Wissenschaftler wird wohl grundsätzlich von der Idee der durchgängigen Determination ausgehen, das heißt: Alle Phänomene sind prinzipiell aus Ursachen und Motiven erklärbar, wobei deren Gesetzmäßigkeiten auch durch Wahrscheinlichkeiten ausgedrückt werden können.

    Ich würde sagen nein! 😉

  218. @ Elektroniker:

    Sie betrachten Information als platonische Idee, so scheint es mir jedenfalls.
    Frage: wie messen Sie die Information von der Sie reden? Wie quantifizieren Sie die in einem Experiment?

  219. @Philipp: Wissenschaftstheorie

    Ich klinke mich hier noch einmal ein, weil du zum Stichwort “Teleologie” wichtige wissenschaftstheoretische Aspekte ansprichst:

    [1] “Alles in der Welt hat eine Ursache”. [2 ] “Es gibt Gründe warum Dinge geschehen”. [3] “Elefanten haben so ein riesiges Gehirn weil es mehr Platz für Blutstrom und damit bessere Kühlung erlaubt”.
    Man argumentiert also mit Gründen und nicht mit Kausalität. Das ist Philosophie aber keine strikte Empirie mehr.

    [1] ist ein axiomatisches Postulat; und wohl auch schon lange physikalisch-empirisch widerlegt.

    Allgemeiner könnte man auch das “Fundamentalismusproblem” ansprechen (hat nichts mit religiösem Fundamentalismus zu tun): die Begründung der Letztbegründung.

    Weil ich gerade mal wieder ‘was vom Wiener Kreis las: Das Postulat, wissenschaftliche Aussagen müssten verifizierbar sein, konnte natürlich nicht selbst verifiziert werden; man musste es also, wenn überhaupt, philosophisch begründen.

    [2] Hier müsste man sich die Semantik von “Gründe” und “Ursachen” genauer anschauen; dazu wurde schon viel geschrieben.

    [3] Dieses “weil” hier dürfte nicht problematisch sein und könnte man auch evolutionär-kausal lesen: Wenn so ein Gehirn unter den naturgeschichtlichen Umständen Überlebensvorteile bietet, dann wäre plausibel, dass es im Laufe der Evolution entstanden ist.

    Noch allgemein: Interessante Frage, ob man gänzlich ohne Teleologie auskommt. Man wollte sich traditionell wohl insbesondere von Aristoteles’ Ursachenlehre abgrenzen. Aber auch etwas wie “Überlebensvorteil” ist natürlich ein bestimmtes Ziel.

  220. Noch allgemein: Interessante Frage, ob man gänzlich ohne Teleologie auskommt. Man wollte sich traditionell wohl insbesondere von Aristoteles’ Ursachenlehre abgrenzen. Aber auch etwas wie “Überlebensvorteil” ist natürlich ein bestimmtes Ziel.

    Dafür haben andere Leute das Konzept der Teleonomie statt Teleologie eingeführt. Aber das ist natürlich auch Philosophie oder besser gesagt keine Empirie (zumindest nicht in der Art und Weise wie ich Empirie verstehe).

    Meine Antwort an Balanus bezog sich eigentlich nur auf seine Aussage dass empirische Wissenschaftler alle von einem durchgängigen Determinismus ausgehen (sei es implizit oder explizit) und das stimmt natürlich nicht.

    Dass es “Ursachen” für neuronale Aktivität die jetzt stattfindet gibt (aufgrund vorheriger neuronaler Aktivität, aufgrund des vorherigen Metabolismus der Energie in neuronale Aktivität umwandelt, aufgrund von Umweltstimuli, etc.) ist klar.

    Aber das ist für mich nicht das gleiche wie ein “durchgängiger Determinismus” bei dem eine Kette von vorherigen Prozessen “determiniert” was jetzt passiert. Hier vermischt man Kausalität mit Determinismus bzw. setzt beides aus meiner Sicht fälschlich gleich.

  221. @Philipp

    Schön, dass du nochmal nachgelegt hast…

    Erstens: Ich sprach von der durchgängigen Determination (nicht Determinismus), in der Annahme, das sei nicht ganz dasselbe. Man könnte unter Determination auch die vielfältige Bedingtheit der menschlichen Praxis verstehen, wir leben ja nicht im luftleeren Raum.

    Zweitens: Nach meinem Verständnis ist eine durchgängige Determination (gleich: durchgängige Gesetzmäßigkeit) mit der Physik vereinbar. Dein Determinismus-Begriff ist es wohl nicht, wenn ich dich richtig verstehe.

    Drittens: Teleonomie ist sicherlich ein sehr sinnvoller Begriff, der für etwas völlig anderes steht als der Begriff Teleologie:
    Teleolog sind primär ziel*intendierte* (geplante) Vorgänge, das Endprodukt steht von Anfang an fest (etwa beim Bau eines Autos),
    teleonom sind ziel*gerichtete* Prozesse (etwa die Entwicklung eines Organismus nach einem spezifischen genetischen Programm). Der Organismus weiß nicht, wo die Reise hingeht, der Autobauer schon.

    In der Biologie hat die Frage „wozu?“ durchaus seine Berechtigung: Wozu hat der Elefant große Ohren?

  222. @Stephan Schleim

    und wohl auch schon lange physikalisch-empirisch widerlegt.

    Das wäre mir neu.

    Lange bekannt ist mir, dass wir für einige subatomare Vorgänge keine Ursachen entdecken können.

  223. @Philipp, Balanus: kausale Determination

    Im Buch versuchte ich zu erklären, dass wir uns mit “kausal” auf das beziehen, was in der Welt passiert; mit “Determination” meinen wir, dass etwas festgelegt wird (i.d.R. von einem vorherigen Zustand); “Determinismus” passt aus den vielfach genannten Gründen meiner Meinung nach nur fürs Universum als Ganzes – oder eben nicht.

    Das Problem ist, mit Geert Keil gesprochen, dass die herzlich gerne bemühten “Naturgesetze” i.d.R. allgemeine Gleichheitszustände beschreiben – und eben gerade nicht, was konkret in der Welt passiert. Uns fehlen Verlaufsgesetze, wo man sozusagen den Anfangszustand eingibt und den Endzustand ausrechnen kann; gerade bei menschlichem Verhalten haben wir so etwas nicht einmal ansatzweise.

    Insofern ist ein Großteil dieser Diskussion einfach “spooky” – beziehungsweise balanesisch. 🤷🏻

  224. @Joker: Kausalität

    Wenn es Ereignisse in der Welt gibt, für die sich partout keine Ursache feststellen lässt – wahrscheinlich sogar aus prinzipiellen Gründen (z.B. Grenze der Messgenauigkeit), dann darf man deiner Meinung nach das Postulat, alles habe eine Ursache, nicht als hinreichend physikalisch-empirisch widerlegt ansehen?

    Dazu kommen noch theoretische Probleme wie das des Erstereignisses. Hat das eine Ursache? Dann ist es doch nicht das Erstereignis. Hat es keine Ursache? Dann ist das Postulat widerlegt. 🤷🏻

  225. @Stephan Schleim

    Wenn es Ereignisse in der Welt gibt, für die sich partout keine Ursache feststellen lässt – wahrscheinlich sogar aus prinzipiellen Gründen (z.B. Grenze der Messgenauigkeit), dann darf man deiner Meinung nach das Postulat, alles habe eine Ursache, nicht als hinreichend physikalisch-empirisch widerlegt ansehen?

    Das ist richtig. Und ich behaupte, das ist nicht nur meine Meinung.

    Dazu kommen noch theoretische Probleme

    Du hältst die Annahme eines Erstereignisses für theoretisch zwingend?

  226. @Joker: Beweisbarkeit

    Du weißt schon auch, dass man das Postulat der Existenz eines roten Teekessels zwischen Erde und Mars (Beispiel Bertrand Russell) nicht zu 100% empirisch widerlegen kann?

    Ich halte für vernünftig: Dass ab einem gewissen Grad an absence of evidence eben doch evidence of absence entsteht.

    So lange man das Postulat, alles habe eine Ursache, als Postulat vertritt, habe ich damit kein Problem; es ist wohl metaphysisch und wäre laut den Vertretern des Wiener Kreises damit sinnlos. Aber was soll’s? In Balanesien ist viel möglich. 🤷🏻

    Du hältst die Annahme eines Erstereignisses für theoretisch zwingend?

    Mit dieser Frage haben sich wohl einige buddhistische Schulen schon vor Jahrtausenden(?) auseinandergesetzt: Entweder es gibt eine Erstursache oder nicht; die Buddhisten kommen aufs Letztere und leiten daraus logisch u.a. die Ewigkeit des Universums ab, den permanenten Wandel von allem, letztlich die Leere allen Seins. Mit der Annahme eines Urknalls im strengen Sinn (nicht nur als Beginnpunkt dieses Universums sondern allen Seins an sich) ist das wohl nicht vereinbar.

    Ich kann deine Frage nicht beantworten. 🤷🏻 Ich würde nur sagen, dass die (nach heutigem Wissen plausible) Annahme eines Urknalls weder das Problem der Erstursache noch das Faktizitätsproblem löst: Warum gibt es überhaupt etwas und nicht nichts?

  227. Balanus:

    Schön, dass du nochmal nachgelegt hast…

    Bitte, ich schätze viele deiner Beiträge übrigens.

    Erstens: Ich sprach von der durchgängigen Determination (nicht Determinismus), in der Annahme, das sei nicht ganz dasselbe. Man könnte unter Determination auch die vielfältige Bedingtheit der menschlichen Praxis verstehen, wir leben ja nicht im luftleeren Raum.
    Zweitens: Nach meinem Verständnis ist eine durchgängige Determination (gleich: durchgängige Gesetzmäßigkeit) mit der Physik vereinbar. Dein Determinismus-Begriff ist es wohl nicht, wenn ich dich richtig verstehe.

    Es ist ja auch trivial dass Ergebnis X unter den Umständen Y und Z (und alle die mit dem Ergebnis X in Zusammenhang stehen) nur so kommen konnte wie sich Ergebnis X eben darstellt. Das ist trivial bzw. schon tautologisch. Wenn man das mit “Determination” meint dann ist der Begriff für mich nahezu völlig leer. Es steht nichts dahinter weil es einfach so trivial ist.

  228. @Philipp

    » Wenn man das mit “Determination” meint dann ist der Begriff für mich nahezu völlig leer. Es steht nichts dahinter weil es einfach so trivial ist. «

    Damit kann ich leben—habe ja auch nur auf deine „durchdeterminierte Welt“ reagiert. Mir war der Hinweis auf die durchgängigen Gesetzmäßigkeiten wichtig. Ob es das gibt oder nicht, sei mal dahingestellt, aber dass man in den empirischen Wissenschaften von der Gültigkeit der allermeisten physikalischen Gesetze ausgeht, erscheint mir evident.

    (Btw, mir geht es mit dem Begriff „Emergenz“ ganz ähnlich—trotz aller Erklärungsbemühungen durch Herrn Stegemann. ; – )

  229. Balanus:

    mein letzter Beitrag in der Diskussion hier (nicht weil es mir keinen Spaß macht, sondern weil wieder andere Dinge die nächsten Tage rufen…).

    Ob es das gibt oder nicht, sei mal dahingestellt, aber dass man in den empirischen Wissenschaften von der Gültigkeit der allermeisten physikalischen Gesetze ausgeht, erscheint mir evident.

    Die meisten Wissenschaften operieren wohl viel mehr in sich abgeschlossen als das ganze Gerede von “Interdisziplinarität” vermuten lässt.

    Selbst in den Neurowissenschaften (und hier rede ich auch nur von dem Bereich des Neuroimaging) gibt es soviele Spezialthemen die untersucht werden; da versteht Neurowissenschaftler A nicht wovon Neurowissenschaftler B redet.

    Es ist schon so schwer und mitunter mühsam Kollegen zu erklären was man macht, ohne dass manche überhebliche von ihnen einen gleich zerreisen und kritisieren was sie nicht einmal verstehen.

    Und die meisten Neurowissenschaftler haben von Physik nicht viel Ahnung (mich eingeschlossen). Umgekehrt wundert es mich was für einen Unsinn teilweise berühmte Physiker beispielsweise in Youtube Videos über das Gehirn sagen. Da sieht man dass diese Personen praktisch gar keine Ahnung haben und viel Quatsch in Pseudointellektueller Sprache produzieren. Und trotzdem wird sowas millionenfach angeklickt und von Leuten gefeiert. Was für eine verrückte Welt. 😉

    Dir ein schönes Wochenende!

  230. @Philipp: Aufmerksamkeit

    …und viel Quatsch in pseudointellektueller Sprache produzieren.

    Ja, so ist das leider mit denen, die “Wissenschaft” verkaufen, siehe nicht zuletzt Andrew Huberman.

    Zum Glück gibt es ja auch noch MENSCHEN-BILDER. 😉 Das wird aber leider nicht millionenfach geklickt. 🤷🏻

    Dir auch ein schönes Wochenende & Danke für deinen Diskussionseinsatz hier, den ich als Bereicherung des Blogs erfahre.

  231. @ Philipp 20.09.2024, 05:06 Uhr

    Zitat: „Sie betrachten Information als platonische Idee, so scheint es mir jedenfalls.“

    Kommt „irgendwie in die Nähe“. Ich habe aber einen Bildungsweg (Ingenieursschule Nachrichtentechnik) der extrem „fern der Philosophie“ war. Von den technisch orientierten Professoren wurden wir eher angehalten, uns völlig von philosophischen Konzepten fern zu halten und ausschließlich auf das reale technische Geschehen zu achten.

    Wir würden uns in nicht „zielführenden Gedanken verstricken“, was Kontraproduktiv wäre. Diesen Satz hörten wir immer wieder. Was mir noch aufgefallen ist, wurden theologische Aspekte, z.B. der Dualismus positiv berührt, gab es stets ein „irgendwie zweideutiges Lächeln“, es wurde aber nichts darüber geredet.

    Ich wurde als kleiner Junge ungefähr 1950 davon geprägt, dass im Radio berichtet wurde, eine wichtige Persönlichkeit wäre gestorben und kurz darauf wurde eine Ansprache des verstorbenen Politikers gesendet. Das schien mir unmöglich, zumal Verstorbene nicht mehr Reden halten können.
    Mein Vater hat mir alles recht gut erklärt und alles war „vorgezeichnet“….

    Wir wurden mit „dem Wesen von Information“ grundsätzlich immer mehr vertraut gemacht, als Sprache (Telephon, Radio,…), als Bilder (Kino, TV,…), besonders für Übertragung. Aber auch als Daten und Programme für die Verarbeitung im Computer. Berufsbegleitend bekam ich noch eine „Informatikausbildung“.

    Zitat Frage: „wie messen Sie die Information von der Sie reden? Wie quantifizieren Sie die in einem Experiment?“

    Man kann „Information“ nicht so messen wie z.B. ein Gewicht, oder eine elektrische Spannung. Grundlage ist die Kodierungstheorie. Ich möchte das möglichst anschaulich ausführen.

    Information hat vermutlich immer mit „Mustern“ zu tun. Im einfachsten Fall, wenn „etwas“ (z.B. auch Druckerschwärze an bestimmten Stellen) da ist oder nicht. Buchstaben bestehen aus bestimmten Mustern, wie wir sie kennen.

    Aus Gründen der Zweckmäßigkeit werden besonders Buchstaben codiert, so dass man sie einerseits übertragen, als auch einer maschinellen Verarbeitung zuführen kann. Man kann praktisch das „Weltwissen abbilden“ und in Computersysteme einspeisen. Sie haben z.B. auch verbale Bezeichner. Die werden mit Mustern aus Schallwellen realisiert.

    In der (alten) Analogtechnik wurde die übertragene Information nicht „direkt gemessen“. Maßgeblich war die „Bandbreite des Spektrums“ dass für eine Übertragung, z.B. von Sprache notwendig war. Beim Radio waren es in Europa 9 kHz. Bei einem TV Kanal 7 Mhz.

    In der Digitaltechnik wird Information stets codiert, ähnlich wie früher in Morsezeichen, und die 0/1 Zustände werden übertragen. Das hängt von der verwendeten Art der Übertragung ab.

    Beim einfachen Morsecode (der bekanntlich die Buchstaben kodiert) kann man recht gut erkennen, dass das „E“ der häufigste Buchstabe, als „ein Punkt“ codiert wird, das seltene „Q“ aus 2 Strichen, 1 Punkt und noch 1 Strich besteht. Der einfache Morse Code ist so optimiert, dass in möglichst kurzer Zeit ein Text übermittelt werden kann.

    In diesem Sinne gibt es verschiedene „Code Systeme“ die besondere Eigenschaften haben können, was z.B. die Sicherheit der Übertragung betrifft. Dafür sind natürlich mehr an Bits notwendig um die Information abzubilden.

    Je nachdem, wie viele „Bit“ für die Codierung eines „Buchstabens“ verwendet werden, kann man die Anzahl der Bits für einen bestimmten Text genau quantifizieren. Das würde Ihre Frage beantworten.

    Auch TV Bilder können, Bildpunkt für Bildpunkt, in Codes umgewandelt werden. Allerdings ist die Anzahl der Bits vergleichsweise extrem groß. Es gibt Möglichkeiten mittels „Kompressionsverfahren“, die eine „besondere Wissenschaft für sich sind“ Bits einzusparen.

  232. Stephan Schleim schrieb (20.09.2024, 11:46 Uhr):
    > […] mit Geert Keil gesprochen [ https://philarchive.org/archive/KEIW … ]

    Danke für diesen Hinweis!
    Ich muss etwas ausholen um zu zeigen, warum ich ihn sehr wichtig finde:

    > dass die herzlich gerne bemühten “Naturgesetze” i.d.R. allgemeine Gleichheitszustände beschreiben – und eben gerade nicht, was konkret in der Welt passiert. Uns fehlen Verlaufsgesetze […]

    Diese Bemerkung erschien mir doch äußerst fragwürdig (wie auch gelegentliche Erwähnungen von »Verlaufsgesetzen« seit 02.09.2024, 10:26 Uhr).

    Und “Gleichheitszustände” werden bei Keil gar nicht (unter diesem Namen) erwähnt (nur mittelbar »Äquivazenzgesetze« etc. bei »Schurz 1995«).
    Keil kontrastiert wohl »Verlaufsgesetze« mit »Koexistenzgesetzen«.

    Aber was meint er (und auch Schurz?) überhaupt mit dieser Unterscheidung? Wenn ich recht verstehe:

    […] den ontologischen Unterschied zwischen Universalien und Instanzen
    […] Koexistenzgesetze handeln ja vom Verhältnis zwischen Eigenschaften, also von Universalien, und aus Aussagen über
    Universalien lassen sich grundsätzlich keine Aussagen darüber ableiten, was tatsächlich in der Welt geschieht. […]
    Sukzessionsgesetze [dagegen] über Ereignisse [im Sinne von Geschehnissen, Tatsachen]

    Aha! — zu dieser Unterscheidung … zwischen

    – Definition von Messgrößen (jeweils als “Universalie”, durch Festsetzung bestimmter Messoperatoren von vornherein) und

    – Ermittlung bestimmter Messwerte (durch Anwendung des festgesetzten Messoperators auf jeweils gegebene Beobachtungsdaten), Versuch für Versuch (Instanz für Instanz) …

    bzw. entsprechend … zwischen Theorien und Modellen …

    … habe ich mich (in meinen Worten) ja schon öfters geäußert:

    Wir sollten also Modelle nicht für endgültig und unabänderlich gesetzt halten (sondern eher: für empirisch falsifizierbar).
    Die dafür angewandte Theorie (Definition des Messoperators) bleibt dabei aber so festgesetzt und “gültig” wie von vornherein.

    Nur schade/seltsam, dass Worte wie “Festsetzung” bzw. “festgesetzt” bei Keil so gut wie nicht auftreten …

  233. Ok, jetzt möchte ich doch noch auf Sie antworten, Elektroniker.
    Erst einmal danke für Ihre Antwort.

    Man kann „Information“ nicht so messen wie z.B. ein Gewicht, oder eine elektrische Spannung. Grundlage ist die Kodierungstheorie. Ich möchte das möglichst anschaulich ausführen.

    Man kann Information messen. Aber das geht nur wenn man Information nicht in dem semantischen Sinne der Alltagssprache versteht, sondern so wie es Shannon vorgemacht und alle nachfolgenden Weiterentwicklungen seiner Shannon Entropie gezeigt haben. Demnach kann man einen bestimmten Sinn bzw. eines bestimmtes Verständnis von Information sehr wohl quantifizieren und messen, angewendet auf alle möglichen Bereiche.

    Auch TV Bilder können, Bildpunkt für Bildpunkt, in Codes umgewandelt werden. Allerdings ist die Anzahl der Bits vergleichsweise extrem groß. Es gibt Möglichkeiten mittels „Kompressionsverfahren“, die eine „besondere Wissenschaft für sich sind“ Bits einzusparen.

    … wie z.B. der Lempel-Ziv Algorithmus der z.B. hinter dem ZIP Verfahren für Dateikomprimierung steht.

    Das Problem ist dass Sie ein sehr idiosynkratisches Verständnis von Information haben das dazu nicht quantifizierbar ist. Es ist daher “Philosophie”. Ich meine letzteres weder negativ noch positiv. Allerdings wird Sie so eben niemand jemals voll verstehen und es ist letztendlich fraglich ob Sie selbst verstehen wovon Sie sprechen wenn Sie ihr Konzept von Information praktisch nirgendwo konkret anweden können, sondern nur theoretisch darüber sprechen.

    Das meine ich nicht böse sondern einfach nur als Anregung.

  234. @Balanus:

    (Btw, mir geht es mit dem Begriff „Emergenz“ ganz ähnlich—trotz aller Erklärungsbemühungen durch Herrn Stegemann. ; – )

    Ich frage mich, warum immer über Begriffe gestritten wird, statt über Inhalte.

    Ersetzen Sie ‘Emergenz’ doch einfach, sagen wir, durch ‘Neue Struktur’.
    Nehmen Sie das Beispiel von @Elektroniker mit dem Feuerwehrauto.

    Jeder einzelne Reiz für sich ist jeweils nur ein einzelner Reiz. Stellen Sie sich vor, Sie sitzen in diesem Feuerwehrauto und rasen mit Blaulicht durch die Stadt. Vielleicht können Sie sich vorstellen, dass dies ein völlig neues Erlebnis ist gegenüber jedem einzelnen Reiz. Gleichzeitig kommen vielleicht noch unbewusste Ängste hinzu, Ihnen wird aufgrund der Fliehkräfte schlecht etc.

    Dieses Erleben, bestehend aus verschiedenen Einzelreizen ist eine ‘Neue Struktur’ des Erlebens, das natürlich auch eine ‘Neue Struktur’ auf physiologischer Ebene mit sich bringt.

    Wenn man nun möchte, dann kann man diesen Begriff ‘Neue Struktur’ auch als Emergenz bezeichnen. Es wäre genau dasselbe.

    Ich hoffe, dass dies einigermaßen verständlich ist.

  235. @ Philipp 20.09.2024, 16:38 Uhr

    Die Entropie in der Informationstheorie, die von Claude Shannon entwickelt wurde, wird z.B. bei der Entwicklung von Codes unter besonderer Berücksichtigung z.B. von Datenkompression oder Fehlerkorrektur angewendet. Das haben wir in der Theorie an einfachen Beispielen durchgenommen. Das habe ich auch anschaulich angedeutet. Praktisch war es kaum von Bedeutung.

    Zitat: „Allerdings wird Sie so eben niemand jemals voll verstehen und es ist letztendlich fraglich ob Sie selbst verstehen wovon Sie sprechen wenn Sie ihr Konzept von Information praktisch nirgendwo konkret anweden können, sondern nur theoretisch darüber sprechen.“

    Es war genau umgekehrt. Wir haben ehemals so gut wie nie „philosophisch theoretisch“ über „Information“ diskutiert. Sondern in der Hauptsache logische Schaltungen konstruiert, die Informationen (abgebildet auf elektrischen Signalen), verknüpft haben um komplexere Prozesse für industrielle Anwendungen zu steuern. (Boolsche Algebra).

    Die Schaltungen haben genau das zuverlässig getan, wofür sie vorgesehen waren. So wie später die erstellte Software genau so funktionieren musste, wie es geplant war.

    Die technischen Lösungen sollten mit möglichst wenigen teuren Halbleitern auskommen. Die Software möglichst „kurz“, gut kommentiert, und einfach zu warten sein.

  236. @Elektroniker:

    Ich weiß nicht, ob es hilft: https://medium.com/p/9f48df4f903d

    Eigentlich müsste für jeden der vielen verschiedenen Bedeutunge von Information ein eigener Begriff verwendet werden. Das einzig verbindende ist nämlich das Wort Information:

    Shannon: Information als Reduktion von Unsicherheit in Kommunikationssystemen.

    Algorithmische Information: Information als Komplexität in Bezug auf die Beschreibbarkeit.

    Thermodynamische Information: Information als Reduktion von Entropie in physikalischen Systemen.

    Semantic Information: Information als bedeutungsvoller und wahrer Inhalt.

    Quantum Information: Information als Grundbaustein des Universums (physikalische Realität entsteht aus Information).

    IIT: Information als Maß für Bewusstsein (Integration von Information).

    Biologische Information: Information als genetische Instruktionen zur Steuerung biologischer Prozesse.

    Fisher-Information: Information als Maß für die Präzision statistischer Schätzungen.

    Wieners Kybernetik: Information als Regelgröße in Feedback-Systemen und Steuerungsprozessen.

  237. @Philipp

    Ja danke, die auch ein schönes Wochenende, und melde dich mal wieder zu Wort, wenn‘s passt!

  238. @Wolfgang Stegemann

    Besten Dank für den Link, schaue ich mir gerne an!

    In dem vor längerer Zeit (weit, weit oben) verlinkten Essay „Is there such a thing as free will?“ ist mir ein Absatz aufgefallen, in dem es um den Determinismus geht. War ja gerade Thema hier und nebenan. Sie schreiben dort:

    Even if the term determinism is reintroduced, nothing changes. This is because determinism is a relative concept, depending on the space-time window you are looking at, in physical terms, depending on the size of the phase space.

    Das war mir auch schon durch den Kopf gegangen, dass man, wenn man schon den philosophischen Begriff Determinismus heranzieht, um für oder gegen was zu argumentieren, doch bitteschön das jeweils Zeitfenster beachten solle, das für das betrachtete determinierte Geschehen relevant ist.

    Meine Frage: Ist das mit dem differenzierenden Aspekt des Determinismus-Zeitfensters weitgehend Konsens in der Philosophie, oder ist das eher Ihr spezieller philosophischer Standpunkt, der überwiegend Kritik erfährt?

  239. Das ist mein Standpunkt, jedenfalls habe ich den noch nirgendwo anders gefunden.
    Wie Sie vielleicht schon festgestellt haben, bin ich (auch epistemischer) Relativist.

  240. @Stephan Schleim

    So lange man das Postulat, alles habe eine Ursache, als Postulat vertritt, habe ich damit kein Problem

    Aber ich habe ein Problem damit, wenn jemand auch nur den Anschein erweckt, die Sache wäre entschieden. Ich hätte kein Problem damit, wenn jemand sagt, das würde sich vermutlich nie entscheiden lassen. Aber Du meinst ja sogar, es gäbe Belege für die richtige Antwort, bzw. das Postulat sei “wohl auch schon lange physikalisch-empirisch widerlegt”

    Teekesselchen

    Welche der Seiten behauptet denn die Existenz eines Teekesselchens? Die, die sagen, es gibt ein Ereignis, dass keine Ursache hat, oder die, die sagen, alles hätte eine Ursache?

  241. das Postulat der Existenz eines roten Teekessels

    Du scheinst mir sogar zu behaupten, die ganze Welt wäre voller roter Teekessel.

  242. @Joker: Ursachen

    Oh je, da habe ich ja etwas losgetreten; aber ich finde es ja gut, wenn Leute mich hier herausfordern.

    Erstens einmal trägt üblicherweise derjenige die Beweislast, der eine positive Aussage formuliert; und in deinem Fall ist das nicht nur eine Existenzaussage (“Es gibt…”), sondern eine Allaussage. Das ist die stärkste mögliche Aussage, die man treffen kann; und die am einfachsten zu widerlegende Art von Aussagen.

    Die (positive) Annahme des Teekessels ist ja wohl analog zur (positiven) Annahme einer Ursache, für die es keine (bekannten) Evidenzen gibt. Ich glaube, du hast dich hier in etwas verrannt.

    Zurück zu meiner Behauptung: Ich hielt es für erwiesen, dass es Phänomene in der Welt gibt, für die eine Kausalerklärung überhaupt keinen Sinn ergibt; aber ich räume ein, dass ich das Argument hierfür nicht eben so aus dem Ärmel schütteln kann.

    Dazu kommt aber, dass die sogenannten Naturgesetze allgemeine Gleichgewichtszustände beschreiben, doch keine kausalen Erklärungen für konkrete Ereignisse liefern.

    Verlaufsgesetze sind eher die (sehr seltene) Ausnahme als die Regel; wären aber für einen nicht rein stochastischen Kausalitätsbegriff sehr wichtig.

    Außerdem wird mit dem Begriff der Ursache oft sehr unsorgfältig umgegangen; wir wollen gerne die Ursache wissen und angeben; das ist oft aber recht willkürlich bzw. unterkomplex.

    Man könnte auch noch einmal überlegen, ob wir Kausalität in die Welt legen, um sie zu verstehen (epistemisch), ohne wirklich sagen zu können, was dem in der Welt konkret entspricht.

    Alles in allem war meine Aussage salopp, ja, aber meiner Meinung nach doch plausibel und vertretbar. Demgegenüber ist dein Postulat schlicht ein Postulat.

  243. @Stephan Schleim

    Allaussage

    Ist die Behauptung, “radioaktiver Zerfall erfolgt spontan”, im Sinne von indeterministisch und ursachenlos, keine Allaussage?

  244. @ Joker 22.09.2024, 01:18 Uhr
    @ Stephan Schleim

    Was würden Sie sagen wenn einer formuliert: Es gibt immer eine Ursache, selbst ein „planmäßig“ eingebundener „Zufallsgenerator Mechanismus“ (der „Zufälle“ generieren kann, zwischen „nicht zufällig“ und „absolut zufällig“), kann „Ursache“ sein.

    Ist auch ganz klar. Ein Mensch (oder eine Gesellschaft) die absolut „vorhersehbar“, oder „generalisierend“ handelt, würde hemmungslos ausgenützt.

    Wenn wir z.B. „absolute Gutmenschen“ sein wollen und „Flüchtlinge“ freundlich beklatschen, „rundum“ für sie sorgen wollen, so werden sich „alle“ auf den Weg zu uns aufmachen, denen es etwas schlechter geht….

    Zufällige “Suchmethoden” ermöglichen es auch, “Neues” zu finden.

  245. @Joker: radioaktiver Zerfall

    Inwiefern ist das jetzt ein Gegenargument auf meine Einwände – oder jedenfalls einen davon?

    Klar gilt die Aussage über die Spontanität des radioaktiven Zerfalls für alle radioaktive Zerfallsprozesse; und könnte damit, theoretisch, mit nur einem Gegenbeispiel widerlegt werden.

    In diesem Sinne sind alle Induktionsschlüsse eine Ausdehnung auf in der Zukunft eintretende Ereignisse – und in diesem Sinne spekulativ: Das Ergebnis könnte so oder so ausfallen. Darum werden Induktionsschlüsse ja auch kritisiert. (Wissenschaftstheorie, Einführungsvorlesung)

    Das alles gibt keine Antwort auf die Frage, warum man überhaupt das Postulat der vollständigen kausalen Geschlossenheit annehmen sollte. Wie ich im Buch und hier gerade wieder schrieb, hielt Physiknobelpreisträger Planck die kausale Geschlossenheit für eine Voraussetzung von Wissenschaft schlechthin (was meiner Meinung nach falsch ist); Physiknobelpreisträger Zernike schrieb, dass mit der Quantenphysik das Postulat der kausalen Geschlossenheit der Welt vom Tisch sei.

  246. @ Stephan Schleim 22.09.2024, 10:17 Uhr

    Ich meine eine Hardware aus gekoppelten “Zählerschaltungen“ und der Möglichkeit radioaktive Zerfallsprozesse in die Elektronik einzubinden, die meines Wissens als (fast?) absolut zufällig gelten.

    Diese Anordnung kann „scheinbare“ Zufallszahlen generieren, die in Wirklichkeit streng determiniert sind.

    In einer „komplexeren“ Anordnung „Zufallszahlen“ in denen Mathematiker „Muster“ erkennen können. Weiters in einer noch komplexeren Anordnung, können Mathematiker keine Muster mehr erkennen, sie scheinen auch ihnen zufällig.

    Mit den Zerfallsprozessen sollten sie wirklich zufällig sein….

  247. @Wolfgang Stegemann

    » Das ist mein Standpunkt, jedenfalls habe ich den noch nirgendwo anders gefunden. «

    Ok, dann wäre das geklärt.

    Was Sie da in Ihrem Essay geschrieben haben (oben zitiert), erinnert mich an die Sache mit dem „deterministischen Chaos“. Wenn man Chaos als deterministisch bezeichnet, dann muss ja wohl ein anderes (kleineres) Zeitfenster zugrunde gelegt werden, als wenn man vom universalen Determinismus à la Laplace spricht. Ganz analog verhält es sich m.E. mit den Geschehnissen und Prozessen auf der Zell- oder Molekularebene. Das heißt, während auf der basalen Ebene, die allen höheren Organisationsebenen zugrunde liegt, es deterministisch zugeht und gewisse Voraussagen über den wahrscheinlichen Verlauf der Ereignisse erlaubt, sieht es mit weitreichenden Vorhersagen bei hochkomplexen Systemen eher schlecht aus.

    Aber ohnehin hat ja niemand hier im Kommentarstrang behauptet, man könne das zukünftige tierliche/menschliche Verhalten vorhersagen oder gar berechnen. Und auch sonst wird man kaum jemanden finden, der dies behauptet. Die Frage nach besonderen deterministischen Verlaufsgesetzen, die hier mehrfach erwähnt wurden, ist also eher akademischer (innerphilosophischer) Natur und praktisch irrelevant.

  248. @Wolfgang Stegemann

    Noch eine kleine Anmerkung zum zuletzt verlinkten Gastbeitrag auf philosophies:. „Emergenz des Bewusstseins“

    Zunächst einmal finde ich es schön, dass ich mit meinen Vorbehalten gegenüber dem Emergenz-Begriff nicht alleine dastehe, aber das nur nebenbei.

    Mir ist aufgefallen, dass bei den Überlegungen zur Entstehung des Bewusstseins (nach meiner Def.: das bewusste Erleben der eigenen Existenz, so in etwa) überhaupt nicht die ontogenetische Entwicklung angesprochen wird. Ich weiß nicht, wie viel man darüber weiß, da es ja um kleine Kinder geht, ist intensive Forschung auf diesem Gebiet kaum möglich.

    In der Individualentwicklung finden innert weniger Jahre jene strukturellen Veränderungen im jungen Gehirn statt, die in der Phylogenese über Jahrmillionen hinweg entstanden und genetisch fixiert worden sind.

    Wobei man den Startpunkt der Entwicklung auch bei der befruchteten Eizelle ansetzen könnte. Dann wird die ganze Geschichte noch dramatischer.

    Worauf ich hinaus will: Wenn sich das Gehirn programmgemäß entwickelt und sich strukturell organisiert (teleonom, ziellos, aber zweckgerichtet), hier passt der Begriff), entstehen nach und nach die notwendigen Systemeigenschaften (das ist nach meinem Gefühl ein bisschen was anderes als das „plötzliche Auftauchen“ völlig neuer Eigenschaften). Wenn es gelänge, diese strukturellen Veränderungen bei der programmgesteuerten Selbstorganisation des reifenden Gehirns nachzuzeichnen, wäre man in der Bewusstseinsforschung sicher schon ein ganzes Stück weiter. @Philipp könnte sicherlich was Gescheites dazu sagen ; – )

  249. @Stephan Schleim

    Inwiefern ist das jetzt ein Gegenargument auf meine Einwände – oder jedenfalls einen davon?

    Es erstaunt mich, dass Du die Schieflage in deiner Argumentation noch immer nicht erkennst. Ich versuche Dir nur zu zeigen, dass diese Schieflage nicht durch die Sache gerechtfertigt ist, sondern allein durch deinen schiefen Blick darauf entsteht.

    Beide Seiten, sowohl die Deterministen (*) als auch die Indeterministen arbeiten mit Allaussagen, du wirfst das aber nur den Deterministen vor und tust so, als würden diese sich schon alleine deswegen auf dünnes Eis begeben.

    Du behauptest es gäbe ein theoretisches Problem für Deterministen, das Erstereignis. Das aber entsteht erst durch die keinesfalls zwingende Annahme , es gäbe ein solches.

    Das alles gibt keine Antwort auf die Frage, warum man überhaupt das Postulat der vollständigen kausalen Geschlossenheit annehmen sollte.

    Warum sollte man das Postulat einer indeterminierten Welt annehmen? Wie wir wissen, die Willensfreiheit würde dadurch nicht gerettet.

    (*) Deterministen hier verstanden als diejenigen, die sagen, alles hat eine Ursache. Indeterministen als diejenigen, die sagen es gäbe echten Zufall.

  250. @ Balanus:

    Wenn man Chaos als deterministisch bezeichnet, dann muss ja wohl ein anderes (kleineres) Zeitfenster zugrunde gelegt werden, als wenn man vom universalen Determinismus à la Laplace spricht

    Ein chaotisches System bzw. ein chaotischer Prozess ist per Definition deterministisch. Ein bestimmtes Zeitfenster ist nicht Teil der Definition. Ein chaotischer Prozess könnte auch über 250 Millionen Jahre gehen (siehe Paper die z.B. diskutieren ob bestimmte Umlaufbahnen im Weltall chaotisches Verhalten zeigen).

    Ferner lässt sich empirisch nie zu 100% “beweisen” oder zeigen dass ein Prozess chaotisch ist (im mathematischen Sinne, d.h. wie in einer Simulation am Computer). Wir können echte Phänomene nur für einen begrenzten Zeitraum beobachten und Daten erheben die dazu immer mit Noise (Rauschen) behaftet sind. Dazu interagieren echte Systeme oder Prozesse immer mit der Umwelt, d.h. man weiß nie komplett inwiefern das Verhalten nur vom System selbst determiniert oder auch von der Umwelt beeinflusst wurde.

    Deshalb gibt es einen kleinen aber feinen Unterschied: ein empirisch beobachtetes System (oder ein Prozess) zeigt eventuell chaotisches Verhalten. Wir haben mathematische Ergebnisse erhalten (Analysen im Phase Space, Lyapunov exponent, etc.) die Evidenz für chaotisches Verhalten liefern.

    Einen “puren” chaotischen Prozess gibt es in der Realität, d.h. außerhalb der Mathematik, wohl nicht da es sich um eine mathematische Abstraktion handelt. Genauso wie es perfekte Fraktale nur in der Mathematik und nicht in der Realität gibt. (Soweit mein Verständnis.)

  251. @ Balanus 22.09.2024, 22:48 Uhr

    Zitat: „Zunächst einmal finde ich es schön, dass ich mit meinen Vorbehalten gegenüber dem Emergenz-Begriff nicht alleine dastehe, aber das nur nebenbei.“

    Wenn Sie meinen, der Begriff „Emergenz“ hätte etwas mit der ontogenetischen Entwicklung zu tun, so könnte das eher „metaphorisch“ gemeint sein.

    Herr Stegemann bezieht sich auf die sehr vielen sensorischen „einzelnen“ Zellen, z.B. Zapfen im Auge, die eine vergleichsweise winzige, z.B. Farbinformation liefern. Die bekommt erst größere Bedeutung, wenn sie z.B. auf der Netzhaut in einen „Zusammenhang“ mit anderen Zellen gebracht werden können, wobei „Muster“ entstehen. Das wäre eine Emergenz.

    Wenn aus “Teilmustern” sozusagen auf anderen, z.B. auch flächigen Strukturen „Gesamtmuster“ entstehen, so wäre das wieder „Emergenz“.

    Anschaulich wäre der Vergleich mit einem TV Bild, wenn aus 2 Millionen Bildpunkten ein Bild entsteht.

    Auch anschaulich wäre ein “Excel Arbeitsblatt“. In bestimmte Zellen werden Daten eingeschrieben und auf Knopfdruck erhält man die Ergebnisse in anderen genau bezeichneten Zellen.

    Die jeweiligen „Anzeigedaten“ werden im Computer bzw. neuronalen System verarbeitet und auf anderen flächigen Strukturen zur „Anzeige“ oder zu einem anderen Output (Sprache, Handlungen,…) gebracht.

    Beim Bewusstsein kommen Empfindungen dazu….

  252. @Joker: Empirie

    Warum sollte man das Postulat einer indeterminierten Welt annehmen? Wie wir wissen, die Willensfreiheit würde dadurch nicht gerettet.

    Warum? Weil – ich wiederhole mich – es Arten von Ereignissen gibt, für die wir partout keine kausal-deterministische Erklärung finden; das heißt, die empirische Evidenz spricht klar gegen dein Postulat.

    Weil – ich wiederhole mich – absence of evidence irgendwann evidence of absence wird (auch: Russels Teekesselbeispiel ).

    Weil – ich wiederhole mich – derjenige, der eine positive Aussage trifft (der Form: alles hat eine deterministische Ursache), dafür die Beweislast trägt.

    Kurz gesagt: Das Postulat, alles habe eine deterministische Ursache, passt einfach nicht gut zu unserem Wissen von der Welt; und das ist nun wohl schon seit gut 100 Jahren so. Wer dann immer noch daran festhält, der setzt sich schon dem Ideologieverdacht aus.

    P.S. Da ich in meinem Buch gerade geschlussfolgert habe, dass weder Determinismus noch Indeterminismus die entscheidende Frage für die Freiheit von Willensakten sind, sind mir die Postulate herzlich egal; man sollte aber schon den empirischen Kenntnisstand würdigen.

  253. Hi Philipp,

    erstmal danke für deine Erläuterungen!

    Ohne jetzt wieder eine Diskussion beginnen zu wollen, nur kurz, was mir (leider) erst im Nachhinein aufgefallen ist. Wenn ich „deterministisches Chaos“ höre oder lese, denke ich spontan an die Wettervorhersage, nicht aber an Mathematik—das wird in Zukunft dann wohl anders sein 😉

    Du schreibst, dass es »einen “puren” chaotischen Prozess […] in der Realität, d.h. außerhalb der Mathematik, wohl nicht [gibt] da es sich um eine mathematische Abstraktion handelt.«

    Ok, „pur“, die Latte liegt hoch…

    Leider auch erst im Nachhinein habe ich nun die Seite „Welt der Physik“ besucht und lese dort:

    Was zu Poincarés Zeiten noch als skurrile Besonderheit planetarer Bewegung erschien, erwies sich bald als Wesenselement nichtlinearer Naturgesetze. Fast ein Jahrhundert später fand man dieses chaotische Verhalten in nahezu allen Bereichen der Naturwissenschaften
    […]
    Chaos ist überall! Das zukünftige Wetter beispielsweise ist im Prinzip berechenbar, aber mit guter Genauigkeit eben nur für einen kurzen Zeitraum.

    (meine Fettung)

    So ungefähr hatte ich mir das abseits von der reinen Mathematik gedacht: Das Deterministische beim chaotischen Verhalten sind offenbar die vorherbestimmten (=deterministischen) Bewegungsabläufe, wobei die Zeit zwischen den, ich sag mal, ‚Richtungswechseln‘ im Bewegungsablauf beliebig kurz sein kann.

    An meinen Überlegungen und Formulierungen ist sicherlich einiges ziemlich schräg, aber ich denke, man versteht, was ich meine und um was es mir ging…

  254. @Balanus:

    Was zur Chaostheorie und ihrer Anwendung (beispielsweise in den Neurowissenschaften):

    Der Begriff “Chaos” für ein chaotisches System bzw. für einen chaotischen Prozess ist etwas irreführend. (So wie das manchmal mit Begriffen für Theorien ist, so wie beispielsweise der Begriff “Entropie” in Shannons Entropie genauso irreführend ist.)

    Ein chaotischer Prozess kann zufällig “chaotisch” aussehen, beispielsweise wenn man ihn in einer time-series abbildet. Das heißt er kann wie sinnloses Rauschen aussehen, oder eben wie ein zufallsgenerierter Prozess. Aber hinter diesem rein visuellen “Chaos” liegt ein deterministischer Prozess.

    Es gibt verschiedene Verfahren, z.B. die Darstellung in einem 2D oder 3D Phase Space (Phasenraum, https://en.wikipedia.org/wiki/Phase_space), die erlauben den chaotischen Prozess auch visuell mit einer klaren Dynamik darstellen zu können. Das Phase Space ist der Spielplatz der Chaostheorie.

    Beispiel: stelle dir vor wir haben einen Prozess über die Zeit aufgenommen. Wir haben also eine Zeitreihe (time-series), sagen wir 1000 Datenpunkte dieses Prozesses.

    Die time-series ist eindimensional (1D). Wir können den Prozess nun digital im Computer kopieren, also das wir ihn 2 oder 3 mal hätten. Dann können wir ein 2D oder 3D Pseudo Phase Space konstruieren. Nun können wir die Punkte der zwei oder 3 time-series in einem 2D oder 3D Raum kombinieren. Dabei verschieben wir die zweite (und gegebenenfalls) dritte Kopie der time-series zeitlich, z.B. basierend auf ihrer Autokorrelation (beispielsweise basierend auf dem time-lag wo die Autokorrelation das erste mal 0 trifft oder überschreitet). Kurzum: wir versetzen die Kopien der originalen time-series zeitlich in Relation zur originalen.

    Man spricht bei der Anwendung von Kopien von einem “Pseudo” statt “normalen” Phase space. Grund: da wir einen 2D oder 3D Raum nur basierend auf dem originalen Prozess plus seiner (time-gelaggten) Kopien erstellt haben. Denn für ein normales 2D Phase Space benötigt mal normalerweise 2 Prozesse, für ein 3D Phase Space 3 Prozesse, usw.

    Jetzt kommt der geniale Punkt: wieso kann ein Pseudo Phase Space trotzdem funktionieren bzw. sinnvolle Dynamiken abbilden? Stelle dir folgende Situation vor: wir haben ein System oder ein Phänomen das aus zwei Prozessen besteht. Beide Prozesse interagieren miteinander. Aber wir konnten nur einen Prozess aufnehmen. Nun, Prozess 2 hat ja Prozess 1 dauernd beeinflusst. Deshalb ist die Dynamik von Prozess 2 teilweise in Prozess 1 “absorbiert”. Das können wir mit dem Pseudo Phase Space teilweise offenbaren, mitunter fast so als hätten wir beide Prozesse aufgenommen. Das ist das sogenannte “Takens’s Theorem” (https://en.wikipedia.org/wiki/Takens%27s_theorem).

    Zurück zu deinem Verständnis von Chaos:

    Zitat aus Welt der Physik:

    Chaos ist überall! Das zukünftige Wetter beispielsweise ist im Prinzip berechenbar, aber mit guter Genauigkeit eben nur für einen kurzen Zeitraum.

    Zitat von dir:

    So ungefähr hatte ich mir das abseits von der reinen Mathematik gedacht: Das Deterministische beim chaotischen Verhalten sind offenbar die vorherbestimmten (=deterministischen) Bewegungsabläufe, wobei die Zeit zwischen den, ich sag mal, ‚Richtungswechseln‘ im Bewegungsablauf beliebig kurz sein kann.

    Ja, es gibt einfach mathematische Formeln. Diese setzt du bzw. kannst sie selbst programmieren. Und diese determinieren den kompletten zukünftigen Verlauf.

    Der hier angesprochene Zeitraum bezieht sich auf die Vorhersagbarkeit. Es ist richtig dass ein chaotischer Prozess aufgrund mehrerer Faktoren nur über einen bestimmten Zeitraum ausreichend genau vorhersagbar ist. Aber das ist philosophisch gesprochen epistemisch oder methodisch, nicht aber ontologisch. Und in unserer Diskussion hier geht es ja (wie so oft…) um die Metaphysik oder Ontologie. Ein chaotischer Prozess ist per Definition durchgehend deterministisch, wir können ihn häufig nur nicht lange gut vorhersagen.

    Da dies aber (wie zuvor geschrieben) empirisch meist eher schlecht als recht zu zeigen ist, spreche ich lieber von einem chaotischem Verhalten anstelle einen beobachteten Prozess als chaotisch per se zu bezeichnen.

    Ferner sind Aussagen wie “Chaos ist überall!” übertrieben. Ja, man findet chaotische Prozesse sicher fast überall. Aber wie häufig findet man sie überall?

    Als die Chaostheorie ihren Höheflug hatte wurde mit solchen Aussagen insbesondere in Populärwissenschaft und Medien maßlos übertrieben. Viele Wissenschaften haben damals versucht chaotische Prozesse in ihrem Arbeitsbereich aufzuzeigen und es dann wieder aufgegeben.

    Du findest z.B. viele EEG Studien aus den 1980er-Jahren und teilweise aus den 1990er-Jahren der Neurowissenschaften die versucht haben aufzuzeigen dass neuronale Dynamiken chaotisch sind. Dort wurde dann ebenfalls viel mit dem Pseudo Phase Space gearbeitet. Diese “Subzzene” ist heute praktisch tot, denn es ist einfach zu schwer und es gibt zuviele methodologische Probleme die es verhindern gut zu zeigen dass z.B. neuronale Dynamiken chaotisches Verhalten zeigen können. Sicher kommen hier und da auch heute noch neurowissenschaftler Paper auf die das Thema angehen, aber das ist seltene Ausnahmen.

    Ich hatte 8-12 Monate (ich weiß es nicht mehr ganz genau) in eine Analyse von Gehirnaktivität bezüglich Chaos investiert und darauf alles weggeworfen da es einfach nicht funktioniert bzw. es zuviele methodische Beschränkungen gibt.

  255. @Stephan Schleim

    Weil – ich wiederhole mich

    Ja, ja, einfach alles nochmal wiederholen. Macht man ja heute so.

    Formulier doch mal das Postulat der Indeterministen. Das scheinst du zu scheuen, wie der Teufel das Weihwasser. Das wäre dann ja auch eine ‘positive Aussage’.

    Dann würde es dir vielleicht auch leichter fallen, zu erkennen, warum Russels Teekessel hier nicht zieht. Und damit auch nicht im analogen Fall, dem Postulat der Deterministen.

    (Nur um noch eine Allaussage hinzuzufügen, alle vom Menschen formulierten Naturgesetze sind Allaussagen – selbst die stochastischen.)

    Das Postulat, alles habe eine deterministische Ursache, passt einfach nicht gut zu unserem Wissen von der Welt.

    Das Postulat, alles habe eine deterministische Ursache, passt sehr gut zu unserem Wissen von der Welt. Es passt nur nicht zu deinem schiefen Blick auf die Welt, bzw. zu der Welt, wie Du sie dir konstruierst. Das Postulat, es gäbe nicht für alles eine Ursache, passt halt auch.

    Ideologieverdacht

    Der entsteht bei mir, wenn immer wieder die gleichen Parolen als Wahrheit verkündet werden.

    Nachdem Du zu dem Thema ein Buch geschrieben hast, in dem Physiker mit unterschiedlichen Ansichten zu Wort kommen, sollte es dir eigentlich auch gelingen, dein eigenes Wissen besser einzuordnen und deinen Glauben davon getrennt zu halten.

  256. PS.

    man sollte aber schon den empirischen Kenntnisstand würdigen.

    Dass Du quasi Sabine Hossenfelder, die bekanntlich eine deiner Meinung widersprechende Ansicht vertritt, Ignoranz bezüglich empirischer Befunde unterstellst, erlaube ich mir, mit einem Schmunzeln zu begleiten.

  257. @ Stephan Schleim
    @Joker: Empirie

    Ich möchte dem Problem mit elektronischen „Zufallsgeneratoren“ näher kommen. Das sind gekoppelte elektronische Zähler, die praktisch beliebige Folgen von „Zufallszahlen“ generieren.

    Die Zahlenfolgen wären „theoretisch“, wenn die „Zeitabstände“ absolut determiniert wären, und die Flanken der Impulse „absolut senkrecht“ wären, absolut determiniert. Beides, neben anderer Einflüsse, ist praktisch nicht absolut erreichbar.

    Die Zahlen scheinen zufällig. Das hängt von der „Komplexität“ der Schaltung ab. Bis zu einer gewissen Komplexität, war den Mathematikern klar, dass die Zahlen determiniert und nicht wirklich zufällig waren. Über dieser Komplexität gingen sie von wirklichen Zufallszahlen aus, eine Determiniertheit konnten sie nicht mehr erkennen.

    Auch wegen der oben angeführten Gründe, ist eine „absolute Determiniertheit“, aber auch eine „absolute Indeterminiertheit“ nicht erreichbar.

    Auch die „Gottesfrage“ sehe ich völlig “banal“ und nicht ganz konventionell.

    So wie es z.B. „informelle Objekte“ wie „Word“, Excel“,…. oder „transzendente Objekte“ der Mathematik wie z.B. „Pi“, „e“,…. gibt, weil sie „deklariert“ wurden, gibt es auch „Gott“ als Begriff der „deklariert“ wurde…..

    „Word“,… steht im Zusammenhang mit “Software”, „Pi“ im Zusammenhang zwischen „Kreisumfang“ und „Kreisdurchmesser“, „Gott“ im Zusammenhang mit der Existenz der Welt. Für alle Mechanismen, Prozesse, Gesetzmäßigkeiten,….. die bedeutsam sind, selbst wenn man sie wegen der Transzendenz nicht vollständig kennt oder nicht versteht, eben genau so wie sie in der Wirklichkeit sind….

    Da die mit „Bezeichnern“ versehenen Objekte samt der Welt, für mich existieren, ist es völlig sinnlos über die Begriffe zu streiten. Sie existieren einfach, im Sinne der Informatik sind die Schlüsse völlig legal und korrekt.

    Es kann einem allerdings völlig egal sein….

  258. @Joker: Schubladen

    Ich verstehe nicht, warum du mich partout in die Schublade der Indeterministen stecken willst. 🤷🏻

    Das Postulat der vollständigen kausalen Determination ist u.a. darum unplausibel, weil es 1) nachweislich Ereignisse gibt, für die man partout keine kausale Determination nachweisen kann und 2) es uns auch an Verlaufsgesetzen fehlt, mit denen wir wissenschaftlich überhaupt für Einzelereignisse kausal-deterministisch erklären könnte. Zum letzten Mal: Irgendwann muss man anerkennen, dass absence of evidence evidence of absence wird; sonst kann man (oder jedenfalls ich) jemanden nicht mehr ernst nehmen. 🤷🏻

    Du reagierst auch inhaltlich gar nicht auf meine Einwände: Wo sind denn die kausal-deterministischen Erklärungen für solche Ereignisse? Wo sind denn die Verlaufsgesetze?

    Wenn wir nicht argumentieren, bleibt nur noch, einander doof zu finden – das ist nicht der Anspruch von MENSCHEN-BILDER.

    Das Postulat, alles habe eine deterministische Ursache, passt sehr gut zu unserem Wissen von der Welt.

    Nur dann, wenn man die unpassenden Evidenzen ausblendet. 🤷🏻

  259. P.S. @Joker: Hossenfelder

    Was das für ein Argument sein soll, die “wild duck” der Physik auf YouToube zu zitieren, erschließt sich mir nicht (abseits von ad auctoritatem). 🤷🏻

  260. @all: Das Fehlen von konkreten Verlaufsgesetzen für Ereignisse in der Welt ist nicht nur ein theoretisches Problem, sondern bedeutet, dass wir in der Praxis – außer vielleicht unter sehr speziellen Bedingungen im Labor – so gut wie nie vollständig kausal-deterministische Erklärungen für das haben, was in der Welt passiert.

    Zusammen mit den Ereignissen (z.B. radioaktiver Zerfall), für die sich partout keine Ursachen finden lassen, sind das sehr starke Einwände gegen das Postulat der kausalen Geschlossenheit der Welt.

    Und was spricht für das Postulat selbst? Dass manche Menschen sich die Welt eben gerne einfach vorstellen. Es geht hier also um schlechte Metaphysik, nicht gute Wissenschaft. 🤷🏻

  261. @Stephan Schleim

    das Postulat der kausalen Geschlossenheit der Welt

    Dieses Postulat ist deutlich schwächer als das Postulat, dass wir einmal “vollständig kausal-deterministische Erklärungen für das haben, was in der Welt passiert.”

    Schon deswegen laufen viele der von Dir hier vorgebrachten Argumente ins Leere, weil sie sich nur gegen das zweite Postulat richten. (Logik, Einführungsvorlesung)

  262. @Joker: Metaphysik & Epistemologie

    Ja, LOL, weil wir natürlich wissen können, dass die Welt kausal geschlossen ist, wenn wir nicht einmal kausale Erklärungen haben?!

    Anders herum wird ein Schuh draus. 👞 🤷🏻

  263. @Stephan Schleim

    Den Schuh möchte ich mir dann aber lieber nicht anziehen.

    Wer behauptet denn, dass wir bereits wissen, oder auch nur dass wir es vielleicht mal wissen könnten, ob die Welt kausal geschlossen ist?

    Mit dem Formulieren eines Postulats ist ein solcher Anspruch sicher nicht verknüpft.

    Und umgekehrt, wenn wir für alles kausal-deterministische Erklärungen hätten, wofür bräuchten wir dann noch ein diesbezügliche Postulat? Echt interessiert …

  264. Eine Frage die nicht provokativ gemeint sein soll, sondern aus Interesse gefragt wird: Macht es wirklich Sinn über die “kausale Geschlossenheit der Welt” zu diskutieren?

    Meine Gedanken dazu:
    1. Kausalität ist ein metaphysisches Konzept. Keiner weiß was Kausalität ist geschweige denn ob es sowas wie Kausalität ontologisch überhaupt gibt.

    2. Kausalität ist meiner Ansicht nach ein Phänomen seitens des Beobachters, also von unserer Seite. Es ist aus meiner Sicht vereinfacht ausgedrückt eine menschliche Kategorie des Denkens (grob ala Kant und co). D.h. Kausalität ist etwas phänomenologisches, etwas das wir erleben. Es kann auch etwas methodologisches sein, praktisch für wissenschaftliche Erklärungen.

    3. Im Zusammenhang mit Punkt eins: Alle möglichen Definitionen von Kausalität sind philosophisch. Kausalität kann man nicht messen oder quantifizieren. Ich wüsste jedenfalls nicht wie.

    Meine Sorge ist daher eher dass man über ein Gespenst oder Luftschloss streitet bzw. philosophiert; über etwas das zwar nützlich für uns Menschen in der Wahrnehmung (“subjektiv”) und Erklärung der Welt (“objektiv”) ist, aber keinen ontologischen Status hat.

  265. @ Stephan Schleim
    @Joker
    @ Philipp

    Über z.B. die “kausale Geschlossenheit der Welt” zu diskutieren hat auch den Sinn, das Wissen über den Menschen und der Welt zu mehren. Es ist auch eine Art „Training“ fürs Gehirn.

    Welcher Sichtweise man zustimmt, hängt von der „psychischen Motivation“ der „Teilnehmer“ ab. Die können banal sein, für jeden erkennbar, mehr oder weniger „versteckt“, dann können sie Psychologen erkennen, oder die Motivation ist für alle rätselhaft.

    Es geht wesentlich um die Befriedigung der „psychischen Motivationen“. Aber auch um den „Drang zu generalisieren“. Vermutlich um die Welt etwas weniger „komplex“ erscheinen zu lassen?

    Als „Modell“ um darüber diskutieren zu können, bin ich für den elektronischen „Zufallsgenerator“.

    Der generiert einerseits „determinierte Zufallsvariable“, die Variablen scheinen zum Teil auch für Mathematiker „wirklich zufällig“, aber der „Schaltungsdesigner“ könnte sie weitgehend im Voraus berechnen.

    Dem „Designer“ ist aber auch klar, dass es „instabile Bereiche“ gibt. Z.B. wenn sich reale „Impulsflanken“ „nahe“ kommen. Dann hängt das „Ereignis“ z.B. vom „Verstärkungsfaktor“ des betreffenden Transistors ab…..

    In biologischen Systemen gibt es offensichtlich Mechanismen, so etwas wie „Zufallsgeneratoren“ (DNA) im o.a. Sinne, die die „Vielfalt hervorgebracht“ haben („kambrische Explosion“).

    Ist übrigens kein Problem für Theologen. „Zufallsgeneratoren“ gehören eben auch zu den „Mechanismen und Gesetzmäßigkeiten der Weltentstehung“, für die sie den „Begriff Gott“ deklariert haben…..

  266. @Philipp, Joker, Stegemann: Kausalität

    Joa – und genau aus solchen Gründen halte ich es für ziemlich witzlos, ernsthaft über so ein Postulat wie das der kausalen Geschlossenheit der Welt zu streiten. (Aber, @Philipp, warum man es annehmen sollte: Für Max Planck und einige andere war es immerhin die Voraussetzung von Wissenschaft schlechthin; u.a. im Buch argumentiere ich, warum ich das für unplausibel halte.)

    Ich schaue mir das an, was wir haben; man könnte sagen: positivistisch statt metaphysisch. Und für so gut wie nichts, was in der Welt passiert, haben wir vollständig deterministisch-kausale Erklärungen.

    Weil uns natürlich trotzdem in allerlei Kontexten (denken wir an Gesundheit, Schadensansprüche, Drogenpolitik, Todesursachen usw.) kausale Erklärungen wünschen, verwenden wir i.d.R. ein statistisch-stochastisches Kausalitätsmodell; das ist dann aber gerade nicht deterministisch und daher auch kein Beleg für das Postulat.

    Dann sollte man konsequenterweise nicht mehr von der Ursache oder den Ursachen reden – sondern allenfalls von kausalen Einflüssen bzw. Faktoren; wie beispielsweise, dass starkes Rauchen oder häufiges Einatmen von Asbestfasern die Wahrscheinlichkeit für bestimmte Arten von Lungenkrebs erhöht, wenn auch nicht streng determiniert.

    P.S. Ich hatte die Diskussionen mit Joker eigentlich in guter Erinnerung; vielleicht ist Kausalität einfach kein gutes Thema für uns.

  267. Ich finde @Stegemanns Schlussfolgerung (in seinem verlinkten Blogpost vom 28. August 2024) eigentlich ganz gut:

    Ultimately, causality may be less a fundamental property of the universe than a reflection of our own cognitive structures and our need to understand and control the world.

    Wenn ich mich nicht ganz irre, hat bereits Immanuel Kant ganz ähnlich argumentiert. 😉

  268. @Joker

    Und umgekehrt, wenn wir für alles kausal-deterministische Erklärungen hätten, wofür bräuchten wir dann noch ein diesbezügliche Postulat? Echt interessiert …

    Das Wörtchen “alles” macht die Frage natürlich relativ witzlos, nicht einmal rhetorisch.

    Hätten wir für 70, 60, wenigstens 50% der Ereignisse kausal-deterministische Erklärungen, könnte man vielleicht spekulieren (per Induktionsschluss), ob die Welt zu 100% kausal-deterministisch ist.

    In der Praxis kommen wir aber wohl noch nicht einmal auf 10-20%. Die fehlenden Verlaufsgesetze – ich werde es müde, das zu wiederholen – sind ein wesentliches Problem für dieses Postulat.

  269. @ Wolfgang:

    Danke, ich habe deinen Artikel gerade gelesen. Du scheinst also sehr ähnlich (oder sogar gleich) über das Thema Kausalität zu denken wie ich.

    @ Stephan (und an alle anderen):

    Was mir gerade noch durch den Kopf ging: der zweite Hauptsatz der Thermodynamik. Dieser ist probabilistisch und wird nicht durch eine “kausale Kraft” angetrieben.

    Wenn wir z.B. zwei Farben vermischen und eine dritte Farbe erhalten, oder wenn wir Milch in Kaffe zugeben, dann erfolgt eine “Mischung” der Zutaten da die Mischung statistisch viel (quasi “unendlich” viel) wahrscheinlicher ist. Denn es gibt “unendlich” viel mehr Zustände in denen die Partikel oder Teilchen gemischt statt relativ klar oder gar vollkommen getrennt sind. Das gleiche Phänomen wenn wir ein kaltes und ein warmes Objekt zusammenhalten und beide nach einiger Zeit die gleiche Temperatur erreichen.

    Das ist der wichtige Punkt: dahinter steht (wie oben schon geschrieben) keine kausale Kraft, es hat rein mit Wahrscheinlichkeiten zutun. Wenn man “unendlich” lange warten würde dann würde man irgendwann beobachten dass z.B. ein Kaffe der mit Milch gemischt wurde sich wieder von der Milch in der Tasse trennt. Das gleiche gilt für zwei Objekte die die gleiche Temperatur erreicht haben. Auch hier besteht die Möglichkeit dass ein Objekt wieder heiß und das andere kalt wird. Und eigentlich geschieht das auch andauernd, nur gibt es auch hier unendlich viele Zustände der mikroskopischen Teilchen in denen beide Objekte quasi innerhalb der Messgenauigkeit gleich bleiben, aber laufend in der Temperatur hin und her schwanken.

    Die Wahrscheinlichkeit dafür, also dass der Kaffe sich wieder von der Milch trennt oder dass ein Objekt signifikant heißer und das andere wieder kälter wird, ist aber so gering dass wir es praktisch (in der realen Welt) niemals beobachten werden, selbst wenn wir Billionen und noch mehr Jahre warten würden. Theoretisch ist es aber möglich.

    Warum ich das erwähne? Einfach weil hier ein Prozess abläuft hinter dem keine kausale Kraft steht, jedenfalls nicht in dem hier diskutierten Sinne, soweit ich das verstehe.

  270. @ Philipp 25.09.2024, 12:11 Uhr

    Auch mir hat die objektive und sachliche Art wie Herr Stegemann das Thema Kausalität beschrieben hat, sehr gefallen.

    Das Problem ist, dass viele Sachverhalte praktisch nur statistisch beschrieben und behandelt werden können.

    Aber selbst in Ihrem Beispiel, wenn Sie z.B. Farben vermischen, haben Sie letztlich wieder eine Kausalität.

    Der Kunde beim Autolackierer sucht sich auf einer „Farbkarte“ eine Farbe für sein Auto aus. Auf der Rückseite steht für den Lackierer, er muss z.B. 40% der Grundfarbe „Rot“ mit 40% einer 2. und 20% einer 3. Grundfarbe mischen um genau den gewünschten Farbton zu erhalten. Das Konzept ist so ausgelegt, dass zuverlässig der gewünschte Farbton entsteht.

    Bei, vorsichtig formuliert, sehr vielen industriellen Prozessen, besonders aber bei der Entwicklung von Software, ist stets letztlich die Kausalität wichtig.

  271. Schönes Beispiel mit dem Kaffee, @Philipp.

    Ich weiß nicht, ob man das so sagen kann, dass ein Ereignis mit Wahrscheinlichkeit > 0 bei unendlicher Zeit zwingend eintreten muss…

    …aber ich selbst würde mich schon über 30 weitere gesunde und fitte Lebensjahre freuen und das garantiert nicht miterleben. 😉

    Das ist halt der Punkt mit den Verlaufsgesetzen, den ich immer wieder mache: Wir haben eben keine Formel, in die wir einsetzen, X Kaffee und Y Milch und Z Mischgetränk; ich dachte selbst auch an z.B. die Morphologie der Pflanzen, die wir nicht vorhersagen können, selbst wenn wir uns das als geschlossenes System vorstellen.

    Genauso wie die Reduktionisten und Naturalisten sollten die Deterministen mindestens so intellektuell redlich sein, dass sie eben metaphysische Spekulation betreiben, die keinesfalls aus der bekannten Wissenschaft folgt. Dann wäre’s ja gut. 🤷🏻

    P.S. Der Hauptgedanke Hinter dem Konzept der Kausalität ist, nach meinem Verständnis, dass wir zum Ausdruck bringen wollen, dass/warum Dinge in der Welt passieren; da kann – und sollte – man sowieso die Frage aufwerfen, inwiefern hier eine realistische und keine antirealistische/instrumentelle Interpretation naheliegt; womit sich metaphysische Schlussfolgerungen ohnehin erübrigen würden.

  272. @ Elektroniker:

    Aber selbst in Ihrem Beispiel, wenn Sie z.B. Farben vermischen, haben Sie letztlich wieder eine Kausalität. Der Kunde beim Autolackierer sucht sich auf einer „Farbkarte“ eine Farbe für sein Auto aus. Auf der Rückseite steht für den Lackierer, er muss z.B. 40% der Grundfarbe „Rot“ mit 40% einer 2. und 20% einer 3. Grundfarbe mischen um genau den gewünschten Farbton zu erhalten. Das Konzept ist so ausgelegt, dass zuverlässig der gewünschte Farbton entsteht.

    Das ist doch ein ganz anderer Aspekt den Sie hier einbringen. Ich mache es mal einfacher.

    Stellen Sie sich zwei Würfel vor die Zahlen von 1-6 aufweisen (also wie üblich auf 6 Seiten). Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit dass Sie mit beiden Würfeln kombiniert (!) eine 2 oder eine 12 werfen, also dass beide Würfel entweder beide 1 oder beide 6 zeigen?

    Die Wahrscheinlichkeit dafür ist deutlich geringer als die Wahrscheinlichkeit dass Sie (kombiniert mit beiden Würfeln) eine 5, 6 oder 7 werfen.

    Warum? Ganz einfach weil es nur jeweils eine Kombinationsmöglichkeit für die 2 oder 12 gibt. Aber es gibt viel mehr Kombinationsmöglichkeiten für die 5, 6, oder 7.

    Es ist genau das gleiche Prinzip hinter dem zweiten Hauptsatz der Thermodynamik. Es gibt “unendlich” mehr Möglichkeiten beispielsweise die Partikel auf atomarer Ebene von Milch und Kaffee relativ gleichmäßig zu vermischen als beide Stoffe wieder relativ gut (oder gar absolut) zu trennen.

    Aber und darauf kam es mir an: es gibt keine kausale Kraft, kein mysteriöses Geheimnis, dass diese Mischung im Kaffee- oder Farbbeispiel antreibt. Weil das Prinzip des zweiten Hauptsatzes der Thermodynamik so trivial und einfach ist, ja weil es sogar nicht absolut sondern probabilistisch ist, sagte beispielsweise Einstein dass dies das einzige Gesetz der Physik sei das wahrscheinlich niemals umgestoßen oder verworfen wird.

  273. Geert Keil (2007) über Determinismus, Kausalität und “Naturgesetze”:

    Der Determinismus macht eine Behauptung über den Weltlauf, also über die Abfolge von Ereignissen. Er kann seine modale Kraft daher nur aus einer bestimmten Art von Gesetzen beziehen, nämlich aus solchen, die Ereignisverläufe subsumieren [= Verlaufsgesetze]. Die strikten (also ausnahmslosen) Gesetze, denen der Weltlauf ihm zufolge unterliegt, sind, etwas vereinfacht ausgedrückt, Allsätze der Form „Immer wenn etwas der Art A geschieht, dann geschieht danach etwas der Art B“. Die fundamentalen physikalischen Gesetze haben aber nicht diese Form. (S. 33-34)

    [Beispiel:] Das Gravitationsgesetz wird durch diese Fälle nicht falsifiziert, denn es sagt überhaupt nichts darüber, was tatsächlich geschieht. (S. 34)

    Die fundamentalen Naturgesetze, auf deren Entdeckung die Physiker mit Recht stolz sind, sind aber überhaupt keine Sukzessionsgesetze [= Verlaufsgesetze] über Ereignisse, sondern Koexistenzgesetze über Universalien, Erhaltungssätze, Aussagen über Kräftegleichgewichte und Symmetriegesetze. Solche Gesetze sind nicht kausal interpretierbar. (S. 37)

  274. P.S. Ergo, dem Vertreter des Postulats eines starken kausalen Determinismus fehlen schlicht die durchschlagenden wissenschaftlichen Beispiele. 🤷🏻 🤭

  275. @Stephan Schleim

    Das hatte ich noch nicht beantwortet.

    Ich verstehe nicht, warum du mich partout in die Schublade der Indeterministen stecken willst.

    Ich stecke alle Leute in eine von drei Schubladen – mehr habe ich nicht -, mit den Bezeichnungen, Deterministen, Indeterministen und Agnostiker. Bei dir bin ich nach dem Ausschlussorinzip vorgegangen. Determinist bist Du nicht. Deterministen versuchst Du Ignoranz nachzuweisen. Ich denke, dass Du dich selbst aber nicht für ignorant hältst.

    Da Du aber Determinismus so vehement ablehnst, möchte ich dich auch nicht mehr in die Schublade mit Agnostikern zusammenbringen, die da differenzierter (oder gar nicht) denken.

    Da bleibt halt nur die dritte Schublade.

    Sorry, wenn Du dich da unwohl fühlst.

    Hossenfelder

    Was das für ein Argument sein soll, die “wild duck” der Physik auf YouToube zu zitieren, erschließt sich mir nicht (abseits von ad auctoritatem).

    Lustig, nicht ich, sondern Du warst es doch, der sie zitiert und in deinem Buch als Quelle YouTube angegeben hat. (Ich gehe mal davon aus, es erschließt sich Dir, warum Du das gemacht hast.) Ich habe lediglich den Zusammenhang hergestellt zwischen ihr und deiner Aussage, Zitat: “man sollte aber schon den empirischen Kenntnisstand würdigen”.

    absence of evidence evidence of absence

    In einigen Fällen, zum Beispiel bei bereits stark verwesten oder gar skelettierten Leichen, lässt sich keine Todesursache feststellen, aufgrund fehlender Evidenz. Daraus schlussfolgerst du, es sei evident, dass es nicht immer eine Todesursache gibt. Sehr schlüssig.

    sonst kann man (oder jedenfalls ich) jemanden nicht mehr ernst nehmen.

    Es geht nicht um jemanden, aber einige deiner Argumente kann man (oder jedenfalls ich) nicht ernst nehmen.

  276. @Joker: Argumente

    Ich habe halt im Buch nicht nur den Namen “Hossenfelder” in den Ring geworfen, sondern mich auch mit ihren Argumenten auseinandergesetzt; sollte mir dabei jemand einen Fehler nachweisen, passe ich natürlich meine Argumentation an und ändere ich – sofern nötig – meine Meinung.

    In einigen Fällen, zum Beispiel bei bereits stark verwesten oder gar skelettierten Leichen, lässt sich keine Todesursache feststellen, aufgrund fehlender Evidenz. Daraus schlussfolgerst du, es sei evident, dass es nicht immer eine Todesursache gibt. Sehr schlüssig.

    Was belegt dieses Beispiel? Dass man die vergangene(n) Ursache(n) bzw. kausalen Faktoren eines Ereignisses zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht immer angeben kann; hat das hier jemand bestritten?

    Der springende Punkt z.B. beim radioaktiven Zerfall ist doch, dass sich selbst dann keine Ursache angeben lässt, wenn der Zerfall vor unseren Augen stattfindet, sogar unter Experimentalbedingungen! Du könntest einfach mal die harten empirischen Fakten würdigen.

    absence of evidence -> evidence of absence – das ist ein Vernunftprinzip; du weichst ja immer nur aus und gibst nicht an, was daran falsch sein soll; wirkt auf mich ziemlich unvernünftig. 🤷🏻

    Es geht nicht um jemanden, aber einige deiner Argumente kann man (oder jedenfalls ich) nicht ernst nehmen.

    Ja – und statt zu erklären, was an meinen Argumenten (zuletzt z.B. hier und, mit Geert Keil, hier) falsch sein soll, weichst du immer nur aus; ich verweise an der Stelle mal auf die Hausordnung, dass man sich hier nicht ewig wiederholen soll. ☝🏼 🤷🏻

  277. @Stephan Schleim

    Der springende Punkt

    Was Du beschreibst ist nicht der springende Punkt. Die Analogie ist, in beiden Fällen (Ursachen für Todesfälle, Ursachen für radioaktiven Zerfall) kann man prinzipiell keine Evidenz erhalten. Beim einen, weil wir mit unseren Augen nicht in die Vergangenheit schauen können, im anderen, weil wir mit unseren Augen nicht ins Kleinste schauen können.

    Weder im einen noch im anderen Fall kann man logisch aus der Abwesenheit oder Unmöglichkeit Evidenz zu gewinnen auf das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein von Ursachen schließen.

    Wenn Du vernünftig bist, solltest du dem zustimmen und das Falsche nicht ständig wiederholen.

  278. @Joker: Wir reden aneinander vorbei. Mein Standpunkt ist, dass der vollständige kausale Determinismus hinreichend empirisch widerlegt ist; im Buch findet sich neben den hier x-mal genannten Argumenten und Beispielen auch noch ein Argument (für echten Indeterminismus und damit gegen dein Postulat) aus dem Quantencomputing: Das heißt, diese Modelle funktionieren unter der Annahme, dass der scheinbare Indeterminismus ein echter Indeterminismus ist, besser als unter der Annahme deines Postulats.

    Wenn du dich hier auf den Standpunkt zurückziehen willst, dass man den vollständigen kausalen Determinismus nicht logisch widerlegen kann, dann sei dir das geschenkt. Du kannst auch den radikalen Skeptiker oder Solipsisten nicht logisch widerlegen. So ist das oft in der Philosophie: Forschungsfortschritt findet dann über das Finden plausibler Argumente statt.

    Mal davon abgesehen finde ich Leute merkwürdig, die hier in meinem Blog partout das letzte Wort haben müssen. Nachdem ich meine Argumente hier x-mal und auf y verschiedene Weisen präsentiert habe und z-mal konstatierte, dass du meiner Meinung nach nicht darauf eingehst, ist wohl alles gesagt.

    Ich reagiere hier jetzt hier auf dieser Seite nicht mehr auf dich und überlasse es dir, wie du diese Diskussion, die eigentlich gar keine ist, stehen lassen willst. 🤷🏻

  279. Nur kurz zu Geert Keil.

    Erhaltungssätze sagen unter anderem, was über die Zeit, also über einen Verlauf, erhalten bleibt. Daher lassen sich auch Verlaufsgesetze daraus ableiten. Mit dem Impulserhaltungssatz und einigen Winkelfunktionen lässt sich eben der Verlauf von Billardkugeln errechnen. Dass man das nicht kausal interpretieren muss, steht nochmal auf einem anderen Blatt. Das wissen wir seit Hume, bzw. hier im Blog seit @Chrys.

  280. @Stephan Schleim

    Wir reden aneinander vorbei.

    Tun wir nicht.

    Mein Standpunkt ist, dass der vollständige kausale Determinismus hinreichend empirisch widerlegt ist

    Es ist klar, dass das dein Standpunkt ist. Es ist aber auch klar, dass der kausale Determinismus nicht empirisch widerlegt ist. Empirisch widerlegt sind bestimmte Varianten deterministischer Theorien. Andere eben nicht. Was auch immer Du für hinreichend hältst, mag in anderen Augen eben anders aussehen.

    Danke für das Schlusswort.

  281. Joker schrieb (26.09.2024, 13:13 Uhr):
    > Nur kurz zu Geert Keil.
    > Erhaltungssätze sagen unter anderem, was über die Zeit, also über einen Verlauf, erhalten bleibt.

    Jedenfalls sofern dasjenige, dessen zeitlicher Verlauf so beschrieben würde, währenddessen “(hinreichend) geschlossen” gewesen und geblieben wäre.

    > Daher lassen sich auch Verlaufsgesetze daraus ableiten.

    Beachte jedoch eine bestimmte https://de.wiktionary.org/wiki/Idiosynkrasie#2 von Keil und (offenbar) “seines Geistes Brüdern”, betreffend das Wort “Verlaufsgesetz”; wie oben (20.09.2024, 16:35 Uhr) schon bemerkt.

    > Mit dem Impulserhaltungssatz und einigen Winkelfunktionen lässt sich eben der Verlauf von Billardkugeln errechnen.

    Womöglich jeweils “den wahrscheinlichsten” bzw. “den (vernünftiger Weise) erwarteten”.
    Aber daneben gibt’s eben “Flukes”, “Nieser im Publikum”, “Kleiderfouls”, “Kicks/Skids/Clings” …

    Im Übrigen errechnet man (zunächst) “das wahrscheinlichste Potential” (insbesondere: “die wahrscheinlichste Neigung der Spielfläche”) aus hinreichend vielen geeigneten geometrisch-kinematischen Messwerten (wie “den Läufen” aller vorhandenen “Läufer”).

    > Dass man das nicht kausal interpretieren muss, steht nochmal auf einem anderen Blatt.

    In wie fern “past lightcone structure” insgesamt nicht als “cause” gelten könnte, hätte “unser” Chrys vermutlich nicht nur zu beantworten gewusst, sondern sogar zu fragen.

  282. Nach dem in der physikalischen Forschung überall festgehaltenen Kausalprinzip können wir von einer ursächlichen Verbindung zweier Erscheinungen immer nur dann reden, wenn die Wirkung aus der Ursache nach bestimmten Gesetzen abgeleitet werden kann.

    Diese Diskussion hier ist noch nicht einmal auf dem Stand von vor rund 120 Jahren. 🤭

  283. Wilhelm Wundt schrieb (26.09.2024, 22:28 Uhr):
    > Nach dem in der physikalischen Forschung überall festgehaltenen Kausalprinzip können wir von einer ursächlichen Verbindung zweier Erscheinungen immer nur dann reden, wenn die Wirkung aus der Ursache nach bestimmten Gesetzen abgeleitet werden kann.

    Oder wie gelogen ist das eigentlich ?

    Und welcher Wilhelm Wundt meinte mit den “bestimmten Gesetzen, nach [denen] die Wirkung aus der Ursache abgeleitet werden kann” konkret (auch) die Festsetzungen (von Messoperatoren), entsprechend denen Messwerte (der betreffenden Messgröße) aus jeweils gegebenen Beobachtungsdaten ermittelt werden können ?

    (Da solche Festsetzungen (von Messoperatoren) offenbar seit rund 120 Jahren überhaupt erst zunehmend Beachtung erfahren …)

  284. @Wappler: Nehmen Sie’s doch mal mit Humor, wenn jetzt schon die Geister zu uns sprechen.

    Im Gedenken an

    Louis de Funès (1914-1983), Begründer der experimentellen Psychologie

    Wilhelm Wundt (1832-1920), berühmter Komiker

  285. @Philipp

    » Ich hatte 8-12 Monate (ich weiß es nicht mehr ganz genau) in eine Analyse von Gehirnaktivität bezüglich Chaos investiert und darauf alles weggeworfen da es einfach nicht funktioniert bzw. es zuviele methodische Beschränkungen gibt. «

    Lass‘ mich raten: War die Vermutung (bzw. Hypothese), dass die Eigenaktivität des Gehirns womöglich ein chaotisches Verhalten zeigt?

    Bedenke: In einer Welt, die nicht kausal geschlossen ist und das Kausalprinzip nicht durchgängig gilt, kann jeder Versuchsplan zu einer wackeligen Angelegenheit werden.

    » Macht es wirklich Sinn über die „kausale Geschlossenheit der Welt” zu diskutieren? «

    Ja, ich denke schon, siehe oben.

    Ich bin über die von dir gebrauchte Wendung „kausale Kraft“ gestolpert, die Verbindung von ‚kausal‘ und ‚Kraft‘ war neu für mich.

    Ich habe ein bisschen herumgestöbert und bin bei Esfeld fündig geworden. Michael Esfeld ist der Philosoph, dessen Metaphysik mir am relevantesten erschien von allen, die Wolfgang Stegemann dankenswerterweise in seinem Text auf der Plattform ‚Medium‘ vorgestellt hat. Jetzt kann ich mir, denke ich, unter einer „kausalen Kraft“ etwas Sinnvolles vorstellen.

    Ich zitiere aus Esfelds Aufsatz „Die Metaphysik dispositionaler Eigenschaften“ (PDF):

    Betrachten wir ein klassisches Beispiel: Der Genuss von Opium macht schläfrig. Man kann daher sagen, dass Opium die dispositionale Eigenschaft (die kausale Kraft) hat, Lebewesen schläfrig zu machen.
    […]
    Eigenschaften bestehen in den Wirkungen, die sie hervorbringen können, bzw. in den Wirkungen, welche die Objekte oder Ereignisse hervorbringen können, indem sie die betreffenden Eigenschaften haben. Alle Eigenschaften sind in dem Sinne funktionale Eigenschaften, dass sie darin bestehen, bestimmte Wirkungen zu haben. Alle Eigenschaften sind mithin dispositionale Eigenschaften: Sie sind die Kraft, bestimmte Wirkungen hervorzubringen […]

    Wolfgang Stegemann konnte dieser „kausal-funktionalen“ Theorie Esfelds wohl nicht allzu viel abgewinnen. Zu meiner Sicht der Dinge passt sie aber ziemlich gut.

  286. @ Balanus 27.09.2024, 21:00 Uhr
    @Philipp

    Ich habe meine Sicht zur Kausalität aus meinem ehemaligen Umgang mit elektronischen Schaltungen. Da wird „absolute Kausalität“ angestrebt, die ist aber in der Realität kaum möglich.

    In der Biologie offenbar noch viel weniger, aber andererseits zweifellos vorhanden. Philipp hat von so etwas wie „zufälligen Triggerungen“ berichtet. Da scheint es naheliegend zu vermuten, dass es sich um „besonders empfindliche Neuronen handelt“ die sogar vom „Rauschen aufgeladen“ werden und fast willkürlich triggern. Dadurch werden in bestimmten Gebieten des Gehirn die Aktivitäten gefördert und es entstehen so etwas wie „Schwerpunkte des Denkens“. Ich glaube Philipp sieht es auch so.

    Das gibt es auch in der Technik und die Techniker tun alles um derartiges zu verhindern. Andererseits wird „absichtliches“ Triggern auch „künstlich“ erzeugt um planmäßig Einfluss auf das Geschehen zu nehmen. Die Evolution scheint „von selbst“ auf derartige zweckmäßige Mechanismen „gestoßen“ zu sein.

    Aus dem Zufallsgenerator Modell (aus elektronischen Zählerschaltungen) kann man beobachten und auch gut verstehen, dass „weitgehend determinierte Zufallsvariablen“ generiert werden, aber eben nicht immer.

    Es gibt zwar die gewollten „strengen Kausalitäten“, aber dann wenn sich bestimmte Impulsflanken (die nicht absolut „senkrecht“ sind) sozusagen „nahekommen“, fast „überlappen“ treten neue, andere Kausalitäten als gewünscht auf. Ein Transistor „triggert“ etwas früher als er sollte, weil er bereits bei etwas kleinerem Spannungspegel (der nicht absolut senkrechten Impulsflanken) triggert.

    Wenn die „Überlappungsfälle“ häufig sind, sind auch die unerwünschten „Kausalitätswechsel“ häufiger und die Ergebnisse werden immer „zufälliger“.

    Auch wenn die Schaltung immer komplexer wird, werden die „Kausalitätswechsel“ immer stärker. Es können sogar immer mehr neue Kausalitäten auftreten, die man gar nicht kennt.

    Es läuft letztlich auf die Frage hinaus, ob man die „neuen Kausalitäten“ „nur nicht kennt“, oder es derartige Kausalitäten gar nicht gibt, also echt „Indeterminiertheit“ existiert?

    Ich fürchte, „Indeterminiertheit“ ist die Folge der Komplexität und unserer mangelnden Erkenntnisfähigkeit….

  287. @ Balananus:

    “Lass‘ mich raten: War die Vermutung (bzw. Hypothese), dass die Eigenaktivität des Gehirns womöglich ein chaotisches Verhalten zeigt?”

    Nein, ich habe versucht verschiedene Messungen im Phase space zwischen verschiedenen Zuständen des Bewusstseins zu untersuchen.
    – Wachzustand
    – Sediert
    – Tiefe Anästhesie (kein Bewusstsein)
    Die Probanden starteten den Scan bei vollem Bewusstsein und die letzten Messungen fanden dann unter Anästhesie statt.

    Wir können Aktivität in der time-domain, der frequency-domain, und zusätzlich im Phase Space analysieren. Viele Messungen die man im Phase Space berechnen kann stammen u.a. aus dem Bereich rund um die Chaostheorie.

  288. @ Elektroniker:

    “In der Biologie offenbar noch viel weniger, aber andererseits zweifellos vorhanden. Philipp hat von so etwas wie „zufälligen Triggerungen“ berichtet. Da scheint es naheliegend zu vermuten, dass es sich um „besonders empfindliche Neuronen handelt“ die sogar vom „Rauschen aufgeladen“ werden und fast willkürlich triggern. Dadurch werden in bestimmten Gebieten des Gehirn die Aktivitäten gefördert und es entstehen so etwas wie „Schwerpunkte des Denkens“. Ich glaube Philipp sieht es auch so.”

    Die Spontanaktivität des Gehirns ist nicht zufällig sondern systematisch. Warum sollte das Gehirn Energie verschwenden um zufällige Aktivitätsmuster zu zeigen? Das Lebewesen muss sich zielgerichtet in der Umwelt verhalten.

    Wenn die Gehirnaktivität zufällig wäre, z.B. im Sinne eines white noise Prozesses, dann verliert man das Bewusstsein.

    Diese Neurone besitzen bestimmte Ionenkanäle die es ihnen erlauben von sich aus zu feuern. D.h. diese Neurone müssen nicht durch andere Neurone depolarisiert werden damit sie feuern; sie machen es selbstständig.

    Im Herzen gibt es Zellen die die gleichen Ionenkanäle besitzen, denn schließlich schlägt das Herz auch autonom, auch wenn es dauert vom Gehirn moduliert wird.

  289. @ Philipp 28.09.2024, 21:55 Uhr

    Zitat: „Die Spontanaktivität des Gehirns ist nicht zufällig sondern systematisch.“

    So könnte man es sehen. Das Problem ist der Begriff „zufällig“. Es ist nicht in jedem Fall „zufällig“, auch wenn es „zufällig“ scheint.

    Am einfachsten ist es so zu verstehen, wie ich es ehemals (aus meiner Erinnerung) erfahren habe.

    Es gab „Jahrmärkte“ und die Leute durften noch „ab gestiert“ werden (Bauernfängerei). Ein wortgewaltiger Mann hatte eine „gezinkte Maschine“ z.B. mit 6 Lampen. Hat ein „Kunde“ auf einen Knopf gedrückt so leuchtete „zufällig“ eine Lampe mit einer Zahl, wie beim Würfel auf. Es schien zufällig wie beim Würfel, war es aber nicht wirklich. Der Kunde dürfte „wetten“ und hatte er Glück, bekam er einen Geldbetrag.

    Der Betreiber der „Maschine“ wusste die Zahlenfolgen, nur die Kunden glaubten, sie wären „zufällig“.

    Der Betreiber hat mit psychologischen Methoden die Leute manipuliert. Z.B. so, dass ein „etwas naiv“ scheinender Mann etwas Geld gesetzt und auch gewonnen hat. Damit wurden mehrere Leute geködert und haben auch „gespielt“. Wenn der Betreiber wusste, dass diese Zahl nicht kommen wird, hat er möglichst viele Kunden verführt. Wurde auf eine Zahl gesetzt die sicher kommen würde, hat er dafür gesorgt, dass möglichst keiner gespielt hat…

    Das Grundprinzip war ein systematisch arbeitender Zufallszahlengenerator der massenhaft „Zufallsvariable“ generiert, die nur scheinbar „zufällig“ waren. Den Mathematikern ist das aufgefallen, nicht aber den „Normalos von der Straße“.

    Die Natur erzeugt DNA Variable mit einer Anordnungen die man mit Zufallsgeneratoren vergleichen könnte. Es „entstehen letztlich“ z.B. Katzen mit etwas variierendem Fell, aber keine „Hunde“.

    Am Prinzip elektronisch gekoppelter Zählerschaltungen kann man verstehen was gemeint ist, wenn einerseits streng determinierte, andererseits zufällige Zahlenfolgen entstehen.

    Es gibt zwar die gewollten „strengen Kausalitäten“, aber dann wenn sich bestimmte Impulsflanken (die nicht absolut „senkrecht“ sind) sozusagen „nahekommen“, fast „überlappen“ treten neue, andere Kausalitäten als gewünscht auf. Ein Transistor „triggert“ etwas früher als er sollte, weil er bereits bei etwas kleinerem Spannungspegel (der nicht absolut senkrechten Impulsflanken) triggert.

    Wenn die „Überlappungsfälle“ häufig sind, die Schaltung immer komplexer wird, werden auch die unerwünschten „Kausalitätswechsel“ häufiger und die Ergebnisse werden immer „zufälliger“.
    Es können sogar neue Kausalitäten auftreten, die man gar nicht kennt.

    Es läuft letztlich auf die Frage hinaus, ob man die „neuen Kausalitäten“ „nur nicht kennt“, oder es derartige Kausalitäten gar nicht gibt, also echt „Indeterminiertheit“ existiert? (Beim „Rauschen“ oder bei „radioaktiven Zerfallsprozessen“ kann man jedenfalls keine Kausalitäten erkennen….)

    Ich fürchte, „Indeterminiertheit“ ist die Folge der Komplexität und unserer unzureichenden Erkenntnisfähigkeit….

  290. @Balanus:

    Sie sind ja jetzt kein Reduktionist mehr 😉, aber um auch wieder in die Nähe des ursprünglichen Themas hier zurückzukehren: “Biological Autonomy: A Philosophical and Theoretical Enquiry” von Moreno und Mossio (2015) ist ein sehr interessantes Buch, das die Autonomie biologischer Wesen hervorhebt gegenüber Maschinen als unbelebte Produkte. Sie kritisieren das immer noch weit verbreitete Maschinendenken in der Biologie, das dann letztlich zu Vorstellungen führt, Lebewesen wären deterministische Apparate.

  291. @ Elektroniker:

    Ich verstehe nicht was Sie mir im Bezug auf das Gehirn mit Ihrem letzten Beitrag sagen wollen? Worauf wollen Sie hinaus?

    Wenn Sie Gehirnaktivität aufnehmen, beispielsweise mit EEG, MEG, oder fMRI, dann sieht die Aktivität in der Zeitreihe auch zufällig aus, wie sinnloses Rauschen. Man muss verschiedene Berechnungen ansetzen um zu zeigen dass dieses (scheinbare) Rauschen sinnvolle Signale (oder wie Sie es gerne nennen “Information”) enthält.

    D.h. man kann das fast nie visuell mit dem Auge sehen. Man muss Berechnung einsetzen um das zeigen.

  292. @ Philipp 29.09.2024, 16:25 Uhr

    Im Bezug auf das Gehirn stimme ich voll mit Ihnen überein. Ich sehe auch kaum realistische Möglichkeiten, mit hoher Auflösung, in zentralen Bereichen die Signale direkt zu messen. Das ist der große Vorteil den Elektroniker haben. Sie machen offensichtlich das Beste aus der Situation.

    Ich klage eher über die Verwendung des Begriffs „Zufall“. Derzeit ist es so, wie ich zu beschreiben versucht habe, dass Folgen von Zahlen “zufällig“ scheinen, obwohl sie determiniert und mittels streng kausaler Prozesse entstanden sind.

    Es könnte absichtlich oder unabsichtlich, eine andere veränderte aber bekannte Kausalität grundlegend sein. Dann gibt es noch die Fälle (noch?) nicht verstandener, vermuteter, oder beweisbar nicht vorhandener Kausalität. Letzteres wären definitiv sicher „Zufallszahlen“.

    Allerdings, ein besseres Konzept, allenfalls mit neuen korrekten Begriffsbildungen, könnten höchstens Philosophen und Linguisten ausarbeiten oder vorschlagen.

  293. @Philipp, aber nicht nur!

    Verstehe, dann war Chaosverhalten nicht Primary Aim of the Study. Danke für die Antwort!

    Dann hätte ich aber noch ein paar abschließende Anmerkungen zu deinen Gedanken über die „kausale Geschlossenheit der Welt”.

    » 1. Kausalität ist ein metaphysisches Konzept. Keiner weiß was Kausalität ist geschweige denn ob es sowas wie Kausalität ontologisch überhaupt gibt. «

    Eigentlich weiß doch jeder, wie Ursache (etwas tun) und Wirkung (etwas passiert) zusammenhängen (auf U folgt W). Dass diese schlichte, aber fundamental lebenswichtige Beobachtung und Erfahrung von vielen großen Denkern aufgegriffen, begrifflich gefasst, analysiert, verallgemeinert und in einen Bezug zur ganzen Welt gestellt wurde (und wohl noch immer wird), finde ich einerseits erstaunlich, anderseits aber nur allzu verständlich angesichts der Bedeutung des Ursache-Wirkungs-Zusammenhangs für unsere Existenz.

    » 2. Kausalität ist meiner Ansicht nach ein Phänomen seitens des Beobachters, also von unserer Seite. Es ist aus meiner Sicht vereinfacht ausgedrückt eine menschliche Kategorie des Denkens (grob ala Kant und co). D.h. Kausalität ist etwas phänomenologisches, etwas das wir erleben. Es kann auch etwas methodologisches sein, praktisch für wissenschaftliche Erklärungen. «

    Einverstanden: Der Mensch stellt den Zusammenhang von ursächlichen Handlungen bzw. Ereignissen und nachfolgenden Wirkungen bzw. Ereignissen im Denken bzw. im Gehirn selbst her. Mal trifft er die realen Verhältnisse, mal nicht.

    » 3. Im Zusammenhang mit Punkt eins: Alle möglichen Definitionen von Kausalität sind philosophisch. Kausalität kann man nicht messen oder quantifizieren. Ich wüsste jedenfalls nicht wie. «

    Richtig, bezogen auf den philosophischen Begriff „Kausalität“ gibt es nichts zu messen, Im wahren Leben beim Ursache-Wirkungs-Zusammenhang allerdings schon, etwa wenn die Wirkung eines Medikaments bestimmt werden soll. Es sei denn, es wird auch jeglicher U-W-Z bestritten bzw. zur Illusion erklärt.

    Das Problem mit der kausalen Geschlossenheit haben wir mit alldem aber noch gar nicht berührt. Es genügt m. E. nicht, den philosophischen Kausalitätsbegriff zu eliminieren, wir müssten wohl auch noch zeigen, dass es überhaupt keine objektiven Ursache-Wirkungs-Beziehungen gibt, sondern eben alles nur subjektiv erlebt und vom Gehirn konstruiert wird—quasi als Fehlinterpretation tatsächlicher raumzeitlicher Naturvorgänge, die in Wahrheit gar nicht ursächlich zusammenhängen (darf man „ursächlich“ sagen, nachdem die „Kausalität“ entsorgt wurde?) . Diesen Nachweis zu führen stelle ich mir aber sehr sehr schwierig vor.

    Wenn ich das richtig verstehe, dann geht es bei der kausalen Geschlossenheit um etwa anderes, nämlich darum, ob Ereignisse (physikalischer Natur, was sonst?) von nicht-physikalischen Ereignissen (v. a. mentalen) verursacht werden können. Für die meisten Menschen steht das außer Frage. Ich selbst gehöre diesbezüglich zur Minderheit.

  294. Philipp schrieb (25.09.2024, 12:11 Uhr):

    » der zweite Hauptsatz der Thermodynamik. Dieser ist probabilistisch und wird nicht durch eine “kausale Kraft” angetrieben. «

    Was spricht dagegen, die Temperatur bzw. Wärme selbst als die treibende „kausale Kraft“ anzusehen? Schließlich „bewirkt“ sie die Eigenbewegung der Partikel im Medium, mit der Folge, dass sie sich mit der Zeit gleichmäßig verteilen (indem sie mit anderen Teilchen kollidieren), wodurch die anfangs noch bestehenden Konzentrationsgradienten schlussendlich abgebaut werden (mit nahezu unendlich hoher Wahrscheinlichkeit).

    Dass es sich bei der Diffusion um einen probabilistischen Prozess handelt, spricht nach meinem Verständnis nicht gegen die kausale Geschlossenheit der (physikalischen) Welt. Und auch nicht gegen eine durchgängige Determination, die nichts mehr mit dem von Laplace gemein hat (was die Vorausberechenbarkeit oder das Festgelegt sein aller zukünftigen Ereignisse angeht). Daraus folgt, dass die Gesetzmäßigkeiten oder Regularitäten der Phänomene auch durch Wahrscheinlichkeiten ausgedrückt werden können.

    Kurzum: Ob in der Kaffeetasse oder in der Atmosphäre, in beiden Fällen dürften wir es—nach meinem Verständnis— mit einer Form von deterministischem Chaos zu tun haben.

  295. @ Balanus:

    “Wenn ich das richtig verstehe, dann geht es bei der kausalen Geschlossenheit um etwa anderes, nämlich darum, ob Ereignisse (physikalischer Natur, was sonst?) von nicht-physikalischen Ereignissen (v. a. mentalen) verursacht werden können. Für die meisten Menschen steht das außer Frage. Ich selbst gehöre diesbezüglich zur Minderheit.”

    Genau aus diesem Kontext kenne ich die Diskussion auch. Und deshalb halte ich die Frage (in diesem Kontext) für ein Pseudoproblem. Warum halte ich es für ein Pseudoproblem? Weil aus meiner Sicht bereits die Vorannahmen auf die das Problem beruht falsch bzw. Unsinn sind. Auf sinnlose Vorannahmen kann kein richtiges Problem beruhen. Aber ich habe keine Lust die Details diesbezüglich hier zu diskutieren, besonders wenn wir ohnehin einer Meinung sind.

    “Was spricht dagegen, die Temperatur bzw. Wärme selbst als die treibende „kausale Kraft“ anzusehen? “
    Genau so sehe ich das ja auch. Kausalität lässt sich dann ontologisch wegdefinieren. Es ist kein “Extra” mehr das dazwischen kommt, es ist der Prozess selbst.

    “Daraus folgt, dass die Gesetzmäßigkeiten oder Regularitäten der Phänomene auch durch Wahrscheinlichkeiten ausgedrückt werden können.”

    Ja, es gibt Leute die argumentiert haben dass dieses “Gesetz” aufgrund der Basierung auf Wahrscheinlichkeiten schwächer als andere Gesetze der Physik sei. Gleichzeitig gibt es Leute die umgekehrt argumentiert haben dass dieses Gesetz gerade deswegen noch “stärker” sei.

    Aber das ist letztendlich wieder eine endlose philosophische Diskussion und Frage des persönlichen Geschmacks.

  296. @Wolfgang Stegemann

    » Sie sind ja jetzt kein Reduktionist mehr 😉, «

    Ja ja, wer weiß, ich selbst kann das ja nicht beurteilen, das überlasse ich gerne kundigeren Mitmenschen… ; – )

    (Tatsache ist, dass für mich nach wie vor zentral ist, wie aus reaktionsfreudigen organischen Molekülen und zyklischen Reaktionsprozessen in geeigneter Umgebung schlussendlich lebende Systeme entstanden sind. Und wie sich aus einer einzelnen Zelle ein hierarchisch organisierter, autonom agierender Organismus entwickeln kann, im Falle des Menschen sogar mit besonderen Hirnfunktionen (wie etwa das Reflektionsvermögen). Also alles bottom up; und dort, wo es aussieht, als gäbe es eine top-down-causation, läuft beim näheren Hinsehen doch praktisch alles unten auf der Zell-Ebene ab (etwa die wichtigen hormonalen Regulationsmechanismen).

    Schönen Dank für Ihren Hinweis auf Moreno und Mossio! Das Buch trifft thematisch nicht so mein Interesse. Ich hatte vor etlichen Tagen WH Calvin zitiert (aus: Die Symphonie des Denkens. Wie Bewusstsein entsteht. 1995):

    Ich könnte einen Roboter darauf programmieren, die Suchflüge einer Biene […] nachzuahmen, doch wenn man eine Katze oder ein Stinktier imitieren will, muß man offenbar den »Willen«, ja sogar eine Augenblickslaune berücksichtigen — einen Entscheidungsprozeß, der Unvorhersehbares enthält.

    Man sieht, es gibt hinreichend viele Biologen, denen der Unterschied zwischen biologischen und maschinellen Systemen durchaus klar ist. Beide sind den Gesetzmäßigkeiten der Physik unterworfen. Determinismus à la Laplace? Hat heute wohl ausgedient. Es bleiben moderne Determinismus-Vorstellungen, die z. B. auch mit den Erkenntnissen aus der Quantenphysik gut vereinbar sind.

    https://hal.science/hal-01137522/file/Mossio_Bich_Synthese_2014_web.pdf

    Aber das nur nebenbei. Als ich die beiden Autoren nachgeschlagen habe, bin ich auf ein Paper von Mossio M und Bich L gestoßen, das mein Interesse geweckt hat: „What makes biological organisation teleological?“

    Teleologisch? Wo doch hier im Thread gerade auf den Unterschied zwischen Teleologie und Teleonomie hingewiesen wurde. Bin gespannt, was die Verfasser des Aufsatzes hierüber zu sagen haben. Danke nochmal!

  297. @ Balanus:

    “Kurzum: Ob in der Kaffeetasse oder in der Atmosphäre, in beiden Fällen dürften wir es—nach meinem Verständnis— mit einer Form von deterministischem Chaos zu tun haben.”

    Ich glaube für die Aussage würde dich fast jeder killen der sich mit dem Thema beschäftigt oder beschäftigt hat.

    Deterministes Chaos bedeutet dass du bestimmte Anfangsbedigungen hast und diese den Verlauf bzw. Prozess komplett determinieren.

    Wenn ich als Umweltfaktor (aus Sicht der Tasse) die Tasse bewege, anfasse, oder was auch immer, dann zerstört dieser Input bereits das was durch die Anfangsbedingungen determiniert war.

    Du kannst normalerweise nicht einfach behaupten dass ein echter und kein simulierter Prozess chaotisch ist. Du musst empirisch dafür gute Evidenz liefern.

  298. @Balanus:

    Das Universum ist ein deterministisch-chaotisches System, in dem alles durch die Naturgesetze bestimmt wird, aber die Komplexität und die nichtlineare Dynamik dazu führen, dass Vorhersagbarkeit extrem schwierig, wenn nicht unmöglich ist.

    Die Symmetriebrüche nach dem Urknall haben eine unglaubliche Vielfalt an Zuständen und Strukturen entstehen lassen, wodurch das Universum praktisch unüberschaubar viele Entwicklungen und Determinanten aufweist.

    Auf einer theoretischen Ebene ist das Universum ein geschlossenes kausales System, in dem alles durch innere kausale Verknüpfungen zusammenhängt. Auf einer praktischen Ebene jedoch bleibt diese Kausalität verborgen, weil die nichtlinearen Effekte und die chaotische Dynamik die Komplexität der Entwicklungen so stark erhöhen, dass ein vollständiges Verständnis oder eine präzise Vorhersage nicht erreichbar ist.

    Jetzt kann man sich fragen, ob diese ontologisch oder epistemisch zu verstehen ist.

    Das ist aber nur eine Seite. Die andere Seite ist die Frage, inwieweit wir die Welt epistemisch konstruieren und im Zuge dessen Kausalitäten mit konstruieren.

    Man stelle sich eine fluide oder graphene Intelligenz vor. Sie hätte, wenn überhaupt, ein Verständnis von Kausalität, das wir uns nicht einmal vorstellen können.

    Das bedeutet, dass es keine Kausalität, Determinismus, etc. ‘an sich’ gibt, sondern nur unsere instrumentelle Weise, die Welt zu konzeptualisieren.

  299. @ Balanus:

    Als Ergänzung, ich zitiere mich selbst:

    “Du kannst normalerweise nicht einfach behaupten dass ein echter und kein simulierter Prozess chaotisch ist. Du musst empirisch dafür gute Evidenz liefern.”

    … und viele Messungen im Phase Space benötigen mindestens 200.000, 500.000, oder gar 1.000.000 oder mehr Datenpunkte damit sie überhaupt valide funktionieren können (aber nicht müssen, da auch noch andere Faktoren reinspielen).

    In vielen Wissenschaften ist es gar nicht möglich einen Prozess mit sovielen Datenpunkten aufzunehmen. Man kann es also nicht einmal valide messen.

  300. @Balanus:

    Mossio und Bich argumentieren, dass biologische Organisation inhärent teleologisch ist, weil die Aktivitäten von Organismen darauf ausgerichtet sind, die eigenen Existenzbedingungen aufrechtzuerhalten. Das bedeutet, dass biologische Systeme durch ihre Struktur und Organisation die notwendigen Bedingungen schaffen, um ihre eigene Existenz zu sichern. Diese Teleologie ist also intrinsisch und auf die Erhaltung und Stabilisierung der Organisation des Organismus selbst gerichtet, nicht primär auf die Fortpflanzung. Es ist das Prinzip der Autokatalyse, die ich im übrigen für das zentrale Prinzip von Leben halte und der Übergang zu Leben dadurch entsteht, dass autokatalytische Reaktionskreisläufe eine Außenhaut erhalten und dadurch von der Umwelt als autonomes System sich separieren.

  301. @Balanus:

    “Also alles bottom up; und dort, wo es aussieht, als gäbe es eine top-down-causation, läuft beim näheren Hinsehen doch praktisch alles unten auf der Zell-Ebene ab (etwa die wichtigen hormonalen Regulationsmechanismen).”

    Wenn Sie reduktionistisch argumentieren, meinen Sie, dass alles, also auch das Bewusstsein, direkt aus den Molekülen ableitbar sein muss. Da das kaum geht, müssen Sie Bewusstsein entweder leugnen (wie D.Dennett) oder Sie müssen etwas Metaphysisches einführen, um die Erklärungslücke zu schließen.
    Wenn Sie nicht-reduktionistisch argumentieren, erkennen Sie an, dass durch die Kombination vieler (biologischer) Strukturen immer komplexere Strukturen entstehen, die zwar immer noch biologisch sind, aber nicht mehr aus den ursprünglichen Strukturen epistemisch und ontologisch linear herleitbar sind.
    Es ist also nichts metaphysisches, es sind einfach nur andere Strukturen (als die Summe ihrer Teile), mehr nicht.

    Und jetzt kommt der entscheidende Schritt: natürlich kann man Bewusstsein nicht einfach aus den biologischen Strukturen herleiten. Warum nicht? Weil es sich um zwei unterschiedliche Beschreibungsebenen handelt. Sie müssen also erst die biologische Struktur in die Sprache der Psychologie übersetzen bzw. umgekehrt. Sie müssen die Begriffe also gleichnamig machen. Ansonsten leiten Sie Apfel von Birnen her.

    Und dann ist die mentale Beeinflussung auch kein theoretisches Problem mehr, in vivo ja sowieso nicht, siehe Placeboeffekt oder Psychosomatik.

  302. @Stegemann 30.09. 11:59

    „…natürlich kann man Bewusstsein nicht einfach aus den biologischen Strukturen herleiten. Warum nicht? Weil es sich um zwei unterschiedliche Beschreibungsebenen handelt. Sie müssen also erst die biologische Struktur in die Sprache der Psychologie übersetzen bzw. umgekehrt.“

    In einer komplett geistlosen Welt wäre dieses eine sehr vernünftige Einstellung. Mit der Perspektive, diese Übersetzung in den neurologischen Details tatsächlich zu finden. Schon die Grundprinzipien dürften hierbei reichen, um das Ganze auch in der KI zu versuchen. Wenn diese KI dann tatsächlich eigenes Bewusstsein entwickelt, und wir das auch zweifelsfrei feststellen können, dann wissen wir, wie es auch im Detail funktionieren kann.

    Wenn hier allerdings doch auch Geisteswelten beteiligt sind, was ich für möglich halte, wird man dann mit den Strukturen alleine dann doch keine Innenwelt zum Laufen bekommen.

    Man kann dann allerdings den Zugang für die Geisteswelten auch in künstlichen Systemen bereitstellen. Möglicherweise reicht hier schon die Einbindung von einer hinreichenden Menge Quantenzufall im simulierten Betrieb von künstlichen neuronalen Netzen. Und das ließe sich dann sogar konkret testen, wenn es denn funktioniert. Wenn man in den Künstlichen Systemen von Pseudozufallszahlen auf echte Quantenzufallszahlen hin und her schalten kann, dann sieht man ja sofort, ob sich hier Unterschiede zeigen.

    Möglicherweise geht dies so weit, dass das System sofort das Bewusstsein verliert, sobald von Quantenzufall auf Pseudozufallszahlen umgeschaltet wird. Falls eben die inneren Geistesräume nur mit der Rückmeldung via Quantenzufall funktionieren können.

    Oder man stellt hier eindeutig fest, dass die Quantenzufallszahlen überhaupt keine Unterschiede machen. Dann funktioniert es wirklich rein biologisch. Das wäre auch ein weiterführendes Ergebnis. Wer Geisteswelten grundsätzlich ausschließt, der hätte hiermit auch eine hervorragende Bestätigung. Zumal es recht einfach wäre, in KI aller Art Zufallszahlen einzubauen, die dann zentral von Pseudozufallszahlen auf Quantenzufall und zurück umgeschaltet werden können.

    Im biologischen Vorbild jedenfalls dürften in den chemischen Details z.B. an den Synapsen Zufallsanteile in hinreichendem Ausmaß vorkommen. Womöglich muss man diesen Zufall dann sowieso auch in künstliche Systemen nachbauen, weil ihn die Biologie kreativ nutzt, weil er nun mal schon immer dazu gehört.

  303. @Philipp

    Ich muss zugeben, dass ich aus dem Blickverloren habe, wieso die Thermodynamik nicht mit der Annahme von der kausalen Geschlossenheit der Welt vereinbar ist. Aber wir wollten ja nicht mehr über metaphysische Begriffe wie Kausalität reden (ich als philosophisch Unterbelichteter kann da ohnehin nichts Substantielles beitragen).

    » Wenn ich als Umweltfaktor (aus Sicht der Tasse) die Tasse bewege, anfasse, oder was auch immer, dann zerstört dieser Input bereits das was durch die Anfangsbedingungen determiniert war. «

    1. Wenn der Laplacesche Determinismus wahr wäre, wäre dieser störende Eingriff bereits von Anbeginn an determiniert gewesen.

    2. Man kann ja auch das chaotische Schwingen eines dreiarmigen Pendels stören. Weshalb ich nicht müde werde zu sagen, der zukünftige Zustand der Welt kann nicht festgelegt sein, weil das dem natürlichen, naturgesetzlichen Verlauf der Naturvorgänge widerspräche.

    Wenn ich die Deutungshoheit über den Begriff besäße, würde ich verfügen, dass Determinismus gleichbedeutend ist mit physikalischer Gesetzmäßigkeit. Ob damit der Determinismusbegriff obsolet würde, sei mal dahingestellt…

    Zuletzt: Seit Poincaré das deterministische Chaos im Lauf der Planetenbahnen entdeckte, haben wir allen Grund anzunehmen, dass chaotisches Verhalten in der Natur weiter verbreitet ist als gemeinhin gedacht.

    Und ja, echtes chaotisches Verhalten mathematisch sauber nachzuweisen, ist sicherlich schwierig. Naturvorgänge nehmen einfach keine Rücksicht auf die begrenzte menschliche Erkenntnisfähigkeit… 😉

  304. Du wirfst zwei verschiedene Dinge in einen Pott, auch wenn sich beides nicht widersprechen muss. Ich verstehe nicht ganz worauf du hinaus willst.

    1. Der Dämon von Laplace: Ja, was du sagst stimmt und es ist trivial. Aber mir ging es nie um diesen Gedanken von Laplace.

    2. Chaos: ein chaotischer Prozess ist aperiodisch, non-linear… und er entsteht wenn man eine Regel, eine bestimmte mathematische Formel, immer wieder wiederholt anwendet. Es ist wie bei den Fraktalen: eine einfache Formel die immer wieder angewendet wird führt zu komplexen Gebilden.

    D.h. daraus kann ein Prozess enstehen der sehr komplex oder zufällig aussieht. Aber dahinter steht mathematisch nur die Iteration einer Formel. “Eigentlich” ist der Prozess also nicht komplex, beispielsweise in dem Sinne wenn man von Komplexität bei physiologischen Zeitreihen spricht.

    Die Komplexität bei physiologischen Zeitreihen, wie beispielsweise bei Gehirnaktivität, entsteht nicht weil darunter eine Iteration einer einfachen “Formel” steht, sondern weil zig Subkomponenten bestehen die alle non-linear miteinander interagieren und auch noch mit der Umwelt in Interaktion treten. Dadurch entsteht eine enorme Komplexität. In diesem Sinne ist ein chaotischer Prozess nicht komplex.

  305. @ Balanus:

    Hier ein Beispiel.

    Grafik im Link unten (hoffe es ist erlaubt).

    https://ibb.co/THJ0WTk

    Links in der Grafik siehst du jeweils die time-series bzw. Zeitreihe. Beide Prozesse wirken optisch zunächst zufällig. Wir nehmen nun jeweils die time-series, “kopieren” sie, und nutzen die Kopie zeitlich etwas versetzt um ein 2D pseudo Phase Space zu generieren (jeweils rechts in der Grafik bzw. rechts im Bild).

    Nun sehen wir schon visuell mit den Augen (im pseudo Phase Space rechts) dass der obere Prozess zwar zufällig aussieht, aber eigentlich chaotisch ist. Er ist also deterministisch. Die Anfangsbedingungen bestimmen/determinieren den kompletten Prozess.

    Der untere Prozess bestand nur aus zufällig generierten Zahlen. Deshalb sieht auch das pseudo Phase Space weiterhin (wie die time-series) “zufällig” aus.

    Beide Prozesse können nun natürlich in einem philosophischen Sinne (ala Laplace) trotzdem durchgängig determiniert sein, ja. Stimmt.

    Aber ich verstehe hier eben den Zusammenhang nicht. Im Falle des Chaos reden wir über etwas das wir mathematisch konkret zeigen können, sei es in Simulationen am Computer oder teilweise empirisch. Hier haben wir genaue Definitionen. Das andere ist eine metaphysische Hypothese über die Welt, hier wird es abstrakt und schwammig. Beides kann man sich wieder philosophisch irgendwie zusammenbauen – aber wozu?

    Freier Wille:
    Und was würde es bedeuten wenn beispielsweise das Nervensystem komplett im Sinne eines chaotischen Prozesses ablaufen würde? Ich denke dann würden wir sofort das Bewusstsein verlieren und sterben. Freiheiten gäbe es für das Lebwesen dann auch nicht. Warum dürfte klar sein!? Meine ich jedenfalls…

  306. Determinismus ist ein physikalisches Modell, das immer relativ zum Bezugsrahmen zu sehen ist. Es ist also ein relativistisches Modell. Es ist aber – hinsichtlich freiem Willen – aussagelos, da beim freien Willen isolierte physikalische Konzepte nicht die Gesamtheit der Aktionen eines Organismus beschreiben können.
    Und: man muss physikalische Konzepte in biologische transformieren, wenn man Leben beschreiben will.
    (https://medium.com/p/881580bff1ae)

  307. @ Philipp

    Ich hätte im Zusammenhang mir der Realisierung des „Bewusstseins in neuronalen Systemen“, aus meiner „elektronischen Sicht“, einige Fragen an Sie.

    Es geht mir darum, ob Sie aus MRT,…. Bildern „herausfiltern“ könnten, ob als „aktiv“ dargestellte sensorische Neuronen auf „flächigen hautartigen Strukturen“ liegen, wie z.B. klar ist, dass aktive sensorische „Zapfen und Stäbchen“ zumindest sehr Nahe der Netzhaut liegen müssen? Z.B. wie auf der Körperhaut (Schmerzreize), oder auch im Bereich der Hirnhaut oder auf Zwischenschichten der Hirnorgane?

    Allenfalls ob „Bündel“ von Gehirnwellen „gleichzeitig“ räumlich verteilte Neuronen aktivieren?

    Bei der Informationsverarbeitung werden einerseits die Signale in offensichtlich räumlich verteilten „neuronal – synaptischen Gatterschaltungen“ verknüpft bzw. verarbeitet.

    Allerdings ist es andererseits dringend nötig, „Komponenten der Objekt des Denkens (Muster)“ in einen „örtlichen und gleichzeitigen Zusammenhang“ zu bringen, wie z.B. die Bildpunkte auf der Netzhaut, die auf der Netzhaut zu einem „Bild emergieren“ um reale Objekte zu erkennen.

    Von „Bildpunkten“ die irgendwo im Netz Neuronen aktivieren hätte man gar nichts, weil der wichtige „örtliche und zeitliche Zusammenhang“ der Bildpunkte fehlt. (Außer er würde mit „Wellenbündel“ hergestellt, was mir aber nur bei sozusagen „wenig punktförmigen Informationen“ realistisch erscheint.)

    Es geht also darum, diese „Flächen“ z.B. mittels „mathematischer Methoden herauszufiltern“? Dann wären Sie sozusagen dem „Bewusstsein auf der Spur“!

    Die zugehörigen „Empfindungen“, die wesentlichen Merkmale der biologischen Systeme sind, entstehen vermutlich in eng benachbarten sensorischen Zellen, die auch die entsprechende Signale für die weitere Auswertung „liefern“.

    Sie könnten nicht nur den Urin, den die Nieren absondern sichtbar machen, Sie wären nicht nur dem „Bewusstsein auf der Spur“, sondern könnten allenfalls sogar die „Spuren“ der Objektverarbeitung“. des „Denkens“, sichtbar machen…..

  308. @ Elektroniker:

    Ich hätte im Zusammenhang mir der Realisierung des „Bewusstseins in neuronalen Systemen“, aus meiner „elektronischen Sicht“, einige Fragen an Sie.

    Es geht mir darum, ob Sie aus MRT,…. Bildern „herausfiltern“ könnten, ob als „aktiv“ dargestellte sensorische Neuronen auf „flächigen hautartigen Strukturen“ liegen, wie z.B. klar ist, dass aktive sensorische „Zapfen und Stäbchen“ zumindest sehr Nahe der Netzhaut liegen müssen?

    Bei MRI und fMRI erstellt der Scanner ein 3D Koordinatensystem um den Kopf herum. Diesen 3D Bereich füllt er mit Voxeln aus, d.h. dreidimensionalen Pixeln. Je nach Art des Scans kann die Größe der Voxel sehr unterschiedlich ausfallen. Die Gesamtanzahl der Voxel kann 120.000, 300.000, oder auch mehr betragen.

    Für jeden Voxel nehmen Sie über die Zeit hinweg nun Datenpunkte auf. Typische Aufnahmegeschwindigkeiten von fMRI liegen heute im Bereich von 0.7 bis 2 Sekunden. D.h. Sie nehmen alle 0.7 Sekunden oder jede 2. Sekunde einen Datenpunkt auf.

    Am Ende haben Sie dann je nach Aufnahmelänge und Aufnahmegeschwindigkeit für jeden einzelnen Voxel eine Zeitreihe, sagen wir 300, 500, oder auch mal 1500 Datenpunkte pro Voxel. D.h. Sie haben bei beispielsweise 150.000 Voxeln für jeden Voxel beispielsweise 600 Datenpunkte.

    Um Ihre Frage zu beantworten: Ja, Sie wissen also relativ genau wo im Gehirn etwas passiert ist. Die gute räumliche Auflösung (im vergleich zu EEG oder MEG) ist der Vorteil an fMRI.

    Nachteile an fMRI sind u.a. dass die Aufnahmegeschwindigkeit ultra lahm ist und dass das aufgenommene BOLD Signal von Natur aus ebenfalls ultra lahm ist. D.h. selbst wenn man technisch die Aufnahmegeschwindigkeit der Hardware (des Scanners) erhöht bleibt das natürliche BOLD Signal im Gehirn super langsam.

    Hier punktet z.B. das EEG. Das EEG nimmt kein hemodynamisches Signal wie fMRI auf sondern ein elektrophysiologisches. Dazu kann das EEG nicht nur ~1 Datenpunkt pro Sekunde abgreifen wie fMRI, sondern beispielsweise 500 oder gar 1000. Nachteil ist dass Sie nur 64, 128, 256…. Elektroden auf dem Kopf haben und keine 300.000 Voxel. Dazu leidet die räumliche Auflösung des EEG noch mehr aufgrund vieler weiterer Faktoren.

    Also nochmals: Ja, Sie wissen mit fMRI räumlich relativ genau wo etwas passiert. Dafür hat die Technik andere Nachteile. Die optimale Wahl der Methode (EEG, MEG, fMRI und co) hängt auch von der genauen Untersuchungsfrage ab.

  309. Achja, noch als Ergänzung: ein primärer Grund warum fMRI eine so langsame Aufnahmegeschwindigkeit hat ist dass es jeden Voxel nacheinander scannen muss. Sogesehen ist es schnell wenn es beispielsweise 300.000 Voxel nacheinander pro Sekunde misst!

    Aber es ist technisch bedingt so dass der MRI Scanner eben jeden Voxel nacheinander “abfährt” und nicht 2 (oder mehr oder gar alle) Voxel gleichzeitig scannen kann.

    Warum das so ist kann ich hier nicht erklären, dazu müsste ich zuweit ausholen bzw. füllt das ganze Bücher. Schnell und grob gesagt muss das magnetische Feld für jeden einzelnen Voxel neu angepasst bzw. ausgerichtet werden.

  310. @Wolfgang Stegemann

    » Wenn Sie reduktionistisch argumentieren, meinen Sie, dass alles, also auch das Bewusstsein, direkt aus den Molekülen ableitbar sein muss. … «

    Das ist wohl das, was in der Philosophie mit Reduktionismus gemeint ist. Das mag logisch-argumentativ schlüssig sein, aber praktisch ist das schon irgendwie abwegig.

    » … Da das kaum geht, müssen Sie Bewusstsein entweder leugnen (wie D.Dennett) oder Sie müssen etwas Metaphysisches einführen, um die Erklärungslücke zu schließen «

    Mit „Bewusstsein“ ist das bewusste Erleben und Wahrnehmen, das bewusste reflexive Sein, Ich-sein, gemeint. Wie hat Dennett es geschafft, sein bewusstes Dasein zu leugnen? Mir wäre so etwas wohl nicht möglich. Mit dem Begriff „Bewusstsein“ verbinde ich eine spezielle Hirnfunktion, die insbesondere beim Menschen gut ausgeprägt ist. Die dafür notwendigen Strukturen sind offenkundig vorhanden. Eine „Erklärungslücke“ ergibt sich m.E. erst durch dualistisches Denken: Wenn ich meine, neurophysiologische Prozesse würde etwas erzeugen, was dann in meinem Bewusstsein aufscheint (so, als sei das Bewusstsein quasi ein immaterieller mentaler Beobachter), dann habe ich ein spezielles Erklärungsproblem, das neurobiologisch wohl nicht gelöst werden kann—weil das Mentale schlicht nicht ins Gebiet der Biologie fällt.

    »Wenn Sie nicht-reduktionistisch argumentieren, erkennen Sie an, dass durch die Kombination vieler (biologischer) Strukturen immer komplexere Strukturen entstehen, die zwar immer noch biologisch sind, aber nicht mehr aus den ursprünglichen Strukturen epistemisch und ontologisch linear herleitbar sind. «

    Also, ich weiß nicht… ohne Frage gibt es Wissenslücken, was die genaue strukturelle Organisation der Nervenzellen angeht, aber das Prinzip ihrer räumlichen, dynamischen Verknüpfungen und Interaktionen ist recht gut verstanden. Komplexer werden m.E. die an die biologischen Strukturen gebundenen Funktionen. Ich würde sagen, die organischen Strukturen sind hoch-kompliziert, nicht zuletzt auch wegen der Dynamik der veränderlichen Verknüpfungen in manchen Bereichen, aber nicht wirklich komplex (aber sie mögen dem Betrachter komplex erscheinen, zugegeben).

    Schließlich entstehen die Hirnstrukturen durch neuronale Selbstorganisation unter dem Einfluss des Inputs aus der Peripherie von außen und innen. Was sollen bei diesem Entwicklungsprozess „ursprüngliche Strukturen“ sein? Die bei der Geburt vorliegenden?

    » Es ist also nichts metaphysisches,… «

    In der Tat!

    Ich würde meinen, ich hätte mit meinen obigen Ausführungen die spezielle Hirnfunktion, die wir als Bewusstsein bezeichnen, aus den biologischen Strukturen „hergeleitet“. Sofern mit „herleiten“ die schlichte Erkenntnis gemeint ist, dass Funktionen an Strukturen gebunden sein müssen—denn sonst funktioniert da nichts.

    Etwas völlig anderes sind Fragen, die sich direkt mit dem beschäftigen, was die speziellen, mit dem sogenannten Bewusstsein assoziierten Hirnstrukturen als Verhaltensäußerungen hervorbringen. Das hat mit Biologie nur noch insofern zu tun, als dass es ohne diese Strukturen eben keine Verhaltensäußerungen gäbe.

    Mit der begrifflichen Trennung der beiden „Reiche“ Kultur (vom Bewusstsein hervorgebracht) und Natur (die funktionalen Strukturen als Grundlage des Bewusstseins) habe ich als Nicht-Dualist kein Problem.

    PS
    (Sorry, dass meine Entgegnungen auf Ihre kurze, aber dennoch sehr anregenden Beiträge immer so lang ausfallen, aber ich mag es halt, meine Gedanken auf diese Weise zu sortieren).

    PPS
    (Wenn ich alle Ihre Texte kennte, könnte ich mir sicher einiges an Entgegnungen und Ausführungen sparen — aber da dies nicht der Fall ist (und auch nicht sein wird), werde ich weiterhin hier und da einige offene Türen einrennen 😉

  311. @Philipp

    Mag sein, dass ich Stephan falsch verstanden habe, aber mir war, als würde er unter Determinismus und mit seiner Forderung nach deterministischen Verlaufsgesetzten (in Anlehnung an Geert Keil) insbesondere gegen einen Determinismus im Sinne von Laplaces Dämon argumentieren. Was wohl mit der Willensfreiheit kollidiert und deshalb verworfen werden muss.

    Vielleicht bin ich da auf ein falsches Gleis geraten. Inzwischen ist es so, dass wenn jetzt jemand sagt: „determiniert“, bzw. nicht determiniert, ich mich frage, was er mit „determiniert“ meint, welchen Determinismus er im Sinn hat.

    Ich denke, ich sehe mittlerweile etwas klarer, dank deiner Erklärungen.

    Zu deinem verlinkten Beispiel:

    Also, wenn ich das richtig verstehe, dass die Daten der Zeitreihe links oben mittels Mathematik zur hübschen, sauberen logistischen Kurve rechts oben im Bild werden, dann bin ich geplättet. So klar und eindeutig hätte ich mir das niemals nicht vorgestellt.

    Ich kann nur hoffen, dass die Daten aus der Zeitreihe (l.o.) nicht aus der realen, schmutzigen Natur stammen… 😉

    Woher kommt die im Beispiel verwendete chaotische Zeitreihe, wenn ich fragen darf?

  312. @ Philipp

    Danke für die anschauliche Erklärung der Situation.

    Ich gehe, wie gesagt davon aus, dass Bewusstsein hauptsächlich im Bereich verteilter „flacher“ Strukturen“ realisiert wird. Die in diese Strukturen eingebundene Sensorik erzeugt nicht nur Empfindungen, sondern auch Signale zur weiteren Auswertung.

    Diese Signalverknüpfungen machen es möglich, dass z.B. visuelle Information mit verbaler Information, die z.B. von einem früheren Lernprozess stammt, verknüpft wird.

    Die Signalverarbeitung erfolgt offensichtlich in räumlich verteilten „neuronal – synaptischen Gatterschaltungen“.

    Für die „flachen Strukturen“ spricht, dass viel an „Bewusstsein weg“ ist, wenn man z.B. die Augen schließt und sich die Ohren (Trommelfell) zuhält.

    Interne „Gedankenverarbeitung“, in die auch die internen „Bewusstseinsanzeigen“ eingebunden sind, z.B. Schmerzempfindungen, (z.B. von einem eingetretenen Nagel), würden „übrig“ bleiben.

    Das „Balint Syndrom“ in einer bestimmten Interpretation würde für das “verteilte Bewusstsein” sprechen. Eine Lehrerin die einen Kopfschuss abbekommen hatte, konnte einen am Tisch liegenden Füllhalter benutzen um eine Unterschrift zu leisten, wenn sie nur um eine Unterschrift gebeten wurde. Wurde sie aber gebeten auf den Füllhalter zu zeigen, behauptete sie, keinen Füllhalter zu sehen….. Bewusstsein scheint sich eher „parallel abzuspielen“ weniger „hierarchisch“.

    Auf flächigen Strukturen (z.B. Blatt Papier), werden ganz allgemein, z.B. auch komplexe Sachverhalte als Grafiken für ein besseres Verständnis, oder auch „Matrizen abgebildet“.

    In der Physik und in den Ingenieurwissenschaften ist es zweckmäßig, z.B. lineare Gleichungssysteme mittels Matrizen effizient zu lösen.

  313. @ Balanus:

    “Also, wenn ich das richtig verstehe, dass die Daten der Zeitreihe links oben mittels Mathematik zur hübschen, sauberen logistischen Kurve rechts oben im Bild werden, dann bin ich geplättet. So klar und eindeutig hätte ich mir das niemals nicht vorgestellt.

    Ich kann nur hoffen, dass die Daten aus der Zeitreihe (l.o.) nicht aus der realen, schmutzigen Natur stammen… 😉

    Woher kommt die im Beispiel verwendete chaotische Zeitreihe, wenn ich fragen darf?”

    Ja, es gibt schon geile Methoden…

    Die ist am Computer simuliert. In empirischen Daten hat man immer Noise (Rauschen), deshalb wird die Kurve rechts nie so sauber in empirischen Daten aussehen. Das sieht dann je nach Noiseanteil (den man ja auch simulieren kann ;)) dann so aus:

    https://i.sstatic.net/pwocG.png

    Links = Simulation ohne Noise.
    Nach rechts gehend = Immer mehr simulierter Noiseanteil in den Daten.

    @ Elektroniker:

    “Ich gehe, wie gesagt davon aus, dass Bewusstsein hauptsächlich im Bereich verteilter „flacher“ Strukturen“ realisiert wird. Die in diese Strukturen eingebundene Sensorik erzeugt nicht nur Empfindungen, sondern auch Signale zur weiteren Auswertung.”

    fMRI scant den ganzen Kopfbereich. D.h. sie scannen auch die Knochen, die Hirnhäute, die Augen, etc. Der Scanner weiß nicht wo das Gehirn beginnt und wo es endet.

    Deshalb muss man nach der Datenerhebung in der Verarbeitung der Daten den Schädel, die Hirnhäute, etc. erst einmal individuell für jede Person wegrechnen sodass nur noch das Gehirn bleibt, sogenanntes skull stripping.

    Sie nehmen also in den Rohdaten auch Voxel und damit Datenpunkte auf jene die Hirnhäute etc. beinhalten.

    Aber fMRI BOLD misst keine neuronale Aktivität. Es misst magnetische Veränderungen basierend auf Veränderungen im Sauerstoffgehalt des Bluts.

    Sie können auch nur einen sehr kleinen Teil des Gehirns scannen indem Sie die Scanmatrix verkleinern, beispielsweise wenn Sie nur Interesse an einem sehr spezifischen Bereich haben. Vorteil: dann muss der Scanner einen kleineren Bereich scannen und man kann dann kleinere Voxel für eine höhere Auflösung nehmen.

  314. Der Titel dieses Blogs war: Willensfreiheit: “Wie die Nieren den Urin absondern, erzeugt das Gehirn Gedanken.”

    Die Frage, wie das Gehirn Gedanken erzeugt, ist tatsächlich eine spannende Frage. Als Organ hat das Gehirn jedenfalls eine bestimmte Aufgabe, so wie die Nieren oder das Herz. Und so, wie die Nieren und das Herz ein Leben lang ihre Aufgabe erledigen, erzeugt das Gehirn ein Leben lang Gedanken, heute würde man sagen, erzeugt es Bewusstsein.

    Wir müssen also nicht fragen, warum das Gehirn Bewusstsein erzeugt oder wo, sondern, wie hält das Gehirn Bewusstsein aufrecht und moduliert es.

    Das lenkt den Blick auf die komplexe Organisation des Gehirns, die bewusste Erfahrungen erst möglich macht. Bewusstsein könnte also eine Art „Produkt“ dieser Prozesse sein – kein mysteriöser Zustand, sondern eine direkte Folge des Zusammenspiels von neuronalen Aktivitätsmustern, chemischen Regulatoren und energetischen Prozessen. Das bedeutet, Bewusstsein als etwas anzusehen, das ebenso natürlich ist wie ein Herzschlag – etwas, das durch die Funktionalität des lebendigen Organismus entsteht und sich darin ausdrückt. Von der subjektiven Seite her ausgedrückt als Qualia, mit der Umwelt und Körper spürbar werden, evolutionsbiologisch wie ein Kontrollmechanismus, der uns sicher durch die Welt navigieren lässt. Man denke an den Finger auf der heißen Herdplatte. Je differenzierter dieser ‘Mechanismus’ wurde, desto dramatischer und vielfältiger das Erleben.

    Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass freier Wille nicht durch einfache Schematisierungen, wie Determinismus oder Indeterminismus, erklärbar wird, ebenso wenig durch lineare physikalische Erklärungen. Das komplexe Gebilde von Bewusstsein, Ich und Wille erfordert genau diese komplexe Betrachtung. Es braucht also Modelle, die diese Komplexität von allen Seiten abbilden. Die Empirie liefert dafür die Grundlagen.

    [Amen].

  315. @Philipp

    Dein letzter Link funktioniert leider nicht: Error 1011 Zugriff verweigert.

    Ist aber schon OK so, ich kann mir die Graphen in etwa vorstellen.

    Nebenbei: Was diese methodische Vorgehensweise verdeutlicht, ist, dass es einen Unterschied macht, ob man eine Sache vom Ende her denkt, also teleologisch wie in der Simulation—damit’s ‘ne schöne Kurve ergibt,—oder ob man die auf natürliche Weise ablaufenden Ereignisse beobachtet und aufzeichnet.

    Damit wäre wohl Stephans vor einiger Zeit gestellte Frage (ob die Unterscheidung Teleologie – Teleonomie mehr sei als bloße Begriffsspielerei) beantwortet: Von selbst ablaufende biologische Prozesse können nur teleonom erfolgen, teleologische Vorgänge hingegen erfordern jemanden, der vom Ende her denken kann und entsprechend handelt. Soviel Metaphysik muss einfach sein, auch und gerade in der Biologie, finde ich… 😉

  316. @Wolfgang Stegemann
    30.09.2024, 11:41 Uhr

    »Mossio und Bich argumentieren, dass biologische Organisation inhärent teleologisch ist, weil die Aktivitäten von Organismen darauf ausgerichtet sind, die eigenen Existenzbedingungen aufrechtzuerhalten. «

    Dann wäre „inhärent teleologisch“ praktisch synonym zu „teleonomisch“. Oder anders gesagt: was ein Biologe teleonom nennen würde, bezeichnen die Autoren als teleologisch.

    Es ist keine Frage, „dass biologische Systeme durch ihre Struktur und Organisation die notwendigen Bedingungen schaffen, um ihre eigene Existenz zu sichern.“ Die Frage ist nur, wie sie das tun.

    Beide Prozesse bzw. Vorgänge führen (verwirrenderweise, zugegeben) zum gleichen Ziel oder Ergebnis, aber eben auf ganz unterschiedlichem Wege. Einmal wie vom Ende her gedacht und geplant (quasi top-down), das andere Mal ohne Kenntnis eines Zieles (bottom-up, sozusagen zeitlich von hinten her gesteuert).

    Man fragt sich, wieso die Autoren nicht den von C. S. Pittendrigh 1956 eingeführten Begriff ‘Teleonomie’ angemessen diskutieren. Schließlich wurde diese Bezeichnung gerade deshalb in die Biologie eingeführt, damit man wegkommt von alten teleologischen Vorstellungen in Bezug auf organismisches Leben, was insbesondere deren Entstehung*) und Entwicklungsvorgänge**) anbelangt.

    * ) Entstehung: Biogenese und Evolution
    **) Entwicklung: Ontogenese, Individualentwicklung

    —–
    PS: Stammt das » [Amen] « am Ende Ihres letzten Kommentars eigentlich von Ihnen oder von Stephan Schleim?

  317. @Balanus:

    stammt von mir, weil ich es schon so oft gepredigt habe.🤣

  318. @ Balanus:

    “Nebenbei: Was diese methodische Vorgehensweise verdeutlicht, ist, dass es einen Unterschied macht, ob man eine Sache vom Ende her denkt, also teleologisch wie in der Simulation—damit’s ‘ne schöne Kurve ergibt,—oder ob man die auf natürliche Weise ablaufenden Ereignisse beobachtet und aufzeichnet.”

    Ich weiß nicht ob man das in Bezug auf beide Methoden so vergleichen kann.

    Eine teleologische Vorstellung in der Biologie hatten beispielsweise die Vitalisten wie Uexküll, also die Vorstellung dass es eine quasi rätselhafte Quelle im Leben oder der Zelle gibt die auf einen vorgegebenen Idealzustand hinstrebt bzw. sich auf diesen hin entwickelt.

    Bei der Teleonomie gibt es diesen Idealzustand der von einer mysteriösen Quelle oder Natur in der Zelle vorgegeben wird nicht mehr. Es gibt hier keinen inneren Sinn sondern einen äußeren Sinn. Und der äußere Sinn ist Anpassung an die Umwelt über die Selektion.

    Die Unterscheidung zwischen äußerer vs. innerer Sinn hat u.a. Norbert Bischof in seinen Werken häufig diskutiert, wobei ich nicht mehr weiß ob er das von einem anderen Wissenschaftler oder Philosoph hatte.

    Diese Unterscheidung hatte er auch im Bezug auf Physik vs. Biologie angewendet. Physik = innerer Sinn, “Naturgesetze”, “Harmonie”, “Symmetrien”, etc. Biologie = äußerer Sinn, “Anpassung an Umwelt”, “Selektion”, etc.

    Ich stimme dir also zu dass das nicht nur ein Sprachspiel ist sondern hinter beiden Begriffen ganz unterschiedliche Vorstellungen stehen.

  319. @Wolfgang Stegemann

    Dann bin ich ja beruhigt, das Sie das „[Amen]“ hinzugefügt hatten (wäre auch so gar nicht Stephans Art gewesen, seine Autorenschaft zu verschleiern)

    Dann könnte ich ja nun mein eigenes Glaubensbekenntnis anfügen.

    Doch zunächst zu:

    » Wenn Sie reduktionistisch argumentieren, …«

    Ich bewege mich argumentativ eben gerne auf den unteren Ebenen, wo die Musik spielt. Andere nehmen lieber in der Loge Platz, wo man das ganze Orchester im Blick hat und das Konzert in allen Facetten genießen kann (ich weiß, nicht alles was hinkt, ist ein Vergleich).

    Noch unter dem Eindruck des Teleologie-Papers von Mossio und Bich stehend fällt mir auf, dass die Autoren die Zelle als Grundeinheit allen Lebens mit keinem Wort gewürdigt haben. Wo bliebe die Musik, frage ich, wenn die Musiker nicht unten im Orchestergraben säßen und ihre Instrumente spielten?

    Philipp hat im Zusammenhang mit der Teleonomie dankenswerterweise auf Nobert Bischof hingewiesen. Bei ihm lese ich (nur so als Beispiel):

    Es gibt im wissenschaftlichen Vorgehen zulässige und unzulässige Formen von Reduktion; für die letztere reserviere ich nachfolgend den zumeist abwertend verstandenen Ausdruck »Reduktionismus«. Entgegen einer häufig — so etwa von LORENZ (1973a) und im Eröffnungsvortrag von Herrn MOHR – geäußerten Meinung bin ich mit HOYNINGEN-HUENE (1985, 1987) davon überzeugt, daß die Grenze für zulässige Reduktion keineswegs dort liegt, wo emergente Qualitäten auftreten. Auf »Emergenz« (oder, wie LORENZ sagt, »Fulguration«) beruft man sich dann, wenn beim Übergang von einem einfacheren zu einem komplexeren System »neue« Qualitäten in Erscheinung treten. Aber genau betrachtet sind »neue« Qualitäten solche, die unser Anschauungsapparat nicht durch graduelle Steigerung oder summative Überlagerung aus den vorgegebenen herzuleiten vermag. Diese Art von »Emergenz« ist wissenschaftstheoretisch völlig belanglos; sie sagt nur etwas über die Beschränktheit unseres Wahrnehmungsapparates aus.

    —-

    Mit meinem Glaubensbekenntnis schließe ich mich einfach mal Rahel Varnhagen von Ense (1771-1833) an, die wie Carl Vogt (1817-1895), aber Jahre früher, den Durchblick hatte und sagte:

    „Frei sein kann nichts anderes heißen, als seiner innersten Natur sklavisch folgen zu dürfen.“

  320. „Frei sein kann nichts anderes heißen, als seiner innersten Natur sklavisch folgen zu dürfen.“

    Amen.

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