Was kann die phänomenologische Psychologie zum Bewusstseinsproblem beitragen?

Die Phänomenologie war im deutschsprachigen Bereich einst von großer Bedeutung. Welche Rolle kann sie für die heutige Psychologie und Hirnforschung spielen? Und wie verhält sie sich zur Naturwissenschaft? Drei aufstrebende akademische Talente formulieren Antworten.

Kürzlich hat sich Stephan Schleim der Frage gewidmet, warum die Hirnforschung die Psychologie braucht. Dabei ist er auf die Phänomenologie zu sprechen gekommen, in der “das, was uns erscheint, für grundlegend” gehalten wird. Mithilfe der Phänomenologie sei es der Psychologie möglich, sich auf die ursprüngliche Erfahrung zu besinnen und ‘Seelenlehre’ statt ‘Seelenleere’ zu betreiben.

In weiterer Folge ergab sich ein lebhafter Austausch. Ein aufmerksamen Leser stellte hierbei zwei ausschlaggebende Rückfragen an die ‘phänomenologische Herangehensweise’, insbesondere bezüglich ihres Stellenwertes für das sogenannte Bewusstseinsproblem.

Das ist eine erfreuliche Gelegenheit für einen Dialog zwischen Phänomenologie und Psychologie, der wir uns in unserem Gastbeitrag annehmen möchten. Bevor wir uns den beiden Schlüsselfragen widmen, jedoch zunächst ein kleiner Überblick, was es mit der Phänomenologie in der Psychologie auf sich hat.

Was ist phänomenologische Psychologie?

Der Begriff der ‘Phänomenologie’ bezeichnet mehrere Aspekte der Geistesgeschichte. Er findet sich vor und bei Kant, dann in Hegels berühmter ‘Phänomenologie des Geistes’. Wer heutzutage von ‘Phänomenologie’ spricht, meint allerdings in der Regel die ‘phänomenologische Bewegung’, die ihren Ursprung im späten 19. Jahrhundert hat.

Allerdings ist auch die phänomenologische Bewegung ein weites Feld. Zu ihr gehören vielfältige und teilweise entgegengesetzte Beiträge. Man denke nur an Jean-Paul Sartres Existenzialismus im Kontrast zur Transzendentalphilosophie Edmund Husserls und der deskriptiven Psychologie Alexander Pfänders. Die Phänomenologie ist ein eigener Diskurs.

Nun ist es streitbar, was die verschiedenen Beiträge zur phänomenologischen Bewegung miteinander verbindet. Jedoch lässt sich in mindestens drei zentralen Aspekten weitestgehende Übereinstimmung finden:

  1. Im Mittelpunkt der phänomenologischen Arbeit steht die Erfahrung. Gemeint ist allerdings nicht die Erfahrung, die wir einem Lebewesen ‘von außen’ aufgrund seines organischen Aufbaus zuschreiben, bspw. der Funktion der Sinnesorgane (das Auge mit Retina, Sehnerv etc.). Stattdessen untersucht die Phänomenologie den inneren Zusammenhang der Erfahrung. Der Anspruch ist dabei, ihre ursprüngliche Gegebenheit zu verstehen: Es geht darum, den logischen und existenziellen Wurzeln unseres Bewusstseins nachzuforschen.
  2. Die Phänomenologie versucht hinter die Metaphysik und Epistemologie des 19. Jahrhunderts zu gelangen. Symbolisch dafür steht Edmund Husserls Behauptung, dass sich in der Phänomenologie “schon ein erster Durchbruch einer wahren und echten Ersten Philosophie vollzogen hat” (Husserl, 1956, 6). Das bedeutet, dass die Phänomenologie auf einzigartige Weise auf die Bestimmung des Aufbaus der Erfahrung abzielt.
  3. Wenn wir heute von ‘Tatsachen’ und ‘Fakten’ sprechen, können flüchtige Beobachtungen gemeint sein, die zu unserer eigenen Perspektive relativ sind. Im Gegensatz dazu stößt die Phänomenologie auf Strukturen, die alle Erfahrung überhaupt und schlechthin ordnen. Das ist gemeint, wenn in der phänomenologischen Bewegung von ‘Invarianten’ oder ‘Wesenheiten’ die Rede ist.

Die Phänomenologie ist in einer Zeit entstanden, als Experimentalpsychologie und Philosophie noch nicht endgültig voneinander getrennt waren, am Ende des 19. Jahrhunderts. So war es, um ein Beispiel zu nennen, Carl Stumpf, der einerseits als Wegbereiter der phänomenologischen Psychologie gehandelt wird und gleichzeitig als Experimentalpsychologie das Psychologische Institut Berlin gründete (Kaiser-El-Safti, 2001).

Es ist nicht einfach so, dass die Phänomenologie zur Philosophie gehört und sich von der Psychologie abgrenzt. Bestimmte Formen der psychologischen Forschung passen allerdings mehr oder weniger gut zur Phänomenologie. Im Allgemeinen lässt sich sagen, dass phänomenologische Psychologie die Erste-Person-Perspektive untersucht. Sie steht deswegen im klaren Widerspruch zu Formen der Psychologie, die diese Perspektive für unerheblich halten. Mehr zur Geschichte und Systematik der phänomenologischen Psychologie findet sich in Herzog (1992) und Wendt (im Druck).

Die Phänomenologie und das Bewusstseinsproblem

Aus dem bisher Gesagten wird deutlich, dass die Phänomenologie unmittelbar mit der Frage nach dem Bewusstsein beschäftigt ist. Das steckt schon im Begriff ‘Phänomenologie’, der wörtlich mit ‘Lehre von den Erscheinungen’ und sinngemäß als ‘Bewusstseinslehre’ wiedergegeben werden kann. Dementsprechend betrifft sie auch das Bewusstseins-Problem in seinen beiden Varianten als metaphysisches Leib-Seele-Problem und als erkenntnistheoretische Erklärungslücke (‘hard problem of consciousness’ bzw. Qualia-Problem).

Weil die Phänomenologie kein Dogma, sondern ein eigener Diskurs ist, gibt es allerdings verschiedene phänomenologische Behandlungsmöglichkeiten für das Bewusstseins-Problem. Um einen allgemeinen Eindruck zu geben, dürfte es hier allerdings ausreichen, eine beispielhafte Antwort zu finden. Dafür wählen wir eine Argumentation, die sich bei dem namhaften dänischen Phänomenologen Dan Zahavi (2003) findet.

Wie der englische Ausdruck schon zu erkennen gibt, wird das ‘hard problem’ heutzutage zumeist aus der Perspektive der analytischen Philosophie betrachtet. In dieser Perspektive steht auf der einen Seite ein Naturvorgang in der stofflichen Wirklichkeit, auf der anderen Seite ein Subjekt, das diesen Vorgang abbildet (repräsentiert). Das Problem ist dann, zu erklären, wie es zu ‘sekundären Qualitäten’ wie Geschmack und Geruch kommt, deren Erlebnisweise sich nicht notwendig aus den physikalischen Eigenschaften des Vorgangs ergeben.

Die phänomenologische Antwort beginnt damit, die am Bewusstseinsproblem beteiligten Begriffe infrage zu stellen. Dadurch entfernt sie sich von der üblichen Formulierung des Ausgangsproblems. Anders betrachtet werden insbesondere 1. ‘Subjektivität’ und 2. ‘Erkenntnisobjekt’:

  1. Frei nach Zahavi: Für die Phänomenologie ist Subjektivität kein abgeschlossener geistiger Bereich, sondern von Anfang an in der Welt: Subjektivität und Welt sind voneinander abhängig und untrennbar verbunden. Die Subjektivität ist wesentlich demjenigen gegenüber offen, was sie selbst nicht ist (Transzendenz des Bewusstseins). Diesen Zusammenhang bezeichnet die Phänomenologie durch den Begriff der Intentionalität, welcher programmatisch ausdrückt, dass jede (subjektive) Erfahrung eine Erfahrung von etwas (Welt) ist. Für die Phänomenologie ist das Bewusstsein also kein Kasten, in dem die Erfahrungen eines Subjekts stattfinden. Stattdessen ist es das Feld, in dem das Subjekt die Welt erfährt. Erst indem die Subjektivität diese Offenheit vollzieht und sich selbst in der Welt vorfindet, wird sich die Subjektivität ihrer selbst bewusst (Selbstbewusstsein).
  2. Was uns in der Erfahrung gegeben ist (ein roter Apfel, dessen Röte eine vermeintliche sekundäre Qualität ist), ist nicht einfach ein Abbild eines wirklichen ‘Objektes’. ‘Objekte’ gibt es immer nur für ein erfahrendes Subjekt – das ist eine alte Einsicht Immanuel Kants. Von ‘Abbildung’ oder ‘Repräsentation’ zu reden, ist also ein Vorurteil, das vernachlässigt, dass der Vollzug der menschlichen Erfahrung ein ‘In-der-Welt-Sein’ ist. An die Stelle der Repräsentation tritt für die Phänomenologie die sogenannte intentionale Korrelation. Für Zahavi ist damit gemeint, dass sich in der bewussten Erfahrung zugleich das Objekt als Objekt und das Subjekt als Subjekt aufbauen.

Aus diesen Erläuterungen wird klar: Die Phänomenologie beantwortet das ‘hard problem’ nicht einfach, sie reformuliert es. Es geht nicht mehr darum, das Subjekt hier und das Objekt dort in Übereinkunft zu bringen. Stattdessen untersucht sie eine Tiefenschicht, in der Subjekt und Objekt als Subjekt und Objekt erst möglich werden.

Deshalb ist zu einem Teil wahr, dass die Phänomenologie eine Betrachtungsebene betrifft, die dem Bewusstseinsproblem vorgeordnet ist. Das bedeutet aber nicht, dass das ‘hard problem’ dadurch endgültig beantwortet oder sogar aufgelöst wäre.

Stattdessen ist es nach unserem Dafürhalten wichtig, das Problematische am Bewusstseinsproblem in seiner Tiefe wertzuschätzen. Das Problem verpufft angesichts der intentionalen Korrelation nicht einfach, sondern fügt sich in die Systemstelle eines weiter gefassten, systematischen Diskurses über das Bewusstsein im Allgemeinen.

Das Bewusstseinsproblem bildet das Medium für die Lösung weiterer Probleme und die Phänomenologie versucht, diese Beziehung zu erläutern. Zugleich bietet sie auch für andere Disziplinen die Möglichkeit, die eigenen Voraussetzungen zu verhandeln und das Bewusstseinsproblem als in tieferliegenden Zusammenhängen verwurzeltes Problem zu betrachten.

Sind Phänomenologie und Naturwissenschaft vereinbar?

Der Unterschied zwischen Natur- und Geisteswissenschaften hat eine lange Tradition, die sich auf John Stuart Mills Unterscheidung zwischen ‘natural sciences’ und ‘moral sciences’ zurückführen lässt. Ende des 19. Jahrhunderts nutzte Wilhelm Dilthey die Begriffe ‘Natur-‘ und ‘Geisteswissenschaft’ zur Bestimmung der Psychologie – die er allerdings als Geisteswissenschaft klassifizierte.

Was den Unterschied ausmacht, ist keine triviale Frage. Handelt es sich um einen Unterschied des Gegenstandes? Dann widmen sich Naturwissenschaften den physischen, Geisteswissenschaften den psychischen Phänomenen. Oder ist es ein methodologischer Unterschied? Dann arbeiten Geisteswissenschaften beschreibend und Naturwissenschaften erklärend. In der Psychologie spiegeln sich diese Alternativen in der Bezeichnung ‘Erlebnis- und Verhaltenswissenschaften’ wider.

Aus phänomenologischer Perspektive ist diese Kategorisierung fragwürdig. Schon früh hat Husserl argumentiert, dass sich psychische und physische Phänomene nicht ohne Weiteres sauber voneinander unterscheiden lassen. Und der Psychologe Carl Friedrich Graumann, der sich als Phänomenologe verstanden hat, überwindet die Unterscheidung zwischen vermeintlich ‘exakten’ Naturwissenschaften und Geisteswissenschaften, indem er die Psychologie eine “Erfahrungswissenschaft” (Graumann, 1960, 6) nennt.

So ergibt sich die grundsätzliche Antwort auf die Frage, ob die Phänomenologie mit Naturwissenschaft vereinbar ist: Der Begriff der Naturwissenschaft ist selbst voraussetzungsreich und die Phänomenologie hinterfragt diese Voraussetzungen.

Die Begründung von Naturwissenschaftlichkeit ist eine wissenschaftstheoretische Aufgabe, die ein hohes Maß an logischer Präzision erfordert. Man könnte fast von Ironie sprechen, denn Edmund Husserl hat den Anspruch erhoben, Phänomenologie als ‘strenge Wissenschaft’ zu betreiben und so die Naturwissenschaften auf ein echtes Fundament zu stellen.

Die selbstbewusste Gegenfrage muss also sein: Ist Naturwissenschaft ‘exakt’ genug, um dem phänomenologischen Maßstab zu genügen? Und selbst für diejenigen, die das bejahen, ist es erforderlich, die Exaktheit und die Strenge einer Wissenschaft von der Bedeutsamkeit ihrer Erkenntnisse zu trennen. Denn wer für die Vereinbarkeit von Phänomenologie und Naturwissenschaft argumentiert, steht erst am Anfang. Denkt man hier weiter, stellt sich nämlich die Frage nach dem “Wie?” der Vereinigung; – und spätestens hier wird es kompliziert.

So untersucht die Phänomenologie, wie sich die Operationen der Wissenschaft aufbauen. Wenn eine Wissenschaftlerin ein chemisches oder biologisches Phänomen misst, ist es in letzter Instanz immer noch sie selbst als Mensch, die dafür verantwortlich ist. Eine ‘naive’ Naturwissenschaft übersieht diesen Zusammenhang und vernachlässigt die Bedingungen von Messung und Beobachtung und ihre Verankerung in der ‘Lebenswelt’.

Phänomenologische Analysen können der Wissenschaft helfen, ihrem eigenen Anspruch der Exaktheit und Strenge gerecht zu werden. Darüber hinaus gibt sie das nötige theoretische Rüstzeug zur Hand, um nicht nur die Ergebnisse, sondern schon das Vorgehen und die ins Auge gefassten Problemstellungen der Wissenschaften hinsichtlich ihrer Bedeutsamkeit zu befragen – im Ganzen der Wissenschaft wie auch im persönlichen Leben.

Die Frage lässt sich allerdings auch noch anders verstehen, indem die wissenschaftstheoretische Schwierigkeit, Naturwissenschaften zu begründen, ausgeklammert wird: Gegeben, dass die Psychologie als eine Naturwissenschaft nach dem Vorbild der Physik natürliche Zusammenhänge erforscht: Kann die Phänomenologie einen Beitrag leisten? Hier müssen zwei Antworten gegeben werden: 1. Ja und 2. Vielleicht.

  1. Ja, denn einige Mitglieder der phänomenologischen Bewegung haben sich um einen Schulterschluss mit den Naturwissenschaften bemüht. Das bedeutet, dass sie bereitwillig die philosophischen Voraussetzungen der modernen Naturwissenschaften akzeptiert haben. Diese Voraussetzungen lassen sich in einem Wort zusammenfassen: Naturalismus. Für sie lautet das Projekt: ‘naturalizing phenomenology’ (siehe Gallagher, 2012).
    Man kann aber auch von einer weniger voraussetzungsreichen Richtung aus gedacht ein “Ja!” als Antwort geben: Es könnte argumentiert werden, dass eine naturwissenschaftlich ausgerichtete Psychologie letzten Endes auf Erfahrungen ihrer Versuchspersonen angewiesen ist. Diese Erfahrungen sind es, die die Unterschiede zwischen den Experimentalgruppen bedingen. Die Phänomenologie fragt nach der Struktur der Erfahrung und erleichtert die Kooperation mit der naturwissenschaftlichen Psychologie.
    Zur Veranschaulichung sei an ein fiktives emotionspsychologisches Experiment gedacht: Eine Gruppe sieht einen ‘ekligen Reiz’ mit der Aufgabe, die Emotion zu unterdrücken. Die andere Gruppe hat die Aufgabe eine Neubewertung des ‘Reizes’ vorzunehmen. Was bedingt hier mögliche Gruppenunterschiede: auch der erfahrene Ekel. Welche Strukturen hat dieses Erlebnis? Auch für die Experimentalpsychologin eine relevante Frage für das Verständnis ihrer eigenen Untersuchung.
  2. Die zweite Antwort ist ‘vielleicht’, denn andere Mitglieder der Bewegung sind nicht bereit, diesen Schritt zu gehen, weil es dem Anspruch der Phänomenologie nicht entspricht, Voraussetzungen einfach hinzunehmen, statt sie zu hinterfragen. Ohne Naturalismus fällt es allerdings etwas schwerer, mit den Wissenschaften in den Dialog zu treten. Es wird dann nämlich fragwürdig, ob die Wirklichkeit naturkausal geschlossen und homogen ist. Die Antwort ist allerdings auch nicht ‘nein’, denn, so wie es in der Phänomenologie unterschiedliche Denkrichtungen gibt, sind auch in den Wissenschaften echte Alternativen möglich.

Die Antwort auf die Frage nach der Vereinbarkeit von Phänomenologie und Naturwissenschaft erfordert also eine Fallunterscheidung. Dies veranschaulicht erneut, dass es nicht so etwas wie die eine phänomenologische Antwort auf diese Frage gibt. Vielmehr ist die Phänomenologie das diskursive Feld, in der verschiedene mögliche Antworten geordnet werden können.

Wir möchten die Frage deshalb offen und in ihrer Frag-Würdigkeit bestehen lassen. Nur wenn Phänomenologen und Naturwissenschaftlerinnen gesprächsbereit sind, können künftig bedeutsame Fortschritte in der Verhältnisbestimmung von Phänomenologie und Naturwissenschaft geleistet werden.

Weiterführende Auseinandersetzung zur Frage nach der Stellung der Phänomenologie in der Psychologie oder zu der Frage, ob die Psychologie Natur- oder Geisteswissenschaft ist, finden Sie bei ‘Fipsi: dem philosophisch-psychologischen Podcast‘. Wenn Sie Interesse an Austausch mit uns haben, kontaktieren Sie uns gerne.

Die Autoren

Literatur

  • Graumann, C. F. (1960). Grundlagen einer Phänomenologie und Psychologie der Perspektivität. Berlin: De Gruyter.
  • Gallagher, S. (2012). On the possibility of naturalizing phenomenology. In D. Zahavi (Hrsg.), Oxford Handbook of Contemporary Phenomenology. (S. 70-93). Oxford University Press.
  • Husserl, E. (1956). Gesammelte Werke. Band VII. Erste Philosophie (1923/1924). Den Haag: Martinus Nijhoff.
  • Husserl, E. (1987). Husserliana XXV. Aufs tze und Vortr ge (1911-1921). Dordrecht: Nijhoff.
  • Herzog, M. (1992). Phänomenologische Psychologie. Heidelberg: Asanger.
  • Kaiser-El-Safti, M. (2001). Die Idee der wissenschaftlichen Psychologie: Immanuel Kants kritische Einwände und ihre konstruktive Widerlegung. Würzburg: Königshausen & Neumann.
  • Wendt, A. N. (im Druck). Die Erneuerung der phänomenologischen Psychologie. Freiburg im Breisgau: Alber.
  • Zahavi, D. (2003). Intentionality and phenomenality. A phenomenological take on the hard problem. In E. Thompson (Hrsg.), The Problem of Consciousness: New Essays in Phenomenological Philosophy of Mind (S. 63-92). University of Calgary Press.

Titelgrafik: geralt auf Pixabay.

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93 Kommentare

  1. @Phänomenologie

    Die Phänomene der menschliche Psyche sind bei verschiedenen Menschen recht verschieden. Das erschwert natürlich das generelle Verständnis des Menschen an sich, eigentlich kann man ja nur einzelne Menschen auch nur halbwegs verstehen.

    Wenn man sich mit ausgeklügelten Fragebogen-Experimenten dem Menschen nähert, baut man das meistens so auf, dass sich Ausnahmen statistisch herauskürzen. Deshalb ist es modern, den Probanden einfach auch mal selber einfach erzählen zu lassen. In der Hoffnung, so auch individuelle Fakten zu finden, und diese nicht per Fragebogen-Experiment herauszukürzen.

    Die Unterschiede unter uns Menschen sind kulturell, teils auch genetisch aber eben vor allem persönlich begründet. Jeder ist ein eigener Mikrokosmos, mit Vergangenheit, Kenntnissen und mit seinen eigenen Zielen. Und jeder tickt auch entsprechend anders.

    Es scheint mir schwierig zu sein, hier überhaupt auf einen Nenner zu kommen.

    Wenn man dann von der Phänomenologie aus zu einer Vereinbarkeit mit der Naturwissenschaft guckt, hat man nicht nur eine Frage und eine Antwort. Der eine kennt in seinem eigenen Leben keinerlei Übernatur, und kommt recht eindeutig und problemlos auf einen Naturalismus. Wer aber religiöse Einstellungen oder spirituelle Erfahrungen hat, wird dazu neigen, den aktuellen Stand der Physik als unvollständig einzuschätzen.

    Ich habe mir aus meiner eigenen Sicht heraus auch Gedanken gemacht, wie Spiritualität und Naturwissenschaft vielleicht vereinbarer zu machen wäre:

    https://introspektiva.de/etitel/index.php#starti

    Dazu musste ich die Interpretation der Quantenphysik anpassen, aber auch Spiritualität weniger esoterisch zusammenkürzen. Und frei danach habe ich weitere Konsequenzen daraus skizziert.

    Vielleicht braucht man hier sowieso viel mehr ganz verschiedene Wege, wie wir uns untereinander und bezüglich des Kosmos positionieren wollen.

  2. Mir scheint in der Phänomenologie geht es um etwas wie die Erlebnisqualität, also etwa darum was „bitter“ für ein Erlebnis ist und wie es mit anderen Empfindungen zusammenhängt. Doch damit sind wir schon beim Hauptproblem dieser Fragestellung: Ist die Empfindung „bitter“ nicht äusserst subjektiv. Sprechen wir hier überhaupt über etwas reproduzierbares.

    Ganz anders ist die Fragestellung wie gut Versuchspersonen verschieden bittere Stoffe auseinanderhalten können. Denn diese Fragestellung ist sehr viel näher an der Sensorik und der unmittelbaren Verarbeitung. Das Erlebnis „bitter“ dagegen scheint mir dagegen bereits etwas komplexes und keinesfalls etwas primäres. Ein Naturwissenschaftler wird sich fragen welche Hirnzentren und Nervenzellen an diesem Erlebnis beteiligt sind. Er wird über das Erlebnis selbst aber wenig sagen können.
    Auch Phänomenologen werden hier im Dunkeln tappen, spekuliere ich einmal.

  3. Zitat Wikipedia zu Husserls Auffassung der Phänomenolgie:

    Sie [die Phänomenologie] soll sicherstellen, dass sich die Wissenschaften nur von Evidenzen leiten lassen, die dem unmittelbaren Bewusstseinserleben entstammen.

    Die heutige Naturwissenschaft braucht kein bewusstes Erleben um etwas messen zu können. Man kann Infrarot-Strahlung messen oder Röntgenstrahlung und das ohne dass wir diese Strahlung direkt empfinden oder erleben können.

    Es braucht keine Menschen um Experimente durchzuführen. Auch Roboter können dies. Und Roboter haben heute ja kein Bewusstsein.

  4. Was ich von Husserl mitnehme, ist seine phänomenologische Reduktion. Das mag für die Naturwissenschaft nicht so wichtig sein, für die Lebenswissenschaften ist es zentral. Denn dort lassen sich Phänomene nicht auf die Elemente reduzieren, wie etwa das Bewusstsein sich nicht auf Neuronen reduzieren lässt, sondern dort muss die Reduktion auf Prinzipen erfolgen, oder wie Husserl sagt, auf das Wesen.
    Und eins der wichtigsten Prinzipien ist das der Selbstorganisation, das sich ja grundlegend von demjenigen in der unbelebten Natur unterscheidet.
    Erst wenn dieses Prinzip in allen Erscheinungsformen, vom Einzeller bis zum Menschen operationalisiert ist, lassen sich sinnvolle Aussagen auch über das Bewusstsein machen.

  5. Dass es sich beim bewussten Erleben um etwas Kompexes und keinesfalls um etwas primäres, nicht weiter analysierbares, handelt, haben die Phänomenologen selbst sehr früh erkannt in dem sie mit bewusstem Erleben Intentionalität in Beziehung brachten. Das folgende Beispiel aus der Wikipedia zeigt, dass bewusstes Erleben immer von Annahmen ausgeht und dass es dem Erlebten Sinn geben will. Zitat Wikipedia:

    Schauen wir uns eine Schaufensterpuppe in einem Schaufenster an, vor dem wir stehen, so kann es geschehen, dass wir überrascht bemerken, dass es sich nicht um eine Puppe, sondern um einen Menschen gehandelt hat. In diesem Augenblick – und dies ist der Zeitpunkt, in dem die Täuschung umschlägt – verändert sich der Sinn dieser Figur. So verhalte ich mich z. B. nicht mehr so, als sei ich unbeobachtet.

    Dieses Beispiel soll verdeutlichen, was mit Intentionalität gemeint ist, nämlich dass Wahrnehmungen und Erlebnisse in einen Sinnzusammenhang gestellt werden. Bewusstes Erleben bedeutet immer einen Sinn erfahren. Das aber bedeutet in meinen Augen eben, dass es bewusstes Erleben nicht im gleichen Sinne gibt wie etwa ein Autorad oder eine Substanz. Vielmehr ist bewusstes Erleben ein komplizierter Prozess. Inzwischen zeigen sogar selbstfahrende Autos solche Verarbeitungsprobleme, solche Sinngebungsprobleme. So kann ein selbstfahrendes Auto das Bild einer Person auf der Rückseite eines vor ihm fahrenden Fahrzeugs für eine reale Person halten und dann eventuell abbremsen. Sogar Automaten müssen also heute dem, was sie wahrnehmen, einen Sinn geben.

  6. @Tobias: Vagheit & systematische Kontrolle

    Den Phänomenologen (und den Vertretern der introspektiven Methode) hat man vorgeworfen, dass ihre Verfahren “vage” sind, also nicht zu konsistenten Ergebnissen führen…

    …jetzt sehen wir immer deutlicher, was z.B. zwanzig Jahre fMRT-basierte Hirnforschung (teils in Kombination mit anderen Verfahren) gebracht haben – und das sind für so gut wie alle Arten von psychischen Prozessen Aktivierungen, die sich vage übers ganze Gehirn verteilen; und das bei “harter” Naturwissenschaft und millionenschwerer Technologie.

    Wie viele phänomenologische Psychologen könnte man für den Preis von nur einem Hirnscanner einstellen? Darüber sollte man ‘mal nachdenken.

    P.S. Leute “einfach mal so” erzählen zu lassen, halte ich allerdings für nicht so hilfreich. Den freien Assoziationen sind ja bereits die Psychodynamiker à la Freud nachgegangen. Und auch die Existenzialisten? Interviews sollte man schon strukturiert durchführen; und ein systematisches Vorgehen ist Grundlage wissenschaftlicher Forschung.

  7. @Holzherr: Forschung ohne Menschen

    Die heutige Naturwissenschaft braucht kein bewusstes Erleben um etwas messen zu können. […] Auch Roboter können dies.

    So so – wer liest dann bitteschön die Messergebnisse ab? Und wer baut und programmiert die Roboter?

    Sie kommen am Subjekt nicht vorbei.

  8. @Stephan Schleim (Zitat): “Sie kommen am Subjekt nicht vorbei“
    Ja, jemand oder etwas muss planen und messen. Aber dazu braucht es nicht unbedingt Menschen. Die Subjekte, die das tun, können über andere Sinnesorgane verfügen als wir. Irgendwann könnten Computer selbst Roboter erfinden, die als Forscher agieren.

    Kommen noch potenzielle extraterrestrische Wesen dazu, bei denen sehr vieles anders sein kann als bei uns. Diese könnten andere Sinne besitzen. Braucht es nun für all diese Wesen/Roboter eine andere Phänomenologie? Ist es nicht vielmehr so, dass es eine externe Realität gibt, die unabhängig von unserer Existenz ist und die von Wesen ganz verschiedener Bauart erlebt und untersucht werden kann. Und diese Wesen kommen in vielen Fällen zu den gleichen Ergebnissen.
    Denn die externe Realität ist unabhängig von den Subjekten, die sie erleben und untersuchen.

  9. @Hozherr:
    dieser Fehler wird immer wieder gemacht. Wir glauben, es gäbe eine objektive Realität, eine Realität quasi hinter den Kulissen. Es gibt aber keine Kulissen, sondern nur uns, und alles, was wir ‘erkennen’, sind Abstraktionen unserer sinnlichen Erfahrungen. Wenn wir messen, dann mit unseren Messwerkzeugen. Es isnd immer wir, um die es geht. Man kann von uns nicht abstrahieren. Das ist der Trugschluss der im Kantschen Ding an sich liegt. Es gibt kein Ding an sich. Das ‘an sich’ ist ein Abstraktum, das wir erschaffen haben, nicht der liebe Gott.
    Ohne uns geht es also nicht.

  10. @Holzherr
    Denn die externe Realität ist unabhängig von den Subjekten, die sie erleben und untersuchen.

    Das ist ein fundamentaler Irrtum. Alles was der Mensch, oder ein anderes Wesen des Universums, wahrnehmen kann, sind Phänomene. Die “reale Welt” ist keinem Subjekt zugänglich. Natürlich erscheint uns die “externe Realität” durch das Erleben als real, aber beschränkt auf unsere zeitliche, räumliche, soziale, körperliche Situation. Auch das macht die Bedeutung der Phänomenologie aus.

    Parallel zur Phänomenologie entstand Anfang des 20. Jhdts. die Gestaltpsychologie. Anführer waren Studenten des im Beitrag erwähnten Carl Stumpf: Max Wertheimer, Wolfgang Köhler, Kurt Koffka. Sie haben Gestaltgesetze entwickelt, die den Zusammenhang zwischen der wahrnehmbaren Welt und Eigenheiten der Wahrnehmung beschreiben.

    Diese Gestaltgesetze finden Anwendung z.B. im Design von Produkten, Bedienelementen, Webseiten. Anzumerken sind hier auch die Gestaltwechsel oder Kippfiguren, die deutlich machen, dass die Wahrnehmung nicht objektiv determiniert ist (Beispiel Rubins Vase nach Edgar Rubin) und damit eine Begründung liefern für die Phänomenologie.

  11. @ Stephan Schleim 14.02.2022, 19:00 Uhr

    Zitat: „Sie kommen am Subjekt nicht vorbei.“

    Folgendes Gedankenspiel: Jemand fährt mit seinem voll autonomen Auto zur Arbeit. Nach der Ankunft „verabschiedet“ sich das Auto mit der Frage „ist es ok. wenn ich dich um 17 Uhr wieder hier abhole und irgendwo auf einem Parkplatz warte und zwischendurch Strom tanke?“ Das einzige lebende „Subjekt“ sagt nichts und steigt einfach aus ….

    Das Auto handelt nur gemäß seiner Erfahrungen.

    Die Programmierer sind bereits gestorben, die erforderlichen Erfahrungen für die KI wurden von anderen Versuchsautos automatisch gemacht und die Daten übernommen.

    Das einzige lebende Subjekt, der Fahrer, handelt nicht, er verhält sich passiv. War derartiges jemals als Subjekt gedacht?

  12. Zitat 1: “ Alles was der Mensch, oder ein anderes Wesen des Universums, wahrnehmen kann, sind Phänomene.“
    Zitat 2 “ dass die Wahrnehmung nicht objektiv determiniert ist“

    Niemand bestreitet das. Doch jedes Tier und jeder Mensch interpretiert das Wahrgenommene als Signale aus der realen Welt, als Abbildungen von etwas, dass auch für andere Wesen eine Bedeutung hat, wenn auch vielleicht eine andere. Das heisst alle Wesen gehen davon aus, dass es ausserhalb von ihnen etwas gibt, auf das sie reagieren können und oft auch müssen, um zu überleben.

    Die Antilope und der Löwe, der sie angreift sind sich einig darin, dass gerade jetzt etwas passiert auf das sie in ihrem Sinn richtig reagieren müssen und dass das Wahrgenommene unabhängig davon wie es wahrgenommen wird, existiert.
    Genau das meine ich damit, dass eine externe Welt, eine externe Realität existiert.

  13. Letztlich ist meine Haltung zur Phänomenologie folgende: Phänomene, Wahrnehmungen und bewusste Erfahrungen passieren alle in einer Welt von Dingen, die auch ohne Wahrnehmungen und bewusste Erfahrungen existieren. Die Welt der Dinge ist realer als die Welt der Wahrnehmungen und Erfahrungen, weil die Welt der Dinge über das Subjektive hinausgeht. Jedes Subjekt (Tier, Mensch, Roboter) kann die Welt anders erleben. Aber es ist immer die gleiche Welt.

  14. @ Stephan Schleim 14.02.2022, 18:58 Uhr

    Die Millionen teuren MRT Geräte dienen hauptsächlich der sehr guten und zuverlässigen Diagnostik bei „Hirnerkrankungen“.

    Professoren und Studenten dürfen sie nur zu bestimmten („verkehrsschwachen Zeiten“) für die Forschung benutzen und müssen bei Notfällen die Geräte sofort freimachen. (So habe ich es zumindest gehört).

  15. Der “Aufmerksame Mitleser” bedankt sich sehr für diesen informativen Beitrag.

    Die zweite Frage wurde für mich beantwortet. Man kann heute und ganz grob zwischen einer “traditionellen” und einer “naturalisierten” Phänomenologie unterscheiden. Die “traditionellen” Phänomenologen und die (wohl überwiegend naturalistisch geprägten) Naturwissenschaftler kommen zumindest derzeit nicht überein, da sich Ihre wissenschaftstheoretischen Grundannahmen zu sehr unterscheiden.

    Die “naturalisierte” Phänomenologie kann u.a., so habe ich es verstanden, sozusagen die “Innensicht” exakter beschreiben und ggf. “objektivieren” und eine bessere Korrelation zwischen “Innensicht” und “Außensicht” ermöglichen. Das hört sich für mich plausibel an. Ob dieser Ansatz einen explanativen oder praktischen Nutzen hat kann ich als Laie nicht beurteilten.

    Die Antwort auf die erste Frage habe ich ehrlich gesagt nicht komplett verstanden. Ich muss aber auch zugeben, dass ich die “traditionelle” Phänomenologie überhaupt nicht wirklich verstehe. Für mich führt diese, zumindest konsequent weitergedacht, doch in einen Solipsismus oder eine fehlende Intersubjektivität. Ich bin aber auch nur ein “Hobbyphilosoph” und sehe mich nicht imstande diese Position ernsthaft zu kritisieren.

  16. @Elektroniker: fMRT-Infrastruktur

    Das war am Anfang mal so, dass Neurologen bzw. Radiologen die teuren Maschinen hatten, und man außerhalb der üblichen Patientenzeiten überhaupt nur für wissenschaftliche Zwecke daran forschen konnte; und dass man bei medizinischen Notfällen diese Versuche unterbrechen musste. Das gab den Neurologen/Radiologen übrigens auch macht und viele dürften schlicht nur als Mitautoren auf den Studien gestanden haben, weil sie “ja” gesagt haben.

    Schon in meiner Zeit (also ab 2005) gab es aber mehr und mehr dedizierte Forschungsscanner außerhalb der Kliniken. Irgendwann war es sogar eine Frage des Status/des Image, dass ein Institut, das etwas auf sich hielt, so einen Scanner brauchte.

  17. @Hirsch: Phänomenologie und Sprache

    Die P. hat auch hohe sprachliche Anforderungen, in die man sich erst einmal hineinarbeiten muss. Das dürfte einer der Gründe sein, warum manche sich damit nicht beschäftigen.

    Meine Lieblingsstelle ist übrigens, wo Husserls Gedanke formuliert wird, die Naturwissenschaften selbst auf ein phänomenologisches Fundament zu stellen. Das ist Selbstbewusstsein!

    Die Titelgrafik, die ich gewählt habe, soll eigentlich für die Zweite-Person-Perspektive stehen. Die ist den Phänomenologen oft auch wichtig. Insofern sehe ich die Gefahr des Solipsismus nicht so. Die drei Autoren (auch schon ein Indiz gegen den Solipsismus) konnten in der für einen Blog gebotenen Kürze aber auch nicht alle Aspekte in einem Artikel ansprechen.

  18. @Holzherr:

    Letztlich ist meine Haltung zur Phänomenologie folgende: Phänomene, Wahrnehmungen und bewusste Erfahrungen passieren alle in einer Welt von Dingen, die auch ohne Wahrnehmungen und bewusste Erfahrungen existieren.

    Das ist gar nicht das Thema. Nehmen Sie an, wir existieren nicht (mehr), was hat die Welt dann für einen Sinn (für uns)? Die Welt, wie wir sie wahrnehmen, existiert nur durch uns. Wir konstruieren im Kopf eine perfekte 1:1 Kopie der Welt, aber nur der Welt, die wir wahrnehmen bzw. wie wir sie wahrnehmen. Und wir sind es, die sie konstruieren. Man muss sich klarmachen, dass das Leben so betrachtet tautologisch ist, denn wir betrachten uns letztlich selbst.
    Wir müssen uns von der metaphysischen Objektivität verabschieden, sie existiert nicht. Auch die Plankschen Quanten sind unsere Abstrakta. Sie werden gerne genommen, um ein Schlupfloch ins Transzendente zu suchen. Da wir in der Lage sind, mit Begriffen nicht nur reale Dinge zu (re-) konstruieren, sondern auch Dinge, die es gar nicht gibt, ist es leicht, sich eine irreale Welt vorzustellen.

  19. @Stephan 14.02. 18:58

    „Leute “einfach mal so” erzählen zu lassen, halte ich allerdings für nicht so hilfreich. Den freien Assoziationen sind ja bereits die Psychodynamiker à la Freud nachgegangen.“

    Das meinte ich nicht. Ich meine schon Fragen zu stellen, aber so, dass man die mit eigenen Worten gemäß der eigenen Erfahrungen beantworten kann. Und nicht etwa auf eine Skala von 1 bis 10 ankreuzen muss.

    Diese Fragebögen zum Ankreuzen erscheinen ja gerade objektiver, als sie es wirklich sind. Das Subjekt des Probanden gerät zwar in den Hintergrund, wird dabei aber von der Subjektivität des Forschers und seinen Konzepten quasi überschrieben. Die Diagnosen, die sich daraus ergeben, lassen dann auch die Betroffenen lange rätseln, bis sie mal verstehen, was sie denn nun für eine Krankheit haben. Wenn es denn je überhaupt wirklich verstanden wird.

    Bei vernünftigen Interviews kommt natürlich auch Subjektives zum Vorschein, allerdings eben genau die Welt des jeweiligen Untersuchungsobjektes, für das man sich ja eigentlich interessiert.

  20. @Wolfgang Stegmann: das Thema, das die Phänomenologie einführt, ist die zentrale Stellung von Phänomenen und bewussten Erfahrungen. Und dazu kommt noch die zentrale Stellung des Menschen in der Phänomenologie.
    Das gehört zu einer anthropozentrischen Sicht und potentiell idealistischen Sicht in der das Geistige realer ist als die Aussenwelt.

    Gemäss Wikipedia gilt:

    Die Phänomenologie (von altgriechisch φαινόμενον phainómenon, deutsch ‚Sichtbares, Erscheinung‘ und λόγος lógos ‚Rede‘, ‚Lehre‘) ist eine philosophische Strömung, deren Vertreter den Ursprung der Erkenntnisgewinnung in unmittelbar gegebenen Erscheinungen, den Phänomenen, sehen.

    Müsste heute nicht gelten: Suche nach dem, was hinter den Phänomenen steckt! Bleib nicht bei den Phänomenen (= mit den Sinnen wahrnehmbare, abgrenzbare Einheit des Erlebens) stehen, sondern erforsche wie es zur Bildung von abgrenzbaren Einheiten des Erlebens kommt. Denn abgrenzbare Einheiten des Erlebens sind keine simple Gegebenheiten, sondern sie sind das Resultat einer Entwicklung von Zentralnervensystemen und damit Teil einer Evolution, die bereits im Erkenntnis- und Erlebensappart von Tieren angelegt ist und beim Menschen nur eine neue Stufe erreicht hat.

    In meinen Augen sind Phänomene, also abgrenzbare Einheiten des Erlebens, Ausdruck davon, wie unser Geist/Hirn Erfahrungen strukturiert um mit ihnen umgehen zu können, um sich also an sie erinnern, sie miteinander verknüpfen und auf sie reagieren zu können.

    Gewisse Begriffe der Phänomenologie lassen sich heute, im Zeitalter der künstlichen Intelligenz, mit zeitgemässeren Begriffen und Beschreibungen ausdrücken. Die Intentionalität des Bewusstseins beispielsweise kann in moderne Begriffe gefasst werden. Doch zuerst einmal der Abschnitt der Wikipedia, welcher erklärt, was mit Intentionalität des Bewusstseins gemeint ist:

    Mit Intentionalität ist die Tatsache gemeint, dass unser Bewusstsein immer auf etwas gerichtet ist, also ein Bewusstsein „von etwas“ ist. Diese Bezeichnung lässt sich in der Betrachtung eines Phänomens verdeutlichen: Alltägliche Wahrnehmungen, wie z. B. das Wahrnehmen von Personen oder Gegenständen, vollziehen sich in einer nicht reflektierten Einstellung, die nicht die Sinnhaftigkeit der Person oder Sache in Frage stellt. Husserl geht nun davon aus, dass diese Sinnhaftigkeit etwas ist, das wir den Sachen beilegen. Ein Beispiel dafür ist die so genannte Täuschung. Schauen wir uns eine Schaufensterpuppe in einem Schaufenster an, vor dem wir stehen, so kann es geschehen, dass wir überrascht bemerken, dass es sich nicht um eine Puppe, sondern um einen Menschen gehandelt hat. In diesem Augenblick – und dies ist der Zeitpunkt, in dem die Täuschung umschlägt – verändert sich der Sinn dieser Figur. So verhalte ich mich z. B. nicht mehr so, als sei ich unbeobachtet.

    Modern würde ich das so formulieren. Unser Geist versucht Wahrnehmungen und Erlebnisse in ein Modell der Welt einzubetten. Es gibt mehrere solche Modelle, die in unserem Geist im Hintergrund wirken. Eines der Modelle ist die Welt als dreidimensionales Gebilde, in dem Objekte eine bestimmte Position zueinander einnehmen. Was wir sehen oder hören ist nicht per se dreidimensional, aber wir bilden es fast automatisch auf ein internes dreidimensionales Modell der Welt ab und sagen dann etwa, der Knall, den ich gerade gehört habe kam von links gerade hinter dem Haus am linken Strassenrand. Mit dieser Einbettung der Wahrnehmung in ein dreidimensionales Modell geben wir der Wahrnehmung einen Sinn oder wie die Phänomenologen sagen, eine Intention.

    Die Intentionalität des Bewusstseins heisst also in moderner Übersetzung Das Bewusstsein arbeitet mit Modellen der Wirklichkeit und versucht Phänomene an den richtigen Stellen in die jeweiligen Modelle einzufügen.

    Neben dem Modell dreidimensionale Welt gibt es auch Modelle, die etwa Freundschaft/Feindschaft und Indifferenz umfassen und unzählige mehr. Ein Phänomen kann sich gleichzeitig in mehrere Modelle einfügen. Dieses Einfügen ist ein halbautomatischer, zum grössten Teil unbewusster Vorgang.

    Fazit: Begriffe und Überlegungen der Phänomenologie haben moderne Entsprechungen in heutigen Begriffen der Informatik und Physik. Nur haben sie heute nicht mehr die zentrale Bedeutung, die ihnen die Phänomenologie gab.

  21. @Holzherr:
    Man kann nicht philosophische in technische Begriffe übersetzen, in letzteren ist Anwendungswissen vergegenständlicht, in der Philosophie sind es ganze Denkgebäude, Interpretationen der Welt, also das, was Sie in Ihren Beiträgen ausschließlich machen.

  22. @Tobias: Interviews in der Wissenschaft

    Ja – so macht man das, beispielsweise mit strukturierten Interviews; oder es gibt auch Verfahren zur Diskursanalyse. Oft ist die Auswertung sehr viel Arbeit, weil menschliche Sprache eben etwas sehr Komplexes ist.

    Diese Form der qualitativen Forschung ist im Aufwind; aber machen wir uns nichts vor: Der allergrößte Teil der Psychologie ist immer noch rein quantitativ.

  23. Mir macht es stark den Eindruck, dass man eine qualitative Forschung nicht will, weil man dann selbst feststellen müsste, wie sehr man selbst doch nur funktioniert.

  24. @Wolgang Stegmann (Zitat): “ Man kann nicht philosophische in technische Begriffe übersetzen, in letzteren ist Anwendungswissen vergegenständlicht, in der Philosophie sind es ganze Denkgebäude, Interpretationen der Welt, also das, was Sie in Ihren Beiträgen ausschließlich machen.“

    Da ich mich früh schon mit Philosophie beschäftigt habe aber auch die technisch/wissenschaftliche Welt kenne, glaube ich den Denkansatz vieler Philosophen zu verstehen. Zusammengefasst läuft es so ab, wenn eine philosophische Theorie, ein Denkgebäude geboren wird:
    1) der Philosoph und spätere Begründer eines Denkgebäudes beschäftigt sich mit bestimmten eigenen Erfahrungen mit der Wirklichkeit oder auch nur mit wiederkehrenden Formen der Interaktion zwischen Menschen, die er kennt..
    2) der Philosoph verallgemeinert dann den Kern seiner Gedanken zu den realen Dingen, die er erfahren hat, mit dem Ziel einen Aspekt der Wirklichkeit oder Interaktion, den er selbst erfahren hat, viel bedeutender und welterklärender zu machen, als er eigentlich ist.
    3) der Philosoph/Welterklärer schafft einen eigenen Begriffsraum, dessen Begriffe so beschaffen sind, dass er selbst noch weiss wie sie zu den Erfahrungen passen, die er selbst gemacht hat, wo die Begriffe aber so beschaffen sind, dass Aussenstehende sehr viel mehr Interpretationsmöglichkeiten offen stehen. Denn klar, der Philosoph will ja nicht nur seine eigenen Erfahrungen, sondern (fast) die ganze Welt erklären.
    4) Die Lehre, die Ideen des Philosophen findet Rezipienten und Konsumenten, welche alles mögliche in das vom Philosophen ursprünglich gemeinte hinein interpretieren und er selbst ist plötzlich selbst erstaunt, was sein Denkgebäude alles erklären kann und er sagt sich:
    hey, ich wusste gar nicht, dass ich so clever 🦉 bin.

  25. @Mussi: Psychologie der Psychologie

    Tatsächlich appelliere ich dafür, dass Forscher nicht nur andere Menschen erforschen, sondern Forscher auch selbst erforscht werden sollten. Dafür gibt es ja u.a. Wissenschaftssoziologie und -Theorie.

    In der Praxis ist das aber nicht immer gern gesehen. Bei Psychologen/Neurowissenschaftlern finde ich das mitunter gar unredlich, wenn man anderen Menschen alle möglichen Denkfehler unterstellt, sich selbst dabei aber herausnimmt.

  26. @Stegemann 14.02. 22:28

    „Die Welt, wie wir sie wahrnehmen, existiert nur durch uns. Wir konstruieren im Kopf eine perfekte 1:1 Kopie der Welt, aber nur der Welt, die wir wahrnehmen bzw. wie wir sie wahrnehmen.“

    Das finde ich sehr wichtig, und das muss man sich immer wieder vor Augen halten. Immerhin haben wir hier auch einen wesentlichen Teil des Sinns unserer Existenz: Diese wunderbare Welt will wahrgenommen, erkundet und verstanden werden. Das geht im wesentlichen nur subjektiv, objektives ist dann eher intersubjektives, bis auf wenige Ausnahmen. So sind dann gerade manchen Erkenntnisse der Physik tatsächlich mal objektiv.

    Dies ist aber viel Arbeit, inmitten dem prallen subjektivem Leben das eine oder andere Objektive zu extrahieren.

    „Wir müssen uns von der metaphysischen Objektivität verabschieden, sie existiert nicht. Auch die Plankschen Quanten sind unsere Abstrakta.“

    Abstrakta ja, aber existiert doch, im Sinne von innerer Logik und vor allem im Sinne von Evidenz im engeren Geltungsbereich. Wenn die Wettersimulation das Wetter für 3 bis 5 Tage ganz gut vorhersagt, sind das schon Fakten.

    „Da wir in der Lage sind, mit Begriffen nicht nur reale Dinge zu (re-) konstruieren, sondern auch Dinge, die es gar nicht gibt, ist es leicht, sich eine irreale Welt vorzustellen.“

    Ja, ist doch gut, dass wir das auch können. Es macht einen wesentlichen Teil unseres Lebens aus, man guckt Filme und liest Romane. Man erzählt sich Märchen, man träumt von Geistern, Göttern und Geisteswelten, und bevölkert das bloße Sein in seiner eigenen Weltkonstruktion damit.

    Da wir eben aus unserer Weltkonstruktion grundsätzlich nicht ausbrechen können, so ist dann auch Irreales Teil unserer eigenen Wirklichkeit. Und so kann auch z.B. Glaube, Liebe, Hoffnung ein Element der eigene Welt werden.

    Und mal zu gucken, was dem Übernatürlichem vielleicht auch in der Welt draußen, jenseits unserer ureigenen Erlebniswelt entsprechen könnte, ist eine Idee, zu versuchen, seinen Horizont zu erweitern.

    @Stephan 15.02. 12:57

    „Bei Psychologen/Neurowissenschaftlern finde ich das mitunter gar unredlich, wenn man anderen Menschen alle möglichen Denkfehler unterstellt, sich selbst dabei aber herausnimmt.“

    Der Forscher stellt sich gerne über die Dinge, was ein Unding ist. Auch Experten sind nur subjektive Existenzen, die sich besser bewusst sein sollten, dass vieles in ihrer Expertise nur Konstrukte sind, von womöglich auch noch vorübergehendem Charakter. Der ganze Mensch möchte gerne respektiert werden, in seinem Glauben wie in seinem Wissen, in der Anerkennung des Rechtes auf die eigene Innenwelt, der dann doch niemand entfliehen kann.

  27. Zu Stegemann:
    “Die Welt wie wir sie wahrnehmen existiert nur durch uns…”
    Man könnte jetzt sagen: Gratulation, damit haben sie eine zweitausendjährige Wahrheit erkannt, nämlich Buddhas “Geisteskonstrukte”. Dieser hat sogar Methoden erarbeitet um diese zu beobachten .Wenn sie von dieser Feststellung ausgehen, existiert meiner Ansicht nach auch keine “eigene Meinung” da diese Konstrukte nicht sie Selbst sind sondern nur angelerntes, anerzogenes, manipuliertes. Diese eigene Meinung wäre dann lediglich diese Illusion vom eigenen ICH das sich mit allem identifiziert was es wahr-nimmt. Es nimmt aber nur WAHR, worauf es vorher “programmiert” wurde- durch Umwelt, Medien, Poltitik etc. Dass was “eigen” ist scheint wohl nur das EGO der menschlichen Begierden /Gier um persönliche Triebe und Bedürfnisse zu befriedigen.

  28. @Golzower:
    Warum das Kind mit dem Bade ausschütten. Das Leben ist nicht nur tautologisch, sondern auch relativistisch. Natürlich hat jeder ein eigenes ICH, und natürlich ist er damit nicht vom Himmel gefallen.

  29. @Golzower
    Jeder Mensch hat eine eigene Lebensgeschichte und eine eigene Lebenswelt, biologisch, kognitiv und sozial/kulturell. Aus der Menge der möglichen Wahrnehmungen, Erfahrungen und Wissensquellen hat jeder Mensch eine eigene Teilmenge. Insofern ist jeder Mensch auch ein Individuum, biologisch, psychisch und geistig. Darin liegt gerade die Bedeutung der Psychologie. Sicher gibt es auch aus der Menschheitsgeschichte Splitter der Erkenntnis über den Menschen. Aber sie bleiben isoliert und ohne wirkliche Bedeutung, zumal sich die Lebenswelten gründlich verändert haben.

    Die Psychologie nutzt die Geisteswissenschaften wie auch die Naturwissenschaften für ihre Zwecke. Sie gehört nicht zur einen oder anderen Wissenschaft allein. Ohne die Kenntnis von Hormonen bspw. kann man die menschliche Psyche nicht verstehen. Die Mathematik ist selbstverständlich ein wichtiges, gemeinsames Werkzeug dazu. Die Sprache hat in der Psycholinguistik ein eigenes Fachgebiet. Auf seiten der Biologie hat sich die evolutionäre Psychologie etabliert. Und schließlich sind auch die Psychophysiologie, die Kognitions- und Neurowissenschaft sowie die Kybernetik mit von der Partie. Kenntnisse in Philosophie schaden keinem Psychologen.

  30. Stephan Schleim
    15.02.2022, 12:57 Uhr

    Auf die Zwölf getroffen!

    In der Wissenschaft wird schließlich nicht nur gemessen und der Messwert diskutiert, sondern das Messgerät wird von Zeit zu Zeit kalibriert und auch das “Kaliber” wird von Zeit zu Zeit am Eichnormal geeicht – und letztendlich kommt man zu “Normalen”, die mit einem gewissen Aufwand im Labor neu “hergestellt” werden können und keiner Alterung unterliegen.

  31. Das „Empfindungsphänomen“ gehört zur Psychologie/Neurologie. Eine plausible physikalische Erklärung von Empfindungen (die besonderen „dynamischen Muster“ (auch Kraftwirkungen) der Elektronen in den äußersten Atomhüllen bestimmter Molekülverbände) würde auch eine Lösung des Bewusstseinsproblem ermöglichen bzw. einer Lösung sehr nahe kommen.

    Den Ort der offensichtlich sensitiven Zellen, sollten die Neurologen/Psychologen erkennen. Die Physiker/Chemiker sind zur Erklärung zuständig, so wie sie sehr gut erklärt haben, wie einfache Wassermoleküle z.B. als Schneekristalle auftreten können. Die „Erklärungssicherheit“ bewegt sich im üblichen Rahmen.

    Wie es von Empfindungen zum Bewusstsein kommt, die einzelnen „Daten“ zusammengefasst werden, scheint dagegen einfach erklärbar. Es wäre damit vergleichbar, wie z.B. die „Ansicht“ und auch die „Geräusche“ einer Landschaft auf den Fernsehbildschirm und Lautsprecher kommen.

    Dass dabei „Relationen“ zwischen „Mikroelementen“ z.B. „Bildpunkten“ eine Rolle spielen könnten, wurde auch schon in Beiträgen in diesem Forum „erahnt“.

  32. Bei der Realisierung von Bewusstsein geht es darum, einzelnen „punktweisen Empfindungen“ systematisch eine Struktur zu geben die auch „übertragungstechnisch“ behandelt werden kann.

    Eine systematische Möglichkeit „Bildpunkten“ eine örtliche und zeitliche Struktur zu geben um nicht nur Bilder sondern ganze Bildfolgen als Video zu übertragen, hat P. Nipkow 1883 (Nipkowscheibe) erfunden.

    Letztlich emergieren Mikroempfindungen zum Bewusstsein, ähnlich wie einzelne Bildpunkte zu einem Video, zu einer Art „Hirnkino“ emergieren. Zusätzlich werden andere Empfindungen mit eingebunden, Töne, Gerüche, ….

    Schließt man die Augen, so ist eben die „Hauptbildinformation“ auf der Netzhaut weg, aber an anderen vergleichbaren hautartigen Schichten bleiben Informationskomponenten eine gewisse Zeit vorhanden.

    „Flächig“ dürften die abbildenden Strukturen deswegen sein, um die Informationen in einen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang zu bringen.

  33. Die Aufbereitung der hauptsächlich von der Sensorik ausgehenden (Information führenden) Inputsignale erfolgt in Gatterschaltungen im Sinne von McCulloch. Die neuronale Struktur erweitert sich gemäß der Hebbschen Regel und bildet das „Wissen“ im Sinne des von E. Kandel entdeckten Konzeptes synaptisch ab.

    Dass im Gehirn grundsätzlich „örtliche Informationsabbildungen“ erfolgen, das konnte recht gut mit der MRT Technologie nachgewiesen werden. Dass z.b. Sprache, Bilder, andere Empfindungen… hauptsächlich an bestimmten Orten verarbeitet werden.

    Im Computer werden, anders als in neuronalen Systemen, bislang die Information abbildenden Signale durch den einen Prozessor geführt. (Abgesehen von „Bildschirmkarten“, oder künftigen Multiprozessorsystemen).

  34. Für Freunde der Phänomenologie – etwas zum Schmunzeln:

    https://idw-online.de/en/news788373 ´Math neurons´ identified in the brain

    DOI: 10.1016/j.cub.2022.01.054 ´Neuronal codes for arithmetic rule processing in the human brain´

    Man hat ´Mathe-Neuronen´ gefunden!

    Zur beschriebenen Arbeitsweise des Gehirns gibt es bereits viele Arbeiten und bei Wikipedia einen Beitrag [Großmutterneuron] – oder ´Jennifer-Aniston-Neuron

  35. @Schleim

    Wenn Sie die Wechselwirkung als momentan reduktionistische monistische Entität ansehen,als Phänomen,dann kommen Sie automatisch zu zwei Aspekten.

  36. @Schleim:Pedanterie

    Genau genommen müsste man Zwei-Aspekte-Dualismus-Monismus sagen.
    Aber da gibt es auch noch den Pluralismus.
    Ganz schönes ‘Durcheinander’. 🙂

  37. @Schleim:Aufgabenstellung
    Wie bringt man Monismus,Dualismus und Pluralismus,das aus uns kommt und in uns ist, ‘zusammen’?

  38. @KRichard: Nervenzellen

    Ich promovierte in der Hirnforschung, als man damals meinte, Jennifer-Aniston-Neuronen gefunden zu haben. (Natürlich in Hollywood.)

    Erstens sieht man, wie Ideen kommen und gehen. Vorher hätte man Leute, die an Großmutterzellen dachten, für Idioten gehalten.

    Zweitens hängt das meiner Meinung nach auch sehr davon ab, wie man testet. Man verwendet bei solcher Forschung eine Auswahl von Stimuli. Gut, ein Neuron spricht nur auf eine Art von Stimulus an, keine andere. Doch die Welt ist komplexer als das.

    Jedenfalls kann ich mir nur schwer vorstellen, dass es, selbst wenn wir an 86 Milliarden Neuronen denken (die allermeisten übrigens gar nicht in der Großhirnrinde), dann eine spezifische Zelle für eine Schauspielerin… oder Mathematik gibt.

  39. @Mussi: Schreiben Sie jetzt bitte nicht wie der Webbär…

    …doch nichts ist Unmöglich: mit dem Reutlinger’schen holistischen Reduktionismus oder den KRichard’schen 1,N,2,T,3,E Theorien klappt’s schon irgendwie. Zwinkersmiley.

  40. kennt jemand den Film ‘Und einer flog über das Kuckucksnest’? Ich finde, wir könnten ihn mit dieser Besetzung neu drehen 🤣

  41. @ Stephan Schleim 15.02.2022, 21:05 Uhr

    Zitat: „… nur schwer vorstellen, dass es, …. dann eine spezifische Zelle für eine Schauspielerin… gibt.“

    Man kann zwar nicht ausschließen, dass es einzelne Zellen gibt die nur dann „referenziert“ werden und triggern, wenn z.B. ein Bild von Jennifer-Aniston vor dem Auge auftaucht.

    Wesentlich aber ist, dass bestimmte „Neuronencluster“ (bestimmte verknüpfte Neuronen die nur dann mehrheitlich im Verband) sozusagen „zusammenarbeiten“, wenn z.B. ein Bild von Jennifer-Aniston vor dem Auge auftaucht. Teilweise die gleichen Neuronen (aber in anderer Verknüpfung) könnten (als anderes „Cluster“) bei Kim Gloss „zusammenarbeiten“.

    In der Elektronik können aus verschiedenen Kombinationen von Inputsignalen, ganz banal genau die gewünschten Signale, die einer bestimmte Entität zuzuordnen sind, mit Gatterschaltungen heraus selektiert werden.

    Der Unterschied zur Biologie ist nur, dass die jeweiligen „Zustände“ absolut zutreffen müssen. In der Biologie reicht eine „qualifizierte“ Mehrheit für die Objekterkennung.

  42. @Elektroniker
    Sie haben recht!
    Es ist schon lange bekannt, dass unser Gehirn mit Neuronen-Netzwerken arbeitet.

    In solchen Netzwerken werden alle Informationen zusammengefügt, die z.B. irgendwie mit Jennifer Aniston zu tun haben.
    Es gibt also keine spezielle Neuronen dafür, aber einzelne Neuronen in diesem Verbund zeigen dann Aktivität wenn ein Reiz verarbeitet wird, der z.B. mit Jennifer Aniston zu tun hat.

    Wenn uns in einer ´wissenschaftlichen´ Arbeit die Aussage angedreht werden soll, dass es spezielle Mathe-Neuronen gibt – dann ist dies zum Schmunzeln bzw. eine Blamage: Offenbar ist man hierbei mit längst bekanntem Wissen über die Arbeit des Gehirns nicht vertraut.

  43. @Elektroniker – Nachtrag
    Die Arbeit zu den Mathe-Nuronen zeigt ein großes Problem der Gehirnforschung auf:
    Es nützt nichts, wenn man supergenaue Messdaten gewinnt – aber dann keine Ahnung hat, was man damit anfangen kann.
    z.B. ist der Begriff ´Jennifer-Aniston-Neuron´ schon lange bekannt, d.h. etwas Recherche hätte genügt
    Oder anders ausgedrückt: die Versuche/Messungen zu den Mathe-Neuronen waren sinnlos: Verschwendung von Forschungszeit und -mitteln

  44. @ KRichard 16.02.2022, 05:13 Uhr

    Auch Sie haben meiner Meinung nach völlig recht!

    Es gibt z.B. keine „Spiegelneuronen“ in dem Sinne, dass es sozusagen „kleine Spiegel“ wären, sondern Neuronen die bestimmte Funktionen, ähnlich wie Spiegel, „realisieren“.

    Das ist ein großer sachlicher Unterschied. „Strenge Logiker“, so weit ich mich erinnern kann auch Herr Dr. Schleim, sind immer sehr „entrüstet“, wenn dies nicht beachtet wird.

    In diesem Sinne wären „Mathe-Neuronen“ gewöhnliche Neuronen, die in örtlichen Bereichen des neuronalen Systems „angesiedelt“ sind, in denen „Mathe Aufgaben“ besonders gut „verarbeitet“ werden können. Ob derartiges wegen der schlechten Auflösung der Messgeräte gemessen werden kann, ist eine andere Frage.

    Vermutlich haben sich bei Fähigkeiten die schon sehr lange existieren (z.B. „Fingerfertigkeit“) besonders „zweckmäßige“ Neuronen Eigenschaften besonders „herausgebildet“.

    Das scheint so ähnlich wie in der Elektronik, wo man für besondere Zwecke, besonders ausgewählte Transistoren (mit besonders zweckmäßigen Eigenschaften) verwendet

    So weit mir bekannt ist, verfügen Berufsgeiger an bestimmten Stellen im Gehirn, die laut Messungen für die Fingerfertigkeit „zuständig“ sind, z.B. über ein besonders dicht ausgeprägtes neuronales Netz.

    Die „Mathe Fähigkeiten“ dürften zu stark im Gehirn verteilt und auch die Strukturen zu „fein“ sein, so dass man sie nicht ordentlich messen kann.

  45. @Elektroniker – noch ´n Nachtrag

    Die Experimente zu den Mathe-Neuronen zeigen auch noch ein ethisches Problem auf.

    Denn offenbar sind die ethischen Hürden für Versuche am menschlichen Gehirn an der Universität Bonn so niedrig, dass man im Vorfeld nicht mehr sorgfältig abklären muss, ob solche Versuche notwendig, sinnvoll bzw. ethisch akzeptabel sind.

    Das Wissen um das Jennifer-Aniston-Neuron hat es schon vor vielen Jahren in die Tageszeitung geschafft – und gehört mittlerweile zum Allgemeinwissen.

  46. @Elektroniker
    Thomas Nagel hat 1974 den Beitrag ´What is it like to be a bat? / Wie ist es, eine Fledermaus zu sein?´ veröffentlicht. (Quelle: Reclam 978-3-15-019324-2)

    Darin beschäftigt er sich u.a. damit, dass/warum es nie möglich sein kann, die Erfahrungen eines anderen Lebewesens zu verstehen. D.h. wir können ein anderes Lebewesen mangels Verständnis auch nicht ´spiegeln´

    D.h. die Idee der ´Spiegelneuronen´ war schon widerlegt, bevor diese Idee in den 1990er Jahren populär wurde. Wegen der vielen Tierversuche die dazu durchgeführt wurden – muss man daher viele Experimente als sinnlose Tierquälerei bezeichnen

  47. @Schleim
    Sie haben mir “holistischen Reduktionismus” bescheinigt. Da will ich nicht widersprechen und fühle mich bestätigt. Beides hat seine Berechtigung. Die Analyse eines Systems zum Verstehen seiner Funktionsweisen geht nur über die Reduktion und Zerlegung in Module, wogegen die Synthese den Holismus benötigt zur Zweckerreichung und Integration in die Umgebung.

    Nur eine Blackbox-Betrachtung bringt die Wissenschaft nicht weiter. Wissenschaft ist ein Entwicklungsprozess mit Versuch und Irrtum. Wer der Wissenschaft immer nur Irrtümer zum Vorwurf macht, hat sie nicht verstanden. Die Folgen davon sehen wir in der derzeitigen Gesellschaft der Querdenker. Selbstverständlich müssen sich die Wissenschaftler der öffentlichen Kritik stellen und ihre Selbstreinigungskräfte mobilisieren. Einzelne Wissenschaftler sind offensichtlich der Meinung, sie hätten das nicht nötig, weil sie die Wahrheit gepachtet hätten, gerade jetzt im Umfeld der Pandemie.

    Phänomenologie ist an erster Stelle eine Methode zur Selbstkritik. Phänomene sind von Vorwissen, Erfahrungen und Vorurteilen geprägt und vielseitig interpretierbar. Die Phänomenologie kann helfen, psychologisch und intuitiv bedingte Irrtümer der Interpretation oder Bewertung zu erkennen. Phänomenologie ist eine reduktionistische Wissenschaft (eidetische Reduktion), anwendbar z.B. auf das Phänomen der Impfung: was ist das Wesentliche einer Impfung.

  48. @KRichard
    D.h. die Idee der ´Spiegelneuronen´ war schon widerlegt, …

    DIe Idee der Spiegelneuronen ist noch heute aktuell. Sie wurden anfangs überinterpretiert, wie viele neue Entdeckungen, aber deshalb ist die Idee nicht falsch. Man kann ihre Wirkung an sich selber beobachten.

  49. Ein kurzer Ausschnitt aus einer wissenschaftssoziologischen Dissertation von 2021. Spiegelneuronen bilden hier ein Beispiel für die eigentliche Untersuchung – eines allgemeinen Phänomens der Wissenschaften:

    Hypothese 1: Populäre und plausible Konzepte, wie das der Spiegelneuronen aus dem Bereich der Neurowissenschaft, haben einen leichten Eingang in angrenzende Forschungsgebiete, konkret in das der Psychiatrie und der Sozialpsychologie und deren Konzepte, Autismus und Empathie. Dort wurde die Forschung und Modellbildung durch die Entdeckung der Spiegelneuronen maßgeblich beeinflusst.

    Hypothese 2: Wurde das ursprüngliche Konzept (Spiegelneuronen im Bereich der Neurowissenschaft) kritisiert und im Zuge dessen erneuert, hat dies nicht oder nur unvollständig oder erst mit erheblicher Verzögerung zu Anpassungen oder Revision der Modellvorstellungen im Bereich der Psychiatrie und der Sozialpsychologie und deren Konzepte Autismus und Empathie geführt.

  50. @Reutlinger
    Die Idee der Spiegelneuronen war schon falsch als sie erfunden wurde und daran hat sich nichts geändert.

    Wenn wir andere Menschen und deren Verhalten beobachten, dann reaktiveren wir sofort vergleichbare eigene Erfahrungen. Der Fachbegriff dafür ist ´predictive coding´. *)
    Indem wir eigene Erfahrungen reaktivieren, können wir sofort reagieren und verstehen was wir beobachten – deshalb ist diese Arbeitsweise unsere wichtigste Überlebensstrategie (da das Reaktivieren von Erfahrungen z.B. auch die zugehörige Körperreaktionen beinhaltet).
    D.h. wir verstehen eine neue Situation durch das REAKTIVIEREN eigener Erfahrungen – das ist kein ´spiegeln´ sondern eher ein Vorurteil – auf Grundlage eigenen Wissens.

    Diese predictive coding Arbeitsweise bewirkt als Nebeneffekt, dass wir unser Erleben mit dem Erleben der beobachteten Person synchronisieren.
    Je besser diese Synchronisation klappt, um so besser fühlt man sich mit der anderen Person verbunden und versteht sich. Denn diese Synchronisation ist z.B. eine Grundlage von Empathie – weil wir so (auf Grundlage eigenen Wissens) die andere Person verstehen.

    Wird diese Synchronisation gestört, dann haben wir Probleme: z.B. behindert das Lahmlegen von Gesichtsmuskulatur mit Botox, dass wir die beobachteten Emotionen anderer Menschen gut nachempfinden können. Denn wenn unsere eigenen Gesichtsmuskeln blockiert sind – die zu bestimmten Emotionen gehören, dann kann man diese nicht reaktivieren/verstehen.

    *) Tipp: bei SciLogs > thinky-brain gab es vor kurzem einen Beitrag zu ´predictive coding´

  51. @ KRichard
    @ anton reutlinger

    Ich sehe die Frage der Spiegelneuronen eher wie Herr Reutlinger.

    Ich habe von einen Versuch, auch mit so etwas wie „Mathe-Neuronen“ bei Kellnerinnen gehört. Die hatten die ausgeprägte Fähigkeit, sich die Preise und die Wünsche der Kunden zu merken und mussten danach Rechnungszettel ausstellen. Das sollte simuliert werden.

    Die Kellnerin war gut darauf vorbereitet, dass es in der „Röhre“ eng und laut ist, sie hat an den Versuchen an denen ihrer Freundin, eine Psychologiestudentin, wesentlich beteiligt war, gerne mitgemacht. Ethische Probleme sehe ich da eher nicht.

    Kürzlich habe ich gelesen, ich glaube es war in einem Link von „Physiker“ im vorigen Beitrag, dass man neuerdings in der Wissenschaft Tieren weitaus mehr an „Denkfähigkeit“ zutraut als früher.

    Letztlich deswegen, weil sie teilweise die gleichen neurologischen Grundlagen haben und sich mitunter ähnlich verhalten wie Menschen. Meine persönlichen Erfahrungen mit Katzen oder auch Hunden würden dies bestätigen. Sogar psychische „Besonderheiten“ sind vergleichbar.

  52. Martin Holzherr schrieb (14.02.2022, 17:58 Uhr):
    > […] Man kann Infrarot-Strahlung messen oder Röntgenstrahlung und das ohne dass wir diese Strahlung direkt empfinden oder erleben können.

    Soll das heißen, dass ein Infrarot-Sensor sein eventuelles Ausgesetztsein solcher Strahlung nicht jeweils direkt empfinden oder erleben würde?, oder jeglicher Strahlungsdetektor ?

    Oder ist im zitierten Satz ein sehr spezielles “wir” gemeint, dass “jene” Strahlungsdetektoren jedenfalls ausschließen will, und das sich deshalb vom in der Wissenschaft gebräuchlichen “wir (alle)” drastisch unterscheidet ?

    > Es braucht keine Menschen um Experimente durchzuführen. Auch Roboter können dies. […]

    Manche Roboter wohl.
    Insbesondere können manche Roboter auch Betrachtungen zur systematischen Zuverlässigkeit von erhaltenen Nominal-Ergebnissen anstellen und mitteilen; was ja schließlich insbesondere bloßes Erleben erst zum Messen macht. Insofern können wir (alle) uns zumindest im Prinzip gegenseitig zugestehen, Wissenschaft betreiben zu können.

  53. @KRichard
    Wenn ich am Fernseher Fußball schaue, dann mache ich manchmal unwillkürlich und unbewusst Fußbewegungen wie die Fußballer auf dem Bildschirm. Ob ich die Bewegungen reaktiv nachahme oder prädiktiv vorwegnehme, weiß ich nicht, denn es findet scheinbar in Echtzeit statt. Es ist anzunehmen, dass im Gehirn bestimmte Muster verarbeitet und gespeichert werden. Wird ein Stück des Musters wahrgenommen, kann man auf das ganze Muster schließen. Man kennt das z.B. aus Sprachmustern, die besser in Erinnerung bleiben (N400-Effekt). Filme, die man lange nicht gesehen hat, kommen wieder in Erinnerung, wenn man einzelne Szenen wieder sieht.

    Im supplementären motorischen Cortex sind ganze Bewegungsmuster gespeichert. Es ist bekannt, dass Bewegungsmuster im Sport oder beim Spielen von Instrumenten früh antrainiert werden müssen, um sie automatisiert und unbewusst abrufen zu können.

    Ob Spiegelneuronen oder predictive coding, mir erscheint beides sehr ähnlich, es sind beide in der Wissenschaft noch heiß diskutierte (“umstrittene”) Konzepte. Es dürfte klar sein, dass ganze Neuronenverbände oder -netzwerke die Grundlage dafür bilden. Die Psychologen und Neurowissenschaftler machen fleißig Experimente, folglich werden die Erkenntnisse wohl allmählich konvergieren, zu einem gemeinsamen Verständnis.

  54. @Reutlinger
    predictive coding und Spiegelneuronen wären deutlich unterschiedliche Arbeitsweisen:
    predictive coding – ermöglicht eine sofortige Reaktion, da vorhandene Erfahrungen sofort reaktiviert werden
    Spiegelneuronen – erfordern erst ein ´Spiegeln´, dann eine Verarbeitung und danach kommt erst die Reaktion

    Unser Gehirn ist dazu da, unser Überleben zu ermöglichen, indem wir schnellstens auf einen neuen Reiz reagieren können.

    Auch das Funktionsprinzip der ´Jennifer Aniston Zellen´ dient schnellster Reaktionsfähigkeit: Dadurch dass solch ein Neuron nur auf eine Information spezialisiert ist (auf der obersten Hierarchieebene der Reizverarbeitung) – kann das Gehirn schnellstens und sehr effektiv damit arbeiten. Denn – je weniger Nervenzellen zur Übertragung von speziellen Informationen notwendig sind, um so effektiver kann das Gehirn arbeiten (Schnelligkeit, Energieersparnis, Reduktion von Daten ist auch eine Reduktion von Fehlerquellen).

  55. Zu KRichard
    “Spiegelneuronen…”
    Wir reaktivieren keine eigenen Erfahrungen ,denke ich, sondern unsere Grundemotionen. Grundemotionen sind in jedem Individium mehr oder weniger stark angelegt und ich ” fühle” mit dem anderen ,was evolutionär einen Sinn macht. Wie kann ein Baby zum Bsp. “Erfahrungen” über das Sexleben haben wenn Spiegelneuronen beim Partner die Abkehr signalisieren. Irgendwie unlogisch, oder ? Vielleicht sollten sie sich ihrer Grundemotionen mehr bewusst werden, was die alten Medizinmänner schon konnten.
    Zu A. Reutlinger: “Jeder Mensch hat eine andere Lebensgeschichte…” Sicher.
    Aber ich überschätze nicht diese Psychologie, weil sie gewaltige Grenzen hat, weil sie bestimmte Dinge kognitiv zu lösen versucht. Schon Goethe sagte: Alles ist Gefühl. Wenn ich heute zum Bsp. drei “Psychologen” konsultieren sollte, hätte ich fünf Antworten. Im übrigen habe ich leider auch von Menschen erfahren, die nach “psychologischen” Behandlungen Suizid begangen. In der von mir genannten buddhistischen Form finde ich nur eine ,meine Antwort.

  56. @ KRichard 16.02.2022, 13:30 Uhr

    Abgesehen davon, dass Sie den Begriff „spiegeln“ nicht akzeptieren, sehe ich es so wie Sie es im Beitrag beschrieben haben.

    Wenn man „graphische Funktionsabbildungen“ aus Messergebnissen erstmals sieht und das eigentliche, letztlich von McCulloch ungefähr schon 1943 aus neurologischer Sicht deklarierte Gatter Konzept noch nicht wirklich verstanden hat, so drängt sich der Begriff „Spiegelbild“ eigentlich auf. (Vermutlich stammt das Konzept bereits vom Kybernetiker Norbert Wiener um ca. 1900)

    Das dahinter stehende Konzept, dass die eigenen Erfahrungen „baumartig“ (aber auch „vermascht“) gespeichert“ werden, dürfte „uralt“ sein.

    „Predictive coding“ ist ein „moderner Begriff“ und kann praktisch erst verwendet werden seit das McCulloch Konzept halbwegs verstanden wird.

  57. Hallo in die Runde. Es freut uns, dass eine angeregte Diskussion in Reaktion auf Stephan Schleims und unseren Beitrag entstanden ist und weiterhin läuft.

    Ich möchte mich mit einigen selektiven Bemerkungen einbringen, da ich aus zeitlichen Gründen nicht auf alle spannenden Beiträge eingehen kann.

    Zur Diskussion um Spiegelneurone u.ä.:
    Ich möchte den Aspekt einwenden, dass bildgebende Verfahren, wie sie in der neurowissenschaftlichen Psychologie Verwendung finden in aller Regel Aktivitätsveränderungen messen, daher ist es nicht so, dass nur bestimmte Hirnregionen gar einzelne Zellen bestimmte Leistungen vollziehen. Die Annahme, dass dem so wäre nennt man übrigens lokalisatorischen Fehlschluss.

    Eine konzeptuelle Nähe zu diesem weißt der sog. “Mereologische Fehlschluss” (Bennett & Hacker, 2003) auf. Dieser Kategorienfehler spricht dem Gehirn Fähigkeiten zu, wie etwa den wahrnehmen zu können. Wahrnehmen, können aber nur Personen, was sich schon dadurch zeigt, dass ein Gehirn ohne Körper seinen Beitrag zu dem, die Wahrnehmung ermöglichenden sensomotorischen Regelkreis, leisten kann (Fuchs, 2021).

    Verstreute Kommentare:

    Elektroniker legt in seinem Beitrag (15.2., 18:29 Uhr) nahe, dass erst die Integration der “Mikro-Empfindungen” zu einer Ganzheit Bewusstsein darstellen. Warum sind Ihrer Meinung nach Mikroempfindungen noch kein Bewusstsein?

    Anton Reutlinger hat in seinem Beitrag (16.2., 11:22 Uhr) angemerkt die Phänomenologie sei eine reduktionistische Wissenschaft. Hier muss angemerkt werden, das für den Reduktionismus “Reduktion “bedeutet eine Ganzheit in ihre Teile zu zerlegen. Auch wenn Husserl auf das Wesen des in der Erfahrung gegebenen zurückgehen möchte, lässt sich systematisch doch sagen: Die Phänomenologie würde sich vom modernen reduktionistischen Ganzheitsbegriff, der Ganzheit immer nur als Synthese versteht, zunächst enthalten und nach dem Wesen der Ganzheit fragen. Was ist primär? Das Ganze, welches in Teile gespalten wird oder sind Teile primär, die – so der Gedanke – in Synthese das Ganze bilden. Heidegger hat bspw. von einer Verweisungsganzheit gesprochen. Diese ermöglicht Intentionalität ihm zur Folge erst. Hier wäre kein Reduktionismus am Werk.

    Nicht alle Phänomenologie ist husserlianisch. Es gibt viele Schulen und phänomenologische Autor:innen (Stein, Scheler, Stumpf, Heidegger usw.).

    Holzherr legt in seinem Beitrag (14.2., 17:41 Uhr) nahe, die Phänomenologie frage nur nach der subjektiven Empfindung. Hier muss scharf unterschieden werden, zwischen Phänomenalität und Phänomenologie. Die Phänomenologie fragt bspw. danach mit welchen Kategorien wir die Erfahrung analysieren können, etwa (Historizität, Leiblichkeit usw.).

  58. @ Josh Ramminger 16.02.2022, 18:21 Uhr

    Zitat: „…. dass erst die Integration der “Mikro-Empfindungen” zu einer Ganzheit Bewusstsein darstellen. Warum sind Ihrer Meinung nach Mikroempfindungen noch kein Bewusstsein?“

    Ich schließe natürlich nicht aus, dass es auch zum Bewusstsein gehört, wenn man sich z.B. einen Reißnagel (punktweise Empfindung) in die Ferse tritt.

    Bemerkenswert ist aber, dass einem relativ bald klar wird, was genau geschehen ist, in welchen Zusammenhang das geschehen ist, wie man handelt um Folgeschäden zu vermeiden, wie man sich künftig vorsieht ….. wie alles in sein persönliches „Weltmodel“ passt.

    In der Nachrichtentechnik/Elektronik ist es üblich, zu versuchen seine „Sinne zu erweitern“ und es wird oft versucht einen Gesamteindruck eines bestimmten, mitunter weit entfernten „Geschehen“ zu vermitteln. Z.B. um die Olympiade in Peking im TV verfolgen zu können, oder zu erkennen, dass die Welt keine Scheibe ist. Es wird auch das persönliche „Weltmodel“ erweitert.

    Für mich sind es „Gedankenspiele“, fast „Gags“, die Prozesse „durchgehend“ auch noch „hinter den Sinnen“ im neuronalen System, weiter zu „verfolgen“, auch noch wie Handlungen generiert werden.

    Es ist halt nur so etwas wie eine etwas andere „technische Plattform“….

  59. @Ramminger
    Im einführenden Blogbeitrag zur Phänomenologie stehen die beiden Sätze:
    – “… Es geht darum, den logischen und existenziellen Wurzelns unseres Bewusstseins nachzuforschen.”
    – “Die phänomenologische Antwort beginnt damit, die am Bewusstseinsproblem beteiligten Begriffe in Frage zu stellen.”

    Mit solch einer Vorgehensweise ist die Phänomenologie zum Scheitern verurteilt. Denn wenn man das Bewusstsein erforschen will – obwohl es gar kein Bewusstsein gibt – dann wird man zwangsweise scheitern müssen.

    Die allererste und wichtigste Fragestellung sollte in einer seriösen Forschung die Fragestellung sein – ob es ein ´Bewusstsein´ überhaupt gibt.

    1) Experimente der Gehirnforschung zeigen, dass bei der Verarbeitung neuer Reize (Lernen) bestimmte Gehirnareale aktiv sind – und beim Erinnern sind die gleichen Gehirnareale wieder aktiv.
    2) EEG-Messungen zeigen, dass eine bewusste Wahrnehmung nur dann möglich ist, wenn bestimmte neuronale Aktivitäts-/Intensitäts-Schwellen überschritten werden (z.B. Alpha-Wellen > 8 Hz) und wenn verschiedene Gehirnareale vernetzt zusammenarbeiten.

    D.h. um eine bewusste Wahrnehmung zu haben, braucht man kein zusätzliches Extra-Bewusstsein.

  60. @KRicherd:
    Sie werfen die unterschiedlichen Beschreibungsebenen durcheinander. Ich hatte bereits darauf hingewiesen, die ontologische nicht mit der operativen Ebene zu verwechseln. Das eine Mal umfasst Bewusstsein das Bewusste sowie das Unbewusste, das andere Mal geht es um das eine und/oder das andere.
    Im übrigen können Sie den Begriff Bewusstsein auch durch xyz ersetzen, wenn Ihnen das besser gefällt.

  61. @KRichard 16.02. 20:04

    „Die allererste und wichtigste Fragestellung sollte in einer seriösen Forschung die Fragestellung sein – ob es ein ´Bewusstsein´ überhaupt gibt.“

    Ohne die Anerkennung der inneren Phänomene als intersubjektive Fakten könnten wir überhaupt keine Psychologie betreiben. Und die erlebbaren inneren Phänomene sind derzeit auch der einzige Beweis dafür, dass wir ein Innenleben haben. Und solange wir die Korrelate der inneren Welten auf Nervennetzebene nicht kennen, bleibt nur die Phänomenologie übrig.

    Man kann derzeit z.B. durch EEGs nur feststellen, ob man gerade überhaupt wach ist, oder etwa schläft. Ansonsten können wir immer nur innere Phänomene mit fMRT von Außen korrelieren, oder einfach Fragebögen ausfüllen lassen. Will man Mitmenschen aber in der Praxis verstehen, braucht man Menschenkenntnis und Einfühlungsvermögen – das bringt mehr als 10 Jahre Studium der Psychologie und Psychiatrie.

    Insofern hinkt die Forschung dem eigentlichem Menschen immer noch viele Jahrzehnte hinterher. Wobei Menschenkenntnis und Einfühlungsvermögen vor allem intersubjektive Intuition erfordert, also eine Kenntnis der inneren Zustände von einem Selbst, seinem Gegenüber und letztlich dem Mensch allgemein.

    „D.h. um eine bewusste Wahrnehmung zu haben, braucht man kein zusätzliches Extra-Bewusstsein.“

    Wieso Extra? Bewusst muss sie sein, die Wahrnehmung, und was das Wahrnehmen an sich als Substanz oder Prozess wiederum ist, dass ist eben das harte Problem. Dieses einfach rauszukürzen mag kunstvoll sein. Dann haben wir eben eigentlich gar kein Bewusstsein. Aber wir leben doch, die Evidenz der intersubjektiv festgestellten inneren Erlebniswelten ist absolut, das ist Fakt.

    In der Psychiatrie vergangener Jahrzehnte ging es hauptsächlich um Distanz und Kontrolle, Verstehen hat man einfach aufgegeben. Zumal die Kunden ja zwangsweise behandelt werden konnten, Qualität brauchte man also nicht unbedingt. So langsam bessert sich das. Positive und Systemische Psychologie versucht nun doch wieder, sich wirklich zu verstehen, und sich auf der Basis gegenseitig zu fördern.

  62. @Jeckenburger
    Wir kennen alle vom Kino die Filmrollen, wobei der gezeigte Kinofilm nur aus rasch nacheinander gezeigten Dia-Fotos bestand.
    Wir sahen aber auf der Kinoleinwand bewegte Menschen, Tiere bzw. Objekte.

    Zu sagen, dass diese Bewegungen real sind, weil wir sie ja deutlich wahrnehmen können – ist eine Aussage von gleicher Qualität, wenn wir sagen dass es ein Bewusstsein gibt, weil wir es empfinden/erleben.

    Mein Beitrag für @Ramminger machte auf dieses Problem aufmerksam.

  63. @ KRichard 17.02.2022, 05:08 Uhr
    @Jeckenburger

    Man sollte sich die Informatik zum Vorbild nehmen.

    „Bewusstsein“ wäre im Sinne der Informatik ein „Objektbezeichner“ für ein „informelles Objekt“.

    „Objekte“ werden in der Informatik zunächst einmal „deklariert“, danach können Objekte mit anderen Objekten nach bestimmten Regeln „verknüpft“ werden.

    Man sollte so vorgehen, dass Widersprüche vermieden werden. Deswegen sind „Abgrenzungen“ vorzunehmen. Derartige Objekte existieren jedenfalls „real“, zumindest während der Laufzeit des Programms im Computer .

    Bedeutet, bei der Deklaration oder den Verknüpfungen müssen „problematische Sachverhalte“ herausgenommen werden. So wie die Mathematiker die „Null“ bei der Division (also aus bestimmten Verknüpfungen) herausnehmen müssen.

    Ich kann mir vorstellen, dass dies die Mathematikern innerlich „schmerzt“. Aber sie finden sich damit ab, müssen damit leben und dieser „Kummer“ bleibt auch den Philosophen nicht erspart, auch wenn es scheint, dass sie immer wieder mit ihrem Kopf gegen diese „Wand anrennen“ wollen.

    „Bewusstsein“ wäre z.B. ein „Hirnkino mit Empfindungen“, (Hirnradar, Hirnbildschirm, ….. geht auch), vermutlich würden es viele Menschen so sehen und auch so beschreiben. Bedeutet, man könnte es ein oder ausschalten, die Abbildungen im „Hirnkino“ können real sein, eine Landschaft, die „Innenwelt“, oder auch Kunststücke eines Zauberers abbilden, die eine manipulierte „Realität“ abbilden…..

    Unter diesen Voraussetzungen, können die Informatiker gut leben, allenfalls fliegt ihnen ein Computerprogramm um die Ohren, wenn sie „geschlampt“ haben.

    Selbst die Psychologen könnten vermutlich mit diesem „Bewusstsein“ gut leben.

  64. @Elektroniker
    Wenn neuronale Aktivitäten einen bestimmten Intensitätswert überschreiten (z.B. EEG Alpha-Wellen > 8 Hz) – dann kann man eine ´bewusste Wahrnehmung´ haben. Diese reicht völlig aus, um sich in der Umwelt zurechtzufinden.
    Eine zusätzliches ´Bewusstsein´ ist nicht erforderlich.

    Es ist blamabel, dass die Frage gar nicht gestellt wird – ob wir denn ein Bewusstsein überhaupt brauchen. z.B. ist das Titelthema von Gehirn&Geist 03/2022 dem Thema ´Bewusstsein´ gewidmet. Mit keinem Wort wird auf die Möglichkeit eingegangen, dass es ein ´Bewusstsein´ gar nicht geben braucht – sondern dessen Existenz wird immer abgenommen.

    Mit Wissenschaft hat solch ein schwerer Fehler nichts mehr zu tun.

    Ich möchte in diesem Zusammenhang an den Arzt Duncan MacDougall erinnern, der 1907 schwerstkranke Menschen auf eine Waage gelegt hat, um zu wiegen wie schwer die Seele ist – wenn sie beim Eintritt des Todes den Körper verlässt: 21 g. Messungen die ihm nicht gefielen, ignorierte er.

  65. KRichard 17.02.2022, 12:11 Uhr

    Man könnte „Bewusstsein“ ignorieren.

    Wie Physiker, allen voran Carroll, den „weißen unsichtbaren Elefanten“ (die „Komplexität“) im “Zimmer” ignorieren. Wenn 2 Atome sich völlig anders verhalten können wie 1 Atom, oder 100 oder Milliarden von Atomen….

    Das wird vom Dr. Schleim immer streng gerügt. Aber die Physiker sind großzügig, sie überlassen die „Komplexität“ gerne anderen Wissensgebieten, selbst für die Geisteswissenschaften sollen noch Brosamen übrig bleiben….

    Hätten wir kein Bewusstsein, wir könnten uns in einer sich immer wieder verändernden Umwelt kaum mehr zurechtfinden.

    Sieht man ja, an Menschen deren Bewusstsein z.B. durch Drogen, Alkohol nur eingeschränkt ist.

    Vom Bewusstsein ausgehend wird das neuronale System so gesteuert, dass die Inputmuster mit vorgegebenen (gelernten) Handlungsmuster zur Übereinstimmung gebracht werden. Das ist schwierig, wenn die Umwelt schwankt, oder man alles doppelt sieht….

    Das Grundprinzip des Bewusstsein ist banal. Nebeneinander, untereinander (flächig) und gleichzeitig „abgebildete Zeichen“ (oder auch Signale), im Sand, an den Wänden der Wohnhöhle, oder auf geeigneten Strukturen, ermöglichen die (codierte) Darstellung von Bildern, Zahlen, …. allgemein von Information.

    Mit den Konzepten der Elektronik/Informatik wir Informationsverarbeitung möglich. Die Evolution ist schon lange vor uns auf ähnliche Konzepte „gestoßen“. Man sollte nur danach suchen….

    Je mehr Information auf derartigen „flächigen Strukturen“ abgebildet und verarbeitet werden kann, desto mehr und komplexere Handlungen können gesteuert werden.

    Bei Fischarten reicht sehr wenige Steuerung, sozusagen Maul auf, abwarten bis genug Nahrung im Maul ist, dann Maul zu und schlucken ….

    Wir Menschen haben es halt weiter gebracht als die Fische….

  66. @KRichard 17.02. 12:11

    „Wenn neuronale Aktivitäten einen bestimmten Intensitätswert überschreiten (z.B. EEG Alpha-Wellen > 8 Hz) – dann kann man eine ´bewusste Wahrnehmung´ haben. Diese reicht völlig aus, um sich in der Umwelt zurechtzufinden.
    Eine zusätzliches ´Bewusstsein´ ist nicht erforderlich.“

    Ich verstehe den Unterschied nicht, den Sie zwischen Bewusstsein und bewusster Wahrnehmung machen. Für mich ist Bewusstsein eben die Summe der bewussten Wahrnehmungen. Und die innere Welt als von innen erlebte Welt dasselbe.

    In jedem Fall rekonstruiert unserer Gehirn die aktuelle Außenwelt, und diese Rekonstruktion wird von innen her wahrgenommen und erlebt. Das funktioniert auch mit den Einzelbildern eines Kinofilms, genauso wie mit dem Computerbildschirm, an dem ich gerade diesen Text hier schreibe.

    Ohne diese innere Welt würde ich offenbar in keinster weise funktionieren können, und gleichzeitig hätte mein Leben ohne diese innere Welt keinerlei Sinn und Zweck und auch keinen eigenen Wert.

    Das Gehirn konstruiert schon aus recht groben Fakten eine innere Repräsentation, deshalb funktionieren Filme und Computerbildschirme. Natürlich ist der Film eine Illusion, dass wäre er aber auch, wenn er ein Kontinuum wäre, und nicht aus Einzelbildern zusammengesetzt wäre. Die Einzelbilder reichen halt schon.

    Und in der Tat sind die 36 Bilder pro Sekunde bei Filmen gerade grenzwertig. So hatten in der Anfangszeit der Computer die verwendeten Röhrenbildschirme nur 36 Bilder pro Sekunde, was für den Menschen unterschwellig sehr anstrengend war, wenn er stundenlang davor arbeiten musste. Deshalb hat man die Bildwiederholfrequenz bei Computerbildschirmen auch schnell auf 100 Bilder pro Sekunde erhöht, was dann nicht mehr so anstrengend ist.

  67. @all – Fehlerkorrektur
    Ich habe mit meinem Beitrag vom 15.2.2022 18:53 Uhr eine Forschungsarbeit wegen Mathe-neuronen – im Sinne von Jennifer-Aniston-Neuronen kritisiert.

    Ich muss diese Kritik als ungerechtfertigt zurückziehen!

    Mittlerweile weiß ich etwas mehr: Neben der Aktivität einzener Neuronen zeigten die Forschenden, dass/wie Rechenregeln in ganzen Neuronennetzwerken erkennbar sind – wobei regional unterscheidbar statische bzw. dynamische Codierung erkennbar ist.

  68. Ich habe das so formuliert:
    “Strukturen – wir sprechen von Mustern [2] – werden gebildet, verglichen, aktiviert. Würden wir jede Wahrnehmung einzeln als Muster speichern, wäre die Kapazität des Gehirns schnell erschöpft. Das Gehirn sucht vielmehr Gemeinsamkeiten und reduziert die komplexen Muster. Man kann sich das am besten so vorstellen: Ein Muster, z.B. das eines Baumes, entspricht einem gerasterten Blatt Papier, auf dem in den Kästchen unterschiedliche Zahlen zwischen 1 und 2 stehen. Ein etwas anderer Baum hat die Zahlen zwischen 1,5 und 2,5 und so weiter. Legt man alle Blätter übereinander und addiert die Zahlen vertikal in den Kästchen, ergeben sich unterschiedliche Summen. In diesen summierten Zahlen spiegeln sich die Punkte der Muster aller Bäume wieder. Topologisch dargestellt ergeben sich Berge und Täler. Berge und Täler sind also Reduktionen vieler überlagerter Punkte. Zwar sind alle Berge und Täler miteinander verbunden, aber es kommunizieren nur die Berge miteinander. Die Kommunikation der Berge ist eine andere als die aller Punkte. Natürlich verläuft diese Kommunikation durch die Täler hindurch (wie sollte es auch anders gehen), aber es sind Impulsmuster, die auf äußere und innere Impulse reagieren. Mit den Impulsmustern werden also grobkörnige Eigenschaften verglichen, also die Bergspitzen und wenn nötig ein Stück ‚den Berg hinunter‘ (ähnlich dem Gradientenabstieg [3]). Wir haben also zwei Topologien, die physiologische und eine, die zwar auch physiologisch ist, aber sich in einer Superposition [nicht quantenmechanisch] befindet bzw. ein Supersystem bildet. Beide Topologien sind physiologisch, die obere erscheint psychisch. Die Topologien bilden die Gesamtheit aller Wahrnehmungsreize.
    Es überlagern sich Muster derselben Gegenstandsklasse (z.B. Baum) und bilden eine Topologie, bei der die ‘Berge’ die typischen Merkmale aller Muster beinhalten und die jene Grobkörnigkeit ausmachen, als Differenz zur bloßen Wahrnehmung, die Bewusstsein erst ermöglicht. Bei ‘Bedarf’ kann jedes einzelne Muster im Detail aktiviert werden. Ohne diese Eigenschaft des neuronalen Systems müsste jede Lebenssituation für sich gespeichert werden.
    Dies ist genau die Stelle, an der aus bloßer Wahrnehmung Denken, also Bewusstsein wird, aus chaotischen Reizen geordnete Strukturen werden. Möglicherweise bilden die ‘Berge’ Attraktoren, die ein Mikro-Bereitschaftspotential schaffen, das auf entsprechende Impulsmuster reagiert. Man könnte die ‘Berge’ auch als neuronale Mikro-Hotspots bezeichnen, die miteinander kommunizieren. Mit der Differenz der beiden Topologien entsteht aus einer Zweidimensionalität ein dreidimensionaler Erlebnisraum.
    (dr-stegemann.de)

  69. @Jeckenburger
    1) Wenn neuronale Aktivitäten eine bestimmte Intensitätsschwelle überschreiten und es dadurch zu einer bewussten Wahrnehmung kommt dann ist diese ´bewusste Wahrnehmung´ nur das Ergebnis einfacher Funktionsabläufe. Wir ´sind´ dann nur das Ergebnis/Erleben von neuronalen Aktivitäten über einer Intensitätsschwelle

    2) Ein ´Bewusstsein´ aber beinhaltet eine über die eigene Existenz reflektierende Denkleistung.

    Bei der Unterscheidung ´bewusste Wahrnehmung´ bzw. ´Bewusstsein´ geht es also um grundsätzliche Funktionsmechanismen/-unterschiede.

  70. @KRichard 17.02. 15:15

    „Ein ´Bewusstsein´ aber beinhaltet eine über die eigene Existenz reflektierende Denkleistung.“

    Wenn Sie Bewusstsein so eng fassen, macht das natürlich einen Unterschied.

    Deswegen rede ich auch lieber von innerer Erlebniswelt, die eben alles erfasst, was in meiner eigenen Wahrnehmung auftaucht. Genau dieses scheint mir eine sinnvolle Kategorie zu sein, die man gerne als Einheit auffassen darf. Dass die eigene Existenz Reflektierendes nur hin und wieder darin enthalten ist, heißt aber nicht, dass das Nebensache wäre. Sich richtig in seinem Umfeld zu positionieren ist essenziell, wenn man da klar kommen will.

  71. @Jeckenburger
    Wenn wir beim Ansehen eines Kinofilms Bewegungen ´sehen´ – dann ist diese Wahrnehmung zu 100 % falsch. Das ist ein Verarbeitungsfehler. Und das stört uns nicht.

    Wenn Wissenschaftler das Bewussstein erforschen wollen, dann sollten sie klären, ob ein ´Bewusstsein´ nur das Ergebnis eines Verarbeitungsfehlers ist oder ob es real existiert.

  72. KRichard:

    Wenn neuronale Aktivitäten eine bestimmte Intensitätsschwelle überschreiten und es dadurch zu einer bewussten Wahrnehmung kommt dann ist diese ´bewusste Wahrnehmung´ nur das Ergebnis einfacher Funktionsabläufe. Wir ´sind´ dann nur das Ergebnis/Erleben von neuronalen Aktivitäten über einer Intensitätsschwelle.

    Und dieses Erleben nennt man Bewusstsein.

  73. @ KRichard 18.02.2022, 05:10 Uhr

    Was „richtig“ oder „falsch“ ist, gehört zu „künstliche Kategorien“ unseres Denkens.

    Nur die Naturgesetze wie sie „wirklich“ sind, gelten. Die Evolution hat einfach „zweckmäßige Mechanismen“ genutzt, völlig unabhängig ob etwas in unserer „Denke“ (z.B. über die Naturgesetze) passt oder nicht, es ist ihr sozusagen „wurscht“.

    Die Mathematiker mussten die „Null“ aus ihren Gesetzen (Division) „herausnehmen“, weil es zu absurden Widersprüchen geführt hätte.

    Die Techniker nutzen einfach auch gewisse „Besonderheiten“ der biologischen Informationsverarbeitung um uns eine „scheinbare Welt vorzugaukeln“, z.B. vom Kino bis zum Fernsehen oder Radar….

    Der „vermeintlichen Realität“ kann man höchstens „näherkommen“. Mit Widersprüchen müssen wir einfach leben. C’est la vie ….

  74. Den Begriff “Bewusstsein” halte ich für irreführend, weil er einen monolithischen und ontologischen Hintergrund suggeriert. Ich würde den Ausdruck “Bewusstheit von Etwas” vorziehen, in dem die Funktion und Vielfältigkeit des Bewusstseins zum Ausdruck kommt. Augenscheinlich korrespondiert dieser Ausdruck mit der Intentionalität der Phänomenologie, was keineswegs Zufall ist. Verwandt und strukturgleich damit ist unser heutiges Verständnis von Information. Diese universelle Struktur entspricht der grammatikalischen Struktur des sprachlichen Satzes mit Subjekt, Prädikat, Objekt. Auch in gewöhnlichen Tabellen ist diese Struktur realisiert mit Zeilen, Spalten und Werten. Unsere bewussten Gedanken sind Informationen.

  75. @reutlinger:
    Genau dieser ontologische Hintergrund soll ja ausgedrückt werden durch die Tatsache, dass im Gehirn sich ein sensorisches Theater abspielt. Was man auf der operativen Ebene darstellt, ist dann das Konkrete, das man unter diversen Blickwinkeln beobachten und modellhaft formulieren kann, wie etwa predictive coding als einer unter vielen Aspekten.
    Warum gibt es dieses Theater? Weil diverse Nerven im Gehirn gebündelt werden.
    Offenbar ist das gleichzeitig eine besondere Form der Navigation von Leben in einer Umwelt. Das weiter zu hinterfragen macht übrigens keinen Sinn. Es sei denn, man findet heraus, warum sich in Mehrzellern irgendwann Nerven gebildet haben und nicht irgendwas anderes.

  76. @stegemann
    Es sei denn, man findet heraus, warum sich in Mehrzellern irgendwann Nerven gebildet haben und nicht irgendwas anderes.

    Das ist bereits bekannt. Das Nervensystem ist der notwendige Signaltransformator zwischen Sensorik und Motorik. Das primitive Nervensystem der Meeresschnecke wurde modellhaft von Eric Kandel untersucht. Durch rückkoppelnde Vernetzung wird ein einfaches Gedächtnis mit Verstärkungs- und Abschwächungsmechanismus für Reaktionen realisiert. Im Verlauf der Evolution und Selektion wurde das Nervensystem immer komplexer und vielseitiger. Ein äußerst komplexes und leistungsfähiges Gedächtnis bildet die Grundlage des menschlichen Bewusstseins. Redundanz und Reflexivität spielen dabei eine herausragende Rolle.

    Das Bewusstsein ist nicht nur durch Zufall, sondern besonders in Koevolution mit Körperfunktionen entstanden. Je komplexer ein Organ wird, desto wahrscheinlicher entstehen dabei Epiphänomene, die im weiteren Verlauf neue Funktionen oder Kausalitäten annehmen können (Exaptation).

    So wie es aussieht, ist unser Bewusstsein dabei, sich als Irrtum der Evolution zu erweisen und sich selbst auszulöschen.

  77. Phänomenologische Psychologie

    Zunächst mal besten Dank für den anregenden Beitrag, wenngleich er nach meinem Eindruck schon eine gewisse Übung im Lesen philosophischer Texte erfordert (insbesondere in dem Teil, der dem Abschnitt über die Vereinbarkeit von Naturwissenschaft und Phänomenologie vorausgeht).

    Etwas geholfen hat mir das Lexikon der Psychologie auf Spektrum.de. Wenn ich das also nun richtig verstanden habe, dann geht es bei der phänomenologischen Psychologie insbesondere um die „intentionale Person-Umwelt-Relation” (Spektrum.de). Also im Grunde schlicht um das individuelle zweckgerichtete, absichtsvolle, bewusste Handeln und Verhalten—und wie das am besten untersucht und erforscht werden kann.

    Damit hängt dann wohl auch zusammen, dass sich die „Phänomenologie unmittelbar mit der Frage nach dem Bewusstsein beschäftigt“.

    Im Beitrag wird die Frage gestellt: „Sind Phänomenologie und Naturwissenschaft vereinbar?

    Was mich bei dieser Frage irritiert, ist die dargelegte Unterscheidung zwischen Natur- und Geisteswissenschaften:

    Handelt es sich um einen Unterschied des Gegenstandes? Dann widmen sich Naturwissenschaften den physischen, Geisteswissenschaften den psychischen Phänomenen.

    Nach meinem Verständnis beschäftigen sich die Geisteswissenschaften mit den geistig-kulturellen Produkten der Menschen (Literatur, Sprache, Kunst,…). Die Philosophie wäre somit keine Geisteswissenschaft.

    Womit sich dann auch Frage, ob es ein „methodologischer Unterschied“ sei, quasi erledigt hätte, denn sowohl in den Natur- als auch in den Geisteswissenschaften wird, denke ich, sowohl beschreibend als auch erklärend gearbeitet, mit jeweils adäquaten Methoden und jeweils mit dem Anspruch auf Wissenschaftlichkeit.

    Dass Graumann die Psychologie eine „Erfahrungswissenschaft“ nennt, legt eine andere Deutung der Begriffe Natur und Geist in Zusammenhang mit den Wissenschaften nahe. Nun gut, sei’s drum.

    So ergibt sich die grundsätzliche Antwort auf die Frage, ob die Phänomenologie mit Naturwissenschaft vereinbar ist: Der Begriff der Naturwissenschaft ist selbst voraussetzungsreich und die Phänomenologie hinterfragt diese Voraussetzungen.

    Fein, aber ich frage mich, wie steht es mit den Voraussetzungen der Phänomenologie, wer hinterfragt die? Bewusst erlebte Erscheinungen und Sinnesqualitäten kenne ich nur aus eigener Erfahrung, wie meine Mitmenschen die Welt erleben und erfahren, bleibt mir prinzipiell verschlossen, ich kenne nur deren diesbezüglichen Aussagen.

    Oder darf Phänomenologie heute nicht mehr als eine philosophische Strömung verstanden werden, bei der es (in Teilen um einen voraussetzungslosen Positivismus geht?

  78. Vereinbarkeit von Phänomenologie und Naturwissenschaft

    Mit dieser Vereinbarkeit hatten seinerzeit Wissenschaftler wie Heinrich Hertz (1857-1894) und Ernst Mach (1838-1916) offenbar keine Probleme. Letzterer soll zum Beispiel bezüglich des Phänomens Elektrizität gesagt haben, dass dies nichts anderes ist als „die Summe der Erfahrungen, welche wir auf diesem Gebiet schon gemacht haben und noch zu machen hoffen“.

    Ludwig Boltzmann allerdings meinte in einem Vortrag (1889) dazu:

    Wenn die Phänomenologie glaubte, die Natur darstellen zu können, ohne irgendwie über die Erfahrung hinauszugehen, so halte ich das für eine Illusion.

    Und weiter:

    Keine Gleichung stellt irgendwelche Vorgänge absolut genau dar, jede idealisiert sie, hebt Gemeinsames heraus und sieht von Verschiedenem ab, geht also über die Erfahrung hinaus. Daß dies notwendig ist, wenn wir irgend eine Vorstellung haben wollen, die uns etwas Künftiges vorauszusagen erlaubt, folgt aus der Natur des Denkprozesses selbst, der darin besteht, daß wir zur Erfahrung etwas hinzufügen und ein geistiges Bild schaffen, welches nicht die Erfahrung ist und darum viele Erfahrungen darstellen kann.

    (Ludwig Boltzmann, 1889: Über die Entwicklung der Methoden der theoretischen Physik. In: Hansjochem Autrum (Hrsg.). Von der Naturforschung zur Naturwissenschaft, Vorträge gehalten auf der Versammlung der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte (1822-1958), Springer, 1987)

    In diesem Vortag hat Boltzmann noch etwas Interessantes gesagt, was vielleicht ganz gut hierher passt:

    Maxwell hatte die Hypothese Webers eine reale physikalische Theorie genannt, womit er sagen wollte, daß ihr Autor objektive Wahrheit dafür in Anspruch nahm, seine eigenen Ausführungen dagegen bezeichnete er als bloße Bilder der Erscheinungen. Hieran anknüpfend bringt Hertz den Physikern so recht klar zum Bewußtsein, was wohl die Philosophen schon längst ausgesprochen hatten, daß keine Theorie etwas Objektives, mit der Natur sich wirklich Deckendes sein kann, daß vielmehr jede nur ein geistiges Bild der Erscheinungen ist, das sich zu diesen verhält, wie das Zeichen zum Bezeichneten. Daraus folgt, daß es nicht unsere Aufgabe sein kann, eine absolut richtige Theorie, sondern vielmehr ein möglichst einfaches, die Erscheinung möglichst gut darstellendes Abbild zu finden. Es ist sogar die Möglichkeit zweier ganz verschiedener Theorien denkbar, die beide gleich einfach sind und mit den Erscheinungen gleich gut stimmen, die also, obwohl total verschieden, beide gleich richtig sind. Die Behauptung, eine Theorie sei die einzig richtige, kann nur der Ausdruck unserer subjektiven Überzeugung sein, daß es kein anderes gleich einfaches und gleich gut stimmendes Bild geben könne.

  79. @reutlinger:
    Ich meinte nicht, wie das Nervensystem entstanden ist, sondern warum. Eine rein rhetorische Frage, die nicht zu beantworten ist, um darauf hinzuweisen, dass die Frage, warum wir Bewusstsein haben, ebenso sinnlos ist. Und wer meint, dieses sensorische Gewitter, das selbst im Schlaf Phänomene wie Träume verursacht, existiere nicht, blendet einen Teil der Realität aus. Wem der Begriff Bewusstsein nicht gefällt, nimmt dafür einfach einen anderen, bewegt sich dann aber außerhalb wissenschaftssprachlicher Pfade.

  80. @ Wolfgang Stegemann 19.02.2022, 06:27 Uhr

    Das „Warum und Wie“ erklärt sich eigentlich recht banal. Es geht um das Variieren und womöglich systematische „scannen von Möglichkeiten“ (Stichwort: „Zufallsgeneratoren“).

    Einfach deswegen, weil Prozesse, noch mehr von Information (DNA) gesteuerte Prozesse, die Realisierung der Möglichkeit bieten, „alle“ grundlegend zwischen Atomen (oder „Teilchen“) möglich Variationen der extremen Komplexität (der „unsichtbare Elefant“ im „Zimmer“ der Physiker) zu realisieren.

    „Einzelne“ Wissenschaftler, ich vermute Informatiker, sind ganz grob um ungefähr 1960 davon ausgegangen, dass es „Prozessoren, Prozesse und Information“ gibt. Dieses Konzept ist die Grundlage allen Geschehens.

    Dieses Konzept „riecht“ nach „Pfaffen“ (nach „Dreifaltigkeit“) und ist daher nicht so „prickelnd“ für Wissenschaftler.

  81. @Stegemann
    Das metaphysische Warum bei Phänomenen lässt sich nicht beantworten, das ist wahr. Das “triviale” Warum, oder das Warum des vierjährigen Kindes, hängt dagegen untrennbar über die Naturgesetze mit dem Wie zusammen. Im Bereich der Biologie ist es die Evolution, d.h. Variation und Selektion, die den Zusammenhang herstellt.

    Wir reden gerne von Zufällen im Naturgeschehen. Ist es ein Zufall, bei diesem Sturm von einem Baum tödlich getroffen zu werden? Auch dabei gibt es eine metaphysische und eine triviale Version des Zufalls, die zu unterscheiden sind. Die triviale Form ist abhängig von Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit. Für die metaphysische Form könnte oder müsste man die Quantentheorie bemühen.

  82. @Balanus / 18.02.2022, 18:45 Uhr

    Besten Dank für Deine Recherche und den Hinweis auf den bemerkenswerten Vortrag von Ludwig Boltzmann, der mir noch nicht bekannt war, aber mein Interesse geweckt hat. Dazu nur rasch zwei Anmerkungen.

    Der Vortrag ist auch in Boltzmanns Populären Schriften abgedruckt, wo sich noch entnehmen lässt, dass Boltzmann ihn am Freitag, den 22. September 1899 gehalten hat — nicht 1889, was offenbar ein Typo bei H. Autrum ist.

    Es erscheint mir jedoch fraglich, ob Boltzmann die Bezeichnung `Phänomenologie’ an der zitierten Stelle tatsächlich im Sinne von Husserl gemeint hat, zumal die Physiker da eine eigene begriffliche Tradition entwickelt haben (e.g. phänomenologische Thermodynamik). Ich muss allerdings gestehen, dass ich angesichts der Vielfalt an verschiedenen Bedeutungen, mit denen diese Bezeichnung insgesamt schon verwendet worden ist, absolut keinen Überblick habe, wer jetzt was genau damit gemeint hat.

  83. Liebe Leserinnen und Leser,

    haben Sie vielen Dank für Ihre Kommentare. Ihr reges Interesse hat uns nicht nur außerordentlich gefreut, sondern darüber hinaus noch dazu bewogen in einer Episode unseres Podcastformats “Fipsi: der philosophisch-psychologische Podcast” auf Ihre Fragen einzugehen.
    Fragen und Antworten zum Beitrag der phänomenologischen Psychologie zum Bewusstseinsproblem finden Sie unter folgenden Links:

    YouTube: https://youtu.be/louPtiQNgXY

    Spotify: https://open.spotify.com/episode/4KCQhHGUGS5aMf651Xrzyh

    Selbstverständlich besteht weiterhin die Gelegenheit zum Austausch. Treten Sie gerne mit uns in Kontakt.

    Mit freundlichen Grüßen,

    Hannes Wendler

  84. Aus aktuellen Gründen (Ukraineproblematik) möchte ich noch auf besondere phänomenologisch -psychologische Aspekte im Zusammenhang mit dem Bewusstseinsproblem hinweisen.

    Es geht im Prinzip um den „Wahnaspekt“, (z.B. „Eifersuchtswahn“) wenn zirkulare, neuronal elektrische Prozesse in einzelnen Gehirnbereichen auftreten. Derartige Prozesse können über die Kommunikation (Sprache) auf andere Systeme „koppeln“, sich schnell verbreiten, sich letztlich immer stärker zum „kollektiven Massenwahn“ aufschaukeln.

    Der Eifersuchtswahn koppelt allerdings nicht gleichzeitig auf viele andere Menschen, weil die normalerweise mit anderen „Denkprozessen beschäftigt“ sind.

    Anders, wenn aber z.B. Kriegsgefahr mit „Massensterben“ droht, dann haben viele Menschen „gleichartige Gedanken“ und die können sich, leicht variierend, gegenseitig immer stärker und absurder „aufschaukeln“ was zu starken, völlig irrationalen Handlungen führen kann.

    Damit erklärt sich das absurde Phänomen, warum eine Kette aus „Handlungen und Sanktionen“, letzteres auch damit vergleichbar, sich selber mit dem Hammer auf den Kopf zu schlagen, mit einem verhängnisvollen schrecklichen „Knall“ enden kann…. (Wenn man, z.B. was man immer als „tabu“ ausgeschlossen hat (Waffenlieferungen), im „wahnhaften Taumel“ doch noch „realisiert“).

    „Zirkulare Prozesse“ sind Phänomene die in der Physik, besonders aber auch in der Nachrichtentechnik, im Zusammenhang mit „Resonanzeffekten“ auftreten. Dabei kommt es, mathematisch gesehen, zu „Polstellen“ bei der z.B. sehr große (allenfalls zerstörerische) Kraftwirkungen, oder auch „hohe“ elektrische Potentiale auftreten.

    Beispiele wären Wirbelstürme, Monsterwellen, Erdbeben, und eben in der Radiotechnik, wenn winzige elektrische Signale im Resonanzfall im Radio derart „überhöht“ werden, dass sie nach weiterer „Verstärkung“ empfangen werden können.

  85. @ Hannes Wendler – 23.02.

    Ich habe mir das YouTube-Video angehört/-schaut und musste dabei (subjektiv geprägt natürlich) wiederholt an den theravāda-buddhistischen Begriff Paṭiccasamuppāda (Bedingte Entstehung; Kausalnexus) denken. Da geht es (u.a. – Glied 3) auch um das Bewusstsein. Hier der gesamte P.:

    Bedingt durch Unwissenheit sind Gestaltungen; bedingt durch Gestaltungen ist Bewusstsein; bedingt durch Bewusstsein ist Name-und-Form; bedingt durch Name-und-Form ist die sechsfache Sinnesgrundlage; bedingt durch die sechsfache Sinnesgrundlage ist Kontakt; bedingt durch Kontakt ist Gefühl; bedingt durch Gefühl ist Begehren; bedingt durch Begehren ist Anhaften, bedingt durch Anhaften ist Werden; bedingt durch Werden ist Geburt; bedingt durch Geburt ist Altern und Tod, Sorge, Klagen, Schmerz, Trauer und Verzweiflung.

    Name und Form sind das Geistige und Körperliche, wobei Geistigkeit hier 1 Empfindung (Gefühl), 2 Vorstellung (Wahrnehmung), 3 Absicht/Intention, 4 Berührung (Kontakt) und 5 Erwägung (Ideen) meint. Und Körperlichkeit die durch die vier groben Elemente (Erde, Wasser, Feuer, Luft) bedingten Formen/Dinge. Zu Kontakt ist zu erläutern, dass er das Zusammentreffen von Auge, Sehobjekt und Sehbewusstsein meint – wobei Sehbewusstsein nicht Bewusstsein i.S.v. nachdenken (höheres Bewusstsein) über das Gesehene ist, sondern nur das rein objektive (erste, kurze, unreflektierende) Bewusstsein etwas gesehen zu haben. Entsprechend gibt es noch Hör-, Riech-, Schmeck-, Tast-/Berührungs- und Denkbewusstsein. Wobei Denkbewusstsein das Zusammentreffen/der Kontakt des jeweiligen Bewusstseins der anderen 5 Sinnesorgane (bzw. ihren jeweiligen Objekten) in/mit dem Denkorgan ist. Infolgedessen dann das eigentliche [hier spezifisch menschliche (höhere)] Bewusstsein/Denken zustande kommt.

    Wozu anzumerken ist, dass dieses (wenn auch höhere) Bewusstsein (gemäß buddhistischer Ansicht) aber falsch sein kann. Meint: Wir die Dinge (und _mehr_ als wir vermeinen) nicht so “sehen“ wie sie wirklich sind. Was seine Ursache im Nichtwissen (Glied 1 des Paṭiccasamuppāda) hat. Das aber wiederum auch einen Grund/Kontext hat = die weltlichen/natürlichen Einströmungen/-flüsse. Wobei diese aber nicht alle schlecht (budd. Begriff unheilsam) sind (zu falschem Wissen führen). Etwa derart, dass durch sie unsere Intelligenz/Neugierde angeregt wird, was ja durchaus auch nützliche/kluge Erkenntnisse und “Gestaltungen“ (Glied 3) zur Folge haben kann (z.B. auf gehirnanalytischem oder philosophisch-psychologischem Gebiet – od. technischem, medizinischem). Insofern das Leben (“die menschliche Existenzform“) nicht nur Leiden enthält (siehe das letzte Glied des P.), sondern auch positive Aspekte/Phänomene.

    Das Bewusstsein konstituiert sich mittels einzelner Bausteine/Faktoren (den, sozusagen, “Zustandsquanten“). U.a. z.B. Interesse/Aufmerken, Wille, Aufgeregtheit, diskursives Denken, Dünkel, Gefühle (i.S.v. Gemütszuständen), Zorn, Begehren, Liebe, Achtsamkeit – usw. usf.

    Mit freundlichen Grüßen – A. Krüger

  86. @Krüger: Es gab im 19. Jahrhundert eine erste Welle in Europa, in der sich Intellektuelle intensiver mit indischer Philosophie (einschließlich Buddhismus) auseinandersetzten; wäre eine interessante Frage, inwiefern das das Entstehen der Phänomenologie beeinflusste.

    Es gab durchaus aber auch im “Abendland” eine kontemplativ-meditative bzw. mystische Tradition, die allerdings bisweilen von den Kirchen verfolgt wurde und es darum nie in den Mainstream schaffte (z.B. Meister Eckhart). Aber wenn man lange genug zurückschaut, verschwimmen sowieso die Grenzen zwischen Ost und West (Wozu Meditation und Achtsamkeit? Und wozu nicht?).

  87. Nachtrag zu meinem posting v. 26.2.:

    Den paṭiccasamuppāda wollte ich eigtl. so bzw. übersichtlicher schreiben (nicht gut übrigens, dass die Vorschaufunktion offenbar nur bei aktuellen threads möglich ist):

    Bedingt durch 1 Unwissenheit sind 2 Gestaltungen;
    bedingt durch Gestaltungen ist 3 Bewusstsein;
    bedingt durch Bewusstsein ist 4 Name-und-Form;
    bedingt durch Name-und-Form ist die 5 sechsfache Sinnesgrundlage;
    bedingt durch die sechsfache Sinnesgrundlage ist 6 Kontakt;
    bedingt durch Kontakt ist 7 Gefühl;
    bedingt durch Gefühl ist 8 Begehren;
    bedingt durch Begehren ist 9 Anhaften,
    bedingt durch Anhaften ist 10 Werden;
    bedingt durch Werden ist 11 Geburt;
    bedingt durch Geburt ist 12 Altern und Tod, Sorge, Klagen, Schmerz, Trauer und Verzweiflung.

    Und – so ist das nun mal im Buddhismus – nach Glied 12 geht es dann (kurz gesagt) wieder “von vorne“ los bzw. weiter (Weitergeburt; “Metempsychose“). Obwohl es im Buddhismus ja keine ewige Seele (altgr. psychē) gibt. Was sich in Nirvana verwirklicht ist insofern eine schwierige Frage.

    Ursache für die Weitergeburt ist eben das Nichtwissen (Glied 1). Oder, anders (ebenfalls kurz) formuliert, die Energie vergangener Taten bzw. falscher Ansichten (die ja zu falschem Verhalten führen). Was nach buddhistischer Ansicht richtiges Verhalten ist, ist ebenfalls (wie Nirvana) ein schwieriges Thema. Andererseits gibt es natürlich klare Definitionen von was richtig/heilsam bzw. falsch/unheilsam ist, aber darüber kann man eben (menschlich-verständlicher/natürlicherweise) – je nach den jeweiligen Um- und Zuständen bzw. eben dem Wissen bzw. Nichtwissen – unterschiedlicher/relativer Ansicht sein.

    Auch muss das alles ja gar nicht so (“dogmatisch“) stimmen. Ich finde jedoch, dass es so zu sehen (Oberbegriff Karma) durchaus gute Wirkungen haben kann (esoterische “Blüten“ hin bzw. her). Man sieht die Welt mit anderen Augen bzw. “assoziiert“ das Gesehene anders. Achtet mehr auf sein Denken bzw. Verhalten (und das anderer Wesen) – was, zugegebenermaßen, auch zu Konflikten (Zweifeln, mentalen Befindlichkeiten) führen kann.

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