Was sind psychische Störungen?

Mein neues eBook beleuchtet eines der wichtigsten gesellschaftlichen Themen unserer Zeit. Viele Millionen Menschen erhalten inzwischen jährlich die Diagnose einer psychischen Störung. Doch kennt kaum jemand die Hintergründe: Wie kommen die Störungsbilder zustande? Was macht es mit den Menschen? Welche Alternativen gibt es zur heute vorherrschenden biologischen Sichtweise?

Jetzt erhältlich als eBook auf Amazon, iTunes, Google Play Books und Beam.

Psychische Störungen werden immer häufiger diagnostiziert und sie können prinzipiell jeden treffen. Allein die Diagnose Depression erhalten inzwischen rund fünf Millionen Deutsche jährlich, doppelt so viele Frauen wie Männer. Trotz der großen persönlichen und gesellschaftlichen Bedeutung erfährt die Öffentlichkeit aber nur wenig über die Hintergründe. Und selbst Fachleute hinterfragen nur selten verbreitete Vorurteile. So lassen sich beispielsweise über 200 Formen von Depressionen begrifflich unterscheiden. Doch für alle soll dieselbe Therapie wirken?

Dieses Buch will Wissenslücken eines der wichtigsten Themen unserer Zeit schließen: Der Abschnitt über Grundlagen fasst den heutigen Kenntnisstand aus Wissenschaft und Philosophie zusammen. Was sind eigentlich psychische Störungen? Wer entscheidet darüber und welche Interessen spielen dabei eine Rolle? Was trägt die Hirnforschung zum Verständnis und zur Behandlung bei? Danach werden einzelne Störungsbilder detailliert diskutiert. Im Mittelpunkt stehen hier die Aufmerksamkeitsstörung ADHS und Depressionen. Im dritten und letzten Teil werden psychische Störungen im Kontext unserer kapitalistischen Leistungsgesellschaft behandelt. Inwiefern könnten zunehmender Stress, überzogene Leistungsanforderungen und Perfektionismus für die steigenden Diagnosen verantwortlich sein? Und was ist von den Berechnungen zu halten, die Menschen mit psychischen Störungen als Kostenfaktor darstellen?

Die Erkenntnis, dass psychische Störungen keine naturgegebenen Dinge sind wie Atome oder Pflanzen, sondern von Experten gemachte Definitionen, ist von großer Bedeutung. Deren Unterscheidung von “normal” und “gestört” beeinflusst unser aller Leben.

Hinweis: Das eBook enthält 19 Essays, von denen einige bereits hier bei Menschen-Bilder erschienen sind, jedoch auch eine bisher unveröffentlichte vierteilige Serie über die Grundlagen psychischer Störungen. Ich verdiene am Kauf nichts, Sie unterstützen damit aber die kleine Telepolis-Redaktion, die seit über zehn Jahren tagtäglich die deutschsprachige Online-Welt mit Nachrichten versorgt. Oft sind das wichtige Meldungen, die es nicht auf die Mainstream-Seiten schaffen.

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20 Kommentare

  1. Im dritten und letzten Teil werden psychische Störungen im Kontext unserer kapitalistischen Leistungsgesellschaft behandelt.

    Sie haben Glück, lieber Herr Dr. Schleim, dass der Schreiber dieser Zeilen diese spezielle und lieblose Sicht auf die Ideen und Werte der Aufklärung, die weitgehend freies unternehmerisches Handeln Einzelner einschließen, nicht ‘Kapitalismus’ nennt, im marxistischen Sinne, sondern (ggf. zu fordernde bis zu fördernde) Aufgabe der so weitgehend freigesetzten Einzelnen.
    Im Sinne der Kompetitivität der Einzelnen, die nur ein aufklärerisch-gesellschaftliches System freizusetzen vermag, durchaus auch gelegentlich anfallende individuelle Unbekömmlichkeit meinend.
    Letztlich bleibt diese Kompetitivität der Einzelnen das Alleinstellungsmerkmal der o.g. Gesellschaftssysteme.
    Marx hat hier, mit sehr begrenztem Erfolg, auch für viele in der Folge ungünstig, gegenbauen wollen. Er hatte halt nur eine Idee (und war recht talentiert diese zu beschreiben, Chapeau!)

    MFG + schöne Woche noch,
    Dr. Webbaer

  2. Fast die Hälfte der US-Präsidenten der Zeit zwischen 1776 und 1974 litt an einer ernsthaften psychischen Störung gemäss DSM-IV stellt die Studie Mental illness in US Presidents between 1776 and 1974 a review of biographical sources fest. Das ist nur ein Hinweis von vielen, dass psychische Störungen auch in der Vergangenheit nicht allzu selten waren und ein Hinweis darauf, dass auch Personen in hohen Stellungen davon betroffen sein können und dass nicht in jedem Fall eine Karriere dadurch beendet wird.
    Nun zu den US-Präsidenten. In der Zusammenfassung liest man (übersetzt von DeepL):

    Achtzehn (49%) Präsidenten erfüllten Kriterien, die auf eine psychiatrische Störung hindeuten: Depressionen (24%), Angstzustände (8%), bipolare Störungen (8%) und Alkoholmissbrauch/Abhängigkeit (8%) waren die häufigsten. In 10 Fällen (27%) war während des Präsidentenamtes eine Störung zu beobachten, die in den meisten Fällen wahrscheinlich die Arbeitsleistung beeinträchtigte.

    Gemäss bipolar-Magazin Wurden folgende Diagnosen vergeben:
    John Adams (1797—1801): Bipolar II disorder
    James Madison (1809—1817): major depressive disorder
    John Quincy Adams (1825—1829): major depressive disorder
    Franklin Pierce (1853—1857): alcohol dependence and major depressive disorder (starb an Leberzirrhose)
    Abraham Lincoln (1861—1865): major depressive disorder, recurrent, with psychotic features
    Rutherford B. Hayes (1877—1881): major depressive disorder
    Theodore Roosevelt Jr. (1901—1909): bipolar I disorder
    Woodrow Wilson (1913—1921): anxiety disorder and major depressive disorder.
    Calvin Coolidge (1923—1929): major depressive disorder
    Herbert Hoover (1929—1933): major depressive disorder
    Dwight D. Eisenhower (1953—1961): major depressive disorder
    Lyndon B. Johnson (1963—1969): bipolar disorder

    In der Antike hiess die Depression noch „Melancholie“ und diese Melancholie war gemäss Theophrast nicht allzu selten:

    Für den griechischen Philosophen und Naturforscher Theophrast (um 371 v. Chr.–287 v. Chr.), einem Schüler und Nachfolger des Aristoteles, war die Melancholie sogar eng mit der Genialität verknüpft. Er fragte sich seinerzeit schon, warum sich alle außergewöhnlichen Männer in Philosophie, Politik, Dichtung oder in den Künsten oft auch als Melancholiker erwiesen.

  3. Ergänzung: US-Präsidenten litten wesentlich häufiger unter major depressive disorder als die US-Amerikaner heute im Durchschnitt, liest man doch in der Wikipedia (übersetzt von DeepL):Im Jahr 2015 waren rund 216 Millionen Menschen (3% der Weltbevölkerung) von schweren depressiven Störungen betroffen.[5] Der Prozentsatz der Menschen, die an einem bestimmten Punkt ihres Lebens betroffen sind, variiert zwischen 7% in Japan und 21% in Frankreich.[4] Die Lebenserwartung ist in den Industrieländern höher (15%) als in den Entwicklungsländern (11%).4] Es verursacht die zweithäufigsten Jahre mit Behinderung nach Rückenschmerzen.
    Doch mehr als 1/3 der US-Präsidenten zwischen 1776 und 1974 litten an major depressive disorder. Das könnte natürlich auch daran liegen, dass früher Depressionen häufiger waren (die Diagnose wurde früher nur weniger häufig gestellt) als heute. Dann entsprächen die US-Präsidenten also dem US-Durchschnitt über die Jahrhunderte. Es kann durchaus sein, dass früher Depressionen wesentlich häufiger waren als heute, denn als Auslöser für die Erkrankung wird heute häufig das diathesis–stress model herangezogen, welches den Auslöser in Stress bei bestehender Vorbelastung sieht. DIe Vorbelastung kann früher grösser gewesen sein, weil mehr Kinder der vergangenen Jahrhunderte eine schwere Kindheit durchmachten als heute und auch der Stress war früher grösser, weil man in früheren Jahrhunderten viel schneller in einen (Lebens-)Abgrund stürzen konnte, gab es doch früher kaum soziale Auffangnetze.

  4. Zitat: Inwiefern könnten zunehmender Stress, überzogene Leistungsanforderungen und Perfektionismus für die steigenden Diagnosen verantwortlich sein?
    Vieles spricht dafür, dass das stimmt. Nur schon, weil jemand, der den erwarteten Leistungen nicht entspricht, schneller eine Diagnose erhält, denn er ist irgendwie defizient (?).
    Heute entsteht der Leistungsdruck schon im Elternhaus. Noch viel mehr als früher sind heute Kinder für Eltern eigentliche Projekte. Die Eltern denken schon an die spätere Karriere ihrer Kinder. Juli Zeh hat das in «Kinder spüren, dass sie Erfolg haben sollen» gut aufgezeigt.

  5. “Die Erkenntnis, dass psychische Störungen keine naturgegebenen Dinge sind wie Atome oder Pflanzen, sondern von Experten gemachte Definitionen, ist von großer Bedeutung. Deren Unterscheidung von “normal” und “gestört” beeinflusst unser aller Leben.”

    Die unwissenschaftliche Art und Weise wie Definitionen von psychischen Krankheiten festgelegt werden vermittelt nicht wirklich Vertrauen in diese Form der Medizin.
    Bestes Beispiel ist die Definition von sexuellen Deviationen wie z.B. Homosexualität oder Pädophilie entweder als Krankheiten oder Teil des natürlichen Spektrums der menschlichen Sexualität. Je nach politischer Stimmung wird mal in die eine oder andere Ecke eingeordnet.
    Und das plötzlich hunderttausende (meist Jungen) unter ADHS leiden sollen ist dermaßen offensichtlicher Humbug, dass sich die Psychologie jeglicher Seriosität und Wissenschaftlichkeit entledigt zu haben scheint.

    Sollte ich jemals an einer dieser sogenannten psychischen Erkrankungen leiden, werde ich mich an diese Zunft ganz gewiss nicht wenden.

  6. “Wie kommen die Störungsbilder zustande?”

    Das ist ganz einfach zu beantworten: Durch das imperialistisch-faschistisch / systemrational-gebildete Fachidiotentum dieser Welt- und “Werteordnung” im nun “freiheitlichen” Wettbewerb um hauptsächlich Kommunikationsmüll – Surfen auf dem kreislaufenden Zeitgeist des geistigen Stillstandes!!!

  7. “Aufgabe / individuelle Unbekömmlichkeit”

    – das nenne ich MENSCHENFEINDLICHKEIT!!!

  8. @WolfgangL: Wissenschaftlichkeit

    Ich muss Sie in einem Punkt korrigieren: Das Vorgehen bei der Klassifikation der psychischen Störungen ist zwar institutionell bedingt, wobei viele Interessen eine Rolle spielen, letztlich aber auch wissenschaftlich unterbaut.

    Wie eine ideale Klassifikation psychischer Störungen aussehen würde, ist gerade Gegenstand der Diskussion. Peter de Jonge, den ich hier vor einer Weile interviewte, behauptete beispielsweise, dass drei Störungen mehr oder weniger reichen würden – und er stützt das auf einen großen Datenschatz.

  9. @Holzherr: Geschichte

    Danke für den Hinweis auf den Artikel Zehs, den ich lesen werde, sobald ich mit meiner letzten Vorlesung in diesem Semester fertig bin…

    …doch ansonsten sind Ihre Kommentare ein ziemlicher Holzherr. Die Diagnose aus der Ferne (gerne auch in vergangene Jahrhunderte) ist wissenschaftlich nicht valide, eher Pseudowissenschaft. Das fängt schon bei der unsauberen Quellenanalyse an, die keinem wissenschaftlichen Standard gerecht wird. Bei den namhaften Hirnforschern Antonio Damasio und Gerhard Roth, um nur zwei Beispiele zu nennen, wurde passend gemacht, was nicht in ihre Theorie passt (man denke an den Fall des Phineas Gage). Das ging sogar so weit, dass die historischen Evidenzen ins Gegenteil verdreht wurden. Das ist alles publiziert, u.a. von mir, für wen es interessiert…

    Healy, der ansonsten das Konstrukt der Depression gut analysiert hat, machte etwa so einen Patzer, wo er nachweisen will, schon in der Antike habe es Fälle bipolarer Störungen gegeben. Schaut man die echte Quelle nach, dann stellt man fest, dass es vielmehr um Fieberkrämpfe ging, zu denen ein paar psychologische Symptome kamen.

    Das von Ihnen angeführte Vorgehen ist aber nicht nur unwissenschaftlich, sondern auch unprofessionell und unethisch, wie es in der Goldwater-Regel von 1973 festgelegt ist. Die so “liberalen” Psychologen und Psychiater, die sich bei Präsident Trump nicht mehr daran halten, schneiden sich letztlich ins eigene Fleisch.

  10. Nein, Diagnosen abgeleitet aus historischen Akten und Selbstaussagen der Betroffenen (beispielsweise von Abraham Lincoln) sind durchaus möglich und werden regelmässig gemacht. Ich las mal ein ausführliches Interview mit einem führenden Psychiater der US-Fachorganisation zur Goldwater-Regel. Daraus entnahm ich, dass diese Regel vor allem aus ethischen und gesellschaftlichen Gründen aufgestellt wurde und weniger aus wissenschaftlichen Gründen. Der Betreffende sagte sogar, jeder interessierte, kritische Laie könne ein adäquates Urteil über den mentalen Zustand von Donald Trump abgeben und auch er mache dies, aber es gehe nicht an, dass Fachpsychiater sich in den Wahlkampf einschalteten. Das würde der Psychiatrie als Fach schaden. Damit hat er zweifellos recht. Zudem gilt eben: sogar recht ausgeprägte psychische Störungen sind durchaus mit dem Präsidentenamt vereinbar, zumal auch nicht wenige erfolgreiche Wirtschaftsführer (CEOs) solche Störungen zeigen.

  11. Ergänzung zur Goldwater Rule (Zitat aus der Wikipedia):

    The Goldwater rule is the informal name given to Section 7 in the American Psychiatric Association’s (APA) Principles of Medical Ethics[1] that states it is unethical for psychiatrists to five a professional opinion about public figures they have not examined[further explanation needed] in person, and from whom they have not obtained consent to discuss their mental health in public statements.

    Das macht absolut klar, dass es hier um Ethik und Persönlichkeits/Patientenschutz geht und nicht um Wissenschaft.

  12. @Holzherr: Der geneigte Leser…

    …kann in meinen Kommentaren nachlesen, dass ich die Goldwater-Regel in dem Absatz anführe, in dem es Ausdrücklich nur um die Ethik und Professionalität geht, nicht um die Wissenschaftlichkeit. Insofern reden Sie erfolgreich an mir vorbei. Derjenige, der aus der Ferne eine Diagnose stellt, hat das wasserdicht zu begründen, ansonsten ist er ein Quacksalber.

    Und zu Ihrem “Experten”:

    …jeder interessierte, kritische Laie könne ein adäquates Urteil über den mentalen Zustand von Donald Trump abgeben und auch er mache dies…

    Tja, und damit verletzt Ihr “Experte” eben den Ethik-Code seiner Zunft und verhält sich obendrein unprofessionell, ohne adäquate Untersuchung eine psychiatrische Diagnose zu stellen.

  13. Sagen wir mal, sehr viele Psychiater stellen Arbeitshypothesen über Personen auf, die in den Medien erscheinen. Bei Trump sind es sogar sehr viele Psychiater und sehr viele Arbeitshypothesen und einige dieser Psychiater bleiben nicht mehr unter sich, sondern gehen mit ihren Arbeitshypothesen an die Öffentlichkeit. Letztes Wochenende etwa las ich diverse Interviews des Psychiaters Robert Jay Lifton, der über Trump sagt, «Er hat Störungen der gefährlichsten Art», denn er hat die Diagnose solipsistische Realitätsauffassung bei Trump gestellt. Er meint damit, dass Trump die Realität nur aus seiner eigenen Sicht und seinen eigenen Bedürfnissen sehen könne und ihm jeder Blick für ein grösseres Ganzes fehle (was ihn gefährlich macht, weil er sich der Konsequenzen des eigenen Handelns nicht bewusst ist). Zudem sei Trump als Solipsist empathielos.
    Robert Jay Lifton ist aber beileibe nicht der einzige Psychiater, der sich in letzter Zeit zu Trump geäussert hat. Hier noch ein englischsprachiges Interview mit Robert Jay Lifton.

  14. @Holzherr: Ferndiagnose

    Und wenn es hundert oder tausend Psychiater sind, dann macht es das nicht weniger unprofessionell und weniger unethisch. Bei Goldwater waren es übrigens auch rund 1.200 Psychiater.

    Wie ich schon sagte, schneiden sich die “Liberalen” damit vor allem ins eigene Fleisch, wenn sie sich nicht mehr an die Regeln halten; das hat man bei Hillary Clinton auch gesehen. Und vergessen Sie nicht, dass manche Leute so gut wie alles behaupten, nur um in die Medien zu kommen.

    Es wäre schön, hier einmal wieder über etwas zu diskutieren, das zum Thema passt.

  15. @Stephan Schleim: Interessant, aber…

    Der Artikel auf den Sie verlinkt haben war interessant und die Aussagen von Herrn de Jonge klingen plausibel. Auch wenn er natürlich nur am Rande auf die von mir genannten Kritikpunkte eingeht.

    Trotzdem danke für den interessanten Artikel.

  16. Frage: Gibt es heute mehr psychische Störungen als früher?
    Antwort: Es werden mehr diagnostiziert und es fällt heute mehr auf, wenn jemand nicht mehr richtig funktioniert.
    Die Interpretation von Verhaltens-/Persönlichkeitsveränderungen waren früher andere als heute. Ich empfehle einmal die eigene Familien-/und Ahnengeschichte (soweit bekannt) auf mentale “Auffälligkeiten” bei Mitgliedern abzuklopfen. Und ich bin überzeugt, viele werden einiges finden, dem man heute eine Diagnose anheften würde.

  17. Zitat:

    Im dritten und letzten Teil werden psychische Störungen im Kontext unserer kapitalistischen Leistungsgesellschaft behandelt. Inwiefern könnten zunehmender Stress, überzogene Leistungsanforderungen und Perfektionismus für die steigenden Diagnosen verantwortlich sein?

    Kann man den Fitnesswahn bereits von Grundschülern (siehe: Immer mehr Mädchen und junge Frauen erkranken an Fitnesssucht (Untertitel: Das Ideal des perfekten Frauenkörpers hat sich gewandelt. Selbst Mädchen im Primarschulalter zählen bereits Kalorien.) oder die Erfolgserwartung von Eltern (Tiger Moms) an ihre Kinder, wie er auch von Juli Zeh in «Kinder spüren, dass sie Erfolg haben sollen» konstatiert wird, unter Auswirkungen der (Zitat) “kapitalistischen Leistungsgesellschaft” subsumieren? Vielleicht, allerdings nur wenn man mit kapitalistischer Leistungsgesellschaft etwas anderes mein, als zur Zeit, in der es noch eine Klassengesellschaft mit einer Arbeiterschicht (die früher links, z.B. SPD wählten, heute aber mehrheitlich rechts wählen) und einer Kapitalistenschicht gab.
    Die stärksten Einflüsse auf das Verhalten, die Ambitionen und Lebensziele von Menschen werden heute medial vermittelt. Viele Menschen wollen ein Leben wie von ihrem Held/ihrer Heldin im Film/YouTube-Video oder von der Influencerin, der man folgt, vorgelebt.
    Selbst heute sind sich nur wenige bewusst, dass Ideen und Ideale sich ähnlich wie hochinfektiöse Krankheiten verbreiten können. Schon früher stellten einige Menschen ihr Leben in den Dienst einer Idee, beispielsweise der Idee des Kommunismus/Sozialismus oder der Idee des Lebens als Missionar/Diener Gottes. Aber auch heute passiert das, wobei die Ideen heute für junge Leute viel häufiger Körper-, Rollen- und Lebensideale sind – aber für diese aus Idealistensicht profaneren Ideale wird genau so gekämpft und gestorben wie früher für das Ziel einer besseren Gesellschaft.

  18. Als langjähriger Praktiker (Psychotherapeut) habe ich 2014 mal ein Gegenmodell entworfen: http://www.psychotherapie-kugler.de/material/Psychopath_Diagn_SBLC.pdf

    In meiner Einleitung schreibe ich: “Psychopathologische Diagnostik findet traditionell vor dem Hintergrund einer Erkenntnistheorie des naiven Realismus statt. Im Kontrast dazu wird ein Modell vorgeschlagen, das den Eingriff des Diagnostizierenden berücksichtigt. Unabhängig von der Form der Auffälligkeit wird der gestaltende Mensch bzw. seine diesbezügliche Beeinträchtigung ins Blickfeld genommen, dazu sein Lebensfeld, die Möglichkeiten der Kooperation und das vermutlich nötige Setting einer Hilfe/Intervention. …”

    Mein Ansatz wurde nicht veröffentlicht. Stattdessen machte man ein respektvolles Interview mit mir altem Herrn. Ich vermute, dass Alternativen zum herrschenden Diagnose-System nicht gewollt werden, weil sich Psychotherapie so am besten in der Nische eines somatisch-medizinischen Ansatzes tummeln kann.

    G.K.

  19. @Kugler: Alternativen

    Bestehende Strukturen verändern sich nur langsam; den Diagnostizierenden in das Krankheitsmodell einzubeziehen, halte ich für einen sehr interessanten Gedanken.

  20. LOL. Hier lässt sich in den Kommentaren der dümmste Psychoopfertrash aus. Das sagt alles über die Qualität dieses wissenschaftfremden Machwerks.

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