Spiegelneuronenmythen: Neuroskeptizismus in der Diskussion – Teil 2

Arvid Leyh widmete sich in seinem Braincast der jüngsten Kritik an der Hirnforschung, die manchmal als „Neuroskeptizismus“ bezeichnet wird. Seine Thesen über den Sinn und Unsinn dieser neuen Bewegung werden hier bei MENSCHEN-BILDER auf den Prüfstand gestellt: Wie ist es um die Aussagekraft bildgebender Verfahren der Hirnforschung bestellt, was wird alles mit Verweis auf Spiegelneuronen erklärt und ist der Materialismus die einzige wissenschaftliche Sichtweise auf den Menschen?

Arvid Leyh schilderte in seinem Braincast, dass „Neuroskeptizismus“ gerade „in“ ist. In der Tat häufen sich in letzter Zeit kritische Beiträge, vor allem über die Aussagekraft bildgebender Verfahren der Hirnforschung im Kontext der Kognitions- und Emotionsforschung. Im ersten Teil meiner Replik wurde diese Entwicklung bereits besprochen und wurde darauf eingegangen, dass Leyh die neue Neuro-Kritik für wenig originell hält; im zweiten Teil geht es jetzt um das Beispiel der sogenannten „Spiegelneuronen“.

Spiegelneuronenmythen

Seine weitgehend ablehnende Haltung gegenüber dem Neuroskeptizismus – nennen wir sie vielleicht Neuroskeptizismusskeptizismus oder schlicht Neurophorie? – macht Arvid Leyh nicht nur an der im ersten Teil besprochenen abstrakten Diskussion der bildgebenden Hirnforschung, sondern auch an konkreten inhaltlichen Diskussionen fest, beispielsweise an der Debatte um die „Spiegelneuronen“.

Wenn ich ihn richtig verstanden habe, dann wirft er den Kritikern vor, dass sie sich hier auf einem Nebenschauplatz bewegten: Eigentlich gehe es in diesem Forschungsgebiet nämlich gar nicht um Empathie, Imitation, Lernen und so weiter, sondern um das Erklären der Theory of Mind – wie wir das Verhalten anderer interpretieren und verstehen.

Worum es bei den Spiegelneuronen eigentlich ging

Erinnern wir uns noch einmal daran, was die eigentliche Definition von „Spiegelneuronen“ ist und wie diese sich von einer anderen Art von Neuronen unterscheiden, den sogenannten kanonischen Neuronen:

There are two classes of visuomotor neurons in monkey area F5: canonical neurons, which respond to the presentation of an object, and mirror neurons, which respond when the monkey sees object-directed action (Rizzolatti & Luppino 2001). In order to be triggered by visual stimuli, mirror neurons require an interaction between a biological effector (hand or mouth) and an object. The sight of an object alone, of an agent mimicking an action, or of an individual making intransitive (nonobject- directed) gestures are all ineffective. (Rizzolatti & Craighero, 2004, Annu. Rev. Neurosci. 27, p. 170)

Spiegelneuronen sollten fast alles erklären

Rizzolatti, unter dessen Leitung die „Spiegelneuronen“ am neurowissenschaftlichen Institut der Universität Parma in den frühen 1990er Jahren entdeckt wurden, und Craighero unterscheiden also aufgrund der gemessenen elektrischen Antworten zwei Arten visuomotorischer Neuronen: Die kanonischen Neuronen feuern dann, wenn das Versuchstier Objekte sieht; die „Spiegelneuronen“ feuern dann, wenn das Versuchstier ein Objekt und eine zielgerichtete Handlung sieht.

Schaut man sich jetzt etwa den englischsprachigen Wikipedia-Artikel über die „Spiegelneuronen“ im Affen an, dann kann man schnell ins Stutzen geraten, denn neben dem Text prangert ganz oben ein niedliches Affenbaby, das ein Mensch in Händen hält; und die Fotos legen nahe, dass erst der Mensch die Zunge herausstreckt, woraufhin das Affenbaby die Geste wiederholt. In der Bildunterschrift geht es ausdrücklich um Imitation. Was hat das bitteschön mit der Definition zu tun, die wir gerade gelesen haben? Was soll das Objekt sein, mit dem hier wer interagiert? Etwa die Zunge?

Die Metapher des Spiegels – vielleicht von manchen etwas zu wörtlich genommen?
Die Metapher des Spiegels – vielleicht von manchen etwas zu wörtlich genommen? Quelle: Annamartha / pixelio.de

Nicht weniger überraschend ist die Auflistung möglicher Funktionen dieser Art Neuronen: erstens, Verstehen von Absichten; zweitens, Empathie; drittens, menschliches Selbstbewusstsein; viertens, Sprache; fünftens, automatisches Imitieren; sechstens, motorisches Spiegeln; siebtens, Autismus, achtens, Theory of Mind; und schließlich neuntens, Genderunterschiede.

Bruch zwischen Grundlagenforschung und Erklärungshype

Arvid Leyh hat zwar damit recht, wie er die ursprüngliche Forschung zu den „Spiegelneuronen“ darstellt. Den Vorwurf, sich auf einen Nebenschauplatz verirrt zu haben, kann man den Neuroskeptikern aber wohl nicht machen, denn schließlich waren es zuallererst auch Forscher selbst und dann Heerschaaren von Wissenschaftsjournalisten und -publizisten, die das Konzept für alle möglichen menschlichen Fähigkeiten verwendeten, ja vermarktet haben.

Sucht man etwa im Buchhandel nach „Spiegelneuron“, dann stehen ganz oben auf der Liste: „Warum ich fühle, was du fühlst: Intuitive Kommunikation und das Geheimnis der Spiegelneurone“, gefolgt von „Empathie und Spiegelneurone: Die biologische Basis des Mitgefühls“, „Woher wir wissen, was andere denken und fühlen: Das Geheimnis der Spiegelneuronen“ und schließlich an vierter Stelle „Unser empathisches Gehirn: Warum wir verstehen, was andere fühlen“.

Wichtig ist hierbei, dass alle dieser Bücher von Universitätsprofessoren geschrieben wurden, von denen drei maßgeblich selbst an der Erforschung der „Spiegelneurone“ beteiligt waren und sind.

Neuroskepzitismus an Spiegelneuronentheorien ist berechtigt

Das zweite, „Empathie und Spiegelneurone“, wurde gar vom Spiegelneuron-Mitentdecker Rizzolatti höchstpersönlich geschrieben und ist 2008 in der angesehenen unseld-Edition des Suhrkamp Verlags erschienen. Erstaunlich ist daran vor allem, dass in der oben kurz zitierten Übersichtsarbeit aus dem Jahr 2004 aus der renommierten Fachzeitschrift Annual Reviews of Neuroscience mit dem Titel The Mirror-Neuron System (PDF) das Wort „Empathie“ überhaupt nicht vorkommt, kein einziges Mal! Auch „Emotion“ wird auf dreißig Seiten nur einmal und auch nur am Rande erwähnt!

Sollte es wirklich innerhalb von nur vier Jahren so einen Erkenntnisfortschritt gegeben haben, dass man bereits 2008 und dann schon fertig in deutscher Übersetzung, nachdem 2004 in der Übersichtsarbeit für die Forscherkollegen mit keinem Wort von Empathie die Rede war, plötzlich der Öffentlichkeit nichts Geringeres als eine Erklärung der „biologischen Basis des Mitgefühls“ anbieten kann? Oder sind hier vielleicht ein paar Kollegen auf den Neuro-Zug in voller Fahrt aufgesprungen, um eine schöne Geschichte zu erzählen, was die neuen Neuroskeptiker nun kritisieren? Ist die eigentliche Geschichte um die „Spiegelneuronen“ vielleicht so langweilig, dass man damit keinen Bestseller landen kann?

Lieber schnell als gut

In der Wissenschaft wird eben leider nicht immer nur derjenige belohnt, der eine gute und vor allem gut begründete Idee hat, sondern auch derjenige, der als Erster eine zwar sehr weitreichende aber nur sehr vage unterbaute Idee vorschlägt. Hauptsache, man steht schon einmal in der Zitationsdatenbank, auch wenn sich der eigene Vorschlag hinterher als unsauber oder gar falsch erweist. Daran muss nichts verkehrt sein, in der Forschung geht es schließlich auch um das Aufstellen und Testen von Hypothesen, doch Spekulation möge bitte auch deutlich als solche gekennzeichnet werden.

Im Übrigen hat bereits 2009 Gregory Hickok nicht weniger als acht Probleme der Spiegelneuronentheorie als Erklärung in ihrem ursprünglichen Sinne, nämlich des Verstehens zielgerichteter Handlungen, identifiziert. Bei dieser im Journal of Cognitive Neurosciences erschienenen Arbeit könnte es sich um dem ersten in einer angesehenen Fachzeitschrift publizierten neuroskeptischen Beitrag zu „Spiegelneuronen“ handeln; und gemessen an seinen Zitationen schlug er in der Fachwelt ein wie eine Bombe: Mehr als hundertmal haben Forscher ihn in der kurzen Zeit bereits zitiert.

Kritiker haben es viel schwerer

Wenn es nicht so wäre, dass man demjenigen, der eine Idee kritisiert, eine viel höhere Beweislast aufbürdet, als demjenigen, der sie zuallererst aufwirft (und: verkauft), dann gäbe es auch an erster Stelle schon viel weniger zu kritisieren. Dabei sollte doch gerade Wissenschaft ihrem Wesen nach kritisch sein, um sie von reiner Spekulation zu unterscheiden. Kritiker werden aber häufig als Nestbeschmutzer diffamiert; in diesem Sinne sei an Kurt Tucholskys Zitat aus dem Jahr 1922 gedacht:

Im übrigen gilt hier ja derjenige, der auf den Schmutz hinweist, für viel gefährlicher als der, der den Schmutz macht. (Kurt Tucholsky in einem Brief an Herbert Ihering vom 10. August 1922)

Man kann und sollte sich durchaus über den Sinn und Unsinn der einzelnen Neuroskepsis auseinandersetzen, doch der Vorwurf, dass diese sich nur mit Nebenschauplätzen befassen, sozusagen einen Strohmann aufbauen und dann mit Leichtigkeit niederbrennen, scheint mir gerade beim Beispiel der „Spiegelneuronen“ unberechtigt – es war höchste Zeit, dass man damit beginnt, mit ein paar breit kommunizierte Missverständnissen aufzuräumen. Im dritten Teil der Serie geht es dann um den Materialismus-Dualismusstreit.

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47 Kommentare

  1. Thomas Nagel veröffentlichte 1974 ´What is it like to be a bat?` (Wie ist es, eine Fledermaus zu sein?): Wir können nie die Erlebniswelt eines anderen Lebewesens verstehen.
    Die Idee, wir würden andere Lebewesen ´spiegeln´ und könnten dadurch deren Verhalten verstehen, hätte auf Basis dieses Artikels eigentlich von Anfang an als fragwürdig beurteilt werden müssen. Dass dies nicht geschehen ist, ist ein wissenschaftliches Versäumnis.

  2. Naja – auch wenn wir uns nicht wirklich zu einhundert Prozent in die Perspektive eines anderen versetzen können, interpretieren wir doch laufend Verhalten; dagegen hat meines Erachtens auch Nagel keine Einwände. Ob dafür nun “Theory of Mind” das passende Konzept ist, sei einmal dahingestellt.

    Was die biologische Basis dafür ist, das Verhalten anderer zu interpretieren, steht hier ja gerade zur Diskussion; warum “Spiegelneuronen” meines Erachtens keine gute Erklärung dafür sind, habe ich im Text angedeutet.

  3. Es ist irgendwie ein Dilemma, das durch die marktorientierte publish-or-perish Forschungspolitik noch katalysiert wird: “Bahnbrechende” Erkenntnisse sind für die Forscher der heutigen Generation überlebenswichtig. Eine vorsichtige, abwägende Interpretation ist dabei üblicherweise ein Garant für eine Ablehnung bei Nature, Science und co. Übertreibungen werden also belohnt.

    Soweit nichts neues, aber nun kommt die Folgereaktion, die das ganze noch potenziert: Übers Ziel schießende Arbeiten werden nicht nur von Trittbrettfahrern zitiert, sondern eben auch den Kritikern. Die Zitationen kritikwürdiger Arbeiten mit hlatlosen Theorien schießen damit in die Höhe. Unglücklicherweise gibt die Zitationsanzahl – gegenüber sauberer Forschung, an der es weniger zu kritisieren gibt – ein verzerrtes Bild wieder (denn Zitation ist “eindimensional”, ein Maß für die “Beachtung” in der community, ob positiv oder negativ wird nicht berücksichtigt. Vielleicht findet sich die ein oder andere Parallele in diesem Blog?). Die Unterbringung des Artikels im high-impact-Faktor Journal wird dadurch weiter bestätigt.

    Im Extremfall entsteht daraus ein mal weniger mal mehr gewolltes sich selbst erhaltendes und mit sich selbst beschäftigtes System. Ein Disput wird unnötig lange aufrecht erhalten, damit zwei “verfeindete” Positionen beiderseits davon profitieren können (obwohl die Wahrheit meist irgendwo in der Mitte liegt, siehe den mit der mirror neuron Debatte verwandeten “embodied vs. disembodied cognition” Streit).

    Witers zum Blogbeitrag:
    Die ersten Kritiken erschienen schon deutlich früher als 2009, nämlich bereits 2005 nach dem Erscheinen von Rizzolatti & Craigheros Review (eine von Rebecca Saxe, ein weiterer von Jacob & Jeannerod, sowie ein Buchartikel von Gergely Csibra). Bewähnenswert dabei finde ich, dass hier schon die theoretischen Unzulänglichkeiten des “direct matching” Prinzips (das den mirror neurons zugrunde liegen soll) thematisiert werden.

    Weiterhin finde ich gerade hier in diesem fMRI-kritischen Blog eine Tatsache erwähnenswert: Vor dem Hype um die mirror neurons erschienen bereits eine Menge fMRT Studien unterschiedlichster Couleur, die eine Aktivität im prämotorischen Kortex (PMC) entdeckten. Die logische Interpretation war, dass der PMC (dessen Bezeichnung anatomische und historische Gründe hat) eben nicht bloß genuin motorische Funktionen beherbergt, sondern auch weitere kognitive Funktionen ausübt. In der mirror neuron communtity wurde die Interpretation umgedreht: Der PMC bleibt rein motorisch, dafür sind die kognitiven Funktionen primär “motorisch”. Ein fatales Beispiel reverser Inferenz.

  4. Vielen Dank für diesen interessanten Beitrag, Diana. Dass Saxe schon 2005 einen kritischen Artikel zu “Spiegelneuronen” publiziert hat, das überrascht mich; da hat sie meiner Erinnerung nach noch bei Kanwisher gearbeitet und die hat sie ja durchaus nicht gescheut, manchmal sehr kritisch aufzutreten.

    Der eigentliche Skandal bei dem Impact-Game ist doch, dass so viele Forscherinnen und Forscher, mutmaßlicherweise schlaue Leute, dieses falsche Spiel so lange mitspielen und damit am Leben erhalten. Mich hat schockiert, wie wenig der Durchschnittsforscher überhaupt weiß, wie diese Zahlen, die Karrieren entscheiden, zustande kommen.

    Viele wissen z.B. nicht, dass es eine rein willkürliche Entscheidung ist, dass im Impact Factor nur die Zitationen der letzten zwei Jahre eine Rolle spielen. Ferner, wenn man nicht den Mean-, sondern den Medianwert nimmt, dann haben viele Fachzeitschriften einen höheren Impact Factor als Science und Nature. Bei Nature werden nämlich ca. die Hälfte der Arbeiten überhaupt nicht zitiert. Dieser determinierende Qualitätsmaßstab ist ein irrsinniges Konstrukt!

    So, ich fahre gleich über die Grenze und muss hier aufhören; wird sonst zu teuer. Allen einen schönen, kritischen Sonntag!

  5. Diesmal verstehen wir uns nicht, Stephan.
    Oder andersherum: ich stimme Dir zu (viel besser :)!
    Das kommt in der Episode so auch hoffentlich rüber.

    Was offensichtlich nicht rüberkommt, ist dieser Automatismus, mit dem Neuroskeptiker auf die immerselben Themen reagieren. Oft zu Recht, klar, wie hier. Aber was dieser Braincast sagt ist: zeig dem Neuroskeptiker das Wort Spiegelneurone (Reduktionismus, fMRI …), und er springt drauf.
    QED

    Dann an solchen Fragmenten die Hirnforschung in ihrer Gesamtheit anzuzweifeln – und das geschieht, sobald Ihr Eure Überschriften (Neurohype ect) auspackt – ist ein Reduziermus, der an Wahlkampfrhetorik grenzt.

    Damit nicht auch das untergeht: Für den 3. Teil würde ich mir nicht die üblichen “So-kann-es-doch-gar-nicht-sein!”s wünschen, nicht die Ausflüge in theoretische Konstrukte, sondern ein greifbares Konzept dessen, wie Du das Verhältnis von Geist und Gehirn siehst.

  6. Aus der Tatsache, dass etwas Neuroskeptizismus sinnvoll ist, folgt ja nicht, dass der gesamte Neuroskeptizismus geistreich und sinnvoll wäre; und aus der Tatsache, dass es lange Zeit einen Hype um die psychologische Aussagekraft der fMRT ging, folgt auch nicht, dass die gesamten Neurowissenschaften nur ein Hypephänomen wären – sind sie nicht.

    Dass Neuroskeptizismus nicht immer übertrieben ist, siehst du allein schon daran, dass sich manche gestandene Neurowissenschaftler daran beteiligen, zum Beispiel Stephen Rose (Vortrag auf der 11. EMBO EMBL Konferenz über Science & Society 2011 in Heidelberg); der hat sein Leben lang Nervenzellen von Hühnern untersucht, um zu verstehen, wie Gedächtnis/Lernvorgänge bei ihnen funktionieren; er äußert sich sehr bescheiden darüber, wie weit er dabei gekommen ist.

    Im ersten Teil habe ich schon ein paar Kollegen genannt, die sehr früh vor Übertreibungen der fMRT gewarnt haben. Der Begriff “Neuroskeptizismus” wurde wohl zuerst von einem Neurologieprofessor geprägt, siehe ebenfalls dort.

    Damit nicht auch das untergeht: Für den 3. Teil würde ich mir nicht die üblichen “So-kann-es-doch-gar-nicht-sein!”s wünschen, nicht die Ausflüge in theoretische Konstrukte, sondern ein greifbares Konzept dessen, wie Du das Verhältnis von Geist und Gehirn siehst.

    Das Gehirn ist wohl nach allem, was wir bisher wissen, notwendig für den Geist; ferner gehen Veränderungen im Gehirn manchmal mit messbaren Veränderungen im Geist einher und Veränderungen im Geist gehen häufig mit messbaren Veränderungen im Gehirn einher. Das, was wir noch nicht wissen, sollten wir dann auch deutlich als Spekulation beziehungsweise Metaphysik kennzeichnen; oder einfach schweigen, bis wir es besser wissen. Damit wäre dann auch der Neuroskeptizismus überflüssig.

  7. Thomas Nagel ist meines Wissens Philosoph und hat mit diesem Artikel auch versucht, etwas philosophisches zu beweisen. Er vertritt dort einen Anti-Reduktionistischen Standpunkt.

    Die Frage lautet aber: Wie viele Neurowissenschaftler haben diesen Artikel wirklich gelesen, ja wie viele kennen ihn überhaupt?
    Lese ich die Zeitungen und manche Online-Artikel, dann bekomme ich den Eindruck, die Neurowissenschaftler arbeiten sich bei Argumenten gegen den Anti-Reduktionismus eher an Descartes ab. Also an einer Philosophie, die jetzt über 200 Jahre alt ist und die nur noch von einer Minderheit – wahrscheinlich meinst philosophisch ungeschulter – Menschen vertreten wird.
    Wenn dabei impliziert wird, dass man den Standpunkt aller Philosophen einer “wissenschaftlichen Kritik” unterzogen hat, handelt es sich ebenfalls um einen Strohmann. Es gibt schließlich so viele verschiedene philosophische Auffassungen, die für sich argumentieren, dass man kaum alle widerlegen kann. Der heutige Anti-Reduktionismus basiert eher auf der Annahme einer Art “irreduktibelen Komplexität” wie Emergenz usw.

  8. @Arvid Leyh

    Aber was dieser Braincast sagt ist: zeig dem Neuroskeptiker das Wort Spiegelneurone (Reduktionismus, fMRI …), und er springt drauf.

    Das ist vermutlich eine sehr ernstzunehmende Kritik.
    Trotzdem muss man sagen: Wenn ein bestimmtes Problem, das Zweifel aufwirkt, nicht behoben ist, muss man es keineswegs übergehen.
    Vielleicht verbirgt sich dahinter der Schlüssel zu weiteren, interessanten Erkenntnissen?

    nicht die Ausflüge in theoretische Konstrukte, sondern ein greifbares Konzept dessen, wie Du das Verhältnis von Geist und Gehirn siehst.

    Muss man ein besseres Konzept des Geistes haben, um ein anderes zu kritisieren?

  9. Ich finde die Theorien von Descartes, aber so plump wie er immer wieder dargestellt wird war auch sein Dualismus nicht. Eine meiner Meinung nach extrem unwahrscheinliche Theorie, aber nicht zu beweisen.

    Auch Descarted geht von einem sehr engen Zusammenhang zwischen Zustand im Gehirn und Geist aus. Mit dem Geist in der Maschine wird das eher lächerlich gemacht.

  10. @Stephan Schleim

    »Dass Neuroskeptizismus nicht immer übertrieben ist, siehst du [Arvid] allein schon daran, dass sich manche gestandene Neurowissenschaftler daran beteiligen, zum Beispiel Stephen Rose (Vortrag auf der 11. EMBO EMBL Konferenz über Science & Society 2011 in Heidelberg);… «

    Danke für den Link zu dem Rose-Vortrag, die Machart dieser „Mediasite“ erscheint mir vorbildlich.

    Ich habe nicht alles gehört, was Steven (sic!) Rose da vorträgt, aber auf Grundlage der Slides wäre ich wohl niemals auf den Gedanken gekommen, Rose unter den Neuroskeptikern einzuordnen.

    Wahrscheinlich liegt das daran, dass für mich „Neuroskeptiker“ einfach eine negative Konnotation hat und ich deshalb vernünftige kritische Fragen einfach nicht mit diesem Begriff verbinden kann.

    Egal, zu Deiner Antwort auf Arvid Leyhs Frage nach Deinem Konzept für das Verhältnis von Gehirn und Geist:

    Wenn ich statt Gehirn „Lampe“ und statt Geist „Licht“ nehme, dann wird Deine Antwort zu folgendem:

    Die Lampe ist wohl nach allem, was wir bisher wissen, notwendig für das (Lampen-)Licht; ferner gehen Veränderungen bei der Lampe manchmal mit messbaren Veränderungen im Licht einher, und Veränderungen im Licht gehen häufig mit messbaren Veränderungen in der Lampe einher.

    Beim Verhältnis von Lampe und Licht haben wir keine Veranlassung, agnostisch zu sein. Schon deshalb nicht, weil das Licht etwas völlig anderes ist als das, was wir als Geist bezeichnen. Wenn wir bei der Analogie bleiben wollen, dann wäre der Geist der Lampe das, was die Lampe empfindet und erlebt, wenn genügend Strom fließt. Das Licht könnte dann als Ausdruck des inneren Erlebens, des Geistes der Lampe aufgefasst werden. Insofern entspräche das Licht den menschlichen Äußerungen, es ist das einzige, was empirisch zugänglich ist. Über einen zugrundeliegenden „Geist“ können wir nichts wissen (außer bei uns selber ;-)).

  11. Danke für den Link zu dem Rose-Vortrag, die Machart dieser „Mediasite“ erscheint mir vorbildlich.

    Ich sehe hier nur eine vorwiegend leere Seite und auf dieser die Meldung „Mediasite Play Error
    Version 6.1.11 Build 2249

    An unknown error has occurred. Please contact your system administrator for more information.“

    Ich habe bereits mit mir als meinem system administrator Verbindung aufgenommen, mir war aber nicht zu helfen.

  12. @Balanus: Herzlichen Glückwunsch. Ich sitze nun an einem anderen Rechner. Jetzt stellt sich das Problem wie folgt dar:

    “To view this content, please install Microsoft Silverlight

    The Mediasite presentation cannot be played back.”

    Das bestätigt nur die Theorie, dass sich mit dem Ausscheiden der Gründer von Technologieunternehmen, möglicherweise der Aktienkurs nicht aber die Unbenutzbarkeit der Produkte bessert.

  13. “Nestbeschmutzer”

    Der Herdentrieb und die Ökonomisierung , wo man hinschaut , sind sie schon da.

  14. Haha, nachdem, was ich hier lese, hat sich die “Unbenutzbarkeit” zumindest bei dir tatsächlich verbessert – oder zumindest nicht verschlechtert. Ansonsten bleibt “unbenutzbar” natürlich unbenutzbar.
    Immerhin sieht sie auchrecht konkret aus.

    Silverlight aber ist eine Art Lightversion von Netframework und mir ist so, als ob´s in Updates enthalten sei. Darauf aber keine Garantie.

  15. … die Fehlermeldung … recht konkret. Was eine “verbesserung” darstellt, wenn sie hält, was sie verspricht.

  16. Ich denke nicht, dass der Kern von Nagels Argumentation bloß “irreduzible Komplexität” oder “Emergenz” ist, zumal es von der letzteren ja auch wieder reduktionistische Verständnisse gibt. Der Kern ist meiner Erinnerung nach doch eher, dass Bewusstsein/Geist eine grundlegende Eigenschaft der Welt ist, die eben auf nichts anderes reduziert werden kann; war das nicht auch die Idee der Fledermausgeschichte?

    Nagel hat übrigens erst letztes Jahr bei Oxford University Press ein neues Buch veröffentlicht: Mind and Cosmos: Why the Materialist Neo-Darwinian Conception of Nature is Almost Certainly False. Den Titel darf man wohl als Antwort auf Richard Dawkins verstehen, oder nicht?

  17. Tatsächlich war die wiederholte extrem vereinfachte und manchmal sogar falsche Darstellung von Descartes’ Philosophie in einigen Standardlehrbüchern und -aufsätzen der angelsächsischen Philosophy of Mind, auf die ich gegen Ende meines Studiums wiederholt stieß, für mich der Anfang vom Ende der Glaubwürdigkeit dieser Denkrichtung – wer seine Sache so wenig ernst nimmt, dachte ich mir damals, der ist sicher nicht gewappnet, um so ein schwieriges Thema wie den menschlichen Geist überzeugend zu bearbeiten.

    Dass es eben mehr um Unterhaltung geht, hat der Vortrag Daniel Dennetts bei uns an der Universität Groningen vor ein oder zwei Wochen deutlich vor Augen geführt. Zum Schlusswort gab es noch die Versicherung, dass das alles mit einem frommen Materialismus vereinbar ist (Balanus würde sagen: “Alles mit rechten Dingen zugeht.”). Es fehlte eigentlich nur noch das “Amen”.

  18. Das Buch von Nagel, „Mind and Cosmos“, hätte echte Sprengkraft. Aber vielleicht ist die Zeit noch nicht reif dafür.

    Wenn das Leib-Seele-Problem nicht naturalistisch-reduktionistisch zu lösen ist – und dieser Ansicht ist er (und ich auch), dann muss das massive Konsequenzen für unser Verständnis der Welt als ganzer haben. Denn dann ist der Materialismus insgesamt falsch, und wenn er falsch ist, dann kann nur etwas ganz anderes richtig sein.
    Nagel ist nach meiner Kenntnis der erste Philosoph von hohem Renommee (verdammte neue Rechtschreibung), der nicht an der bloßen Kritik des Materialismus stehen bleibt, sondern die Konsequenz zieht, dass es nötig ist, zu neuen Ufern des Weltverständnisses aufzubrechen. Das beinhaltet für ihn auch eine teleologische Ontologie, allerdings ohne Theismus. Er überschreitet gewissermaßen eine Schwelle, übertritt ein Tabu, welches besagt, dass man den Materialismus kritisieren darf, aber dass man derzeit keine positive alternative Theorie vorschlagen darf, ohne sich lächerlich zu machen. Sein Buch ist ein erster Schritt über diese Schwelle, tastend, unsicher und kritisierbar, aber dennoch mutig.

  19. Nur weil man nicht wissen kann was ein Fledermaus denkt warum sollte der Materialismus falsch sein.

    Ganz zu schweigen davon wie Wissenschaft etwas nicht materielles untersuchen soll????

  20. @Fegalo, @Jovic: Ich würde empfehlen, hier erst einmal ontologische (über das Sein, die Welt) und epistemische (über unser Wissen vom Sein, der Welt) Thesen zu trennen:

    Es könnte ja sein, dass diese Welt nur aus einem physikalischen Grundstoff besteht (so sei hier einmal breit “Materialismus” verstanden), wir das aber nie wissen können; ebenso könnte es sein, dass sich alle Prozesse auf Naturvorgänge zurückführen lassen, wir dennoch nie eine vollständige naturwissenschaftliche Erklärung haben werden (@ Naturalismus).

    Im Mainstream der analytischen Philosophie des Geistes hat man sich doch über Jahrzehnte hinweg daran versucht, die Welt zumindest rein materialistisch zu begreifen; die Probleme, auf die man dabei stößt, sind bekannt (so z.B. auch Thomas Nagels Fledermaus). Mit @Jovic würde ich aber einräumen, dass man daraus keine ontologische Aussage gegen den Materialismus ableiten kann; natürlich stellt sich dann aber die Frage, ob die Gründe, die für den Materialismus sprechen, wirklich so gute Gründe sind.

    In dieser Situation scheint mir vor allem die Feststellung wichtig, dass wir nicht so tun sollten, als wäre beispielsweise die Notwendigkeit eines Materialismus oder die Unmöglichkeit eines Dualismus bereits erwiesen; dass manche dennoch so tun, liegt m.E. auch am akademischen System, dass eben solche Persönlichkeiten selektiert, die vorgeben, felsenfest von ihrer Position überzeugt zu sein (ein bisschen wie in der Politik, nicht wahr?).

    Aus dieser Feststellung folgt dann idealerweise etwas mehr Bescheidenheit über das eigene Wissen und die Bereitschaft, sich auch einmal ernsthaft mit Ideen zu beschäftigen, die links oder rechts neben dem Weg liegen, den schon so viele vor einem beschritten haben.

    P.S. @Fegalo: Auch angesichts der neuen deutschen Rechtschreibung, die ja zum Glück ebenfalls einige recht sinnvolle Regeln enthält, solltest du gelassen bleiben. Im Niederländischen bildet man etwa den Plural von “idee” tatsächlich mit drei E als “ideeën”, gesprochen “ídee – én”.

  21. @ Stephan

    Es könnte ja sein, dass diese Welt nur aus einem physikalischen Grundstoff besteht (so sei hier einmal breit “Materialismus” verstanden), wir das aber nie wissen können; ebenso könnte es sein, dass sich alle Prozesse auf Naturvorgänge zurückführen lassen, wir dennoch nie eine vollständige naturwissenschaftliche Erklärung haben werden (@ Naturalismus).

    Nagel argumentiert – und ich sehe es genauso – dass der Materialismus, welcher auf unserer derzeitigen Physik beruht, grundsätzlich nicht fähig ist, das Bewusstsein zu erklären, dass also der psychophysische Reduktionismus gescheitert ist. Die epistemischen Werkzeuge, die der Materialismus hat, die mechanistische Erklärung und die neodarwinistische Evolutionsstory, können das Phänomen der Subjektivität weder darstellen noch in seiner Entstehung plausibel machen. Da es seiner Meinung nach um ein prinzipielles (logisches) Scheitern geht und nicht um ein bloßes Noch-Nicht-Wissen, hätte das natürlich auch Konsequenzen für die ontologische Ebene. Eine Welt blanker Materie, nur den Gesetzen der Physik unterworfen, kann kein Bewusstsein hervorbringen. Er selbst hofft wohl auf einen „neutralen Monismus“, und dergleichen Ansätze hat es ja schon viele gegeben. Mir fällt ein Entwurf von Hans Jonas ein, der die Naturgeschichte liest als eine Entwicklung hin zu immer größerer Freiheit, und spekuliert, dass diese Tendenz oder das Streben zur Freiheit irgendwie schon in den Grundstoff der Welt eingebaut ist. Klar, dass wir es hier mit einer metaphysischen Spekulation zu tun haben, außerhalb der Reichweite der empirischen Naturwissenschaften. Und in die Richtung geht wohl auch Nagel. Ich verstehe ihn so, dass mit dem Scheitern eines psychophysischen Reduktionismus, mit dem Erweis der Unzulänglichkeit des rein materialistischen Ansatzes eine neue wissenschaftliche Sicht auf die Welt erforderlich geworden ist, die das Mentale integriert, und neue epistemische Methoden generiert, um die Welt und uns besser zu verstehen.

    In dieser Situation scheint mir vor allem die Feststellung wichtig, dass wir nicht so tun sollten, als wäre beispielsweise die Notwendigkeit eines Materialismus oder die Unmöglichkeit eines Dualismus bereits erwiesen; dass manche dennoch so tun, liegt m.E. auch am akademischen System, dass eben solche Persönlichkeiten selektiert, die vorgeben, felsenfest von ihrer Position überzeugt zu sein (ein bisschen wie in der Politik, nicht wahr?).

    Nagel schreibt in der Einleitung

    „Physico-chemical reductionism in biology is the orthodox view, and any resistance to it is regarded as not only scientifically but politically incorrect. But for a long time I have found the materialist account of how we and our fellow organisms came to exist hard to believe, including the standard version of how the evolutionary process works.(…)

    …it seems to me that (..) the current orthodoxy about the cosmic order is the product of governing assumptions that are unsupported, and that it flies in the face of common sense.“

  22. Es gibt gute Gründe davon auszugehen, dass es nur Materie gibt, es ist sich einfacher vorzustellen, dass aus dem Nichts Materie entsteht als viele verschiedene Entitäten.

    Was fegalo angeht, naja Bewusstsein gibt es wie wir sicher wissen bei höher entwickelten Tieren, das Universtum ist Milliarden Jahre ohne diesem ausgekommen. Wenn Nagel einen Mionismus will dann bleibt doch nur Materie oder Geist oder sind das bei ihm zwei Seiten der selben Sache.

  23. “Was fegalo angeht, naja Bewusstsein gibt es wie wir sicher wissen bei höher entwickelten Tieren, das Universtum ist Milliarden Jahre ohne diesem ausgekommen.“

    Es ist irgendwie zirkulär, den Materialismus mit der materialistischen Erzählung selbst zu rechtfertigen. Denn, dass Bewusstsein erst in den materiellen Gehirnen von Organismen entstanden ist, ist keine Erkenntnis, sondern eben Teil jener materialistischen Erzählung selbst. Die Wahrheit ist, wir wissen es nicht.

    Wenn Nagel einen Monismus will dann bleibt doch nur Materie oder Geist oder sind das bei ihm zwei Seiten der selben Sache.“

    Nagel bietet gar keine Theorie, sondern er beleuchtet das Problem und fordert dazu auf, neue Wege zu beschreiten. Eine neue Sicht der Dinge hätte zum Beispiel auch das verlässliche physikalische und chemische Wissen, das in den letzten 350 Jahren auf der Basis eines methodischen Naturalismus gewonnen wurde, zu integrieren.

    Die Entstehungsgeschichten des Universums und des Lebendigen gehören eher nicht dazu.

    Früher oder später wird sich die „scientific community“ der Tatsache stellen müssen, dass der rein materialistische Ansatz nicht zum Ziel führt.

    Wenn Nagels Hoffnung sich nicht erfüllt, dass man ganz neue Sichtweisen erfindet, die neue wissenschaftliche Horizonte erschließen, dann wird man sich in prinzipieller Bescheidenheit üben müssen.

  24. @Jovic, inwiefern ist es denn bitteschön einfacher, sich vorzustellen, dass aus Nichts Materie entsteht, als dass aus Nichts Geist entsteht oder dass aus Nichts Materie und Geist oder X, Y und Z entsteht? Wie lässt sich das messen? Haben Sie eine Umfrage gemacht?

    Und was erfahren wir aus der Messung darüber, was sich einfacher vorstellen lässt, über die Beschaffung des Universums? Könnte es nicht vielmehr sein, dass wir eher etwas über die Beschränkung mancher Vorstellungsvermögen lernen als über die Natur, wenn wir uns fragen, was leicht vorstellbar ist und was nicht?

  25. @Fegalo, in meiner dreiteiligen englischsprachigen Serie über Körper-Geist-Reduktionismus habe ich schon auf den Physikalisten Sean Carroll verwiesen, der selbst Beispiele dafür angibt, dass es für manche Gleichungen auf der chemischen Ebene kein physikalisches Äquivalent gibt (z.B. weil bestimmte chemische Reaktionen nicht umkehrbar sind, wofür es kein physikalisches Äquivalent gebe).

    Wie man dennoch davon ausgehen will, das gesamte Seelenleben des Menschen auf etwas grundlegend Physikalisches zu reduzieren, ist mir ein Rätsel – wo doch der Reduktionismus noch nicht einmal innerhalb der Naturwissenschaften funktioniert. Man sollte sich meines Erachtens erst einmal darauf einigen, was überhaupt gute Beispiele für gelungene Reduktionen sind, um dann sozusagen induktivistisch eine Wahrscheinlichkeitssaussage darüber zu treffen, den Geist zu reduzieren (wo man, nebenbei, ja auch noch nicht einmal Klarheit darüber hat, was eigentlich die grundlegende Ebene sei, auf die zu reduzieren ist – außer vielleicht “irgendwie physikalisch”).

  26. @Zoran Jovic und Stephan Schleim:
    Es ging mir keineswegs darum, Descartes Theorie des Geistes als Kariaktur darzustellen um sie dann sozusagen als Strohmann zu widerlegen oder ihn lächerlich zu machen.

    Ich habe zwar einige Stellen von Descartes gelesen, kann aber nicht für mich in Anspruch nehmen, sein Werk besonders gründlich verstanden oder auch nur studiert zu haben. Es kann durchaus sein, dass sich in seiner Theorie noch mancher Schatz verbirgt.

    Es ging mir nur um etwas anderes: Der cartesianische Standpunkt, dass Geist und Körper zwei ontologisch verschiedene Substanzen seien, wird meines Wissens in der philosophischen Literatur inzwischen nur noch selten bezogen. Es mag eine Minderheit geben, die diesen Standpunkt vertritt, ich bin über die Weiterentwicklung dieser Ideen im Laufe der Zeit und wie weit sie mit den Ergebnissen der modernen Forschung in Einklag zu bringen sind nicht voll im Bilde.
    Fakt ist jedenfalls, dass die Mehrheit der Philosophen, wenn sie gegen den Reduktionismus argumentiert, ihre Kritik aus Sicht von anderen Theorien vortragen. Z. B. den Funktionalismus (also eine multiple Realisierbarkeit von mentalen Zuständen) oder den anomale Monismus oder eine Form der Identitätsthese… usw.
    Trotzdem entsteht in den Medien manchmal der Eindruck, hier kämpfen Cartesianer gegen die empirische Neurowissenschaft. Und dieser Eindruck ist eben zumeist nicht zutreffend.
    Bwt, ich kann mir vorstellen, dass es gewisse philosophische Formen des Reduktionismus gibt, mit denen auch die Neurologen nicht einverstanden wären…

  27. @Skeptiker

    Meixner, Uwe (2004). The Two Sides of Being: A Reassessment of Psycho-Physical Dualism. Paderborn: Mentis.

    Darin wird auch die Frage nach der Vereinbarkeit mit der Wissenschaft und insbesondere der biologischen Evolution diskutiert.

    P.S. Da das schnell unübersichtlich wird, empfehle ich inzwischen, von der direkten “antworten” Funktion keinen Gebrauch zu machen. Ihre Reaktion habe ich nur zufällig gesehen. Ich habe den Administrator schon gebeten, das abzuschalten.

  28. P.S. Es gab dazu auch eine Rezension in Philosophical Psychology, in der es zum Beispiel heißt:

    A common complaint against dualism is that it is unscientific, or worse— antiscientific. For insofar as the dualist believes consciousness is entirely nonphysical, she presumably holds that it is not the sort of thing apt for scientific study. Meixner claims that nothing could be further from the truth. He argues that, in studying consciousness, the methodology adopted by the brain sciences is one that is fundamentally dualist. Meixner believes that cognitive neuroscientists, for example, because they are interested in correlating a subject’s states of consciousness on the one hand with observed behavior, brain states or more global states of the nervous system on the other, thereby treat conscious states as distinct from such data. Thus, Meixner writes that ‘methodological dualism is a necessary prerequisite for there being a science of consciousness in the world at all’ (p. 266). (D. Cavedon-Taylor, 2008, p. 293)

  29. Sagen wir dann so von Bewusstsein können wir mit sicherheit nur bei höheren Tieren wie dem Menschen wissen.

    Es wird schwierig auserhalb der Biologie Bewusstsein zu definieren, außer man glaubt das Elektronen bewusstsein haben oder ein Weltgeist (Gott). Möglich ist eigentlich alles, aber Angesicht dessen,

    Zu Herr Schleim,

    Ich finde es jedenfalls einfacher sich eine Welt vorzustellen die von einem Grundstein (der Materie) aufgebaut ist und die alles andere emergent hervorruft (Bewusstsein, Leben e.t.c) als das im Urknall eine große Zahl von Prinzipien entstanden sind. Irren kann ich mich natürlich jederzeit, aber die Wissenschaft hat ja keinen Geist als etwas selbstständiges entdeckt.

  30. @Zoki, können wir denn klar sagen, was das Alternativprinzip zu “Geist” sein soll? Hier wird ständig von “Materie” geredet, dabei ist Materie vielleicht schön längst “out” – was ist mit Energie, Information, …? Und woher wissen wir, dass das Alternativprinzip wirklich eine ausschließende und keine komplementäre Alternative ist, dass nicht Körper und Geist untrennbar zusammenhängen? (siehe etwa Panpsychismus)

    Dass Sie die Annahme, es gebe nur einen Grundbaustein und aus diesem sei alles, inklusive dem Geist, zusammengesetzt, für einfacher halten, bleibt so eine rein subjektive Aussage, gewissermaßen eine Geschmacksfrage. Da Sie sich damit das Erklärungsproblem einhandeln, wie nun Geist aus Materie entsteht, haben Sie womöglich gar nichts Einfaches gewonnen, sondern ein ganz neues Problem geschaffen, nämlich das Leib-Seele-Problem; zusätzlich zu der Frage freilich, warum und woher dieser Grundbaustein “Materie” ist. Glückwunsch! “Emergenz” und “Urknall” sind keine letzten Antworten; “Emergenz” allein erklärt überhaupt nichts.

    Jemand könnte sagen, dass die Annahme zweier eigenständiger Prinzipien, Materie und Geist, viel einfacher ist, da dann nicht auch noch erklärt werden muss, wie aus Materie Geist entsteht – denn Geist ist dann einfach so grundlegend wie Materie auch (was Sie immerhin der Materie ja zugestehen, dass sie einfach so sein kann – warum dann nicht auch dem Geist?).

    Ergo: “Einfachheit” bringt uns gar nicht weiter; und Ockhams Rasiermesser setzt im Übrigen zwingend voraus, dass man zwei gleich erklärungsstarke Theorien hat, von denen man dann die sparsamere auswählt. Davon können wir im hier vorliegenden Fall aber mit Sicherheit nicht ausgehen.

  31. Danke für ihre Antwort Herr Schleim,

    bringt mich zum Grübeln und ich entschuldige mich das ich mit zwei Namen (meinen Nick und meinen echten) rumhantiere. Ist mir schon ein zweites Mal passiert.

    Möglich ist natürlich vieles meine Gedankengänge habe ich versucht irgendwie begreiflich zu machen.

  32. 1. Ich bin immer wieder erstaunt über das allgegenwärtige Descartes-Bashing. De facto gibt es DEN Cartesianismus nämlich nicht, sondern allenfalls verschiedene Cartesianismen. Hochinteressant sind in diesem Zusammenhang die Schriften von Ferdinand Alquié, Jean-Luc Marion und Michel Henry, insofern sie überzeugend aufzeigen, dass die Darstellungen von Descartes’ Philosophie zumeist auf mangelhafter Lektüre und nicht-reflektierten Vorannahmen basieren. Gerade was die Körper-Geist-Dichotomie betrifft, finden sich bei Descartes zahlreiche unterschiedliche Ansichten (vgl. seine Meditationen vs. Passions de L’ame vs. seine Briefe und Korrespondenz). Man sollte folglich vorsichtig sein und nicht dem fälschlicherweise mit dem Namen Descartes verbundenen Deppen-Dualismus anheim fallen.
    2. Ist Bewusstsein naturalisierbar? Nein, wenn man Naturalismus im Sinne eines Physikalismus interpretiert, da dieser ein Bewusstseinsprodukt ist. Ja, wenn man Natur nicht mehr im Sinne der neuzeitlichen Naturwissenschaft versteht (die – welch Ironie! – in Descartes einen ihrer Gründerväter hat). Recht interessante Lektüre zu der Thematik:
    http://www.academia.edu/1246977/Intentionality_and_Presence._On_the_Intrinsic_Of-ness_of_Consciousness_from_a_Transcendental-Phenomenological_Perspective
    http://journalofcosmology.com/Consciousness105.html

  33. @ Stephan

    Da mit Reduktion in den Wissenschaften Theorienreduktion gemeint ist, müsste man ja erst einmal eine Theorie des Geistes in einer wissenschaftlichen Objektsprache haben. Aber meines Wissens gibt es so etwas gar nicht und kann es nicht geben, schließlich handelt es sich bei mentalen Phänomenen um nichts irgendwie Quantifizierbares oder empirisch-wissenschaftlich Messbares. Die Behauptung der „Reduzierbarkeit“ des Mentalen auf Physikalisches wird also nie über den Status einer allgemeinen, weltanschaulichen Behauptung hinauskommen, und nicht einmal explizieren können, was damit eigentlich genau ausgesagt ist.

    Ich gewinne immer wieder den Eindruck, dass bei denjenigen, die eine solche „Reduzierbarkeit“ behaupten, ein weit unterentwickeltes Problembewusstsein dafür vorhanden ist, womit sie es überhaupt zu tun haben. Wenn man die physikalische Größe „Temperatur“ innerhalb der Physik auf „statistische Mechanik“ reduzieren kann, so betrifft dies wohl erst einmal das mathematische Instrumentarium, mit dem man dort Phänomene der Thermodynamik beschreiben kann. Und wenn man Temperatur misst, dann gleicht man – in der Sprache der reduzierenden Theorie – schlicht die mechanischen Zustände zweier Systeme einander an, von denen dann eines mit einer Skala ausgestattet ist. Interessant ist hier, dass “Temperatur” ursprünglich ein Sinnesdatum ist und als Empfindung letztlich der mentalen Sphäre zugehörig, und genau dies fällt in diesem Fall bei der Theorienreduktion weg. Das Sinnesdatum „warm“ ist auf der Beschreibungsebene der statistischen Mechanik nicht mehr vorhanden.

    In der Naturwissenschaft gibt es Fälle von Theorienreduktion, aber meines Wissens gar nicht mal so viele (wie die Anhänger des Konzepts vielleicht erwarten würden). Vor allem aber muss das Phänomen auf beiden Ebenen vorhanden sein. Die Beschreibung „Wasser“ als H2O reduziert den vermeintlichen Grundstoff Wasser auf elementarere Bestandteile, aus deren Eigenschaften sich im besten Falle auch noch die Eigenschaften des Wassers ableiten lassen, aber das Phänomen bleibt immer noch erhalten: Ein Stoff mit bestimmten messbaren Eigenschaften wie Siedepunkt, Viskosität, spezifisches Gewicht etc.

    Dagegen sind die Charaktere des Mentalen und des Physischen von der Art, dass es überhaupt keine gemeinsamen phänomenalen Eigenschaften zwischen den beiden Bereichen gibt. Wenn ich, um ein Bild zu gebrauchen, den Sinneseindruck „Rot“ mit den Mitteln einer Sprache darstellen will, die nur die Größe „Gewicht“ kennt, dann erkennt, jeder, dass dieses Ansinnen absurd ist.
    Mit anderen Worten: die Rede von einer „Reduzierbarkeit“ des Mentalen auf das Physische ist ein vollkommen leer, da sie gar nicht weiß begreift, wovon sie handelt. Das gilt logischerweise auch umgekehrt für „Emergenz“theorien des Bewusstseins, wo ja unter Einhaltung des Energieerhaltungssatzes aus der physikalischen Sphäre plötzlich Wirkungen erfolgen sollen, die nicht mehr physikalisch sind, aber dennoch durch diese kausal verursacht…

    Da ich kein Angehöriger des Wissenschaftsbetriebs bin, kann ich mir leisten, derlei Thesen und Verheißungen einfach unter „Unfug“ einzusortieren, und mich nicht weiter damit zu beschäftigen.

  34. Könnten Sie, statt einfach einen Link zu plazieren (alte Rechtschreibung!), das Argument hier selbst darlegen, das wäre sicher verdienstvoll.

  35. @fegalo

    …schließlich handelt es sich bei mentalen Phänomenen um nichts irgendwie Quantifizierbares oder empirisch-wissenschaftlich Messbares.

    Ist Ihnen bewusst, dass Sie damit der gesamten empirisch-naturwissenschaftlichen Tradition der Psychologie den Boden unter den Füßen entziehen? Helmholtz, Wundt und wer danach in dieser Tradition weitergearbeitet hat, hat ja genau das versucht: Psychisches zu quantifizieren; und mit so manchem Erfolg. Die philosophisch interessantere aber auch schwierigere Frage scheint mir stattdessen, welche Aspekte mentaler Phänomene sich nicht quantifizieren lassen (und ein Standardreflex wäre hier ja so etwas wie Erlebnisqualität oder Intentionalität als Antwort anzuführen).

    Ich gewinne immer wieder den Eindruck, dass bei denjenigen, die eine solche „Reduzierbarkeit“ behaupten, ein weit unterentwickeltes Problembewusstsein dafür vorhanden ist, womit sie es überhaupt zu tun haben.

    Diesen Eindruck habe ich auch; und er hat sich bestätigt, als ich, ich glaube es war 2008, in der Sektion über Reduktionismus auf der Jahrestagung der DGPhil war und eben dies von denjenigen, die zum Reduktionsbegriff forschen, bestätigt bekam: Dass es nämlich relativ wenige gute Beispiele für eine erfolgreiche Theorienreduktion in der Geschichte der Wissenschaften gibt und eine ganze Reihe von Beispielen, bei denen eine Reduktion schier unplausibel ist, schlicht weil sich die Entitäten der verschiedenen Theorien zueinander nicht in der dafür nötigen Art und Weise verhalten (sprich: es gibt in der neueren Theorie schlicht keinen Begriff, der demjenigen der alten entsprechen würde).

    Im Übrigen scheint mir selbst das Beispiel Temperatur kein gutes zu sein. Das schreibt zwar Beckermann meiner Erinnerung nach so, doch an anderer Stelle las ich, die Entsprechung von Temperatur und mittlerer kinetischer Energie bestehe nur in idealen Gasen.

    Mit anderen Worten: die Rede von einer „Reduzierbarkeit“ des Mentalen auf das Physische ist ein vollkommen leer, da sie gar nicht weiß begreift, wovon sie handelt.

    Nunja, “vollkommen leer” würde ich sie nicht nennen – aber die Beweislast sollte dann doch bei demjenigen liegen, der die Reduktionsthese behauptet; das heißt, man sollte ein paar gute Beispiele und dazu ein paar Plausibilitätsargumente dafür erwarten dürfen, warum es sich beim Geist-Körper um einen analogen Fall handelt.

  36. Dem Punkt 1. kann ich mich nur anschließen, auch wenn meine primäre Descarteskenntnis alles andere als vollständig ist.

    Die Ironie, die Sie im Punkt 2. feststellen, ist mir auch schon aufgefallen: Während man Descartes als religiösen Spinner darstellt, vergisst man gleichzeitig seine bahnbrechende Forschung im Bereich der Physiologie oder Mathematik. In dieser Hinsicht war mir der Aufsatz T. H. Huxleys On the Hypothesis that Animals Are Automata, and Its History (1874) ein echter Augenöffner!

    Descartes habe manch seiner Gäste in seine “Bibliothek” eingeladen – und ihnen dann seine physiologisch-zoologischen Präparate gezeigt, nicht seine Bücher!

  37. Die philosophisch interessantere aber auch schwierigere Frage scheint mir stattdessen, welche Aspekte mentaler Phänomene sich nicht quantifizieren lassen (und ein Standardreflex wäre hier ja so etwas wie Erlebnisqualität oder Intentionalität als Antwort anzuführen).

    Welche Aspekte lassen sich den überhaupt quantifizieren? Ich bin überrascht, dass es da irgendetwas geben soll! Leider kenne ich die oben genannten Autoren nur allgemein und dem Namen nach. Ich wäre allerdings wiederum nicht überrascht, wenn es sich bei dem, was diese gemessen haben, gar nicht um mentale Phänomene selbst, sondern um deren Begleiterscheinungen etc. handelt, wie z.B. die Menge an Tränenflüssigkeit und dgl.

    (Übrigens: wird duzen uns doch inzwischen – und meinetwegen können wir gerne dabei bleiben)

    “Nunja, “vollkommen leer” würde ich sie nicht nennen – aber die Beweislast sollte dann doch bei demjenigen liegen, der die Reduktionsthese behauptet; das heißt, man sollte ein paar gute Beispiele und dazu ein paar Plausibilitätsargumente dafür erwarten dürfen, warum es sich beim Geist-Körper um einen analogen Fall handelt.“

    Man könnte auch ein Modell präsentieren, wie so eine Reduktion ganz prinzipiell überhaupt aussehen könnte, vollkommen jenseits eines empirischen Nachweises. Aber ich bin ziemlich zuversichtlich, dass es niemals auch nur zu einem solchen Modell kommt. Das meine ich mit „leer“,

  38. Ich bin zeitlich leider etwas eingeschränkt, daher nur ein Zitat und eine Anmerkung

    “For phenomenology, however, consciousness is in no way just a matter of some
    subjective feels. Rather, it is the happening of coming-to-appearance of something—and this is not something that accompanies intentional states but precisely what the intentionality of our experiences consists in. It is not the case that without consciousness things would be present as well, only that with consciousness there is also some feel to it; without consciousness, nothing would be present to anyone at all.” (Fasching p.5)

    Das ist m.E. Faschings Kerngedanke. Bewusstsein ist eben kein Kasten/Männchen/Ding im Kopf, sondern bezeichnet das Faktum, DASS etwas überhaupt für mich ist. Dies bedeutet zugleich, dass es ohne Bewusstsein nichts für mich/uns gibt und folglich Bewusstsein die conditio sine qua non für jegliche empirische Forschung darstellt. Von der heutigen Naturwissenschaft wird dieser banale Umstand in seiner Tragweite allerdings nicht beachtet; dort nimmt man Objekte als gegeben hin, ohne zu fragen, wie es denn dazu kommt, dass sie uns überhaupt gegeben sind.

  39. @fegalo, es wird gemessen, was sich messen lässt: Reaktionszeiten, Herzschlag, Atmung, Hautleitfähigkeit usw. usf., was freilich “nur” Begleiterscheinungen sind; es werden aber auch Verhaltensbeobachtungen gemacht oder Personen gefragt, z.B. “Was wäre es Ihnen wert (in Euro), wenn Sie diese Schmerzen nicht mehr hätten?”

    Freilich kannst du erwidern, dass das wenig aussagekräftig ist. Über die Aussagekraft kann man streiten. Du hast ja aber behauptet, man könnte das nicht quantifizieren – siehe da, man kann, auch wenn man sich damit dem “Wesen” der Psyche wohl auch nur indirekt nähert. Die empirische Psychologie versucht es eben schon seit rund 150 Jahren.

    P.S. Bei den Diskussionen mit all den Leuten hier u.U. mit Pseudonymen kann es schon einmal passieren, dass ich vergesse, mit wem ich perdu bin und mit wem persie – nicht persönlich nehmen.

  40. @fegalo:

    »Ich wäre allerdings wiederum nicht überrascht, wenn es sich bei dem, was diese gemessen haben, gar nicht um mentale Phänomene selbst, sondern um deren Begleiterscheinungen etc. handelt, wie z.B. die Menge an Tränenflüssigkeit und dgl. «

    Völlig richtig, das, was Sie „mentale Phänomene“ nennen, lässt sich nicht messen. Zumindest dann nicht, wenn man darunter das subjektive Erleben und Empfinden des Individuums versteht (z. B. wie bei Nagel, wie sich etwas anfühlt, oder eben das, was uns das cartesische Theater präsentiert).

    Das Mentale ist und bleibt genau dort, wo es empfunden und erlebt wird, im Kopf. Alles andere ist Physik (Materie, Energie, Quantenschaum).

    Hinzu kommt, dass das, was messbar ist, nur dann „Begleiterscheinungen“ des Mentalen sein können, wenn man dem Geistigen eine kausale Verknüpfung zum Materiellen zuschreibt. Eine solche Zuschreibung ist aber mit allerlei Problemen verbunden, so dass nur noch wenige Philosophen und Wissenschaftler eine solche Position ernsthaft vertreten (während umgekehrt das Geistige als Systemeigenschaft des Hirns sich widerspruchsfrei in die Empirie einfügt).

    »Nagel argumentiert – und ich sehe es genauso – dass der Materialismus, welcher auf unserer derzeitigen Physik beruht, grundsätzlich nicht fähig ist, das Bewusstsein zu erklären,… «

    Wenn mit „Bewusstsein“ das Mentale gemeint ist, so wie ich es oben beschrieben habe, dann könnte Nagel Recht behalten. Das subjektive Erleben und Empfinden, das „Ich“, ist gewissermaßen das Schwarze Loch der Biologen, eine Eigenschaft des Lebendigen, die man wohl einfach als gegeben hinnehmen muss.

    »Wenn das Leib-Seele-Problem nicht naturalistisch-reduktionistisch zu lösen ist – und dieser Ansicht ist er (und ich auch), dann muss das massive Konsequenzen für unser Verständnis der Welt als ganzer haben.«

    Mir ist nie so recht klar, was genau mit „Seele“ oder „Geist“ gemeint ist, wenn von einem Leib-Seele- oder Körper-Geist-Problem gesprochen wird. Geht es hierbei bloß um subjektiv und bewusst erlebte Empfindungen (Glück, Trauer) oder Ich-Bewusstsein, oder um etwas viel Grundlegenderes, eben Metaphysisches?

    »Denn, dass Bewusstsein erst in den materiellen Gehirnen von Organismen entstanden ist, ist keine Erkenntnis, sondern eben Teil jener materialistischen Erzählung selbst.«

    Das klingt nun sehr nach Metaphysik. Wenn Bewusstsein im Individuum nicht im Reifeprozess entsteht, dann muss es schon vorher da gewesen sein, dann war es schon von Anbeginn an da, dann ist es überall. Damit wird, nach meinem Dafürhalten, Bewusstsein zu einem leeren, nichtsagenden Begriff.

    Ich glaube, zu der Nullhypothese, dass wir es immer nur mit materiellen Dingen zu tun haben, gibt es einfach keine brauchbare Alternativhypothese.

  41. “Ich glaube, zu der Nullhypothese, dass wir es immer nur mit materiellen Dingen zu tun haben, gibt es einfach keine brauchbare Alternativhypothese.”

    …doch, ich glaube, sie zu haben und hoffe, dass ich sie bald im Rohbau präsentieren kann. Und sie hat durchaus ihre Fußabdrücke im Physikalischen. Gleichwohl ist es kein Geist-Materie Reduktionismus. Der geht wirklich nicht. Ginge es, bräuchten wir nicht sterben.

    “Das subjektive Erleben und Empfinden, das „Ich“, ist gewissermaßen das Schwarze Loch der Biologen, eine Eigenschaft des Lebendigen, die man wohl einfach als gegeben hinnehmen muss.”

    Das ist eine gute Metapher. Den Akretionsrand des schwarzen Loches kann man sehen.

    Das Precht-Schirach Gespräch ‘heute’ hat mir mal wieder klar gemacht, dass ich fertig werden sollte.

  42. Sie können Ihre Doktorarbeit(?) ja zur Not hier bei MENSCHEN-BILDER veröffentlichen – da lesen sie womöglich sogar mehr als in der Bibliothek. 🙂

  43. @ Stefan

    Danke für das Angebot. Nein, keine Doktorarbeit, mehr als das. Stoff für mehrere davon. Schließlich stelle ich das gesamte Weltbild auf den Kopf. 🙂 🙂 🙂

    Ein Blog als Bindeglied von Scilogs zu meinem dafür anvisierten eigenen Blog ( …ich schrieb schon darüber) wäre nicht verkehrt. Jedenfalls für nur einen Blogartikel auf Menschenbilder ist ein komplettes neues Menschen- und Weltbild, zu umfangreich. Es greift praktisch in alle Bereiche…… wie das bei Künstlern halt so ist 🙂 Die wissenschaftliche Verankerung im Detail in den jeweiligen Genres, überlasse ich gerne der jüngeren Wissenschaftlergeneration.

    Da Sie als Bloginhaber meine Mailadresse haben, ich aber nicht Ihre, fände ich gut, wenn Sie mich dafür kontaktieren.

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