Warum die Hirnforschung die Psychologie braucht

Rätsel Bewusstsein, Gedankenlesen, Gehirnschreibmaschine – was kann die Hirnforschung hier leisten? Kommt sie ohne Psychologie und Philosophie aus oder setzt sie sie umgekehrt zwingend voraus?

Wie Bewusstsein entsteht, wie unser Wahrnehmen, Denken und Fühlen funktioniert, wie wir Entscheidungen treffen und was unser Verhalten bestimmt – all das sind Fragen, die Forscherinnen und Forscher rund um den Globus beschäftigen. Regelmäßig melden sich auch Fachleute aus der Philosophie zu Wort. Manchen gilt die Entstehung des Bewusstseins gar als eines der größten ungelösten Rätsel der Menschheit.

Diese Fragen sind aber nicht nur im rein wissenschaftlichen Sinn von Bedeutung. Tatsächlich geht es auch um unmittelbar lebensrelevante Themen: Wie organisieren wir unser gesellschaftliches Miteinander? Wie unsere Arbeit? Wie müssen Verhaltensregeln – denken Sie an die Pandemie oder den Klimaschutz – gestaltet sein, damit sie funktionieren?

Gemäß dem Reduktionismus funktioniert Wissenschaft so, dass sie allgemeine Erklärungen auf grundlegendere Prinzipien zurückführt (Reduktionismus und die Erklärung von Alltagsphänomenen). Demnach würde es irgendwann eine Weltformel geben, eine “Theorie für Alles”, die jeden nur denkbaren Sachverhalt erklärt. Manche halten dann die Physik für die grundlegendste aller Wissenschaften, erwarten also von ihr letztlich diese Weltformel.

Bei den hier genannten Beispielen aus dem Bereich des Bewusstseins, Denkens und so weiter wurden spätestens seit der “Dekade des Gehirns” (den 1990ern) und in Deutschland dem “Manifest führender Hirnforscher” aus dem Jahr 2004 die Erklärungsansprüche der Neurowissenschaften hervorgehoben.

Dieses Manifest wird bald 20 Jahre alt. Die damals formulierten Erklärungsansprüche – beispielsweise zur nahtlosen Erklärung des Bewusstseins oder Entwicklung besserer Behandlungen für psychische Störungen – wurden bekanntermaßen nicht erfüllt.

Neurotraum und Neurotechnologie

Aber auch bei konkreteren technischen Anwendungen, denken wir an den Bereich des “Gedankenlesens”, hat sich nicht viel getan. Von dem Enthusiasmus, mithilfe der Hirnforschung unschlagbare Lügendetektoren zu entwickeln, ist wenig übrig geblieben.

Der “Chef-Gedankenleser” John-Dylan Haynes von der Humboldt-Universität in Berlin veröffentlichte dazu erst letztes Jahr ein Buch und zog das Fazit, dass sich solche Anwendungen noch in einem sehr frühen Stadium befinden (Hirnforschers Traum vom Gedankenlesen). So früh sogar, dass sich die Anwendungsreife nicht einmal sinnvoll beurteilen lasse.

Hier soll aber nicht unter den Tisch fallen, dass es in bestimmten Bereichen durchaus große Fortschritte gibt. Denken wir etwa an Gehirn-Computer-Schnittstellen. Diese erlauben manchen gelähmten Patienten die Kommunikation mit Anderen. Ähnliche Systeme könnten in naher Zukunft die Steuerung von Prothesen verbessern. (Siehe hier ein Forschungsprojekt von Gernot Müller-Putz vom Institut für Neurotechnologie der TU Graz.)

Bei solchen Verfahren sollte man aber nicht den Eindruck erwecken, es handle sich um “Gehirnschreibmaschinen”. Oft muss der Mensch sich vorstellen, eine bestimmte Bewegung durchzuführen, etwa Öffnen und Schließen der Hand. Ein Computeralgorithmus lernt dann, die damit verbundenen Gehirnaktivierungen in einem bestimmten Sinne zu interpretieren: etwa als Knopfdruck.

Die “Sprache der Neuronen”, so es sie denn gibt, hat also noch niemand verstanden. Um Laien einen Eindruck zu vermitteln, wie das funktioniert, sei hier ein konkretes Beispiel genannt:

In der Studie von Mariska Vansteensel und Kollegen von der Universitätsklinik Utrecht bekam eine wegen der schweren Muskelkrankheit amyotrophe Lateralsklerose (ALS) in ihrem Körper gefangene Patientin Elektroden direkt auf die Gehirnoberfläche gelegt. Dafür musste ein kleines Loch in ihren Schädel gebohrt werden. Dann ist die Qualität der Messungen aber viel besser als mit der herkömmlichen Elektroenzephalographie (EEG), die die Signale auf der Kopfhaut aufzeichnet.

Die Patientin lernte nach der Operation 38 Wochen lang mit einem Computer, damit bestimmte Aufgaben auszuführen. Um einen “Brain Click” zu signalisieren, sollte sie sich beispielsweise eine Sekunde lang vorstellen, ihre Hand zu bewegen.

Im Endeffekt konnte sie dann mit einer Geschwindigkeit von 52 Sekunden pro Zeichen Wörter buchstabieren. Wenn man den Buchstabieralgorithmus verbesserte, wie wir es von unseren Smartphones kennen, konnte man die Rate auf 33 Sekunden pro Zeichen verbessern.

Die Studie ist nun zugegebenermaßen aus dem Jahr 2016, hat also schon ein paar Jahre auf dem Buckel. Solche Details muss man aber wissen, um die Anwendbarkeit einer Technologie zu verstehen.

Die Patientin verwendete übrigens vorzugsweise ein System, das ihre Augenbewegungen erkannte. Doch das funktioniert nicht unter allen Lichterverhältnissen. Daher der alternative Versuch mit der “Gehirnschreibmaschine”.

Gehirn als Denkorgan

Das Gehirn wird nun gemeinhin als “Denkorgan” angesehen. Schon im 19. Jahrhundert zogen Physiologen den Vergleich, wie Nieren den Urin, so würde das Gehirn die Gedanken erzeugen. Doch was nutzt uns dieses Bild, wenn man so nicht Bewusstsein oder den Menschen erklären kann? Und: Was heißt das überhaupt?

In den Kognitionswissenschaften spricht sich gerade herum, Kognition (als Oberbegriff für: Wahrnehmen, Denken, Fühlen, Entscheiden…) müsse gemäß dem 4E-Ansatz erforscht werden. Das steht für verkörpert (embodied), eingebettet (embedded; manchmal auch: situiert), in Interaktion mit der Welt (enacted) und erweitert (extended). 2018 erschien hierzu ein neues Lehrbuch unter Mitwirkung des Bochumer Philosophieprofessors Albert Newen.

Denken ist bunt! An Stelle des bei solchen Beiträgen üblichen Gehirnbildchens. Lizenz: geralt/Pixabay.

Gemeint ist damit, dass wir nun einmal keine reinen Gehirne sind, die in einer Nährlösung schwimmen. Wir haben einen ganzen Körper, in einer bestimmten Situation für eine bestimmte Interaktion. Mit dem “erweiterten Geist” (extended mind) meint man, dass auch Werkzeuge Teil unseres kognitiven Systems sind.

Letzteres kommt auch Cyborg-Fans und Biohackern entgegen, die allerlei Chips mit uns verschmelzen lassen wollen. Man braucht aber nur an sein Smartphone zu denken: Seit beispielsweise die Zugverbindungen auf einen Blick und in Echtzeit abrufbar sind, kann ich mir die Abfahrtszeiten kaum noch merken; und wie man sich ohne Maps in einer fremden Stadt orientierte, kann ich mir kaum noch vorstellen.

Es geht hier nun nicht darum, ob das gut oder schlecht für einen Menschen ist. Übrigens war der alte Philosoph Sokrates vor rund 2.500 Jahren sogar ein Kritiker der Schriftsprache, weil er fürchtete, dass unsere Gedächtnisfähigkeiten darunter leiden. Was hätte er wohl von Online-Suchmaschinen und -Enzyklopädien gehalten?

Phänomenologie

Aus historischer Sicht kann man sich über 4E übrigens wundern: Schließlich reflektiert dies schlicht Grundannahmen, die schon vor 100 Jahren für die Phänomenologen selbstverständlich waren. Mit Formulierungen wie “In-der-Welt-Sein” oder dem “Leib” (als erfahrender Körper) gegenüber dem Körper als materielles Ding haben sie dies bereits ausgedrückt.

Solche deutschen (manchmal auch französischen) Wörter und Wendungen werden übrigens heute noch in englischen Fachaufsätzen verwendet, weil man sie nicht eins-zu-eins übersetzen kann. Oder um es einmal anders zu sagen: Um das “neue” 4E für innovativ zu halten, musste man erst einmal vergessen, was Phänomenologen schon lange wussten.

Wie der Name dieser Schule schon andeutet, halten Phänomenologen (man denke an Edmund Husserl oder Maurice Merleau-Ponty) die Phänomene, das, was uns erscheint, für grundlegend. Im Grunde sind auch die Ergebnisse eines physikalischen Teilchenbeschleunigers, die ein Physiker auf einem Computerbildschirm abliest, diesem erst einmal nur als Erscheinungen gegeben.

Ein Physiker könnte seine Methode damit verteidigen, dass die Messung von ihm unabhängig durchgeführt wird, durch das Instrument; und dass andere Physiker dieselben Messungen wiederholen und dann idealerweise auch dieselben oder ähnliche Ergebnisse erhalten. Das sei das entscheidende objektive – oder besser: intersubjektive – Element der Wissenschaft.

Und diesem – im 19. und 20. Jahrhundert sehr erfolgreichen – Weg folgte auch die Psychologie. Hier hat sich vor rund 100 Jahren der Behaviorismus durchgesetzt mit seiner Annahme, dass nur das, was sich objektivieren lässt, einen wirklichen Platz in der Wissenschaft verdient.

Demnach sollte sich die “Seelenlehre” – wörtlich für “Psychologie” – mit dem Verhalten von Menschen und Tieren beschäftigen und nicht mit etwas Subjektiven wie Erscheinungen oder Bewusstsein. Also Seelenleere statt Seelenlehre?

In dieser starken Form rückte man später zwar wieder vom Behaviorismus ab – doch bis heute halten sich in Psychologie (und Psychiatrie) viele Vorurteile, nur das, was sich “objektiv” nachweisen lasse, sei real. Dementsprechend sind bis heute die quantitativen Verfahren, das nie aufhörende Messen, Zählen und statistische Rechnen, die dominanten Methoden.

Subjektivität

Doch lässt sich damit wirklich das Wesen der psychologischen Vorgänge verstehen? Lässt sich Bewusstsein entschlüsseln? Philosophen sprechen von der Subjektivität des Bewusstseins und meinen damit, dass sich manche seiner Eigenschaften nur vom Bewusstsein selbst erkennen lassen.

Und man kann sich umgekehrt fragen, was es wirklich erklärt, wenn man die neuronalen Mechanismen findet, aus denen Bewusstseinsvorgänge hervorgehen. Hirnforscher und Vertreter anderer Disziplinen suchen bereits seit Jahrzehnten nach dem sogenannten neuronalen Korrelat des Bewusstseins.

Stellen wir uns einmal vor, Außerirdische mit einem Superscanner kämen auf die Erde und begegneten dort einem Menschen. Mit ihrem Scanner könnten sie den Zustand von jedem Molekül, Atom, jeder elektrischen Ladung des Gehirns dieses Menschen im Bruchteil einer Sekunde auslesen und dann vollständig in einem Supercomputer simulieren.

Würden sie auf ihrem Computerbildschirm “sehen”, was für Erlebnisse dieser Mensch hat? Würden sie dadurch überhaupt irgendetwas Wesentliches über Erlebnisse erfahren? Würde gar die Computersimulation ein Bewusstseinserlebnis haben, nämlich dasselbe des Originals?

Überraschenderweise schrieb ausgerechnet Christoph Koch, einer der bekanntesten Jäger nach dem neuronalen Korrelat des Bewusstseins, Bewusstsein lasse sich nicht berechnen: Ebenso wenig wie die Simulation eines Schwarzen Lochs keine Gravitationskraft hätte, hätte die Simulation eines Gehirns Bewusstseinserlebnisse.

Welche “Zutat” fehlt dann aber fürs Bewusstsein, was tun die Neuronen und anderen Zellen des Nervensystems anderes als Information in Form von elektrischen Reizen zu verarbeiten? Kann Bewusstsein vielleicht doch nur subjektiv, nur aus der Perspektive der ersten Person, die die Bewusstseinserlebnisse hat, verstanden werden?

So weit geht Koch allerdings nicht. Doch meint er, Bewusstsein müsse in die Struktur des Systems eingebaut sein – also seinen Körper? Demnach könne es keine bewussten Computersimulationen, dafür eines Tages aber bewusste Roboter geben.

Bewusstseinsverwirrung

Dazu kommt auch noch, dass in der Forschungswelt alles andere als klar ist, was mit “Bewusstsein” überhaupt gemeint ist. Koch und andere zielen auf den Erlebnisgehalt ab und vermuten die dafür notwendigen neuronalen Strukturen gar nicht im großen Frontallappen unseres Gehirns, auf den wir Menschen so stolz sind, sondern eher im hinteren Teil der Großhirnrinde.

Andere Forscherinnen und Forscher, die Bewusstsein eher als Informationsverarbeitung und Verfügbarmachen von Information für das ganze System auffassen – beispielsweise gemäß der Global Neural Workspace Theory –, finden dann aber doch konsistent Aktivierungsmuster im Frontalhirn. Das neuronale Korrelat hängt also entscheidend davon ab, wie man Bewusstsein versteht und wie man es misst.

Insofern lässt sich die subjektive Komponente nicht aus der Wissenschaft eliminieren. Und das, wo sie doch so objektiv sein will! Vielleicht hat es dann aber gar keinen Sinn, ein Phänomen wie Bewusstsein erforschen zu wollen, wenn man seine entscheidenden Eigenschaften von vorneherein ausschließt.

In diesem Sinne geht auch der 4E-Ansatz nicht weit genug. Zwar braucht man eine holistischere Vorgehensweise, um Kognition zu verstehen. Eine, die Verkörperung, Verhalten und Umwelt miteinschließt.

Und für die subjektive Komponente braucht man eine Methodik, die subjektiven Sachverhalten gerecht wird. Genau das versucht die Phänomenologie. Francisco Varela, Evan Thomson und Eleanor Rosch haben schon in den 1990ern vorgeschlagen, mit einer “Neurophänomenologie” eine Brücke zwischen den Welten zu bauen.

Komplexität

Theorien sollen zwar so einfach wie möglich, also mit so wenig Annahmen und Entitäten wie möglich auskommen; sie nutzen uns aber auch nichts, wenn sie zu einfach sind. Daher müssen sie auch so komplex wie nötig sein.

Hierin bestünde ein echter Schritt nach vorne: anzuerkennen, dass man Menschen eben nicht mit denselben Methoden verstehen kann, mit denen man Elementarteilchen beschreibt. Neben dem angemessenen methodischen Pluralismus kommt dann auch noch die nötige begriffliche Reflexion hinzu.

Hirnforscher können sich nun ewig streiten, ob “das” neuronale Korrelat des Bewusstseins eher im vorderen oder hinteren Teil der Großhirnrinde zu finden ist. Wenn sie verstehen, dass sie den Begriff “Bewusstsein” unterschiedlich verwenden, dann löst sich der Widerspruch auf.

So wird deutlich, dass die Hirnforschung Psychologie oder Philosophie weder ablösen noch ersetzen kann. Umgekehrt setzt das Verständnis neurowissenschaflicher Daten voraus, dass man weiß, was so ein Gehirn, so ein Nervensystem, so ein Körper in einer bestimmten Umwelt tut (Gehirnscanner oder Verhalten?).

Man kann natürlich Vorgänge des Nervensystems so beschreiben, wie man beispielsweise Wetterphänomene beschreibt: rein deskriptiv als Zustände, als Veränderungen und als Wenn-dann-Beziehungen. So wird man aber nicht verstehen, was der Mensch ist oder was es mit seinen Bewusstseinserlebnissen auf sich hat.

In einer neueren Überblicksarbeit beschreiben der Neurowissenschaftler Camilo Signorelli vom Institut für Informatik der Oxford Universität und Kollegen nun schon über 20 Ansätze zum Verständnis von Bewusstsein. Verstehen wir das Phänomen aber desto besser, je mehr Ansätze und Theorien es zu seiner Beschreibung gibt? Oder müssen wir nicht doch erst auf der Ebene der Erscheinungen und Sprache gründlich arbeiten, wie es die Phänomenologen versuchten?

In einem rund zweistündigen Gespräch mit Hannes Wendler und Alexander Wendt von der Universität Heidelberg haben wir dem Zusammenhang von Sprache, Psychologie und Hirnforschung auf den Zahn gefühlt. Interessierte können es sich im Podcast der Arbeitsgruppe Philosophie & Psychologie auf YouTube oder Spotify anhören.

Hinweis: Dieser Beitrag erscheint auch auf Telepolis. Titelgrafik: geralt auf Pixabay.

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Die Diskussionen hier sind frei und werden grundsätzlich nicht moderiert. Gehen Sie respektvoll miteinander um, orientieren Sie sich am Thema der Blogbeiträge und vermeiden Sie Wiederholungen oder Monologe. Bei Zuwiderhandlung können Kommentare gekürzt, gelöscht und/oder die Diskussion gesperrt werden. Nähere Details finden Sie in "Über das Blog". Stephan Schleim ist studierter Philosoph und promovierter Kognitionswissenschaftler. Seit 2009 ist er an der Universität Groningen in den Niederlanden tätig, zurzeit als Assoziierter Professor für Theorie und Geschichte der Psychologie.

335 Kommentare

  1. Wissenschaft aus der Erste-Person-Perspektive ist nicht möglich. Warum nicht? Weil Wissenschaft immer eine Subjekt (Wissenschaftler) – Objekt (Gegenstand der Forschung) – Beziehung braucht. Ansonsten würde man sich auf der Ebene “ich habe das Gefühl, dass …” bewegen. M.a.W. kann man das Gehirn nur ‘von außen’ beschreiben. Und das schließt die Qualia als subjektives Empfinden als wissenschaftlichen Gegenstand aus. Es sei denn, man versucht, Qualia dahingehend zu objektivieren, dass man statistische Korrelationen zu persönlichen Empfindungsäußerungen herstellt, dann aber ist sie wieder ‘objektiv’.
    Lässt man also die subjektive Seite einmal weg, dann kann man die Entstehung von Bewusstsein z.B. phylogenetisch oder informationstheoretisch erklären. Eine derartige Erklärung hat dann den Vorteil, zum einen aus der reduktionistischen Falle herauszukommen (“das Bewusstsein sitzt da und dort”) sowie sich nicht mit beliebiger philosophischer Begriffsakrobatik herumschlagen zu müssen, die in der Regel eher verwirrt. Und: man sollte mal nachdenken, ob es nicht Sinn machen würde, von einer Naturwissenschaft der unbelebten (Physik und anorganische Chemie) sowie der belebten Materie (organische Chemie und Biologie) zu sprechen. Man würde dann das Hirn nicht bloß auf Physik reduzieren, denn dieses arbeitet nach den Regeln des Lebendigen, das in Teilen anderen Kausalitäten folgt.

  2. ” Und: man sollte mal nachdenken, ob es nicht Sinn machen würde, von einer Naturwissenschaft der unbelebten (Physik und anorganische Chemie) sowie der belebten Materie (organische Chemie und Biologie) zu sprechen. ”

    Nein, das sollte man nicht. Mit Verlaub, aber das ist Unsinn, weil eben das Verhalten der Bauteile, also der Atome, immer gleich ist. Es gibt keine Naturgesetze speziell für “belebte” Materie. Was unter dem schwammigen Begriff “Regeln des Lebendigen” zu verstehen ist bleibt mir schleierhaft, ebenso was “andere Kausalitäten” sein sollen. Die Kohlenstoffatome in der DNA und der mRNA verhalten sich genau so wie die im CO2 und Kalkstein und sind daher austauschbar.

  3. @Stegemann: Widerspruch

    Bin ich der einzige, der findet, dass Sie sich hier in einen performativen Selbstwiderspruch verheddern?

    Aus welcher Perspektive kam denn Ihr Kommentar, wenn nicht aus der ersten?

    Dann müsste es Ihrer Meinung nach doch so lauten: “Ich habe das Gefühl, dass Wissenschaft aus der Erste-Person-Perspektive nicht möglich ist.”

    Wenn das nur ihr Gefühl ist, müssen wir das für objektive wissenschaftliche Erkenntnis nicht ernst nehmen, oder?

    Und mit wem sprechen Sie hier dann eigentlich, wenn nicht mit einer Zweite-Person-Perspektive?

  4. @Physiker: Emergenz

    Das überrascht mich jetzt doch etwas:

    Das “Verhalten” eines Atoms/Moleküls ist doch immer von seinen “Beziehungen” zu anderen Atomen/Molekülen geprägt – und so entstehen wahrscheinlich emergente Phänomene in einem unschuldigen Sinn. (Mit anderen Worten: Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile, nämlich die Summe seiner Teile und der Relationen der Teile zueinander.)

    Dass ich die Redeweise von “den Naturgesetzen” für problematisch halte, ist Ihnen inzwischen wahrscheinlich bekannt. Es handelt sich eher um Naturgeschichte, die das menschliche Denken in mathematische Formeln gießt. Und was wirkt im Grunde? Vielleicht Naturkräfte?

  5. Stegemann: Lesen Sie mal Klaus Holzkamp. Er hat seit den frühen 1980er Jahren konsequent eine Wissenschaft vom Standpunkt des Subjekts entwickelt – als marxistischer Materialist. Methodisch komprimiert bei Markard “Methodik subjektwissenschaftlicher Forschung”.

  6. @Schleim:
    Präziser formuliert: alle Atome und insbesondere für diese Fragestellung, alle Kohlenstoffatome im uns bekannten Universum sind exakt identisch: sowohl die in Lebewesen als auch die gerade von roten Riesensternen als Staub ins All gepustet werden. Die Wechselwirkungen mit anderen Atomen, und wenn eingebaut in Moleküle, mit anderen Molekülen, sind ebenfalls für alle diese Kohlenstoffatome exakt identisch. Es gibt also keinen Unterschied zwischen den Bausteinen der Materie in Lebewesen und der außerhalb von Lebewesen. In Lebewesen sind eben nur andere und komplexere Moleküle vorhanden, die dann – Emergenz – auch andere Funktionen erfüllen können. Also sind diese Moleküle nur sozusagen andere Werkzeuge. Die fundamentalen Eigenschaften und auch die fundamentalen Wechselwirkungen sind jedoch gleich. Das ist eben die Eleganz der Reduktion auf wenige Bauteile (Elemente) und wenige Wechselwirkungen: man kommt auf der untersten Beschreibungsebene mit der minimalen Zahl von Konzepten aus. Das ändert sich erst mit zunehmender Komplexität der Moleküle.

  7. @Physiker: Reduktion

    Aber auch wenn das alles aus Kohlestoff- oder anderen Atomen aufgebaut ist (die ihrerseits aus subatomaren Partikeln bestehen, die ihrerseits… Energie… Information? ……… sind?), dann nutzt mir diese “Eleganz der Reduktion” aber doch nichts, wenn ich z.B. erklären will, warum

    (1) die mRNA-Impfstoffe von Biontech/Pfizer oder AstraZeneca einen rund 95-prozentigen Schutz gegen schwere Krankheitsverläufe beim Coronavirus erzeugen; oder

    (2) Marktteilenhmer auf einmal glauben, die amerikanische Notenbank Fed könne morgen oder am Montag in einer Notfallsitzung den Leitzins anheben, und darum die Börsen gegen Handelsschluss ordentlich nachgegeben haben (nachdem wir gestern einen prima Handelstag hatten).

    Um nur mal zwei willkürliche Beispiele zu nennen; und im Zusammenhang mit dem Blogartikel: Erklärungen sollen so einfach wie möglich – aber auch so komplex wie nötig sein.

  8. @Schleim:

    Da sind Sie ja mehrere Abstraktionsebenen über der Basis unterwegs. Allerdings basiert die Forschung an den mRNA Impfstoffen eben auf einer der eleganten Reduktionen, auf der der Chemie natürlich.
    Börsen hingegen sind eine Welt für sich, da mischt sich meiner Meinung nach Rationalität und Irrationalität völlig untrennbar.

  9. @Physiker: Abstraktionsebenen

    Wenn Sie mir hier ein paar Nachfragen erlauben; aus reinem Interesse, nicht, um Sie zu ärgern:

    1) Was ist denn überhaupt die Basis; und wie sicher wissen wir, dass es sich dabei wirklich um die Basis (d.h. die grundlegendste/fundamentale Ebene der Realität) handelt?

    2) Was sind denn Abstraktionsebenen, rein physikalisch gesehen? Oder ist das eher eine Metapher?

    3) mRNA: Kann schon sein, dass es dafür chemische Formeln gibt; aber für einen Impfstoff in einem individuellen Organismus, der gegen ein sich ständig mutierendes Virus helfen soll, kann ich mir schwerlich vorstellen, dass hier eine präze – beziehungsweise Sie sagen: elegante – Formel vorhanden wäre. Man sollte auch die individuelle Unsicherheit der Impfreaktion berücksichtigen, die sich ja nur für Gruppen berechnen lässt. (Erinnert mich an angeblichen Quantenindeterminismus mit Wahrscheinlichkeitsverteilungen.)

    4) Börsen: Abstraktion hin oder her – es handelt sich um konkrete Vorgänge in der Welt mit konkreten Folgen (z.B. finanziellen Verlusten; Panik). “Wirklich ist, was wirkt.”

    Kurzum, alles zusammenfassend:

    5a) Selbst wenn alles im Grunde nur aus Entitäten der fundamentalen physikalischen Ebene besteht (ontologisch), 5b) können wir das sicher wissen (epistemisch) und 5c) auch so beschreiben (epistemisch)? 5d) Können wir das überhaupt sicher wissen, ohne es so beschreiben zu können (epistemisch)?

    6) Und ist es in irgendeiner Weise realistisch, davon auszugehen, dass sich solche Sachverhalte auf der fundamentalen Ebene hinreichend erklären lassen (epistemisch)? (Man bedenke, dass Erklärungen oft normativen/instrumentellen Charakter haben: Was will jemand erklären bzw. erklärt haben?)

    Analog zu den Gedanken meines Blogposts scheint es doch so zu sein, dass wir 7a) pluralistische Ansätze brauchen, um die Komplexität der Welt zu fassen und 7b) die tiefere Bedeutung der Vorgänge auf der fundamentalen Ebene gar nicht fassen können. 7c) Nebenbei: Was bleibt dann von “eleganten Reduktionen”?

    Oder mal einfach gesagt: Wenn ich jetzt meinen Laptop zusammenklappe, dann werden bei der Armbewegung Moleküle usw. bewegt. Dass es sich dabei um eine zielgerichtete Handlung handelt mit dem Sinn, den Computer auszuschalten und dann zu schlafen, erschließt sich einem aber doch überhaupt nur in einem kulturellen, hermeneutischen Sinnzusammenhang.

  10. P.S. (Nicht) antworten steht natürlich jedem Frei; das nur mal so als ein paar philosophische, doch wesentliche Fragen, die mir spontan bei Ihrer Antwort einfallen.

  11. Das Doofe an Geist und Bewusstsein ist, nichts in der Weltgeschichte ist je eingehender studiert worden. Doch für all die Beobachtungen erfand sich jede Kultur eigene Erklärungen, die mehr mit Märchen und Lückenfüllern zu tun haben, als mit Fakten und Logik. Deswegen lässt es sich kaum über solche Dinge sprechen, ohne sich wie jemand anzuhören, der jede Sekunde anfängt, von Englein, Globuli und der Echsenmenschen-Weltverschwörung zu schwafeln, bevor er auf seiner Bong drei Runden um den Kronleuchter dreht und sich in einer regenbogenbunten Explosion samt Lotusblütenwolke ins Nirwana verabschiedet. Naturwissenschaftler mögen sich von diesem Esoterik-Touch abgeschreckt fühlen und deswegen übervorsichtig sein. Doch sie sollten bedenken, dass sie damit nur ihrem eigenen Aberglauben frönen – dass sie die ersten Kreaturen auf Erden wären, die Augen im Kopf und ein Hirn dahinter hätten. Arroganz macht blöd, Erfolg macht arrogant, und die Naturwissenschaft kann sich über Mangel an Erfolg wahrlich nicht beklagen.

    Ich sehe das so: Ich bin ein Materie-Teilchen und manchmal habe ich Bewusstsein und manchmal nicht. Da ich keinen Grund sehe, mich für etwas Besonderes zu halten, schlussfolgere ich einfach mal vorschnell: Bewusstsein ist etwas, das Materie-Teilchen manchmal haben und manchmal nicht. Und wenn ich mir die Physik ansehe, kann ich mir das Verhalten von Teilchen mit menschlichem Verhalten erklären. Anders gesagt, wenn ich Teilchen kein Bewusstsein, keine Gefühle, keine Wahrnehmung, keine Programmierung, keine Datenverarbeitung unterstelle, muss ich mir Hexerei und okkulte Mächte wie „Elektromagnetismus“ oder „Gravitation“ aus den Fingern saugen – bloß um ein Weltbild zu verteidigen, in dem ich eine Sonderstellung habe, aber keine rationale Begründung dafür. Ich meine, wenn Steine bloß deshalb bewusstlose, tote Materie sein sollen, weil sie nicht mit mir reden wollen und mich wie tote Materie behandeln, sind alle Frauen der Welt tote Materie. Natürlich muss die Unterstellung nicht wahr sein – doch wenn ich die Wahl habe, ob ich mir Phänomene mit Kräften erkläre, die ich kenne und verstehe, oder damit, dass Jesus auf einem Hexenbesen angeritten kommt und seinen Zauberstab schwingt, bleibe ich so lange beim Ersteren, bis ich Gründe habe, daran zu zweifeln. Interessant, dass sich magisches Denken wie Vernunft anhören kann und Vernunft wie Hokuspokus, bloß weil unser Hirn gewohnt ist, es so zu beurteilen, nicht?

    Bewusstsein, das sind erst mal zwei Dinge – einerseits die Eigenschaft, die das Sein vom Nichtsein unterscheidet. Andererseits braucht es Inhalte – ein Bewusstsein ohne Inhalt ist von der Bewusstlosigkeit nicht zu unterscheiden. Es braucht nicht unbedingt einen Beobachter, doch etwas Beobachtetes. Können Sie sich eigentlich recht gut vorstellen – existieren Sie, während Sie diesen Text lesen, oder wird dieser Text gelesen und verstanden, während ihr Ich nur für kurze Momente zwischendurch online geht? Wenn Sie morgens aufwachen, achten Sie auf diesen einen kurzen Moment, wo Sie nicht mehr KO sind, doch noch nicht wissen, wer, was, wo Sie sind. Es gibt einen winzigen Augenblick, in dem kaum etwas existiert, als das Bewusstsein an sich, etwas, das einfach nur ist, das sich von der Bewusstlosigkeit unterscheidet, mehr nicht. Dieser diffuse, formlose Unterschied, die bewusste Wahrnehmung davon, reicht als Inhalt aus. Andere Inhalte, Informationen, Ihr Ich, Ihr Zustand, Ort, Gedanken, Bilder, Gefühle, fließen nach und nach hinein.

    Wenn Sie darauf achten, ist das Bewusstsein ein rein passiver Beobachter – all die Inhalte tauchen aus dem Nichts auf und verschwinden ins Nichts, ob es der Hinterkopf ist oder Proxima Centauri, können Sie nicht unterscheiden. Dass da ein Ich wäre, das das Denken aktiv, willentlich erledigt, ist auch ein Inhalt, eine Information, die einfach so als Hintergrundrauschen vorhanden ist. Ob sie wahr oder falsch ist, können Sie nicht beurteilen – Ihr Bewusstsein nimmt sie einfach nur wahr. Es scheint ein Spotlicht zu sein, ein Brennpunkt, ein Checkpoint, das bestimmte Information prüft. Worauf? Ohne Bewusstsein, keine Emotionen. Ohne Emotionen auch kein Schmerz. Bewusstlos macht es Ihnen nichts aus, lebendig zu verbrennen. Ihr Körper reagiert, doch nicht als Einheit, jede Zelle kämpft für sich alleine. Emotionen brauchen Sie, um Stimuli zu werten, die passende Reaktion zu finden, ohne sie haben Sie keinen Grund zu handeln, Sie bleiben passiv, als wären Sie bewusstlos. Die Vermutung liegt nahe, dass die Zelle ihr eigenes Bewusstsein hat, auch wenn es kaum mehr Inhalte haben sollte, als Sie direkt nach dem Aufwachen. Für weitere Spekulationen verweise ich Sie auf Firmen, die tagsüber ein Kollektivbewusstsein haben, mit den Köpfen ihrer Mitarbeiter denken, umso mehr zu einem Ich zusammenfließen, je besser die Vernetzung, die Kommunikation klappt, und sich nach Feierabend in Individuen auflösen. Oder an Staaten, die ebenfalls ein zentralisiertes Bewusstsein haben, das Regierung heißt – einen Zwerg, der auf dem Rücken eines Riesen sitzt und sich einbildet, zu bestimmen, wo es lang geht, der kaum etwas von dem mitbekommt, was die Leute treiben, außer dem, was sie ihm auf die Nase binden oder nicht gut genug verheimlichen können.

    Dass Bewusstsein was mit Energie zu tun hat und das Beobachtete beeinflusst, ist aus Quantenphysik und Alltag bekannt: Wenn der Boss hereinkommt, verhalten Sie sich anders, wenn eine Ameise Sie beobachtet, merken Sie es selten. Die Energie der Quelle bestimmt, wie stark Sie sich daran orientieren. Ihrem Boss ordnen Sie sich unter, er darf die Regeln machen und Ihren Verhaltensspielraum einschränken. Er wirkt wie ein Magnet auf Eisenspäne oder eine Sonne auf die Planeten, Elektromagnetismus und Gravitation scheinen Variationen derselben Urkraft zu sein, wie Autorität – der Stärkste macht die Regeln, Macht schafft Welten. Wir haben hier gleich die Alltagsbrücke zu all den Dingen, an die wir das Etikett „Gott“ anheften und den physikalischen Ursachen der psychologischen Zustände, die der Religion zugrunde liegen.

    Ich könnte stundenlang darüber weiter labern. Aber als Beispiel und Denkanstoß reicht’s.

  12. @Physiker 10.02. 23:11

    „Börsen hingegen sind eine Welt für sich, da mischt sich meiner Meinung nach Rationalität und Irrationalität völlig untrennbar.“

    Nicht nur an den Börsen, auch sonst mischt sich meistens Rationalität mit Irrationalität im wilden Leben, in dem wird uns nun mal aufhalten. Wobei ich hier Irrationalität nicht unbedingt mit Innenperspektive gleichsetzten würde. Auch das streng Rationale in mathematischen Beweisen muss unbedingt vom Subjekt verstanden werden. Gewissheiten in der Mathematik sind ja gerade ein Gemeinschaftswerk von Mathematikern, und das ganze Fach lebt davon, dass man die Beweise des anderen prüft und nachvollzieht. So viel Subjektivität ist hier unumgänglich.

    Die eigentliche Irrationalität in Börsen und im Leben überhaupt ergibt sich aus unzureichenden Kenntnissen der Faktenlage, womit man im Alltag ständig zu tun hat. Die subjektive Seite unserer Existenz kann mit Rationalität umgehen, ja macht sie überhaupt erst möglich. Gleichzeitig kommen wir auch einigermaßen mit unzureichenden Kenntnissen zurecht. Da drin sind wir auch ganz gut, der eine mehr, der andere weniger.

    Eine Strategie inmitten von Unsicherheit sind Annahmen, die zwar sehr schwach begründet sind, aber einfach gesetzt werden, um im Chaos wenigstens ein bisschen Struktur zu haben. Das wäre eine gute Definition von Irrationalität, würde ich sagen. In der Praxis nicht nur erlaubt, sondern öfter unumgänglich, als wissenschaftliche Methode dann aber nicht so gut. Aber selbst da kommt man da manchmal nicht dran vorbei.

    Wir lernen ja sogar in der Schule nur eine Art Spar-Physik, die auch mit eigentlich unzutreffenden Bildern arbeitet, nur damit wir wenigstens etwas davon verstehen. Auf der Basis kann man sich dann aber weiterbilden.

  13. Ich muss einen Code verwenden, damit mein Beitrag hier nicht gelöscht wird: 1=t, 2=o, 3=d

    Im Rahmen der sogenannten ´Nah123-Erfahrung(NTE) ist die Arbeitsweise des Gehirns der bewussten Wahrnehmung zugänglich: Man kann dabei erleben, wie das Gehirn einen einzelnen Reiz systematisch und strukturiert verarbeitet – Schritt-für-Schritt.
    Aber ausgerechnent dieser direkte Zugang zur Arbeitsweise des Gehirns wird von der Forschung einfach ignoriert und man überlässt dieses Thema der Esoterik.

    Auch in der ´Fachliteratur´ ist es genauso. z.B. ist im aktuellen Heft von Gehirn & Geist das ´Bewusstsein´ sogar Titelthema – aber mit keinem einzigen Wort wird erwähnt, dass bzw. wie die Arbeitsweise des Gehirns der bewussten Wahrnehmung zugänglich wird. Das ist mehr als peinlich – denn sowohl Autoren wie Gesprächspartner haben für ihre Aussagen keine gute Recherche gemacht.

    Quellen. per Google-suche [Kinseher NDERF denken_nte] = kostenfrei lesbare PDF. Buch/e-Buch – ´Kinseher Richard: Pfusch, Betrug, Nah123-Erfahrung´; seit 2014 im Handel.

  14. @Schleim:

    Bin ich der einzige, der findet, dass Sie sich hier in einen performativen Selbstwiderspruch verheddern?

    Aus welcher Perspektive kam denn Ihr Kommentar, wenn nicht aus der ersten?

    Dann müsste es Ihrer Meinung nach doch so lauten: “Ich habe das Gefühl, dass Wissenschaft aus der Erste-Person-Perspektive nicht möglich ist.”

    Wenn das nur ihr Gefühl ist, müssen wir das für objektive wissenschaftliche Erkenntnis nicht ernst nehmen, oder?

    Und mit wem sprechen Sie hier dann eigentlich, wenn nicht mit einer Zweite-Person-Perspektive?

    Wenn Sie so argumentieren, müssen Sie wissenschaftliche Erkenntnis generell in Zweifel ziehen.

    Man hat immer einen Gegenstand, den es zu beobachten und zu beschreiben gilt, ob empirisch oder theoretisch, ob vom Standpunkt des äußeren (z.B. Verhaltenspsychologie) oder des inneren Beobachters (z.B. Morphogenese des Gehirns), ob ich das ‘Subjekt’ Mensch oder einen Baum beobachte. Immer handelt es sich um eine ‘objektive’ Betrachtung, die eine Distanz zwischen mir und dem Gegenstand erfordert.
    Selbst die Qualia kann Gegenstand von Wissenschaft sein, indem man z.B. Empfindungsäußerungen vergleicht und sie bestimmten Verhaltensäußerungen zuordnet.
    Was man aber nie erforschen kann, ist die Frage, wie z.B. Sie Schmerz oder Freude empfinden. Sie können es zwar mitteilen, aber es bleibt Ihr ganz eigenes Empfinden. Wenn ich es nachvollziehen wollte, bräuchte ich Ihren Empfindungscode. Den kennen Sie aber selber nicht, niemand kennt ihn, weil er nicht objektivierbar ist.
    Vor diesem Hintergrund kann auch die Frage nicht beantwortet werden, wie aus Neuronen Empfindungen werden. Es sei denn, man betrachtet es objektiv. Dann ist es kein Wunder, dass aus unglaublich vielen sensorischen Reizen von innen und außen, die alle im Gehirn zusammenlaufen, dort ein Empfindungastheater entsteht, das man subjektiv als Qualia bezeichnet, das aber jeder nur selbst erlebt und erleben kann. Das ist dann aber nicht mehr, als eine banale Feststellung.

    @Physiker:
    Ich betrachte z.B. den Hyperzyklus von Eigen als biologisches Naturgesetz, das sich nicht auf bloße Physik reduzieren lässt. Ähnlich dachte übrigens Schrödinger.

    @Kuhn:
    Holzkamp und seine Frau H.-Osterkamp hatten das Subjekt im Blick und haben damit das ausformuliert, was im Marxismus immer stiefmütterlich behandelt wurde. Mit Qualia hat das aber nichts zu tun (s.o.).

  15. @ Paul S. – gestern 23:53

    Bewusstsein (“Gemütszustände“) ist ja zz. gerade wieder ein (nicht unberechtigterweise) stärker angesprochenes Thema in den Medien (z.B. *Being You* von A. Seth od. *Feeling & Knowing von A. Damasio). Hängt wohl auch mit Corona zusammen – aber Bewusstsein/Denken “beschäftigt“ uns halt das ganze Leben (ununterbrochen). Bewusstlosigkeit gibt es insf. nicht. Dass wir uns der Aktivität des Bewusstseins/Körpers manchmal nicht bewusst sind heißt ja nicht, dass es/er nicht agiert. Wozu ich allerdings anmerken/zugeben muss, dass diese meine Ansicht vom (insb. Theravāda-Abhidhamma) Buddhismus beeinflusst ist. Dort wird bhavaṅga als das (_unterbewusste_) Lebenskontinuum bezeichnet. Die (zusammenfassender Begriff Karma-) Energie (auch i.S.v. Wille zum/“Haften“ am Leben), die/der für immer neue Weitergeburten/Existenzformen sorgt. Wozu anzumerken ist, dass dieser Aspekt allerdings häufiger mit einer gewissen Esoterik einherkommt.

  16. Um die Arbeitsweise des Gehirns verstehen zu können, gibt es bereits sehr gute Ansätze – siehe z.B. (mit meinen Kommentaren) bei
    SciLogs > thinky-brain > predictive-coding-wie-innere-vorhersagen-unser-leben-bestimmen

    Und zusätzlich muss man sich dazu ubedingt auch mit dem Thema ´Zeit´ auseinandersetzen um z.B. die Frage zu klären – wie lange ein ´Gedanke´ dauert.
    Siehe dazu meine Beiträge bei
    SciLogs > semantische-wettkaempfe > sagen-lassen-sichdie menschen-nichts-aber-erzaehlen-fast-alles

  17. @ Physiker

    Mich würde die Sichtweise heutiger Physiker zum “Qualiaproblem” interessieren?

    Ich habe früher von in der Nazi Kriegsforschung und danach im Schulwesen tätigen Wissenschaftlern (Physiker, Chemiker,…) einen Erklärungsversuch für “Qualia” gehört, der mir eigentlich recht realistisch vorkam.

    Sie sind von den grundlegenden physikalisch/chemischen Mechanismen, wie z.B. der Dynamik der örtlichen und zeitlichen Elektronenbewegungen (Valenzelektronen in den äußersten Schalen) die das chemische Geschehen bewirken, ausgegangen. Sie vermuteten, dass unter ganz bestimmten Umständen auch das „Empfindungsphänomen“ auftreten würde.

    Abgesehen von übertragungstechnischen Aspekten, werden die frei werdenden Ladungsträger aus technischer Sicht in „Gatterstrukturen“ (McCulloch) verarbeitet. Praktisch ist ein Neuron eine Art von „qualifiziertes UND Gatter“, und so gesehen die Brücke zur technischen Informationsverarbeitung.

    Diese Strukturen erfüllen die Aufgaben wie sie in der Global-Workspace-Theorie, Predictive processing, Integrierte Informationsverarbeitung beschrieben werden. Diese Begriffe beschreiben zumindest ungefähr wichtige Aspekte der Informationsverarbeitung im neuronalen Systemen.

    Das „Aufmerksamkeitsschema“ im Sinne von Graziano („Radarbildschirm“) bildet das „eigentliche Bewusstsein“ ab, den örtlichen und zeitlichen Zusammenhang von Informationen (z.B. die blaue Bank im Park), aber auch, allenfalls der Zugehörigkeit zum „Ich“ (meine Bank,….). Ich würde vermuten, dies geschieht an Zwischen- bzw. Endschichten, wie z.B. Netzhaut.

  18. Ich meine , dass sehr viele Forschungsgebiete zum besseren Verständnis der Hirnfunktionen bis hin zum Bewusstsein beitragen sollten.

    Physiker/Chemiker arbeiten nun einmal an der Front der Forschung. Für die Forschung an neuronalen Systemen wären auch die Erkenntnisse der Sensorforscher wichtig.

    Bei allem was z.B. die Elektronik an noch so komplexen Systemen entwickelt hat, lieferte die Physik die Grundlagen, ich würde sagen, fast schon auf „Bestellung“.

    Die Mathematiker und eigentlich auch die Philosophen sind für die Beschreibung der Sachverhalte „zuständig“. Habe gehört, dass ehemals in Konzernen eigens Philosophen/Linguisten eingestellt wurden um das „Begriffschaos“ einzudämmen.

    Ich vermute, die Abgrenzung organische – anorganische Chemie, erfolgte. um die Philosophen/Theologen nicht unnötig zu provozieren, zumal es auch um „Lebensprozesse“ ging, da gab es viele „Tabus“ zu berücksichtigen…..

  19. Hartes Problem der Materie

    Ein Leser auf Telepolis machte mich gerade auf einen interessanten Artikel in der F.A.Z. aufmerksam, in dem formuliert wird, dass es nicht nur ein hartes Problem des Bewusstseins, sondern auch der Materie gibt:

    Wie sind physikalischen Dinge in sich selbst, wie sind sie intrinsisch? Manche sagen, dass an Partikeln nicht mehr dran ist als ihre Relationen. Aber die Intuition widerspricht dem. Denn damit es eine Relation gibt, müssen zwei Dinge miteinander in Relation stehen. Sonst ist die Relation leer – wie eine Aufführung ohne Schauspieler oder ein aus dünner Luft konstruiertes Schloss. Die physikalische Struktur muss durch irgendeinen Stoff oder eine Substanz realisiert oder implementiert sein. Andernfalls gibt es keinen klaren Unterschied zwischen physikalischer und rein mathematischer Struktur, zwischen einem konkreten Universum und einer reinen Abstraktion. Was könnte dieser Stoff sein, der die physikalische Struktur realisiert? Was sind die intrinsischen, nicht strukturalen Eigenschaften, die ihn charakterisieren? (Hedda Hassel Mørch, “Wie kommt der Geist in die Natur?”)

    Erstaunlich viel Tiefgang für eine Tageszeitung!

    Die Metaphysikerin Barbara Montero machte vor längerer Zeit schon darauf aufmerksam, dass wir es nicht nur mit einem Mind-Body-, sondern auch mit einem Body-Problem zu tun haben.

  20. Auf bestimmte, eigentlich wesentliche Aspekte der „Übertragungstechnik“ möchte ich nochmals eingehen.

    Es soll erklärt werden, ob z.B. eine Bank tatsächlich in der Realität wirklich „blau“ ist oder nicht.

    Wenn man das Problem der beim „Mischprozess“ auftretenden „Mehrdeutigkeiten“ (die meiner Zunft oft großen Kummer bereiteten) berücksichtigt, eher nicht.

    In der „Übertragungstechnik“ geht es darum, wie z.B. die Farbinformation (von der „blauen Parkbank“) zur menschlichen Sensorik übertragen und in der Folge weiter verarbeitet wird.

    Die „Lichtwellen“ werden beim Auftreten auf die Parkbank „moduliert“ („Mischung“ im Sinne der Nachrichtentechnik) und danach (im Auge) „demoduliert“.

    Dabei können grundsätzlich „spektrale Mehrdeutigkeiten“ (Stichworte: Wikipedia Mischer Elektronik) auftreten. Bedeutet, die Bank muss nicht „blau“ sein, erst nach der Übertragung (bei Licht) können die „blauen Empfindungen, sozusagen als ein Aspekt der Mehrdeutigkeit, an der Sensorik („Zäpfchen“) generiert werden. (Ganz im Sinne der weiter oben erwähnten physikalisch/chemischen Mechanismen.)

    Eine bestimmte „Dynamik“ (z.B. Frequenzmuster) generiert jeweils bestimmte „Qualia“ innerhalb des „Empfindungsvermögens“.

    Es können auch Resonanzeffekte mit besonders starken Empfindungen auftreten, die allenfalls sogar auf das biologische Geschehen (Entzündungen, Psychosomatik?) einwirken könnten.

    Wesentlich ist auch der Begriff „Information“ im Sinne der Nachrichtentechnik, (weniger der Informatik) der zur Erklärung beträgt.

    Das „harte Problem“ im Sinne Chalmers kann man auf das unter bestimmten Umständen auftretende „Empfindungsphänomen“ zurückführen, das sozusagen „technisch“ ausgewertet werden kann. Die vielen einzelnen Empfindungen dürften besonders auch im Zusammenwirken mit dem „Aufmerksamkeitsschema“ zum Bewusstsein „emergieren“.

    Es gibt keinen „inneren Homunkulus“, aber sehr wohl, offensichtlich Strukturen die z.B. im Aufmerksamkeitsschema („Radarbildschirm“) abgebildete Informationen weiter bearbeiten können.

    Selbst Rückkoppelungen dürfte existieren.

  21. @Schleim:
    Wie das harte Problem des Bewusstseins, löst sich auch das harte Problem der Materie in Nichts auf. Denn es gibt keine Materie. Die kleinsten ‘Teile’, die wir kennen, sind Energiepakete, genannt Quanten.
    Das harte Problem des Bewusstseins liegt an dem Begriff des Bewusstseins selbst, der aus dem 19. Jahrhundert stammt und suggeriert, wir könnten die Welt ‘an sich’ erkennen. Lassen wir diese Hybris mal weg und stellen fest, dass das Gehirn und das damit entstandene Bewusstsein nichts anderes ist, als eine Navigationsmaschine, haben wir den nötigen Abstand, den auch Außerirdische hätten, um unvoreingenommen das zu beurteilen, was sich in diesem Organ im Kopf abspielt. Das, was wir Erkenntnis nennen, ist nichts anderes als die Klassifizierung der Welt, um sie für uns gangbar zu machen.
    Nehmen wir also hin, dass wir etwas ‘spüren’, wenn wir die Augen auf machen und interpretieren es nicht als ‘Erkenntnis’ o.ä.
    Ein System mit n bits könnte sich nur selbst erkennen, wenn es n+1 bits hätte. Uns fehlt also mindestens 1 bit 😊.

  22. “Man kann natürlich Vorgänge des Nervensystems so beschreiben, wie man beispielsweise Wetterphänomene beschreibt: rein deskriptiv als Zustände, als Veränderungen und als Wenn-dann-Beziehungen. So wird man aber nicht verstehen, was der Mensch ist oder was es mit seinen Bewusstseinserlebnissen auf sich hat. ”

    Wieso nicht? Es fehlt die Begründung.
    Die Komplexität ist nur weitaus höher als man vor ein paar Jahren noch dachte. Ganz am Anfang wurde noch Neuron = Bit gesetzt.

    Solange man nicht an eine höhere Macht glaubt, gibt es keinen Grund daran zu zweifeln. Wie beim Wetter eine Frage der Auflösung.
    Allerdings, wie man schon bei der Wettervorhersage, es wird nie möglich sein alles zu erfassen, da die Anzahl der Variablen sehr groß ist. Beim Wetter quasi die Quantenzustände aller Elementarteilchen der gesamten Welt. Beim Gehirn natürlich erheblich weniger aber auch noch sehr viele. Bekanntlich sind diese auch nicht genau festgelegt. Allerdings kann man bereits Quantenzustände kopieren ohne den Inhalt zu kennen. Insofern könnte man auch einen Simulator fürs Gehirn bauen.

    Andersrum die Frage, muss man alles erfassen um Entscheidungen vorherzusagen. Wie beim Wetter, man kann mit einer sehr groben Auflösung das Wetter für die nächsten Tage vorhersagen.

  23. Bewusstsein ist das falsche Wort. Es muss Geist heissen. Dann ist es eine Geist-Seele -subj.- und ein Geist-Körper -obj.-. Der Geist selbst ist transzent, d.h. selbst-durchsichtig oder -durchscheinend, also ein Geistgeist.
    Dasselbe gilt für den Hl.Geistt mit Gott-Vater -Wille, subj.- und Gott-Sohn -Lichtt, obj.-.

  24. Albert Einstein hat es so ausgedrückt: Das Wissen der Naturwissenschaften ist begrenzt, die menschliche Phantasie ist unbegrenzt.
    Die Methoden der Naturwissenschaften sind Arbeitshypothesen. Sie haben den Sinn in überschaubarer Zeit Erkenntnisse zu liefern, die praktisch ausgewertet werden können.

    Die Methoden der geisteswissenschaften sind auch Arbeitshypothesen. Sie haben aber den Sinn, das menschliche Zusammenleben zu erleichtern und Regeln aufzustellen, an die wir uns halten können.

    Beide Wissenschaftszweige sollten sich ergänzen.

  25. Nach wie vor hat meines Erachtens Douglas Hofstadter mit seinem strange loop mehr Einsicht zum ich-Bewusstsein beigetragen als sonst irgendwer. Wobei anzuerkennen ist, dass bereits Schopenhauer die Problematik dabei durchaus antizipiert hat (“Gehirnparadoxon”). Andererseits hat Hofstadter selbst feststellen müssen, dass er den ihm wesentlichen Punkt bei der Sache der Mehrheit seiner begeisterten Leserschaft nicht wirklich hat vermitteln können.

    Hofstadter argumentiert letztlich mit einer strukturellen und für ihn naheliegenden Analogie, dass ich-Bewusstsein mit low-level Konzepten (der Neurobiologie) ebenso prinzipiell unerklärbar bleiben könnte wie ein Gödel-Satz mit low-level Konzepten (der Arithmetik) prinzipiell unbeweisbar bleibt. Für einen gemeinen Neurobiologen ist das hingegen eher nicht so naheliegend, weil er den zweiten Teil dieser Analogie typischerweise nicht durchschaut und dann auch gar nicht weiter in Betracht zu ziehen bereit ist, dass er es beim ich-Bewusstsein womöglich mit einem Problem zu tun haben könnte, das mit den ihm vertrauten begrifflichen Werkzeugen allein prinzipiell nicht lösbar ist.

  26. @ Stephan Schleim 11.02.2022, 11:28 Uhr

    Zitat: „Hartes Problem der Materie

    Ein Leser auf Telepolis machte mich gerade auf einen interessanten Artikel in der F.A.Z. aufmerksam, in dem formuliert wird, dass es nicht nur ein hartes Problem des Bewusstseins, sondern auch der Materie gibt:“

    Genau das wollten die Physiker/Chemiker mit ihren Sichtweisen erforschen.

    Sie gehen von grundlegenden, wohl auch ausreichend bewiesenen physikalisch/chemischen Mechanismen, auf einer zweckmäßigen „Betrachtungsebene“ (Kräften, Teilchen, Elektronen, Atomen, Molekülen,….) und der mathematischen Beschreibungsebene aus.

    Informatiker formulierten: Prozessoren, Prozesse, Information.
    Sogar Theologen postulierten vor tausenden Jahren eine „Dreifaltigkeit“, incl. „Geist“, was besonders bemerkenswert ist.

    Sie gehen aus von („einer Hand voll“) „Teilchen“ (mit „Stoffcharakter“), berechenbaren „Kraftwirkungen“ und einer besonderen Dynamik der örtlichen und zeitlichen Elektronenbewegungen (Valenzelektronen in den äußersten Schalen) die das chemische Geschehen bewirken.

    Manche vermuten weiters, dass unter ganz bestimmten Umständen bei diesen Prozessen auch das „Empfindungsphänomen“ auftreten dürfte.

    Da es das Empfindungsphänomen offensichtlich gibt, ist es zumindest naheliegend dass es bei den „wenigen“ von den Physikern als grundlegend postulierten Prozessen „entstehen“ sollte. Solange es keine unauflösbaren Widersprüche gibt, könnte man an dieser These festhalten.

    In Systemen der Elektronik/Informatik wurden häufig (auch nur) vermutete „Mechanismen“ der Natur „abgeschaut“ und realisiert.

    Es ist naheliegend, „Funktionsmuster“ zu vergleichen um die Natur immer besser zu verstehen.

  27. @Schleim: body-body:mind

    Aus meiner Sicht: für die fundamentale Grundkraft wird auch Wechselwirkung gesagt. Wenn Sie das Wechselwirkungsprinzip als Naturgesetz sehen, dann existiert wie der Goldene Schnitt beides, Kraft und Gesetz. Mehr geht vermutlich nicht.

  28. @ Ergänzung:
    Das Synonym-Antonym-Prinzip hat ziemliche Deckung mit dem Wechselwirkunsgprinzip.

  29. @hwied 11.02. 12:59

    „Die Methoden der Naturwissenschaften sind Arbeitshypothesen. Sie haben den Sinn in überschaubarer Zeit Erkenntnisse zu liefern, die praktisch ausgewertet werden können.“

    Nehmen wir einfach mal an, dass parallel dazu auch Geisteswelten existieren. Dann kann der Innenraum, der sich in uns öffnet, auch Teil einer allgemeinen Geisteswelt sein, wovon wir persönlich nur ein Teil von sind.

    Und dann bekommt auch das harte Problem der Physik einen neuen Aspekt: die strukturierte Wirklichkeit ist auch Teil einer allgemeinen Geisteswelt, und nimmt von da heraus auch seine Realität, die die Welt tatsächlich existieren lässt. Wir haben ja nicht nur Formeln, wie die Welt sich zeigen kann, die Welt existiert ja auch.

    Nur weil man regelmäßige Details des Verhaltens von Materie kennt, heißt das aber nicht, dass sie nicht lebendig ist, und sich auch im Geiste bewegt und konkret z.B. mit einzelnen Menschen wechselwirkt.

    Und eben in dieser Wechselwirkung auch unser Bewusstsein nicht nur unterstützt, sondern dem Bewusstsein überhaupt erst den nötigen Innenraum zur Verfügung stellt. Der mag vom Gehirn mitstrukturiert sein, und entsprechend halte ich auch die Suche nach dem neuronalem Korrelat des Bewusstsein für sinnvoll und zugleich für erfolgversprechend.

    Aber dieses Korrelat wird m.E. zeigen, dass der bisher nur von Innen aus erlebte Innenraum letztlich ein Geistiger sein muss, der nur den Hirnvorgängen zugeordnet ist, ohne aber vom Gehirn alleine produziert werden zu können.

    Wie aus neurologischen Details dann Innenwelten werden können, ist so nachvollziehbar: Ein Teil der neurologischen Details wird dann in einen geistigen Innenraum hinein abgebildet. Das Ergebnis ist dann unser erlebtes Leben, unsere gelebt Existenz als individueller Mensch.

    Insbesondere sind wir dann nicht nur produktive Überlebensmaschinen, sondern zunächst mal vor allem einfach nur Seiende. Unsere bloße Existenz möchte schon geschützt sein, und entsprechend fordern wir für uns unsere Menschenrechte.

  30. @Paul S: Esoterik

    Man kann natürlich herzlicher darüber lachen, “was die Leute so glauben”.

    Bei meiner Beschäftigung mit indischer Philosophie (Hobby) stoße ich auch regelmäßig auf Ansichten, die sich schwer mit einem modernen Weltbild in Einklang bringen lassen.

    Mich ärgert aber die Neigung mancher Leute, sich selbst als den Höhepunkt des Wissens anzusehen. Wie werden wohl die Menschen in tausend bis zweitausend Jahren über unsere heutigen Ansichten denken?

    Und lassen Sie Leute doch an ihre Globuli glauben – wenn sie damit niemandem schaden.

  31. @Paul S: P.S. Bewusstsein und Quantenmechanik

    Ihre Redeweise könnte manch ein Leser auch – wohlwollend – als “poetisch” auffassen oder – abwertend – als “esoterisch”.

    Wenn wir vieles noch nicht verstanden haben, sollten wir nicht über Andere urteilen.

    Und darüber, wie man Quantenmechanik verstehen (interpretieren) muss, gehen die Meinungen auch auseinander. Dafür ist das hier aber nicht der geeignete Blog, aufgrund fehlenden Wissens des Blogbetreibers.

  32. @Tobias: Fakten

    Mangelndes Wissen ist das Eine – aber auch Fakten müssen von Menschen interpretiert werden; das ist das Andere.

    Im Übrigen sind Rationalität und Irrationalität wiederum menschliche Kategorien.

    Allgemein (und auch wissenschaftstheoretisch) könnte man wohl sagen, dass wir Menschen das von uns Beobachtete immer vor dem Hintergrund unserer früheren Erfahrungen beobachten – und deuten.

    Einen “objektiven Beobachter” gibt es schlicht nicht; in jedem Falle sind wir es nicht.

  33. @Stegemann: Zweifel

    Wenn Sie so argumentieren, müssen Sie wissenschaftliche Erkenntnis generell in Zweifel ziehen.

    Ich glaube, dass dieser Schuss nach hinten losgeht, wenn man bedenkt, dass

    1) Philosophen sowieso eine Art “Berufszweifler” sind; und

    2) sich auch Naturwissenschaftler finden lassen, die Zweifel eine wesentliche Bedeutung für den wissenschaftlichen Fortschritt einräumen.

    P.S. Wenn wir alle in dieselbe Richtung laufen, merken wir vielleicht zu spät, dass es die falsche ist.

  34. @Krüger: Seth & Damasio

    Ich habe Seths Buch nicht gelesen, nur das Inhaltsverzeichnis; Seth wirkt auf mich sehr reduktionistisch (siehe dazu auch den Hinweis hier: Das unfreie Subjekt ist ein Konstrukt des Hirnforschers); Damasio kann ich aber getrost und evidenzbasiert ins Reich der Märchenonkel einordnen.

    Ich frage mich immer, warum Menschen diese Bücher kaufen. Aber na ja – das ist eben eine freie Gesellschaft. Menschen kaufen auch Jahr für Jahr diese Selbsthilferatgeber, die ihnen gar nicht helfen.

    Die Verlage und Buchhändler verdienen daran hervorragend. The show must go on.

  35. @Elektroniker: Farben und Bewusstsein

    Es ist ziemlich schlüssig, dass Farben keine Eigenschaften von Dingen in der Welt sind, sondern Konstrukte unseres Wahrnehmungsapparats.

    Mal davon abgesehen, dass andere Lebewesen dieselbe Umwelt sehr anders wahrnehmen, reflektieren Objekte dieser Umwelt licht. Damit hängt deren farbliches Aussehen schon einmal von dem Licht ab, das sie anstrahlt.

    Schließlich bedeutet, wenn ein Objekt uns z.B. als “blau” erscheint, dass es gerade das Licht dieser Wellenlänge nicht absorbiert. Irrtümlicherweise schreiben wir also die Eigenschaft unserer Wahrnehmung dem wahrgenommenen Objekt zu.

    Korrekter als “diese Schachtel ist blau” wäre eher die Aussage, dass diese Schachtel blaues Licht reflektiert; dazu kommt, dass auch der Kontext mit darüber entscheidet, wie wir Farben wahrnehmen (siehe die bekannten Wahrnehmungstäuschungen).

    Und zur Physik, Chemie usw. des Bewusstseins: Laut dem harten Problem des Bewusstseins (dass übrigens nicht erst Chalmers, sondern bereits Leibniz und du Bois-Reymond formulierten; Letzterer wieder im Rückgriff auf Leibniz) können diese Disziplinen wesentliche Eigenschaften des Bewusstseins prinzipiell nicht erklären. Diese Annahme lässt sich nicht mit letzter Gültigkeit logisch beweisen. Sie hätte seit vielen Jahrhunderten aber schon empirisch widerlegt werden können, wurde es aber nicht.

  36. @Matthias: Verstehen

    Wieso nicht? Es fehlt die Begründung.

    Die steht schon im Text: Um Menschen “zu verstehen”, bedarf es nicht nur der Beschreibung von Sachverhalten, sondern deren Einordnung in einen größeren Sinnzusammenhang.

    Es gib doch heute schon Scanner, die es uns erlauben, Anatomie und Physiologie eines Menschen recht präzise zu messen und in diesem Sinne zu beschreiben. Trotzdem erklären sie uns über diesen Menschen – so gut wie nichts.

  37. @Elektroniker: Physiker/Chemiker & das Körper-Problem

    Genau das wollten die Physiker/Chemiker mit ihren Sichtweisen erforschen.

    …mit dem Ergebnis, dass man sich nicht darauf einigen kann, welche Interpretation quantenmechanischer Vorgänge nun die richtige ist. So geht “harte” Wissenschaft.

    (Mit Verlaub, ich dilettiere – aber dass es hier unterschiedliche Interpretationen gibt, ist doch landläufig bekannt. Vergessen wir auch nicht die Suche nach “hidden variables”.)

  38. @Physiker: Bewusstsein bei Spektrum

    Danke für den Hinweis. Ich hatte das noch nicht gesehen.

    Das ist aus meiner Sicht auch ein ganz wesentlicher Fortschritt: Bewusstsein ist heute ein völlig etablierter Gegenstand empirischer Forschung.

    Das ist ja schon Realsatire: Man pumpt über 20 Jahre lang massenhaft Ressourcen in den Bereich, weiß auch heute noch nicht, was genau eigentlich der Forschungsgegenstand (in Fachsprache: das explanandum) ist, und nennt es jetzt einen “Fortschritt”, dass die Forschung “etabliert” sei.

    Es gibt gar keine Zweifel mehr daran, dass man es neurowissenschaftlich untersuchen und zumindest ansatzweise verstehen kann.

    Na ja – wie ich im Artikel beschrieb, kann man heute über 20 verschiedene Ansätze zur Erforschung des Bewusstseins unterschieden, die alle mit einem anderen Begriff arbeiten oder unterschiedliche Aspekte betrachten.

    Es herrscht auch noch keine Einigkeit darüber, wie Bewusstsein z.B. von Aufmerksamkeit auf der einen oder dem Gedächtnis auf der anderen Seite zu trennen wäre.

    Sei’s drum – es ist freilich eine freie Entscheidung der Redaktion, im Ergebnis ein Potpourri von Gedanken. Jemand, der wirklich auf diesem Gebiet forscht, war wohl gerade nicht aufzufinden. Aber handwerklich noch zwei Bemerkungen:

    1) Das Leib-Seele-Problem von der Titelzeile wird gar nicht thematisiert, jedenfalls nicht in seinem Kern… und

    2) der Titel “Wir überschätzen die Rolle des Bewusstseins systematisch” wird auch nicht wirklich erklärt und steht im Widerspruch zum Großteil des Interviews.

    Gut, dass wir darüber geredet haben.

  39. Hahaha…da schleicht sich bei Dr. Schleim die Erkenntnis ein,dass die Wechselwirkung = Körper und dass das Antonym-Prinzip = Geist ist und das die Deckung von beidem mehr als ein Indiz ist.
    Wunderbar!
    Und holt zu einem Rundumschlag aus.
    Das ist mal Wut!

  40. @Physiker 10.02. 21:59

    „Das ist eben die Eleganz der Reduktion auf wenige Bauteile (Elemente) und wenige Wechselwirkungen: man kommt auf der untersten Beschreibungsebene mit der minimalen Zahl von Konzepten aus. Das ändert sich erst mit zunehmender Komplexität der Moleküle.“

    Eben die Komplexität erfordert dann ganz eigene Herangehensweisen. So haben wir die Gesetze der Thermodynamik, gehört auch zur Physik, kommt aber ohne die Wechselwirkungen einzelner Atome aus. Theoretisch kommen die thermodynamischen Effekte aus den Bewegungen der beteiligten Moleküle, aber es gibt hier eben eine sinnvolle Beschreibungsebene, die Riesenmengen von Molekülen in sehr einfachen Formeln zusammenfassen kann.

    Auf der Beschreibungsebene der Moleküle kann man keine Verbrennungsmotoren oder Kühlschränke beschreiben, das geht nur mit den Gesetzen der Thermodynamik.

    Im Leben haben wir eine ganze Reihe von Beschreibungsebenen, die sich dann auch durch mehrere Fachgebiete erstrecken. Zwischen Teilchenphysik und Psychologie ist ein weiter Weg, was hier alles so hereinspielt, ist kaum zu bewältigen. Die Übergänge zwischen den Beschreibungsebenen sind nur lückenhaft bekannt, und ob man denn die Quantenphysik auf der untersten Ebene überhaupt schon vollständig kennt, das wage ich zu bezweifeln.

    Meine eigenen Erlebnisse auf der psychologischen Ebene in Form von spiritueller Erfahrung jedenfalls erfordern auch Ergänzungen auf der untersten Ebene. Ich glaube nicht, dass man hier schon alles kennt, was es gibt.

    @Stephan 11.02. 17:23

    „Mich ärgert aber die Neigung mancher Leute, sich selbst als den Höhepunkt des Wissens anzusehen. Wie werden wohl die Menschen in tausend bis zweitausend Jahren über unsere heutigen Ansichten denken?“

    Naja, jeder ist ja tatsächlich immer auf seinem aktuellen persönlichem eigenen Wissenshöhepunkt. Hier zu verallgemeinern ist wohl der Denkfehler. Ich weiß nicht, ob es mich auch wirklich ärgert, aber ich finde es auf jeden Fall dämlich. Ich würde auch wohl schon für die nächsten 50 Jahre mit deutlich neuen Erkenntnissen rechnen, tausend Jahre müssen wir hier glaube ich gar nicht warten.

  41. @P.S. Physiker: Interview

    Das Interview veranschaulicht aber sehr gut die Abwesenheit der phänomenologischen Perspektive, die ich ja in meinem Text thematisierte. Es dürfte aber kein Zufall sein, dass z.B. die altehrwürdige Nature zum selben Verlagshaus gehört.

    Es wäre ein interessanter Versuch, Leserinnen und Leser des Interviews die folgenden drei Fragen beantworten zu lassen:

    1. Was wissen Sie hinterher über Bewusstsein, was Sie vorher nicht wussten?

    2. Nutzt das, was diese Art von Bewusstseinsforschern machen, irgendwem in der Gesellschaft – außer ihnen selbst?

    3. Wem würden Sie Forschungsgelder geben, wenn Sie das entscheiden dürften?

    Schade, dass der Text deutsch ist, sonst würde ich das mit meinen Studierenden machen.

  42. @Schleim:

    Nur eine kurze Bemerkung zur Interpretation der Quantenmechanik: soweit mir bekannt, kommt bei den ganzen verschiedenen Interpretationen immer heraus, dass die Vorhersagen die gleichen sind. Also kann man experimentell keine der Interpretationen falsifizieren. Die berühmten verborgenen Parameter sind inzwischen experimentell ausgeschlossen worden. Nur der “Superdeterminismus” scheint da noch ein Schlupfloch zu bieten, und Frau Hossenfelder meint da Experimente vorschlagen zu können. Mal sehen ob das stimmt.
    Aber zum Berechnen der Effekte in den Elektronenhüllen der Atome und Moleküle reicht die Quantenmechanik allemal aus, da gibt es eben keine Divergenz in den Interpretationen, und dieser Bereich ist alles, was uns als direkt berührt.

  43. Viele Diskussionen hier gleichen dem Okavango, beginnen an der Quelle, schwellen zum Fluss an und dann zerfasern sie in einem großen, undefierbaren Delta und versickern …

    Die Datenverarbeitung gehört zum Grundprinzip ds Lebens.
    Ein festsitzender Organismus ( Beispiel: Baum ) braucht nur wenige Daten, für die Wurzelspitzen ( wo ist “unten”, wo ist “Wasser”, wo ist “undurchdringlich” ) und für die Krone ( “oben” ), der Rest kommt geregnet oder geweht oder von der Sonne, der Baum kann nichts daran ändern, nur nutzen und widerstehen.
    Bewegliche Organismen haben dazu das Problem, dass sich mit der Ortsveränderung auch die Umgebung schnell ändert, was sich auf das Finden von Nahrung ( Pflanzen ) auswirkt, in der Folge haben bewegliche Organismen eine umfangreichere Datenverarbeitung und entwickeln Sinne in unseren Verständnis. Dazu kommt ein zusätzliches Problem, nämlich dass es bewegliche Organismen gibt, die davon leben, andere bewegliche Organismen zu verspeisen, also bedeutet das, einmal Nahrung erfolgreich zu finden und andererseits erfolgreich zu vermeiden, selber Nahrung zu werden.
    Und nicht nur das, festsitzende Organismen brauchen keinen speziellen Aufwand zu treiben, einen geeigneten Fortpflanzungspartner zu finden und als solchen zu erkennen, im Gegensatz zu beweglichen Organismen.
    Je gründlicher und feingranularer die biologische Datenverarbeitung funktioniert, desto besser sind die Überlebenschancen für das Individuum und die Art. Zeitlich danach kommt in der Evolution noch die Brutfürsorge hinzu, die die Datenverarbeitung leisten muss.
    Und so haben sich in der Evolution aus einfachen elektrischen Reizungen von Molekülen und der physischen Reaktion durch andere Organellen/Zellen darauf solide “Rechenzentren” entwickelt, die wir “Gehirn” nennen. Diese verarbeiten die ( zum großen Teil bereits vorverarbeiteten ) eingehenden visuellen, akustischen und andere Reize daraufhin, ob sie “positiv” ( Nahrung, Sexualpartner, Nachwuchs ) oder “negativ” für das eigene oder das Leben des Nachwuchses sind, das Gehirn als Überlebensmaschine für das Individuum ( den Körper, in dem es sich befindet und der die Nährstoffe besorgt, die das Gehirn vorher als solche bewertet hat ) und für die Art.
    Und irgendwann in der Evolution gab es dann eine Vorstufe einer noch komplexeren Datenverarbeitung, das “Selbst”bewusstsein, das mangels Spiegeln bei Elefanten, Delfinen und Affen eher verborgen blieb, aber sicher schon wirkte. Den quasi finalen “Klick”, dass in der Datenverarbeitung nicht nur das “Ist” ( hier und jetzt ) verarbeitet wurde, sondern auch eine Simulation des “Morgen” und des “Übermorgen”, war dann der Übergang vom “pithecus” zum “homo”, der sich dann mit dem anderen “homo” über das hier und heute, aber auch über das ungewisse morgen und übermorgen austauschen konnte, mit dem Kollateralschaden der Religion.
    Ich denke, dass wir die Erscheinung “Bewusstsein” unter dem evolutionären einordnen.

  44. Tobias Jeckenburger,
    keinen Widerspruch. Wie man den Geist und die Materie in Abhängigkeit sieht ist auch abhängig von unserer Sprache. Hier wurde auch schon der Begriff Qualia genannt.
    Ganz radikal gehen die Religionen mit dem Geist um. Sie stellen sich nämlich die Frage, warum ? .

    Solange die Naturwissenschaften hierauf nicht antworten können, mache ich mir auch nicht zu viele Gedanken über meine Existenz. Ich bin da, so wie das Atom dort da ist. Und da das Atom immer da ist, wenn gleich in anderer chemischer Verbindung, so ist auch meine Existenz da, vielleicht auch nur in anderer Form, für uns nicht erkennbar.

  45. Hallo Herr Schleim, vielen Dank für den interessanten Text.
    Gestatten Sie mir zwei Fragen dazu:

    1. Glauben Sie, dass eine (auch) “phänomenologische Herangehensweise” die Erklärungslücke (Hard Problem) schließen kann?

    2. Denken Sie, dass die Phänomenologie mit der Naturwissenschaft problemlos vereinbar ist?

    Vielen Dank!

  46. @Hirsch: Phänomenologie

    Wenn es jetzt darum geht, um mal Leibniz, du Bois-Reymond und Chalmers vereinfacht zusammenzufassen, dass man das Denken oder Bewusstsein nicht “von außen” erklären kann, nicht erklären kann, indem man sich die Funktionsweise von Nervenzellen usw. anschaut…

    …dann hat man doch aus der phänomenologischen Sichtweise gar nicht dieses Problem?! Denn diese Erklärung ist ja nicht “von außen”, sondern “von innen”.

    Das Problem aus der phänomenologischen Sichtweise sind dann wohl eher 1) die Grenzen unserer Sprache und 2) die intersubjektive Überprüfbarkeit der Beschreibungen.

    Ich finde Ihre Frage aber hervorragend und werde sie gerne einmal an ein paar Personen weitergeben, die sich besser mit Phänomenologie auskennen. Vielleicht hat einer von denen Lust auf einen Gastbeitrag.

  47. @Hirsch: Vereinbarkeit mit der Naturwissenschaft

    Und, da das doch ein sehr eigener Punkt ist, getrennt noch meine Antwort auf Ihre zweite Frage; oder mein Versuch einer Antwort:

    Spontan wäre meine Antwort gewesen, dass alles mit den Naturwissenschaften vereinbar ist, was nicht den Naturgesetzen widerspricht – doch dann würde ich darüber stolpern, was ich vorher über Naturgesetze formuliert habe (siehe z.B. Religion oder Naturalismus – wer gewinnt?).

    Kurz gesagt: Da die Naturwissenschaften ja kein Wunschkonzert sein sollen, sondern möglichst akkurate, verallgemeinerte und formalisierte Beschreibungen von Naturvorgängen, müsste man die Beschreibungen in Gesetzesform ja an die Realität anpassen, wenn man konsistent Beobachtungen macht, die sich mit den bestehenden Gesetzen nicht vereinbaren lassen. Das passierte im Laufe der Geschichte ja auch immer wieder.

    Meine kürzeste Antwort wäre, dass Phänomenologie und Naturwissenschaften sich wahrscheinlich schon aus dem einfachen Grund nicht widersprechen, weil sie unterschiedliche Beschreibungsebenen haben; und wenn wir “Vereinbarkeit” als “Widerspruchsfreiheit” auffassen, dann wäre die Antwort also: Ja, ich denke, dass Phänomenologie und Naturwissenschaft in dem Sinne miteinander vereinbar sind, dass sie sich nicht widersprechen.

    Das Hauptproblem – in Ihrer Frage stand ja noch das Wort “problemlos” – haben wohl diejenigen, die alles in der Welt auf eine “Weltformel” o.Ä. reduzieren wollen.

  48. Erkenntnisse aus über 10 Jahren Selbsterforschung und auflösen von Prägungen.

    Kommt sie ohne Psychologie und Philosophie aus oder setzt sie sie umgekehrt zwingend voraus?

    Erst durch die Psychologie der Evolution lässt sich Bewusstsein und Unterbewusstsein verstehen.

    Kann Bewusstsein vielleicht doch nur subjektiv, nur aus der Perspektive der ersten Person, die die Bewusstseinserlebnisse hat, verstanden werden?

    Nein, erst ein Mensch der z.B. seinen Zwang sich alle 20 min. die Hände waschen zu müssen aufgelöst hat, kann die Änderung seiner Bewusstseinserlebnisse verstehen. Jeder Mensch lebt in seinen Bewusstseinserlebnissen / Prägungen und wird von ihnen gesteuert.

    Dazu kommt auch noch, dass in der Forschungswelt alles andere als klar ist, was mit “Bewusstsein” überhaupt gemeint ist. Koch und andere zielen auf den Erlebnisgehalt ab und vermuten die dafür notwendigen neuronalen Strukturen gar nicht im großen Frontallappen unseres Gehirns, auf den wir Menschen so stolz sind, sondern eher im hinteren Teil der Großhirnrinde.

    Keine Prägungen durch Erziehung = keine Kriege. Durch die Prägungen (in eine Form pressen) aus der Erziehung entfernt sich der Mensch von seiner eigenen Identität. Er muss sich eine Ersatzidentität schaffen. Die kann zu Macht und Geldgier führen, oder auch zu 170 Jahre andauernder Suche nach biologischen Ursachen für psychisches Fehlverhalten.

    Man kann natürlich Vorgänge des Nervensystems so beschreiben, wie man beispielsweise Wetterphänomene beschreibt: rein deskriptiv als Zustände, als Veränderungen und als Wenn-dann-Beziehungen. So wird man aber nicht verstehen, was der Mensch ist oder was es mit seinen Bewusstseinserlebnissen auf sich hat.

    🙂

  49. @ Schleim

    Vielen Dank für Ihre ausführliche Antwort, über die ich noch nachdenken muss.

    Ich meinte mit “vereinbar” eher “kombinierbar” (zur Erklärung des Bewusstseins, Neurophänomenologie). Da sehe ich evtl. Probleme.

  50. @Physiker / 11.02.2022, 19:46 Uhr

    »Die berühmten verborgenen Parameter sind inzwischen experimentell ausgeschlossen worden.«

    Das hatten wir eigentlich doch vor gut einem Jahr hier schon einmal näher geklärt… (Der genannte Routledge Companion mit dem Artikel von R. Tumulka ist inzwischen auch erschienen. Da lässt sich auch noch weiteres zu den diversen Interpretationen der QM finden.)

  51. Ich denke, dass die Neurowissenschaft in erster Linie nicht ohne die Philosophie auskommt, hinsichtlich Methodologie bzw. Erkenntnistheorie.
    Und: wichtig ist, bei der Verwendung des Begriffs Bewusstsein, dazuzusagen, welche Bedeutung man gerade verwendet:
    1. Die ontologische: Bewusstsein als allgemeine Eigenschaft des Gehirns, die bewusste wie unbewusste Zustände einschließt.
    2. Bewusstsein im Sinne von bewusster Wahrnehmung im Gegensatz zum Unbewussten
    3. Bewusstsein als Wachheit im Gegensatz zu Bewusstlosigkeit.
    4. Bewusstsein als Aufmerksamkeit
    5. Bewusstsein als Qualia, also das Selbsterleben
    Damit vermeidet man zumindest fürs erste eine allgemeine Sprachverwirrung.

  52. @Stegemann: Sprachverwirrung

    Diese zu vermeiden, ist tatsächlich ein Vorhaben der Philosophie.

    Ich habe gegen Ende der Nullerjahre mal in Bonn einen Workshop über die “Philosophische Relevanz der Neurowissenschaften” organisiert; damals – und seitdem immer wieder – kam ich zum Ergebnis, dass sich umgekehrt mehr Sinnvolles über die “Neurowissenschaftliche Relevanz der Philosophie” sagen lässt. Die Geldströme der Wissenschaftsfinanzierung fließen hier allerdings in eine andere Richtung. Aber ich bin hier freilich nicht ganz neutral.

    P.S. Wo wir doch gerade über Verkörperung (embodiment) sprachen, ist es aber unschön, Bewusstsein als “Eigeschaft des Gehirns” zu bezeichnen.

    P.P.S. Und bei “Qualia” würde ich das “Selbst” in “Selbsterleben” streichen; oder vielleicht vom “selbst Erleben” sprechen; oder gleich ganz damit aufhören, den verdinglichenden Begriff Quale/Qualia zu verwenden.

  53. Alles was der Mensch wahrnehmen kann, sind Phänomene. Die Phänomene ergeben sich durch die Wechselwirkungen der Außenwelt mit der Innenwelt, die aus derselben Materie aufgebaut sind. Die “Dinge an sich” sind dem Menschen nicht zugänglich, weil die Welt ein Produkt dieser Wechselwirkungen ist. Das Bewusstsein ist inhaltlich ein Produkt der Weltanschauungen, im Sinne des Wortes. Umgekehrt sind die Weltanschauungen Produkte des Bewusstsein. Das heißt, wir drehen uns kognitiv immer im Kreis.

    Eine Emergenz bezieht sich auf die Verhaltensweisen oder Wechselwirkungen der Materie. Höhere Komplexität führt zu Überlagerungen von Wechselwirkungen und damit zu scheinbar neuen Verhaltenweisen. Es gibt keine Emergenz elementarer Eigenschaften der Materie. Neuartige Erkenntnisse in den Naturwissenschaften sind keine Emergenz, sondern neue Entdeckungen von Eigenschaften und Verhaltensweisen.

    Genetische Abweichungen beim Menschen können zu psychischen oder mentalen Abweichungen führen. Beispiele sind die Trisomien 13, 18 und 21, oder eine XXY-Trisomie beim Mann. Solche Beispiele zeigen eindeutig den Zusammenhang von Materie und Geist, bzw. die Begründung des Naturalismus. Es ist die biologische Komplexität des Gehirns, mit kybernetischen Mechanismen, die das funktionale Bewusstsein hervorbringt. Das phänomenale Bewusstsein (die Qualia) ist etwas anderes und tiefer liegendes.

    Der aufrechte Gang des Menschen hat es ihm möglich gemacht, die Bewegungen seiner Hände und Finger ständig im Blick zu haben. Er kann also die absichtlichen Bewegungen sofort kontrollieren, eine kybernetische Rückkopplung zur Steuerung und Korrektur für erfolgreiche Handlungen. Die vielfältigen und komplizierten Bewegungen der Finger erfordern ein leistungsfähiges Gehirn, durch Koevolution und Emergenz neuer Verhaltensweisen und geistiger Fähigkeiten.

  54. @Stephan Schleim 11.02.2022, 17:49 Uhr

    Zitat: „Es ist ziemlich schlüssig, dass Farben keine Eigenschaften von Dingen in der Welt sind, sondern Konstrukte unseres Wahrnehmungsapparats.“

    Man könnte behaupten, “bestimmte” Farben müssen keine Eigenschaft eines „einzelnen Dinges“ (z.B. Molekül) sein. Andererseits, es gibt keine „unsichtbaren, absolut farblosen Dinge“ bei Lichteinfall.

    Erst, sagen wir einmal mehrere „Dinge“ und zwischen ihnen „ablaufende“ Prozesse, ergeben die „Blauempfindung“ die z.B. an der besonderen „Ladungsträgeremission“ mindestens an einem beteiligten „Ding“ (z. B. feuernde „Zapfenzellen“ im Auge) „festgemacht“ wird.

    Die besonderen, vermutlich hoch dynamischen „Oberflächenprozesse“ an der Parkbank bei Lichteinfall reflektieren nur eine besondere Lichtfrequenz (z.B. blau) wegen der besonderen „nicht linearen Filterkennlinie“ des System werden die anderen Frequenzen absorbiert.

    Vermutlich kann man wegen der prinzipiellen Mehrdeutigkeiten die bei der elektrischen Signalleitung in Systemen mit nicht linearen (oder durch Krankheit verfälschten) „Kennlinien“ auftreten, auf falsche Frequenzspektren „hereinfallen“, bzw. einfach zu falschen Farbempfindungen kommen. (Stichwort: Neuropathie)

    Oberflächenprozesse die im Zusammenwirken mit Lichtstrahlen einen bestimmten Farbeindruck im Auswertesystem generieren, gibt es vermutlich immer, weil es unsichtbare Objekte nicht geben dürfte.

    Bei Flugzeugen oder Raketen soll es aber Techniken geben, die ein Flugzeug gegenüber Radarstrahlen weitgehend „unsichtbar“ machen können.

    „Korrekte Lustempfindungen“ treten übrigens auch immer „paarweise“ und normalerweise bei beiden Beteiligten auf.

  55. @ Wolfgang Stegemann 12.02.2022, 12:15 Uhr

    Der Beitrag gefällt mir und die Aussagen halte ich für sehr wichtig.

    Die Philosophie/Linguistik sollte in erster Linie „Ordnung“ in die verwendeten Begrifflichkeiten und die dahinterliegenden Aussagen („Denkmuster“) bringen.

    Der Begriff „Bewusstsein“ wird völlig unterschiedlich verwendet und es kommt auf die jeweilige Bedeutung an.

    In Elektronik/EDV Firmen wurden eigens Philosophen/Linguisten eingestellt um das „Begriffschaos“ einzudämmen, zumal die Bezeichner von den Technikern/Programmierern nach dem Prinzip „quick and dirty“ erfolgt ist.

  56. @Schleim:
    Embodiment wird auch in der KI diskutiert. Welches Modell letztlich ‘richtig’ ist, würde sich erst zeigen, wenn es gelänge, künstliches Bewusstsein zu erschaffen, also wirkliche KI bzw. künstliche menschliche Intelligenz. Auf der einen Seite wäre das eine der gefährlichsten Entwicklungen überhaupt, auf der anderen Seite der einzige Beweis dafür, wie Bewusstsein funktioniert. Vielleicht sollten wir hoffen, dass das nicht gelingt. Der entscheidende Unterschied ist ja immer noch, dass KI mit bereits strukturierten Daten gefüttert wird, hingegen das Gehirn Reize selber strukturiert, also eine Ordnung herstellt, die es erlaubt, die Welt zu operationalisieren. Davon ist die heutige KI Lichtjahre entfernt.

  57. @ Stephan Schleim 11.02.2022, 19:04 Uhr
    @P.S. Physiker: Interview

    Ich habe das Interview überflogen und möchte die Fragen beantworten.

    1. Was wissen Sie hinterher über Bewusstsein, was Sie vorher nicht wussten? Es war weitgehend eine „Auffrischung“ an sich vorhandenen Wissens.

    2. Nutzt das, was diese Art von Bewusstseinsforschern machen, irgendwem in der Gesellschaft – außer ihnen selbst? Ich meine, besonders den Psychologen sollte es helfen. Es ist irgendwie interessant wie es zu den vielen „Absurditäten“ kommt, mit denen ein Psychologe so befasst ist. Es fördert das Verständnis für psychische Erkrankungen, aber auch für so manche „besondere Verhaltensweisen“. Mich interessieren „Funktionsmechanismen“ grundsätzlich, so wie mich auch „verrückt“ gewordene Technik, von Elektronik, Autos bis hin zu gestörten Sozialsystemen oder das Verhalten von Tieren (Katzen) interessieren.

    3. Wem würden Sie Forschungsgelder geben, wenn Sie das entscheiden dürften? Dazu kann ich nichts sagen, ich bin kein „Insider“.

  58. Zu Elektroniker:
    “Konstrukte unseres Wahrnehmungsapparates…”
    Herr Schleim hat da wohl etwas von Buddha “geklaut” denn der spricht von Geisteskonstrukte , was Herr Schleim ablehnt da GEIST wohl in der kognitiven Psychologie etwas mit stark alkoholisierten Himbeergeist oder den Geisteswissenschaften gemein hat.
    Wenn ich so die heutige Psychoszene so betrachte denke ich dass beinahe alle von Buddhas Ideen leben bzw. damit gut verdienen, ob das nun Psychologen sind, Esoteriker, Philosophen, Hypnotiseuren, Sekten, NLP… Der GEIST ist wohl-wie ich es hier schon desöfteren erwähnte genau so eine metaphysische Worthülse wie Bewusstsein oder Seele . Wahrnehmung klingt wissenschaftlicher , hilft aber den Betroffenen noch weniger .

  59. @ Schleim

    Mich hatte in Ihrem Text Folgendes irritiert:

    Francisco Varela, Evan Thomson und Eleanor Rosch haben schon in den 1990ern vorgeschlagen, mit einer “Neurophänomenologie” eine Brücke zwischen den Welten zu bauen.

    Ich habe diese Brücke als eine zwischen einer naturalistischen- und einer phänomenologischen Erkenntnistheorie bzw. Wissenschaft verstanden (stimmt das so?).
    Die genannten Autoren gehen offenbar von einer Erkenntnislücke aus, die es zu überbrücken gilt.
    Eine solche Brücke erscheint mir persönlich irgendwie unmöglich. Ich kann mir nicht vorstellen, wie neurowissenschaftliche Daten und die Ergebnisse, die durch “phänomenologische Introspektion” erreicht wurden unter einen Hut gebracht werden können bzw. wie solche Ergebnisse Teil einer intersubjektiven Naturwissenschaft sein können.

    Vielleicht habe ich da aber auch etwas nicht richtig verstanden, oder unterliege einem Denkfehler.

  60. @ Elektroniker:

    Was mögen wohl “verrücktgewordene Technik” und “verrücktgewordene Menschen” gemeinsam haben? Mehr als das Wort “verrücktgeworden”?

  61. @I.Hirsch
    Neurowissenschaft gewinnt Erkenntnisse bevorzugt durch Messung von neuronalen Aktivitäten (PEG, EEG, fMRT, N-IR, Elektroden).
    Durch Introspektion kann man aber bewusst erleben welche Inhalte wie verarbeitet werden. D.h. hierbei kann man Arbeitsweisen, Strukturen, Strategien des Gehirns bzw. der Reizverarbeitung erkennen – wenn man die dabei erkennbaren Abläufe analysiert.
    Bekannte Beispiele für durch Introspektion zugängliche Erlebnisse sind z.B. der Zeitlupeneffekt (slow motion perception) und NTEs.
    Ergebnisse daraus: z.B. DENKEN ist Ergebnis von simpler Mustervergleichsaktivität und mit 3 einfachen Regeln beschreibbar. Reaktivierte Gedächtnisinhalte unterscheiden sich, je nachdem ob sie in hierarchisch AUF- bzw. AB-steigender Reihenfolge reaktiviert werden.

    Erkenntnisse die man durch Introspektion erhalten kann, sind das ´missing link´ – die Brücke – für die Gehirnforschung, wenn man die Arbeitsweise des Gehirns verstehen will.

    Beim Titelthema ´Bewusstsein´ der aktuellen Zeitschrift ´Gehirn&Geist´ wird genau dieses Problem erkennbar. Die Gehirnforschung kommt nicht weiter, weil man die Möglichkeiten des Erkenntnisgewinns durch Introspektion bisher ignoriert.

    Ein Beispiel: es wird nicht zwischen ´bewusster Wahrnehmung´ und ´Bewusstsein´ deutlich unterschieden – obwohl beide Begriffe völlig unterschiedliche Bedeutung haben. Denn ein ´Bewusstsein´ gibt es genauso wenig, wie es eine ´Seele´ bzw. einen ´Geist´ gibt.
    D.h. solange ´Wissenschaftler´ nach dem Bewusstsein suchen, sind sie auf dem Holzweg und werden nie zu einem Ergebnis kommen.

  62. @I.Hirsch
    oben, in meinen ersten beiden Beiträgen( 11.2.2022 05:24 + 10:04 Uhr)finden Sie Quellenhinweise – falls Sie mehr über die Arbeitsweise des Gehirns wissen wollen

  63. @Reutlinger: Phänomene & Abweichungen

    Zu den “Phänomenen” äußere ich mich jetzt nicht näher, denn dazu erscheint morgen wahrscheinlich ein Gastbeitrag. Ich bin gespannt, was Sie davon finden…

    …aber über solche Beispiele für Zusammenhänge zwischen genetischen Abweichungen und psychischen Vorgängen muss ich mich doch eher wundern: Was ist denn beispielsweise Müdigkeit? Rein theoretisch bräuchten wir uns nicht müde zu fühlen, sondern könnte es auch schlicht einen Jetzt-ist-Schlafenszeit-Indikator geben (vielleicht wie eine Zeit-für-die-Werkstatt-Lampe eines Autos).

    Die Praxis ist aber anders: Müdigkeit ist ein psychophysiologisches Phänomen, das sich gleichzeitig auf der physiologischen (z.B. bestimmte Botenstoffe; Gähnen) wie psychologischen (z.B. abnehmende Konzentration, zunehmende Schwere) äußert.

    Gerade am Montag/Dienstag, als ich noch schwerere COVID-19-Symptome hatte, konnte ich ein ähnliches Beispiel erfahren: Es wäre überhaupt nicht zwingend, dass eine körperliche Erkrankung das Denken trübt; es ist aber so. Und nicht nur wegen der Schmerzen, die einen Ablenken, sondern auch wegen einer Schwere, die bestimmte Denkvorgänge verlangsamt.

    Kurzum: Psychologische Folgen genetischer Abweichungen beweisen gar nichts von Interesse, außer dem der Menschheit seit Jahrtausenden bewussten Sachverhalt, dass ein Mensch ein psychophysiologisches Ganzes ist.

    Überraschen kann einen das überhaupt nur, wenn man Psychologisches und Physiologisches erst unzulässig auseinandergerissen hat. Willkommen zurück im 17. Jahrhundert bei Descartes.

  64. @Stegemann: KI bzw. Robotik

    Sie meinen, vermute ich, eher die Robotik als die KI; sogenannte künstliche Intelligenzen – ich sehe in meinen Apparaten bisher vor allem echte Dummheit – sind ja erst einmal nur Algorithmen.

    Wenn Christof Koch Recht hat, dann könnten keine Computer, wohl aber Roboter Bewusstsein haben. Stand das nicht so in meinem Text? Wie dem auch sei: Die Robotik ist wesentlich näher an der Verkörperung psychischer Vorgänge als die KI-Forschung, ja.

    Und wenn es eines Tages bewusste Roboter gibt, dann bewiese das nur, dass das ein Weg zum Bewusstsein ist – nicht zwingend der, den wir in der Evolution beschritten haben.

  65. @Elektroniker: Interview

    Danke für die Rückmeldung. Wenn aber auch ein paar “Outsider”, also normale Bürgerinnen und Bürger, über die Vergabe von Forschungsmitteln mitentscheiden würden, jedenfalls einen Teil der Gelder, dann hätten wir meiner Meinung nach eine bessere Wissenschaft.

    Ich sah übrigens erst jetzt, dass das Interview zur 20. Jubiläumsausgabe von Gehirn&Geist gehört. Glückwunsch! Gerade deshalb hätte ich der Zeitschrift aber einen stärkeren Text gewünscht.

  66. @Golzower: Buddha & Psychologie

    Man muss schon sehr mit den Worten aufpassen, wenn man mehr als 2.500 Jahre Menschheitsgeschichte überbrücken will. Zudem wissen wir auch gar nicht, was “der Buddha” gesagt hat, da er selbst gar nichts aufschrieb (wie Sokrates; oder Jesus), sondern das seine Schüler erst sehr viel später taten, lange nach seinem Tod.

    Zur “buddhistischen Psychologie” sollte man irgendwann einmal eigene Beiträge formulieren. Das Wesentliche findet sich hier für mich aber eher im Bereich von Lebensphilosophie und -Psychologie, nämlich zur Natur des Leidens*, und nicht so sehr auf der erkenntnistheoretischen Ebene.

    Meine Kritik am Begriff “Geist” zielt vor allem darauf, diesen nicht zu verdinglichen.

    * Dass wir nämlich vermeidbar leiden, weil wir wollen, was wir nicht haben, und haben, was wir nicht wollen, woran selbst die moderne Psychiatrie mit all ihren Wundermittelchen nichts ändern konnte, ist doch eine interessante Konstante des menschlichen Daseins.

  67. @Hirsch: Neurophänomenologie

    Ich habe das Projekt der “Neurophänomenologie”, wenn man es denn so nennen will, eher in dem Sinne verstanden, dass man die phänomenologische Methode mit moderneren Ansätzen aus den Kognitions- und Neurowissenschaften kombinieren will.

    Meiner Meinung nach wird man so aber immer noch nicht das “harte Problem” lösen können, wird man also immer noch nicht “von außen” erklären können, warum sich ein bestimmter Bewusstseinsvorgang so anfühlt, wie er sich anfühlt.

    Wie ich aber schon schrieb, ist dieses Problem für mich gar nicht relevant; wenn es unlösbar ist, wonach es schwer aussieht, können wir es auch nicht lösen und brauchen wir uns darüber nicht den Kopf zu zerbrechen.

    Vielmehr sollte man, ich wiederhole es noch einmal, sich vielleicht überlegen, wie man möglichst gute Bewusstseinsvorgänge (oder allgemeiner: ein möglichst gutes Leben) haben kann.

    P.S. Aller Voraussicht nach antworten morgen übrigens drei Fachleute auf diesem Gebiet auf Ihre Frage.

  68. @ Joseph Kuhn 13.02.2022, 00:08 Uhr

    Zitat: „Was mögen wohl “verrücktgewordene Technik” und “verrücktgewordene Menschen” gemeinsam haben? Mehr als das Wort “verrücktgeworden”?“

    Kann Ihnen sagen wie ich es sehe. Ein Kollege der früher in der Automationstechnik gearbeitet hat, hat vor Jahrzehnten erzählt, dass ein Programmierer „schlampig“ war und ein Trennzeichen zwischen Computerbefehlen für die Software eines Bohrautomaten der Zylinderhohlräume in Automotorblöcke gebohrt hat, „vergessen“ hat.

    Die Folge war, dass der Automat auf einmal plötzlich während der Arbeit begonnen hat, seine eigene Konsole auf der er montiert war wie verrückt anzubohren. Dabei sind die Teile gebrochen und wie Geschoße in der Fabrikhalle herumgeflogen. Die Arbeiter mussten in Deckung gehen und meldeten naheliegender Weise, dass der Bohrroboter „verrückt“ geworden wäre.

    Das „vergessene Semikolon“ entspricht z.B. bei einem Kopfschuss zerstörte Neuronenverbindungen die absurdes Handeln zur Folge haben können.

    Je besser das Verständnis über die Funktionsweise des neuronale System, desto besser kann man Probleme verstehen.

  69. @ Stephan Schleim 13.02.2022, 06:31 Uhr

    Zitat: „Dass wir nämlich vermeidbar leiden, weil wir wollen, was wir nicht haben, und haben, was wir nicht wollen, woran selbst die moderne Psychiatrie mit all ihren Wundermittelchen nichts ändern konnte, ist doch eine interessante Konstante des menschlichen Daseins.“

    Genau das frage ich mich auch. Die kommunistischen Technokraten in China scheinen auf dem Weg, das Problem „Wohlstand für alle“ erfolgreich zu lösen.

    Entgegen stehen uralte psychologische Erkenntnisse, dass es einen Menschen erst so richtig „glücklich macht“, wenn er selber hat was andere nicht haben. (Teurere Ernährung, ein schöneres Haus, ein größeres Auto,….). Ganz besonders „glücklich“ wird er dann, wenn er selber Macht hat, über andere „verfügen“ darf, „Speichellecker“ belohnen und Gegner „bestrafen“ darf.

    Jetzt frage ich mich, ob dieser Sachverhalt bei den Chinesen wegen ihrer Mentalität weniger ausgeprägt ist, fast schon „weg erzogen“ ist, oder früher oder später „schlagend“ wird????

    Womöglich können Technokraten diese „psychologische Binsenweisheit“ nicht einmal glauben?

  70. @Schleim
    Es gibt eine Fülle von Beispielen für den Zusammenhang von Psyche und Physis oder Körper und Geist. Trotzdem gibt es immer noch Leute, die naturalistische Erklärungen für Psyche und Geist anzweifeln oder ablehnen. Eine der Begründungen dafür sind die getrennten Sprachebenen für Körper und Psyche/Geist und eine Sprachverwirrung infolge historisch entstandener Begriffe.

    Sie haben das Beispiel Müdigkeit genannt. Gemeint sind damit gleichzeitig stattfindende physiologische Prozesse und Zustände, die mit einer subjektiven Bewusstseinsempfindung der Müdigkeit einher gehen. Ich stimme vollkommen damit überein, dass solche Empfindungen verdinglicht werden und somit als eigene Existenz betrachtet werden, so wie das Bewusstsein überhaupt.

    In Wirklichkeit geht es dabei nicht um Ursache und Wirkung, sondern um sprachlich physiologische und psychologische Bezeichnungen desselben Sachverhalts. Es darf jedoch nicht als Identität verstanden werden. Das subjektiv bewusste Empfinden von Müdigkeit ist erlebbar, die physischen Prozesse dagegen nicht oder nur zum Teil, z.B. durch langsame Gangart oder geschlossene Augen. Bei Mitmenschen kann man Müdigkeit, als aktuellen und temporär begrenzten Zustand, aus bestimmten Beobachtungen nur schlussfolgern, bzw. die Beobachtungen so deuten.

  71. @Hirsch
    Die Erklärungslücke – “explanatory gap” von Joe Levine – besteht in Wirklichkeit aus zwei Lücken: einer Lücke der Erkenntnismöglichkeiten und einer Lücke der Begriffe. Die Begriffslücke lässt sich durch die Neurowissenschaften schließen, indem neue, verbindende Begriffe für die Erkenntnisse der Neurowissenschaften geschaffen werden. Für viele Erkenntnisse der Natur gibt es Brückenbegriffe zwischen Phänomen und Natur. Wir wissen, dass das Phänomen Nebel, ebenso wie das Phänomen Regenbogen, aus winzigen Wassertröpfchen besteht. Beim Regenbogen ist es das Reflexionsvermögen der Wassertröpfchen, das die Farben hervorbringt. Wir kennen also den schrittweisen Übergang zwischen Natur und Phänomen und haben dafür Begriffe. Bei Körper und Geist ist das bisher nicht der Fall, wird aber möglich sein, soweit es die Funktionalität betrifft.

    Anders sieht es beim phänomenalen Bewusstsein aus. Grundsätzlich ist die Natur nicht vollständig erkennbar, weil der erkennende Mensch aus derselben Materie besteht wie das Universum. Man kann nicht “hinter” das Universum schauen. Eine weiße Figur vor einem weißen Hintergrund ist nicht erkennbar. Alles was der Mensch wahrnehmen kann, sind Phänomene. Das phänomenale Bewusstsein der Qualia (sprachlich genauer ihre Bewusstheit) ist nicht erklärbar, ebenso wie physikalische Bewegung oder Anziehung von Körpern als Phänomen nicht erklärbar ist, obwohl wir wissen, wie sie zustande kommt.

  72. @ Stephan Schleim 13.02.2022, 06:37 Uhr

    Zitat: „Meiner Meinung nach wird man so aber immer noch nicht das “harte Problem” lösen können, wird man also immer noch nicht “von außen” erklären können, warum sich ein bestimmter Bewusstseinsvorgang so anfühlt, wie er sich anfühlt.“

    Das „Warum und wie genau“, funktioniert das Bewusstsein, die Zeit, Information, Materie, … (die “harten Fragen”) ist nicht so einfach erklärbar.

    Vermutlich sind es „Ausprägungen“ (die Realisierung) von Naturgesetzen.

    Die Realisierung geschieht vermutlich über so etwas wie (auch biologischen) „Zufallsgeneratoren“ die „Zufallsvariable“ generieren, letztlich systematisch in Prozessoren Prozesse steuern, weitere Prozessoren erzeugen, und auch neue Information generieren.

    Die Naturgesetze werden einfach, mehr oder weniger systematisch von der Variablen „Null bis Richtung Unendlich“ „durchgescannt“.

    Der „Grad an Zufälligkeit“ der Variablen kann ebenfalls schwanken, von Determiniert bis absolut zufällig. Mathematiker können das berechnen und die Bastler von derartigen Zufallsgeneratoren legen den Grad der Zufälligkeit mit dem jeweiligen Konstruktionsprinzip fest.

  73. @Schleim:
    KI und Robotik

    Naja, Koch sinniert in irgendeinem Interview auch darüber, ob sein Smartphone vielleicht Bewusstsein hat.
    Ich denke, Roboter werden irgendwann Beine und Arme so flüssig bewegen können, wie ein Lebewesen, ohne dass sie auch nur einen Funken Intelligenz haben. Hinter der Embodiment-Idee steckt die Vorstellung, dass das Hirn auch ‘morphologische’ Daten braucht. Da glaube ich, dass man die allerdings simulieren oder auf andere Art einpflegen kann. Ansonsten müsste man ja die gesamte Somatik nachbauen.
    Sinn macht für mich eher, Neuronennetze so anzuordnen, dass sie in der Lage sind, Reize zu strukturieren und dies selbst zu wollen. Um das zu verstehen, muss man m.E. auf die ureigensten Prinzipien des Lebens rekurrieren und die Frage beantworten, wie organisiert sich Leben selbst. Hat man dies über die Begrifflichkeit hinaus einmal verstanden, kann man Maschinen vielleicht entsprechend konstruieren. Dazu bedarf es riesigen Teams, die ständiges Brainstorming betreiben.
    Der derzeitige theoretische Stand von KI und Neurowissenschaft lässt mich allerdings daran zweifeln, das dies in den nächsten 100 Jahren gelingt.

  74. @ Elektroniker 13.02.2022, 10:44 Uhr

    Ergänzung zum Beitrag:

    Die Variablen „codieren“ z.B. Eiweiße oder „bilden“ Prozesse, Prozessoren, oder Information systematisch ab.

    Es bestehen so etwas wie Wechselbeziehungen.

  75. @ Schleim

    Das Folgende auch wegen Ihrer etwas überheblichen Bem. *Märchenonkel* (vorgestern 17:40) i.V.m. Herrn Damasio.

    Ich habe die beiden Bücher nicht gekauft (soo wichtig war mir das nicht), sondern im Internet kostenlos heruntergeladen.

    Zugegebenermaßen kann man mit einigem was Hr. Damasio schreibt nicht einverstanden sein. Das gilt aber auch sonst in mancherlei Hinsicht. Zwecks einer objektiven Beurteilung müsste man vll. eine Umfrage machen u. die demokratische Mehrheit entscheiden lassen. Andererseits steht Quantität aber ja nicht automatisch für Qualität. Sie sprechen als Kriterium für Qualität (richtigerweise) Evidenz an. Doch selbst da kam es manchmal zu (verständlichen) Fehlinterpretationen. Nichtsdesdo ist Realismus ein sehr guter Ansatz.

    Mit indischer Philosophie haben Sie sich mehr hobbymäßig (vorgestern 17:23) beschäftigt. Ich mich – aber nicht hobbyhaft – mit u.a. (insb. Theravada-) Buddhismus. Der (bzw. der Buddha) zweifelsfrei durch das indische kulturelle/soziologische Umfeld (den Zeitgeist) beeinflusst war. Und/aber in Indien gab u. gibt es einiges was esoterischen (schama-/”scharlatanistischen”) Charakter hat.

    Hier ein Link der, finde ich (trotz dem Kontext), aber auch etwas sympathisches/humorvolles (sowie realistisches) hat: https://theconversation.com/this-god-shoots-love-darts-but-no-its-not-cupid-176685. Und: Märchen wurden auch anderswo geschrieben: https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_von_Märchen. Sie sind, sozusagen, ein Aspekt des menschlichen Bewusstseins.

  76. @ Wolfgang Stegemann 13.02.2022, 11:11 Uhr

    Zitat: „Elektroniker: versuchen Sie mal, Ihre Beiträge in die Sprache der Biologie zu übersetzen.“

    Auf der Ebene der „Zeichen“ wäre es überhaupt kein Problem (DNA Code).

    „Funktionsmuster“ der Biologie werden oft nachgeahmt. Z.B. versucht man bei Robotern den Menschen nachzuahmen.

    Kürzlich haben ich im Fernsehen einen Roboter gesehen, der einen Gag beherrschte, den viele Menschen nicht können. Er konnte aus dem Stand auf einen Tisch hinaufspringen und mit einem Salto wieder herunter.

  77. @Elektroniker: Glück & Wohlstand

    Wir schweifen gerade etwas ab…

    Erstmal sollte man festhalten, dass es in China nicht nur krasse Unterschiede zwischen Superreichen und dem Rest z.B. in den Städten gibt, sondern dann noch einmal krasse Unterschiede zwischen (modernen) Stadt- und (altmodischen) Landregionen.

    Aber es ist schon so, dass wir Menschen uns permanent mit anderen vergleichen. Ob das eine “Grundkonstante” ist oder mehr mit unserer Gesellschaftsform zu tun hat, weiß ich nicht. Ich erinnere mich an die Nachbarin einer Ex-Freundin in Den Haag: Die musste aus der Straße wegziehen, weil sie es nicht ertragen konnte, im kleinsten Haus von allen zu wohnen. Tja.

    Das mit dem “nicht wollen, was man hat, und nicht haben, was man will” ist übrigens viel grundlegender gemeint als nur bezogen auf Wohlstand. Es geht auch um Gefühle, Gedanken usw.

  78. @Reutlinger: naturalistische Beschreibungen

    Trotzdem gibt es immer noch Leute, die naturalistische Erklärungen für Psyche und Geist anzweifeln oder ablehnen.

    Das ist doch völlig egal: Fakt ist, es gibt keine (vollständige) naturalistische Erklärung von Bewusstseinsvorgängen – und wird sie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch nie geben.

    …sprachlich physiologische und psychologische Bezeichnungen desselben Sachverhalts.

    Na, werden Sie allmählich Anhänger eines Neutralen Monismus oder eines Zwei-Aspekte-Monismus? Dann kommen wir vielleicht ins Gespräch.

    (Hatten Sie den Artikel der norwegischen Philosophin in der F.A.Z. eigentlich gelesen?)

  79. @Krüger: Wissenschaftsmärchen

    Wenn man erfolgreichen Autoren wie Damasio (aber auch Dennett, Roth…) Märchenerzählerei durchgehen lässt und mir, wenn ich es – zutreffenderweise – so nenne, “Überheblichkeit” unterstellt, dann ist die Diskussion schon gelaufen, bevor sie angefangen hat. Wenn Sie die Sache wirklich interessiert, hätten Sie auch fragen können, wie ich zu diesem Urteil komme. (Tipp: Steht z.B. in diesem Artikel, Hirnforschung in den Medien, ist aber auch schon in Schleim 2012 belegt.)

    Wird dem Buddha nicht dieser Ausspruch nachgesagt, nichts einfach so zu glauben, sondern alles selbst zu überprüfen, einschließlich seiner eigenen Aussagen?

    Um Damasios Märchen (und die der anderen Autoren) als solche zu erkennen, muss man schon auch die Quellen lesen, auf die diese Autoren sich beziehen.

    An Märchen ist nichts Verwerfliches; man sollte sie halt nur nicht als Wissenschaft verkaufen. (Bei Damasios Märchen kommt übrigens die konkrete Gefahr dazu, bestimmte neurologische Patienten als “hoffnungslose Fälle” abzuschreiben; denken Sie darüber einmal nach.)

  80. @ Wolfgang Stegemann 13.02.2022, 11:11 Uhr

    Mir fällt noch ein „Lieblingsbeispiel“ von mir ein.

    Die „DNA Ketten“ könnte man wie „Zählerketten“ der Elektronik sehen.

    Also sehr viele als „Zähler“ gekoppelte „Flip-Flops“, die Zahlen codiert abbilden können. In der Elektronik führt man der Zählerkette Impulse zu und die Zählerkette „zählt“ und bildet praktisch auch riesige Zahlen nacheinander in einem bestimmten Code ab.

    Mit der CRISPR/Cas-Methode z.B. kann man „künstlich“ den DNA Code beliebig verändern und gentechnisch veränderte Organismen herstellen. Die Evolution hat „von selbst“ Mechanismen gefunden, die derartiges, vermutlich systematisch ermöglichen.

    In der Technik würde man derartige Mechanismen als „Zufallsgeneratoren“ bezeichnen.

  81. @Schleim:

    ich meine nicht Wille, sondern das, was dem letztlich zugrunde liegt.
    Nochmals: die Basis jeden Lebens, egal auf welcher Ebene, ist Selbstorganisation. Nach diesem Prinzip funktioniert letztlich auch das Gehirn. Die Kunst besteht darin, das Prinzip zu verstehen, das hinter Selbstorganisation im Bereich des Lebendigen liegt und es auf das Gehirn hochzuskalieren bzw. dessen emergente Strukturen zzu erkennen.

  82. @ Stephan Schleim 13.02.2022, 12:16 Uhr

    Die Wohlhabenden in China sind angehalten, den noch nicht wohlhabenden Menschen, die keine Faulpelze sind (letzteres eine erstaunlich Aussage von Kommunisten), dabei „behilflich“ zu sein auch zu Wohlstand zu kommen.

  83. @ Wolfgang Stegemann 13.02.2022, 12:39 Uhr

    „Zufallsgeneratoren“ sind ein Werkzeug der Selbstorganisation. Für Theologen sind sie meines Wissens ein Werkzeug „Gottes“.

    Der Begriff „Selbstorganisation“ dürfte für Theologen zu „eingeengt“ sein. (Alle Naturgesetze sollten zumindest auch “dabei” sein).

  84. @reutlinger 13.02. 10:12

    „Es gibt eine Fülle von Beispielen für den Zusammenhang von Psyche und Physis oder Körper und Geist. Trotzdem gibt es immer noch Leute, die naturalistische Erklärungen für Psyche und Geist anzweifeln oder ablehnen.“

    Zu glauben, dass die Psyche nicht ohne wirkliche Geisteswelten auskommt, bedeutet ja nicht, dass wir keinen Zusammenhang zwischen Psyche und Physis haben. Für mich ist das eher ein Akt der Verzweiflung, der eben die inneren Welten als so fundamental verschieden sieht, als die äußeren Welten.

    Das Problem gibt es seit Jahrtausenden, und auch die moderne Neurowissenschaft weiß immer noch nicht, wie diese Innenwelten funktionieren. Ich nehme an, dass das eben daran liegt, dass Innenwelten eben anderer Natur sind als Außenwelten. Aber die Neurowissenschaft hat ja noch Jahrzehnte, notfalls Jahrhunderte Zeit, doch noch die Innenwelten so zu erklären, dass sie von der selben Art wie die Außenwelten sind. Bis dahin bleibt mir aber meine kreative Verzweiflung, die zur Annahme echter Geisteswelten führt.

    Jedem Programmierer ist klar, dass sein Programm keine innere Erlebniswelt hat. Egal was er auch programmiert, und egal wie komplex das hinterher wird. Und zusammengeschaltete Neuronen alleine sind auch nichts anderes als Computerprogramme, die auf Computern laufen. Aber wir haben eben diese Innenwelten, als eine Evidenz, die wir nicht loswerden.

    „Bei Mitmenschen kann man Müdigkeit, als aktuellen und temporär begrenzten Zustand, aus bestimmten Beobachtungen nur schlussfolgern, bzw. die Beobachtungen so deuten.“

    Die Empathie, zu der wir Menschen fähig sind, kann mehr als nur aus Beobachtungen schließen. Echte Innenwelten, als Geisteswelten verstanden, sind in der Lage auch direkten Kontakt aufzunehmen. Was gegenseitiges Verständnis in einem Ausmaß möglich macht, wie es auch in guten, funktionierenden Beziehungen zu beobachten ist.

  85. @Elektroniker:

    Zufallsgeneratoren“ sind ein Werkzeug der Selbstorganisation.

    Das glaube ich nicht. Ich denke, es gibt eine intrinsische Logik, ähnlich der Verbindung von Atomen zu Molekülen, nur eben auf der Ebene des Lebens (siehe Manfred Eigen). Leben kann sich nicht ‘rein zufällig’ entwickeln, sondern nur auf der Basis der vorhandenen Strukturen. Ein Mensch rennt ja auch nicht zufallsgesteuert durch die Gegend, sondern folgt bestimmten Regeln, die sich aus ihm als autopoietischem System ergeben. Der Zufall kommt von außen hinzu, und damit meine ich, ob man gute oder schlechte (genetische und soziale) Karten mitbekommt.

  86. @Schleim
    Ob ein Phänomen wissenschaftlich-naturalistisch erklärbar ist, sei es vollständig oder nicht, ist eine Sache wissenschaftlicher Fähigkeiten und Möglichkeiten. Ob ein Phänomen grundsätzlich nicht naturalistisch ist, das ist eine andere Sache. Ich bin überzeugt, dass das Bewusstsein naturalistisch ist, aber naturalistisch nicht vollständig erklärbar ist, insofern als es funktional, aber nicht phänomenal erklärbar ist.

    Auch die physikalische Welt ist nicht vollständig erklärbar. Ich verorte die Qualia des Bewusstseins auf der physikalischen Ebene, so wie anziehende und abstoßende Kräfte letztlich nicht erklärbare Phänomene sind, obwohl man sie bewusst spüren kann und weiß, wodurch sie zustande kommen. Es läuft auf die ultimative Frage hinaus, warum die Welt so ist wie sie ist.

  87. Den Freunden des Naturalismus sei diese Stelle im neuen Interview über Bewusstseinsforschung in Gehirn&Geist ans Herz gelegt:

    Frage: Bringt Hirnaktivität Bewusstsein hervor?

    Pauen (Philosoph): Sie bringt es nicht hervor, sondern bestimmte neuronale Aktivitätsmuster sind mit bestimmten Bewusstseinszuständen identisch.

    Wilke (Neurowissenschaftlerin): Bewusstseinszustände und -inhalte korrelieren mit messbaren Mustern der Hirnaktivität, auf mehr würde ich mich nicht festlegen.

    Bemerkung: Über Pauens Begriff von Identität könnte man sich bei Gelegenheit wundern; und Wilkes Feststellung wäre wohl sogar mit einem Substanzdualismus à la René Descartes vereinbar.

  88. Nachfrage an Physiker:

    Verwechselt Pauen an dieser Stelle im Interview nicht Atome mit Molekülen? Wie war das noch einmal mit den Aggregatzuständen? Nur interessehalber.

    Nun, gemäß dem Atommodell wissen wir, dass Wasser ein Molekül bestehend aus zwei Wasserstoff- und einem Sauerstoffatom ist. Und die jeweilige Art, wie diese Atome miteinander verbunden sind, bestimmt darüber, ob das Wasser fest, flüssig oder gasförmig ist. Im übertragenen Sinn heißt das: Was uns derzeit noch fehlt, ist eine Art Atommodell für Bewusstsein.

    (Ich erinnere mich an die Diskussion zur wissenschaftlichen Erklärung der Glätte gefrorenen Eises. Da ging es doch um die Anzahl der Verbindungen zwischen den Wassermolekülen.)

  89. @Schleim:
    Wenn Frau Morch schreibt: “Denn alles Materielle ist bereits bewusst”, dann klingt das schon wieder schwurbelig. Sie macht denselben reduktionistischen Fehler in anderem Gewand: Bewusstsein soll irgendwie einen materiellen Untergrund haben, aber das, was den Geist hervorbringt, steckt dann doch im ‘Atom’ oder entsteht durch die Qualia.
    Mein Vorschlag: Jedwede Lebensäußerung einschließlich des Bewusstseins hat eine materielle Basis. Bewusstsein kommt erst auf der Ebene von (zentralen) Nervensystemen hinzu, die Realität eben so ‘abbilden’ wie sie es tun.
    Meine weitergehende Idee dazu: es entstehen Metastrukturen, die kausale Kraft entwickeln und die möglicherweise jedem Leben auf der ihm jeweils eigenen Weise zugrunde liegen. Ein weiteres Geheimnis würde ich daraus nicht machen. Lässt man jeden Anthropozentrismus weg, kommt man auch nicht auf die Idee, dass dieses metastrukturelle Bewusstsein schon in der Materie liegt oder eben in der Qualia begründet ist (siehe dazu meine Argumentation auf dr-stegemann.de)

  90. @Stegemann: Panpsychismus…

    …sieht Bewusstsein als eine grundlegende Qualität/Eigenschaft des Universums, die überall vorhanden ist. Dann kommt man freilich auf die Schwierigkeit, zu sagen, was etwa ein Steinbewusstsein sein soll; oder ein Atombewusstsein.

    Wir sollten jetzt aber nicht den Fehlschluss begehen, so zu tun, als hätten wir bei Materie (besser: der grundlegendsten Eigenschaft der Physik) verstanden, was das Wesen wäre, und dann wieder in den Reflex verfallen, Bewusstsein darauf reduzieren zu wollen.

  91. @ Wolfgang Stegemann 13.02.2022, 13:11 Uhr

    Dass sich Leben (oder auch das neuronale Netz) sehr stark auch auf Basis der vorhandenen Strukturen und gemäß bestimmter Regeln entwickelt, sehe ich auch so.

    Der genetische Zufall hat aber auch bewirkt dass sich systematisch neue Eigenschaften, bis hin zu neuen Lebewesen herausgebildet und weiter entwickelt haben.

    Allerdings generieren „Zufallsgeneratoren“ nicht nur immer neue „Zufälle“, sie können sozusagen in einen „Modus verfallen“ (ganz entgegen der Bezeichnung „Zufallsgenerator“) dass sie überwiegend und stabil immer wieder Folgen erfolgreicher Variablen generieren können.

  92. „Bewusstsein“ ist ein sehr „willkürlicher“ Begriff.

    Für mich persönlich ist es ein „Aufmerksamkeitsschema“ im Sinne von Graziano.

    Eine Art von „Radarbildschirm“, (habe gar nicht gewusst dass auch Wissenschaftler ähnliche Denkmuster wie ich verfolgen), bildet das „eigentliche Bewusstsein“ ab. Den örtlichen und zeitlichen Zusammenhang von Informationen (z.B. die blaue Bank im Park). Ich würde vermuten, dies geschieht verteilt an Zwischen- bzw. Endschichten, wie z.B. Netzhaut.

    Blau ist eine „winzige“ Empfindung die erst im Zusammenwirken mit sehr vielen „Empfindungen“ das Bewusstsein ergibt.

    Ob Oberflächenprozesse auf der blauen Bank identisch oder nur verknüpft sind mit den Empfindungsprozessen auf den Zapfen und erst im komplexen Zusammenwirken zwischen mehreren Komponenten Empfindungen zum Bewusstsein emergieren, ist eine andere Frage.

    Es ist auch die Frage ob allenfalls die gleichen Oberflächenprozesse (auf der Bank und an den Zapfen) für Panpsychismus reichen?

  93. @Stephan 13.02. 14:26

    „Panpsychismus……sieht Bewusstsein als eine grundlegende Qualität/Eigenschaft des Universums, die überall vorhanden ist. Dann kommt man freilich auf die Schwierigkeit, zu sagen, was etwa ein Steinbewusstsein sein soll; oder ein Atombewusstsein.“

    Der Stein ist Stein und bleibt Stein, da gibt es keine dynamischen Strukturen, die irgendwie interessant wären, dass es hier Prozesse mit ihnen gäbe. Anders bei Pflanzen, Tieren und Menschen. Da passiert was, da sind sowohl von außen wie von innen gesehen Lebens- und vor allem Steuerungsprozesse sichtbar. Im Spezialfall der menschlichen Innenwelten sind wir dazu fähig, uns auch darüber auszutauschen, wie es uns so gerade geht, was uns umtreibt und was wir uns so denken.

    Ich glaube, @Stegemann meinte hier mal, dass wenn wir mal die Strukturen gefunden haben, die in unserem Gehirn mit dem Bewusstsein korrelieren, dann wird es auf einmal ganz einfach, und niemand wundert sich mehr darüber. Das kann ich auch nicht ausschließen, ich kenne eben die Grundidee nicht, die hier realisiert ist.

    Wenn wir das aber mal finden, dann können wir das bestimmt auch auf Computerbasis implementieren. Dann gäbe es womöglich eigenständige Existenzen, die ganz im Internet leben, sich dort selbstständig bewegen und die ständig auf der Suche nach Kommunikation mit uns Menschen und untereinander sind. Hier hätten wir dann sozusagen ein 6-g- oder 7-g -Netz, das mit derartiger künstlicher Lebensbevölkerung angereichert ist.

    Aber ich habe keinerlei Idee, wie eben aus Informatik alleine Innenwelten werden können, und gehe stark davon aus, dass das ohne Geisteswelten einfach nicht geht.

    Die Korrespondenz mit tatsächlichen Korrelaten im Nervensystem hingegen sehe ich unbedingt auch, entsprechend rechne ich auch nicht mit irgendwelchen körperlosen Geistern. Nur muss ich annehmen, dass diese Korrelate nur eine Innensicht haben können, wenn hier eben der dafür nötige Geistesraum zur Verfügung steht, in den sie sich abbilden können.

    @Stegemann 13:02. 14:00

    „Meine weitergehende Idee dazu: es entstehen Metastrukturen, die kausale Kraft entwickeln und die möglicherweise jedem Leben auf der ihm jeweils eigenen Weise zugrunde liegen. Ein weiteres Geheimnis würde ich daraus nicht machen.“

    Hört sich gut an. Weitere Geheimnisse dürfen es für mich aber gerne sein.

  94. @Tobias: What is it like to be a stone?

    Guter Punkt. Das Steinbewusstsein, falls es das denn gibt, ist also so etwas wie eine permanente meditative Versenkung.

  95. @Schleim:

    Er meint hier die sogenannte Wasserstoffbrückenbindung. Die tritt zwischen einem Wasserstoffatom in einem Wassermolekül und einem Sauerstoffatom in einem anderen Wassermolekül auf. Es handelt sich also nicht um eine Verwechselung.
    Wikipedia:
    “Wasserstoffbrücken sind für eine Anzahl wichtiger Eigenschaften des Wassers verantwortlich. Darunter sind der flüssige Aggregatzustand bei Normalbedingungen, die Kohäsion, der relativ hohe Siedepunkt und die Dichteanomalie des Wassers.”

  96. Gerade das Wasser ist ein gutes Beispiel für die Phänomene der Physik. Reines Wasser ist elektrisch nicht leitend. Verunreinigungen machen es leitend, das sieht man an der Wirkung des Föns in der Badewanne. Mit reinem Wasser wäre Leben gar nicht möglich, auf Grund seiner chemischen Aggressivität. Die Dichteanomalie des Wassers lässt Flüsse und Seen an der Oberfläche zuerst gefrieren. Ohne dieses Phänomen wäre Leben wohl nicht entstanden.

    Kleinste Veränderungen der Physik verändern Phänomene der Natur; Nebel und Regenbogen hatte ich schon genannt. Sie erscheinen uns so alltäglich, dass wir uns darüber keine Gedanken machen. Aber der menschliche Geist erscheint uns als unlösbares Rätsel, weil die Lebensprozesse dazu nicht sichtbar und bisher nicht ausreichend bekannt sind. Die Physik ist für alle Prozesse der Natur und den Lebens dieselbe. Ohne Kenntnisse der Physik kann man weder das Leben noch den menschlichen Geist verstehen.

  97. Meine persönliche Ansicht zu dem Thema (ich dachte das hätten wir alles schon einmal gehabt): Es ist gut belegt, dass Nervensysteme ausschließlich aus normaler Materie bestehen, also aus bekannten Atomen und Molekülen. Diese zeigen auch die bekannten und verstandenen Wechselwirkungen und nichts mehr. Also sind alle Zustände des Nervensystems im Prinzip mit den bekannten Methoden zu beschreiben. Wenn man postuliert, dass es darüber hinaus noch etwas Anderes gebe, eine andere Substanz oder eine andere, unbekannte Eigenschaft der Materie die für Nervensysteme speziell seien, muss man das auch experimentell belegen können. Ich halte so ein Postulat für reine Phantasie.
    Wir kennen allerdings leider nur die unterste Ebene der Beschreibung der Nervensysteme (Neuronen), analog zu den elektronischen Bauteilen von Computern: Transistoren, Dioden, Widerständen und Kondensatoren. Die weiteren Abstraktionsebenen der Nervensysteme sind uns weitgehend unbekannt, und daher sind die Funktionen die am höchsten entwickelt sind, also zum Beispiel Bewusstsein, im Augenblick rätselhaft und schwer greifbar. Im Gegensatz dazu kennen wir genau die nächsten Abstraktionsebenen bei Computern, daher erscheint uns es überhaupt nicht rätselhaft, wie Computer funktionieren (meistens wenigstens) und was sie leisten.
    Weil wir diese (vermutlich vielen) Abstraktionsebenen nicht kennen, können wir auch sprachlich nicht ausdrücken, um was es sich bei diesen “geistigen” Zuständen handelt, können nicht genau sagen was man in Bezug auf das Bewusstsein überhaupt erforschen sollte. Wir stochern also ziemlich im Nebel.

  98. @Reutlinger: Wasser & Anomalien

    Wenn man sich mal damit beschäftigt, was für Anomalien es allein schon beim Wasser gibt, so einem relativ einfachen aber auch sehr grundlegenden Molekül, sollte einen das nicht vor allem zu Bescheidenheit anleiten?

    Vielleicht verstehen Sie jetzt, warum ich es für problematisch halte, wenn manche Forscher behaupten, die Erklärung des Bewusstseins sei nur eine Frage der Zeit. (Siehe hierzu gerne noch einmal das Manifest führender Hirnforscher von 2004.)

    @Physiker: Danke!

  99. @Physiker: Physik & Bewusstsein

    Reduktionismus war hier in bald 15 Jahren immer wieder ein Thema; aber auch immer wieder Zündstoff für die lebendigsten Diskussionen. Kann man das jetzt physikalisch, psychologisch oder sonst wie erklären? Vielleicht ist uns auch schlicht langweilig.

    Aber selbst wenn die Komponenten des Nervensystems (Anatomie & Physiologie) in grundlegendere physikalische Komponenten zerlegt werden können, zeigen sie eben Eigenschaften, die ihre Teilkomponenten nicht zeigen. Das hatten wir doch auch gerade.

    Emergenz in diesem “unschuldigen” Sinne besagt, dass das Ganze mehr ist als die Summe seiner Teile, nämlich die Summe seiner Teile zuzüglich ihrer Relationen zueinander.

    Und warum entstanden überhaupt Disziplinen wie Chemie, Biologie usw., immer mehr in jüngerer Zeit, wenn doch im Grunde alles nur Physik ist?

    Mechanistische Erklärungen (siehe: new mechanism) sind im übrigen nicht-reduktiv, sondern integrativ; die jeweiligen Beschreibungsebenen sind gemeinsam notwendig.

    In Konsequenz: Selbst wenn im Grunde alles nur Physik ist (ontologisch), könnte die Physik alleine nicht hinreichend sein, um alles zu erklären (epistemisch); womit dann wiederum auch Sean Carroll widerlegt wäre.

  100. @Schleim
    Kein vernünftiger Mensch wird behaupten, dass der menschliche Geist in der Sprache der Physik erklärbar ist. Jeder Mensch weiß, dass ein Auto aus vielen Einzelteilen besteht, die zusammen das Auto ausmachen. Die Aggregation von Einzelteilen zu einem funktionierenden Ganzen oder System ist erforderlich, um die Information zu reduzieren und beherrschbar zu machen. Anders könnten wir über die Welt nicht kommunizieren.

    Auch “das Bewusstsein” ist eine Aggregation verschiedener Funktionen und Phänomene. Das schlägt sich in den Begriffen unterschiedlicher Aggregationsstufen oder Abstraktionsebenen nieder. So wie man das Auto in seinen (wesentlichen) Einzelteilen verstehen muss, um es angemessen zu nutzen, zu bedienen und zu reparieren, so muss man auch das Bewusstsein in seinen Einzelteilen verstehen, wenn man es überhaupt verstehen will. Und so wie man nicht jede Schraube untersuchen muss, so muss man nicht jedes Molekül untersuchen, weil deren Funktionsweisen allgemein bekannt sind.

    Dass das Ganze mehr ist als die Summe seiner Teile, ist eine ziemlich banale und nutzlose Aussage, wenn man nicht versteht und erklärt, wie die Teile genau zusammenhängen. Das lässt sich wieder leicht am Beispiel Wasser illustrieren. Ein einzelnes Molekül bildet einen magnetischen Dipol. Kommen mehrere Moleküle zusammen, dann verschieben sich die elektrischen Ladungen und die Bindung der Atome erstreckt sich über mehrere Moleküle. An der Oberfläche eines Gewässers bildet sich dadurch ein für leichte Insekten undurchdringlicher Film, auf dem sie sich bewegen können.

    Die sogenannten Wasserstoffbrückenbindungen sind ziemlich schwach, wodurch Moleküle leicht aufgelöst und neu gebildet werden können. Im Organismus kommen sie sehr häufig vor – z.B. in der DNA – und sind daher entscheidend für das Leben überhaupt.

  101. Hallo Herr Schleim,
    zunächst zum Thema selbst: Ja, für die Hirnforschung (als Teilgebiet der Biologie bzw. Neurobiologie) wäre eine Unterstützung durch die Psychologie wünschenswert. Ich hatte das vor längerer Zeit schon in einem Kommentar in Ihrem Blog geschrieben. Da die Trennung zwischen Geisteswissenschaften und Naturwissenschaften nicht sonderlich scharf ist und wohl auch von der „Tagesform“ des Personals abhängig ist, hatte ich mich zurückhaltend ausgedrückt:
    Für das „gesamte Bild“ benötigt man beide, nämlich (eher) geisteswissenschaftliche und (eher) naturwissenschaftliche Erkenntnisse. Für das friedliche Zusammenleben der Menschen sind (eher) geisteswissenschaftliche Erkenntnisse womöglich wichtiger als (eher) naturwissenschaftliche Erkenntnisse. Allerdings sind für mich die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse unabdingbares Fundament. Wenn das ignoriert wird, hilft das nicht für das gesamte Bild.
    Ich schätze das auch heute so ein.
    Ob die Psychologie eher zu den Geistes- oder den Naturwissenschaften gehört? An der Uni Kiel gehört das Fach zur Philosophischen Fakultät, also eher nicht zu den Naturwissenschaften.
    Später mehr.
    …Hunderunde …

  102. @ Physiker 13.02.2022, 18:05 Uhr

    Zitat: „… unbekannte Eigenschaft der Materie die für Nervensysteme speziell seien, muss man das auch experimentell belegen können.“

    Sehe es wie Sie. Allerdings könnten die Spezialisten die im Bereich Sensortechnik arbeiten, weiter in der Forschung sein.

    Im Prinzip geht es darum, dass bei mikrochemischen Prozesse in einem Reaktionsraum zusätzlich elektrische Größen (Spannung, Strom, Frequenz, Impulsform,…) zugeführt und gleichzeitig zeitabhängig, hauptsächlich elektrische Parameter gemessen und ausgewertet werden. Da gibt es bestens bewiesene Zusammenhänge, die in der Sensortechnik höchst erfolgreich genutzt werden.

    Da einerseits Empfindungsphänomene auftreten, sollten die sozusagen „Begleitmusik“ bei bestimmten Prozessen sein. Zumindest sollten „verdächtige“ Korrelationen gefunden werden können.

    Auch wenn das Phänomen „Phantomschmerz“ zunächst dagegen spricht, dass Schmerzen z.B. peripher auftreten und auch dort „empfunden“ werden.

    Vermutlich entstehen die Schmerzen real z.B. am „Beinstumpf“, werden aber in Nervenverbände gekoppelt, die vorher normalerweise z.B. Schmerzen von den Zehen des amputierten Fuß zum Gehirn geleitet haben, Empfindungen beim Phantomschmerz dürften falsch lokalisiert werden.

  103. @Stephan Schleim

    Das Steinbewusstsein, falls es das denn gibt, ist also so etwas wie eine permanente meditative Versenkung.

    Stimmt – fast.

    Genaueres wird einem im kürzlich erschienen Comic von Nadine Redlich präsentiert. Das wird sicher einmal zur Pflichtlektüre für alle Philosophen des Geistes.

  104. @Schleim
    Weiter geht’s, aber in kleinen Schritten.

    Reduktionismus „revisited“

    Eine Einsicht aus meiner beruflichen Erfahrung lautet: Immer erst die Anforderungen und die Randbedingungen klären. Klingt leicht und wird trotzdem leicht übersehen, auch von mir; vor allem, wenn es um alltägliche Begriffe wie z.B. reduzieren, Reduktion, Reduktionismus geht. Mir scheint, dass der Begriff Reduktionismus in der Physik und in der Philosophie nicht mit derselben Bedeutung verwendet wird. So gesehen also kein Wunder, dass wir in der Diskussion neulich zu unterschiedlichen Interpretationen eines Textes gelangten.

    Nun bin ich sowohl in der Physik als auch in der Philosophie nur interessierter Laie und meine deshalb, dass solche Unterschiede von den beteiligten Fachleuten aus diesen Fächern diskutiert und hoffentlich bereinigt werden sollten. Meine Meinung zum Reduktionismus und zu dem Text von Herrn Carroll, aus dem Sie einen „extremen Reduktionismus“ herausgelesen hatten, hatte ich in mehreren früheren Kommentaren dargelegt, zuletzt im „Hurra“-Blog-Beitrag.
    Link

    Vielleicht liest es ja jemand. 😉

  105. @Schleim, Physik und Weltformel

    Aus dem Text des Blogbeitrags:

    Manche halten dann die Physik für die grundlegendste aller Wissenschaften, erwarten also von ihr letztlich diese Weltformel.

    Ähnliche Wörter hatte ich auch in einem Kommentar neulich verwendet. Vorsichtshalber eine Klarstellung:

    Ja, ich halte die Physik für die Wissenschaft, die die Grundlagen erforscht und mit ihren Erkenntnissen dazu beiträgt, dass diese Grundlagen bekannt sind oder werden. Also eine oder auch die grundlegende Wissenschaft.
    Nein, ich persönlich erwarte von der Physik keine Weltformel. Und selbst wenn die Physik eine Weltformel „erkennen“ würde, würde ich daraus keine bessere Erkenntnis über alltägliche Vorgänge erwarten.

    Genug für heute.
    Mit freundlichen Grüßen
    Harald Andresen.

  106. @Andresen:

    Danke, ich stimme mit ihnen überein, inklusive des Kommentars im Link. Die Physik will nicht alles erklären, aber die Struktur der Materie und die Wechselwirkungen schon. Darauf baut dann alles andere notwendigerweise auf, aber mit anderen Konzepten, die an die Fragestellungen angepasst sind.

  107. @ Stephan Schleim 13.02.2022, 18:44 Uhr

    Zitat: “Und warum entstanden überhaupt Disziplinen wie Chemie, Biologie usw., immer mehr in jüngerer Zeit, wenn doch im Grunde alles nur Physik ist?“

    Weil unsere Gesellschaft extrem arbeitsteilig geworden ist, das Spezialistentum wurde wegen der Komplexität der Systeme stark gefördert.

    Die Elektronik baut stark auf die dort traditionell selbstverständliche Zusammenarbeit mit der Physik.

    Vermutlich anders der medizinische Bereich. Dort sind eher wenig Physiker tätig. (Die Impulsdiagramme für die Einspeisung von Impulsen für Hirnschrittmacher wurden angeblich von Physikern erstellt).

    Um z.B. „verdächtige“ Korrelationen im Zusammenhang mit dem Empfindungsphänomenen zu finden, müssten vermutlich Sensorikwissenschaftler (z.B. Quantenchemiker) mit Neurologen zusammenarbeiten. Hauptsächlich Neurologen wissen, in welchen Bereichen (auf Zellebene) genau, wo z.B. „Lustverarbeitung“ im Körper erfolgt.

  108. @Reutlinger: Sag niemals nie

    Kein vernünftiger Mensch wird behaupten, dass der menschliche Geist in der Sprache der Physik erklärbar ist.

    Nein, nur mit Sean Carroll (Theoretisch Physik, MIT) einer der führenden Physik-Kommunikatoren unserer Zeit. Aber der ist natürlich kein “vernünftiger Mensch”. 😉

  109. @Andresen: Wesen der Psychologie

    Ich hatte früher mal Kolleginnen, die partout nicht an so einer Uni promovieren wollten, wo die Psychologie an der Geisteswissenschaftlichen Fakultät zuhause ist, sie also einen “wertlosen” Dr. phil. bekommen hätten, statt des “echten” Dr. rer. nat.

    So etwas verrät uns mehr über das Denken mancher Menschen als das Wesen der Psychologie.

    Tatsächlich ist die Psychologie mit ihrer philosophisch-geisteswissenschaftlichen Tradition auf der einen und der Biologischen Psychologie auf der anderen Seite von Natur aus interdisziplinär und damit hervorragend positioniet, Probleme der wirklichen Welt zu erforschen und zu lösen, anstatt nur Scheinprobleme im Labor; man könnte gar behaupten, dass es einer eigenen Hirnforschung darum gar nicht bedürfe, jedenfalls nicht zur Erklärung des Menschen.

  110. @Joker: Steine

    Und ich dachte, jetzt käme ein Kommentar, dass alles fließt und selbst Steine sich verändern, wenn auch sehr langsam.

    P.S. Danke für den Hinweis. Jetzt habe ich ein tolles Geschenk für jemanden gefunden.

  111. @Physiker, Andresen: Einheit

    Wenn (a) die Welt eine ist, doch (b) die Beschreibungen von ihr viele, dann stellt sich aber schon die Frage, ob wir (a) wissen können, wenn (b) wahr ist.*

    Darauf habe ich schon in meinem Fragenkatalog oben verwiesen, auf den niemand hier geantwortet hat. (Kein Vorwurf.)

    * Das ist auffällig analog zum Determinismusproblem: Ein System kann chaotisch (und in diesem Sinne unvorhersehbar) erscheinen, obwohl es deterministisch ist; und selbst wenn es sich wirklich indeterministisch Verhält (Annahme), kann es durch die statistische Brille regelmäßig erscheinen. Aber ich gebe offen zu, dass Sachverhalte gibt, von denen ich wenig verstehe. Doch auch hier gehen ontologische und epistemische Fragen durcheinander. (In jedem Falle ein starkes Argument dafür, Determinismus nicht als Vorhersehbarkeit zu verstehen.)

  112. @Elektroniker: Das klingt ja fast so, als ginge es hier um Arbeitsbeschaffung.

    Aber vielleicht lösen Philosophen (Wissenschaftler, Politiker…) Probleme nie endgültig, damit es immer genug Probleme gibt.

  113. @ Stephan Schleim 13.02.2022, 22:15 Uhr

    Man könnte es noch sarkastischer formulieren als nur „Arbeitsbeschaffung“.

    Einerseits sind viele Menschen „bequem“ geworden, möchten sich nicht zu viel „aufhalsen“ und möchten lieber einen „billigen“ aber „angesehenen Abschluss“.

    Andererseits sind auf individuelle besondere „Fähigkeiten“ ausgesuchte „Spezialisten“ besser fachlich ausbeutbar, sie leisten mehr, schneller und besser…. können letztlich mehr verdienen. Wer braucht schon wirklich die raren „Universalgenies“, sie sind einfach zu teuer ….

    Das reicht vom Gerüstbauer, Maurer, Zeichner, bis zum hoch qualifizierten Akademiker.

  114. @Stephan 13.02. 17:21

    „Das Steinbewusstsein, falls es das denn gibt, ist also so etwas wie eine permanente meditative Versenkung.“

    Wenn wir jetzt aber ganze Gesteinsschichtungen, die Plattentektonik, die ganze Erdkruste samt des darunter liegenden Erdmantels und damit die geologische Physik des ganzen Planeten angucken, dann finden hier doch komplexe Prozesse statt. Die dann auch einen Spielraum für geistige Einflüsse zur Verfügung stellen könnten.

    Die Weiterentwicklungen der geologischen Prozesse an der Erdoberfläche sind dann auch vielfältig mit der Biosphäre verbunden, und das Endergebnis ist atemberaubend schön, finde ich zumindest. Nur die Zeiträume, über die sich Gebirge und Ozeane bilden, sind von unserer relativen Kurzlebigkeit recht weit entfernt. Aber eben als Teil von Geisteswelten tatsächlich auch theoretisch mit unserer Geistigkeit zu verbinden.

    Gerade die Beständigkeit der Lithosphäre im Vergleich zu unseren Lebenszeitfenstern mag aus unserer Sicht dann tatsächlich an meditative Versenkung erinnern.

  115. Dass hier ein ´Steinbewusstsein´ angenommen und diskutiert wird – ist ein sehr interessanter Ansatz.
    Bisher hat man das Thema ´Bewusstsein´ den Neurologen, Psychologen, Pholosophen bzw. Theologen überlassen – vermutlich wäre es viel besser, dieses Thema doch den Geologen zu überlassen.
    Dort ist mehr Sachverstand für Steine vorhanden.

  116. @ Schleim

    Meiner Meinung nach wird man so aber immer noch nicht das “harte Problem” lösen können, wird man also immer noch nicht “von außen” erklären können, warum sich ein bestimmter Bewusstseinsvorgang so anfühlt, wie er sich anfühlt.

    Vermutlich haben Sie recht.
    Es wird immer verschiedene “Erklärungen” geben. Von außen oder von innen. Beide Zugänge erlauben es nicht den jeweils anderen zu beschreiten. Man kann wohl nur versuchen “Korrelationen” aufzudecken. Keine “Erklärung”wird wohl jemals allgemein akzeptiert werden.

    Vielmehr sollte man, ich wiederhole es noch einmal, sich vielleicht überlegen, wie man möglichst gute Bewusstseinsvorgänge (oder allgemeiner: ein möglichst gutes Leben) haben kann.

    Na klar, wer sollte dem widersprechen? Zumindest einige Menschen empfinden aber die Suche nach Erklärungen als “gute Bewußtseinsvorgänge”. Manche erkennen darin wohl sogar den eigentlichen Sinn ihres Lebens (ich nicht).

  117. @Hirsch: Der westlichen (akademischen) Wissenschaft wirft man ja nicht selten vor, sich zu sehr in ihren “Elfenbeinturm” zurückgezogen zu haben.

    Es sollte eine gute Balance zwischen Grundlagen- und Anwendungsforschung geben; Wissenschaft sollte aber nicht nur darum gehen, Karriere zu machen. Das größere Ganze sollte man nicht aus den Augen verlieren.

    Ein Gastbeitrag mit Antworten auf Ihre Fragen ist nun übrigens online:

    Was kann die phänomenologische Psychologie zum Bewusstseinsproblem beitragen?

  118. @Harald Andresen // 13.02.2022, 20:55 Uhr

    »Vielleicht liest es ja jemand. «

    Hab‘ ich gemacht—und es hat mir gefallen!

    Eines noch zur Ergänzung:

    Mir ist aufgefallen, dass Stephan Schleim im Blog „Das kleine Einmaleins des Leib-Seele-Problems
    schreibt, Sean Carroll „behaupte, […] man könne unsere gesamte Alltagswelt in der Sprache der Physik, mit nur drei Arten von Teilchen, drei Arten von Kräften und ein paar weiteren Regeln erklären“ [Fettung von mir].

    Nun kommt aber in dem kurzen Carroll-Text, aus dem zitiert wird, der Begriff „Sprache der Physik“ (bzw. „language of physics“) gar nicht vor.

    Mit „Sprache der Physik“ ist offenkundig nicht die Mathematik gemeint, sondern vermutlich das Inventar der physikalischen (Fach-)begriffe. Das heißt, nach meinem Verständnis werden Carrolls Aussagen erst durch diese Formulierung ins Extreme, ja nahezu Absurde gewendet.

    Vielleicht liegt es daran, dass Sie, ich und einige andere Carrolls Text anders verstehen als der geschätzte Blog-Autor (das Schöne an Stephan Schleims Beiträgen ist ja, dass er, wo immer es geht, die entsprechenden Quellen verlinkt, so dass der Leser sich selbst ein Bild machen kann).

  119. @Balanus: wissenschaftliches Arbeiten

    Bitte vermische hier nicht auf so grob unsorgfältige Weise direkte und indirekte Zitate. Carroll schrieb, im Wortlaut:

    All we need to account for everything we see in our everyday lives are a handful of particles — electrons, protons, and neutrons — interacting via a few forces — the nuclear forces, gravity, and electromagnetism — subject to the basic rules of quantum mechanics and general relativity.

    Was ich übersetzte, im Wortlaut:

    Alles, was wir brauchen, um alles zu erklären, was wir in unserer Alltagswelt sehen, sind eine Handvoll Partikel – Elektronen, Protonen und Neutronen –, die mittels einiger Kräfte – der nuklearen Kraft, Gravitation und dem Elektromagnetismus – und gemäß der grundlegenden Regeln der Quantenmechanik und der allgemeinen Relativität miteinander Interagieren.

    Wenn für dich die genannten physikalischen Partikel und Kräfte keine Paradebeispiele für “physikalische Sprache” sind, dann hast du vielleicht ganz tief ins Klo gegriffen, aber mir mit Sicherheit keinen Fehler nachgewiesen!

  120. P.S. Und im Übrigen darf jeder Sean Carrolls Zitat so verstehen und übersetzen, wie er will; eine abweichende Übersetzung, die mindestens genauso viel Sinn ergibt, hat hier aber noch keiner vorgestellt. Es ist auch nicht Sinn und Zweck dieses Blogs, ewig Exegese (Textauslegung) zu betreiben. Für sowas gibt es Bibelseminare.

  121. @Balanus, @Physiker
    Danke für die Rückmeldungen.
    Aber nun erst wieder ein Kommentar zum Blog selbst. Mal seh’n, ob und wann ich dazu komme, auf Fragen in den Kommentaren zu antworten.

  122. @Schleim
    zum Blog-Text / zum „Gedankenlesen“

    Danke, dass Sie das Beispiel der ALS-Patientin so ausführlich erläutert haben. Selbst mit dieser nur „schwach invasiven“ Vorgehensweise ließen sich nur Leseleistungen von ungefähr 1 bis 2 Zeichen pro Minute erzielen. Und auch das erforderte mehr als ein halbes Jahr Training für eine von vornherein stark eingeschränkte Aufgabe: „Denken Sie jetzt an einen bestimmten Buchstaben.“

    Aber „schritthaltendes“ Lesen freier Gedanken? Mit nicht-invasiven Methoden wie EEG oder fMRT? Mangels ausreichender Auflösung aus meiner Sicht aussichtslos. Zum Glück, füge ich hinzu.

    Bei invasiven Methoden würde die Beobachtung vermutlich das Beobachtete beeinflussen. „Wie schwer sind ca. 87 Mrd sehr dünne isolierte Drähte?“ und andere mögliche Störungen oder Einflüsse. Konflikte mit ethischen Grundsätzen kämen dazu.

    Keine guten Aussichten für diese Art der Hirnforschung.
    Aber vielleicht war nur das Ziel zu hoch gesteckt?

  123. @Schleim
    Nun doch noch ein Übersetzungsversuch von “Carroll”

    All das, was verantwortlich ist für alles, was wir in unserer Alltagswelt sehen, sind eine Handvoll Partikel – Elektronen, Protonen und Neutronen –, die mittels einiger Kräfte – der nuklearen Kraft, Gravitation und dem Elektromagnetismus – und gemäß den grundlegenden Regeln der Quantenmechanik und der allgemeinen Relativität miteinander Interagieren.

    Wir interpretieren bzw. verstehen diesen Satz und den Beitrag, in dem er ursprünglich geschrieben wurde, offensichtlich unterschiedlich.

  124. Stephan, bitte ganz ruhig bleiben.

    Ich will dir keine Fehler nachweisen, sondern nur verstehen, wie aus der an sich harmlosen Carroll-Aussage eine ziemlich abstruse Carroll-Behauptung werden konnte, nämlich: “man könne unsere gesamte Alltagswelt in der Sprache der Physik […] erklären“. Denn genau das „behauptet“ er gerade nicht, die „Sprache der Physik“ hast du, so mein Eindruck, offenbar zur Verschärfung deines Arguments hinzugefügt.

    Insbesondere ‚Chrys‘ wird ja nicht müde darauf hinzuweisen, dass der Physik die sprachlichen Mittel fehlen, nichtphysikalische Sachverhalte zu beschreiben (aktuelles Beispiel: das Amt des Bundespräsidenten). Womit er zweifellos Recht hat. Und Sean Carroll soll das tatsächlich anders sehen? Bloß weil er “Reduktionist” ist und für alles Existierende ontologisch nichts anderes gelten lässt als eben Partikel, Energie und relationale Kräfte oder Wechselwirkungen?

    Ich wollte die Diskussion nicht wieder von vorne beginnen, aber das mit der „Sprache der Physik“ war mir beim nochmaligen Lesen halt aufgefallen und es war mir ein Bedürfnis, das noch mitzuteilen. Du kennst mich ja (wenigstens ein bisschen…) 😉

  125. @Chrys // 14.02.2022, 12:34 Uhr // John Horgan

    In seinem Text zitiert er einen Satz des genialen Francis Crick:


    “You,” your joys and your sorrows, your memories and your ambitions, your sense of personal identity and free will, are in fact no more than the behavior of a vast assembly of nerve cells and their associated molecules.

    Für sich genommen ist an dieser Aussage, aus meiner Sicht, nichts auszusetzen.

    Falls Crick damit andeuten wollte, dass die Wissenschaft das Geist-Körper-Problem lösen würde, dann liegt er sicherlich falsch — „Geist-Körper-Problem“ verstanden als die Frage, wie es kommt, dass bestimmte (unbekannte) Aktivitätszustände von (unbekannten) Neuronenverbände mit bewusst erlebten Wahrnehmungen, Gefühlen und Empfindungen einhergeht.

    Horgan hält inzwischen diese Crick‘sche Aussage (betreffs der Lösung des Problems) für falsch, und zwar weil

    » science cannot provide a single, objectively true solution to the mind-body problem, because our responses to the problem will always be at least partially subjective, a matter of taste as well as truth.«

    Nach meinem Dafürhalten ist das eher irrelevant (siehe oben), es sind sowieso immer „Subjekte“, die versuchen, sich ein intersubjektives Bild von der Welt (Realität, den Dingen, den Sachverhalten) zu machen. Das gelingt mal mehr, mal weniger gut.

    Wichtiger wäre mir zu erfahren, ob John Horgan Francis Crick zustimmt bezüglich „…nichts anderes als das Verhalten einer riesigen Ansammlung von Nervenzellen und den mit ihnen assoziierten Molekülen“.

    Ich zumindest wüsste nicht, was an dieser Aussage falsch sein könnte.

  126. @Balanus:

    „…nichts anderes als das Verhalten einer riesigen Ansammlung von Nervenzellen und den mit ihnen assoziierten Molekülen“.
    Ich zumindest wüsste nicht, was an dieser Aussage falsch sein könnte.

    Treiben wir es auf die Spitze: Ein Auto besteht aus Atomen. Warum aber verhält sich ein Auto ganz anders als ein Atom? Wenn es darauf keine Antwort gibt, ist die Aussage Cricks nicht nur falsch, sondern dumm.

  127. @Andresen: Hirnschreibmaschine

    Die Gehirn-Computer-Schnittstelle funktionierte so, dass der Patientin Schritt für Schritt (auf einem Tablet) jeweils ein Buchstabe gezeigt wurde. Die Gehirnaktivierung sollte dann einen “Mausklick” darstellen.

    Es gibt andere Systeme, die mehr Interaktion ermöglichen: beispielsweise Cursor links, rechts, klick. Die Möglichkeiten bei dieser Patientin waren wohl beschränkt.

    Wie dem auch sei, in der Schlussfolgerung stimmen wir überein: Echtes Gedankenlesen wird bis auf Weiteres eher nicht möglich sein.

  128. @Balanus: Umgekehrt wird ein Schuh draus

    Insbesondere ‚Chrys‘ wird ja nicht müde darauf hinzuweisen, dass der Physik die sprachlichen Mittel fehlen, nichtphysikalische Sachverhalte zu beschreiben…

    Ja, klar, hier hat Chrys auch Recht – und gerade darum ist es eben Unsinn, was Carroll behauptet.

    Wir brauchen das aber nicht bis zum Erbrechen immer wieder zu thematisieren; jeder kann ja selbst lesen, was Carroll geschrieben hat. Dafür ist alles im Text verlinkt.

  129. @Balanus / 14.02.2022, 22:36 Uhr

    »Ich zumindest wüsste nicht, was an dieser Aussage falsch sein könnte.«

    Wenn schon nicht falsch, dann eher womöglich not even wrong?

    Mit einer eliminativen Reduktion auf materielle Konstituenten wird hier halt nichts erklärt, sondern doch gerade das an strukturellen Aspekten aus dem Fokus gerückt, an denen man letztlich interessiert war.

    Wie John Horgan schreibt, hat sogar Christof Koch schliesslich den Weisheiten von Francis Crick abgeschworen und nach anderen Wegen zur Erleuchtung gesucht. Wie’s für mich aussieht, stimmt inzwischen nicht einmal mehr Koch der fraglichen Formulierung von Crick zu. Aber schau doch vielleicht einfach mal selbst ein wenig in Horgans Online-Buch, wenn Du mehr dazu erfahren willst.

  130. @Schleim – Carroll – diskutiert…

    Zur Diskussion, u.a. über Carroll: Stimmt, wir hatten neulich Meinungen ausgetauscht. Letztlich hatte jeder seine eigene Meinung behalten. Dass wir den Text unterschiedlich interpretieren, bereitet mir keine Sorgen. Dass Sie aus Ihrer Interpretation den Schluss ziehen, dass, wenn Carrolls Sicht stimmte, die anderen Wissenschaften nicht mehr benötigt würden, halte ich für extrem.

    Ich selbst hatte diese Diskussion für mich abgehakt und war überrascht, dass Sie Ihrerseits Carroll in diesem Blog-Beitrag wieder „ins Spiel“ gebracht hatten. Das hatte schon etwas von „ad nauseam“. 😉

    Schon wieder spät – genug für heute.

  131. @Andresen: Carroll

    Sie nennen es extrem; ich nenne es logisch.

    Wenn man alles physikalisch beschreiben kann, mit nur drei Teilchen und drei Kräften (Zwinkersmiley), wozu dann noch die Mühe mit all den anderen Disziplinen?

  132. @Stegemann, Kommentar vom 10.02.

    Und: man sollte mal nachdenken, ob es nicht Sinn machen würde, von einer Naturwissenschaft der unbelebten (Physik und anorganische Chemie) sowie der belebten Materie (organische Chemie und Biologie) zu sprechen.

    Da war ich erst zögerlich. Dann ist mir aufgefallen, dass diese Idee auch neue Sichten ermöglicht. Zum Beispiel könnte dann jedes Fach seine eigenen „Elementarteilchen“ betrachten und bei Wechselwirkungen auch Besonderheiten hinsichtlich Struktur oder Organisation berücksichtigen. Eine sehr grobe und unvollständige Skizze:

    Physik: Elementarteilchen sind Protonen, Neutronen und Elektronen. Davon ausgehend werden Atome beschrieben.

    Chemie: „Elementarteilchen“ sind Atome, die Chemischen Elemente (sic!). Davon ausgehend werden Moleküle beschrieben.

    Biochemie: „Elementarteilchen“ sind Atome und Moleküle. Davon ausgehend werden organische Moleküle beschrieben.

    Biologie 1: „Elementarteilchen“ sind organische Moleküle. Davon ausgehend werden Zellen beschrieben.

    Biologie 2: „Elementarteilchen“ sind Zellen. Davon ausgehend werden Lebewesen beschrieben: Einzeller, Pflanzen, Pilze, Tiere inkl. Menschen.

    Psychologie: „Elementarteilchen“ sind einzelne Menschen. Beschrieben wird z.B. deren „Innensicht“.

    Soziologie: „Elementarteilchen“ sind Gruppen von Menschen. Beschrieben wird deren „Zusammenwirken“.

    Philosophie: Erstellt ein Dach oder eine Klammer über diese wissenschaftliche Breite mit einem „Ismus“, der vorsichtig mit All-Quantoren umgeht und der mit Widersprüchen bei Selbstbezügen umgehen kann.

    Zu schön, um wahr zu sein oder wahr zu werden?
    Vielleicht nimmt ja jemand den Ball auf. 🙂

  133. Und wenn man jetzt vom einzelnen Gegenstand ausgeht, nehmen wir den Menschen, dann können wir von einer synthetischen Humanwissenschaft sprechen, in der die “Elementarteilchen” der beteiligten Wissenschaften zusammengefügt werden. Als Basis hierfür eignet sich die Systemtheorie, da sie ‘neutral’ ist. Die Physik braucht man dazu dann nicht.

  134. @Stegemann

    Die Physik braucht man dazu dann nicht.

    Hui – aber ja! Abgesehen von Vor- oder Randbedingungen aus den jeweils vorangegangenen Stufen, beispielsweise:

    Physik: Keine „harte“ Strahlung.
    Biochemie: Eingeschränkter Temperaturbereich.
    Biologie 2: Geeignete Atemluft.

  135. Ein kleiner Nachtrag: @Maier

    Die Betrachtung des Aspekts „Datenverarbeitung“ als Grundprinzip des Lebens hat mir gut gefallen. Insbesondere „im Lichte der Evolution“.

  136. @Andresen:
    Sie fallen wieder zurück. Man braucht keine Physik, um Leben zu erklären. Die Biologie enthält bereits die physikalischen Erkenntnisse, die zur Beschreibung des Lebens von Bedeutung sind.

  137. @Stegemann

    Ein Rückfall? Wenn man auf einer Treppenstufe steht, ist es sinnvoll, nicht nur die unmittelbar benachbarten Stufen im Blick zu haben. Die Konzentration sollte jeweils der nächsten Stufe bzw. dem nächsten Schritt gelten.

    Aus meiner Sicht formuliert:
    Der Biologie stehen die physikalischen Erkenntnisse zur Verfügung, die zur Beschreibung des Lebens von Bedeutung sind. Wenn die Biologie diese schon enthält, freue ich mich.

    Frei nach dem Motto: “Learn to go before you run!”

  138. @Wolfgang Stegemann // 19.02.2022, 08:48 Uhr

    » Man braucht keine Physik, um Leben zu erklären. Die Biologie enthält bereits die physikalischen Erkenntnisse, die zur Beschreibung des Lebens von Bedeutung sind.«

    Dafür gibt es dann wohl das Fach Biophysik


    @15.02.2022, 00:19 Uhr

    »Treiben wir es auf die Spitze: Ein Auto besteht aus Atomen. Warum aber verhält sich ein Auto ganz anders als ein Atom? «

    Weil die einzelnen Atome (und Moleküle) im Auto strukturelle Funktionseinheiten bilden. Schon Moleküle haben andere Eigenschaften als die einzelnen Atome, aus denen sie bestehen. Dessen ist (war) sich Crick durchaus bewusst, da bin ich mir sicher.

  139. @Chrys // 15.02.2022, 14:07 Uhr

    » Wenn schon nicht falsch, dann eher womöglich not even wrong? «

    Ganz sicher nicht, Crick steht, soweit ich das überblicke, mit seinem Statement (siehe Zitat) auf dem Boden seriöser naturwissenschaftlicher bzw. neurobiologischer Erkenntnisse.

    Was er darüber hinaus hinsichtlich der „Lösung“ des sogenannten (vermeintlichen?) „mind-body“-Problems denkt, steht nicht zur Debatte, das ist ein anderes Feld.

    » Mit einer eliminativen Reduktion auf materielle Konstituenten wird hier halt nichts erklärt, …«

    Eliminative Reduktion? Crick spricht doch ausdrücklich vom „Verhalten“ der Nervenzellverbände, die all das bewirken, was an Bewusstseinseindrücken erfahren wird. Und das sogenannte „hard problem“ des Bewusstseins kann eh nicht erklärt werden, das kann nur als gegeben hingenommen werden—so, wie auch diverse Quantenphänomene hingenommen werden, oder die Natur der elektromagnetischen Wellen oder Felder.

    Zuletzt: Dass Christof Koch vom neurobiologischen bzw. neurowissenschaftlichen Grundverständnis (siehe zitiertes Crick-Statement) abgerückt wäre, kann ich mir nicht vorstellen—aber nichts ist unmöglich… ; -)

  140. @Harald Andresen // 16.02.2022, 21:45 Uhr

    Das Lehrbuch zu Biologie 1 stelle ich mir besonders spannend vor ; -)

    (Wenn denn darin auch erklärt wird, wie sich die zellulären Strukturen aus den organischen Molekülen bilden konnten bzw. gebildet haben).

    In einem älteren Bio-Lehrbuch (Springer, 1978) ist ein Unterkapitel überschrieben mit 1.1.1. Die Zelle als universelles Bauelement der Organismen. Es enthält eine Tabelle, die den Größenbereich von (top down) makro- zu mikro- und schließlich zu submikroskopischen Dimensionen überspannt, also von (bottom up) 10^-16 m (H-Atom) bis zu 10^-3 m (Riesenamöben). Dabei wird herausgestellt, dass beim Übergang von groß zu klein die Zahl der Struktur- und Funktionsprinzipien abnimmt, zugleich aber die deren Verbreitung im Organismenreich zunimmt:

    Während im Makroskopischen jene Gesetzmäßigkeiten hervortreten, die für die Individuen oder Arten charakteristisch sind, folgt das molekulare Geschehen häufig Gesetzen, die für alle Lebewesen gleichermaßen Gültigkeit haben.

    Das erinnert, finde ich, doch sehr an das, was Sean Carroll rund 30 Jahre später (2010) zum Ausdruck gebracht hat, als er von den wenigen Partikeln und Kräften sprach, die allen Alltagsdingen zugrunde liegen, sie also sozusagen „erklären“.

  141. @Balanus, 19.02.2022, 21:08 Uhr

    Die spontane Idee, dass jedes Fach seine eigenen „Elementarteilchen“ haben könnte, hatte ich nur grob und unvollständig skizziert.

    In der angegebenen Reihenfolge wären es Integrations-Stufen „von unten nach oben“, in der Gegenrichtung Reduktions-Stufen „von oben nach unten“. Einige Stufen wären wohl sehr hoch, so dass eine Aufteilung in weitere Stufen sinnvoll oder auch notwendig wäre, und beim Beschreiten dieser „Treppe“ wäre es angeraten, nicht nur auf die unmittelbaren Nachbarstufen zu achten.

    Dass „Die Zelle als universelles Bauelement der Organismen“ angesehen werden kann, hatte ich, auch aufgrund früherer Hinweise von Ihnen, ziemlich sicher vermutet. Deshalb herzlichen Dank für das zugehörige Zitat und die weiterführenden Anmerkungen.

  142. @Balanus 19.02. 18:05

    „Und das sogenannte „hard problem“ des Bewusstseins kann eh nicht erklärt werden, das kann nur als gegeben hingenommen werden – …“

    Ein bisschen zu einfach, finde ich. Das Bewusstsein existiert und funktioniert, ob wir nun wissen wie oder nicht. Hier irgendetwas ganz Unbekanntes zu vermuten, dass in einer speziellen Strukturbildung innerhalb des neuronalen Geschehens zum tragen kommt, und dann existent zu erleben und kausal wirksam ist, das ist ja das hard problem. Genau sich hier überhaupt irgendeine Struktur vorzustellen ist noch niemand gelungen, und solche Strukturen im Gehirn dann auch noch tatsächlich zu finden, schon gar nicht.

    Ich habe auch keine andere Idee, als einfach echte Geisteswelten zu vermuten, in die sich Teile der Nervenzellenaktivitäten abbilden.

    Ich glaube allerdings, das die Sache damit noch nicht erledigt ist. Zukünftige Forscher werden womöglich doch entsprechende Strukturen finden, sei es nun als Nebenprodukt in der KI-Entwicklung oder auch durch genauere Konnektom-Untersuchungen. Am Ende wird es wohl sogar gelingen können, auch Maschinen zu konstruieren, die eine innere Erlebniswelt haben und sich selbst bewusst werden können. Wenn es ein Prinzip gibt, das Bewusstsein produziert, müsste sich das doch auch technisch nachbauen lassen.

  143. @Stegemann: Leben

    Ob es Physik ist oder Biologie – das Interessante scheint hier doch zu sein, dass eine vollständige(?) Analyse der Zelle es uns nicht erlaubt, aus den Bausteinen eine lebende Zelle zu erschaffen.

    Ist unsere Analyse also doch nicht vollständig oder fehlt noch etwas Wesentliches in der Gleichung? (Und @Holzherr: Jetzt bitte nicht wieder brüllen, Herr Schleim propagiere Vitalismus.)

  144. @Balanus: Crick

    Ganz sicher nicht, Crick steht, soweit ich das überblicke, mit seinem Statement (siehe Zitat) auf dem Boden seriöser naturwissenschaftlicher bzw. neurobiologischer Erkenntnisse.

    Ja – alles geht mit “rechten Dingen” zu, nicht wahr?

    Darum nannte Crick den zitierten Abschnitt wohl seine erstaunliche Hypothese

    …und sprach er im Untertitel seines Buches von der Suche nach der Seele.

    Was für eine interessante Biologie/Neurowissenschaft das ist!

  145. Tobias Jeckenburger // 19.02.2022, 23:59 Uhr

    »Ein bisschen zu einfach, finde ich.«

    Mit dem sogenannten „hard problem“ des Bewusstseins“ war folgendes gemeint:

    Selbst wenn wir genau wüssten, welche Neuronenverbände in welcher Weise aktiv sind, wenn ein Proband das Farberlebnis Rot hat, und wie, wenn er die Farbe Grün erlebt, so wüssten wir immer noch nicht, warum in dem einen Falle Rot und in dem anderen Grün erlebt wird.

    Dass bestimmte Neuronen- bzw. Hirnaktivitäten von bewussten Wahrnehmungen begleitet sind, ist aus meiner Sicht schlicht eine Eigenschaft komplex verknüpfter Nervenzellen, die sich dem experimentellen Zugriff entzieht, nicht zuletzt deshalb, weil die Wahrnehmungen ausschließlich subjektiv erlebt werden.

    Es gibt in der Alltagswelt wenig bis nichts Analoges für einen passenden Vergleich. Deshalb habe ich die Quantenphänomene genannt: Wie die verschiedenen Elementarpartikel zu ihren jeweiligen Eigenschaften kommen, entzieht sich meines Wissens gleichermaßen dem experimentellen Zugriff und wird darum ebenfalls einfach als gegeben hingenommen.

  146. @Chrys // 19.02.2022, 14:53 Uhr

    Hatte schon gedacht, ich könnte in den von Dir genannten „Populären Schriften“ die ausgeblendeten Seiten von Autrums Buch doch noch lesen, aber da hatte ich mich zu früh gefreut. Schade… Aber an anderer Stelle ist der Zutritt zu den Bibliotheken und Archiven für alle Bürger offen (PDF):

    Es stimmt, Boltzmann hielt seinen Vortrag 1899 auf der 71. Versammlung der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte in Heidelberg. Boltzmann war an diesem Freitag übrigens der zweite Redner, vor ihm sprach der Mediziner Birch-Hirschfeld (Leipzig) zum Thema „Wissenschaft und Heilkunst“. Es ging also um den Zusammenhang zwischen Naturwissenschaft und Medizin. Die erstere nannte Birch-Hirschfeld den „Jungbrunnen […], aus dem die Medizin stets geschöpft hat und schöpfen wird“.

    So jedenfalls steht es geschrieben in der Zeitschrift Carinthia II aus dem Jahr 1899.

    Birch-Hirschfelds Vortrag hätte wohl auch lauten können:
    Warum die Medizin die Naturwissenschaften braucht.

  147. @Balanus:

    “Schon Moleküle haben andere Eigenschaften als die einzelnen Atome, aus denen sie bestehen.”

    Verstehe ich Sie richtig, Moleküle bilden, im Vergleich zu den sie bildenden Atomen, neue Verhaltensweisen aus, mithin also neue Regeln im Umgang mit anderen – aus Atomen bestehenden – Molekülen. Sie handeln also nach einem anderen ‘Gesetzbuch’. M.a.W. ein Organismus handelt nicht nach den Regeln des Atoms, sondern nach denen des Organismus (stark ‘vereinfacht’).
    Eigentlich sagt die Emergenztheorie nichts anderes.
    Diese Regeln beschreibt (besser: sollte beschreiben) die Biologie. Während die Physik sich um die Atome kümmert, die natürlich auch in der belebten Natur noch existieren. Insofern arbeitet die Biophysik der Biologie zu.

  148. @Wolfgang Stegemann // 20.02.2022, 12:34 Uhr

    » M.a.W. ein Organismus handelt nicht nach den Regeln des Atoms, sondern nach denen des Organismus (stark ‘vereinfacht’). «

    Bei der Vereinfachung geht, so scheint mir, das Wesentliche verloren.

    Die Regeln (besser: Eigenschaften) des Atoms sind die Voraussetzung dafür, dass ein Organismus überhaupt existieren und agieren kann. Sie existieren nicht nur in der belebten Natur, von deren Eigenschaften hängt es ab, ob ein Lebewesen überhaupt lebensfähig ist, ein Zuviel oder Zuwenig von bestimmten Elementen kann für einen Organismus das Ende bedeuten. Ich habe es schon öfter betont, Biologie reicht von der Quantenphysik über psychologischen Phänomenen bis hin zu ganzen Ökosystemen.

    Eine Emergenztheorie wird für die Beschreibung der naturgegebenen Organisationsstufen nicht gebraucht, denn sie erklärt rein gar nichts.

  149. @Balanus / 19.02.2022, 18:05 Uhr

    »Eliminative Reduktion?«

    Bei meiner Aussage “Ich betrachte mich im Spiegel” ist der Referent für “ich” allemal nicht “mein Nervensystem”. Und insofern ist es falsch, zu sagen, ich und mein Verhalten sei nicht mehr als mein Nervensystem und dessen Verhalten, denn es ist schliesslich nicht mein Nervensystem, das sich im Spiegel als Gegenstand der Betrachtung wiedererkennt.

    Und wenn Du das nun abschwächen willst, indem Du sagst, letzteres “bewirke” ersteres, dann bleibt das eine unbelegte Behauptung, wenn Du nicht auch sagst, an welchen konkreten Vorgängen sich dieses “Bewirken” denn feststellen lassen könnte. Dass “A ist durch B bewirkt” eine viel stärkere Behauptung ist als “A ist mit B korreliert”, sollte dabei unstrittig sein. Die Feststellung von Korrelationen allein rechtfertigt noch nicht die Rede von Bewirkung — das wäre dann nur wieder so ein windiges “cum hoc, ergo propter hoc“-Argument.

    Das erste Kapitel von Horgans Online-Buch ist Christof Koch gewidmet. Demnach hat Koch inzwischen Giulio Tononis IIT als neues Paradigma entdeckt und sich von Crick doch irgendwie verabschiedet. Aber urteile bitte selbst, was Du davon zu halten hast.

    Übrigens, Boltzmanns Populäre Schriften (1905) sind auch bei archive.org zu finden.

  150. @Balanus:

    Die Regeln (besser: Eigenschaften) des Atoms sind die Voraussetzung dafür, dass ein Organismus überhaupt existieren und agieren kann. Sie existieren nicht nur in der belebten Natur, von deren Eigenschaften hängt es ab, ob ein Lebewesen überhaupt lebensfähig ist, ein Zuviel oder Zuwenig von bestimmten Elementen kann für einen Organismus das Ende bedeuten. Ich habe es schon öfter betont, Biologie reicht von der Quantenphysik über psychologischen Phänomenen bis hin zu ganzen Ökosystemen.

    Das sehe ich naturgemäß anders. Der Denkfehler liegt in Folgendem: “ob ein Lebewesen überhaupt lebensfähig ist”, hängt nicht von Atomen oder Molekülen ab. Die sind ja schon da, sonst gäbe es Leben gar nicht. Von daher stellt sich “zuviel oder zuwenig” gar nicht. Leben hat sich irgendwie aus Materie ergeben und existiert nun. Wir müssen es nicht mehr beweisen. Und natürlich reicht die Biologie nicht von der Quantenphysik bis …
    Wenn ich wissen will, wie hoch mein Blutdruck ist, brauche ich keine Quantenphysik. Die biologischen Gesetzmäßigkeiten reichen dafür völlig aus.
    Die Biologie braucht keine Quantenphysik, wozu auch.
    Aber wir disputieren wieder über Reduktionismus, und ich fürchte, wir werden zu keiner Übereinkunft kommen. Vielleicht fällt mir ja eines Tages ein ‘schlagendes’ Argument ein.😊

  151. @Wolfgang Stegemann // 20.02.2022, 20:06 Uhr

    » Der Denkfehler liegt in Folgendem: “ob ein Lebewesen überhaupt lebensfähig ist”, hängt nicht von Atomen oder Molekülen ab. Die sind ja schon da, sonst gäbe es Leben gar nicht. Von daher stellt sich “zuviel oder zuwenig” gar nicht. «

    Da habe ich mein Argument wohl nicht richtig ausgeführt. Denken Sie z. B. an die lebensnotwendigen Spurenelemente (Kupfer, Zink, Selen, etc.). Ein Zuviel davon ist definitiv schädlich bis lebensbedrohend, ebenso deren Fehlen.

    Wenn man verstehen will, wie „Leben“ funktioniert, muss man das Ganze im Blick haben, da kann man nicht einfach die elementaren Grundlagen ausblenden.

    Aber OK, damit können wir es bewenden lassen.; – )

  152. @Chrys // 20.02.2022, 17:45 Uhr

    »Bei meiner Aussage “Ich betrachte mich im Spiegel” ist der Referent für “ich” allemal nicht “mein Nervensystem”.«

    Ist das in Bezug auf Cricks Statement wirklich relevant? Da geht es im Grunde doch nur darum, welches Organsystem für all das zuständig ist, was da aufgezählt wird („your joys and your sorrows, your memories and your ambitions, your sense of personal identity and free will“).

    Zudem ist „sich im Spiegel betrachten“ ein Vorgang, der bereits ein halbwegs intaktes Nervensystem voraussetzt. Soweit wir wissen.

    Und es kann wohl kaum bestritten werden, dass das „Ich“ (Bewusstsein) verschwindet, wenn das Nervensystem ausgeschaltet wird. Ähnlich, wie das Licht verschwindet, wenn der Ausschalter betätigt wird. Dieser Befund sollte eigentlich genügen, um bloße Zufallskorrelationen ausschließen zu können.

  153. @Balanus:
    Vielleicht noch dies: Es gibt zwei methodologische Vorgehensweisen.
    1. Die Untersuchung von (lebendigen) Stoffen hinsichtlich der sie konstituierenden Bausteine. Das ist die Analyse.
    2. Die Reduktion auf ihre funktionellen Zusammenhänge.

    a. In der unbelebten Natur sind beide nahezu identisch. Auch wenn es sich um dynamische Systeme oder nichtlineare Entwicklungen handelt, lassen sich auch komplexe Anordnungen immer auf ihre Bausteine zurückführen (Reduktion).

    b. Ganz anders in der belebten Natur. Dort haben wir es mit Evolution zu tun, in welcher sich völlig neue, nicht reduktive Komplexitäten ergeben, die anfangs nicht vorraussagbar waren und im Nachhinein nicht mehr reduzibel sind. Das tangiert natürlich nicht die Analysiewrbarkeit auf die konstitutiven Bausteine.

    Während es sich bei a. um schwache Emergenzen handelt (aus Materieklumpen werden Planeten), sind es bei b. starke Emergenzen, also solche, die ihrerseits nichtreduktive funktionelle Zustände erreichen.
    Will man wissen, wie ein System funktioniert, reicht es in der unbelebten Natur, Bausteine und die Einflüsse auf dieselben zu kennen. In der belebten Natur reicht dies nicht. Man muss dort die Funktionsprinziepien kennen, die evolutiv entstanden sind, etwa das Prinzip der Bioelektrik, das sich nicht aus der bloßen Proteinbildung erklären lässt.

  154. @Wolfgang Stegemann // 21.02.2022, 15:30 Uhr

    » Vielleicht noch dies:… «

    ;- )

    » Ganz anders in der belebten Natur. Dort haben wir es mit Evolution zu tun, in welcher sich völlig neue, nicht reduktive Komplexitäten ergeben, die anfangs nicht vorraussagbar waren und im Nachhinein nicht mehr reduzibel sind.«

    Dazu kommt mir folgendes in den Sinn (mal wieder mit Blick auf die molekulare Ebene):

    Auch die „nicht reduktive Komplexitäten“ sind schrittweise entstanden, mit vielen kleinen (oder auch etwas größeren) Veränderungen der bereits bestehenden Entität. Oder zwei Entitäten, die an sich nichts miteinander zu tun haben, bilden per Zufall einen Komplex mit einer neuen, zuvor nicht dagewesenen, nützlichen Funktion (es geht mir nur ums Prinzip).

    Das heißt, wir könn(t)en im Prinzip nachvollziehen, wie aus einem ganz einfachen, nichtlebenden Gebilde allmählich etwas wird, dem wir ab einem bestimmten Punkt den Status „lebend“ zuschreiben können/müssen.

    Im Lichte dessen habe ich so meine Probleme mit der Aussage, dass etwas „nicht reduzibel“ ist.

  155. @Balanus:

    »…bilden per Zufall einen Komplex mit einer neuen, zuvor nicht dagewesenen, nützlichen Funktion (es geht mir nur ums Prinzip). Im Lichte dessen habe ich so meine Probleme mit der Aussage, dass etwas „nicht reduzibel“ ist.«

    Eine solche „nützliche Funktion” ist etwa die Bioelektrik mit der Entstehung von Nerven. Diese ist in der Welt und bildet ein völlig neues Prinzip der Regulation nach innen und nach außen. Man kann es, wie gesagt, nicht aus der Lebensweise eines Einzellers herleiten. Es ist also nicht auf den Einzeller ‚reduzibel’ und somit also auch nicht auf die analysierbaren Bausteine, die beim Einzeller ein völlig anderes Prinzip hervorgebracht haben.
    Wir kommunizieren weder nach innen noch nach außen ausschließlich proteinbildend, sondern tun dies elektrochemisch mit allen daraus ableitbaren Produkten, wie Sprache und Kultur.
    Reduktionistisch betrachtet müssten Letztere demnach auf ein paar Moleküle reduzierbar sein – beide also dort potentiell zugrunde liegen. Und da wirds dann metaphysisch.

  156. @Balanus / 21.02.2022, 15:22 Uhr

    »Ist das in Bezug auf Cricks Statement wirklich relevant?«

    Absolut. Crick hat sein Statement doch auf den Punkt gebracht: “You’re nothing but a pack of neurons.” Wenn ich das nun auf mich beziehe, dann ist das schlicht falsch und lässt sich performativ widerlegen. Denn ich kann mich im Spegel betrachten, wohingegen mein Nervensystem das nicht kann.

    Die Bedeutung von “ich” beinhaltet eben mehr als nur “mein Nervensystem”, und andere Autoren haben dazu doch auch schon deutlich mehr an Einsicht geliefert als Crick mit seinem plakativen Statement.

  157. Warum braucht die Hirnforschung die Psychologie?

    Die kurze Antwort lautet:

    Weil die Psychologie das begriffliche Instrumentarium für die Neurobiologie des Denkens, Fühlens und Handelns zur Verfügung stellt.

    Weitere kurze Anmerkungen zu einigen Textpassagen:

    » Doch was nutzt uns dieses Bild [Vergleich Denkorgan mit Ausscheidungsorgan], wenn man so nicht Bewusstsein oder den Menschen erklären kann? «

    Nach meinem Dafürhalten soll(te) das Bild lediglich verdeutlichen, dass in den jeweiligen Organen (sofern intakt) stets nur die jeweils organtypischen Prozesse ablaufen—und keine irgendwie seltsamen Aktivitäten.

    »In den Kognitionswissenschaften spricht sich gerade herum, Kognition […] müsse gemäß dem 4E-Ansatz erforscht werden […] embodied, […] embedded, […] enacted, […] extended […]. «

    Es geschehen noch Zeichen und Wunder… Aber ich vermute mal, es sind insbesondere die Computerwissenschaften (künstliche Intelligenz), die lange den Schuss nicht gehört haben.

    »Gemeint ist damit, dass wir nun einmal keine reinen Gehirne sind, die in einer Nährlösung schwimmen. Wir haben einen ganzen Körper, in einer bestimmten Situation für eine bestimmte Interaktion. «

    Wobei der Körper natürlich genau das macht, was das Gehirn bzw. das Nervensystem „befiehlt“. Man braucht sich ja nur mal einen Körper ohne zentrales Gehirn und peripheren Nerven sowie Sinneszellen vorzustellen—das ist noch weniger als ein Zombie. Pflanzliche oder pilzliche Körper kommen ohne Nervensystem aus, aber sie besitzen stattdessen zahlreiche zelluläre Strukturen, die Information aus der Umwelt sammeln können.

    »Aus historischer Sicht kann man sich über 4E übrigens wundern: Schließlich reflektiert dies schlicht Grundannahmen, die schon vor 100 Jahren für die Phänomenologen selbstverständlich waren.«

    Biologen war das schon immer klar… ;- )

    »Kann Bewusstsein vielleicht doch nur subjektiv, nur aus der Perspektive der ersten Person, die die Bewusstseinserlebnisse hat, verstanden werden?«

    Wohl eher nicht. Denn dann hätten sich nach mehr als 2000 Jahren des Selbsterkennens eigentlich gewisse Erfolge einstellen müssen.

    Bei Rainer Mausfeld (2011) habe ich in einem Textbeitrag über Wahrnehmungspsychologie für ein Lehrbuch eine Passage gefunden, die meine Ansichten hierzu schön zusammenfasst:

    Denn bei psychischen Phänomenen glauben wir, anders als im Fall der Physik, über einen privilegierten Zugang zu verfügen und sind überzeugt, dass wir ein angemessenes Bild von der Funktionsweise unseres Geistes haben. Es ist jedoch gerade die Funktionsweise unseres Geistes, die uns einen introspektiven Einblick in seine Prinzipien verstellt. Denn wir sind so gebaut, dass unser Gehirn die Funktionsweise der Wahrnehmung fast vollständig vor uns, d.h. vor unserer bewußten Erfahrung, abschottet und uns nur das Endprodukt des Wahrnehmungssystems in einigen Aspekten bewußt werden läßt. Wir können also im Prozeß des Wahrnehmens nicht zugleich die Funktionsweise der Wahrnehmung beobachten. Die Prozesse, die der Wahrnehmung (wie auch allen anderen Leistungen des Gehirns) zugrunde liegen, gelangen nicht selbst zum Bewußtsein und sind daher nicht direkt und unmittelbar zugänglich.

    (A. Schütz, H. Selg, M. Brand & S. Lautenbacher (Eds.), Psychologie. Eine Einführung in ihre Grundlagen und Anwendungsfelder. Stuttgart 2011: Kohlhammer.)

  158. Balanus:

    »Wir können also im Prozeß des Wahrnehmens nicht zugleich die Funktionsweise der Wahrnehmung beobachten. Die Prozesse, die der Wahrnehmung (wie auch allen anderen Leistungen des Gehirns) zugrunde liegen, gelangen nicht selbst zum Bewußtsein und sind daher nicht direkt und unmittelbar zugänglich.

    (A. Schütz, H. Selg, M. Brand & S. Lautenbacher (Eds.), Psychologie. Eine Einführung in ihre Grundlagen und Anwendungsfelder. Stuttgart 2011: Kohlhammer.)«

    Auf diesen Unsinn kann er nur kommen, weil er nicht unterscheidet zwischen Qualia, die ich nur selbst erleben kann, und dem Gehirn als Objekt wissenschaftlicher Forschung. Nirgends steht übrigens, dass letzteres nur naturwissenschaftlich, empirisch, experimentell möglich ist. Ein wesentlicher Aspekt ist hier die theoretische Rekonstruktion, die auch die Neurophilosophie versucht, um die Prinzipien und funktionellen Architekturen herauszufinden, nach denen das Gehirn funktioniert, und die nicht von vornhererin vor einem liegen (Phänomene!), wie ein aufgeschlagenes Buch. Hat man dies aber geschafft, ist das Gehirn selbstverständlich über die bloßen beobachteten Prozesse hinaus »direkt und unmittelbar zugänglich«.

  159. @Wolfgang Stegemann / 22.02.2022, 13:55 Uhr

    » Auf diesen Unsinn kann er nur kommen, weil er nicht unterscheidet zwischen Qualia, die ich nur selbst erleben kann, und dem Gehirn als Objekt wissenschaftlicher Forschung. «

    Schätze, dass Mausfeld durchaus den Unterschied kennt. Aber es geht hier nun mal um die Introspektion und nicht um das „Gehirn als Objekt wissenschaftlicher Forschung“. Das ist vielleicht nicht klar geworden in meinem Posting. Mausfeld habe ich als Erwiderung oder Antwort auf Stephan Schleims Frage: „Kann Bewusstsein vielleicht doch nur subjektiv, nur aus der Perspektive der ersten Person, die die Bewusstseinserlebnisse hat, verstanden werden?“ gepostet.

  160. @Wolfgang Stegemann // 22.02.2022, 11:47 Uhr

    » Eine solche „nützliche Funktion” ist etwa die Bioelektrik mit der Entstehung von Nerven. Diese ist in der Welt und bildet ein völlig neues Prinzip der Regulation nach innen und nach außen. Man kann es, wie gesagt, nicht aus der Lebensweise eines Einzellers herleiten. «

    Doch, das kann man durchaus.

    Zunächst mal stammt jeder Mehrzeller vom Einzeller ab (folglich lässt sich der Mehrzeller auf den Einzeller zurückführen (= reduzieren?). Und neurobiologisch ist insbesondere die Amöbe der Einzeller der Wahl, wenn es um die evolutive Entstehung der Neuronen geht:

    1. Amöben bewegen sich vorwärts, indem ihre Zellmembran fingerartige Ausstülpungen bildet, in die das Cytoplasma hineingedrückt wird.

    2. Die kriechende, ‚amöboide‘ Fortbewegung findet man auch bei Neuronen, wenn sie während ihrer Entwicklung Verbindungen mit anderen Neuronen eingehen.

    3. Die speziellen (elektrischen) Eigenschaften der Zellmembranen der Neuronen sind (allmählich!) evolutiv entstanden aus den grundlegenden (elektrischen) Eigenschaften der Zellmembranen, die allen Zellen zu eigen ist, auch den Neuronen (denn schließlich müssen auch sie ihren inneren cytoplasmatischen Zustand aufrecht erhalten—neben ihrer speziellen Rolle in der „Kommunikation“).

    4. Bei Amöben ist die Zellmembran dafür verantwortlich, dem Einzeller Veränderungen in der Umwelt zu signalisieren.

    5. Beim tierlichen Mehrzeller übernehmen Neuronen diese Aufgabe.

    (Ich habe mich (sicherheitshalber) an einem einführenden Neurobiologie-Lehrbuch orientiert, damit ich nichts Falsches erzähle: Neurobiology/David Robinson (ed.) Springer 1997)

  161. @Balanus:
    Sie führen unser elektrisches Gehirn also tatsächlich auf das Spannungspotential an der Zellmembran der Amöbe zurück? Dann müssen Sie das Produkt des Gehirns, z.B. Sprache, auch auf die Amöbe zurückführen können.
    Dann müssten 80 Milliarden zusammengeschaltete Amöben sprechen können.
    Genau diesen Fehler machen KI-Forscher, die meinen, genügend Neuronen und genügend Tiefe und ein bisschen Backpropagation dazu ergibt irgendwann künstliches Bewusstsein – klappt nicht.
    Wie gesagt: Analyse und Reduktion sind im Bereich des Lebendigen zwei ganz verschiedene Dinge.

  162. @Wolfgang Stegemann

    “Nothing in Biology makes sense, except in the light of evolution.”

    Theodosius Dobzhansky

  163. @Balanus: Sind wir jetzt wieder auf dem Niveau der Platitüden angelangt?

    Dobzhansky war übrigens ein frommer Katholik. Wie kann das noch mit rechten Dingen zugehen? Zwinkersmiley

  164. @Stephan

    »Dobzhansky war übrigens ein frommer Katholik.«

    Nobody is perfect ;- )

    Mit „Platitüden“ meinst Du Dobzhanskys berühmten Satz, oder? Er wurde seinerzeit formuliert mit Blick auf die Leute, die das Evolutionsgeschehen nicht akzeptieren können (Kreationisten). Aber viel genutzt hat er wohl nicht…leider.

    (Ein etwas längere Antwort an Stegemann ist übrigens geplant, also bitte nicht den Thread schließen ;- ))

  165. @Wolfgang Stegemann // 22.02.2022, 23:09 Uhr

    » Sie führen unser elektrisches Gehirn also tatsächlich auf das Spannungspotential an der Zellmembran der Amöbe zurück? «

    Yep, das basale Membranpotential, das wohl allen Zellen eigen ist (nicht nur der Amöbe), ging evolutionsgeschichtlich den speziellen Mechanismen der neuronalen Zellmembranen voraus. Ist doch logisch…

    » Dann müssen Sie das Produkt des Gehirns, z.B. Sprache, auch auf die Amöbe zurückführen können. «

    Wenn Einzeller evolutionsgeschichtlich den Mehrzellern vorausgingen (was wissenschaftlicher Konsens ist), dann kann man logischerweise alle später entstandenen Fähigkeiten der Mehrzeller auf die grundlegenden Eigenschaften der Einzeller zurückführen. Was wäre die Alternative?

    » Dann müssten 80 Milliarden zusammengeschaltete Amöben sprechen können. «

    Mir scheint, da haben Sie das Wesentliche meines Postings verpasst (lag sicherlich an meinen knappen, zu stark vereinfachenden Ausführungen).

    » Wie gesagt: Analyse und Reduktion sind im Bereich des Lebendigen zwei ganz verschiedene Dinge. «

    Es schadet nicht, wenn man bei der Analyse heutiger Organsysteme im Auge behält, wie die vorfindlichen Eigenschaften und Funktionen entstanden sind, evolutionsbiologisch und ontogenetisch. Das bewahrt vor manchen Fehlschlüssen…

    »A process which led from the amoeba to man appeared to the philosophers to be obviously a progress though whether the amoeba would agree with this opinion is not known.«

    (Bertrand Russell, 1999)

  166. @Balanus:

    “» Dann müssen Sie das Produkt des Gehirns, z.B. Sprache, auch auf die Amöbe zurückführen können. «

    Wenn Einzeller evolutionsgeschichtlich den Mehrzellern vorausgingen (was wissenschaftlicher Konsens ist), dann kann man logischerweise alle später entstandenen Fähigkeiten der Mehrzeller auf die grundlegenden Eigenschaften der Einzeller zurückführen. Was wäre die Alternative?”

    Also wollen Sie doch Sprache auf die Amöbe zurückführen, linear?
    Wo man nicht weiter weiß, endet schnell jede reduktionistische Rationalität und es wird schwurbelig.
    Was das Russell-Zitat hier aussagen soll, verstehe ich nicht.

  167. @Wolfgang Stegemann

    » Also wollen Sie doch Sprache auf die Amöbe zurückführen, linear? «

    Wenn schon, dann die Sprech- bzw. Sprachfähigkeit, und nicht „die Sprache“ (à la Deutsch, Englisch, etc.)

    Aber was heißt hier „linear“? Die Zeit und Abfolge der Generationen verlaufen linear, also müsste die Entstehung der genetisch fixierten Sprechfähigkeit auch „linear“ erfolgt sein. Sofern dieser Begriff hier überhaupt Sinn ergibt.

    Ontogenetisch ist die Sache komplizierter. Bei der Entwicklung von der Eizelle zum ausgewachsen Organismus wächst die Zellzahl exponentiell. Und es gibt natürlich jede Menge Wechselwirkungen im sich entwickelnden Organismus, wobei dann auch noch die Umwelt ins Spiel kommt. Ganz extrem zeigt sich das bei der Ausdifferenzierung der Neuronen bei der Bildung des zentralen und peripheren Nervensystems.

    » Wo man nicht weiter weiß, endet schnell jede reduktionistische Rationalität und es wird schwurbelig. «

    Es macht m. E. einen Unterschied, ob es sich um naturwissenschaftliche Wissenslücken handelt oder um windige Theorien und ungare Vorstellungen.

    Man weiß (noch) nicht, wie z. B. „Leben“ aus abiotischen Elementen und Molekülen entstanden ist, und wie viele einfache Lebensformen dem Menschen mit seinem hochkomplexen, ich-bewusstseinsfähigen Gehirn vorausgingen. Zudem gibt es speziell in den Lebenswissenschaften viele vage Begriffe („Gene“, „systemische Eigenschaften“, „Art“), die aber trotzdem funktionieren. „Schwurbelig“ würde es erst dann, wenn man versuchte, diese Wissenslücken mit seltsamen Hypothesen und Theorien zu füllen.

    (Über das Russell-Zitat bin ich zufällig gestolpert, und weil Amöbe und Mensch drin vorkamen, fand ich’s irgendwie passend.)

  168. @Balanus:
    ehrlich gesagt, habe ich mehr von Ihnen erwartet. Sie können doch nicht allen Ernstes behaupten, dass die menschliche Sprachfähigkeit auf die Amöbe (den Einzeller) zurückgeht. Sprachfähigkeit setzt ein Gehirn voraus, und das ist nicht in direkter Linie (linear) aus dem Einzeller hevorgegangen. Dazwischen liegen eine ganze Reihe von emergenten Systemzuständen, die jeweils erst Voraussetzung für die nächste Entwicklung waren.
    Die Erklärung für Sprachfähigkeit ist also nicht reduktionistisch im Einzeller zu suchen, sondern in dem emergenten Systemzustand namens Gehirn.
    Genausowenig ist das Phänomen ‚Bewusstsein’ mit allen seinen Äußerungen auf die Tätigkeit von Neuronen reduzierbar, wenn ich nicht das dahinter liegende Prinzip verstehe.
    Ich gebe auf.

  169. @Chrys // 22.02.2022, 12:15 Uhr

    (Uups, dachte, ich hätte auf Dein letztes Posting bereits geantwortet, sehe jetzt aber, dass dem nicht so ist… ;- )) Also denn:

    »Crick hat sein Statement doch auf den Punkt gebracht: “You’re nothing but a pack of neurons.” «

    Nun, eigentlich würde ich schon gern bei dem bleiben, was an Behauptungen in dem Zitat steht. Mir geht es um die Frage, welche Aussagen in diesem Statement für zutreffend oder abwegig gehalten werden. Was Crick sonst noch alles gesagt und geschrieben hat, sollte dabei keine Rolle spielen.

    Zudem weiß ich nicht, aus welchem Zusammenhang dieses „You’re nothing but…“ gerissen wurde. Was also mit „You“ genau gemeint ist.

    Denn wenn es da um die personale Identität geht, dann würde ich auch dieser Äußerung zustimmen. Cricks Behauptung (im zitierten Statement) ist ja gerade die, dass dein „Gefühl für personale Identität […] in Wirklichkeit nichts anderes [ist] als das Verhalten einer riesigen Ansammlung von Nervenzellen und den mit ihnen verbundenen Molekülen“.

    Dein „ich betrachte mich im Spiegel“ beruhte gemäß Crick eben in Wirklichkeit auf nichts anderem als dem Verhalten einer riesigen Ansammlung von Neuronen… etc.”

    Was aus meiner Sicht auch für Cricks Behauptung spricht, ist der Umstand, dass dir dein Nervensystem–dem Prinzip nach–auch ohne deinen übrigen Körper ein Spiegelbild präsentieren könnte („dir“ heißt, deiner bewussten Wahrnehmung), nämlich dann, wenn wir es mitsamt der Augen intakt isolieren, in einen Behälter verfrachten und am Leben erhalten könnten (als ‚brain in the vat‘, sozusagen).

    Denn deine personale Identität bliebe mit Sicherheit erhalten, egal, wo sich das Gehirn befindet, sei es im Kopf oder im Tank, Hauptsache es lebt. Der Körper dient letztlich ja auch nur dazu, das zentrale Nervensystem so lange als möglich am Leben zu erhalten—nicht zuletzt, um Fortpflanzung zu ermöglichen.

  170. @Wolfgang Stegemann

    » Sie können doch nicht allen Ernstes behaupten, dass die menschliche Sprachfähigkeit auf die Amöbe (den Einzeller) zurückgeht.«

    Vergessen Sie mal die Amöbe und rufen sich stattdessen den einzelligen menschlichen Keim ins Gedächtnis. Nach einer hinreichenden Anzahl von Zellteilungen und Differenzierungsprozessen finden wir dort migrationsfähige Neuroblasten, aus denen später reife Nervenzellen werden.

    Um was es mir in unserer Debatte vor allem gegangen ist und geht, ist, dass man das Verhalten von (höheren) Tieren und Menschen nicht auf die Systemeigenschaften des Gehirns reduzieren, sondern eben das Ganze im Blick haben sollte. Mit allem, was zum Werden und Wachsen von lebenden Systemen essentiell dazugehört, beginnend mit den Eigenschaften der Elemente, die die strukturellen Eigenschaften der Biomoleküle bestimmen, welche wiederum die zellulären Prozesse bestimmen, die im weiteren … und so weiter und so fort, sämtliche Organisationsstufen hinauf. Die Selbstorganisation lebender Systeme ist kein Selbstläufer, sie bedarf bestimmter elementarer Randbedingungen und Voraussetzungen.

    Ok, das war’s dann, bis auf ein andermal… :- )

  171. @Balanus / 27.02.2022, 20:39 Uhr

    »Nun, eigentlich würde ich schon gern bei dem bleiben, was an Behauptungen in dem Zitat steht.«

    Da hatte ich mich auf John Horgan bezogen, der, wie Du ja bereits zur Kenntnis genommen hattest, Crick wie folgt zitiert:

    “You,” your joys and your sorrows, your memories and your ambitions, your sense of personal identity and free will, are in fact no more than the behavior of a vast assembly of nerve cells and their associated molecules. As Lewis Carroll’s Alice might have phrased it: “You’re nothing but a pack of neurons.”

    Das eigentlich interessante Feature bei der Bedeutung von “ich” und mithin der Frage nach “ich”-Bewusstsein ist aus meiner (und nicht nur meiner) Sicht das stukturelle Muster der Selbstreferenz, das sich u.a ja auch im Verhalten von Mensch oder Elster vor einem Spiegel auch als Phänomen feststellen lässt. Dieses Phänomen fällt uns nur als ein globales Feature überhaupt auf, d.h., wenn man das Tier als Ganzes in den Blick nimmt. Schaut man indes nur auf die lokalen Merkmale seiner konstituierenden Bausteinchen (ob “pack of neurons” oder “handful of particles”), dann wird keine Selbstreferenz mehr erkennbar — die wurde dabei einfach durch die Wahl der Perspektive willkürlich eliminiert.

    Dass ein Objekt irreduzible globale Eigenschaften haben kann, die sich nicht aus seinen lokalen Eigenschaften herleiten, verstehen oder erklären lassen, ist logisch keineswegs absonderlich. So lässt sich der Unterschied zwischen einer Zylinderfläche und einem Möbiusband nicht in Begriffen der lokalen Geometrie dieser Objekte erklären.

    Insofern leuchtet es doch gar nicht recht ein, warum das globale Verhalten einer Elster überhaupt in den Begriffen ihrer lokalen Neuro-Architektur erklärbar sein sollte.

  172. Balanus:
    “Drei Jahrzehnte lang suchten Forscher vergeblich nach neuen Elementarteilchen, die erklärt hätten, warum die Natur so aussieht, wie sie aussieht. Während Physiker mit diesem Scheitern konfrontiert werden, überprüfen sie eine langjährige Annahme erneut: dass große Dinge aus kleineren Dingen bestehen.”

    (https://www.quantamagazine.org/crisis-in-particle-physics-forces-a-rethink-of-what-is-natural-20220301/?mc_cid=8abb92a744&mc_eid=52c523cd04)

  173. @Chrys // 28.02.2022, 18:12 Uhr

    Keine Frage, die kognitive Fähigkeit, zu erkennen, dass sich kein Artgenosse hinter dem Spiegelglas befindet, sondern dass es sich um den eigenen Körper handelt, der da in der Wahrnehmung aufscheint, ist schon außergewöhnlich—und deshalb auch nicht allzu weit verbreitet unter den höheren Wirbeltieren.

    Demgegenüber gehört die direkte Wahrnehmung des eigenen Körpers bzw. von Körperteilen zumindest bei Wirbeltieren zu den lebensnotwendigen Fähigkeiten. Der sensorische Input stammt dann nicht (allein) von den Augen, sondern kommt auch oder vor allem von den peripheren Nervensignalen aus dem Körper.

    Ich frage mich, ob das Verhalten der Elster vor dem Spiegel bereits „selbstreferenziell“ genannt werden kann, oder ob da nicht mehr hinzukommen müsste, also so etwas Ähnliches wie eine bewusste Reflexion über Gesehene. Denn ob z. B. der eigene Fuß direkt gesehen wird oder im Spiegel, so gravierend scheint mir der kognitive Unterschied hinsichtlich der Selbstreferenzialität nicht zu sein.

    Wir können ja nicht in Köpfe schauen, aber was wir mit Sicherheit sagen können, ist, dass Elster und Mensch unterscheiden können zwischen Sinneseindrücken, die von gespiegelten Dingen stammen, und solchen, die direkt von den Dingen stammen.

    Aber ist das wirklich von Bedeutung im Zusammenhang mit Cricks Behauptungen? Sollen wir tatsächlich annehmen, dass die höheren kognitiven Eigenschaften nichts mit der strukturellen Architektur der Neuronenverbände zu tun haben?

    Der Unterschied zwischen einer Zylinderfläche und einem Möbiusband resultiert ja auch aus der sukzessiven räumlichen Anordnung lokaler Geometrien (kann man das so sagen?) und kommt nicht vom Himmel gefallen.

  174. @Wolfgang Stegemann

    Danke für die Links!

    Teilchenphysiker brauchen allem Anschein nach eine hohe Frustrationsschwelle. Da haben es die Bewusstseinsforscher mit ihren Experimenten leichter… denn die können ohnehin nicht mehr als die dem bewussten Erleben unterliegenden Strukturen, Prozesse und Aktivitäten herausfinden, wenn überhaupt, wobei „neue Elementarteilchen“ meines Wissens im Hirn nicht zu erwarten sind … ;- )

    Für biologische Phänomene sind die Vorgänge auf der subatomaren Ebene nicht unmittelbar relevant, entscheidend ist, welche Eigenschaften die Elemente des Periodensystems besitzen, weil diese die Bausteine der Biomoleküle sind. Der Teilchenzoo trägt nichts zum Verständnis biologischer Vorgänge und Gesetzmäßigkeiten bei. Eine Erklärung des Phänomens Gravitation wird nicht gebraucht, wenn die z. B. Wuchsrichtung von Pflanzenwurzeln untersucht wird.

    »Und noch ein Ansatz, der Leben nicht auf einzelne Bausteine reduziert, sondern auf Muster, in denen Bausteine austauschbar sind: «

    Das klingt schräg.

    Den Autoren geht es offenbar um die Entwicklung neuer Theorien über die „Gesetze des Lebens“, die für alle möglichen biochemischen Prozesse gelten können. Und bei einem bestimmten biochemischen Prozess sind die Bausteine, die Biomoleküle, nicht austauschbar, denn dann hätten wir es mit einem anderen biochemischen Prozess zu tun.

  175. @Balanus, den Physik-Link habe ich gebracht, um deutlich zu machen, dass selbst in der Physik der Reduktionismus ausgedient zu haben scheint, wenn man die Welt erklären will.

    Bei den ‘Biomustern’ geht es darum, dass Leben offenbar nicht in erster Linie auf die hiesigen Biomoleküle angewiesen ist, sondern, dass es Muster sind, die genauso gut mit anderen Biomolekülen Leben hätten hervorbringen können bzw. das auf anderen Planeten vielleicht getan haben. Auch ein Argument gegen den Reduktionismus.
    In meinem Modell heißen diese Muster übrigens Metastrukturen.

  176. @Wolfgang Stegemann

    Der sogenannte “Reduktionismus” ist doch zuvörderst eine philosophische, wie sagt man, Richtung? Oder Verirrung? Dass Naturwissenschaftler sich nicht mit dem Augenscheinlichen begnügen, sondern tiefer bohren und einer Sache auf den Grund gehen wollen, hat mit dieser Weltsicht nichts zu tun, sondern ist schlicht der menschlichen Neugier geschuldet. Da geht es also nicht darum, irgendeinem reduktionistischen Programm“ zu folgen.

    Das kann man bewerten wie man will, aber ohne dieses „auf den Grund gehen“ gäbe es wohl keine nennenswerten naturwissenschaftlichen Disziplinen und tiefergehenden Erkenntnisse.

    (Ein anderes, rein wissenschaftstheoretisches Thema ist offenbar die Methodik der Reduktion von Theorien).

    » Bei den ‘Biomustern’ geht es darum, dass Leben offenbar nicht in erster Linie auf die hiesigen Biomoleküle angewiesen ist, sondern, dass es Muster sind, die genauso gut mit anderen Biomolekülen Leben hätten hervorbringen können bzw. das auf anderen Planeten vielleicht getan haben. «

    Keine Ahnung, was „andere“ Biomoleküle sein sollen. Was genau wäre da „anders“? Kann ein eine andere chemische Verbindung genauso effizient die Funktion des ATPs übernehmen? An den spezifischen Eigenschaften der Elemente wird ja wohl nicht gerüttelt, oder?

    Und was man auch nicht übersehen darf: Muster oder „Metastrukturen“ können doch nur das Ergebnis und niemals die Basis oder Voraussetzung („Ursache“) für Entstehung „lebender“ Systeme sein.

    Wenn es stimmte, dass „Leben“ nicht auf die bekannten Biomoleküle angewiesen ist, dann sollte einer künstlichen, im Labor erzeugten Lebensform ja nichts mehr im Wege stehen.

  177. @Balanus: schade, dass Sie meine Beiträge offenbar nicht richtig gelesen haben.

    Dass Naturwissenschaftler sich nicht mit dem Augenscheinlichen begnügen, sondern tiefer bohren und einer Sache auf den Grund gehen wollen, hat mit dieser Weltsicht nichts zu tun, sondern ist schlicht der menschlichen Neugier geschuldet. Da geht es also nicht darum, irgendeinem reduktionistischen Programm“ zu folgen.

    Genau darum geht es nicht. Wir haben auf der einen Seite die Analyse, um die Bausteine zu identifizieren – die Konstituenten.
    Jetzt kommt aber der entscheidende Schritt: Will ich das Leben aus diesen Bausteinen heraus erklären (das wäre dann Reduktionismus) oder versuche ich, Emergenzen zu finden, welche die Bausteine regulieren.
    Ich reduziere beim zweiten auf Emergenzen, nicht auf Bausteine, oder anders: ich erkläre Leben nicht durch die Bausteine, die ich zuvor analysiert habe, sondern aus dem,. was die Bausteine erschaffen haben.

    Keine Ahnung, was „andere“ Biomoleküle sein sollen. Was genau wäre da „anders“? Kann ein eine andere chemische Verbindung genauso effizient die Funktion des ATPs übernehmen? An den spezifischen Eigenschaften der Elemente wird ja wohl nicht gerüttelt, oder?

    Schauen Sie sich vielleicht dieses Video an: https://www.spektrum.de/video/wie-erschafft-man-kuenstliches-leben/1986439

    In dem verlinkten Text oben geht es darum, allgemeine Prinzipien für Leben zu finden, so dass man es auch mit anderen Elementen nachbauen könnten, es geht also ums Prinzip und nicht um die Bausteine, die kann man austauschen.

  178. @Balanus / 02.03.2022, 21:52 Uhr

    Vielleicht wären wir ja einen Schritt weiter, wenn wir uns wenigstens darauf verständigen könnten, es bisweilen mit irreduziblen Konzepten zu tun zu haben, und dass daran nichts grundsätzlich mysteriös ist. Gemeint ist, dass sich bisweilen zu einem betrachteten Objekt bei einer “höheren” Betrachtungsweise gewisse Eigenschaften feststellen lassen, die sich bei einer “niederen” Betrachtungsweise gar nicht erkennen und sich folglich auch nicht “von unten nach oben” begründen oder erklären lassen. Im Beispiel mit den Flächen erweist sich die Orientierbarkeit als eine globale Eigenschaft von Flächen und eben nicht als eine lokale. Bei lokaler Betrachtung ist eine Zylinderfläche von einem Möbiusband nicht mehr zu unterscheiden, und die Frage der Orientierbarkeit lässt sich durch lokale Betrachtung allein daher nicht klären.

    Welche Eigenschaften einem Objekt zukommen, lässt sich nicht unabhängig von der Wahl einer Betrachtungsweise konstatieren. Denn vergessen wir nicht Maturana: Alles, was gesagt wird, wird von einem Beobachter gesagt. Und es ist der Beobachter, der diese oder jene Betrachtungsweise festlegt und damit die Sprache für seine Konstatierungen bestimmt.

    »Sollen wir tatsächlich annehmen, dass die höheren kognitiven Eigenschaften nichts mit der strukturellen Architektur der Neuronenverbände zu tun haben?«

    Nein, aber das ist auch gar nicht das Problem. Denn es bleibt zumindest doch die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass es sich beim ich-Bewusstsein um ein — relativ zur neurobiologischen Betrachtungsweise — irreduzibles Konzept handeln könnte. Oder meinst Du, ein logisches Argument zu haben, mit dem sich diese Möglichkeit a priori ausschliessen liesse?

  179. @Wolfgang Stegemann

    Danke fürs Video! Ich muss sagen, der Astrobiologe Aleksandar Janjic macht seine Sache richtig gut.

    Bitte sehen Sie es mir nach, wenn ich nicht alles so verstehe, wie es von Ihnen gemeint war… ist kein böswilliges Missverstehen…

    Ok, wir haben also auf der einen Seite die „Analyse“, nach meinem Verständnis also das, was die Menschheit seit jeher betreibt und antreibt, um die Welt zu verstehen—wobei uns in der jüngeren Geschichte hierfür ganz andere Mittel zur Verfügung stehen als früher.

    » Jetzt kommt aber der entscheidende Schritt: Will ich das Leben aus diesen [per Analyse identifizierten] Bausteinen heraus erklären (das wäre dann Reduktionismus) oder versuche ich, Emergenzen zu finden, welche die Bausteine regulieren.«

    Hmm, und wenn ich nun untersuche, wie die Bausteine (Systemkomponenten) zusammenwirken, damit es zu den beobachteten Systemeigenschaften (= „Emergenzen“?) kommt, welche mich veranlasst haben, nach den Bestandteilen des Systems zu suchen, verfolge ich dann auch noch einen reduktionistischen Ansatz?

    Beispiel: Regulation der Körpertemperatur. Wenn ich nun alle an dieser Regulation beteiligten Komponenten identifiziert habe, dann habe ich doch auch gleichzeitig herausgefunden, welche Rolle diese Komponenten in diesem System spielen, wie sie zusammenwirken und wechselwirken.

    » …oder anders: ich erkläre Leben nicht durch die Bausteine, die ich zuvor analysiert habe, sondern aus dem,. was die Bausteine erschaffen haben. «

    Für mich ist „Leben“ ein andauernder, sich selbst erhaltender dynamischer Prozess, ein Gebilde gilt als „lebend“, wenn in ihm bestimmte Prozesse ablaufen und es darum bestimmte Eigenschaften besitzt. Die fundamentale lebende Einheit ist die Zelle.

    Aber gut, belassen wir es dabei, morgen (Sonntag) kucke ich hier noch mal rein, dann ist für mindestens 14 Tage Pause.

    Bis denne…

  180. @Chrys // 04.03.2022, 14:31 Uhr

    » Vielleicht wären wir ja einen Schritt weiter, wenn wir uns wenigstens darauf verständigen könnten, es bisweilen mit irreduziblen Konzepten zu tun zu haben, …«

    No problem…

    Ich behaupte ja nicht, wir könnten von dem verbauten Holz auf die Eigenschaften des gesamten Bauwerks schließen.

    »Denn es bleibt zumindest doch die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass es sich beim ich-Bewusstsein um ein — relativ zur neurobiologischen Betrachtungsweise — irreduzibles Konzept handeln könnte.«

    Nun ja, mag ja sein, aber was würde das an dem ontischen Status des Gegenstandes ändern, ohne den es dieses Konzept gar nicht gäbe? Darum ging es doch bei Cricks Behauptung, wenn ich nicht irre.

    Im Grunde bzw. im Kern gibt es, denke ich, keinen großen Dissens zwischen unseren Auffassungen. Insofern können wir zum Schluss kommen. Denn wie schon oben im Kommentar an @Stegemann erwähnt: ich bin demnächst für eine längere Zeit offline.

    Auf ein andermal…

  181. @Balanus / 06.03.2022, 01:01 Uhr

    Falls Du nach der offline Pause noch mal hier reinschaust, eine Bemerkung will ich dazu gerade noch anbringen.

    Crick kommt mir vor wie jemand, der meint, eine Düne sei faktisch nicht mehr als nur ein Haufen Sandkörner, und dies als tiefsinnige Einsicht präsentiert. Klar, eine Düne konstituiert sich aus Sandkörnern, was eher trivial als tiefsinnig ist, doch weder ist jeder Sandhaufen eine Düne, noch lässt sich die (globale) Dynamik von Dünen allein aus dem Wissen über die (lokale) Beschaffenheit von Sandkörnern heraus verstehen. Was folglich dabei irgendwie falsch ist und stört, ist zuvörderst das “nicht mehr als nur”.

  182. @Chrys // 09.03.2022, 12:16 Uhr

    (Wie das Leben so spielt, schon wieder hat das vermaledeite Corona-Virus meine Pläne durchkreuzt, aber immerhin kann ich jetzt noch ein paar Tage Online sein.)

    Zur Düne (die hatten wir ja schon mal beleuchtet, wenn ich mich recht erinnere): Nach meinem Verständnis würde Crick wohl so etwas Ähnliches sagen wie: Eine Düne ist faktisch nicht mehr als das Verhalten von Myriaden von Sandkörnern. Unausgesprochen bleiben dabei natürlich die äußeren Einflüsse (Kräfte, die auf jedes einzelne Sandkorn einwirken), die werden stillschweigend vorausgesetzt—genau wie beim Verhalten des riesigen Verbandes von Nervenzellen, die das „Ich-Gefühl“ konstituieren.

    Das ist gewiss keine „tiefsinnige Einsicht“. Aber umso mehr wundert es mich, dass das überhaupt in Frage gestellt und diskutiert wird.

  183. “Eine Emergenztheorie wird für die Beschreibung der naturgegebenen Organisationsstufen nicht gebraucht, denn sie erklärt rein gar nichts” (Balanus 20.02.2022, 15:04 Uhr)

    Bereits auf dem ganz alltäglichen Feld das Erfindens und Entdeckens bringt uns der Begriff der Emergenz nicht weit. Das wirklich Neue ist nicht Teamwork, es ist nicht planbar. Der zündende Funke allein bewirkt nichts; es kommt auf die entflammbare Umgebung an. In diesem Zusammenhang spreche ich von den Irrtümern, den schöpferischen Prozess betreffend (Klüger irren – Denkfallen vermeiden mit System. Springer-Verlag 2016, 2020). Ein (zielgerichteter) Evolutionszwang hin zum Neuen, Unerwarteten ist paradox! Der Reduktionismus ist in dieser Hinsicht eine aussichtslose Unternehmung. So gesehen ist auch die Rede von der Emergenz ziemlich bedeutungsarm. Wohin eine Anreicherung des Emergenzbegriffs führen kann, das wird uns von Hermann Helbig vor Augen geführt: Er hat einen dicken Wälzer über Emergenz geschrieben und landet im Schlusskapitel bei Gott.

  184. @ Balanus
    @ Chrys

    Zitat Crick (übersetzt Google): “Du”, deine Freuden und deine Sorgen, deine Erinnerungen und deine Ambitionen, dein Gefühl der persönlichen Identität und des freien Willens, sind in Wirklichkeit nicht mehr als das Verhalten einer riesigen Ansammlung von Nervenzellen und den damit verbundenen Molekülen.

    Diese Aussage „stimmt irgendwie“.

    Allerdings ergeben sich Probleme, einerseits weil man die grundlegenden Mechanismen zu wenig versteht, kann man sie auch nicht gut beschreiben, zumal an sich vorhandene Konzepte zu wenig akzeptiert werden.

    Andererseits gilt in der Philosophie praktisch nur der „Materialismus“ (Prozessoren), bedeutet, Geistiges (Information) und Prozesse, deren Wechselbeziehungen, werden nicht akzeptiert, obwohl sie absolut grundlegend in der Informatik und in Information verarbeitenden Systemen sind.

    Bedeutet, Information und deren informell – mathematische – Abbildung, die letztlich auch Prozesse systematisch steuern kann, ist gemäß den Konzepten der Informatiker die die Wechselbeziehungen zwischen Prozessoren, Prozessen und Information nutzen und erforschen, wichtig.

    Dazu dürften besondere Mechanismen kommen, die die vielfältigen „Empfindungen“ generieren, die letztlich zum Bewusstsein „emergieren“ können.

    Die „Gleichsetzung“ Cricks …..sind in Wirklichkeit nicht mehr als das Verhalten…. ist für Informatiker problematisch, weil sozusagen „Objekte“ die unterschiedlichen Kategorien angehören, sozusagen „ist gleich gesetzt“ werden, derartiges ist für Informatiker verpönt.

    Computerprogramme arbeiten mitunter „völlig verrückt“, wenn das nicht berücksichtigt wird. Bzw. weist der „Compiler“ ein Programm zurück, wenn dies nicht beachtet wird.

    Besonders drastisch wäre, auf die Philosophie übertragen, auch ein Fehler in der Behauptung: „Der Mensch ist sein Gehirn“. Auch wenn das Objekt „Mensch“ mit dem Objekt „Gehirn“ wechselwirkt.

  185. @Balanus / 10.03.2022, 10:20 Uhr

    Auch bei der Düne ist es immer noch das “nicht mehr als nur”, was stört. So zeigt sich etwa bei Sicheldünen ein dynamisches Verhalten, das zwar nicht exakt gleich, aber doch bemerkenswert ähnlich ist dem von solitären Wellen. Wenn man nur auf Sandkörner starrt, kommt man gar nicht auf so etwas. Zur wissenschaftl. Erklärung von Düne braucht es offenbar begrifflich dann doch irgendwie mehr als nur die Rede von Sandkörnern.

  186. @Chrys // 11.03.2022, 10:23 Uhr

    Was gibt es bei einer Düne denn sonst noch, außer den Sandkörnern und den physikalischen Kräften, die die Düne formen? Spuren an Wasser, Feinstaub, … oder an was denkst Du da?

    Was wir begrifflich zur Erklärung oder Beschreibung von Dünen brauchen, steht hier (im Zusammenhang mit dem Crick-Zitat) nicht zur Debatte, das ist ein anderes Thema. Im Crick-Zitat geht es nicht um begriffliche Fragen.

  187. @Balanus / 11.03.2022, 22:14 Uhr

    Wir sind für alle unsere wissenschaftl. oder philosoph. Aussagen nun mal auf sprachliche Mittel angewiesen, und insofern geht es unausweichlich um die Begriffe, mit denen wir dabei operieren. Jede Betrachtungs- oder Beschreibungsweise eines Phänomens erfordert ihre eigene Sprache mit eigenen Begriffsbildungen und eigenen ontological commitments, mit denen wir dann e.g. auch zwischen globalen und lokalen Eigenschaften eines Phänomen wie etwa einer Düne unterscheiden.

    Mancherlei Unsinn kann dann aus einer unbedachten Vermischung verscheidener Betrachtungsweisen entstehen, oder, um es mit den Worten von Peter Janich zu sagen, aus mangelnder Reflexion der sprachlichen Mittel. Das muss man Crick allemal vorwerfen, der liefert mit seinem Statement gerade ein Paradebeispiel dafür. Denn “ich-Bewusstsein” und “mein Nervensystem” gehören ganz gewiss zu verschieden Betrachtungsweisen und mithin zu verschiedenen Sprachebenen. Diese Begriffe liessen sich nur gleichsetzen, wenn sie bedeutungsgleich und synonym verwendbar wären, was aber doch recht offensichtlich nicht der Fall ist.

    Wenn man es konsequent reduktionistisch weiterdenkt, wäre eine Nervenzelle dann doch auch nicht mehr als nur das Verhalten von Quantenpartikeln, und da ist wohl erst mal das Ende der reduktionistischen Fahnenstange. So, you’re nothing but a pack of quantum particles. Ist das nach Deinem Geschmack?

    Ironischerweise setzt die Quantenphysik aber gar nicht “ganz unten” bei den Quantenpartikeln an, sondern vielmehr werden diese erst durch einen Prozess der Quantisierung aus klassischen Observablen konstruiert. So gelangt man e.g. vom klassischen EM-Feld “top-down” durch Feldquantisierung zum Photon, aber nicht etwa umgekehrt vom Photon “bottom-up” zum klassischen EM-Feld.

  188. @ Balanus
    @ Chrys

    Zitat Crick (übersetzt Google): “Du”, deine Freuden und deine Sorgen, deine Erinnerungen und deine Ambitionen, dein Gefühl der persönlichen Identität und des freien Willens, sind in Wirklichkeit nicht mehr als das Verhalten einer riesigen Ansammlung von Nervenzellen und den damit verbundenen Molekülen.

    Wie würden Sie das Zitat etwas umformuliert sehen????

    “Du”, deine Freuden und deine Sorgen, deine Erinnerungen und deine Ambitionen, dein Gefühl der persönlichen Identität und des freien Willens, haben mit der Existenz und dem Verhalten einer riesigen Ansammlung von Nervenzellen und den beteiligten Molekülen zu tun.

    sind in Wirklichkeit…. Diese Formulierung impliziert mögliche unzulässige „Gleichsetzungen“ und ist daher „bedenklich“.

    Meine vorgeschlagenen Formulierung ist praktisch eine offensichtliche Tautologie, sie kann praktisch nicht „falsch“ sein.

    Die Formulierung stimmt selbst dann, wenn „zu 99%“ zusätzliche „unbekannte Effekte“ maßgeblich wären, oder es einen „freien Willen“ überhaupt nicht gäbe. Der Wille hätte eben mit 0% bis 100% mit der Existenz und dem Verhalten einer Ansammlung von Nervenzellen „zu tun“.

  189. @Chrys // 13.03.2022, 13:43 Uhr

    Sprachebenen

    Würden „Ich-Bewusstsein“ und „Nervensystem“ nicht (kategorial) verschiedene Dinge bezeichnen, ergäbe Cricks Statement überhaupt keinen Sinn.

    Dass wir es hier mit „verschiedenen Sprach-“ bzw. Beschreibungsebenen zu tun haben, die allem Anschein nach irgendwie miteinander zu tun haben, ist ja gerade der Witz bei der Sache. Ich sehe nicht, wie man Crick hier (mit Janich) eine „mangelnde Reflexion der sprachlichen Mitteln“ vorwerfen könnte.

    Es ist ähnlich wie beim Geigenbau: Die Töne, die man dem Instrument entlockt, sind etwas völlig anderes als das Material, aus dem die Geige gefertigt ist.

    Crick hätte vielleicht gesagt: Der Klang einer Stradivari ist tatsächlich nichts anderes als das Schwingungsverhalten diverser Materialien und den von ihnen bewegten Luftmolekülen.

    »So, you’re nothing but a pack of quantum particles. Ist das nach Deinem Geschmack?«

    Nicht wirklich, aber dennoch dürfte das unsere „materielle“ oder „energetische“ Grundlage sein, soweit wir wissen. Obsolet sind dagegen Vorstellungen wie „Élan vital“ oder „Seele“. Entsprechend muss laut Crick für das Gefühl des „Ich-Bewusstseins“ kein „Geist“ oder etwas ähnlich Immaterielles bemüht werden.

    Allerdings, den direkten Sprung vom Verhalten lebender Systeme zum Verhalten von Quantenpartikeln macht ja ohnehin keiner, der (a) bei Sinnen ist und (b) verstehen will, welche Prozesse einen Organismus am Leben erhalten. Insoweit haben wir es hier wohl einem red herring zu tun.

    »Ironischerweise setzt die Quantenphysik aber gar nicht “ganz unten” bei den Quantenpartikeln an,… «

    Wieso „ironischerweise“? Die Neurobiologie hat auch nicht mit Nervenzellen und Molekülen begonnen, sondern mit der Beobachtung und Untersuchung komplexer Lebensformen. Das erscheint mir völig normal.

    Aber was Du da im letzten Absatz beschreibst, zeigt, dass dieses ganze philosophische bzw. wissenschaftstheoretische Gewese um Reduktionismus und Emergentismus die forschende Naturwissenschaft nicht wirklich weiterbringt.

  190. @Elektroniker // 13.03.2022, 23:43 Uhr

    Ich vermute mal, Crick hatte bei der gewählten Formulierung, die (auch) als „Gleichsetzung“ verstanden werden kann, im Sinn, dass all das, was da aufgezählt wird, mit einem Schlag verschwindet, wenn „das Verhalten einer riesigen Ansammlung von Nervenzellen und den damit verbundenen Molekülen“ zum Erliegen kommt.

    (Man muss schon an ein geistiges Weiterleben nach dem Tod glauben, wenn man diesen Zusammenhang als bloße Korrelation abtun will.)

  191. @ Balanus 14.03.2022, 10:18 Uhr

    Mit dieser Aussage hat Crick vermutlich den theologischen Aspekt gar nicht gemeint.

    Er hat versucht die Realität sachlich möglichst korrekt zu beschreiben und dies scheint gelungen. Allerdings hat er die (genau genommen) vermutlich zu weit gehende problematische „Gleichsetzung“ verwendet. Das ist ein Problem wenn verschiedene „Ebenen“ mit unterschiedlichen Kategorien beschrieben werden.

    Das Bemerkenswerte an der Entdeckung der DNA durch Crick und Watson war doch der „Vererbungsaspekt“ der „seriell“ strukturierten genetischen Information auf den Genen. Die Information wird tatsächlich weitergegeben, man kann es so sehen dass diese Information den Tod „überlebt“. Vergleichbar wie Software die verschrottete Hardware „überlebt“.

    So weit ich informiert bin, wollte besonders Watson und sein “geistiger“ Nachlassverwalter Koch, dieses grundsätzliche Konzept auch auf die „Meme“, in Analogie zu den „Genen“, übertragen.

    „Meme“ werden auf den baumartigen und vermaschten neuronalen Strukturen „abgebildet“. Sie werden über die Kommunikationsmechanismen verbreitet und die, allenfalls auch mutierten „Denkmuster“, bleiben im „Netzwerk“ der Menschen erhalten, selbst wenn die „ursprünglichen Informationsträger“ ausfallen.

  192. @Balanus / 14.03.2022, 10:07 Uhr

    Crick hätte sagen können: “Alles, was ich tue, erfordert notwendig ein damit korrepondierendes Verhalten meines Nervensystems.” Das wäre dann völlig in Ordnung gewesen.

    Es ist jedoch unzulässig, daraus eine “nicht mehr als nur”-Gleichsetzung von “ich” mit meinem Nervensystem zu konstruieren. Ich identifiziere mich nicht mit einer echten Teilmenge meiner selbst — das wird unauseichlich paradox. Crick scheint mir das nicht wirklich konsequent bis zum Ende durchdacht zu haben.

    Apropos Konsequenz, Sean Carroll hat anscheinend ja keine Bedenken, auch Neuronen hinunter bis auf den Level von Quantenpartkeln zu reduzieren. Wenn Du da jetzt nicht mitgehst, woran liegt’s? An welcher Stelle sollte Deiner Ansicht nach das reduktionistsche Programm denn scheitern, wenn man da immer weiter hineinzoomt?

  193. Hallo zusammen,

    nachdem ich nun den Artikel von Herrn Schleim sowie die Diskussion darunter nahezu komplett gelesen habe, wundert es mich ein bisschen das nun so lange über das berühmte Zitat von Crick diskutiert wird.

    Die Aussage, dass wir nicht mehr als das Feuern unserer Neurone wären, stammt aus einem populärwissenschaftlichen Buch aus dem Jahre 1994! Damals war das reduktionistische Denken in den kognitiven Neurowissenschaften noch stärker als heute. Crick hat die Aussage sicherlich so gemeint wie sie im Buche auch steht. Hier muss man nachträglich diese Aussage gar nicht so weit dehnen und interpretieren um wieder etwas anderes rauszulesen.

    Einige Neurowissenschaftler haben dieses Zitat von Crick aufgegriffen und als fehlgeleitetet dargestellt, beispielsweise Olaf Sporns in seinem Buch “Networks of the Brain”, um nur ein Beispiel zu nennen. In den letzten 28 Jahren haben sich die kognitiven Neurowissenschaften weiterentwickelt, was nicht bedeutet dass das reduktionischste Denken nicht nach wie vor noch ausgeprägt besteht.

  194. @ Philipp 15.03.2022, 13:57 Uhr
    @ Balanus

    Ich meine, das Problem im Zusammenhang mit dem Zitat von Crick liegt an der „populärwissenschaftlichen Sprache“.

    Besonders Menschen mit Informatik Background stoßen sich an der „Gleichsetzung“ von Objekten die Komponenten unterschiedlicher, nicht übereinstimmender „Kategorien“ enthalten (könnten).

    Die auch mathematisch korrekten „Kunstsprachen“, z.B. der Informatiker, gab es damals (ungefähr vor 1960) noch nicht wirklich. Höchstens Linguisten haben davon „geträumt“.

    Ich habe mir ehemals fast ein Knalltrauma aufgerissen, weil uns der Informatiklehrer vor vielen Jahren, sehr theatralisch, den zentimeterdicken Compiler Ausdruck der Fehlerlisten eines Computerprogrammes (auch mit den vielen „Kategorienfehlern“), auf den Tisch geknallt hat.

    Der Philosoph mit Informatikstudium, Dr. Schleim dürfte ähnliche Erfahrungen gemacht haben und diskutiert vermutlich auch deswegen, öfter sehr kontrovers mit „Balanus“ der zwar recht realistisch argumentiert, aber diese „Feinheiten“ in der Denke der Informatiker zu wenig berücksichtigt.

    Die reduktionistische Grundannahme setzt voraus, dass jedes Phänomen komplett beschrieben werden kann, wenn nur genügend Daten des Untersuchungsgegenstandes bekannt sind.

    Das Problem aber ist, dass viele Phänomene hoch komplex sind und weitaus zu wenig Daten des Untersuchungsgegenstandes bekannt sind, daher ist die reduktionistische Grundannahme oft nicht zu erfüllen.

  195. @Chrys // 15.03.2022, 11:45 Uhr

    »Alles, was ich tue, erfordert notwendig ein damit korrepondierendes Verhalten meines Nervensystems.«

    Vor 500 Jahren wäre das vielleicht eine bemerkenswerte Erkenntnis gewesen (keine Ahnung, wann genau das Nervensystem erstmals beschrieben wurde).

    Cricks Aussage läuft aber doch drauf hinaus, dass „ich“ und „mein“ bereits notwendig ein damit korrespondierendes Verhalten von Nervenzellen erfordert. Rein gefühlsmäßig neigt man ja dazu, „ich“ und „mein“ nicht als Phänomene neuronaler Aktivitäten zu sehen, sondern einem irgendwie gearteten „Geistigen“ zuzuordnen—was immer das dann sein könnte.

    Angesichts dieser faktischen Verhältnisse versagen unsere überkommenen sprachlichen Mittel, unsere Rede wird zwangsläufig paradox.

    Was das „reduktionistische Programm“ angeht, da kommt es darauf an, was damit gemeint ist. Man kann ja schlecht behaupten, dass es unterhalb der atomaren Ebene nichts gibt, was sich erforschen ließe. Spielen Quantenpartikel bzw. -phänomene bei den elektrischen Eigenschaften von biologischen Systemen, also auch Nervenzellmembranen, eine Rolle? Oder kommt man bei der Erklärung von elektrischen Ladungen ohne Anleihen bei der Quantenphysik aus. Wenn ja, dann können Neurobiologen so tun, als gäbe es keine Quantenpartikel, denn ohne Frage lässt sich das Feuern der Neuronen auch ohne Rückgriff auf diverse Quarks beschreiben.

    (Wobei ich mich jetzt frage, wozu man überhaupt Teilchenphysik betreibt…)

  196. @Philipp // 15.03.2022, 13:57 Uhr

    Ich kannte das Crick-Zitat noch nicht. Da ich aber der Aussage im Kern zustimme und erlebe, dass sie kritisiert wird („fehlgeleitet“), hätte ich gern Genaueres über die Gründe gewusst. Und zwar zur Sache selbst, nicht zur Sprache über die Sache (daher meine anhaltende Diskussion mit Chrys… und, weils Spass macht ;-))

  197. @Elektroniker // 15.03.2022, 20:33 Uhr

    Nach meinem Empfinden wird da nichts „gleichgesetzt“. Feuernde Nervenzellen, wie auch immer organisiert und verschaltet, sind das eine, und die „ich“-Empfindung ist das andere. Aber beides hängt ja offenbar irgendwie zusammen.

  198. @all

    Sodele, das war’s für diesmal, wenn alles gut geht, schaue ich in zwei drei Wochen wieder rein :- )

  199. Hallo Balanus,

    das Nervensystem wurde bereits in der Antike erforscht und beschrieben, z.B. durch den griechischen Arzt Galen, der im damaligen römischen Reich lebte und forschte. Soweit ich mich richtig erinnere war Galen einer der ersten Personen, wenn nicht sogar die erste Person, die u.a. afferente von efferenten Nerven unterschied (wobei die meisten Nervenbündel beide beinhalten), um ein Beispiel zu bereits ca. 2000 Jahre alten Entdeckungen zu nennen.

    Bezüglich Ihrer Frage: es würde zu weit führen dieses Thema hier zu diskutieren (mir fehlt die Zeit und Lust dazu das philosophische Thema des Selbst/Ich im Verbund mit neurowissenschaftlichen Befunden, also neurophilosophisch, im Detail anzugehen).

    Dennoch möchte ich Ihnen eine angemessene Antwort geben:
    Schauen Sie bei Interesse in neurowissenschaftliche Studien oder Reviews die auch philosophische Themen wie das “Selbst/Ich” behandeln ohne es mit neuronaler Aktivität im Gehirn gleichzusetzten bzw. zu identifizieren.

    Auch populäre Bücher für ein allgemeineres Publikum gibt es schon lange zu diesem Thema, beispielsweise “The Embodied Mind” aus dem Jahre 1991 von Varela und Kollegen, also sogar noch vor dem ebenfalls berühmten Buch von Crick. Die philosophische Position des Enaktivismus (Varela und co) setzt das Selbst/Ich ebenfalls nicht einfach mit rein neuronaler Aktivität unabhängig des Körpers und der Umwelt gleich.

    Ein weiteres und sehr zu empfehlendes Buch ist “Philosophical Foundations of Neuroscience” von Peter Hacker und Maxwell Bennett. Auch wenn ich nicht mit allen Punkten von Hacker übereinstimme und das Buch sich für manchen Leser streckenweise sicherlich sehr ermüdend lesen wird, so ist die klare Sprachanalyse letztendlich doch ein Gewinn für jeden der an Neurophilosophie interessiert ist. Man kann natürlich auch von anderen Menschen viel lernen ohne ihnen in allen Punkten zuzustimmen.

    Während Hacker ebenfalls gegen eine Gleichsetzung von Selbst/Ich mit dem Gehirn argumentiert, spricht er sich für einen Parallelismus zwischen Neurowissenschaften und Philosophie aus. Umgekehrt war Varela mit seinem Programm der Neurophänomenologie ja für eine Zusammenarbeit zwischen Neurowissenschaften und Philosophie. Hacker argumentiert dagegen klar gegen die Möglichkeit einer interdisziplinären Arbeit. Die Philosophie könne vielmehr nur klare Konzepte liefern und irreführende Interpretationen, also wie die von Crick (nach Ansicht Hackers), nachträglich korrigieren. Philosophie generiere aber kein neues Wissen, sie diene nur der konzeptuellen Analyse und Korrektur (Hacker ist u.a. Spezialist für Wittengenstein und natürlich von ihm beeinflusst).

    Ich möchte natürlich nicht sagen dass Sie der Meinung dieser Personen zustimmen müssen oder diese Ansichten die “richtigen” seien. Denn letztendlich sind das alles metaphysische und ontologische Fragen. Hier kommt es also darauf an wie gut man neurowissenschaftlich und philosophisch argumentiert und woran man letztendlich auch glaubt.

    Die genannten Bücher und Autoren dienen nur als Beispiel aus einer langen Liste von Personen die sich gegen eine reduktionischste Form von Neurophilosophie aussprechen, also z.B. einer Form von Neurophilosophie wie sie von Crick und co vertreten wurde/wird.

    Philipp

  200. Balanus schrieb (16.03.2022, 00:07 Uhr):
    > […] unterhalb der atomaren Ebene […] bei den elektrischen Eigenschaften von biologischen Systemen, also auch Nervenzellmembranen, eine Rolle?

    Die Betrachtung von sub-atomaren Konstituenten, insbesondere von Elektronen und von Atomkernen, ist wesentlich für die Modellierung chemischer und elektrischer Eigenschaften von Stoffen, Gemischen (Lösungen) und Strukturen (wie z.B. Doppellipidschichten) anhand von “chemischer Bindung”; hinsichtlich der organischen Chemie insbesondere der kovalenten Bindung (einsch. Hybridisierung) von Konstituenten aus mehreren (“einzeln gegebenen”) Atomen.
    Sogar weitere Einzelheiten der Zusammensetzung von Atomkernen (bestimmter elektrischer Ladung) spielen als Isotopeneffekte eine Rolle.

    > […] wozu man überhaupt Teilchenphysik betreibt

    Teilchenphysik (in Unterscheidung zur Chemie) wird insbesondere betrieben, um gegebene Teilchen unterscheiden, klassifizieren und ggf. wiedererkennen zu können.
    (Was außerdem Ideen für die gezielte Erzeugung bestimmter Teilchen und deren weitere Anwendungen auslösen mag.)

  201. Emergenz ist für mich ein unglücklicher Begriff. Er suggeriert, dass irgendetwas Neues entsteht, das im Substrat, den Elementen, bereits angelegt ist. Aber wenn es im Substrat bereits angelegt ist, dann ist es nicht wirklich neu. Wir können aber sagen, wie das Neue entsteht: durch Zufall und Notwendigkeit, kurz: durch Evolution. Conways Spiel des Lebens und Wolframs zellulärer Automaten geben das Prinzip nur unvollständig wieder. Sie sind, abgesehen vom Anfangszustand, deterministisch. Bei der Evolution spielt der Zufall die Hauptrolle. Das Ergebnis ist kontingent. Wie das ablaufen kann, habe ich in einem Simulationsexperiment gezeigt: Die Entstehung von kooperativem Verhalten verschiedener Ausprägungen in eine Welt aus lauter Egoisten. Die Gesetzmäßigkeiten auf höherer Organisationsebenen lassen sich nicht auf die Gesetzmäßigkeiten der Elementarebene zurückführen. Ich selbst, der Programmierer, war vom Ergebnis überrascht. Das Vorhaben des Reduktionismus scheint mir ziemlich aussichtslos zu sein.

  202. Zum Thema Reduktionismus:
    Wenn ich ich ein komplexes System, z.B. eine Lunge beschreiben und erklären will, ist es doch selbstverständlich, dass ich die Eigenschaften der Subsysteme (z.B. die verschiedenen beteiligten Zelltypen) und deren Anordnung untersuche (Reduktionismus). Bezweifelt hier jemand, dass die Systemeigenschaften einer Lunge (mindestens partiell) von den Eigenschaften der Subsysteme und der Struktur des Systems abhängen?

    Natürlich ist keine Lunge alleine auf der Welt. Für eine vollständige Beschreibung und Erklärung des System muss die Umgebung (Blutkreislauf, Atmosphäre…) selbstverständlich mit einbezogen werden.

    Ist das beim Gehirn anders?

    Ist folgende Aussage falsch und ist das für die Forschung irgendwie relevant?
    “Die Atmung ist in Wirklichkeit nicht mehr als das Verhalten (also ein Prozess) einer riesigen Ansammlung von bestimmten Zelltypen in einer bestimmten Anordnung.”

    Diese Aussage ist ja nicht gleichbedeutend mit: “Die Atmung ist die Lunge” (Ich bin mein Gehirn).

  203. Ein Haus wird in erster Linie durch die Bedarfslage des Bauherrn definiert. Natürlich müssen die Ziegel und die anderen Baustoffe den Anforderungen gerecht werden. Ohne Bindemittel wird aus Sand kein Haus. Brüchige Backsteine machen das Gesamtwerk zunichte.  Das heißt aber nicht, dass der intakte Backstein das Haus hervorbringt oder in irgendeiner Weise erklärt. Mit Kreativität hat das allerdings nur am Rande zu tun. (Davon war weiter oben die Rede.) Es geht nur um die Erklärung der Wirkungsrichtungen.

  204. @Philipp

    Besten Dank, Philipp, für die ausführliche Antwort und Literaturhinweise.

    Ohne jetzt eine neue Diskussion beginnen zu wollen, aber ich habe einen Verdacht, warum man bei Crick von einer „Gleichsetzung“ von „Selbst“ und/oder „Ich“ mit dem Gehirn spricht und meint, dass sei so nicht haltbar.

    Allem Anschein nach unterstellt man Crick, er wisse nicht, was alles dazugehört, damit sich ein Gehirn normal entwickelt, dass er meine, es ginge auch ohne den sensorischen Input von außen, also ohne Reize aus Körper und Umwelt.

    Aber jedem Biologen, auch Crick, ist klar, dass sich kein normales „Verhalten“ von Nervenzellverbänden entwickeln kann, wenn sensorische Reize aus Körper und Umwelt fehlen.

    Wenn es also bei der vermeintlichen „Gleichsetzung“ nur darum gehen sollte, dass man meint, Dinge wie Embodiment oder Enaktivismus kämen zu kurz oder würden nicht hinreichend bedacht, dann trifft—aus meiner Sicht—der Vorwurf nicht. Mit dem Begriff „Verhalten“ ist bereits alles Notwendige gesagt.

    Apropos Galen: Da kann man mal sehen, wie lange es schon den „reduktionistischen“ Ansatz in der Biomedizin gibt. Und erstaunlich, wieviel Zeit vergehen musste, bevor Luigi Galvani zufällig die elektrische Natur der Nervenstränge demonstrieren konnte.

  205. @Timm Grams // 17.03.2022, 14:49 Uhr

    Ein Backsteinhaus baut sich nicht selber.

    Das einzige Haus, das sich quasi selbst baut, ist vermutlich das Schneckenhaus. Die „Wirkungsrichtung“ beim „Schneckenhausbau“ ist nicht top-down.

  206. @I. Hirsch // 17.03.2022, 07:41 Uhr

    » Ist das beim Gehirn anders? «

    Das (menschliche) Gehirn scheint mir das einzige Organ zu sein, dessen Eigenschaften und Funktionen eine eigene philosophische Disziplin befeuert.

  207. @ I. Hirsch 17.03.2022, 07:41 Uhr

    Zitat: „Ist folgende Aussage falsch und ist das für die Forschung irgendwie relevant?
    “Die Atmung ist in Wirklichkeit nicht mehr als das Verhalten (also ein Prozess) einer riesigen Ansammlung von bestimmten Zelltypen in einer bestimmten Anordnung.”

    Umgangssprachlich ist Ihre Formulierung durchaus üblich. Linguisten nehmen aber aus theoretischen Gründen und seit einiger Zeit nehmen Informatiker daran Anstoß, weil es bei der maschinellen Verarbeitung zu Problemen kommen würde.

    Es geht um das grundsätzliche Problem, dass die „Sprache“ nicht ausreicht, um bestimmte (komplexere) Sachverhalte einfach und „absolut“ korrekt zu beschreiben. Das hat ehemals ein Deutschlehrer von mir vor vielen Jahren beklagt und er setzte seine Hoffnung auf künftige „Kunstsprachen“ wie z.B. Programmiersprachen.

    In Ihrer Aussage würde z.B. nicht berücksichtigt, dass auch „Information“ im Zusammenhang mit der Lungenfunktion bedeutsam ist. Z.B. bewirkt die „informelle Abbildung“ des Geruchs einer „Stinkbombe“ die in das neuronalen System übertragen wird, dass man die rettende Flucht antritt. Jetzt einmal abgesehen davon, wo genau die entsprechende Sensorik lokalisiert ist. Es ist also mindestens eine zusätzliche Kategorie („Information“) im Sinne der Informatik „beteiligt“, was durch die Formulierung „ist nicht mehr als ein Prozess“ aber ausgeschlossen wird.

    Beim Gehirn wäre z.B. der Aspekt der „Information“ noch weitaus stärker ausgeprägt.

  208. @Balanus 18.03.2022, 13:29 Uhr

    Ja, klar. Mir ging’s zuletzt nur um die Wirkungsrichtung. Was beim Haus der Baumeister leistet, erledigt in der Natur die Selektion. Das Schöpferische des Evolutionsprozesses hatte ich früher angesprochen. Mein Anliegen noch einmal in Kürze: Natürliche Evolution ist nicht reduzierbar. Man kann sie Fulguration oder Emergenz nennen, aber was soll’s?

  209. @ Elektroniker 18.03.2022, 22:53 Uhr

    Man kann diese Aussage doch auch verkürzen:
    “Die Atmung ist (nur) ein Prozess bestimmter realer Systeme (Lungen).”

    Damit habe ich die Atmung einer ontologischen Kategorie zugeordnet (ist ein Prozess, kein Ding, keine Eigenschaft, keine Information…). Bei diesem Prozess ist sicherlich “Information beteiligt”.

    Warum ich aber für diese Aussage unbedingt den Begriff der Information benötige, oder sie nur in einer Programmiersprache richtig zu formulieren ist, erschließt sich mir nicht.

  210. @ I. Hirsch 19.03.2022, 10:35 Uhr

    Ihre Aussage ist zweifellos vernünftig, wenn sie sich an „Normalos“ richtet.

    Wenn aber Fachwissenschaftler speziell mit der Einbindung z.B. der Lunge in das neuronale System beschäftigt sind, falls überhaupt Nervenzellen mit elektrischen Ladungsverschiebungen in der Lunge nachweisbar sind, so ist interessant welche „Informationen“ ausgetauscht werden.

    Welche Signal Muster genau und was sie bedeuten. So wie eine ganz besondere Verteilung z.B. der Druckerschwärze am Papier zunächst einen Buchstaben bedeutet, bis zu einem Wort, einen Satz, und letztlich eine systemische „Gesamtbedeutung“ haben.

    Prozesssteuerungen können natürlich auch durch Austausch von chemischen „Botenstoffen“ geschehen. Es kommt darauf an ob die Bedeutung als Information relevant ist.

    „Kunstsprachen“ wie auch Programmiersprachen die für unterschiedliche Fachgebiete in der Informatik entwickelt wurden, erleichtern die Kommunikation und das Verständnis. Es ist aber nur sinnvoll, wenn große Informationsmengen flexibel verarbeitet werden müssen.

    In der Neurologie gibt es derzeit nur geringen von außen steuernden Einfluss, z.B. „Gehirnschrittmacher“, wobei Physiker die Impulsfolgen berechnen. Die Entwicklung von Kunstsprachen rentiert sich derzeit offensichtlich noch nicht.

  211. @ Elektroniker 19.03.2022, 15:00 Uhr

    Es freut mich sehr, dass Sie die Aussage, zumindest an “Normalos” gerichtet, für vernünftig halten.

    Ich vermute allerdings, dass die meisten “Fachwissenschaftler” diese Aussage auch nicht als unvernünftig, sondern vielmehr als trivial bezeichnen würden, auch wenn sie nicht in einer Programmiersprache verfasst wurde.

    Es geht doch um den ontologischen Status der Atmung (die ich mit “Bewußtsein” vergleiche), nicht um die “Einbindung z.B. der Lunge in das neuronale System”, oder um Prozesssteuerung.

  212. @ I. Hirsch 19.03.2022, 16:36 Uhr

    Den Begriff „trivial“ kann man stehen lassen.

    Zitat: „Es geht doch um den ontologischen Status der Atmung (die ich mit “Bewußtsein” vergleiche), nicht um die “Einbindung z.B. der Lunge in das neuronale System”, oder um Prozesssteuerung.“

    „Ontologisch“ bedeutet Zitat Google: „Die Ontologie beschäftigt sich mit allem, was es gibt, denn sie fragt erstens, was es heißt, daß es etwas gibt, und zweitens, welche Kategorien von Objekten existieren und in welchem Verhältnis sie zueinander stehen“.

    Genau darum, auch den ontologischen Status der Atmung möglichst umfassend von Fachwissenschaftlern erheben zu lassen, geht es.

    Also darum welche Kategorien von Objekten existieren und in welchem Verhältnis sie zueinander stehen. (Genau dieses Konzept ist grundlegend bei vielen Programmiersprachen, deswegen der Verweis. Ich habe keinesfalls empfohlen, das „Lungen Zitat“ in einer Programmiersprache zu formulieren.)

    Abgesehen von den „Lungenzellen“ geht es auch um die Frage ob in der Lunge Nervenzellen existieren. Falls sie existieren, geht es auch um die Kategorie „Information“ und natürlich darum, wie diese Zellen in das neuronale System eingebunden sind und was sie möglichst genau bewirken.

    Derartiges herauszufinden ist praktisch das Ziel jeder Forschung.

    Ich gebe auch gerne zu, dass es eigentlich absurd ist, ausgerechnet als ehemaliger Elektroniker, derartige „Feinheiten der Sprache“ besonders zu betonen, zumal die Elektroniker berüchtigt für ihren extrem „schlampigen Umgang“ mit der Sprache sind.

  213. @ Elektroniker 19.03.2022, 21:20 Uhr

    Wissenschaft ist Wissenschaft und Ontologie ist Metaphysik, aber gut.

    Die Lunge wird von vegetativen und sensiblen Nervenfasern
    “versorgt”.

  214. @Timm Grams // 19.03.2022, 09:38 Uhr

    » Mein Anliegen noch einmal in Kürze: Natürliche Evolution ist nicht reduzierbar. «

    Seltsames Anliegen, wer will oder versucht denn, die Evolution zu “reduzieren”?

    Wie müsste man denn dabei vorgehen, wenn man das wollte?

    »Was beim Haus der Baumeister leistet, erledigt in der Natur die Selektion. «

    Naja, der Baumeister hat einen Plan, der Selektionsprozess nicht. Womit sich die Frage nach der jeweiligen „Wirkungsrichtung“ bei der Entstehung von neuen Systemen stellt.

    Evolutive Veränderungen werden, wenn man so will, „bewirkt“, indem sich genetisch unterschiedliche Individuen einer Art unterschiedlich erfolgreich fortpflanzen. Auf lange Sicht erscheint das als ein Selektionsprozess.

    So gesehen bringen die Individuen einer Art („Backsteine“) unter Umständen eine neue Art hervor.

    Mit Blick auf die Entstehung des „Lebens“ könnte man sagen, dass aus unbelebten Elementen (via zirkulären chemischen Reaktionsketten) letztlich von selbst „lebende“ Systeme entstanden sind. Womit wir klarerweise eine „Wirkungsrichtung“ von „unten/einfach“ nach „oben/komplex“ hätten.

    (Aber das nur nebenbei, ist ja nicht das Thema des Blogbeitrags…)

  215. Reduktionismus:
    Ich denke, man muss zunächst einmal einen Unterschied machen zwischen belebter und unbelebter Natur. Während in der unbelebten Natur das Ergebnis der Reaktion von Stoffen miteinander auch wieder zurückverfolgt werden kann (Reduktion) und somit auf die beteiligten Elemente reduziert werden kann, ist es in der belebten Natur anders. Dort nämlich evolvieren die Ergebnisse der Reaktion von Stoffen (Biomoleküle) selbst zu neuen ‘Ergebnissen’ und können als solche nicht mehr hinsichtlich der Erklärung zurückverfolgt werden, sondern nur zur Analyse der Bestandteile. Analyse und Reduktion muss also in der belebten Natur genau unterschieden werden.
    Auf was kann eine Reduktion in der belebten Natur erfolgen? Antwort: auf Prinzipien. Z.B. auf das der Proteinbildung oder auf das der Bioelektrik etc.
    Das sind dann neue Arbeitsprinzipien, deren Erklärung nicht auf die Elemente reduzierbar sind.

  216. Balanus,

    danke für Ihre Rückantwort auf meinen Beitrag. Eine kurze Antwort von mir. Sie schreiben u.a.:

    “Wenn es also bei der vermeintlichen „Gleichsetzung“ nur darum gehen sollte, dass man meint, Dinge wie Embodiment oder Enaktivismus kämen zu kurz oder würden nicht hinreichend bedacht, dann trifft—aus meiner Sicht—der Vorwurf nicht. Mit dem Begriff „Verhalten“ ist bereits alles Notwendige gesagt.”

    Das unterstelle ich Crick nicht. Auch dem Enaktivismus stimme ich nicht vollständig zu. Es würde aber weit über die Länge eines simplen Blogkommentars hinausgehen meine Position hier zu erörtern, zumal ich das ohnehin nicht als zielführend in Blogkommentaren erachte.

    Ein grundlegender Aspekt den ich beschreiben möchte ist folgender:
    In den empirischen Neurowissenschaften, also beispielsweise in den kognitiven Neurowissenschaften, muss man Punkt-für-Punkt basierend auf den gefundenen Daten argumentieren. Dies bedeutet dass ausgehend der empirischen Befunde nur relativ kleine Schritte bezüglich der Interpretation/Diskussion der Befunde möglich ist. Dies musste ich selbst erst mühsam lernen.

    In der Philosophie hingegen (hier in der Philosophie des Geistes) finden wir dagegen häufig sehr große Sprünge bzw. weit ausgeholte Hypothesen und Ideen. Für diese Ideen bestehen viel zu häufig überhaupt keine Daten bzw. Befunde. Man nehme als Beispiel nur den wieder in Mode gekommenenn Panpsychismus. Es wird viel zu häufig rein konzeptuell-logisch, d.h. zu unabhängig der Empirie, argumentiert und extrem weit ausgeholt.

    Der Nachteil in der empirischen Forschung rund um die neuronale Aktivität und das Gehirn ist wiederum dass manchmal das eigentlich Ziel bzw. die großen Fragen verloren gehen. Sprich die Frage warum man das eigentlich alles erforscht. Man verliert sich in empirischen Details.

    In der Empirie sind nur viel mildere Hypothesen und kleine Schritte möglich, was wiederum auch Vorteile bietet. Interpretationen über die Funktionsweise des Gehirns und Nervensystems müssten sehr eng an die tatsächlichen Befunde gekoppelt sein. Vergleichen Sie neurowissenschaftliche Studien mit Artikeln/Paper aus der Philosophy of Mind – der Unterschied in der Argumentations- und Denkweise springt einem ins Gesicht.

    Trotzdem bietet die Psychologie und Philosophie wiederum die Möglichlichkeit auch epistemologische, ontologische, phänomenologische, etc. Fragen und Probleme zu bedenken, von denen wiederum die kognitiven Neurowissenschaften profitieren können. Deshalb stimme ich Herrn Schleim auch zu dass wir zumindest für die Fragen um die hier rege diskutiert wird beides benötigen, d.h. sowohl die Empirie als auch gute Theorien der Psychologie und Philosophie. Ansonsten fallen wir in einseitige Extreme.

    Problematisch wird es meiner Meinung nach wenn manche philosophischen Überlegungen weit über die eigentliche Faktenlage hinausschießen. Das sehe ich z.B. in der Aussage von Crick, die letztendlich, zumindest in meinen Augen, nichts als reine Metaphysik ist die durch die empirischen Daten nicht gestützt wird.

    Philipp

  217. @Elektroniker:

    “Andererseits gilt in der Philosophie praktisch nur der „Materialismus“ (Prozessoren), bedeutet, Geistiges (Information) und Prozesse, deren Wechselbeziehungen, werden nicht akzeptiert, obwohl sie absolut grundlegend in der Informatik und in Information verarbeitenden Systemen sind.”

    Es gibt nichts Geistiges ohne Materie. Information ist nicht immateriell, sondern bedeutet (informationstheoretisch) nichts anderes als Ordnung.
    Das ist übrigens genau das, was das Gehirn herstellt. Es macht aus diffusen eingehenden Reizen Ordnung und bildet somit Strukturen, mit denen der Organismus sich in der Umwelt orientiert und sie bewertet.

  218. @Wolfgang Stegemann 20.03.2022, 13:04 Uhr Reduktionismus

    “Man muss zunächst einmal einen Unterschied machen zwischen belebter und unbelebter Natur.” In der belebten Natur “evolvieren die Ergebnisse der Reaktion von Stoffen (Biomoleküle) selbst zu neuen ‘Ergebnissen’ und können als solche nicht mehr hinsichtlich der Erklärung zurückverfolgt werden.”

    Dem kann ich gut zustimmen. Ich lege meine Unterscheidungsgrenze gern etwas anders. Mir geht es hauptsächlich um die Kreativität, um die Entstehung des wirklich Neuen.

    Heute sprechen wir von Evolution und von Zufall und Notwendigkeit. Diese Prinzipien wurden wohl für die belebte Natur erstmals ausformuliert (“Über die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl” von Charles Darwin). Genau diese Prinzipien sorgen dafür, dass eine Rückverfolgung der Ergebnisse auf die Ursachen aussichtslos ist, es sei denn, jemand hat die Geschichte notiert.

    Diese Prinzipien gelten auch für die kulturelle Evolution, für das Erfinden. Wer weiß denn schon, wie es zur Erfindung des Rades kam, oder wie die Baumeister des Mittelalters die genaue Geometrie des Kreuzrippengewölbes ausfindig gemacht haben – Differential- und Integralrechnung gab es ja noch nicht. Ihnen blieb wohl nur das Ausprobieren und das Bewahren und Weitergeben des Geeigneten, Zufall und Notwendigkeit eben.

  219. @ I. Hirsch 20.03.2022, 10:30 Uhr

    Danke für die Rückmeldung. Habe zwar vermutet, dass Nervenfasern in der Lunge vorhanden sein könnten, wusste aber nicht dass es tatsächlich so ist. Bin kein Mediziner/Biologe.

  220. @ Timm Grams 20.03.2022, 17:19 Uhr

    Mich würde interessieren, ob Sie sich mit „elektronischen Zufallsgeneratoren“, aufbauend auf digitale elektrische Zählerketten befasst haben?

    Die können „wirkliche“ Zufälle generieren, wenn z.B. radioaktive Zerfallsvorgänge genutzt werden, aber auch im anderen Extremfall, streng determinierte Zufallsvariable „generieren“, die streng von den Anfangsbedingungen abhängen, wenn von Quarzoszillatoren gesteuerte Zählerketten verknüpft werden, letztlich nur „scheinbare Zufallsereignisse“ generiert werden.

    Ich meine, dass die Evolution, auch im Zusammenhang mit „DNA Prozessen“ beide Methoden „nutzt“.

  221. @Elektroniker:

    » …„wirkliche“ Zufälle … auch im Zusammenhang mit „DNA Prozessen“«

    Wäre dies der Fall, ‘müsste’ die Evolution alle möglichen Varianten ‘ausprobieren’, also unendlich viele, bis dann endlich der grüne Käfer im grünen Habitat herauskommt. Mathematisch nicht möglich. Zumal der Zufall ‘wissen’ müsste, dass er nicht nur Flügel- und Beinvariationen bilden müsste, sondern Farbmutationen. Er müsste also wissen, dass gerade Farbmutationen wichtig sind fürs Fortbestehen des Käfers. Er müsste also um die Ecke ‘denken’. Etwas viel verlangt vom Zufall, oder?

  222. @ Wolfgang Stegemann 20.03.2022, 13:27 Uhr

    Zitat: „Es gibt nichts Geistiges ohne Materie. Information ist nicht immateriell, sondern bedeutet (informationstheoretisch) nichts anderes als Ordnung.“

    Das stimmt. Ist aber nur die halbe (weniger) bedeutsame Wahrheit.

    Wirklich bemerkenswert ist, dass sie Information in Stein hauen, auf einen Zettel schreiben, in einen Computer eingeben, damit einen Computer steuern können, die Information bearbeiten, allenfalls automatisch einen Output generieren können, ….

    Sie können Information z.B. Telefongespräche, Fernsehprogramme ohne ein Stäubchen Materie nach Amerika übertragen und nach Belieben manipulieren.

    Letztlich könnten Sie z.B. ihren Computer samt ihren Text verschrotten, die Information bleibt im Netzwerk „gespeichert“, sie existiert weiter, obwohl ihr Computer „tot“ ist.

    Beim Menschen bleibt viel Information, auch auf den Genen der Nachkommen nach dem Tod „übrig“, auch „Meme“ („ausgegebene Denkmuster“), besonders viele z.B. von Goethe, existieren in der Literatur und im Netzwerk der Menschen weiter….

  223. @Elektroniker:

    “Das stimmt. Ist aber nur die halbe (weniger) bedeutsame Wahrheit.”

    Ich habe das nicht auf Kultur bezogen, sondern auf das Gehirn. Darum geht es hier ja.

  224. @Elektroniker 20.03.2022, 17:53 Uhr Elektronischen Zufallsgeneratoren

    Zu elektronischen Zufallsgeneratoren der von Ihnen beschriebenen Art kann ich leider nichts sagen. Ich hatte nur mit Generatoren für Pseudozufallszahlen zu tun, wie sie in der Informatik üblich sind. Was mich seinerzeit überrascht hat war, dass auch weit unterhalb der Periodenlänge regelmäßige Muster auftreten können. Das hat mein Vertrauen in diese Generatoren dann doch ein wenig ins Wanken gebracht.

    Zufallszahlengeneratoren hoher Güte werden in der Natur aber gar nicht gebraucht. Mutationen werden durch ganz unterschiedliche Einwirkungen und deren Überlagerungen zustande gebracht, soweit mir bekannt. Für die Evolution scheint es Zufall genug zu geben.

  225. @ Wolfgang Stegemann 20.03.2022, 18:18 Uhr

    Unendlich wäre etwas „viel“.

    Aber es gibt viele, viele Milliarden von herum grabbelnden „Zufallsgeneratoren“ die extrem viele Muster „durchprobieren“. Die Muster die evolutionäre Vorteile haben, „überleben“ im Sinne Darwins und stehen für eine weitere Verbreitung zur Verfügung. (Übrigens, auch die Mikroben im Darm).

    Die beiden Typen von Zufallsgeneratoren, die ich z.B. in meinem Beitrag an Herrn Grams beschrieben habe (und die heutzutage „Stand der Technik“ (Wikipedia) sind), sollten derartiges leisten können.

    Die Menschen die fleißig derartige „Zufallsgeneratoren“ verspeisen bzw. angesteckt werden, tragen eifrig zur Bildung von Mutationen z.B. auch des Coronavirus bei Menschen bei.

    Ein Veterinär hat mit einmal versichert, dass wir in Europa nur deswegen sehr wenige auch noch dazu im Schlachthaus streng „beschaute“ Tierarten verspeisen, um genau derartige Mutationen zu vermeiden.

    China hat es hingegen zur „Kochkunst“ erhoben, fast jegliche Eiweißspender für die Ernährung zu nutzen.

  226. @Elektroniker:
    Ich meinte den internen Zufall (Ihr Hinweis auf die DNA), nicht den externen Zufall (Ihr Hinweis auf Mikroben), zwischen denen man unterscheiden muss.
    Aber das wird jetzt zu kompliziert, fürchte ich.

  227. @ Timm Grams 20.03.2022, 18:38 Uhr

    Es waren auch Generatoren für Pseudozufallszahlen an denen Elektroniker ehemals auf Wunsch von Mathematikern „gebastelt“ haben.

    Die Sache mit den „regelmäßigen Mustern“ ist ehemals auch den Mathematikern aufgefallen.

    Wenn man sich aber die Schaltungen nochmals genau an Hand der Impulsdiagramme überlegt, ist derartiges, mindestens bei sehr stabilen Oszillatoren zu erwarten.

    Ich vermute, die Evolution ist auf diese Mechanismen „gestoßen“ und hat sie höchst effizient und systematisch genutzt.

    Mangels biologischer Kenntnisse wollte ich diese Mechanismen einen Biologen mit Informatikkenntnissen vermitteln, aber er hat sich gegen diese, für einen Biologen an sich schwer vermittelbaren Möglichkeiten innerlich gesträubt.

    Den „regelmäßigeren halbwegs stabilen Mustern“ entsprechen die Arten, wobei sich zusätzliche Mechanismen (Immunsystem) entwickelt haben dürften, um diese Muster für lange Zeit stabil, zu halten.

  228. @Wolfgang Stegemann 20.03.2022, 19:05 Uhr

    Alle Möglichkeiten wechselwirken, oder „überlagern“ sich wie Herr Grams gemeint hat.
    Aber derartiges kommt oft vor in technischen Systemen.

  229. Um die Rolle des Zufalls in der Evolution zu verstehen, brauchen wir im Grunde nur zu wissen, dass er weder zielgerichtet noch vorhersehbar aber doch maßvoll eingreift.

  230. @ Timm Grams 20.03.2022, 19:38 Uhr

    Und wie würden Sie es sehen, wenn man annähme die „abstrakten Zählerketten“ die das Geschehen abbilden, zählen als Ziel in Richtung unendlich????

  231. @ Timm Grams 20.03.2022, 19:38 Uhr

    Was wäre, wenn die Mathematiker „Muster“ fänden, die das Auftreten bestimmter (zunächst abstrakter) „DNA Variablen“ wahrscheinlicher macht als andere Variablen????

  232. @Philipp // 20.03.2022, 13:09 Uhr

    Wenn ich z B. Willensentscheidungen empirisch mit neuronalen Aktivitäten in Verbindung bringen will, dann kann man sich dem in der Tat nur in kleinen Schritten nähern. Da unterscheidet sich die Neurobiologie nicht von den allermeisten anderen empirischen Disziplinen. Insoweit bin ich also ganz bei Ihnen.

    Dass Sie aber das, was Crick im zitierten Statement äußert, als „reine Metaphysik“ sehen, finde ich bemerkenswert.

    In meinen Augen hat Crick dort nur formuliert, was im Grunde neurobiologischer Konsens ist. Gerade wegen der empirischen Faktenlage. Die insgesamt vorliegende neurobiologische Literatur ist kaum zu überblicken. Man müsste, aus meiner Sicht, schon dem Gehirn der Spezies Mensch einen Sonderstatus zubilligen (was durch die Empirie nicht gedeckt wäre), um Cricks Statement als metaphysische Spekulation zu werten.

    Bestimmte offenkundige Eigenschaften des menschlichen Gehirns, die wir so von Tieren nicht kennen, begründen sicherlich keinen Sonderstatus. Denn schließlich ist der heutige Mensch das Ergebnis einer langen evolutiven Entstehungsgeschichte (ohne Einfluss eines überirdischen Schöpfungsaktes), was bedeutet, dass es einen fließenden Übergang gegeben haben muss vom tierlichen zum menschlichen Gehirn.

    Ok, das musste ich jetzt noch loswerden, bevor ich für ‘ne Weile vom WWW getrennt bin—sofern nicht wieder was dazwischen kommt…

  233. @ Timm Grams 20.03.2022, 22:19 Uhr

    Mich würde es (aus Neugier) interessieren, warum meine Sichtweise (die auf Aussagen ehemaliger Mathe Professoren an einer Ingenieursschule beruht) dass die Zahlengerade, oder eine Funktion bei einer Polstelle, offensichtlich in Richtung Unendlich geht, nicht korrekt sein soll?

    Wenn man die DNA als Zahlenfolgen codiert, womöglich auch noch chronologisch geordnet ihr Auftreten herausfindet, könnte man eventuell Muster in der Entwicklung erkennen und auf künftige Entwicklungen „hochrechnen“?

  234. @Elektroniker:

    “Was wäre, wenn die Mathematiker „Muster“ fänden, die das Auftreten bestimmter (zunächst abstrakter) „DNA Variablen“ wahrscheinlicher macht als andere Variablen????”

    Leben ist kein stochstischer Prozess, sondern es ist ein sich selbst reproduzierendes System. Veränderungen kommen durch äußere (zufällige) Umstände ins Spiel. Der Zufall liegt also außen, nicht innen.

  235. @Elektroniker

    “In Richtung Unendlich” klingt für mich komisch, vor allem dann, wenn ich an die komplexen Zahlen denke.

    Muster in der DNA-Entwicklung identifizieren? Mag sein. In einer Unmenge von Daten finden die Datenanalysten ja immer etwas Signifikantes, Stichwort Deep Data. Fishing for Significance nennt sich das in der Pharmazieforschung.

  236. @ Wolfgang Stegemann 20.03.2022, 23:10 Uhr

    Zitat: „Der Zufall liegt also außen, nicht innen.“

    Die Prozesse finden meistens in einer eher geschlossenen Umgebung, z.B. Eierschale, Gebärmutter,…. statt. Vermutlich enden die Prozesse sofort falls hier Störungen, z.B. beim Ei durch Kälte, auftreten.

    Andererseits können in der „gewohnten Prozessumgebung“ durch bestimmte Gene verursacht, auf die interne Prozessumgebung Einfluss genommen werden, die womöglich auf die Keimbahn „durchschlagen“.

    Das wäre eine Denkmöglichkeit, wie weit sie relevant ist, ist eine andere Frage.

    Mir ist aufgefallen, dass es in der Biologie eigentlich fast nichts gibt, dass es nicht doch irgendwo gibt.

  237. @Elektroniker:
    In der Tat suche ich (als mathematischer Laie) eine mathematische ‘Zwangsläufigkeit’, ähnlich der Mandelbrot-Reihe, mit der Leben beschreibbar wäre. Allerdings unter der Fragestellung, wie schließen sich Elemente so zu komplexeren Zuständen zusammen, dass sie sowohl besser angepasst sind, als auch ihre Integrität erhalten bleibt. Man würde damit die innere Logik von Selbstorganisation entschlüsseln. Falls jemand eine Idee hat (Numerik, Theorie dynamischer Systeme, Topologie???)😊
    Solche Überlegungen schließen letztlich an die Theorien von Husserl, Piaget, Maturana/Varela u.a. an und gehen davon aus, dass Leben sich in erster Linie selbst erhält, sich also nicht durch endogene Zufälle ‘zerfleddern’ lässt.

  238. @Balanus / 16.03.2022, 00:07 Uhr

    »Cricks Aussage läuft aber doch drauf hinaus, dass „ich” und „mein” bereits notwendig ein damit korrespondierendes Verhalten von Nervenzellen erfordert.«

    Cricks Aussage lässt sich meines Erachtens etwa so verstehen: “Alles, was in subjektiver Wahrnehmung als mentaler Vorgang erscheint, ist bei objektiver Betrachtung nichts anderes als ein neuronales Geflacker.” Das ist fraglos eine Gleichsetzung — im Unterschied zu Dir hat er dabei anscheinend auch keine wie auch immer geartetete “Bewirkung” des ersteren durch das letztere gesehen. Welcher konkrete “Wirkmechanismus” sollte denn da auch vorliegen?

    Vorrangig interessant erscheint mir hier aber doch nicht nur für Biologen die Frage, ob selbstreferentielles Verhalten eines Individuums (Mensch oder Elster) reduzibel ist auf resp. lückenlos erklärbar sein kann durch neurobiolog. Konzepte. Falls nein — und dafür spricht schliesslich einiges — haben sich nachfolgend auch alle gängigen “nichts anderes als”- und “nicht mehr als nur”-Floskeln erledigt und sollten unbedingt unterlassen werden.

  239. Hallo Balanus,

    danke für Ihre Rückantwort. Es ist doch eigentlich relativ einfach. Sie schreiben u.a.:

    “Dass Sie aber das, was Crick im zitierten Statement äußert, als „reine Metaphysik“ sehen, finde ich bemerkenswert.”

    Meine Antwort dazu:
    Alles Erleben und Verhalten korreliert/korrespondiert mit Veränderungen der neuronalen Aktivität des Nervensystems. Das ist klar. Dem widerspreche ich nicht. Dem würden sogar viele heutige Dualisten zustimmen.

    Aber lediglich >dasdas< ist wiederum Metaphysik. Es handelt sich dabei um Metaphysik die im Rahmen des Leib-Seele-Problems, also innerhalb eines philosophischen Paradigmas der westlichen Philosophie, gedacht ist.

    Ich glaube auch nicht dass Bewusstsein im Gehirn lokalisiert ist (das ist für mich wieder Metaphysik) und das sage ich Ihnen als jemand der selbst mit fMRI forscht und versucht seine Befunde mit dem Thema des Bewusstseins zu verlinken.
    Ansonsten möchte ich noch hinzufügen: überschätzen Sie nicht die Intelligenz oder das Wissen vieler Neurowissenschaftler.

    Philipp

  240. Oben ging ein Teil meines Beitrags verloren.

    Was ich noch geschrieben habe war folgendes:
    Personen wie Crick und co möchten eben nicht nur aussagen dass alles Erleben und Verhalten mit bestimmten raumzeitlichen Mustern neuronaler Aktivität korrespondiert.
    Stattdessen werden Identitätsaussagen zwischen neuronaler Aktivität im Gehirn und Erleben getroffen (siehe z.B. Identitätstheorie aus der Philosophy of Mind). Oder es werden philosophische Emergenztheorien herangezogen, etc.

    >Das< meinen Personen wie Crick und co. Genau dies ist in meinen Augen nichts als Metaphysik.

    Philipp

  241. Ich denke, es macht letztlich wenig Sinn, mit irgendwelchen -ismen Grabenkriege zu führen. Während die einen meinen, den Menschen bzw. das Leben an sich aus seinen Bausteinen erklären zu können, kommen die anderen trotz gegenteiliger Beteuerungen aus ihrem Dualismus nicht heraus. Sie erklären den Körper biologisch, sobald sie aber beim Gehirn ankommen, wechseln sie die Beschreibungsebene hin zu Psychologie oder Gesellschaft, schleichen sich also durch den Notausgang davon.

    Ich habe das mal versucht, konsequent durchzuhalten, denn will man das Körper-Geist Problem lösen, muss man den Menschen monistisch beschreiben. Da er ein biologisches Wesen ist, muss es möglich sein, ihn biologisch zu beschreiben, also auch sein Bewusstsein. Der Einwand des Biologismus greift hier nicht, denn das wäre nur der Fall, wenn man versuchen würde, nicht biologische Sachverhalte biologisch erklären zu wollen.

    Wir nehmen die Welt grobkörnig wahr. Wenn wir z.B. einen Baum sehen, dann sehen wir nicht alle 5 Mio. Pixel, sondern nur die wesentlichen Merkmale, ähnlich einer Gesichtserkennungssoftware. Ich nenne das Impulsmuster. Indem wir ein Impulsmuster bilden, strukturieren wir diffuse Reize, d.h. wir machen aus Rauschen Ordnung bzw. Information. Das Impulsmuster ist eine Abstraktion von unwesentlichen Details. Es hebt sich aus dem diffusen Rauschen hervor und dient der Orientierung in der Welt. Diese Metastruktur ist Denken, Bewusstsein, Lernen. Ganz offensichtlich neigen also zentrale Nervensysteme dazu, Ordnung herzustellen und damit Metastrukturen zu schaffen. Hier kommt das Prinzip der Selbstorganisation zur Anwendung, deren innere Logik noch zu entschlüsseln ist.
    Beim Menschen wird dieser Prozess dadurch getriggert, dass diesen Metastrukturen sozial generierte Begriffe zugeordnet werden. Sie führen in der Folge ein Eigenleben und gaukeln vor, objektive Begriffe zu sein. Es scheint, als würden sie unabhängig von uns existieren. Das tun sie auch, aber eben nicht metaphysisch oder transzendent als Begriffe ‘an sich’ für Gegenstände ‘an sich’, sondern sie sind das einfache Ergebnis von physisch generierten Abstraktionen, die sozial vereinbart sind. Eine solche durchgängige Beschreibung von der operativen zur philosophischen Ebene hebt nicht nur den Leib-Seele-Dualismus auf, sondern nimmt dem Bewusstseinsbegriff seine metaphysische Bedeutung und macht ihn operationalisierbar.

  242. @ Philipp 21.03.2022, 23:40 Uhr

    Erleben und Verhalten mit bestimmten raumzeitlichen Mustern korrespondiert, bzw. korreliert nicht nur mit neuronaler Aktivität, sondern „bilden“ die Realität ab.

    Das Verhalten der Störche kann mit der Geburtenrate der Menschen zwar korrelieren, es „bildet“ sie aber (im mathematischen Sinne) nicht ab.

    Cricks Aussagen sind mehr als „Metaphysik“.

    Bezüglich „Identitätsaussagen“ muss man vorsichtig sein, um z.B. „Kategorienfehler“ zu vermeiden.

  243. Ich finde es nicht überraschend, dass Crick die Korrelationen zwischen neuronaler Aktivität im Gehirn und subjektivem Erleben naturalistisch/identitätstheoretisch interpretiert. Das Gehirn ist ein natürliches Organ und Crick war auch Biologe. In der Biologie dominieren wohl solche naturphilosophischen Positionen. Sie sind gut begründet (m.E.), aber eben letztendlich doch Glaubenssache und man kann sie kritisieren.

    Wissenschaftler/Philosophen mit anderen metaphysischen/ erkenntnistheoretischen Voraussetzungen interpretieren die empirischen Befunde eben anders. Gilt das nicht irgendwie für jede wissenschaftliche Erkenntnis? Letztendlich gibt es (vermutlich) kein sicheres Wissen.

  244. @I. Hirsch:

    “Wissenschaftler/Philosophen mit anderen metaphysischen/ erkenntnistheoretischen Voraussetzungen interpretieren die empirischen Befunde eben anders. Gilt das nicht irgendwie für jede wissenschaftliche Erkenntnis? Letztendlich gibt es (vermutlich) kein sicheres Wissen.”

    Das ist zwar richtig, aber wenn es Widersprüche gibt, sollte man sie aufklären. Z.B. der Widerspruch, dass wir wissen, unsere Entscheidungen jederzeit ändern zu können, reduktionistische Ansätze uns aber weiss machen wollen, die Entscheidungen hätten gar nicht wir getroffen, sondern ein Haufen Neuronen.
    Das wäre ja gar nicht weiter schlimm, wenn man daraus nicht strrafrechtliche Konsequenzen ziehen würde. Davon abgesehen glaube ich nicht, dass Crick sich mit -ismen auseinandergesetzt hat, jedenfalls hielt er nichts von Philosophie.

  245. @ Wolfgang Stegemann

    Tja, möglicherweise erscheint es Ihrem Ich-Bewußtsein ja nur so, als träfe es Entscheidungen?

    Dass Crick nichts von Philosophie hielt wusste ich nicht, danke. Offensichtlich besaß er aber doch ein irgendwie naturalistisches Weltbild.

  246. Noch was zu Cricks Reduktionismus: Crick wollte zusammen mit Koch die sog. neuronalen Korrelate des Bewusstseins erforschen und hat dazu geschaut, welche Neuronen feuern, wenn man z.B. die Farbe Rot sieht. Ich denke, dass diese direkte Beziehung zwischen Empirie und Bewusstsein nicht ausreicht, weder um Bewusstsein ontologisch zu erklären noch operativ.
    Vielleicht ist es ähnlich wie bei der DNA. Dort dachte man, dass nur die codierenden Gene wichtig seien, der Rest ist Müll. Heute weiß man, dass dem nicht so ist. Die codierenden Gene sind offenbar wie die Tasten einer Schreibmaschine. Wichtig aber ist, wer darauf schreibt und was. Dafür ist möglicherweise die Junk-DNA zuständig, die epigenetisch reguliert, also den Einfluss repräsentiert, den die Umwelt, bei uns Menschen die Gesellschaft hat.
    Beim Gehirn sind die feuernden Neuronen vielleicht nur die Spitze des Eisbergs, während das ‘Hintergrundrauschen’ die ganzheitliche Erfahrung beiträgt.
    Ich glaube nicht, dass es mit einem Haufen Neuronen getan ist.

  247. @ Wolfgang Stegemann 22.03.2022, 13:23 Uhr

    Ich kenne zwar die Arbeiten Cricks im Zusammenhang mit den „neuronalen Korrelaten“ des Bewusstseins nicht, bin aber bei meinen eigenen, der Technik entlehnten Überlegungen, ebenfalls von den feuernden Zellen (Zapfen, Stäbchen) im Bereich der Netzhaut ausgegangen.

    Ganz einfach deswegen, weil auch von außen sichtbar ist, dass auf der Netzhaut ein optisches Bild, so wie man es eben „sieht“, abgebildet ist. Dieses Bild entspricht vermutlich dem augenblicklichen „visuellen Bewusstsein“. Dazu kommen natürlich noch andere Komponenten hinzu, die vermutlich an anderen flachen (hautartigen Strukturen) ebenfalls zum Bewusstsein emergieren.

    Emergieren bedeutet hier einfach, dass die Bildpixel zu einem Bild werden, wie auch beim Fernseher. Vermutlich kommt es auch genau im Bereich der umsetzenden Zellen zu einzelnen „Empfindungspixel“ die eben zum „Farbbildeindruck“ im Auge werden.

    Fehlt eigentlich nur noch das dahinter stehende, möglichst allgemein gültige physikalische Prinzip, das dieses „Farbempfindungsphänomen“ generiert.

    Ich habe meine Meinung darüber schon öfter auch in diesem Forum geäußert. Grundlegend waren für mich Äußerungen mehrerer Lehrer/Professoren die im Krieg in Forschungslabors gearbeitet haben und ihre Meinung zu diesem Problem, sozusagen unter dem Siegel der Verschwiegenheit (weil sie nicht wollten für verrückt gehalten zu werden), geäußert haben. Die dürften nunmehr alle tot sein.

    Etwas theatralisch formuliert, geht es um die „Tanzmuster“ (auch „Gruppentanz“) der Valenzelektronen der Atome/Moleküle, die in den sensorischen Elementen (Zapfen, …) bei „Anregung“ entstehen, wobei die Empfindungen auftreten dürften.

    Dabei werden Ladungsträger frei, die in den „Gatterstrukturen“ des neuronalen Netz ausgewertet werden (McCulloch, E. Kandel). Dabei können noch weitere Effekte auftreten die in der Technik (vermutlich aber nicht in der Biologie) bekannt sind und auf die ich eingegangen bin.

    In der Technik reichen die Erkenntnisse, um z.B. das Fernsehen (Mit Speicherung, Übertragung, automatische Bildauswertung im Computer,…) zu ermöglichen. Man konnte durch Forschung alles konstruieren und natürlich erklären.

  248. @Elektroniker:
    Nun haben wir es beim Hirn mit Fleisch und Blut zu tun, bei elektronischen Schaltkreisen mit Blech. Dass beides gleich funktioniert, halte ich für eine völlig falsche Analogie.
    Bewusstsein entsteht definitiv nicht auf der Netzhaut, da steht Ihnen die Analogie mit dem Fernseher im Weg.
    Und wie kommen Sie im Zusammenhang mit Bewusstsein auf Elektronen? Das meint man, wenn man von Reduktionismus spricht. Die Skalen werden immer kleiner. Warum sprechen Sie nicht von Quarks oder Quanten? Ganz ‘da unten’ machen Aussagen um makroskopische Dinge keinen Sinn mehr.
    Crick spricht immerhin von einem Haufen Neuronen. Er erkennt also das Neuron als kleinsten (emergenten) Baustein an. Also ein halber Reduktionist. 😁

  249. @ Wolfgang Stegemann 23.03.2022, 08:47 Uhr

    Bei elektronischen Schaltkreisen haben wir es hauptsächlich mit „Halbleitern“ und mit „Ladungsträgerbewegungen“ zu tun. Letztlich sind die auch in den Neuronen relevant, um z.B. Muskelkontraktionen zu bewirken, oder an der Augensensorik den anliegenden Input „abzubilden“.

    Das visuelle Bewusstsein entsteht mit hoher Wahrscheinlichkeit im Auge und nicht dort wo z.B. das Empfindungsbewusstsein beim Orgasmus entsteht. Fehlerhafte Lokalisierungen dürften, besonders im „Störungsfall“, z.B. beim „Phantomschmerz“ möglich sein.

    Ich komme auf „Elektronen“ und „Ladungsträger“, weil praktisch alle chemischen Prozesse mit dem Verhalten der Valenzelektronen zu tun haben.

    Ich habe durchaus schon in früheren Texten, davon gesprochen, dass theatralisch formuliert, für die Erklärung der „Tanzmuster der Valenzelektronen“ die Quantenphysiker/Chemiker „zuständig“ sind.

    Allerdings wagen sie es derzeit (noch) nicht, über das möglicherweise dabei auftretende Empfindungsphänomen auch nur „laut zu denken“. Sie fürchten vermutlich, wie meine ehemaligen „Informanten“, umgehend in der Psychiatrie zu landen…..

    Neuron (oder spezialisierte Zellen), gehören eben zu den kleinsten Bausteinen die Emergenzen (ähnlich wie beim Fernsehen) bewirken können. Natürlich kann man immer mehr in die Tiefe gehen, aber bei vielen Problemlösungen ist das nicht wirklich erforderlich, außer man will aus wissenschaftlicher Neugier eben doch tiefer gehen um zu weiteren Erkenntnissen zu gelangen.

    Für Elektroniker reichen praktisch die „Ladungsverschiebungen“ in den Bauelementen für die meisten Erklärungen. Die Sensorspezialisten benötigen die Zusammenarbeit mit den „Quantenleuten“ um ihre Prozesse besser erforschen zu können.

  250. @ Wolfgang Stegemann, 23.03.2022, 08:47 Uhr

    “Crick spricht immerhin von einem Haufen Neuronen. Er erkennt also das Neuron als kleinsten (emergenten) Baustein an. Also ein halber Reduktionist. 😁”

    Ich bin in Quarantäne und mir ist gerade etwas langweilig, daher schreibe ich noch ein paar Gedanken zum Thema Reduktionismus:

    Ich verstehe unter Reduktionismus folgende epistemische Behauptung:
    Die Systemeigenschaften eines Systems lassen sich mit den Eigenschaften der Subsysteme und deren Anordnung (Systemstruktur) erklären und vorhersagen.

    Dazu ein Gedankenexperiment:
    Ein superschlauer Alien-Wissenschaftler findet einen toten Menschen. Er untersucht auch das Gehirn und findet alle Basiseigenschaften der Subsysteme (Neuronen, Glia, Interzellularsubstanz, Liquor…….) sowie die exakte Anordnung dieser Subsysteme (wie auch immer). Daraus schließt er, dass in diesem Organ, im lebenden Zustand, Prozesse ablaufen, die dem Menschen auch eine Innenansicht erscheinen lassen (als Systemeigenschaft). Damit wäre nach der Definition oben das Bewusstsein reduktionistisch vorhergesagt und erklärt, oder?
    Ich behaupte nicht, dass das auch möglich ist, aber wie will jemand beweisen, dass das grunsätzlich und zu allen Zeiten unmöglich ist?

    Cricks Aussage ist für mich ontologisch, nicht epistemisch. Er sagt, zumindest in dieser Aussage, nichts darüber aus, ob und wie das Mentale erklärt werden kann.

  251. @Elektroniker, Sie schreiben:

    “Erleben und Verhalten mit bestimmten raumzeitlichen Mustern korrespondiert, bzw. korreliert nicht nur mit neuronaler Aktivität, sondern „bilden“ die Realität ab.”

    Was man im Detail mit “abbilden” meint und wie dies funktioniert, muss (zumindest annäherungsweise) empirisch immer mehr/besser gezeigt werden. Dann wird es interessant und die Aussagen bekommen Gewicht.

    Die philosophische Diskussion um das Leib-Seele-Problem halte ich, ohne damit jemanden zu nahe treten zu wollen, für nicht zielführend. Das Leib-Seele-Problem wird meiner Meinung nach niemals jemand lösen, da es sich meiner Ansicht nach um ein Pseudoproblem handelt. Es ist daher prinzipiell unlösbar.

    Dieses philosophische Problem beruht wiederum auf (ebenfalls philosophischen) Prämissen die ich nicht teile. Leider haben die kognitiven Neurowissenschaften das Paradigma des Leib-Seele-Problems mehr oder weniger implizit (bis explizit) übernommen. Man hätte bereits damals, also Ende der 80er und zu Beginn der 90er Jahre, einen Schritt zurückgehen müssen. Dann hätte man die Chance gehabt zu Fragen, ob dieses 2000 Jahre Paradigma der Philosophen, das insbesondere durch Descartes wieder angefeuert wurde, denn überhaupt richtig “konstruiert” ist.

    D.h. die Frage wie “Bewusstsein” im Verhältnis zu “neuronalen Prozessen” steht, also z.B. ob beide identisch seien oder nicht, ist für mich eine sinnlose Frage, da sie bereits in einem falschen metaphysischen Gedankengebäude konstruiert ist. Von daher interessiert mich die sich im Kreis drehende Diskussion um Materialismus/Physikalismus vs. Dualismus vs. Idealismus vs…. nicht mehr.

    Es würde zu weit gehen dies hier im Detail zu diskutieren. Lassen Sie mich nur noch sagen dass es aktuell, d.h. sowohl in der Philosophie des Geistes als auch in den kognitiven Neurowissenschaften, aber kaum möglich ist dieses Paradigma zu durchbrechen. Dafür sind sowohl die Philosophie als auch die Neurowissenschaften zu politisch und dogmatisch. Es gibt Trends und “herrschende Klassen” die sagen wo es lang geht und wo nicht. Und wer da nicht mitspielt bekommt Probleme.

    Deshalb denke ich dass erst zukünftige Generationen, vielleicht erst in Jahrzehnten, diese Limitierung durchbrechen und somit auch den Mainstream im Vergleich zu heute ändern werden. Es gibt viele Neurowissenschaftler und Philosophen die diese Meinung teilen. Sie stellen heute aber noch nicht die Masse dar. Man macht sich mit solchen Aussagen, wie sie von mir oben getroffen wurden, heute nur mehr Feinde als Freunde.

    Philipp

  252. @ Philipp 23.03.2022, 12:20 Uhr

    Der „Abbildungsbegriff“ stammt aus der Mathematik (Funktionen, Formeln,….) und wurde von der Informatik und auch Elektronik übernommen.

    Für viele im IT Bereich beschäftigten Menschen sind „Abbildungen“ und die Wechselwirkungen zwischen Prozessoren, Prozessen und Information (Software), letztlich angewandter Dualismus, besser „Trialismus“, absolut alltäglich. Es ist einfach so, und philosophisch/theologische Implikationen sind ihnen völlig egal.

    Ein Physiklehrer hat vor rund 60 Jahren die Problematik vorausgesehen. Die „Materialisten“ haben sich damals zunehmend von den Religionen „emanzipiert“ bis „entfremdet“ und ausgerechnet damals dämmerte die Informatik (mit dem „Trialismus“) am „Morgenhimmel“. Er war sehr neugierig und wollte wissen, wie die Materialisten „die Kurve kratzen“ würden, weil dies einen riesigen Widerspruch bedeutet.

    Ein ehemaliger WG Kumpel hat sogar sein Informatikstudium geschmissen, weil er meinte, die Informatiker wären noch verrückter als die Pfaffen, weil viele Pfaffen ohnehin nicht an irgend eine Existenz nach dem Tod glauben, während für die Informatiker die weitere Existenz von Information nach dem Verschrotten der Hardware, völlig selbstverständlich wäre.

    Der Begriff „Bewusstsein“ ist schwer zu „deklarieren“ (im Sinne der Informatik). Ich würde mich der Meinung von Neurologen anschließen die von „Bewusstseinsradar“, oder schlicht vom „Hirnkino“ sprechen. Auch würde ich eine gewisse „Hinwendung“ zu den Konzepten der Informatiker wahrnehmen.
    Der Mainstream geht auch in Richtung „Informatik“, zumal die „Chips“ wie man sieht, immer wichtiger werden. Firmen können wegen Chipmangel nicht weiterarbeiten.

    Ich kann mir an sich vorstellen, dass es für jemanden völlig unmöglich ist, sich vorzustellen, dass nach dem Tod irgend etwas „weiter existiert“.

    Die Problematik wurde mir erst so richtig bewusst, weil manche Menschen nicht einmal die Existenz von Software, die Übertragung von Software („Apps“) über das Telefonnetz, geschweige den die weitere Existenz der Software nach der Verschrottung der Hardware, für möglich halten konnten.

  253. Zu Elektroniker 23.03.2022, 16:02 Uhr:

    Es muss natürlich ……geschweige denn die weitere Existenz der Software nach der Verschrottung…. heißen.

  254. Philipp:

    “Die philosophische Diskussion um das Leib-Seele-Problem halte ich, ohne damit jemanden zu nahe treten zu wollen, für nicht zielführend. Das Leib-Seele-Problem wird meiner Meinung nach niemals jemand lösen, da es sich meiner Ansicht nach um ein Pseudoproblem handelt. Es ist daher prinzipiell unlösbar.”

    Das Leib-Seele-Problem tritt ja nicht nur in cartesischer Form auf. Fast die gesamte Neurowissenschaft hat damit zu kämpfen, wenn sie erklären soll, wie es überhaupt zu bewusster Wahrnehmung kommt.
    Als Panpsychist müssten Sie ja mit Tonnoni liebäugeln, der den Begriff der Information, als Basis von Bewusstsein, vom Stein bis zum Gehirn verwendet. Er würde sich aber wahrscheinlich gegen das Etikett Physikalismus wehren.
    Das Thema wird erst dann beendet sein, wenn es gelingen sollte, künstliches Bewusstsein zu erzeugen. Dann wüsste man, wie es ‘funktioniert’.

  255. Hallo Herr Stegemann,

    ich habe erst jetzt wieder in die Diskussion hier reingeschaut. Danke auch nochmals an Sie für den sehr guten Liveaustausch mit Ihnen gestern. Zu Ihrem Kommentar:

    Ich bin kein Panpsychist. Wenn ich das Leib-Seele-Problem ablehne, dann lehne ich ja auch alle Antworten/Positionen auf dieses ab: vom Materialismus bis zum Panpsychismus.

    Da wir unsere Ansichten ja gestern ausgetauscht haben und in vielen Punkten wohl übereinstimmen möchte ich nur noch folgenden Punkt hinzufügen. Ich vermute aufgrund der empirischen Ergebnisse in den Neurowissenschaften dass der Übergang von neuronaler Aktivität ohne Erleben zu neuronaler Aktivität die mit Erleben (Bewusstsein) korrespondiert eine phase transition im physikalischen Sinne ist.

    Beispiel: Eis wird zu Wasser (oder Wasser zu Eis). Das Nervensystem/Gehirn ist ebenfalls ein nicht-lineares und offen selbst-organisiertes System. Bewusstsein, so können wir empirisch zeigen, liegt nur vor wenn die neuronale Aktivität (gemessen in allen imaging Modalitäten, also via EEG, MEG, fMRI…) sich ungefähr im Bereich des 1/f (“one over f” pink noise) aufhält. Wird das System signifikant sub- oder suprakritisch, also zu stark Richtung white oder brown noise verschoben, dann verlieren wir das Bewusstsein. Es besteht also kein exakter Punkt der Kritikalität, sondern ein Bereich in dem die Dynamik des Nervensystems sich aufhalten muss (beispielsweise in der Mitte “zwischen Eis und Wasser”, am edge-of-chaos). Long-range temporal correlations müssen bestehen, aber es Bedarf einem ausbalancierten Mittelbereich. In beiden Extremen des Spektrums verlieren wir Bewusstsein. Erst dann wird Bewusstsein und Verhalten, also die Interaktion mit der Umwelt, möglich.
    Dieser Bereich der Kritikalität entspricht meiner Auffassung nach etwa dem was Sie mit Metastrukturen meinen, sofern ich Sie richtig verstanden habe.

    Nun fragt aber niemand nach einem “ice-water” problem. Stattdessen fragen auch heute noch viele nach einem “mind-body” problem. Und ein philosophisches (ontologisches) Problem gibt es für mich in beiden Fällen nicht.

    Hier kann die Neurowissenschaften von der Zusammenarbeit mit der Physik und Psychologie profitieren, um wieder zum Thema von Herrn Schleim zu kommen. Denn 1/f pink noise (scale-free/invariant activity) zeigt sich nicht nur in der neuronalen Aktivität des Gehirns, sondern auch in menschlicher Kognition und im Verhalten, sowie in endlos vielen Phänomenen in der Umwelt.
    Was bedeutet das? Dies bedeutet dass wir hier ein Prinzip haben das von neuronaler Aktivität, Erleben, Verhalten und der Umwelt geteilt wird. Ein Prinzip für die Integration dieser verschiedenen Ebenen existiert. Studien dazu gibt es in den Neurowissenschaften seit gut 30 Jahren.

    Gruß und Ihnen alles Gute,
    Philipp

  256. Hallo Philipp,
    ich wusste gar nicht, dass Sie das sind, witzig.
    Ich komprimiere den Artikel auf meiner Startseite nochmals etwas zugespitzt. Das Problem ist, in Kürze komplexe Zusammenhänge darzustellen.
    (Meine Ideen sind nur Ideen, man müsste sie schon empirisch irgendwie ‘beweisen’):

    Im Grunde ist doch alles sehr einfach, wenn man als Vorgehensweise
    die beobachtbaren Phänomene von allen Vorannahmen und Konkretionen befreit (sie also nicht so nimmt, wie sie erscheinen) und nach Prinzipien sucht, die sie erklären können und nach denen sie entstanden sind (phänomenologische Reduktion nach Husserl)

    Lassen wir also alle -ismen weg und stellen fest, dass wir das Produkt einer biologischen Evolution sind, dann ist die Eigenschaft unseres Gehirns namens Bewusstsein ebenso ein Produkt der Evolution und muss daher als solches auch biologisch erklärbar sein. Unter diesem Aspekt ist eine einheitliche Erklärung des Bewusstseins also möglich, ohne sich bei anderen Wissenschaften bedienen zu müssen. Das heißt natürlich nicht, dass andere Wissenschaften aus ihrer Perspektive keinen Ansatz liefern könnten. Man kann Bewusstsein, wie jeden anderen Gegenstand wissenschaftlichen Tuns, von allen möglichen Seiten – also einzelwissenschaftlichen Perspektiven – betrachten.
    Wenn wir also biologische Wesen – natürlich sind wir auch gesellschaftliche, wirtschaftliche, soziale etc. Wesen – sind, dann muss die Biologie uns und alles, was uns ausmacht, erklären können.
    Dazu bedarf es einer phänomenologischen Analyse unserer Existenz. Der zentrale Punkt gemäß der Fragestellung dürfte dabei unsere Fähigkeit sein, über uns nachzudenken sowie Entscheidungen zu treffen (neben anderen wie Moral, Ethik etc.).

    Das autopoietische Prinzip ‘Leben’ hat sich von anfang an selbst reguliert, selbst reproduziert, selbst im Gleichgewicht erhalten.
    Was wir heute machen, ist nichts anderes, wir tun es nur mit anderen Mitteln, als z.B. die Einzeller.
    Wir orientieren uns mit unserem zentralen Nervensystem in der Welt – wir tasten natürlich auch mit Armen und Beinen, aber das führende Prinzip ist das Verarbeiten dieser sensorischen Reize im Gehirn – und können gegenüber Tieren alles, was wir dabei erleben, in unserem kulturellen Speicher bewahren, der selbst wieder Gegenstand unseres Orientierens ist.

    Betrachtet man unser Verhalten, so kann man eine gewisse Beliebigkeit feststellen, die sich nicht unmittelbar und direkt auf äußere und innere Determinanten reduzieren lässt.
    Es muss also in unserem Hirn etwas geben, das uns eine Verhaltensfreiheit ermöglicht, eine Selbststeuerung, die nicht nach einer physikalisch-chemischen Linearität verläuft, sondern eine relative Autonomie besitzt.
    Das bedeutet, dass die physikalisch-chemische Aktivität des Gehirns etwas hervorbringt, das zwar physikalisch-chemisch beschreibbar sein muss, aber nicht in der linearen Weise.
    Man darf nun nicht den Fehler machen, und quasi in linearer physikalischer Weise weiter folgern. Dann käme man nämlich zu dem Schluss, dass es sich bei einer nicht anzunehmenden Linearität um eine (physikalische) Nichtlinearität handeln müsse. Man würde sich also immer noch auf einer direkten physikalischen Argumantationslinie befinden.
    Das ist aber für alles Lebendige nicht angemessen, denn alles Lebendige entwickelt sich eben nicht nach den Prinzipien der unbelebten Natur, also nach denen, die die Physik beschreibt, sondern nach biologischen Prinzipien.
    Und da ist das zentrale Prinzip das der Evolution. Leben evolviert also und diese Evolution kann nicht mit den Mitteln der Physik eingefangen werden.
    Evolvieren heißt, dass sich Leben nach anderen Regeln entwickelt, als ‘tote’ Materie.
    Hier schließen sich ‘Elemente’ nach anderen Valenz-Gesichtspunkten zusammen, als in der unbelebten Natur, wo solche Bindungen nach den bekannten physikalischen Regeln erfolgen.
    Wie aber funktioniert diese Selbstorganisation oder Selbststeuerung des Lebendigen?
    Von außen betrachtet sehen wir einen stochastischen evolutionären Prozess. Von innen betrachtet* sehen wir einen Versuch-Irrtum-Walk. Je komplexer das autopoietische System, desto komplexer dieser Walk, den man als Random-Walk bezeichnen kann, dann aber nicht in stochastischer Weise.
    Wenn dieser Walk also nicht durch reinen Zufall gesteuert ist, was ja absoluter Determinismus und somit physikalische Linearität wäre, muss es eine Steuereinheit geben, die diesen Walk als Subjekt vollführt.
    [* von innen betrachtet heißt weder intrinsisch noch introspektiv, sondern einfach unter einer anderen Perspektive, nämlich vom Subjekt aus betrachtet)
    Ich habe diese Steuereinheit als Metastruktur beschrieben, welche kausale Kraft erzeugt (dr-stegemann.de). Sie ergibt sich aus der biologischen Zwangsläufigkeit, durch Agglomeration erzeugtes Wachstum durch Komplexifizierung zu reduzieren und damit ein dynamisches Gleichgewicht aufrecht zu erhalten. Ein Vorgang, der sowohl beim Metabolismus zu beobachten ist, wie auch beim assoziativen Denken, das durch Assimilation/Akkomodation zur Zunahme von Abstraktion führt.
    Die Extrapolation, die sich im Zuge dieser Komplexifizierung ergibt, steuert durch ihre höhere Informationsdichte das System, welches eine geringere Informationsdichte aufweist.
    [Gäbe es beim ‘Wachstum’ den reduktiven Prozess nicht, wäre es ein bloßes Ausufern, die Entropie würde nur zu- aber nie abnehmen].

    Dieses Prinzip wirkt bei der ontogenetischen Entstehung des ICH und bringt durch die sprachliche Codierung eine individuelle Bedeutungswelt hervor, mit der wir in der Lage sind, alle möglichen Theorien über ‘Gott und die Welt’ aufzustellen, auch wenn wir die Dinge nicht direkt vor Augen haben.
    Das ICH ist also die Steuerungszentrale, die ihre Arbeit bewusst wie unbewusst tut.
    Begreift man das Gehirn und sein Bewusstsein auf diese Weise, lassen sich Fragen neu stellen und beantworten und die philosophischen Implikationen entsprechend ausformulieren.
    In einer solchen Philosophie kommen folgende Begriffe nicht mehr vor: Gott, Erkenntnis, Metaphysik, Transzendenz, Geist.

  257. @Philipp:
    Ich habe noch vergessen, was zur Kritikalität zu sagen. Damit wird ein physikalisches System beschrieben, das etwa Sanddünen bewegt. Man kann im Hirn auch Kritikalität beobachten. Wenn man es aber verstehen will, muss man es eingebettet sehen in das biologische System. Kritikalität entsteht somit nicht aus sich selbst heraus (wie bei der Sanddüne aus dem Zusammenspiel von Wind und Düne), sondern nur aus dem biologischen System heraus (aus dem Zusammenspiel von biologischem System und z.B. Umwelt [Gesellschaft]).

    Kritikalität hat nichts mit den von mir so genannten Metastrukturen zu tun, da diese eben biologisch sind und das System eben nicht in einen kritischen Zustand bringen, sondern es ‘homöostatisch’ steuern (und damit Entropie exportieren).

  258. @Chrys // 21.03.2022, 13:55 Uhr

    » Cricks Aussage lässt sich meines Erachtens etwa so verstehen: “Alles, was in subjektiver Wahrnehmung als mentaler Vorgang erscheint, ist bei objektiver Betrachtung nichts anderes als ein neuronales Geflacker.” Das ist fraglos eine Gleichsetzung — …«

    „Gleichsetzung“ im Sinne einer/der philosophischen Identitätstheorie, wie @Philip (21.03.22, 23:40) meint?

    Ich lese das ja eher so, dass Crick eine eindeutige Abhängigskeitsbeziehung aufzeigt zwischen dem, was objektiv auf der neurophysiologischen Ebene abläuft, und dem, was wir subjektiv erleben und mit bestimmten Begriffen zu umschreiben versuchen.

    Es geht also um zwei Beschreibungsebenen, die abstrakte begriffliche Ebene und die konkrete biologische Ebene der empirischen Tatsachen.

    Dass die abstrakte Ebene ohne die neurobiologische nicht zu haben ist, wird pointiert ausgedrückt durch die Formulierung „nichts anderes als“.

    Wer nun meint, unsere Ambitionen, unser Gefühl der persönlichen Identität und des freien Willens, wären in Wirklichkeit mehr „als das Verhalten einer riesigen Ansammlung von Nervenzellen und deren assoziierten Molekülen“ (Crick), könnte ja mal ausführen, worin dieses „Mehr“ bestehen könnte.

  259. @Balanus:
    Es geht nicht um ein quantitatives ‘mehr’, sondern um eine spezifische funktionelle Architektur, die das hervorbringt, was man Subjektivität nennt. Denn ohne diese gäbe es kein Empfinden. Es wäre dann der rein physikalische Vorgang, bei dem ein – sagen wir – visueller Reiz im Gehirn ein Aktionspotential auslöst. Na und, könnte man sagen, wer soll den Reiz denn empfinden?
    Das Gehirn muss also so organisiert sein, dass Subjektivität möglich ist. Es muss also eine besondere Art der ‘Verschaltung’ sein, die eine Art ICH – als Subjekt von Empfindungen – ermöglicht. Es ist nicht nur ein Haufen Neuronen, eine physikalische Ansammlung, sondern eine spezifische biologische Organisationsweise.

  260. @Wolfgang Stegemann

    Crick hat den Begriff „assembly“ gebraucht. Die von mir verwendete Übersetzung „Ansammlung“ ist da gewiss suboptimal, wenn nicht gar irreführend.

    Natürlich weiß Crick um die hochorganisierte Feinstruktur des Gehirns. Die Wendung „in Wirklichkeit nicht mehr als“ („in fact no more than“) scheint mir aber auf etwas anderes zu zielen. Nämlich darauf, dass es im Hirn nichts gibt außer eben biologisches Material. Irgendwelche „mentalen Zustände“ haben da keinen Platz, das sind bloß begriffliche Konstrukte ohne eine zugrundeliegende Substanz. So in etwa…

  261. @Balanus:
    Zäumen wir das Pferd von hinten auf. Wir haben diese ‘mentalen Zustände’ und wir treffen Entscheidungen gerade so, wie es uns gefällt (also nicht zombieartig). Wie soll sich das aus einer Ansammlung von Neuronen erklären lassen? Antwort: gar nicht. Denn die Neuronen repräsentieren eine Ordnung, die letztlich die Subjektivität hervorbringt, welche die Entscheidungen trägt, die getroffen werden. Man muss also diese Ordnung verstehen, will man das Gehirn verstehen.
    Das heißt natürlich nicht, dass die Physik der Bausteine belanglos ist, im Gegenteil.

  262. @Wolfgang Stegemann // 16.04.2022, 10:09 Uhr

    Ja, versuchen wir, das Pferd von hinten aufzuzäumen. Aber vorher muss geklärt werden, was Sie mit „mental“ meinen: Wenn es bloß eine geläufige Umschreibung für reale Sinneseindrücke und Denkprozesse ist, also letztlich Ausdruck bestimmter Hirnprozesse, dann ist die Sache klar: Ohne eine entsprechende Organisation der neuronalen Zellverbände könnte das Hirn nicht das leisten, wofür es im Laufe der Evolution entstanden ist. Insoweit sehe ich kein Problem.

    Wenn es aber wörtlich gemeint sein sollte, also in dem Sinne, wie es in Teilen der Philosophie des Geistes gebraucht wird, etwa in der Identitätstheorie, wo es um die Gleichsetzung „mentaler Zustände“ mit „Gehirnzuständen“ geht (so, also ob „mentale“ Zustände real existierten), dann haben wir ein Problem. Denn dann stellt sich die Frage, was „mentale Zustände“ überhaupt sein sollen, und auch, wie sie entstanden sein könnten im Zuge der evolutionären Entstehung bzw. ontogenetischen Entwicklung. Schließlich gibt es für die Existenz „mentaler Zustände“ keinerlei Evidenzen. Dass wir unsere Sinnesempfindungen und unser Denken aus Gewohnheitsgründen als „mental“ oder „geistig“ bezeichnen, hat insoweit nichts zu bedeuten.

  263. @Balanus / 15.04.2022, 09:46 Uhr

    »Wer nun meint, unsere Ambitionen, unser Gefühl der persönlichen Identität und des freien Willens, wären in Wirklichkeit mehr „als das Verhalten einer riesigen Ansammlung von Nervenzellen und deren assoziierten Molekülen” (Crick), könnte ja mal ausführen, worin dieses „Mehr” bestehen könnte.«

    Wenn ich etwas kann, was mein Nervensystem offensichtlich nicht kann (e.g. mich selbst in einem Spiegel erkennen), dann muss ich logischerweise doch irgendwie “mehr” oder “etwas anderes” sein als nur mein Nervensystem.

  264. @Chrys // 22.04.2022, 16:43 Uhr

    Wie wir alle wissen, entstammen sämtliche Äußerungen, Aussagen und Sätze dem (zentralen) Nervensystem.

    Insofern fragt man sich, wer da eigentlich spricht, wenn von „meinem“ Nervensystem gesprochen wird (meine Leber beispielsweise wäre da unproblematisch) .

    Die naheliegende Antwort, „ich“, ist dann auch nicht wirklich zufriedenstellend, denn auch diese Antwort entstammt ja dem Nervensystem.

    Es ist vertrackt.

  265. @Balanus:
    Eigentlich ist es doch ganz einfach, wenn man es logisch angeht. Zum einen bestehen wir aus nichts anderem als aus Biologie. Da gibt es nichts zusätzliches, klar.
    Zum anderen aber können wir Entscheidungen treffen oder über uns selbst nachdenken. Alles Dinge, die sich nicht aus der Tätigkeit von Neuronen erklären lassen, es sei denn, wir wechseln die Beschreibungssprache und verwenden die der Psychologie. Also ein Taschenspielertrick. Bleiben wir bei der Biologie, dann gibt es nur eine einzige Schlussfolgerung: Die Neuronen generieren nicht nur Denken, sondern sie generieren eine weitere Sphäre, mit deren Hilfe Selbstreflexivität möglich ist. Ich habe dies als Metastruktur bezeichnet, die aus der Zwangsläufigkeit entsteht, die Welt grobkörnig wahrnehmen zu müssen (siehe dr-stegemann.de) und damit in Summe vieler solcher Metastrukturen eine funktionelle Ordnungsstruktur entstehen zu lassen, die kausale Kraft erlangt und die in der Psychologie als ICH bezeichnet wird.
    Ich denke, man macht im Bereich des Lebendigen immer den Fehler, von einer Ursache auszugehen und eine Wirkung zu suchen (wie in der Physik). Stattdessen muss man von den Phänomenen ausgehen und rekonstruieren, wie es dazu kommt.
    Ein solches Phänomen ist eben der relative Freiheitsgrad meiner Entscheidungen (oder der von Tieren, die das ebenso tun können).
    Die (Bio-) Physik ist für die Beschreibung des Lebens notwendig, aber nicht hinreichend, es bedarf einer spezifisch biologischen Beschreibung.
    Spannend wäre, nach solchen funktionellen Metastrukturen zu suchen, die ich im übrigen nicht nur als neuronale Funktion vermute, sondern ebenso als Steuerungsfunktion anderer Regulationsebenen (Genom, Zelle, Zellverband, Organ). Es würde nicht nur die hohe Anpassungsleistung von Leben in der Evolution erklären, sondern auch die relativ geringe Variationsbreite von Mutationen, die, wenn man vom Zufall ausgeht, wietaus breiter sein müsste.

  266. @Wolfgang Stegemann // 25.04.2022, 19:18 Uhr

    » Eigentlich ist es doch ganz einfach, wenn man es logisch angeht. Zum einen bestehen wir aus nichts anderem als aus Biologie. Da gibt es nichts zusätzliches, klar.
    Zum anderen aber können wir Entscheidungen treffen oder über uns selbst nachdenken. Alles Dinge, die sich nicht aus der Tätigkeit von Neuronen erklären lassen, …
    «

    Was ja wohl nichts anderes bedeutet, als dass es in der Biologie Dinge bzw. Phänomene gibt, die sich nicht biologisch erklären lassen.

    Ist da nicht ein gewisser Widerspruch? Oder geht es bloß darum, dass die Biologie nicht über die Begriffe verfügt, um Dinge wie Willensentscheidung, Selbstreflexion, Intention oder Ich-Bewusstsein beschreiben und erklären zu können. Aber dafür, für die fehlenden Begriffe, haben wir ja die Psychologie… 😉

    Entscheidend im Rahmen des Blogthemas ist doch, dass alle „psychologischen“ Phänomene auf biologischen Vorgängen beruhen, ob wir sie nun kennen und beschreiben können oder halt nicht—was ja eher die Regel als die Ausnahme ist.

  267. @Balanus:

    “Entscheidend im Rahmen des Blogthemas ist doch, dass alle „psychologischen“ Phänomene auf biologischen Vorgängen beruhen, ob wir sie nun kennen und beschreiben können oder halt nicht—was ja eher die Regel als die Ausnahme ist.”

    Genau diese Beschreibung sollten wir aber versuchen, ansonsten bleibt eine Lücke.

  268. @Wolfgang Stegemann // 26.04.2022, 18:07 Uhr

    Danke für den Verweis auf Ihre Web-Seite. Dort schreiben Sie in dem verlinkten Text:

    „Ein (physikalisch) dynamisches System ist passiv und folgt dem Attraktor, der sich aus der passiven Systemeigenschaft und den Bedingungen der Umwelt ergibt. Ein biologisches dynamisches System hingegen ist aktiv, es ‘trifft Entscheidungen’, die lebenswichtig sind.“

    Was da als physikalisches System beschrieben wird, passt m. E. sehr gut auf die kleinste ‚lebende‘ Einheit, die Bakterienzelle.

    Alles, was es braucht, damit das Bakterium seine inhärente Ordnung auf Dauer aufrechterhalten kann, folgt bekannten physikochemischen Gesetzmäßigkeiten. Als „lebend“ bezeichnen wir stets nur die ganze Zelle (von außen betrachtet). Sobald wir aber in die Zelle eindringen, finden wir nichts mehr, was wir als „lebend“ bezeichnen könnten, alle molekularen Prozesse laufen gemäß den Gesetzen der Physik und Chemie ab (weshalb ohne Energiezufuhr die inhärente intrazelluläre Organisation zusammenbricht).

    Das macht deutlich, dass unserer Wahrnehmung von „lebenden Systemen“, also was wir gemeinhin als „lebendig“ ansehen, etwas Willkürliches anhaftet. Das Problem ist: Die scharfe Grenze zwischen „lebenden“ und „nicht lebenden“ Entitäten, Systemen oder Dingen, die manch einer gerne hätte, gibt es so in der Natur nicht. Man denke etwa an Viren, eingefrorene Embryonen oder trockene Samenkörner. Und wie verhält es sich z. B. mit zellkernlosen Erythrozyten? Sind das noch/schon lebende Zellen, oder doch bloß membranumhüllte chemische Reaktionsräume?

    Im Übrigen ist mir aufgefallen, dass Sie eine ganz eigene Sicht auf die Evolutionsmechanismen haben. Da ich mich am evolutionsbiologischen Konsens orientiere (Mainstream 😉 ), kann ich mit diesen speziellen Vorstellungen nur sehr wenig anfangen.

    Nichts gegen neue Ideen und Spekulationen, aber sie sollten, finde ich, schon auf dem Boden gesicherter empirischer Erkenntnisse basieren. Zur Evolution der verschiedenen Augentypen beispielsweise gibt es jede Menge Literatur. Die kann man nicht einfach für obsolet erklären und etwas völlig anderes ins Spiel bringen, für das es keinerlei empirische Befunde gibt.

  269. @Balanus / 27.04.2022, 13:19 Uhr

    »Was ja wohl nichts anderes bedeutet, als dass es in der Biologie Dinge bzw. Phänomene gibt, die sich nicht biologisch erklären lassen.«

    Damit benennst Du in eigenen Worten eine Analogie zu der Situation, dass es in der Arithmetik wahre Aussagen gibt, die sich nicht arithmetisch “erklären” lassen, d.h., sich nicht formal im Kalkül der Arithmetik beweisen lassen.

    Jetzt sollte Dir dazu eigentlich noch Hofstadter und GEB einfallen. Und es liegt kein gewisser Widerspruch in der Einsicht, dass man auch bei den formalen Möglichkeiten des biologischen Erklärens auf gewisse prinzipielle Grenzen stösst. Das ist eben kein spezifisches Problem der Biologie, sondern eher ein generelles Feature unserer Verstandesmittel des Verstehens und Erklärens.

  270. @Balanus:
    Das Beispiel mit dem Auge (nicht ganz Ernst gemeint) sollte darauf hinweisen, dass es nicht das Ergebnis eines zufälligen endogenen Mutationsprozesses ist, sondern von außen (Licht) ‘angeregt’ wurde.
    Ich zitiere der Einfachheit halber mal einen Kommentar von mir in einem anderen Blog:
    »Legen Sie einen Käfer neben einen Stein und beschreiben Sie den Unterschied. Der Physiker wird keinen Unterschied feststellen, der Biologe schon. Aber er benutzt dafür die Sprache der Physik, was wie ein Sprachfehler anmutet. Die Beschreibung der Physik ist quasi zweidimensional, Richtung und Zeit. Die Biologie braucht aber eine dritte Dimension, die Evolution von Emergenzen. Der Grund für diesen Mangel ist ein methodologischer, die Verwechslung von Analyse und Reduktion.
    Während man in der Physik jene zweidimensionale Komplexität jederzeit hinsichtlich ihrer Bausteine analysieren und sie auf diese reduzieren kann (Reduktionismus), gelingt dies in der Biologie nicht, ohne die dritte Dimension zu zerstören. Die Analyse der Bausteine ist dort das eine, das andere ist die Reduktion auf Prinzipien. Da das nicht gesehen wird, gelingt es nicht, Begriffe wie Selbstorganisation naturwissenschaftlich zu füllen.
    Fragt man also nach den Prinzipien und nicht nach den Bausteinen (stellt diese also kurz einmal zurück), so stellt sich etwa bei dem Begriff der Selbstorganisation die Frage, was bringt ein biologisches System dazu, sich selbst zu organisieren. Schließen wir die Organisation von außen aus, bliebe die Organisation von innen. Wenn es nicht die Bausteine sind (Atomismus, Physikalismus), was ist es dann? Die einzig mögliche logische Antwort ist, es muss ein Steuerungssystem geben. Ich habe versucht dieses Steuerungssystem auf Basis von sog. Metastrukturen darzustellen (https://www.dr-stegemann.de).
    Wie aber ‘weiß’ ein biologisches System, wohin es evolvieren soll, um zu überleben? Kann man es auf ein stochastisches (und damit physikalisches) System reduzieren? Es würde dem internen Steuerungssystem widersprechen. Ich gehe davon aus, dass biologische Systeme innerhalb eines Phasenraumes Mutationen generieren, aber nicht stochastisch, sondern valenzbasiert. Damit meine ich, dass biologische Systeme nur solche Mutationen bilden (können), die a) ihren Systemeigenschaften entsprechen und b) dem ‘Aufforderungscharakter’ sowie dem Möglichkeitsraum gerecht werden, welche die Umwelt generiert, indem sie sich auf die dortigen ‘Valenzen’ beziehen. (https://www.dr-stegemann.de/was-ist-leben/
    Zugegeben, es ist keine Empirie, aber wir bewegen uns hier ja auch im Bereich der Geisteswissenschaften, besser der Philosophie und nicht der empirischen Naturwissenschaft. Diese sollte aber auch gelegentlich den Kopf von ihrem Labortisch heben und nachdenken, bevor man drauflos experimentiert. Ich könnte jetzt wieder das Argument bringen, dass man bei all den Themen, die den gesamten Organismus betreffen (Gehirn, Krebs, etc.) in den letzten Jahrzehnten nicht viel weiter gekommen ist, was das grundlegende Verständnis anbelangt.
    Noch ein Satz zur ‘Metastruktur’. Wenn man davon ausgeht, dass Leben sich selbst organisiert, sitzt man auf einem Paradoxon: die Bausteine des Lebens generieren eine Komplexität, die die Bausteine des Lebens steuert.
    Geht man davon aus, dass es nicht die Komplexität ist, die steuert, dann sind es die Bausteine – hilft auch nicht aus dem Paradox heraus, im Gegenteil, am Ende landet man wie immer auf der Quantenebene.
    Man braucht also eine Steuerungsinstanz.

  271. @Stegemann: Biologie

    Sehr schön und sogar etwas kunstvoll formuliert! Zwei Gedanken:

    Wie aber ‘weiß’ ein biologisches System, wohin es evolvieren soll, um zu überleben?

    Das weiß es ja gar nicht – es “weiß” es auch nicht. Die Bedingungen des Überlebens werden vor allem von der Umwelt vorgegeben: In bestimmten Grenzen können manche Organismen eine andere Umwelt wählen – oder die Umwelt an ihre Bedürfnisse anpassen. Wir beispielsweise können Häuser bauen, um Stürme bis zu einer bestimmten Stärke abzuwehren; gegen einen auf die Erde fallenden Meteoriten hülfe das aber eher nicht.

    Hier kommt vielleicht die Psychologie ins Spiel, in Form eines “Willens” zum Leben; womit nicht gesagt ist, dass das bewusst oder in irgendeiner höheren Form von Kognition geschieht. Verhalten, um das Leben oder das Überleben der eigenen Nachkommen, Sippe, Spezies… zu sichern, sehen wir doch (so gut wie?) überall. Ohne diesen “Willen” stirbt eine Art eben früher aus. (Mit ihm übrigens auch, wenn zum Beispiel wir Menschen seine Umwelt zerstören und es keine Ausweichmöglichkeit gibt.)

    …aber wir bewegen uns hier ja auch im Bereich der Geisteswissenschaften, besser der Philosophie und nicht der empirischen Naturwissenschaft.

    Es sollte doch spätestens seit Überwindung des logischen Positivismus, also seit rund 75 Jahren klar sein, dass es hier keine strenge Grenze gibt, weil reine Empirie ohne Hintergrundannahmen, Definitionen, Theoriebildung – kurz: Sprache – unmöglich ist; und in diesem Sinne braucht auch jede “empirische” Wissenschaft zumindest etwas Philosophie, doch nicht anders herum.

    Philosophie ist meiner Meinung nach also ähnlich grundlegend wie die Mathematik (die wiederum selbst Grundlagen in der Philosophie hat). Die Philosophie hat heute aber ein Imageproblem; darum ist diese Sichtweise nicht so verbreitet.

  272. @Stephan Schleim:
    zu 1. Ich versuche es mal mit einem Vergleich. Wenn ich die Funktionsweise eines Autos beschreiben will, tue ich das technisch (entsprechend zur Biologie). Ich kann das Auto aber auch designmäßig beschreiben, das ist dann immer noch das Auto, aber unter anderem Blickwinkel und anderen beziehungen (entspricht Psychologie). Wenn ich aber bei der technischen Beschreibung beim Motor ankomme und nicht weiter weiß, dann die Beschreibungsweise hin zum Design ändere und sage, das ist aber ein schöner Motor, dann ist das der Taschenspielertrick, von dem ich gesprochen habe.

    Wenn ich beim Menschen einen Willen annehme, muss ich bei konsequenter Argumentation ein Pendant auf phylogenetisch früheren Stufen annehmen, also eine Art Steuerung, die eben beim Menschen ontologisch als Bewusstsein erscheint.

    Zu 2. Mit Geisteswissenschaft meine ich, dass ich nicht empirisch naturwissenschaftlich argumentieren kann, sondern logisch. Das ist schließlich das, was Philosophen – selbstverständlich unter Einbezug empirischen Wissens – tun.

  273. @Wolfgang Stegemann // 28.04.2022, 15:50 Uhr

    »Das Beispiel mit dem Auge (nicht ganz Ernst gemeint) sollte darauf hinweisen, dass es nicht das Ergebnis eines zufälligen endogenen Mutationsprozesses ist, sondern von außen (Licht) ‘angeregt’ wurde. «

    Ich denke, es ist Beides, erst gibt es zufällige Mutationen, und dann zeigt sich, dass dabei ein lichtempfindliches Molekül entstanden ist, welches für den Organismus (Einzeller) einen gewissen Mehrwert hat. Weshalb es über Generationen hinweg erhalten bleibt. Klassische Evolution halt.

    (Das Vorhandensein von Licht in der Umwelt ist natürlich die Voraussetzung für die Evolution von Augen, keine Frage…)

    Über das Rätsel „Leben“ haben ja schon viele nachgedacht, auch der renommierte Biologe Heinz Penzlin. Hier ein Exzerpt aus dem Abstract seines Aufsatzes (Google-Übersetzung):

    „Lebende Systeme sind mit der Fähigkeit ausgestattet, ihre inhärente funktionale Ordnung (Organisation) dauerhaft gegen störende Einflüsse aufrechtzuerhalten. Der Organisationsbegriff beinhaltet inhärent den Aspekt der Funktionalität, das teleonomische, zielgerichtete Zusammenwirken von Struktur- und Funktionselementen. Strukturen wiederum benötigen zu ihrer Spezifikation Informationen, und Informationen setzen eine Quelle voraus. Diese Quelle wird in lebenden Systemen durch die Nukleinsäuren gebildet.“

    (Penzlin H. The riddle of “life,” a biologist’s critical view. Naturwissenschaften (2009) 96:1–23)

    Da haben Sie Ihr „Steuerungssystem“ für die Selbstorganisation lebender Systeme: Es ist das (im Laufe der Evolution entstandene) Genom—was sonst.

  274. @Balanus:

    “…erst gibt es zufällige Mutationen, und dann zeigt sich, dass dabei ein lichtempfindliches Molekül entstanden ist, welches für den Organismus (Einzeller) einen gewissen Mehrwert hat….”

    Genau das halte ich für unmöglich. Zufällig heißt ja, es gab einen Replikationsfehler, der Reparaturmechanismus hat versagt. Welche Folgen kann ein solcher Fehler haben? Beliebig viele. Der Zufall müsste also unendlich viele Variationen durchspielen, bis die Umwelt so gnädig ist und die Variante auswählt, die die optimale Lösung bedeutet? Ich denke, man könnte das mathematisch widerlegen. Die Evolution hätte wahrscheinlich 100-mal so lange gedauert und ganz andere Ergebnisse gezeitigt.

    “Da haben Sie Ihr „Steuerungssystem“ für die Selbstorganisation lebender Systeme: Es ist das (im Laufe der Evolution entstandene) Genom—was sonst.”

    Ok, für den Einzeller hilft das, wie aber erklärt sich die ‘Steuerung’ beim Menschen? Ich glaube nicht, dass meine Entscheidung, ein Buch zu lesen, in meinen Genen steht. Es muss also ein vom genetischen Steuerungssystem relativ unabhängiges System geben.
    Und: wer steuert das Steuerungssystem? Die Nucleinsäuren? Paradox. Viele Milliarden kleiner Nucleinsäuren sprechen sich ab?
    Wie schon oft gesagt: der Zufall ‘stört’ von außen und sorgt dafür, dass sich Organismen ‘neu ausrichten’ müssen.

  275. @Chrys // 28.04.2022, 14:03 Uhr

    »Damit benennst Du in eigenen Worten eine Analogie zu der Situation, dass es in der Arithmetik wahre Aussagen gibt, die sich nicht arithmetisch “erklären” lassen, …«

    Nun ja, Aussagen sind ja nun mal was anderes als Tatsachen. Wobei es m. E. keine Rolle spielen dürfte, ob eine Tatsache korrekt erkannt und beschrieben wird oder nicht, an der Tatsache selbst ändert das gar nichts (Man könnte es vielleicht auch so sagen: Wenn eine Aussage zu einer Tatsache zu logischen Widersprüchen führen, dann ist das womöglich ein Zeichen dafür, dass die Aussage die Tatsache nicht adäquat beschreibt).

    Wenn also behauptet wird, es gäbe in der belebten Natur Tatsachen oder Phänomene, für die es keine natürliche Erklärung gibt, dann lässt das aufhorchen, und man hätte gern Näheres dazu gewusst.

    (Und ja, natürlich habe ich auch an Hofstadter gedacht, wie fast immer, wenn ich mich mit Dir unterhalte 🙂 ) (muss an den bevorzugten Themen liegen…)

  276. @Wolfgang Stegemann // 29.04.2022, 11:54 Uhr

    »Ich denke, man könnte das [die Zufallsmutationen] mathematisch widerlegen.«

    Das haben schon viele versucht. Und sind am Ende gescheitert (zumeist wohl wegen falscher molekularbiologischer Grundannahmen).

    Beim Menschen treten von Generation zu Generation schätzungsweise wohl so um die 100 Mutationen auf. Die sind nicht gleichmäßig über das Genom verteilt, es gibt da Bereiche, wo sie häufiger bzw. seltener auftreten. Aber ob und wo sie auftreten, das eben kann nicht vom Organismus selbst aktiv herbeigeführt werden (wie sollte das auch gehen?), sondern muss notgedrungen auf zufälligen Ereignissen beruhen (Strahlung, Gifte, Lese- bzw. Schreibfehler, … etc.).

    »Ok, für den Einzeller hilft das, wie aber erklärt sich die ‘Steuerung’ beim Menschen? «

    Die ontogenetische Entwicklung (d.h., organismische Selbstorganisation) des Menschen wird selbstredend ebenfalls vom Genom gesteuert.

    Für die Steuerung des Verhaltens ist bekanntlich das Gehirn zuständig. Dessen Strukturen wiederum sind im Zuge der gengesteuerten und umweltbezogenen ontogenetischen Entwicklung entstanden.

    »Und: wer steuert das Steuerungssystem? Die Nucleinsäuren? Paradox. Viele Milliarden kleiner Nucleinsäuren sprechen sich ab? «

    Wer die gengesteuerte Entwicklung steuert, fragen Sie? Das „Steuerungssystem“, wenn wir das mal so nennen wollen, beruht wesentlich auf sogenannten Regulatorgenen. Diese wiederum werden durch Signale und/oder Botenstoffe aus dem Organismus ein- oder ausgeschaltet. Wobei die „Information“ für die Steuerung des „Steuerungssystem“, wie gesagt, im Laufe der Evolutionsgeschichte entstanden ist. Eine andere Erklärung gibt es für mich nicht.

    »Wie schon oft gesagt: der Zufall ‘stört’ von außen und sorgt dafür, dass sich Organismen ‘neu ausrichten’ müssen. «

    Ich merke, Sie plädieren für eine aktive, von den Organismen selbst voran getriebene evolutionäre Entstehungsgeschichte: Darwin was wrong…

    Unter einem Paradigmenwechsel machen Sie es wohl nicht… 😉 )

  277. @Balanus:
    Stellen Sie sich vor, Sie untersuchen einen Regentropfen in einer Wolke. Sie kennen dann die physikalischen und chemischen Eigenschaften des Tropfens, aber Sie haben keine Ahnung von der Großwetterlage. Der Regentropfen sagt nichts über die Dynamik des Wetters aus. Ähnlich verhält es sich mit den Bausteinen des Lebens. Im Gegensatz zu dem dynamischen System Wetter lässt sich das dynamische System Leben nicht so einfach beschreiben. Und schon gar nicht mittels der chemischen Eigenschaften der Bausteine. Komischerweise kümmert sich die Wissenschaft aber um diese Dynamik nicht (es sei denn, man wendet wieder nur physikalische Modelle an,. die allesamt aussagelos blieben).
    Um diese zu verstehen braucht es in der Tat einen radikalen Paradigmenwechsel, weg von dem naiven Reduktionismus, der zwar physikalische Dinge erklärt, aber keine biologischen.

  278. @Balanus / 29.04.2022, 12:49 Uhr

    »Nun ja, Aussagen sind ja nun mal was anderes als Tatsachen. Wobei es m. E. keine Rolle spielen dürfte, ob eine Tatsache korrekt erkannt und beschrieben wird oder nicht, an der Tatsache selbst ändert das gar nichts (Man könnte es vielleicht auch so sagen: Wenn eine Aussage zu einer Tatsache zu logischen Widersprüchen führen, dann ist das womöglich ein Zeichen dafür, dass die Aussage die Tatsache nicht adäquat beschreibt).«

    Erstens können wir uns über “Tatsachen” in keiner anderen Form verständigen als der von gewissen für wahr gehaltenen Aussagen.

    Zweitens werden Tatsachen nicht erkannt, sondern es wird allenfalls etwas als Tatsache festgestellt, was bedeutet, dass dabei gewisse deskriptive Sätze als wahr bewertet werden.

    Anders gesagt, etwas als Tatsache zu behaupten bedeutet, die Existenz einer wahren Deskription für einen in Rede stehenden Sachverhalt zu behaupten. Wir haben also eine Verknüpfung der Vorstellungen von Tatsächlichkeit und Wahrheit. Aber die Wahrheit impliziert in keiner Weise eine wie auch immer geartetete Erklärbarkeit, das sind zwei verschiedene Paar Schuhe. Denn Wahrheit betrifft die Semantik einer Sprache, Erklärbarkeit hingegen ihre Syntax, und Semantik ist nicht generell auf Syntax zurückführbar.

    Es schint mir unproblematisch, ein selbstreferentielles Verhalten von Onur Güntürküns Elster Gerti vor dem Spiegel als Tatsache festzustellen. Wenn Du nun aber meinst, für dieses spezifische Verhalten müsse sich notwendigerweise auch eine neurobiologische Erklärung angeben lassen, dann ist das ein Trugschluss.

  279. @Wolfgang Stegemann //..29.04.2022, 18:08 Uhr

    » Im Gegensatz zu dem dynamischen System Wetter lässt sich das dynamische System Leben nicht so einfach beschreiben. […] Komischerweise kümmert sich die Wissenschaft aber um diese Dynamik nicht …«

    Wirklich nicht? Und wer sagt denn, dass lebende Systeme einfach zu beschreiben wären?. Nicht umsonst gibt es so viele biologische Spezialdisziplinen.

    Und was die Dynamik angeht: in dem von mir erwähnten Aufsatz Penzlins spielt sie eine wichtige, fast schon zentrale Rolle. Hier ein paar Beispiele, wie Penzlin immer wieder das dynamische Verhalten lebender Systeme betont:

    ”Life represents a dynamic state; it is performance of a system of singular kind: “life-as-action” approach.“

    “Life exists—as already mentioned—only as “being-alive” of highly complex, dynamic systems with the fundamental property to autonomously maintain and replicate their internal organization.”

    “Life is conditioned by certain substances but not defined by them. It is in no way a “thing”; on the contrary, it is action, it is dynamic, it is the performance of certain natural systems, which we call “alive”: “life-as-action” approach.”

    “Life is a continuous process; life is dynamics.”

    “Life means functional, teleonomic order: organized dynamics.”

    “Life” means informational integrity and invariance: self-maintained organized dynamics.”

    (kursiv durch Fettung ersetzt, Quelle siehe oben)

    Penzlin ist mit seiner Auffassung von lebenden Systemen sicherlich keine große Ausnahme unter den Biologen, die meisten dürften das ganz ähnlich sehen.

    Aber vielleicht könnte man bemängeln, dass diese spezielle Dynamik zu wenig beforscht wird.

  280. @Chrys // 01.05.2022, 13:06 Uhr

    » Erstens…
    Zweitens…
    «

    Tatsachen kann man auch nur für sich alleine feststellen. Und das mitunter sogar nonverbal. Und dass sie dann auch für wahr gehalten wird, ist irgendwie naheliegend.

    Doch wie verhält es sich dabei mit der prinzipiellen Erklärbarkeit der festgestellten Tatsache bzw. des beobachteten Phänomens?

    Ich könnte mir durchaus vorstellen, dass mir bei einer besonderen Beobachtung (Tatsachenfeststellung) zwar die Syntax für eine Erklärung fehlt, ich aber dennoch der Überzeugung bin, dass es eine natürliche Erklärung für das Beobachtete geben muss. Logisch zwingend ist das nicht, andere können anderes vermuten oder glauben, aber meine Überzeugung kommt ja nicht von ungefähr, sondern fußt auf einstmals erworbenem Wissen und gemachten Erfahrungen, ist also durchaus begründet.

    Wenn es da also einen Vogel geben soll, für dessen spezifisches Verhalten es keine natürliche, oder, enger gefasst: es keine neurobiologische Erklärung gibt oder sich angeben lässt, und sei sie noch so lückenhaft, dann ist das aus meiner Sicht schon sehr bemerkenswert. Wohlgemerkt, ich rede davon, dass es aus bestimmten Gründen eine entsprechende Erklärung gibt bzw. geben muss, nicht, dass ich sie auch kenne.

  281. @Balanus:

    “Aber vielleicht könnte man bemängeln, dass diese spezielle Dynamik zu wenig beforscht wird.”

    Ich denke, genau darum geht es. Allgemeinplätze kennen wir zur genüge. Wie funktioniert z.B. Selbstorganiosation operativ konkret, nicht in physikalischen, sondern in biologischen Systemen.

  282. @Balanus / 03.05.2022, 22:11 Uhr

    Wenn Du in einem wissenschaftl. Diskurs mit “Tatsachen” argumentieren willst, dann musst Du diese sprachlich fassen können. Sonst könnten andere Teilnehmer doch gar nicht verstehen und beurteilen, was Du da eigentlich kommunizieren willst.

    Versuch’ doch einfach mal, ein plausibles Argument zu bringen dafür, warum es sich beim selbstreferentiellen Verhalten eines Individuums, sei es Mensch oder Vogel, um ein auf neurobiologische Begriffe reduzibles Konzept handeln soll. Du setzt das scheinbar als selbstverständlich voraus, doch das ist es nicht. Für ein in diesem Sinne neurobiologisch irreduzibles Konzept kann man sich keine neurobiologische Erklärung erhoffen. Und die Möglichkeiten des Erklärens in neurobiolog. Begriffen sind nun mal nicht unbegrenzt.

  283. @Wolfgang Stegemann

    » Wie funktioniert z.B. Selbstorganiosation operativ konkret, nicht in physikalischen, sondern in biologischen Systemen. «

    Das kommt wohl ganz auf die jeweilige Systemebene bzw. Organisationsstufe an.

    Grundlegend für die jeweiligen Prozesse der Selbstorganisation in lebenden Systemen dürften physikochemische Kräfte und Gesetzmäßigkeiten sein, und die (wechsel-)wirken nun mal auf der Ebene der nicht lebenden Subsysteme. Das gilt praktisch für alle lebende Systeme, dass sie sich auf der untersten Beschreibungsebene kaum voneinander unterscheiden.

  284. @Chrys // 06.05.2022, 12:39 Uhr

    Es lässt sich angesichts vorliegender Evidenzen wohl kaum bestreiten, dass sämtliche Verhaltensäußerungen (trivialerweise) auf neurobiologischen Vorgängen und Mechanismen beruhen. Und zwar ganz unabhängig von den jeweiligen Konzepten, die wir als Beobachter für diese Verhaltensäußerungen haben, und auch unabhängig von einem damit verbundenem wissenschaftlichen Diskurs.

    Es geht also überhaupt nicht darum, mit neurobiologischen Begriffen irgendwelche Konzepte zu erklären oder zu beschreiben, sondern darum, ob es prinzipiell möglich ist, jene neurobiologische Mechanismen zu finden und aufzuklären, die einem spezifischen Verhalten zugrunde liegen und diese überhaupt erst ermöglichen.

    Eine neurobiologische Erklärung für ein Verhalten, das wir mit dem Begriff „selbstreferentiell“ kennzeichnen, wäre für mich dann gegeben, wenn die hierfür notwendigen Hirnstrukturen und neuronalen Verschaltungen beschrieben werden könnten.

    Ob jemals der neuronale Weg vom auslösenden Reiz bis zum manifesten Verhalten nachgezeichnet werden kann, steht auf einem anderen Blatt. Aber das scheint mir mehr ein technisches denn ein prinzipielles Problem zu sein.

    Kurzum, anstatt das Pferd von hinten aufzuzäumen und danach zu fragen, ob es sich beim sogenannten “selbstreferentiellen Verhalten” um ein „neurobiologisch irreduzibles Konzept“ handelt, könnte man ja auch von der konkreten Beobachtung eines (neurobiologisch bedingten) Verhaltens ausgehen und auf Grundlage dessen ein begriffliches Konzept entwickeln, womit sich die Frage nach der Reduzierbarkeit des so entwickelten Konzepts auf das konkrete Verhalten praktisch erledigt hätte.

  285. @Balanus:
    Ganz formalistisch: Sobals sich zwei Bausteine zu Leben zusammengeschlossen haben, kann Leben nur noch als Struktur aus den beiden Bausteinen verstanden werden, nicht aus dem jeweiligen einzelnen Baustein heraus. Was nicht bedeutet, dass man die einzelnen Bausteine nicht untersuchen müsste, im Gegenteil.

    Das Kunstück besteht darin, die intrinsischen Regeln zu ergründen, nach denen die Struktur agiert, also prozessiert und evolviert. Und zwar die Struktur, nicht die Bausteine.

    “Ob jemals der neuronale Weg vom auslösenden Reiz bis zum manifesten Verhalten nachgezeichnet werden kann, steht auf einem anderen Blatt. Aber das scheint mir mehr ein technisches denn ein prinzipielles Problem zu sein.”

    Eben nicht! Aus einem Sammelsurium empirischer Daten lassen sich kaum übergreifende Erklärungen herauslesen, man würde quasi vor lauter Bäumen keinen Wald sehen. Da muss man schon ein Modell (des Waldes) erstellen und sehen, ob die Daten (Bäume) da reinpassen. Mit Induktion kommt man nirgends hin.

  286. @Balanus / 07.05.2022, 14:18 Uhr

    »Es lässt sich angesichts vorliegender Evidenzen wohl kaum bestreiten, dass sämtliche Verhaltensäußerungen (trivialerweise) auf neurobiologischen Vorgängen und Mechanismen beruhen.«

    Richtig ist, dass angesichts vorliegender Evidenzen neurobiologische Vorgänge als eine notwendige Bedingung für jegliche Verhaltensäusserungen (u.a. von Säugern oder Vögeln) wohl kaum zu bestreiten sind. Mit Deinem (schrecklich nebulösen) »beruhen« willst Du daraus offenbar sogleich auch auf eine Erklärbarkeit jeglicher Verhaltensäusserungen durch neurobiologische Vorgänge kommen.

    »Es geht also überhaupt nicht darum, mit neurobiologischen Begriffen irgendwelche Konzepte zu erklären oder zu beschreiben, …«

    Doch, genau darum geht’s beim deduktiv-nomologischen Erklären nach Hempel & Oppenheim, was hier erst mal die angestrebte Form wissenschaftl. Erklärens ist — oder zumindest sein sollte.

    »Eine neurobiologische Erklärung für ein Verhalten, das wir mit dem Begriff „selbstreferentiell” kennzeichnen, wäre für mich dann gegeben, wenn die hierfür notwendigen Hirnstrukturen und neuronalen Verschaltungen beschrieben werden könnten.«

    Mit dem Herumreiten auf neurobiologisch notwendigen Bedingungen ist noch gar nichts “neurobiologisch erklärt”. Denn damit ist ja noch gar nichts darüber gesagt, ob diese Bedingungen auch hinreichend sind, um das fragliche Verhalten schlüssig zu begründen.

    Es geht hier um die Frage, ob die Gesetze der Neurobiologie hinreichend informativ sind, um (insbesondere) selbstreferentielles Verhalten durch neurobiolog. DN-Erklärungen dem Verstande nachvollziehbar zu machen. Wenn Du meinst, das müsse selbstverständlich so sein, und falls es im konkreten Fall misslingt, sei das eher nur ein technisches als ein prinzipielles Problem, dann irrst Du. Und wenn Du bei diesem Irrtum bleibst, dann stecken wir hier fest und werden keinen Schritt weiterkommen.

  287. @Wolfgang Stegemann

    » …zwei Bausteine zu Leben zusammengeschlossen haben, kann Leben nur noch als Struktur aus den beiden Bausteinen verstanden werden, …«

    Wer würde bezweifeln wollen, dass eine lebende Einheit (ein lebendes System) nur dann in einem „lebenden“ Zustand ist, wenn die hierfür notwendigen Prozesse (Bausteine) innerhalb der Einheit (Zelle) regelgerecht ablaufen. Die miteinander verschachtelten und vernetzten biochemischen Prozesse als solche sind und bleiben dabei natürlich unbelebt, erst im Zusammenspiel entsteht im Ganzen das Gebilde, das wir mit Recht als „lebend“ bezeichnen.

    Woraus für mich folgt: Wenn wir das Zusammenwirken der zahlreichen biochemischen Reaktionen und Abläufen verstanden haben, dann sollten wir eigentlich wissen, was „Leben“ ist, wie ein lebendes System funktioniert und wie es sich von nicht lebenden Dingen unterscheidet. .

    Aus der Sicht von Molekularbiologen und/oder Biochemikern stellt sich das so dar:

    Die lebende Zelle ist ein sich selbst aufbauendes, selbstregulierendes, selbstreplizierendes isothermes offenes System von organischen Molekülen, das nach dem Prinzip maximaler Ökonomie in Bestandteilen und Reaktionsabläufen arbeitet; es führt viele aufeinanderfolgende, gekoppelte organische Reaktionen für den Energietransfer und die Synthese der eigenen Bestandteile mit Hilfe selbst produzierter organischer Katalysatoren durch.

    (Lehninger 1979. Biochemie. Weinheim New York,Verlag Chemie)

    » Das Kunstück besteht darin, die intrinsischen Regeln zu ergründen, nach denen die Struktur agiert, also prozessiert und evolviert. «

    Könnte es sein, dass es solche „intrinsischen Regeln“ gar nicht gibt, sondern eben bloß die physikalischen bzw. physikochemischen Gesetzmäßigkeiten?

  288. @Balanus:
    Für Sie gelten also lediglich die physikalischen Regeln. Da unterscheiden wir uns. Für mich gelten über die Physik hinausgehende biologische Regeln. Das werden wir wohl nicht auflösen können.

  289. Um nicht falsch verstanden zu werden, noch eine Ergänzung: will man den Menschen in Gänze beschreiben kommt zur physikalischen und biologischen natürlich die psychische, soziale und weitere Beschreibungen hinzu.

  290. @Chrys // 11.05.2022, 11:10 Uhr

    »Richtig ist, dass angesichts vorliegender Evidenzen neurobiologische Vorgänge als eine notwendige Bedingung für jegliche Verhaltensäusserungen (u.a. von Säugern oder Vögeln) wohl kaum zu bestreiten sind. Mit Deinem (schrecklich nebulösen) »beruhen« willst Du daraus offenbar sogleich auch auf eine Erklärbarkeit jeglicher Verhaltensäusserungen durch neurobiologische Vorgänge kommen. «

    Immer diese sprachlichen Feinheiten. Ich hätte genauso gut schreiben können:

    »Es lässt sich angesichts vorliegender Evidenzen wohl kaum bestreiten: sämtliche Verhaltensäußerungen sind (trivialerweise) bedingt durch neurobiologische Vorgänge und Mechanismen.«

    Mir scheint, mit der Formulierung „Erklärbarkeit jeglicher Verhaltensäusserungen durch neurobiologische Vorgänge“ möchtest Du auf eine andere (höhere?) Beschreibungsebene hinaus. Wobei dann die „neurobiologischen Vorgänge“ der darunterliegenden Ebene stillschweigend vorausgesetzt werden. Ich sehe nicht, wozu das gut sein sollte und inwiefern das bei der Ausgangsfrage (wegen Crick, siehe oben) oder bei der Frage nach der Generierung von Verhalten ein stichhaltiges Argument liefern könnte.

    » Mit dem Herumreiten auf neurobiologisch notwendigen Bedingungen ist noch gar nichts “neurobiologisch erklärt”. Denn damit ist ja noch gar nichts darüber gesagt, ob diese Bedingungen auch hinreichend sind, um das fragliche Verhalten schlüssig zu begründen.

    …schlüssig zu erklären (Duden: Erklärung als “Darlegung der [biologischen, B.] Zusammenhänge“).

    Gewiss ließe sich eine Reihe weiterer Bedingungen formulieren, die neben dem bloßen Vorhandensein eines hinreichend komplexen Nervensystems bei Verhaltensäußerungen notwendig sind. Aber letzten Endes ist es immer das Individuum, Tier oder Mensch, das aus sich selbst heraus agieren, sprich sich irgendwie verhalten muss.

    Sofern man geistige (d.h., vom neuronalen Substrat unabhängige) Vorgänge ausschließt, bleiben eben nur die materiellen Prozesse im Nervengewebe und in den übrigen Körperteilen, um Verhalten kausal zu erklären.

  291. @Wolfgang Stegemann // 12.05.2022, 13:40 Uhr

    Ich habe nichts gegen andere (höhere) Beschreibungsebenen (psycho, sozial, …)

    Und ich bestreite selbstredend nicht, dass es biologische Gesetzmäßigkeiten oder Regeln gibt *). Die aber fußen unbestreitbar auf den Regeln (Gesetzen, Gesetzmäßigkeiten) der Physik und Chemie. Das ist alles…

    *) Siehe mein Lehninger-Zitat aus dem Lehrbuch von 1979.

  292. @Wolfgang Stegemann

    Mir fällt gerade auf, dass man denke könnte, ich hätte mir selbst widersprochen, weil ich die Existenz „intrinsischer Regeln“ angezweifelt habe, gleichwohl aber von „biologischen Gesetzen“ bzw. „Gesetzmäßigkeiten“ spreche. Wenn mit den „intrinsischer Regeln“ der lebenden Systeme im Kern biologische Gesetzmäßigkeiten gemeint sind, in dem Sinne, wie Lehninger (1979) sie in seinem Lehrbuch umschreibt, dann ist alles gut… ;- )

  293. @Balanus:

    “… Regeln gibt [ ]. Die aber fußen unbestreitbar auf den Regeln (Gesetzen, Gesetzmäßigkeiten) der Physik und Chemie. Das ist alles…”

    Die Physik beschreibt die unbelebte Natur, um die belebte Natur zu beschreiben, reicht die Physik nicht aus. Und: Damit die einzelnen Bausteine ‘wissen’, was sie tun sollen, braucht es einen ‘Koordinator’, der die Selbstorganisation steuert. Das sind die Metastrukturen, von denen ich spreche.
    Ich weiß, für einen Reduktionisten pure Metaphysik 😁.

  294. @Balanus / 13.05.2022, 14:08 Uhr

    Das Bemühen um sprachliche Präzision ist doch unabdingbar für die sinnvolle Beschäftigung mit wissenschaftl. (wie auch philosoph.) Fragestellungen.

    Halten wir hier noch mal fest: Mit Deinen Evidenzen kommst Du darauf, dass ein Mensch oder Vogel ohne eine Neuroaktivität N auch keinerlei Verhalten V zeigt. Das können wir als Formel schreiben, ¬N → ¬V, und dann sagt man, N sei eine notwendige Bedingung für V. So weit, so gut.

    Daraus folgt jedoch nicht, dass sich auch eine neurobiologische DN-Erklärung für selbstreferentielles Verhalten eines Menschen oder Vogels finden lassen muss. Dazu müsste das Explanandum objekttheoret. in neurobiolog. Begriffen repräsentiert sein, das ist keineswegs »trivialerweise« irgendwie gegeben. Und da sollte von Dir dann doch mal ein Argument kommen, wenigstens ein heuristisches, wie das grundsätzlich gehen soll. Sofern Du denn meinst, dass es gehen sollte.

  295. “Daraus folgt jedoch nicht, dass sich auch eine neurobiologische DN-Erklärung für selbstreferentielles Verhalten eines Menschen oder Vogels finden lassen muss. Dazu müsste das Explanandum objekttheoret. in neurobiolog. Begriffen repräsentiert sein, das ist keineswegs »trivialerweise« irgendwie gegeben.”

    Das ist ein treffendes Argument. Dasselbe Problem haben wir beim (freien) Willen. Dort wird mit einer neurobiologischen Argumentation versucht, eine Beschreibungebene (Wille) zu erklären, die mit der neurobiologischen Beschreibungsebene überhaupt nichts zu tun hat. Nur mit einem solchen Taschenspielertrick lässt sich so argumentieren. Will man z.B. Wille neurobiologisch erklären, muss man dafür ein neurobiologisches Äquvivalent entwickeln. Das existiert aber bisher gar nicht.

  296. @Chrys // 17.05.2022, 11:41 Uhr

    »Das Bemühen um sprachliche Präzision ist doch unabdingbar für die sinnvolle Beschäftigung mit wissenschaftl. (wie auch philosoph.) Fragestellungen. «

    Unbestritten!

    Aber wahr ist auch, dass viele lebenswissenschaftliche Begriffe unscharf sind. Was aber allem Anschein nach keine großen Auswirkungen hat. Wenn wir uns die neurowissenschaftliche Literatur anschauen, dann scheint es doch insgesamt ganz gut zu funktionieren mit der intersubjektiven Verständigung.

    Neuronale Aktivität ist also, das ist soweit klar, die Voraussetzung für ein jegliches Verhalten. Was nach meinem Dafürhalten das selbstreferentielle Verhalten eines Menschen oder Vogels mit einschließt.

    Fehlt also nur noch die Formulierung einer „neurobiologischen DN-Erklärung“ für gewisse Verhaltensäußerungen, seien sie nun selbstreferenziell oder nach außen gerichtet.

    Bislang habe ich dem Attribut „selbstreferenziell“ keine besondere Bedeutung beigemessen. Den anderen möglichen Attributen ebenfalls nicht, als da wären: egoistisch, altruistisch, zögerlich, ungebührlich, spontan, unangemessen, niederträchtig, zutraulich, abwartend, reflexartig, und so weiter und sofort. Gerade beim Menschen gibt es eine Vielzahl von Möglichkeiten, Verhaltensäußerungen näher zu beschreiben. Für die grundlegende Frage, wie Verhalten biologisch generiert wird (d.h., welche Strukturen, Mechanismen und Funktionen es einem lebenden System ermöglichen, sich frei in der Umwelt zu bewegen und adäquat zu verhalten), dürfte die Art der jeweiligen Verhaltensäußerung eh keine große Rolle spielen.

    Wir befinden uns also in der merkwürdigen Situation, dass die Sache dem Grunde nach zwar geklärt ist, aber erkenntnistheoretisch eine diesbezügliche DN-Erklärung irgendwie nicht gelingen will.

  297. @Wolfgang Stegemann // 17.05.2022, 12:46 Uhr

    »Dasselbe Problem haben wir beim (freien) Willen. Dort wird mit einer neurobiologischen Argumentation versucht, eine Beschreibungebene (Wille) zu erklären, die mit der neurobiologischen Beschreibungsebene überhaupt nichts zu tun hat.«

    Für den „Willen“ (das Wollen, die Volition) gilt das Gleiche wie für das Verhalten: Für beides muss es zentrale neuronale Strukturen, Mechanismen und Funktionen geben. Denn ohne solche gäbe es diese Phänomene nicht (siehe Pflanzen, Pilze und Einzeller).

    Auf der neurobiologischen Ebene wird demnach lediglich die neuronale Architektur untersucht, die dem „Willen“ bzw. Wollen zugrunde liegt. Das ist ohne weiteres möglich, vorausgesetzt, man findet für „Willen“ eine brauchbare naturwissenschaftliche Definition (die Frage ist, ob es der Mühe wert ist—wäre halt Grundlagenforschung, wie es die Reduktionisten bekanntlich lieben ;- ).

  298. @Balanus:
    Was soll denn ‘Wille’ sein? Wenn Sie neurobiologische Argumente anführen, dann können Sie damit auch nur neurobiologische Begriffe erklären.
    Wenn ich die Funktionsweise eines Autos erklären will, nehme ich eine technische Sprache zuhilfe. Mit dieser Sprache kann ich aber keinen Disignaspekt erklären.
    Wenn also das Bereitschaftspotential bei Libet gemessen wird, bevor sich die Probanden dessen bewusst sind, dann bedeutet das nichts weiter, als dass bei den Probanden ein Bereitschaftspotential gemessen wurde, bevor diese sich dessen bewusst waren. Dieses mit dem Begriff ‘Wille’ in Verbindung zu bringen, ist völlig willkürlich. Solange Sie nicht wissen, was das, was Sie unter ‘Wille’ verstehen, neurobiologisch bedeutet bzw. was es ist, können Sie keine derartige Schlussfolgerung ziehen. Ansonsten beschreiben Sie ein Phänomen, das Sie gar nicht kennen. Und wenn Sie den Begriff ‘Wille’ beim Libet-Experiment weglassen, erklärt es so gut wie gar nichts mehr.

  299. @Wolfgang Stegemann

    »Was soll denn ‘Wille’ sein? Wenn Sie neurobiologische Argumente anführen, dann können Sie damit auch nur neurobiologische Begriffe erklären.«

    (1) Den Begriff „Wille“ verwenden wir für bestimmte Verhaltensäußerungen bei Mensch und (manchem) Tier.

    (2) Verhaltensäußerungen setzen ein hinreichend komplexes Nervensystem voraus.

    (3) Das Nervensystem wird u.a. von Neurobiologen erforscht und beschrieben.

    (4) Ergo gibt es eine sachlogische Verbindung zwischen „Wille“ und neurobiologischer Forschung.

    Man könnte vielleicht sagen: Der „Wille“ hat mit nichtzufälligen Entscheidungsprozessen zu tun, wobei das Ergebnis nicht immer vorhersehbar ist.

    Bei Libet war es der Zeitpunkt einer „gewollten“, willkürlichen (willentlichen), absichtlich herbeigeführten Bewegung. Ich verstehe nicht, wieso eine willentliche Bewegung Ihrer Meinung nach nichts mit dem „Willen“ bzw. Wollen zu tun haben soll.

    Es gibt eine Menge von unwillkürlichen Bewegungen (etwa das Drehen des Kopfes in Richtung eines bedrohlichen Schallereignisses), doch wenn es um die Frage geht, „was tue ich als nächstes“, dann hat das nichts mit unwillkürlichen, „einprogrammierten“ Abläufen zu tun, sondern eben mit willentlich (bewusst) herbeigeführten Handlungen.

    Dass der Begriff „Wille“ kein originär neurobiologischer ist, ist doch klar. Wenn alle Begriffe, die nicht neurobiologischen Ursprungs sind, aus der neurobiologischen Forschung verbannt würden, könnte man wohl einpacken.

    »Und wenn Sie den Begriff ‘Wille’ beim Libet-Experiment weglassen, erklärt es so gut wie gar nichts mehr.«

    Es geht nun mal um „freiwillige“ Bewegungen, da kann man den Begriff „Wille“ schlecht weglassen, ohne das ganze ad absurdum zu führen. Davon abgesehen soll das Experiment (meines Wissens) überhaupt nichts „erklären“, schon gar nicht den „Willen“. Das Experiment beschreibt lediglich die zeitliche Differenz zwischen dem Beginn des Bereitschaftspotentials und der Angabe, sich zur Bewegung entschlossen zu haben.

  300. @Balanus:
    Sie verstehen mich nicht: Wenn Sie den (psychologischen) Begriff ‘Wille’ neurobiologisch herleiten wollen (Libet), dann müssen Sie ihn zuerst neurobiologisch darstellen, nicht als Kategorie, sondern als Funktion. Wenn Sie ‘Bereitschaftspotential’ sagen, muss ‘Wille’ auch auf dieser Funktionsebene erklärt werden. Ansonsten reden Sie mit sich selber aneinander vorbei. Sie müssen auf derselben Sprachebene bleiben. Erst dann wird klar, wie ‘Wille’ neurobiologisch funktioniert. Bereitschaftspotential isoliert sagt überhaupt nichts aus. Sie sehen ja, dass die Interpretationen nahezu beliebig sind.

  301. Als Ergänzung: immer wenn die Biologie versucht, nichtbiologische Sachverhalte biologisch zu erklären, kann man zurecht von Biologismus sprechen (und nur dann). Dasselbe gilt entsprechend für Psychologie, Physik etc.

  302. @Wolfgang Stegemann

    » Sie verstehen mich nicht…«

    Das hatte ich befürchtet… ;- )

    So wie ich das sehe, setzen Sie einfach voraus, dass das, was gemeinhin als „Wille“ bezeichnet wird, nichts mit der Biologie von Mensch und Tier zu tun hat. In etwa ähnlich wie bei Begriffen und Zuschreibungen wie Seele, Charakter, Offenheit, Friedfertigkeit und so weiter. Wobei einzig „Seele“, verstanden als das Unsterbliche im Menschen, wirklich nur als Begriff existiert und keine Fundierung im Nervensystem hat.

    Ich habe den Eindruck, Sie machen mit Blick auf den „Willen“ eben das zur Voraussetzung, was erst die neurowissenschaftlichen Forschung als Ergebnis zeigen soll, nämlich wie sich der „Wille“ bei Entscheidungsprozessen und Handlungen im neuronalen Substrat darstellt—im Gegensatz zu unwillkürlichen, ungewollten, „automatischen“ Bewegungen.

    Kurzum: Wenn man von vorneherein den „Willen“ als einen nichtbiologischen Sachverhalt ansieht, der als solcher neurowissenschaftlich nicht zugänglich ist und darum auch nicht experimentell untersucht werden kann, dann erscheint die Ablehnung bestimmter Forschungsarbeiten (Libet et al.) nur folgerichtig.

  303. Wie gesagt, man kann den psychologischen Begriff ‘Wille’ psychologisch erklären. Wenn man ihn neurobiologisch erklären will, muss man ihn neurobiologisch operationalisieren. Ich würde dabei in etwa so vorgehen (ohne bereits tiefer darüber nachgedacht zu haben). In Anlehnung an Husserls phänomenologische Reduktion würde ich nach dem zugrunde liegenden Prinzip suchen und würde dies als den der Selbstorganisation von Leben inhärente Überlebenswillen bezeichnen in Verbindung mit der Subjekthaftigkeit von Leben. Wille wäre also nicht nur der bewusste Teil von Handlungen, sondern deren Gesamtheit. Man müsste unterscheiden zwischen einer Affekthandlung und einer sprachlich abstrakten Handlung. Dies gälte dann auch für die Beurteilung von Straftaten. Wie gesagt, das nur ansatzweise. Man müsste sich z.B. fragen, ob Bereitschaftspotenziale nicht immer Handlungen quasi als Warm-up voraus gehen, ob bewusst oder unbewusst etc.pp.

  304. @ Balanus
    @Wolfgang Stegemann

    Ich bin aus Sicht der Elektronik/Nachrichtentechnik/Informatik an diesem Thema interessiert, weil es vermutlich interessante „Berührungspunkte“ (Informationsverarbeitung) gibt.

    Den Begriff „Information“ verwende ich im allgemeinen Sinne der Nachrichtentechnik, also so, dass praktisch jegliche „Information“, Sprache, Schrift, Bilder, Prozess steuernde Anweisungen für einen Computer, der Wasserstand der Donau oder in der Klospülung, vermutlich sogar Empfindungen ….. codiert, decodiert, werden kann. Information hat eine Bedeutung, kann ausgewertet werden, einen Bezeichner haben. Gemeint sind nicht nur Daten oder Algorithmen, Information kann „irgend etwas“ („allgemeine Information“) konkret im mathematischen Sinne „abbilden“ .

    „Wille“ würde bedeuten, dass eine „Instanz“, auf Grund von erkannten Mustern „schließt“ dass bestimmte „Muster“ aktiviert, oder Handlungen (Handlungsmuster) gesetzt werden sollten. Dafür scheint das lernfähige neuronale Netz bestens geeignet. Die erkennende Instanz könnte im „Bewusstsein“ realisiert werden.

    Könnte man sich vorstellen, als würde der Input in bestimmten neuronalen Strukturen „aufbereitet“ und End- oder Zwischenergebnisse können allenfalls auf „internen Bewusstseins Bildschirmen“ auch als Empfindungen, dargestellt werden. Wichtige „Bewusstseinsbildschirme“ sind die Netzhäute der Augen, an deren Komponenten vermutlich auch „Empfindungsphänomene“ relevant entstehen. Offensichtlich gibt es auch Hör- Geruchssignale oder andere Empfindungen, einzeln und in ihrem Zusammenwirken abbildende, eher flache sensorische Strukturen.

    Das Empfindungsphänomen könnte, theatralisch formuliert, im Zusammenhang mit den „Tanzmustern der Valenzelektronen“ stehen.

    Flache Strukturen ermöglichen einerseits eine örtliche, andererseits eine zeitliche Zuordnung in „Zeitschlitzen“. So dass z.B. aus vielen Einzelbildern sozusagen ein Video entsteht. Nicht örtliche Information (z.B. Frequenz oder Lautstärke) kann auch „örtlich“ codiert werden. Vermutlich trägt z.B. auch das Trommelfell dazu bei.

    Wie auf einer „Schaltwarte“ einer Industrieanlage oder eines Kraftwerkverbundes können vermutlich die notwendigen Entscheidungen gemäß festgelegter Programme hauptsächlich automatisch erfolgen, aber auch unter besonderer Einbindung des Personals dass die Bildschirmanzeigen auswertet.

    Analog müssen nicht alle Entscheidungen über die „Bewusstseinsanzeige“ geführt werden. Es kann sich sogar so verhalten, dass praktisch alle „Entscheidungen“ im neuronalen Netzwerk, sozusagen unterbewusst, fallen und nur in bestimmten Fällen zum „Bildschirm“ geführt werden.

    Das Libet-Experiment deutet darauf hin, dass tatsächlich die Handlungsmuster früher aktiviert werden, als die Signalmuster die von der (vermeintlichen) Bewusstseinsanzeige für den „Willen“ ausgehen und über die auswertenden Strukturen zur Messung gelangen. Es „dauert Zeit“ weil die Signale sozusagen den „Umweg“ über die „Anzeigestrukturen“ nehmen müssen. Damit würde das „Bildschirmkonzept“ im Zusammenhang mit dem Bewusstsein bestätigt und auch erklärt wie es offensichtlich zum Unterbewusstsein kommt.

    Dieses Bewusstseinskonzept kann sehr flexibel auf verschiedenen Input reagieren und hat sich vermutlich deswegen evolutionär durchgesetzt.

    In der Technik hat sich letztlich auch dieses Konzept, mit einer Art von „Zentrum der (Informations)verarbeitung“ bewährt. Vom primitiven „Kreuzschienenverteiler“, der Nipkowscheibe (Fernsehen), Akkumulator (als zentrale Datenstruktur auf die sich Verknüpfungsprozesse in früheren Prozessoren bezogen haben), bis hin zur Schaltwarte/Leitstand.

    Wikipedia: „Ein Leitstand (auch Leitwarte, Schaltwarte oder Messwarte genannt) ist eine technische Einrichtung (Leiteinrichtung), die den Menschen bei der Leitung eines Prozesses unterstützt. Er ist Teil eines Leitsystems.“

    Analogie zur Technik: Bewusstsein ist auch eine neurologisch – biologische Einrichtung die den Menschen bei der Leitung vieler Prozesse massiv unterstützt. Es ist Teil eines Leitsystems.

  305. @ Balanus
    @Wolfgang Stegemann

    Ich möchte in diesem Beitrag auf einige von Ihnen aufgeworfenen Fragen eingehen, die mit etwas Background in Nachrichtentechnik, Elektronik, Informatik mitunter recht banal erklärt werden können. Allenfalls sollte die Fragestellung an die technischen Realisierungsmöglichkeiten angepasst werden.

    Bewusstsein könnte gesehen werden, wie in meinem vorigen Beitrag, oder eben wie es die Mediziner sehen: „Der Patient verlor das Bewusstsein/ist wieder bei Bewusstsein.”

    „Wille“ würde bedeuten, dass eine „Instanz“, aus vorhandenen Mustern „schließt“ dass bestimmte „Muster“ aktiviert werden sollten.

    Ich sehe es im Prinzip wie Balanus.

    Wille wird eben üblicher Weise so verstanden, wie Balanus meint. Man kann alles philosophisch hinterfragen, man kann aber in einer Sackgasse landen, weil es keine reale Entsprechung geben muss, oder eben (noch) nicht verstanden werde kann.

    Der „Spielraum“ etwas „unwillkürlich“ zu tun, könne allerdings sehr wohl in den Mechanismen die den „Willen realisieren“ einprogrammiert sein.

    Dass der Begriff „Wille“ derzeit kein originär neurobiologischer ist, scheint mir auch klar. Der Begriff „Wille“ wird im technischen Sinne typisch als „Software“ (sozusagen aus etwas gelernten) realisiert. Und mit dem Softwarebegriff haben Neurologen die gleichen Probleme, wie früher „die alten Elektroniker“ die inzwischen „ausgestorben“ sind. Ich bin in diesem Sinne ein „junger Elektroniker“, obwohl ich schon alt und längst im Ruhestand bin.

    Das Libet Experiment beschreibt lediglich die zeitliche Differenz zwischen dem Beginn des Bereitschaftspotentials und der Angabe, sich zur Bewegung entschlossen zu haben. Daraus kann man Rückschlüsse auf die „Systemarchitektur“ ziehen, bzw. können existierende Thesen bestätigt werden.

    Herr Stegemann, ich habe sehr wohl versucht, Wille als Funktion zu sehen, die sozusagen durch ein „Computerprogramm“ realisiert wird, wie die „sinus Funktion“ im Taschenrechner. Im Sinne der Informatik sind ihre Aussagen bezüglich der Kategorien eher korrekt.

    „Balanus“, ich vermute, Herr Stegemann setzt, wie stets auch Herr Schleim, auf die korrekte Berücksichtigung der Kategorien, hier Hardware, Software und Prozesse. Menschen mit Informatik Background die programmieren mussten, kamen sozusagen in „Teufels Küche“ wären sie hier nicht sehr penibel vorgegangen. Die Kurslehrer haben mitunter sehr theatralisch, die „dicke Fehlerlist des Compilers“ der besonders bei Anfängern, auch die Kategorienfehler aufgedeckt hat, den „Schülern“ auf den Tisch geknallt. Das sind Fehler die eigentlich auch Philosophen vermeiden wollen.

    Seele, Charakter, Offenheit, Friedfertigkeit und so weiter, wird hauptsächlich „mit Software“ (mit Gelernten also Information, nicht „als Materie“ sondern „auf Materie“ (als Träger von Information, die aber keine Information ist)), realisiert.

    „Seele“ realisiert das „Unsterbliche im Menschen“, so wie Information, Software das weitgehend „Unverschrottbare in Computern“ realisiert.

    „Seele“ hat sogar eine mehrfache Fundierung im Menschen und in biologischen Systemen. Einerseits im genetischen, andererseits im Nervensystem der Menschen/Tiere. Offensichtlich auch im gesamten Mikrobiom, auch in Bakterien, Viren…. die alle in Wechselwirkung stehen. Grundlegend dürften, allgemein und abstrakt gesehen, gekoppelte „Zufallsgeneratoren“ sein.

    Unser (nicht materielles) Wissen wird mittels der synaptischen Verknüpfungen (den Mustern die sie bilden) „abgebildet“, damit vergleichbar wie Worte und Buchstaben mit Mustern aus Druckerschwärze auf Papier.

    Die für den Aufbau der Körperlichkeit erforderliche Information wird auf den Genen auf die allgemein bekannten Art abgebildet. Auch systematische Mutationen sind offensichtlich systemimmanent, um der Information ein Überleben zu sichern, auch wenn die durch Information entstandenen Objekte „verenden“.

  306. @Wolfgang Stegemann

    » Man müsste unterscheiden zwischen einer Affekthandlung und einer sprachlich abstrakten Handlung. «

    Unter einer Affekthandlung, die nicht willentlich (ohne Willensakt) erfolgt, kann ich mir etwas vorstellen, aber was mit der „sprachlich abstrakten Handlung“ gemeint ist, ist mir unklar.

    Der Lebenswille oder gar „Überlebenswille“ scheint mir noch weniger greifbar zu sein, als der „Wille“ zur Durchführung einer bestimmten Handlung. Der letztere geht bekanntlich einher mit einem vorbereitenden Bereitschaftspotential und ist insofern schon etwas völlig anderes als das Bestreben, einfach nur weiter zu leben. Dabei fällt mir ein: Wie ist es eigentlich bei Reflexbewegungen (z.B., wenn man die Hand von der heißen Herdplatte zurückzieht), gibt es da auch ein Bereitschaftspotential? Wurde das mal untersucht?

  307. @Elektroniker

    »Es kann sich sogar so verhalten, dass praktisch alle „Entscheidungen“ im neuronalen Netzwerk, sozusagen unterbewusst, fallen und nur in bestimmten Fällen zum „Bildschirm“ geführt werden.«

    Ja, so ähnlich dürfte die Sache ablaufen. Alle Aktionen werden irgendwo im Hirn initiiert, wobei dann die neuronale „Information“ sozusagen in zwei Richtungen läuft, einmal in Richtung der Erfolgsorgane, aber auch in Richtung andere Hirnhälfte, was dann mit dem Bewusstwerden einhergehen dürfte. Der Witz ist, dass im Hirn die Informationsleitung erheblich langsamer vonstattengeht als die Leitung (über das Rückenmark) zu den Erfolgsorganen.

    » „Seele“ realisiert das „Unsterbliche im Menschen“, so wie Information, Software das weitgehend „Unverschrottbare in Computern“ realisiert.«

    Na ja, da die Information der Software an bestimmte Strukturen gebunden ist, ist es mit dem „Unverschrottbaren“ wohl nicht allzu weit her…

    » Die für den Aufbau der Körperlichkeit erforderliche Information wird auf den Genen auf die allgemein bekannten Art abgebildet.«

    Letztlich ja, aber man darf dabei nicht übersehen, dass es beim „Aufbau der Körperlichkeit“ wesentlich auf die molekulare Selbstorganisation der biologischen Materie ankommt. Im Genom ist hauptsächlich die Information (a) zur Regulation der Genexpression und (b) die Abfolge Aminosäuren für die Biosynthese der Proteine codiert. Und dann gibt es noch jede Menge funktionslose DNA (sofern man die Aufrechterhaltung der chromosomalen Struktur nicht als „Funktion“ deutet).

  308. @ Balanus 28.05.2022, 21:40

    Zitat: „Der Witz ist, dass im Hirn die Informationsleitung erheblich langsamer vonstattengeht als die Leitung (über das Rückenmark) zu den Erfolgsorganen.“

    Dies erscheint naheliegend. Im Gehirn „laufen“ die Information abbildenden Signale (wegen der hohen „Neuronendichte“ und der „Systemarchitektur“) über sehr viele Synapsen und Neuronen, anders als in der Peripherie. Dabei werden die elektrischen Signale sozusagen in elektrischen „Kapazitäten aufintegriert“ bis zum Schwellwert, bei dem das Neuron „triggert“. Das benötigt etwas Zeit.

    Ähnliches, allerdings Zeit „verbrauchende“ chemische Prozesse, vermute ich bei der „Behandlung von Junk DNA“. Abgesehen von der Aufrechterhaltung der chromosomalen Struktur dürfte sie einen zeitlichen Einfluss auf die Genexpression nehmen.

    Mir ist aus der Technik bekannt, dass bei Prozessen oft die zeitliche Steuerung wichtig ist. Der Zündfunke im Automotor darf nur zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt, grob gesagt wenn der Kolben den „oberen Totpunkt“ „überwunden“ hat erfolgen.

    Eine „gewisse Zeitfolge“ spielt vermutlich zusätzlich auch beim Aufbau der Körperlichkeit, bei der Regulation der Genexpression eine Rolle, abgesehen von der „geordneten Sequenz“ (an Stelle des Oberarms könnten z.B an der Schulter Finger wachsen ….).

    Molekulare „Selbstorganisation“, halte ich für einen „tautologischen Begriff“. Nur, man möchte halt die grundlegenden Mechanismen doch etwas genauer verstehen. An sich schätze ich derartige Begriffe sehr, weil sie eigentlich nicht falsch sein können. Allerdings hatten Theologen die berufsmäßig an vielfältigen (fast tautologischen) „Wirklichkeitskonstruktionen gebastelt“ haben, mit der eigentlich naheliegenden „Weltscheibentheorie“ Pech.

    Ihre Sichtweise finde ich sehr interessant. Ich halte sie sozusagen sehr „Hardware orientiert“ wie sie den Neurologen und auch den „alten“ Elektronikern eigen war.

    Diese Sicht entspricht auch meiner ursprünglichen „Prägung“ aus der Ausbildung und ich kann sie daher gut nachvollziehen. Ich war aber sehr jung „gezwungen“ mich neu auszurichten, weil die hoch flexible Software gesteuerte Prozessortechnik in der Elektronik den „Siegeszug“ antrat.

    Mir ist aufgefallen, dass je älter und erfahrener die Kollegen die zur „Umschulung“ anstanden waren, desto größere Problem hatten sie mit der Umstellung. Sie hatten einerseits Probleme, dass die Information früher z.B. auf nur einer Leitung „analog“ geführt wurde wie beim Telefongespräch, sondern auf mehrere Leitungen, oder noch komplizierter, auf mehrere Zeitschlitze „digital“ auf gespaltet wurde. Es sozusagen auf die „Signalkombinationen“ ankam.

    Das andere Problem war, dass Information die „Vernichtung der Hardware“ überstehen kann. Dies gab es in der Elektronik so nicht.

    Dass derartiges aber prinzipiell möglich war, wurde mir noch als Kind klar. Ein Bundespräsident war gestorben und kurz nach der Todesmeldung im Radio wurde seine letzte Ansprache noch einmal übertragen. Ich war um 1950 völlig verwundert, wie ein Toter im Radio sprechen könne und mein Vater erklärte mir den technischen Sachverhalt. Information kann technisch umgewandelt, auch in Netzwerken vielfach gespeichert werden, wenn ein „Datenträger“ verschrottet wird kann wichtige Information praktisch jederzeit aus den Netzwerken rekonstruiert werden.

    Wenn Ihr Computer verschrottet wird, Ihre Beiträge werden in Computernetzwerken zumindest einige Zeit, weiter existieren.

  309. @Elektroniker / 29.05.2022, 15:26 Uhr

    » „Behandlung von Junk DANN“. Abgesehen von der Aufrechterhaltung der chromosomalen Struktur dürfte sie einen zeitlichen Einfluss auf die Genexpression nehmen. «

    Mit „zeitlichen Einfluss“ meinen Sie sicherlich die zeitliche Steuerung der Genexpression. Dafür wird der DNA-Datenmüll aber nicht gebraucht, denn dafür gibt es spezielle Regulatorgene (das sind nicht-kodierende Gene, also solche, die nicht für Proteine zuständig sind).

    »Molekulare „Selbstorganisation“, halte ich für einen „tautologischen Begriff“. Nur, man möchte halt die grundlegenden Mechanismen doch etwas genauer verstehen. «

    Seit etlichen Jahrzehnten wird erforscht, wie die selbstorganisatorischen Prozesse ablaufen. Schauen Sie sich z.B. das Geschehen in den Zellen an, etwa die Zellteilung, oder auch die Genexpression und die Proteinsynthese, das alles läuft selbstorganisatorisch ab. Nicht alles ist bis ins Letzte bereits verstanden, aber doch eine ganze Menge.

    » Wenn Ihr Computer verschrottet wird, Ihre Beiträge werden in Computernetzwerken zumindest einige Zeit, weiter existieren. «

    Mein erster Computer hatte keine Verbindung zum Netz, wenn der verschrottet wird, ist die im Betriebssystem oder auf der Festplatte gespeicherte Information perdu. Dass woanders die Information noch vorhanden sein kann, ist unbestritten.

    Ohne Hardware keine Software… :- )

  310. @ Balanus 29.05.2022, 19:02 Uhr

    Zitat: „Mit „zeitlichen Einfluss“ meinen Sie sicherlich die zeitliche Steuerung der Genexpression. Dafür wird der DNA-Datenmüll aber nicht gebraucht, denn dafür gibt es spezielle Regulatorgene (das sind nicht-kodierende Gene, also solche, die nicht für Proteine zuständig sind).“

    Das ist sehr interessant. So weit ich das mitbekommen habe, hat man früher alle „nicht Proteine kodierende Gene“ als „Junk“ bezeichnet.

    Ich bestreite natürlich nicht, dass es auch viele Gensequenzen geben dürfte, die nahezu bedeutungslos sind, weil sie entweder überhaupt nichts bewirken, oder nur mehr minimalen Einfluss auf z.B. die „Körperform“ oder den „Fingerabdruck“ nehmen.

    Ich habe nur gemeint, dass es nicht nur Umstände und Gene gibt die sozusagen direkten Einfluss, sondern besonders auch „nur zeitlichen“ Einfluss auf die Prozesssteuerung nehmen. Dass sozusagen das Geschehen auf der „Baustelle Mensch“ für einige Zeit „ruht“, weil mit Sicherheit „heikle Prozesse“ beendet sein müssen.

    So wie z.B. normalerweise bei einem Gebäude zuerst der Keller, danach das Erdgeschoss,… (der Umstände wegen) gebaut wird, danach die Fensterrahmen, …. sozusagen in einer vorgegebene „logischen Sequenz“ vorgegangen wird, sollte es noch weitere Steuerungsmechanismen geben die z.B. nur von der Zeit oder besonderen äußeren Umständen abhängig sind. Z.B. der Innenausbau beginnt, abgesehen vom Baufortschritt erst, wenn der Bauherr für den Rohbau gezahlt hat, oder zu einem bestimmten Datum.

    Auch weil mit Sicherheit viele komplexe Prozesse (was „logisch“ nur schlecht realisierbar ist), zwingend beendet sein müssen. Solange der Beton am Fußboden nicht fest genug ist, dürfen die Räume nicht von Arbeitern betreten werden. Die Glasfenster dürfen erst eingebaut werden, wenn halbwegs sicher ist, dass sie nicht mehr beschädigt werden können. Die Gartengestaltung kann nicht mitten im Winter erfolgen…

    Es müssen sozusagen wesentlich mehr allgemeine Steuerungsaufgaben sehr detailliert erfüllt, als immer wieder nur die gleichen Baustoffe produziert werden. Deswegen verwundert es mich nicht, dass es wesentlich mehr nicht die Herstellung der Proteine (Baustoffe) „steuernde“, sondern die den „Menschen herstellende“ Prozesssteuerende DNA gibt.

    Natürlich vermute ich auch, dass die Evolution auf „DNA Information komprimierende Verfahren“ gestoßen ist, weil angeblich z.B. Bananen mehr DNA „brauchen“ als Menschen.

    Ein „banaler“ Mechanismus z.B. wären, sozusagen „Schleifenkonstrukte“ im Sinne der Informatik.

  311. @Balanus / 19.05.2022, 22:01 Uhr

    »Bislang habe ich dem Attribut „selbstreferenziell” keine besondere Bedeutung beigemessen.«

    Offensichtlich. Dass Selbstreferenz ein Schlüsselkonzept ist hinsichtlich der Problematik mit dem ich-Bewusstsein, ist allerdings keine ganz neue Idee, und Hofstadter war auch nicht der erste und einzige, der darauf verfallen ist. Humberto Maturana hatte das bereits in seinem Aufsatz Biology of cognition (1970) [PDF] ebenfalls als ein hierbei wesentliches Konzept präsentiert.

    Wenn ich dereinst schrieb, Hofstadter habe womöglich mehr Einsicht zum ich-Bewusstsein beigetragen als sonst irgendwer, dann ist das sicherlich nicht so ganz gerechtfertigt. Da wären der Korrektheit halber schon noch ein paar andere zu nennen, die auf etwas anderen Wegen mit anderen Denkansätzen zu durchaus vergleichbaren Einsichten gelangt sind, das sollte man nicht vergessen.

    Dass Du Dich hier noch von Deinem Crick-Trip abbringen lässt, ist wohl eher unwahrscheinlich, wenn Dir die innere Bereitschaft fehlt, einmal “out of the Crick-box” zu denken und die ausgefahrenen gedanklichen Wege zu verlassen. Immerhin hat sogar Christof Koch das offenbar geschafft (wenngleich seine Hinwendung zu Tononi und dessen IIT ihn meines Erachtens erneut auf einen Holzweg führt). Wenn Maturana Dir dazu keine Inspiration oder Motivation bringt, dann weiss ich allmählich auch nicht mehr, wer Dir da noch helfen könnte.

  312. Wäre es nicht interessant, Selbstorganisation von innen zu beschreiben. Denn bisher ist es ja nur ein Begriff, der ein Phänomen (von außen) thematisiert. Wie funktioniert aber (lebende) Selbstorganisation, was sind die inneren Regeln?

  313. @Stegemann 02.06. 12:30

    „Wie funktioniert aber (lebende) Selbstorganisation, was sind die inneren Regeln?“

    Genau das ist es doch, was wirklich interessant ist. Hier gibt es auch gleich mehrere Baustellen. Einmal die Regulation der gesamten Zellchemie, dann Wachstum und Pflege des ganzen Organismus und speziell dabei die Funktionalität des Gehirns mitsamt den zu beobachtenden Innenwelten.

    Wenn wir jetzt noch geistige Mitwirkung auf diesen Ebenen haben, dann werden wir die wahrscheinlich mitberücksichtigen müssen. Wenn diese keine Rolle spielen, dann natürlich nicht. Wir werden sehen, schätze ich mal, was eben genau eine umfassende Analyse dieser Selbstorganisation auf den einzelnen Ebenen ergibt.

    Psychologisch betrachtete Innenwahrnehmung wird jedenfalls mit zu den Systemen gehören, und auf dem Weg der Aufklärung der Selbstorganisation der Systeme seine Rolle spielen.

  314. @Jeckenburger:
    Wenn man davon ausgeht, dass Leben nicht auf seine Bausteine reduziert werden kann, da man sonst erklären müsste, wie aus toten Bausteinen (Atome, Moleküle) Leben entsteht, muss Leben also aus der Art und Weise entstehen, wie diese toten Bausteine zusammenarbeiten. Art und Weise bedeutet also eine strukturelle Eigenschaft. Lebendige Selbstorganisation ist also eine Struktureigenschaft, manche nennen es auch Emergenz. Man muss also nach den inneren Mechanismen dieser Struktureigenschaft suchen, die diese von außen beobachtbaren Eigenschaften von Selbstorganisation hervorbringt, wie etwa Adaption, Evolution oder die Aufrechterhaltung der Systemstabilität. Ich versuche gerade, diese Mechanismen zu beschreiben.

  315. @Stegemann 03.06. 10:44

    „Man muss also nach den inneren Mechanismen dieser Struktureigenschaft suchen, die diese von außen beobachtbaren Eigenschaften von Selbstorganisation hervorbringt, wie etwa Adaption, Evolution oder die Aufrechterhaltung der Systemstabilität.“

    Genau. So sind unsere Blutgefäße als Rohrleitungen implementiert, und entsprechend in der Lage, dafür zu sorgen, dass das Blut im ganzen Körper zirkuliert. So wie eine Zentralheizung, die Wärme in einer ganzen Wohnung verteilt.

    Entsprechend sind psychologische Fakten, dabei insbesondere die innere Erlebniswelt, auch Strukturelemente, ohne die der gesamte Organismus nicht funktionieren könnte.

    Wir sind von einer Aufklärung dieser Strukturelemente wohl in vielen Bereichen noch weit entfernt. Neben der Zellchemie ist insbesondere die Psyche sehr komplex und undurchsichtig, weil sie eben evolutionär gewachsen ist und nicht auf Verständlichkeit hin konstruiert wurde.

    Unsere technischen Systeme sind immer so gebaut, dass wir sie noch verstehen können. Jeder Programmierer hat viel damit zu kämpfen, dass er in seinen eigenen Programmen noch den Überblick behält, und große Projekte, die die Mitarbeit von ganzen Programmierabteilungen brauchen, müssen gut organisiert sein. Die evolutionäre Natur ist hier anders, sie übernimmt alles, das funktioniert, und häuft über die Jahrmillionen immer mehr Tricks an, die neue Funktionen mit der vorhandenen Systemstabilität vereinbaren können.

    So haben wir dann im Endergebnis ein höchst stabiles System, dass mit den vielfältigsten Störungen klar kommt, und sich dabei immer neuen Herausforderungen stellen kann. Nur auf Verständlichkeit hin ist es nicht konstruiert. Vieles ist offensichtlich und einfach zu verstehen, z.B. der Rohrleitungscharakter der Blutgefäße. Anderes dagegen, etwa wer konkret an Covid19 stirbt und wem die Erkrankung nichts ausmacht, das ist nicht so einfach festzustellen. Hier kann man nur zugucken, was passiert, wenn sich jemand mit dem Virus ansteckt. Und Beatmen, falls es kritisch wird, oder vorher alle Impfen. Speziell die Menschen vorher ermitteln, die im Falle einer Infektion schwer erkranken, ist nicht möglich, man kennt hier nur ein paar Risikofaktoren.

  316. @Chrys // 01.06.2022, 11:22 Uhr

    » “out of the Crick-box” «

    Mir scheint, es ist notwendig, noch einmal den Satz zu zitieren, um den es hier nach wie vor geht:

    “You,” your joys and your sorrows, your memories and your ambitions, your sense of personal identity and free will, are in fact no more than the behavior of a vast assembly of nerve cells and their associated molecules.

    Noch immer weiß ich nicht, was an diesem Satz auszusetzen wäre, was daran faktisch falsch sein soll (außer diesem “no more than“). Zumal er ja gegen Auffassungen gerichtet ist, die z. B. das „Ich“ und den „freien Willen“ für etwas Mentales halten und meinen, Verhalten sei von mentalen Vorgängen verursacht (indem sie auf das biologische Substrat einwirken, oder so ähnlich).

    Weder bei Hofstadter noch bei Maturana finde ich Aussagen, die Cricks Behauptung, so wie eben skizziert, in Frage stellen oder gar widersprechen würden.

    Und dann soll ich mich ausgerechnet vom radikalen Konstruktivisten Maturana inspirieren lassen?! Etwa so wie seinerzeit Gerhard Roth? Maturana betrachtet Kognition als ein rein biologisches Phänomen und geht zudem von einem geschlossenen Nervensystem aus, d.h., laut ihm gibt es da weder Input noch Output. Dagegen sind meine Ansichten ja noch moderat.

    Ich vermute mal, Du hast den verlinkten Maturana-Text (Danke dafür!!!) überhaupt nicht gelesen, oder? (Ich habe ihn zumindest überflogen, und ja, es kommt einige Male der Begriff ‚selbstreferenziell‘ drin vor. ;- )

  317. @ all:

    Werbung für ein Buch, das hier gut passt: https://scienceblogs.de/gesundheits-check/2022/06/06/psychologie-gesellschaft-und-subjektivitaet-eine-rezension-in-sieben-zeilen/

    @ Wolfgang Stegemann, Kommentar 11.2.2022, 8:27:

    Habe Ihren Kommentar leider erst jetzt gesehen. Mit Qualia hat sich Holzkamp meines Wissens in der Tat nicht beschäftigt. In seiner Psychologie vom Subjektstandpunkt aus geht es bei der Perspektive erster Person um Handlungsgründe, die (prinzipiell) intersubjektiv verständlich sind.

    Beim Qualia-Thema wird dagegen die Nichteliminierbarkeit der Perspektive erster Person gerade mit einer intersubjektiv unzugänglichen Erlebnisqualität begründet. Ein interessanter Punkt, weil Holzkamp seinen Ansatz mit Blick auf die spezifisch menschliche Ebene des Psychischen entwickelt hat, während das Qualia-Thema, siehe Thomas Nagels Fledermaus, organismisch unspezifisch ist.

  318. Klaus Holzkamp hat das Subjekt in den Mittelpunkt gestellt, allerdings eher aus einer gesellschaftlichen Perspektive [ich habe ihn auf dem Kongress kritische Psychologie in Marburg getroffen, er war damals eine Kultfigur]. Mein Doktorvater Wolfgang Jantzen, den man zum erweiterten Kreis der Kritischen Psychologie rechnen kann, setzte das Subjekt ebenfalls in den Mittelpunkt, allerdings aus einer subjektiven Perspektive. Beides hat nichts mit der Qualia zu tun, wie wir oben festgestellt haben, denn bei ihr geht es um das persönliche individuelle Empfinden, das der wissenschaftlichen Forschung nicht zugänglich ist, was ja auch Thomas Nagel bereits festgestellt hat. Natürlich kann man die Qualia durch statistische Korrelationen operationalisieren. Es löst aber nicht Chalmers schweres Problem des Bewusstseins, also die Frage, wie aus Materie Empfindungen entstehen. Die ist nämlich genauso sinnlos, wie die Frage, warum das Universum existiert.

  319. @Stegemann: Subjektivität und Bewusstsein

    Inwiefern “das persönliche individuelle Empfinden” wissenschaftlicher Forschung zugänglich ist, müssen wir bei Gelegenheit noch einmal ausdiskutieren; ebenso wie die Frage nach dem materiellen Substrat von Bewusstsein.

    In der Zwischenzeit meine neueste Arbeit als Lese-Tipp: Stable Consciousness? The “Hard Problem” Historically Reconstructed and in Perspective of Neurophenomenological Research on Meditation

  320. P.S. Für die Frage, was wissenschaftlicher Forschung zugänglich ist, muss man natürlich auch mehr über die Voraussetzungen wissenschaftlicher Forschung sagen. Hierzu äußerte sich schon Wilhelm Wundt, Gründervater der Experimentellen Psychologie. (Mehr dazu im verlinkten Artikel.)

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