Deutungshoheit: Brights, Vollmer und die “rechten Dinge”

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Mensch, Gesellschaft und Wissenschaft
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Natur hinter GitternGeht es überall in der Welt mit „rechten Dingen“ zu? Brauchen Wissenschaftler Metaphysik? Mein Plädoyer für Wissenschaft und Weltanschauung ohne philosophische Denkverbote.

Nein, bei den hier angesprochenen „rechten Dingen“ handelt es sich nicht etwa um die Äußerungen von Rechtsradikalen, sondern um eine beliebte Redewendung eines bestimmten philosophischen Lagers. Gemeint sind damit Naturalisten, zu denen sich beispielsweise auch die sogenannten Brights (deutsch: die Schlauen, Gescheiten) zählen, eine Organisation zur Verbreitung des naturalistischen Weltbilds. Es geht hierbei um die Frage, ob Naturwissenschaften eine vollständige Erklärung der Welt liefern können und damit andere Weltbilder überflüssig machen.

In einem meiner meistdiskutierten Blogbeiträge habe ich vor ziemlich genau zwei Jahren die Frage analysiert, ob ein Naturalismus widerspruchsfrei vertretbar ist. Meine Strategie bestand darin, den Anspruch des Naturalismus auf naturwissenschaftliche Überprüfbarkeit gegen ihn selbst zu wenden: Lässt sich das naturalistische Weltbild naturwissenschaftlich begründen? Meine Analyse ergab, dass diese Forderung nicht erfüllbar ist und der Naturalismus daher keine naturwissenschaftliche Sichtweise ist, sondern ein philosophisches Weltbild bleibt. An diesem Ergebnis konnte auch die lange Diskussion nichts ändern.

Was ist Naturalismus?

Ein erschreckendes und von mir unvorhergesehenes Nebenresultat der Diskussion war jedoch, dass keiner der dort auftretenden Naturalisten sagen konnte, was „Naturalismus“ überhaupt bedeutet. Spielt das eine Rolle oder ist es vielleicht nur eine bloße philosophische Spielerei? Ein Blick auf die Startseite der Brights zeigt, dass hier Naturalismus als Grundlage für ein kulturpolitisches Programm dient:

Was ist ein Bright? Ein Bright ist eine Person mit einem naturalistischen Weltbild. Das Weltbild eines Bright ist frei von übernatürlichen und mystischen Elementen. Die Ethik und Handlungen eines Bright basieren auf einem naturalistischen Weltbild. (brights-deutschland.de)

Es geht diesen Menschen beim Naturalismus also nicht nur um ein Gedankenspiel, sondern um eine Handlungsgrundlage fürs Leben, man könnte auch sagen: um eine Ethik. Einen Schritt weiter in der Ausformulierung dieser Ethik geht der Publizist Michael Schmidt-Salomon, Vorstandssprecher der Giordano-Bruno-Stiftung. In seinem „Manifest des evolutionären Humanismus“ formuliert er nicht weniger als ein „Plädoyer für eine zeitgemäße Leitkultur“, so der Untertitel des Buchs. Darin heißt es zum Naturalismus:

Evolutionäre Humanisten vertreten ein dezidiert [d.i. entschieden] naturalistisches Weltbild. Das heißt: Sie gehen vor dem Hintergrund wissenschaftlicher Forschung von einem Bild des Kosmos aus, in dem „alles mit rechten Dingen zugeht“ … (S. 55)

Auch dort stoßen wir wieder auf die „rechten Dinge“. Grund genug, diese Wendung etwas genauer zu untersuchen. Eine zentrale Fundstelle ist der Aufsatz „Geht es überall in der Welt mit rechten Dingen zu?“ des Philosophen Gerhard Vollmer, den beispielsweise die Brights in ihrem Blog veröffentlicht haben. Bereits in der Diskussion vor zwei Jahren wurde ich um eine Reaktion auf diesen Text gebeten. Das will ich nun im Kontext unseres Bloggewitters über die Deutungshoheit der Biowissenschaften nachholen.

Vollmer über „rechte Dinge“ und Naturalismus

Nach Vollmer ist der Naturalismus durch zwei Hauptmerkmale geprägt, das sind „sein universeller Anspruch und die Beschränkung der zur Beschreibung und Erklärung der Welt zugelassenen Mittel.“ Am kürzesten lasse er sich durch die These charakterisieren, „überall in der Welt gehe es mit rechten Dingen zu.“ Dabei räumt der Philosoph selbst ein, dass diese Redeweise noch nicht besonders präzise ist. Im Folgenden wechselt er daher zu der Strategie, Thesen des Naturalismus auszuformulieren (Kapitel 3). Dazu komme ich gleich. Zunächst will ich aber festhalten, dass derjenige, der den Text liest, eine Überraschung erlebt.

Obwohl Vollmer nämlich die „rechten Dinge“ schon im Titel seines Aufsatzes ins Zentrum rückt und als Kern der naturalistischen Auffassung identifiziert, schweigt er im Artikel über die Frage, was nun die „rechten Dinge“ eigentlich sind, wie wir „rechte“ von „unrechten Dingen“ unterscheiden können. Es entsteht der Verdacht, dass es sich bei dem Ausdruck um eine bloße Redewendung handelt, die sich Naturalisten gerne auf die Fahne schreiben, ohne sie jedoch mit Inhalt füllen zu können. Sie erscheint als reine Rhetorik, die „rechten Dinge“ für den eigenen Standpunkt zu instrumentalisieren und damit dem Gegner von vorneherein ins Unrecht zu setzen. Brights, evolutionäre Humanisten und Naturalisten täten daher meines Erachtens gut daran, auf diese leere Wendung gänzlich zu verzichten.

Damit ist Vollmers Artikel jedoch nicht gänzlich vom Tisch, auch wenn man sich fragen muss, ob er dafür den richtigen Titel gewählt hat. „Was ist Naturalismus?“ wäre passender gewesen. Und dies macht er immerhin anhand von zwölf Thesen deutlich, zum Beispiel: „Sowenig Metaphysik wie nötig“, „Soviel Realismus wie möglich“ oder „Wunder gibt es nicht“. Vollmer ist sich dabei dessen bewusst, dass eine Weltsicht nicht völlig ohne Theorie und Philosophie möglich ist. Beispielsweise setzt die vertretene Überlegenheit der erfahrungswissenschaftlichen Methode (These c) bestimmte Grundannahmen über die Realität beziehungsweise die Natur der Natur voraus.

So kommt der Naturalist seiner Meinung nach nicht ohne die Annahmen aus, dass es eine vom Menschen unabhängige Außenwelt gibt (These b), die primär materiell-energetischer Natur ist (These d), die sich gemäß bestimmter Regelmäßigkeiten verhält und damit „objektiv“ messen, erkennen und verstehen lässt, sodass Menschen zu verschieden Zeiten und an verschiedenen Orten unabhängig voneinander die gleichen Beobachtungen machen können.

Rasiermesser und die Reduktion von Komplexität

Bei den Thesen h, i und j geht es dann darum, die Existenz alternativer Phänomene auszuschließen. Wahrscheinlich sind damit implizit die „unrechten Dinge“ gemeint: Was alle menschliche Erfahrung übersteige, Wunder und außersinnliche Wahrnehmung seien unmöglich. Hier wird zum Beispiel das berühmte Sparsamkeitsprinzip in Anschlag gebracht, das historisch auf den Philosophen Wilhelm von Ockham (1285-1347) zurückgeführt und daher auch als „Ockhams Rasiermesser“ bezeichnet wird. Der Grundgedanke ist, dass Entitäten, die für eine Erklärung nicht notwendig sind, aufgegeben werden. In letzter Instanz geht es natürlich darum, dass eine vollständige (natur-)wissenschaftliche Erklärung der Welt auch die Annahme eines Gottes überflüssig macht.

In der Praxis ist es aber leider häufig nicht so einfach. Nur selten lässt sich das Rasiermesser trennscharf gebrauchen, weil es beispielsweise zwei gleich gute Erklärungen gibt, von denen die eine sparsamer ist als die andere. Bei den meisten wissenschaftlichen Erklärungen handelt es sich um Annäherungen und es ist beileibe nicht offensichtlich, dass die Erklärung des Rests der gefundenen Variabilität der Beobachtungen nicht doch wieder komplexere Erklärungen erforderlich macht.

Beispielsweise können Pharmakologen ein Lied davon singen, in einem Modellorganismus – etwa genetisch veränderten Mäusen – einen Krankheitsmechanismus entdeckt zu haben, der sich jedoch bei der Untersuchung komplexerer Lebewesen nicht mehr nachvollziehen lässt. Vollmer selbst verweist hier auf ästhetische Prinzipien wie Eleganz und Schönheit von Erklärungen; ob uns die Natur aber den Gefallen tut, sich so zu verhalten, dass wir sie in eleganten und schönen Gleichungen beschreiben können, ist gerade eine der offenen Fragen, die wir nicht einfach als gegeben voraussetzen können.

Auch die Diskussion von Wundern oder übersinnlicher Wahrnehmung lösen das Problem nicht. Als Wunder gilt gemeinhin, was mit den Naturgesetzen unvereinbar ist. Naturgesetze sind aber nicht die grundlegenden Akteure des Universums, sondern unsere Abstraktionen des Naturgeschehens und damit relativ zu unserer Erkenntnis. Vieles, was wir heute als normal ansehen, denken wir an interkontinentale Flüge oder drahtlose Kommunikation, hätten frühere Generationen für Wunder gehalten.

Heute noch nennen Menschen es ein Wunder, wenn ihnen ein Kind geboren wird oder sie von einem heranrasenden Auto haarscharf verfehlt werden. Die Wissenschaften schreiten gerade voran, indem sie die Naturgesetze an die Beobachtungen des Naturgeschehens anpassen. Wo dies noch nicht gelungen ist, wie beispielsweise bei der Entstehung des Lebens auf der Erde, ist es eine offene Frage, ob es sich hierbei um ein Wunder handelt oder nicht. Umgekehrt machen beispielsweise die Transhumanisten, deren Technik- und Wissenschaftseuphorie sich mit derjenigen der Brights überlappt, von mystischen und quasireligiösen Mustern sowie von Wundermetaphorik Gebrauch, wie die Dokumentation Technocalyps verdeutlicht.

Naturalismus als Forschungsprogramm

Abschließend bespricht Vollmer die naturwissenschaftliche Reduktion der Psyche und die Idee der Einheitswissenschaft (Thesen k und l). Es geht darum zu zeigen, dass es eine Natur gibt, die letztlich auch der Mensch nicht übersteigt. Reduktion ist dabei ein Kernbegriff, mit dem auch komplexere Strukturen wie beispielsweise das menschliche Gehirn in die Grundlagenwissenschaften eingegliedert werden sollen. Philosophen haben viel über die Idee der Reduktion publiziert, bei der es darum geht, eine Theorie aus einer anderen abzuleiten. Letztlich sollen dann alle wissenschaftlichen Theorien aus der Physik abgeleitet werden, damit das reduktionistische Programm erfolgreich ist.

Das hört sich zwar schön an, erweist sich in der Praxis aber als ausgesprochen schwierig. Selbst die Beispiele philosophischer Lehrbücher, denen zufolge etwa die wissenschaftliche Größe der Temperatur auf die der mittleren kinetischen Energie eines Stoffs reduziert werden soll, funktionieren nur in Idealfällen. Historische Beispiele wie die vermeintliche Reduktion der galiläischen Bewegungsgleichungen fallender Gegenstände auf die newtonsche Mechanik funktionieren nur annäherungsweise. Selbst innerhalb der Physik sind Beispiele gelungener Reduktionen spärlich, geschweige denn mit Bezug auf Chemie, Biologie, Psychologie und so weiter. Das Ausdifferenzieren bestehender und das Gründen immer neuer Wissenschaften macht deutlich, dass bei voranschreitender Zeit nicht die Idee einer Einheitswissenschaft, sondern vielfältiger Wissenschaften plausibler ist.

Intoleranter Humanismus und Denkverbote

Damit muss ich zu dem Schluss kommen, dass viel vom naturalistischen Programm hypothetischer Natur ist; man könnte auch sagen: Wunschdenken. Dessen scheint sich auch Gerhard Vollmer bewusst zu sein, wenn er schreibt:

Wer wissen möchte, ob der Naturalismus vertretbar ist, begibt sich nicht ins Labor: Es handelt sich dabei nicht um eine empirisch entscheidbare Frage … (Gerhard Vollmer)

Jedoch muss der Naturalismus darum nicht anderen Weltbildern unterlegen sein, nur weil er philosophisch und spekulativ ist. Man sollte bloß den universellen Anspruch der Naturalisten mit Vorsicht genießen. Den selbsternannten Verfechtern der Wissenschaft, die sich gern ins aufklärerische Gewand kleiden, stünde etwas mehr Bescheidenheit und Toleranz gut zu Gesicht. Anstatt sich über Menschen mit anderer Meinung lustig zu machen, sich selbst als die Gescheiten und die anderen für die Hinterwäldler zu halten, anstatt vorauseilenden scheinwissenschaftlichen Erklärungen zum Opfer zu fallen, könnten auch sie vom kritischen Dialog miteinander und der Reflexion ihrer eigenen Ansichten lernen.

Auf die Spitze der Absurdität treibt es Michael Schmidt-Salomon in seinem Manifest. Er erklärt uns, man müsse den Menschen „konsequent als Naturwesen“ begreifen, das heißt „als ein zufälliges Produkt der biologischen Evolution“ (S. 15). Wissenschaft zeige uns, „dass das ‚Ich‘ nichts weiter ist als ein Artefakt des körperbewussten Gehirns“ (S. 16). Wir müssten daran arbeiten, „unsere traditionalen Borniertheiten zugunsten einer evolutionären Perspektive zu überwinden“ (S. 34). Er beansprucht für sich, den Körper-Geist-Dualismus als „empirisch widerlegte Fiktion“ entlarvt zu haben (S. 104). Dabei übersieht er, dass der Evolutionsbiologe Julian Huxley, einer der Väter der modernen Mainstream-Evolutionstheorie, in seinen Schriften zum evolutionären Humanismus bereits vor Jahrzehnten zwischen physischen, biologischen und kulturellen Phänomenen getrennt hat, denen er jeweils eigene Gesetzmäßigkeiten zugeordnet hat.

Bei alldem beansprucht Schmidt-Salomon für sich, einen Humanismus vertreten, das heißt, eine Geistesströmung mit dem Ziel, „die Lebensverhältnisse so zu gestalten, dass eine freie Persönlichkeitsentfaltung aller Menschen (unabhängig von ihrem Geschlecht, ihrer Herkunft, ihren Fähigkeiten usw.) möglich ist“ (S. 14) und bekennt er sich gegen absolute Kategorien und zur Relativität menschlicher Erkenntnis (S. 35). Es ist leicht, sich diesen Anstrich der intellektuellen Toleranz zu geben, wenn man andere Meinungen mit oberflächlichen Interpretationen der Wissenschaft zurückweisen will. Meine Durchsicht seiner 241 Fußnoten hat ergeben, dass er sich dabei auf keine einzige primär naturwissenschaftliche Quelle beruft.

Während sich diese Anhänger des Naturalismus auf die Tradition von Vernunft und Aufklärung berufen, sind sie leider blind dafür, dass sie mit ihrer oberflächlichen Scheinwissenschaft Denkverbote verhängen, Andersdenkende ins Abseits der Lächerlichkeit drängen und mit ihrer gelebten Intoleranz weit hinter das zurückfallen, was die historischen Aufklärer und Denker mühevoll erkämpft haben. Auch wenn es sich manche Naturalisten anders wünschen, braucht man kein Naturalist zu sein, um an den modernen Erkenntnissen der Wissenschaften teilzuhaben. Im kritischen Dialog miteinander sind alle willkommen, die dazu bereit sind, offen über die Voraussetzungen ihrer Ansichten zu diskutieren.

Bisher bei Menschen-Bilder über die Deutungshoheit der Biowissenschaften, zum Beispiel:

Quellen

Alt, W., Eibach, U., Herzog, V., Schleim, S. & Schütz, G. (2010). Lebensentstehung und künstliches Leben. Naturwissenschaftliche, philosophische und theologische Aspekte der Zellevolution. Zell-Unterentersbach: Graue Edition. (Darin zu den biologischen und theoretischen Problemen der Lebensentstehung.)
Huxley, J. (1964/1992). The Humanist Frame. In ders., Evolutionary Humanism, S. 72-115. Buffalo, NY. Ursprünglich unter dem Titel „Essays of a humanist“ erschienen.
Schmidt-Salomon, M. (2006). Manifest des evolutionären Humanismus. Plädoyer für eine zeitgemäße Leitkultur. Aschaffenburg: Alibri, 2. Auflage.
Vollmer, G. (2003). Geht es überall in der Welt mit rechten Dingen zu? Thesen und Bekenntnisse zum Naturalismus. Von der Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland veröffentlichte überarbeitete Fassung eines Artikel aus dem Buch Auf der Suche nach der Ordnung, Stuttgart: Hirzel.

Foto: © Rike (Sternschnuppe1) PIXELIO

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75 Kommentare

  1. Die “rechten Dinge”

    Die Geschichte mit den “rechten Dingen”, mit denen alles zuzugehen hat, besagt nach meinem dafürhalten erst einmal nichts anderes, als dass man für alle Bestandteile eines beliebigen physikalischen Systems prinzipiell Regeln formulieren kann, die über die gesamte zeitliche Entwicklung dieses Systems universell gültig sind. Die grundlegendsten derartigen Regeln sind die Erhaltungssätze.

    Damit sind natürlich “alternative” Phänomene per Definition ausgeschlossen. Ein “alternatives” Phänomen zeigt grundsätzlich, dass die von uns vermuteten Regel falsch oder nicht vollständig ist. Es geht aber eben nicht um unsere Abstraktionen, sondern darum, dass eine Regel – wie immer sie aussehen mag – prinzipiell vorhanden ist und universell gilt.

    Das ist erst einmal eine rein physikalische Aussage. Auf den Menschen bezogen heißt das, dass Menschen rein physikalische Wesen sind und dass bei allem, was drumherum passiert, die (nicht zwangsläufig bekannten) physikalischen Gesetze strikt gelten. Dass innerhalb dieser physikalischen Gesetzmäßigkeiten allerlei seltsame Dinge passieren können, ist eine andere Frage, lässt aber den Kern des naturalistischen Weltbildes unberührt.

  2. @ Lars

    Ich will hier nicht mit Parapsychologie anfangen, aber nehmen wir das Beispiel der Intuition, die zwar nicht perfekt funktioniert aber doch besteht.

    Es ist doch im Entferntesten keine allgemeingültige biologische, geschweige denn physikalische Regel dafür absehbar, dass man manchmal einen Eindruck hatt, dass es ein anderer beispielsweise nicht ehrlich mit einem meint oder dass mein Gegenüber gerade Schmetterlinge im Bauch hat, wenn sie mich sieht.

    Vollmer gibt doch selbst zu, dass es für derlei Phänomene beim heutigen Kenntnisstand allenfalls als Programm, das heißt spekulativ/hypothetisch, eine naturalistische Erklärung geben kann.

    Wenn jemand für die Möglichkeit einer vollständigen naturalistischen Erklärung der Welt argumentiert, dann finde ich das zwar wahrscheinlich nicht überzeugend (jedenfalls mit Blick auf alle Argumente, die mir bisher begegnet sind), schenke ich ihm/ihr das aber; geht es jedoch um die Notwendigkeit (d.h. es kann gar nicht anders sein, als dass wir in einer naturalistischen Welt leben), dann kann ich das eigentlich nur lächerlich finden – wie gesagt, beim heutigen Kenntnisstand.

  3. @Stephan Schleim

    Sagst du damit nicht, dass alles möglich ist?

    Die von dir angegangenen sagen doch nichts weiter als: Wir sind philosophische Realisten, wir akzeptieren, dass es eine Welt gibt, die gewissen Regeln folgt, denen auch wir Menschen unterworfen sind. Die Schlussfolgerung – und die mag rein pragmatischer Natur sein! – ist dann, jedes neue Phänomen auf Grundlage dieser Regeln zu untersuchen.

    Nehmen wir dein Beispiel ‘Intuition’. Was bedeutet das? Zuerst einmal nur, dass wir glauben, etwas wahrzunehmen. Wir wissen weder, warum wir diesen bestimmte Eindruck haben, noch können wir eine Aussage über ihren Wahrheitsgehalt treffen. Wie aber sollen wir jetzt ‘Intuition’ untersuchen?

    Vollkommen korrekt weist du auf den heutigen Kenntnisstand’ hin, wendest ihn aber nicht an. Wir mögen im Augenblick nicht genug Informationen haben, um bestimmte Phänomene [konsistent und vollständig] zu erklären, das bedeutet aber doch nicht, dass eine Erklärung innerhalb der realistischen/naturalistischen nicht möglich oder auch nur nicht sinnvoll ist. Es sagt nur, dass unsere Messparameter nicht ausreichen.

    Die ‘rechten Dinge’ mit denen es in dieser Welt zugeht aufzugeben, weil nicht aus sich selbst heraus begründbar – interessantes Kriterium irgendwie -, scheint mir das Ausschütten des Kindes mit dem Badewasser. Und sei es nur, weil dieses Modell uns bisher recht erfolgreich durch einige Jahrtausende gebracht hat. Das bedeutet ja nicht, dass wir nicht darüber nachdenken sollten, ob unsere Grundannahmen nicht von Zeit zu Zeit überprüft werden sollten. Mein Liebling dabei wäre die Verknüpfung von Zeit und Ursache-Wirkung … du kannst dir gerne, z.B., die Uniformität ansehen – grundlegender geht es nicht.

  4. Was Vollmer zugibt

    und was nicht kann mir ziemlich egal sein. Das ist sein Problem.

    Willst du jetzt ersthaft behaupten, Intuition sei eine Form von übersinnlicher Wahrnehmung? Ein Bisschen Selbstbeobachtung legt eine andere Deutung nahe.

    Wir haben nämlich die ganze Zeit irgendwelche “Intuitionen”, d.h. wir konstruieren automatisch ein Modell der Welt um uns herum, das zum Teil spekulativ ist und das wir permanent mit der Realität abgleichen.

    Nur, im Nachhinein erinnern wir uns natürlich vor allem an die Situationen, in denen wir irgendetwas nicht wussten und unser Weltmodell in dem Punkt “wundersam” gestimmt hat. Confirmation Bias halt.

  5. @ Lars, Dierk: Intuition

    Natürlich kann ich meine Intuition überprüfen, im ersten Fall, indem ich den Kontakt (vorsichtig) fortsetze und schaue, ob der andere es tatsächlich unehrlich meint und im zweiten, indem ich die Dame anspreche und überprüfe, ob sie tatsächlich etwas Besonderes für mich empfindet.

    Ich hatte es ja ausdrücklich nicht mit Parapsychologie, sondern wollte eben ein Alltagsphänomen wählen, das jedem vertraut ist, aber für das keine physikalische Erklärung in Sicht ist; dann hat der Naturalist nämlich ein Problem.

    Wenn ihr bestreitet, dass es Intuition gibt, dann müssen wir uns eben ein anderes Beispiel suchen.

  6. @ Dierk, Naturalismus

    Die von dir angegangenen sagen doch nichts weiter als: Wir sind philosophische Realisten, wir akzeptieren, dass es eine Welt gibt, die gewissen Regeln folgt, denen auch wir Menschen unterworfen sind.

    Nein, das ist nicht mehr die Position, um die es im Text geht. Es geht nicht nur um Realismus, sondern um eine epistemische These, dass sich nämlich alles in dieser Welt naturwissenschaftlich erklären lässt, vgl. den universellen Anspruch, auf den Vollmer verweist; und es sind auch nicht irgendwelche Regeln, sondern letztlich physikalische.

    Die Schlussfolgerung – und die mag rein pragmatischer Natur sein! – ist dann, jedes neue Phänomen auf Grundlage dieser Regeln zu untersuchen.

    Menschliches Empfinden und Verhalten physikalisch untersuchen? Sorry aber das geht nun an der Realität vorbei, Realismus hin oder her. 😉

  7. Btw.

    wollte eben ein Alltagsphänomen wählen, das jedem vertraut ist, aber für das keine physikalische Erklärung in Sicht ist; dann hat der Naturalist nämlich ein Problem.

    Das Muster kennen wir. Da galt dann jedes naturwissenschaftlich noch nicht erklärte Phänomen als Beweis, dass Gott die Welt eben doch lenkt. Die Theologen haben aber irgendwann eingesehen, dass das eine blöde Argumentation ist.

  8. @ Lars

    Naja, du scheinst zumindest zu bestreiten, dass Intuition (manchmal) zuverlässig funktioniert.

    Aber es war ein Konditionalsatz, kein Aussagesatz. Wenn du es nicht bestreitest, dann können wir auch bei diesem Beispiel bleiben. 😉

    Wenn ihr bestreitet, dass es Intuition gibt, dann müssen wir uns eben ein anderes Beispiel suchen.

  9. Eine Frage

    “Wissenschaft zeige uns, „dass das ‚Ich‘ nichts weiter ist als ein Artefakt des körperbewussten Gehirns“ (S. 16). Wir müssten daran arbeiten, „unsere traditionalen Borniertheiten zugunsten einer evolutionären Perspektive zu überwinden“ (S. 34)”

    Wie soll ich als Artefakt des Gehirns derartiges bewerkstelligen?

  10. @ Lars: Lückenargument ein Lückenbüßer

    Nein, Erklärungslücken sind nicht hinreichend, um die Existenz eines Gottes zu beweisen, sonst müssten wir alle an einen Gott glauben; sie sind aber sehr wohl hinreichend, um zu beweisen, dass naturwissenschaftliche Erklärungen (zu einer gegebenen Zeit) eine Alternative nicht ausschließen können.

    Es gibt einen wichtigen logischen Unterschied zwischen der Aussage, dass aus nicht-A A folgt (gegeben tertium non datur), dass also A notwendig ist (gegeben nicht-A), und der Aussage, dass nicht feststeht, ob nicht-A, und daher A möglich ist; und dieser ist genau derjenige Unterschied, an dem jemandem, der sich als Agnostiker versteht, viel liegt!

    Für jemanden, der behauptet, dass sich alles naturwissenschaftlich Erklären ließe, sind zumindest persistente Erklärunglücken ein Problem; und wie lange diskutiert man beispielsweise schon das Körper-Geist-Problem? Schlappe zweieinhalbtausend Jahre? Hmm… Deswegen hat Dennett es ja beispielsweise mit der Strategie versucht, das Problem wegzudefinieren (z.B. “Quining Qualia”), eben damit sein naturalistisches Weltbild wieder heile ist. Ist das überzeugend? Nein.

  11. @ Naivling

    Genau. Schreiben Sie Schmidt-Salomon einen Brief. Er verspricht, alle Leserbriefe zu lesen; daraus folgt natürlich nicht notwendigerweise, dass er Ihnen auch eine Antwort gibt.

    Aber es hört sich doch beeindruckend an, eben mal zu behaupten, das Ich sei ein Artefakt, ohne sich übrigens vorher die Mühe zu machen, zu definieren, was er mit “Ich” meint.

  12. Intuition durch Energieübertragung?

    Wenn ich Vollmer richtig verstehe, argumentiert er, dass eine kausale Beziehung zwischen A und B mit einem Energieübertraag einhergeht, der im Prinzip messbar ist. Das ist meines Wissens nach eine bisher nicht falsifizierte Theorie. (Gilt das auch für quantenphysikalische Phänomene? Da kenne ich mich zu wenig aus.)

    Angewendet auf das Beispiel Intuition sollte das bedeuten, dass bestimmte (“reale”) Signale, die von einer Person ausgehen und die wir nicht notwendigerweise heute schon kennen müssen, durch Energieübertrag an einem Rezeptor des Emfängers wahrnehmbar sind und eine Intuition (was immer das ist) auslösen. Das scheint mir die logisch einfachste Erklärung. Daher halte ich an ihr fest, bis eine einfachere Erklärung gefunden oder die Theorie falsifiziert wird (etwa wenn die Möglichkeit einer Energieübertragung (z. B. Sender und Empfänger in unterschiedlichen Räumen) unterbunden wird und trotzdem eine spezifische Intuition im Empfänger ausgelöst wird.

  13. @Stephan Schleim

    “…und es sind auch nicht irgendwelche Regeln, sondern letztlich physikalische.”

    Wie genau grenzt du physikalische Regeln von nichtphysikalischen ab? Meiner Ansicht nach lässt sich jede Regel, die die Bezeichnung “Regel” verdient, in mathematischer Form darstellen (oder ist meine Definition von Mathematik hier zu weit?).
    Das einzige, das dann noch zur Physik fehlt ist, dass sie (die Regel) sich auf die Natur bzw. ein Modell der Natur (oder genauer ein Modell eines Teilaspekts der Natur) bezieht. (Den Primzahlsatz würde ich beispielsweise nicht als physikalische Regel bezeichnen.)

  14. Naja…

    Philosophen diskutieren das Körper-Geist-Problem seit 2500 Jahren, ohne irgendwo hinzukommen.

    Naturwissenschaftler sind erst seit ~200 Jahren dran und haben in der Zeit schon bemerkenswert viel erreicht. Ich bin da optimistisch, was die nächsten 2000 Jahre Forschung angeht. 😉

    Es stimmt natürlich, dass man Möglichkeiten wie die Existenz z.B. unsichtbarer rosa Einhörner naturwissenschaftlich nicht final widerlegen kann. Nur: Wenn man prinzipiell alles behaupten kann, was nicht streng widerlegbar ist, dann gibt man jeden Anspruch auf, irgendwas irgendwie wissen zu können. Streng logisch mag das angehen, aber dieser Agnostizismus ist dann kaum mehr als Sudoku mit Worten.

  15. @ Mortimer, Falsifikation, Erklärung

    Ich denke, dass das allgemeine physikalische Kausalitätsmodell der Energieübertragung durch Quantenverschränkung widerlegt wird; ich habe das aber noch nicht zuende gedacht und bin mir sicher, dass andere es besser wissen.

    Das ist für unser Beispiel aber auch irrelevant; natürlich bestreite ich nicht, dass bei Fällen von Intuition Wahrnehmung geschieht, man beispielsweise jemanden sieht und hört, und damit physikalische Energieübertragung verbunden ist. Der Punkt ist aber, dass “Energieübertragung” so allgemein ist, dass es das Phänomen Intuition (oder welchen bedeutenden psychischen Vorgang der Kommunikation auch immer) nicht ansatzweise erklärt.

    Daher wage ich zu behaupten, dass jede verfügbare und zumindest ansatzweise empirisch überprüfte psychologische Theorie der Intuition besser gestützt ist als Ihre völlig unspezifische “Energieübertragungshypothese” der Intuition.

    Tatsächlich ist das eine beliebte ad hoc-Strategie von Naturalisten, jedes Gegenbeispiel bis zur Unkenntlichkeit zu vereinfachen (bsp. “Energieübertragung”) und dann zu behaupten, damit passe es eben doch ins naturalistische Weltbild. Tatsächlich wird diese entstellende Vereinfachung dann noch mit Verweis auf Sparsamkeit als metaphysische Tugend dargestellt, während sie eher einer Gehirnwäsche gleichkommt.

  16. @schleim

    Es ist doch im Entferntesten keine allgemeingültige biologische, geschweige denn physikalische Regel dafür absehbar, dass man manchmal einen Eindruck hatt, dass es ein anderer beispielsweise nicht ehrlich mit einem meint oder dass mein Gegenüber gerade Schmetterlinge im Bauch hat, wenn sie mich sieht.

    Das leuchtet mir garnicht ein. Gedankenexperiment. Man nehme zwei Computer auf denen ELIZA installiert ist und lässt sie einen vollautomatischen und deterministischen Chat führen ähnlich zwischenmenschlicher Kommunikation. Ein 10 Jähriger würde “den Braten” wohl nicht riechen, wenn er den Chat belauscht. Da die Sprache aber semiotischen und semantischen Regeln gehorcht und nicht mathmematisch direkt erfasst werden kann (man bräuchte mind. 2 zueinander relative Sprachen) um mit einer naturalisten Theorie das Gespräch der beiden Computer vorherzusagen/berechnen. Das ist auch genau das Wesen der Emergenz. Emergenz tritt auf, wenn Systeme Eigenlogiken/gesetze bilden, wenn eine Beschreibungsebene nicht mehr ausreicht, weil der math. Reduktionismus versagt. Wenn Entscheidungen auf abgestuften kategorisierbaren Qualia beruhen, lässt sich nicht mehr mit kontinuierlihcen Wellenlängen argumentieren/schlussfolgern (Kategorienfehler)

    Ich denke ihre Kritik von Vollmers Wissenschaftsbild fängt da an, wo bei ihm die Wissenschaft aufhört. Wir werden wahrscheinlich nie unsere Umwelt völlig mit künstlicher Intelligenz und Robotern replizieren können in all ihren Facetten. Aber die unterliegenden Prinzipien scheinen wir doch ganz gut zu verstehen schaut man sich die letzten hundert Jahre an.

    Wenn ihre Ansprüche an Wissenschaft so hoch sind, dass sie jede Nuance des Wahrnehmbaren exakt erklären können muss, wird es natürlich schwer zwischen Neurophilosophen und Physikalisten einen gemeinsamen Nenner zu finden. Ich dachte der Dualismus wäre überstanden, da er dann meist ins Münchhausen-Trilemma endet und wiss. Methoden Falsifizierbarkeit gewährleisten müssen. Ich höre bei ihnen heraus, dass sie die Tür zum Dualismus nicht ganz zu machen wollen (für wiss. Brainstorming und Gedankenexperimente ja m.M. nach auch erlaubt). Aber wenn das so ist sollten sie das genau definieren/angeben, da m.M. heutige Physikalisten solche Positionen eher nur belächeln im Zeitalter von Nanophysik und Neuroimplantaten zur Motorik-/Angststeuerung bei Mäussen.

  17. @ Udo: Physik und Mathematik

    Was überhaupt physikalische Regeln sind, lässt sich gar nicht so leicht beantworten (vgl. Montero, B. [1999]. The Body Problem. Nous 33: 183-200), wenn man es nicht mit der Platitüde beantwortet, dass es eben die Regeln der Physik sind. Das ist aber eine Antwort, die ich gerne vom Naturalisten hätte, der ja schließlich behauptet, dass sich letztlich alles in die Einheitswissenschaft Physik überführen ließe; und selbst mit der Platitüden-Antwort geht die naturalistische Rechnung nicht auf, siehe die wenigen positiven Beispiele für gelungene Reduktionen.

    Mit der mathematischen Formulierbarkeit von Regeln kommen wir aber nicht weiter. Einerseits sind die oft statistisch und stimmen eben nur im Mittel und nicht im Einzelfall; zweitens gehen dabei eben Inhalte verloren. Ich kann Intuition dem Symbol I in einer Formel zuordnen und dann Zusammenhänge zu anderen Symbolen formulieren. Ob ich es dann aber noch mit dem psychischen Phänomen der Intution zu tun habe, steht auf einem ganz anderen Blatt.

    Versuchen Sie es doch einmal, einen Tag lang alles mathematisch und nur mathematisch auszudrücken und schauen Sie, wie man sie verstehen wird.

  18. @stephan: Falsifikation, Erklärung

    An welcher Stelle also geht es bei der Intuition nicht mit “rechten” Dingen zu?

    An welcher Stelle gibt es eine unüberbrückbare Kluft zwischen Energieübertragung und “empirisch überprüfter psychologischer Theorie der Intuition”?

  19. @ Lars: Optimismus

    Wie alt ist die Physik? Zweihundert Jahre, sagst du? Ich denke, dass dir die Mehrheit der Wissenschaftshistoriker da widerspricht; und vielleicht auch ein paar Physiker.

    Davon abgesehen ist es eine unbelegte Behauptung, dass die philosophische Diskussion des Körper-Geist-Problems nichts gebracht hätte und einen Chemiker sehe ich da nicht unbedingt als kompetent zur Beantwortung der Frage an (sorry, nicht beleidigend gemeint; es gibt natürlich sehr viele andere Fragen, bei der ich eher dich als den durchschnittlichen Philosophen fragen würde).

    Ferner ist es eine optimistische Interpretation, dass sich durch Voranschreiten der Wissenschaft die Rate von beantworteten zu unbeantworteten Fragen verbessert. Meiner Einschätzung nach multiplizieren sich die Fragen im Mittel mit jeder (Teil-)Antwort. Das heißt, viel schneller als unser Wissen vom Wissen wächst unser Wissen vom Nichtwissen. Relativ gesehen wissen wir also immer weniger, je länger wir forschen. 😉

    Beim Agnostizismus geht es schließlich um eine Zurückhaltung bei Existenzaussagen und nicht um deren Multiplikation, wie du mit dem Einhornbeispiel versuchst zu zeigen; wieder ein feiner logischer Unterschied. In der Formulierung Thomas Huxleys:

    Agnosticism, in fact, is not a creed, but a method […]. Positively the principle may be expressed: In matters of the intellect, follow your reason as far as it will take you, without regard to any other consideration. And negatively: In matters of the intellect do not pretend that conclusions are certain which are not demonstrated or demonstrable.
    (Agnostizismus ist tatsächlich kein Glaube, sondern eine Methode […]. Positiv formuliert kann das Prinzip so ausgedrückt werden: Folge in Sachen des Intellekts so weit deiner Vernunft, wie sie dich tragen wird, ohne Rücksicht auf andere Überlegungen. Und negativ: Gebe in Sachen des Intellekts nicht vor, dass Schlussfolgerungen sicher sind, die nicht bewiesen wurden oder nicht beweisbar sind.)
    – Thomas H. Huxley 1893a, S. 245f.

    Huxley, T. H. (1893a). Science and Christian Tradition. Collected Essays, Volume V, London.

  20. @ Ruttor

    Wenn ihre Ansprüche an Wissenschaft so hoch sind, dass sie jede Nuance des Wahrnehmbaren exakt erklären können muss, wird es natürlich schwer zwischen Neurophilosophen und Physikalisten einen gemeinsamen Nenner zu finden.

    Nein, der Punkt ist doch, dass der Naturalist mit diesem hohen Anspruch auftritt, dass sich letztlich alles naturwissenschaftlich erklären ließe – wie gesagt, die Universalität ist laut Vollmer eines der beiden Hauptmerkmale.

    Mir ist unter Philosophen und insbesondere Naturalisten schon oft diese naive Überzeugung über die Möglichkeiten der Physik aufgefallen. Sprechen Sie mal mit ein paar Physikern darüber, ob sie denken, beispielsweise die Chemie, Biologie, geschweige denn Psychologie oder Ökonomik auf die Physik reduzieren zu können; die werden Ihnen ‘was erzählen!

  21. @ Mortimer: Intuition vs. Energie

    An welcher Stelle gibt es eine unüberbrückbare Kluft zwischen Energieübertragung und “empirisch überprüfter psychologischer Theorie der Intuition”?

    Eben an genau der Stelle, an der Sie aufhören, den Gehalt der Intuition zu erfassen, und völlig unspezifisch von Energieübertragung sprechen.

    Wahrscheinlich ist jeder intuitive Akt auch(!) ein Akt von Energieübertragung, aber ganz sicher ist nicht jeder Akt von Energieübertragung auch ein Akt von Intuition. Wir wollen doch gerade wissen, was genau diesen Akt der Energieübertragung zu einem Akt der Intuition macht und nicht jener.

  22. Zweierlei

    1. Wer sich ein bißchen mit den griechischen Naturphilosophen beschäftigt, wird recht schnell einsehen, dass die Separation von Philosophie und Naturwissenschaften ein sehr junges Konstrukt ist.
    2. Hinsichtlich der Wirksamkeit von Neuroimplantaten etc. möchte ich auf Elliot Valensteins “Brain Control: A Critical Examination of Brain Stimulation and Psychosurgery”, Andreas Herz’ Essay in “Naturgeschichte der Freiheit” sowie Thomas Fuchs’ Reflexionen zur Differenz von Ursache und Auslöser in “Das Gehirn – ein Beziehungsorgan” hinweisen. Ferner würde ich ein Praktikum in einem Labor vorschlagen, dass sich auf derartige Experimente spezialisiert hat. Dass man die Motorik manipulieren kann, ist altbekannt (siehe Delgado). Man wird allerdings verwundert sein, wie viele Ausreißer es beim Versuch, Emotionen zu triggern, gibt.

  23. @ Naivling: Brain Control

    Danke für die Hinweise; auf das Thema gehe ich übrigens auch in meinem Buch “Die Neurogesellschaft: Wie die Hirnforschung Recht und Moral herausfordert” ein.

    Kommen Sie doch auf unsere Konferenz kommende Woche, wenn Sie sich für das Thema interessieren: BrainGear. Die Anmeldefrist ist eigentlich verstrichen aber ich kann da sicher noch ‘was tun.

  24. @schleim

    Ich bin selber Physiker und bestätige sie da! Es ist aber leider so, das Physiker von Neurologie, Biologie, Chemie notgedrungen zu Rate gezogen werden, stärker als jede Nachbarwissenschaft, weil die eigenen Forscher weder das math./physik./programmiertechnische Know-How haben ihre Probleme selber zu lösen. Mir ist bis heute unbegreiflich wie im Bio/Chemie Studium kaum Mathematik/Programmieren gelehrt wird. Die Welt wird nicht weniger komplex. Mathematische Physik als Studiengang gibts schon länger, auf theo. Biologie oder ähnliches wart ich vergeblich. Herr Dahlem hatte das Problem schon mal bei der Physiologie angesprochen. Physik ist wie ich schon ausführte wg. dem Emergenzproblem (abgekapselte Sprach und Logikebenen) nicht hinreichend um alles zu erklären, aber notwendig, und deswegen machen nur monistische Konzepte für mich Sinn.

    Sie kommen aber nicht umhin zu definieren wo Wissenschaft bei ihnen aufhört. Die meisten Physiker sind Agnostiker und sagen nicht das sie alles erklären können wie mancher Atheist, sondern lediglich, dass unserer Umwelt beschreibare physikalische Prinzipien zugrunde liegen, aber nicht was an Panpsychismus oder ähnliche dualistische Konzepte grenzt. “Wir” verallgemeinern ja auch nicht die Meinung aller Hardcore-Dualisten in der Philosophie zu diesem Paradigma. Physik ist nun mal die wesentlichste Schlüsseldiszplin und neigt deshalb per se dazu wichtiger genommen zu werden, das hat mehr mit sel. Wahrnehmung zu tun als der Stringenz der Physik bei allen Fragen.

  25. @Stephan: Intuition mit “rechten” Dingen

    “Wahrscheinlich ist jeder intuitive Akt auch(!) ein Akt von Energieübertragung, aber ganz sicher ist nicht jeder Akt von Energieübertragung auch ein Akt von Intuition.”

    1. Gibt es einen intuitiven Akt ohne Energieübertragung?

    2. Wer behauptet, das jeder Akt von Energieübertragung auch ein Akt von Intuition sei? (???)

    “Wir wollen doch gerade wissen, was genau diesen Akt der Energieübertragung zu einem Akt der Intuition macht und nicht jener.”

    Na bitte, geht doch.
    Warum hast Du das Beispiel Intuition noch ursprünglich aufgeführt?

    Und was behaupten eigentlich die Neurowissenschaftler hinsichtlich ihrer Sicherheit zu ihren Theorien zur Intuition? Ich habe nicht gerade den Eindruck, dass da von unumstößlichen Wahrheiten gesprochen wird.

  26. @Stephan Schleim, Lars Fischer

    Herr Schleim ist mir mit dem Huxley-Zitat gewissermaßen zuvorgekommen. Ich denke, daß dieses einen zentralen Punkt berührt: Gegen die Methode, stets nach regelhaften Erklärungen (einschließlich Reduktionen) für bisher unerklärte Phänomene zu suchen, wendet niemand etwas ein. Die von Herrn Schleim kritisierte naturalistische Schule erhebt den Glauben an den Erfolg der Methode jedoch zum Dogma: Daß jedes Phänomen Regeln folgt, die gefunden werden können, wird zum Glaubenssatz erhoben, um dann mit einer Attitüde durch die Gegend zu rennen, als ob man die Regeln schon kennte (gewissermaßen ein intellektueller Leerverkauf). Der methodische Grundsatz, die Suche nicht aufzugeben, wird zur metaphysischen Überzeugung entstellt, daß das gesuchte tatsächlich existieren muß. Es spricht aber rein gar nichts dagegen, diese Überzeugung zurückzuweisen, die Methode aber beizubehalten.

  27. @ Ruttor: computation and pluralism

    Die theoretische Biologie wurde in Bonn gerade abgeschafft (siehe unser jüngst emiritierter Ko-Autor Wolfgang Alt) und durch ‘was Empirisches ersetzt; auch an der Universität Leiden wurde die Abteilung geschlossen und Thomas Reydon sitzt jetzt als Juniorprofessor für Philosophie der Biologie in Hannover, was sicher wissenschaftstheoretisch ein hervorragendes Umfeld ist.

    Umgekehrt muss man aber sagen, dass “computational” Fächer (bsp. Computational Neuroscience) doch im Kommen sind; und auch in der Biologie sind Simulationen nicht unbekannt. Nur soweit ich das sehe, hebt man im ersteren Fall die Korrelationen erster Ordnung auf ein höheres Niveau und berichtet dann stolz Korrelationen von Korrelationen. Das nennt man dann beispielsweise “Gedankenlesen” (siehe mein erstes Buch). Hat man dadurch mehr verstanden? Da bin ich skeptisch.

    Sie fragen mich nach meiner Ansicht? Ich trenne erst mal ontologische (bsp. Substanzdualismus vs. Monismus) von epistemischen (unsere Erkenntnis betreffenden) Aussagen:

    Meine Erkenntnis ist mir durch Sprache und Erfahrung vermittelt. Da finde ich, dass lebende Organismen und insbesondere Menschen eben andere Eigenschaften haben als beispielsweise die Objekte der Physik. Dass wir erstere nicht auf letztere reduzieren können oder es zumindest bisher nicht konnten, ist offensichtlich.

    Welche ontologische Konsequenz ziehe ich jetzt aus dieser epistemischen Situation? Als Wahl-Agnostiker keine. Ich sage, dass sich die Welt mir nicht monistisch oder dualistisch, sondern pluralistisch darstellt. Ob sich dahinter ein Substanz-Monismus, Dualismus oder -Pluralismus verbirgt, wie soll ich das entscheiden? Darüber zu spekulieren, das kann interessant sein, aber ich sehe einfach keinen Gewinn darin, mich auf eine Aussage der Form, die Welt muss X sein und nicht Y, hinreißen zu lassen. Im Gegenteil fände ich das sogar ziemlich dumm, siehe das Zitat Thomas Huxleys.

  28. @ David

    Danke, und mit dieser sehr klaren Zusammenfassung in wenigen Worten sind Sie mir zuvorgekommen. Vielleicht verstehen dann auch ein paar der Leute hier, bei denen die Message bisher nicht angekommen ist, meinen Punkt. 😉

    Im Übrigen kenne ich recht viele empirische Naturwissenschaftler, die es genauso halten.

  29. @ Mortimer: Lost in Translation?

    Mir scheint, dass Sie meinen Punkt nicht verstanden haben.

    Sie wollten doch Intuition als Energieübertragung verstehen; also frage ich Sie, was Intuition als Akt der Energieübertragung von anderen Akten der Energieübertragung unterscheidet!

    1. Gibt es einen intuitiven Akt ohne Energieübertragung?

    Das habe ich gerade nicht behauptet.

    2. Wer behauptet, das jeder Akt von Energieübertragung auch ein Akt von Intuition sei? (???)

    Das behauptet niemand; wenn es aber stimmt, dann ist Intuition eben gerade nicht damit erklärt, dass man sie als einen Akt der Energieübertragung auffasst. (Andernfalls wären sie übrigens extensional identisch.)

    Ist das wirklich so schwer zu verstehen?

  30. P.S. @ David

    Ihre Mentalschnupfen-Anleitung zum Versand einer E-Mail führt auf einem Mac-Rechner übrigens zum Beenden der aktiven Anwendung.

    Das wollte ich Ihnen bei früherer Gelegenheit schon einmal mitteilen.

    Auf dem Mac ist es Alt-L.

  31. Danke, Herr Schleim, für die nette Einladung, aber ein kurzer Trip nach Holland ist leider nicht möglich. Ich verweile momentan in Würzburg, muss aber am Dienstag zurück an meinen richtigen Arbeitsplatz in der Schweiz.

    Ihr Werk kenne ich bereits und fand es sehr ansprechend. Gefallen hat mir insbesondere die Dekonstruktion der Haynes-Experimente, wobei ich Ihren Verweis auf Metzinges Konzept der phänomenalen Transparenz allerdings nicht goutieren konnte, da es nämlich zutiefst cartesianisch ist. Ich ziehe bzgl. Beschreibungen des Bewusstseins Phänomenologen vor (z.B. Husserl, Sartre, Henry, Zahavi, Richir). Höchst interessant sind zudem indische Philosophen (vgl. hierzu den Sammelband “Self, no Self?” v. Zahavi et al.)

  32. @ Naivling: Bewusstsein (off topic)

    Hmm, und wie stellt sich die Situation aus der Sicht eines “echten” Phänomenologen dar?

    Ist es aber nicht trivial, dass bewussten Vorgängen stets unbewusste vorhergehen? Sehen Sie das anders?

  33. @Stephan: Verständnis und Rhetorik

    Ich denke, ich habe Sie richtig verstanden. Wichtiger: Ich habe den Eindruck, dass Sie mich auch richtig verstanden haben, aber Sie drehen die Dinge so, das Ihre Argumentation als richtig und die meine als falsch erscheint. Geschenkt, das ist ist Ihr Recht und Privileg.
    Ich habe konsistent nichts anderes behauptet, als dass es beim Phänomen der Intuition mit “rechten Dingen” zugeht, also mit Prozessen, die auf Energieübertragung beruhen und damit prinzipiell beobachtbar sind. Damit lässt sich Intuition naturwissenschaftlich untersuchen. Ihr erster Kommentar zweifelt das in meinen Augen an:

    “…dass es für derlei Phänomene beim heutigen Kenntnisstand allenfalls als Programm, das heißt spekulativ/hypothetisch, eine naturalistische Erklärung geben kann.”

    noch zum letzten Kommentar, zur Klärung:

    “Sie wollten doch Intuition als Energieübertragung verstehen”.

    Energieübertragung (an realen Neuronen) ist die Voraussetzung, wie sie nun selbst eingestehen.

    “was Intuition als Akt der Energieübertragung von anderen Akten der Energieübertragung unterscheidet”:

    die genauen Orte (Neurone, bzw. Neuronenverbände) und Zeitpunkte der Energieübertragungen die im Zusammenspiel “Intuition” “ergeben”.

    Dass man diese Prozesse noch lange nicht verstanden hat, bezweifelt niemand. Dass es aber eine Alternative gibt, halte ich zumindest für unwahrscheinlich.

  34. P.S. Naivling

    Danke auch für die interessanten Verweise; eine Bekannte war mal PostDoc am Center Zahavis und ist nun wieder in Frankreich.

    Wissen Sie, seit ich an Unis arbeite, finde ich kaum noch Zeit, um Bücher zu lesen, die nicht direkt mit meiner Forschung zu tun haben. Interessieren würde es mich auf jeden Fall!

  35. @ Mortimer: “rechte Intuitionen”

    Ich habe konsistent nichts anderes behauptet, als dass es beim Phänomen der Intuition mit “rechten Dingen” zugeht…

    Bravo, und ich habe gerade in meinem Post nachzuweisen versucht, dass die Redeweise von den “rechten Dingen” ziemlich blöde ist. Haben Sie dagegen denn nichts anzubieten?

    Energieübertragung (an realen Neuronen) ist die Voraussetzung, wie sie nun selbst eingestehen.

    Ich denke, dass Neuronen viel mehr machen, als einfach Energie zu übertragen; da fängt es doch schon an mit Ihrer naturalistischen Vereinfachung. Wenn man einfach “Energieübertragung” sagen könnte, meinen Sie, es gäbe dann Lehrbücher über die Prinzipien der Neurowissenschaft, die so dick sind, dass man damit jemanden erschlagen kann?

    Verwechseln Sie außerdem bitte nicht notwendige mit hinreichenden Bedingungen.

    die genauen Orte (Neurone, bzw. Neuronenverbände) und Zeitpunkte der Energieübertragungen die im Zusammenspiel “Intuition” “ergeben”.

    Lokalisation (“Orte”) ist ziemlich out; Sie sprechen da nicht gerade über Ihr Fachgebiet, oder? Außerdem vielleicht schon mal daran gedacht, dass Intuition ein sozial eingebettetes Phänomen ist und sich allein deshalb nicht auf das Feuern von Neuronen reduzieren lässt?

    Dass man diese Prozesse noch lange nicht verstanden hat, bezweifelt niemand. Dass es aber eine Alternative gibt, halte ich zumindest für unwahrscheinlich.

    Hmm, schon in der Alltagssprache hat doch niemand ein Problem damit, über Intuitionen zu sprechen und verstanden zu werden. Versuchen Sie’s mal mit Ihrer Energieübertragungshypothese. Viel Spaß!

  36. Physik

    Physik und wo sie aufhoert…
    Chemie? Elektronenschalenphysik
    Ingenieurwesen? Angewandte Physik
    Biologie? Physik der weichen Materie
    Philosophie? Alles was derzeit noch nicht physikalisch begründet ist. Sprich: letztlich auf anzunehmende Axiome zurückzuführen sind.
    Das problem bei der Erklärung des Gehirns ist eins der komplexizitaet und wird nach genügend sorgsamer Zerlegung zu einem befriedigenden Ergebnis führen. Anzunehmen, dass das Gehirn nicht physikalischen Gesetzen unterliegt und somit prinzipiell verstanden werden kann, ist nicht vorrausschauend. Und das bewusstsein als Artefakt zu bezeichnen, ist vllt ungluecklich, aber es scheint mir als vernünftigste Annahme.
    P.s. Intuition ist eine interpretation der Wahrnehmung. Der ominöse energieuebertrag findet also in Form von elektromagnetischen Wellen und solchen in der dichteschwankung der luft statt.
    P.p.s sry für moegliche agressivitaet oder Sarkasmus. Wollte nur mal meinen Senf dazu geben *g*

  37. @ Naivling P.P.S. (wieder off-topic)

    Haben Sie eigentlich diesen Bericht in Nature vom 31. August über Willensfreiheit und die Haynes-Studie gelesen?

    Ich finde es unterhaltsam, wie Haynes darin von dem Untersuchungsergebnis als Erleuchtungsmoment spricht. Wenn ich mich recht entsinne, dann hatte er auch vor dieser Studie schon dieselbe Meinung zur Willensfreiheit.

  38. @Keeper:
    “Und das bewusstsein als Artefakt zu bezeichnen, ist vllt ungluecklich, aber es scheint mir als vernünftigste Annahme”

    Systemimmanent gedacht scheint es allenfalls deinem Gehirn so, nicht aber dir, denn du bist nur ein Artefakt. Also bitte Silentium. Moment, das geht ja gar nicht, es war ja dein Hirn, das dich dazu veranlasst hat und du kannst nix dafür. Wunderbar bzw. besser kann doppelt verschanzter Dogmatismus nicht funktionieren.

    “Intuition ist eine interpretation der Wahrnehmung. Der ominöse energieuebertrag findet also in Form von elektromagnetischen Wellen und solchen in der dichteschwankung der luft statt”

    Darauf einen Dujardin! Bzw. dann doch lieber Nietzschebärchen: “”Ein Nervenreiz, zuerst übertragen in ein Bild! Erste Metapher. Das Bild wird nachgeformt zu einem Laut! Zweite Metapher. Und jedesmal vollständiges Überspringen der Sphäre, mitten hinein in eine ganz andre und neue.”

    Allein, wo passierts?

    @Schleim

    1. Es gibt ein Zitat von Max Planck:
    “Zwar spielen sich sicherlich viele Vorgänge, vielleicht sogar die ausschlaggebenden, in unserem Unterbewußtsein ab. Aber diese sindeiner wissenschaftlichen Behandlung nicht fähig. Denn eine Wissenschaft des Unbewußten oder Unterbewußten gibt es nicht. Sie wäre eine contradictio in adjecto, ein Widerspruch in sich. Was unterbewußt ist, weiß man nicht. Daher sind alle Probleme, die sich auf das Unterbewußtsein beziehen, Scheinprobleme.” Obgleich ich mit dem ersten Satz erheblich Probleme habe, stimme ich dem Rest des Zitats vollkommen zu. Prinzipiell ist eine Wissenschaft des Unbewußten UNMÖGLICH, da dieses per definitionem nicht dem Bewusstsein zugänglich ist. Man mag gerne einwenden, dass
    a) zwischen Bw und Ubw keine Dichotomie resp. Trennung besteht, sondern vielmehr ein gradueller Übergang vorliegt; dann aber erübrigt sich die Rede vom Ubw, das seine Existenz terminologisch und analytisch gerade der Gegenüberstellung zum Bw verdankt.
    b) es nicht Wahrnehmbares gibt, z.B. Moleküle, Atome etc. und insofern sehr wohl Unbewusstes. Dagegen kann man allerdings mit Sextus Empiricus einwenden: “Von der Erkenntnis gibt es zwei Formen, die echte und die dunkel-unechte; und zur dunklen gehört folgendes alles zusammen: Gesicht, Gehör, Geruch, Geschmack, Getast; die andere aber ist die echte, von jener abgesonderte … Wenn die dunkle Kraft hat, ins Kleinere zu sehen oder zu hören oder zu riechen oder zu schmecken oder in der Berührung wahrzunehmen und man daher feinere Untersuchungen anstellen muss, dann tritt die echte Erkenntnis ein, die im Denken ein feineres Organ besitzt.” M.a.W.: Was das Auge nicht sieht, realisiert der Verstand.

    2. Ihre Frage, was ein Phänomenologe zum Bewusstsein sagt, ist hier nicht zu beantworten, zumal die Überlegungen dazu Legion sind (Husserls Monade, Sartres präreflexive Cogito, Henrys Selbstaffektion etc.). Man darf nicht vergessen, dass der Begriff des Bewusstseins nach wie vor ungeklärt ist; wenn ich mich recht entsinne, liefert Galen Strawson in einem Artikel mehr als 20 verschiedene Bewusstseinskonzepte.

  39. @Stephan: Verständnis und Rhetorik

    “Ich habe konsistent nichts anderes behauptet, als dass es beim Phänomen der Intuition mit “rechten Dingen” zugeht…

    Bravo, und ich habe gerade in meinem Post nachzuweisen versucht, dass die Redeweise von den “rechten Dingen” ziemlich blöde ist. Haben Sie dagegen denn nichts anzubieten?”

    Wenn Sie mich zitieren, dann bitte vollständig, lassen Sie doch den wesentlichen Teil nicht weg:
    …mit “rechten Dingen” zugeht, also mit Prozessen, die auf Energieübertragung beruhen und damit prinzipiell beobachtbar sind.

    In Ihren Post geht es doch um mehr als nur um “Redeweise”. Ich habe den Eindruck, dass Sie anzweifeln, es gäbe unumstößlich wahre Aussagen über die Realität. Unumstößlichkeit hin oder her, man kann recht sicher sein, dass z.B. ein Wassermolekül aus 3 Atomen (was immer das ist) besteht, oder dass Hämoglobin aus 4 gleichen Untereinheiten aufgebaut ist, usw.

    “Ich denke, dass Neuronen viel mehr machen, als einfach Energie zu übertragen; da fängt es doch schon an mit Ihrer naturalistischen Vereinfachung. Wenn man einfach “Energieübertragung” sagen könnte, meinen Sie, es gäbe dann Lehrbücher über die Prinzipien der Neurowissenschaft, die so dick sind, dass man damit jemanden erschlagen kann?”

    Ach so, das wusste ich nicht. Ich dachte, Neurone übertragen lediglich Energie. Ich lese mich beizeiten einmal ein.

    “Lokalisation (“Orte”) ist ziemlich out; Sie sprechen da nicht gerade über Ihr Fachgebiet, oder? Außerdem vielleicht schon mal daran gedacht, dass Intuition ein sozial eingebettetes Phänomen ist und sich allein deshalb nicht auf das Feuern von Neuronen reduzieren lässt?”

    Auch das ist mir neu.
    Im Ernst: Entschuldigen Sie, dass ich Ihnen das nicht erklärt habe; ich war dazu zu faul und dachte eigentlich, dass ich keine komplette Herleitung aller relevanten Prozesse benötige, um die These zu stützen, dass usw., Sie haben mich schon verstanden.

    “schon in der Alltagssprache hat doch niemand ein Problem damit, über Intuitionen zu sprechen und verstanden zu werden.”

    Dann ist also das Phänomen Intuition bereits verstanden, quasi intuitiv? 😉
    Dann können die Wissenschaftler ja aufhören zu forschen…

  40. Nachtrag bzgl. Haynes

    Und selbst wenn er 99% Treffsicherheit erwirtschaftet, ändert es null niente nada nichts – “Wenn nur ein (einziges) zukünftiges Ereignis nicht vorherbestimmt ist, muss der Determinismus aufgegeben werden, und der Indeterminismus ist wahr” (Popper). Man könnte noch mit derartig vielen Gegenargumenten aufwarten, doch was bringts? Haynes wird stets mit denselben Ergebnissen aufwarten, weil er es WILL. Verstehen Sie mich nicht falsch, aber da steckt eine Agenda dahinter – und Forschungs und Wirtschaftsgelder en masse.

  41. Letzter Nachtrag

    Wie ist eigentlich eine Singularität wie der Urknall mit dem Glauben an “rechte Dinge” zu vereinbaren?

  42. @Mortimer

    Sie verkaufen eine plausible, wenn auch in ihrer Generalität schon wieder völlig uninteressante Subsumtion (“Intuition ist eine Form von Energieübertragung”) mit einer erklärenden Theorie der Intuition, die sie nicht anbieten können. Das ist ein Musterbeispiel für das, was ich oben einen intellektuellen Leerverkauf nannte: Die Theorie wird man schon irgendwann irgendwie finden. Ja, fein, das wird man vielleicht. Ich habe kein Problem mit einer solchen optimistischen Annahme und Herr Schleim vermutlich auch nicht. Nur garantiert ist eben noch gar nichts, und es gibt keinen wissenschaftlichen Grund, aus dieser Annahme einen Glaubenssatz zu machen.

  43. @Naivling: Singularität

    “Wie ist eigentlich eine Singularität wie der Urknall mit dem Glauben an “rechte Dinge” zu vereinbaren?”

    So weit ich weiß, ist die Singularität für die Naturwissenschaft (zumindest für die theoretische Physik) ein großes Problem. Auch ist angeblich 95% der Materie im Universum unverstanden…

    Was sollte uns das lehren? Sind dies “Extrembereiche”, die wir nie verstehen werden? Gilt dies für alles Wissen, das wir vermeintlich gewonnen haben? Wenn nein, wo ist die Grenze? Wen ja, was ist die Alternative?

    Naturwissenschaft beschreibt die Welt ziemlich gut, und sie wird stets besser in der Beschreibung jener Bereiche der (vermeintlichen) Realität, von der wir gestern weniger als heute wussten.

  44. @ Naivling: Unbewusstes

    Das finde ich nun aber nicht so überzeugend. Unbewusstes ist mir zunächst einmal Unzugänglich; aber vielleicht kann ein anderer bestimmte Regungen an mir erkennen, ein Zittern der Hände, ein Herumrutschen auf dem Stuhl, und mich damit konfrontieren? Oder vielleicht kann ich mir durch gekonnte Introspektion das Unbewusste erschließen? Natürlich würde es dann aufhören, unbewusst zu sein, aber das schlösse ja nicht aus, dass es das vorher war, ich also Aussagen darüber machen kann.

    Der Hirnforscher würde natürlich einwenden, dass er mit seinen Apparaten durchaus Zugang zu Unbewusstem haben kann. Ich würde das heute noch sehr in Grenzen sehen aber wer weiß, was die Zukunft noch bringt?

    So neu wäre das gar nicht. Denken wir daran, dass jemand einen anderen anlügt; der Lügner unterdrückt vielleicht seine Scham, wird dabei aber rot im Gesicht. Das passiert auch unbewusst, wird vom anderen aber gesehen.

  45. @ Mortimer: Nochmals Energie und Gehirn

    Wenn Sie Prozesse der Energieübertragung meinen, warum schreiben Sie dann nicht einfach “Prozesse der Energieübertragung”, anstatt diese unnötige Floskel der “rechten Dinge” zu bemühen?

    Sind logische Aussagen Aussagen über die Realität? Beispielsweise die Identität eines Objekts mit sich selbst. Wahrscheinlich schon. Wieso denken Sie dann, dass ich “unumstößliche Wahrheiten” ablehne? Die Beispiele, die Sie nennen, sind übrigens gerade Definitionen der Form Wasser = H2O, also eigentlich recht langweilige Beispiele. Übrigens ist es auch Ihr Schmidt-Salomon, der in seinem naturalistischen Manifest absolute Kategorien ablehnt und sich zur Relativität menschlicher Erkenntnis bekennt (siehe im Post oben).

    Nehmen wir vielleicht mal ein konkreteres Beispiel als Intuition, nämlich die Fähigkeit, sich in andere hineinzuversetzen. Da gibt es jetzt ein paar Hirnforscher, die sagen, dass diese auf Aktivierung im ventromedialen Präfrontalen Kortex beruht; andere sagen, sie beruhe vor allem auf Aktivierung im Bereich der rechten temporoparietalen Kreuzung. Beide haben Daten, auf die sie sich stützen können. Es eilen auch evolutionäre Psychologen herbei, die uns erklären, dass diese Fähigkeit für einen Selektionsvorteil außerordentlich wichtig ist, da es beispielsweise wichtig gewesen sei, die Absicht eines anderen Menschen (Freund? Feind?) zu erkennen.

    Schön und gut. Wir haben also Orte im Gehirn (mal von den ganzen methodologischen Fragen abgesehen, die solche Studien aufwerfen) und eine evolutionäre Funktion. Was erklärt uns das jetzt über die Fähigkeit, sich in andere hineinzuversetzen? Herzlich wenig. Im Gegenteil setzen diese Erklärungen schon ziemlich viel voraus, nämlich dass Menschen solche Fähigkeiten haben, was Introspektion sowie Verhaltensbeobachtungen ergeben haben und keine Untersuchungen über Energieübertragung.

    Im Gegensatz dazu erklären Untersuchungen, in welchen Situationen Menschen diese Fähigkeit gebrauchen, inwiefern unterschiedliche Menschen das in unterschiedlichem Maß tun, ob es kulturelle Unterschiede gibt, welche Verhaltensweisen mit dem Vor- oder Abhandensein der Fähigkeit einhergehen, wie sich diese Fähigkeiten im Laufe des Lebens (Ontogenese) entwickeln usw. recht viel; und diese Erklärungen kommen gänzlich ohne Nervenzellen oder Energieübertragung aus.

  46. @ Naivling: Haynes-Studie

    Also wenn die auf 99% kämen, dann fände ich das schon beeindruckend (mal davon abgesehen, dass die Aufgabe, irgendwann auf einen Knopf zu drücken, natürlich völlig Banane ist); das letzte Prozent würde ich ihnen im Rahmen der Messungenauigkeit schenken.

    Der allgemeinere Punkt ist doch, dass sich Determinismus eben nicht empirisch beweisen lässt, man müsste quasi das Universum von Anfang bis Ende untersuchen und schauen, ob jeder Zustand X(t+1) aus dem Zustand Xt folgt. Man müsste also außerhalb des Universums stehen und allwissend sein.

    Aber denken Sie denn, dass man mit einem Indeterminismus die Willensfreiheit retten könnte?

  47. @David

    Aus einer Annahme einen Glaubenssatz zu machen, sollte per Definition in der Wissenschaft ausgeschlossen sein. Vereinzelt findet man zwar diese sog. “Dogmen” (DNA –> RNA –> Protein), was ärgerlich ist. Meistens werden sie auch irgendwann widerlegt.
    Durch Erklärung zum Dogma kann Wissenschaft auch instrumentalisiert werden (z.B. von Schmidt-Salomon) und wird dann zur Religion, was selbstverständlich abzulehen ist.

    Das ändert aber nichts an der grundsätzlichen Zugänglichkeit der Realität durch wissenschaftliche Methoden.

    Wie mehrfach erwähnt, auch bisher unerklärte Phenomene wie Intuition sollten mit den bisherigen Theorien über Realität vereinbar sein. Dazu habe ich das basale Beispiel des Kausalitätsprinzips durch Energieübertragung herangezogen: Wenn Intuition auch ohne geht, dann wäre diese Theorie widerlegt. Da dies nicht der Fall ist, kann man sich getrost den nächsten Stufen widmen (Gerne auch erstmal lokalisationistisch, lieber Stephan, anschließend geht es hoffentlich systemisch weiter).

  48. Geist? So`n Schmarrn ^^

    Welche Tatsache weist darauf hin, dass das Gehirn mehr wäre als eine geordnete Ansammlung von Nervernzellen, die über ihre individuell einstellbaren Verbindungen, Eingangssignale in Ausgangssignale umwandelt. Keine. Das Sie sich (@Naivling) in ihrem Menschsein oder Ich-sein verletzt fühlen oder sie hoffen, dass da doch auf wundersame Weise mehr hinterstecken sollte, ist kein Argument. Hier ist auch kein Raum für großartige Änderungen auf diesem Niveau des Verständisses des Gehirns.
    Das Problem ist nicht das Verständnis eines einzelnen Neurons, sondern das Zusammenspiel einer so gewaltig großen Zahl. Schon bei Wasser, einem relativ gut verstandenen Molekül gibt es mehr als ein dutzend Aggregatzustände, und das schon bei einer idealisierten Annahme man hätte Wasser und nur das. Ich betone nochmal: die Gleichungen die im Grunde das alles beschreiben sind bekannt, doch das Problem ist die Komplexizität. Warum gibt es wohl immer mehr “computational” Fächer?
    Es wäre nicht sonderlich überraschend bzw. ich glaube, dass das Bewusstsein, bzw die Selbstwahrnehmung eine Eigenschaft ist, die aus der Komplexizität des neuronalen Netzwerks des Gehirns entsteht (“entsteht” hier im Sinne von das ist der Grund dafür).

    P.S. sry, ist bezogen auf den Artikel etwas off-topic

  49. @Stephan: Psycho vs. Neuro

    “Wir haben also Orte im Gehirn (mal von den ganzen methodologischen Fragen abgesehen, die solche Studien aufwerfen) und eine evolutionäre Funktion. Was erklärt uns das jetzt über die Fähigkeit, sich in andere hineinzuversetzen? Herzlich wenig.”

    Sie verfolgen damit ein psychologischen Ansatz; man kann aber auch fragen: Was macht der vmPFC und was TPJ? Dann findet man Gemeinsamkeiten mit einer Reihe von anderen kognitiven Prozessen und kann die Hypothese aufstellen: TPJ hat etwas mit Perspektivwechsel zu tun und vmPFC mit Relation gleichzeitig aktivierter Realitätsrepräsentationen.
    Diese Hypothesen sind testbar, und natürlich bezieht man dabei auch onto- und phylogenetische Erkenntnisse mit ein.

    Die Resultate helfen mE definitiv, zu erklären, welche kognitiven Subfunktionen für die Fähigkeit, sich in andere hineinzuversetzen, hinreichend und notwendig sind.

  50. @ Keeper: Maschinenmodell

    Schön, dann können wir Ihr Gehirn also durch einen Computer mit den geeigneten Input- und Output-Relationen ersetzen und niemand merkt den Unterschied. Da hätten Sie sicher nichts dagegen, oder? 😉

    Auch wenn Sie damit Recht hätten, “dass das Gehirn [nicht] mehr wäre als eine geordnete Ansammlung von Nervernzellen, die über ihre individuell einstellbaren Verbindungen, Eingangssignale in Ausgangssignale umwandelt”, so ist der Mensch eben nicht nur sein Gehirn.

    Davon abgesehen verfallen Sie mit dem Modell in die dunklen Zeiten des Behaviorismus: Black Box mit Input/Output.

    Als Windmühlen die modernsten Maschinen waren, verglich man das Gehirn damit; später waren es dann Fabriken, Elektrizitätswerke, Verschaltungen einer Telefonzentrale, Turing-Maschinen, Computer, Netzwerke… Auch damals hätte man jeweils fragen können: Welche Tatsache weist daraufhin, dass das Gehirn mehr wäre als das?

    Sein Nichtwissen hinter dem Begriff der Komplexität zu verstecken, hört sich vielleicht ganz nett an, ändert aber nichts daran, dass man es eben (noch?) nicht weiß.

  51. @ Mortimer: Neuro-Fehlschlüsse

    Ja, man kann natürlich fragen, was macht der Gehirnbereich ziemlich weit vorne und in der Mitte? Oder was macht der da rechts oben? Der Punkt, den Sie übersehen, ist jedoch, dass das “Brain Mapping” schon eine Psychologie voraussetzt.

    Wie funktionieren denn die Experimente? Sie bringen ihre Versuchsperson in eine Lage, in der Sie davon ausgehen, dass sie sich in andere hineinversetzt, und messen dabei Aspekte von Gehirnaktivierung. Sie wenden also zumindest implizit bereits eine psychologische Theorie über die Aktivierung bestimmter psychischer Prozesse an. Und woher haben Sie dieses Wissen? Geben Sie doch endlich zu, dass dies rein gar nichts mit der Beobachtung von Energieübertragung zu tun hat.

    Sie können VMPFC und rTPJ ebenso gut andere Funktionen zuweisen; umgekehrt können Sie auch andere Gehirnregionen mit Perspektivenwechsel in Zusammenhang bringen (beispielsweise Precuneus).

    Die Resultate helfen mE definitiv, zu erklären, welche kognitiven Subfunktionen für die Fähigkeit, sich in andere hineinzuversetzen, hinreichend und notwendig sind.

    Das ist “definitiv” ein Traum, der (zumindest mit den heutigen Methoden) nicht in Erfüllung geht. Die funktionelle Spezialisierung ist dafür nicht hinreichend. Deshalb ist es ein Fehlschluss, zu behaupten: Psychischer Prozess X und Y sind beide mit Aktivierung in Gehirnregion A verbunden, also teilen sie bestimmte Subfunktionen.

    Lesen Sie bitte mal das BBS-Paper von Michael Anderson (PDF) oder schauen Sie sich wenigstens seinen Vortrag auf unserer Konferenz Imaging the Mind an. Quintessenz: “Stop using the Reverse Inference!”

  52. OK, ich seh schon

    die Diskussion ist über mich hinweggegangen wie die Flutbasalte über Zentralindien… Da spar ich mir die Aufholjagd.

    Eine Frage hab ich aber noch zum letzten Kommentar von Stephan: Was passiert denn, wenn wir die Psychologie eben nicht voraussetzen und unseren Probanden als (mechanische) Black Box betrachten? Das würde natürlich die Experimente und ihre Interpretation in der Praxis deutlich erschweren, aber wir reden hier ja die ganze Zeit über prinzipielle Möglichkeiten…

  53. @ Lars: Black Box?

    Was genau meinst du? Es gibt fMRT-Experimente, bei denen man beispielsweise einer Vp ein Video zeigt und anstatt selbst eine Designmatrix zu entwickeln (d.h. zu Zeitpunkt t1 passiert X1, t2 X2 usw.), fragt man sie hinterher, zu welchen Zeitpunkten besondere Ereignisse passierten. Das nennt man dann auch mal “real world fMRI”. Die Vp wird beim Definieren/Beschreiben aber natürlich auf ihre Alltagspsychologie zurückgreifen (“Das bei t1 war aufregend”, “Bei t2 bin ich erschrocken”).

    Oder vielleicht meinst du, dass man ohne Experiment die Gehirnaktivierung untersucht? Nun, dann musst du trotzdem das Verhalten beobachten, um die Gehirnaktivierung damit zu korrelieren, und/oder wieder die Vp fragen (s.o.).

    Es gibt noch datengetriebene Verfahren, z.B. Independent Component Analysis, bei denen man kein Design vorgibt, sondern nach Mustern in den Daten sucht; einerseits starten aber auch diese mit Vorannahmen (z.B. Nach wie vielen Komponenten suche ich? Wie sieht eine Komponente aus?) und muss man diese Wiederum zu Verhalten, Kontext und/oder Bericht in Verbindung setzen, um zu verstehen, worauf die Gehirnaktivierung deutet.

  54. Intuition, Maschinenmodell

    Inuition (auch Geistesblitz, 7. Sinn, Bauchgefühl genannt) ist das Ergebnis eines unbewussten Denkvorganges. Ein Eingangsreiz(-muster) wird mit vorhandenem Wissen verglichen um eine Zukunftsvorschau zu erstellen.
    Wie fehlerhaft die Intuition ist, kann man beim Witzeerzählen beobachten. Denn viele Witze basieren auf einer Täuschung der Intuition – weil die Pointe eben anders ist, als man vorausgedacht hatte.

    Ein Maschinenmodell des Gehirns zu erstellen ist nicht möglich, da eine seiner wichtigsten Merkmale die Fehlerhaftigkeit ist. Erst aus Fehlern entsteht schöpferisches Denken.

  55. fragen über fragen

    ich habe die kommentare nur überflogen – aber ich verstehe irgendwie nicht so recht, wo eigentlich das problem liegt. das versteh ich bei diesen atheismus-bright-religion-weltanschauungs-debatten im netz generell nicht. irgendwie habe ich das gefühl, es gäbe auch kein problem, gäbe es nicht das internet mit seinen foren als problemgenerierendes medium (klingt so bissl mcluhan mäßig). da vertritt irgendein philosoph eine naturalistisch genannte weltanschauung… ja und? jeder sieht ein, dass es diverser prämissen bedarf, um diese weltanschauung kohärent zu halten, oder? spätestens bei prämisse b kann ich – wenn ich denn wollte – bequem anderer meinung sein… deswegen versteh ich die aufregung um das “noch nicht erklärbar” irgendwie nicht.

  56. Geben Sie sich nicht selbst die Antwort?

    Ich habe mich nun nicht durch den Kommentarbaum gelesen, kann also sein, dass ich etwas wiederhole, aber bedeutet, dass alles mit rechten Dingen zugeht nicht, dass es keine Wunder gibt? Und ist die damit gegebene Annahme nicht Programm des Naturalismus, ohne die er sinnlos wäre? Dass nämlich Erkenntnis und Verstehen, Sache des Menschen sind, dass sie versucht werden müssen und sollten, selbst wenn sie unvollständig bleiben? In Essenz hieße dies, dass man eben nicht von einer fundamentalen, den menschlichen Verstand übersteigenden Quelle von Erkenntnis und Wissen ausgeht (Gott).

    Wie auch immer man das sieht, wie auch immer man sich entscheidet, mir scheint recht klar was gemeint ist.

  57. @ metepsilonema: Universalität

    Was Sie formulieren ist meines Erachtens gerade keine Form von Naturalismus oder wenn, dann höchstens eine recht bescheidene Variante. Laut Vollmer ist der universelle Anspruch einer der beiden zentralen Pfeiler des Naturalismus:

    Dass sich die naturwissenschaftlichen Verfahren letztlich auf alle Aspekte der Realität anwenden lassen, dass sie komplexere Zustände durch einfacherere Zustände erklären werden und letztlich alles auf Formeln, in denen es um Masse und Energie geht, reduzierbar ist.

  58. Zusammenfassung

    In der Diskussion von Jörgs Reaktion Die Diktatur der Naturwissenschaften? habe ich diese Zusammenfassung meines Beitrags angeboten, die ich auch hier veröffentlichen möchte.

    Weißt du, auch Philosophen sind sich oft nicht einig darüber, wie ein Begriff definiert wird; mein Artikel sollte die folgenden beiden Einsichten transportieren:

    Erstens verwenden Brights, Naturalisten und evolutionäre Humanisten diese Begriffe in undeutlicher Weise. Von jemandem, der sich derart mit einer Strömung identifiziert, sollte man doch etwas mehr Klarheit erwarten dürfen. Ich habe zum Beispiel schon sehr deutlich die Haltung eines Agnostikers definiert, mit der ich mich bisher am besten identifizieren kann.

    Zweitens erheben manche Menschen (insbesondere diejenigen, die unter die genannten Kategorien fallen), eine naturwissenschaftliche Sicht zur Philosophie. Dadurch ist diese Philosophie aber nicht naturwissenschaftlich und man muss ihr auch nicht folgen, wenn man Naturwissenschaftler ist.

    Wir stoßen hier natürlich auf ein Induktionsproblem, wenn wir aus dem bisherigen Verlauf der Wissenschaft auf die Zukunft schließen wollen. Da der Induktionsschluss (von einzelnen Beobachtungen auf allgemeine Gesetze) in der Naturwissenschaft aber sehr zentral ist, ist meines Erachtens auch der Verweis darauf berechtigt: Dass nämlich viele (die meisten?) Experimente mehr Fragen aufwerfen, als sie beantworten, und man hinterher oft weiß, dass es irgendwie doch komplexer ist, als man vorher dachte.

    Hierüber müsste ich sicher noch etwas genauer nachdenken aber Beispiele wie das Dreikörperproblem oder die – trotz Determinismus – Unvorhersagbarkeit chaotischer Systeme zeigen doch, dass unsere Erkenntnisfähigkeit beschränkt ist. Wer dann immer noch dem Naturalismus frönt, der muss das meines Erachtens schon etwas genauer erklären, warum er denkt, die Naturwissenschaft könnte prinzipiell alles erklären.

    Eine Nebenerkenntnis, also gewissermaßen drittens, besteht darin, auf die soziale Gefahr hinzuweisen, aufgrund dieser spekulativen Weltanschauung Menschen mit anderen Meinungen aus dem öffentlichen Diskurs auszuschließen (eben weil sie Spinner, Dumme, Supers, Hinterwäldler… sind). Schau dich doch in manchen Wissenschaftsblogs um, wie es da zugeht (damit meine ich nicht SciLogs).

    Ich bin kein Christ aber ich will offen mit Christen über die Vereinbarkeit von Wissenschaft und religiösem Weltbild diskutieren können; und ich bin auch kein Vertreter der Homöopathie, will aber offen mit einem Homöopathen über die fehlende wissenschaftliche Grundlage seiner Theorie sowie die Bedürfnisse seiner Patienten sprechen können.

  59. “Das finde ich nun aber nicht so überzeugend. Unbewusstes ist mir zunächst einmal Unzugänglich; aber vielleicht kann ein anderer bestimmte Regungen an mir erkennen, ein Zittern der Hände, ein Herumrutschen auf dem Stuhl, und mich damit konfrontieren? Oder vielleicht kann ich mir durch gekonnte Introspektion das Unbewusste erschließen? Natürlich würde es dann aufhören, unbewusst zu sein, aber das schlösse ja nicht aus, dass es das vorher war, ich also Aussagen darüber machen kann.”

    Das finde ich nun nicht sonderlich überzeugend. Man kann allenfalls Unbeachtetes und Implizites erschließen, nicht aber Unbewusstes, da dieses per definitionem niemals bewusst sein/werden kann. Abgesehen davon ist der Erschließungsvorgang ja bewusst; wie wollen Sie dann entscheiden, ob Sie hier tatsächlich Unbewusstes ans Tageslicht befördert haben oder ob es sich um ein Konstrukt Ihrerseits handelt?

    Deshalb würde ich auch auf Ihr Beispiel, dass mich jemand anderes auf blinde Flecken meinerseits hinweisen kann, entgegnen: Dieser blinde Fleck kann niemals vollkommen blind sein, sonst könnte ich ihn gar nicht entdecken bzw. als zu mir gehörig ausweisen (vgl. Ned Blocks Differenzierung zw. access und phenomenal consciousness [welche natürlich nur eine Aufwärmung von Sartres Konzept des thetischen und nicht-thetischen Bws ist], die Schriften Manfred Franks etc.)

  60. “Aber denken Sie denn, dass man mit einem Indeterminismus die Willensfreiheit retten könnte?”

    Nur wenn ich den Indeterminismus seinerseits wieder deterministisch interpretiere, wird daraus eine Gefahr für die Willensfreiheit. Besonders deutlich sieht man dies an einem Zitat v. H. Schnädelbach:

    “Freiheit im Sinn des Indeterminismus ist ein Unding, denn dann wären wir handelnde Zufallsgeneratoren, denen andauernd irgendetwas unterläuft oder passiert;wer nicht weiß, warum er gestern dies oder jenes getan hat, und keine Ahnung hat, was er demnächst tun wird, ist nicht frei, sondern demenzkrank”

    Diese Argumentation funktioniert nur, wenn ich Gründe mit Ursachen gleichsetze und zudem (!) als etwas mir Äußerliches vorstelle. Ich empfehle Bergsons “Zeit und Freiheit”, um sich von dieser falschen Denke freizumachen.

  61. Starke Debatte!

    Das wollte ich hier allen Teilnehmenden und besonders dem Gastgeber einfach mal anerkennend mit auf den Weg geben. Ich lese aufmerksam mit und bin sicher nicht der einzige…

  62. Was machen eigentlich…

    …Physikalisten (NICHT Physiker, die meistens viel zu klug für platten Reduktionismus sind), wenn sich jetzt tatsächlich heraus stellen sollte, dass es doch Bewegungen oberhalb der Lichtgeschwindigkeit gibt?
    http://www.zeit.de/wissen/2011-09/neutrinos-cern-licht

    Ich kann mich nur immer wieder wundern, wie bereitwillig wir Menschen uns und unsere Erkenntnisse wieder und wieder großspurig überschätzen – und dann jedes Mal von Neuem bass erstaunt ist, wenn sich doch alles als um Dimensionen komplexer erweist…

  63. @ Naivling

    Das finde ich nun nicht sonderlich überzeugend. Man kann allenfalls Unbeachtetes und Implizites erschließen, nicht aber Unbewusstes, da dieses per definitionem niemals bewusst sein/werden kann.

    Wieso widerspricht es der Definition, dass etwas, was mir zum Zeipunkt t0 nicht bewusst ist, mir zum Zeitpunkt t1 bewusst werden kann?

    Und wieso widerspricht es der Definition, dass etwas, was mir zum Zeitpunkt t0 nicht bewusst ist, einem anderen sehr wohl bewusst sein kann?

  64. @ Michael

    Pass auf, was du hier sagst, ein antiwissenschaftlicher Fundamentalist könnte dich sonst noch für seine Zwecke instrumentalisieren! Z.B. in der Form: “Führender SciLogger zieht Relativitätstheorie in Zweifel.” 😉

  65. “Wieso widerspricht es der Definition, dass etwas, was mir zum Zeipunkt t0 nicht bewusst ist, mir zum Zeitpunkt t1 bewusst werden kann?”

    Und wieso widerspricht es der Definition, dass etwas, was mir zum Zeitpunkt t0 nicht bewusst ist, einem anderen sehr wohl bewusst sein kann?”

    1. Wo, wann und wie passiert denn der Übergang?
    2. Woher wissen Sie eigentlich, dass dieses Etwas tatsächlich geschehen ist? Glauben Sie der anderen Person einfach, wenn sie sagt, dass es sich so verhalten hat?

  66. Klingt gut

    Ich kenne die Original Texte nicht, aber ich stimme Herrn Schleim in den inhaltlichen Teilen voll und ganz zu. Was soll den dieser Naturalismus immer? Entweder er ist ganz weit, und besagt dann eigentlich gar nichts außer dass der Teil des Weltwissens, den wir mit Naturgesetzen erklären können, keine anderen mystischen Erklärungen hat, (nun gut), oder er ist stärker, und meint alles unterliege Naturgesetzen, und diese hätte dann auch noch bestimmte Eigenschaften, die unseren heutigen Gesetzen ähneln. Und da es ja trotz Neurowissenschaften so etwas wie Bewusstsein und Geist gibt, müsste der Nasturalist den erklären, und kommt in die ganzen großen Schwierigkeiten. Wie man die einfach wegwischen kann, ohne über die eigenen Erkenntnisgrenzen nachzudenken, ist mir unverständlich. Und was dass dann für ethische Konsequenzen hat, auch. Wo sind denn die moralischen Maßstäbe in der Natur? Die will ich nicht finden, und die, die ich finde, will ich nicht als gültig akzeptieren (Sozaildarwinismus, wenn denn die Evolution überhaupt einem Naturgesetz im strengen Sinne unterliegt).
    Und die ewige Wegerklärung des “Ichs”. Also ich habe ein Ich, nämlich einen bewussten Zugang zur Welt aus einer bestimmten Perspektive, die aus einer beobachterunabhängigen Warte nicht erklärt werden kann. Jedenfalls ist mir kein Naturgesetz bekannt, dass dies auch nur versuchen würde. Und solange mache ich mein “Ich” und nicht die Evolution, zur Grundlage meines Handelns..

  67. @Stephan Schleim

    Ich schrieb nicht, dass das schon Naturalismus ist, sondern er darauf aufbaut (sein Programm). Und ist die Formulierung Vollmers nicht nur ein gesteigerter Anspruch, abgeleitet aus den Erfolgen (Technik und Wissenschaft) des Naturalismus?

    Der Anspruch, dass Wissen und Erkenntnis Sache des Menschen sind, und zwar nur des Menschen, ist Ausdruck von Stolz, vielleicht von Überheblichkeit – ich denke das trägt den Keim des Universalismus bereits in sich (ich meine das jetzt nicht wertend).

  68. @ Chris aus HH: Schuldscheinnaturalismus

    Danke für den Kommentar.

    Bewusstsein und die anderen Welträtsel sind für den überzeugten Naturalisten aber überhaupt kein Problem; wir müssen ihm oder ihr lediglich genug Zeit und Geld geben, dann wird er oder sie die Rätsel schon lösen.

    Und wenn die Rätsel noch nicht gelöst sind, dann haben wir eben noch nicht genug Zeit und Geld zur Verfügung gestellt. So einfach ist das. 🙂

    Vgl. Popper zu “Schuldscheinmaterialismus”.

    Hmm, laut Google hat bisher noch niemand das Wort “Schuldscheinnaturalismus” geprägt. Vielleicht ist das meine große Chance, berühmt zu werden?

  69. @ metepsilonema: Oh Wunder!

    Zu der Sache mit den Wundern habe ich mich schon im Beitrag geäußert. War es nun ein Wunder (oder Messfehler?), dass sich Neutrinos mit Überlichgeschwindigkeit fortbewegten? Oder müssen wir unser Weltmodell daran anpassen? Die Abkürzung durch eine andere Dimension wurde ja schon als Möglichkeit ins Spiel gebracht. (Ist das eigentlich überprüfbar oder ein gutes Beispiel für eine ad hoc-Erklärung?)

    Tatsächlich berufen sich Naturalisten wie Vollmer (oder auch Lesch) auf den Erfolg von Wissenschaft und Technik. Ich bestreite gar nicht, dass an dem Gedanken vielleicht etwas dran ist, möchte aber doch diese Erfolge gegen die Misserfolge und Zerstörung, die Wissenschaft und Technik anrichten, aufgewogen wissen.

    Dass beispielsweise das iPhone nicht nur toll aussieht und funkt, sondern auch ungefragt Daten über seinen Nutzer sammelt und unter Umständen preisgibt und die Bedingungen seiner Herstellung reihenweise chinesische Arbeiter in den Selbstmord getrieben haben, halte ich durchaus für relevant, um nur einmal ein Beispiel zu geben. (Übrigens habe ich kein iPhone, sondern das wirklich einfachste Mobiltelefon, das ich im Shop kriegen konnte; und das kann eigentlich schon viel mehr, als ich zum Telefonieren brauche.)

    Ich fände es hochinteressant, wenn hier jemand mal unvoreingenommen eine Bilanz ziehen würde.

  70. @Stephan Schleim

    Ich meine, dass das keine Frage der Naturwissenschaft ist. Der Naturwissenschaftler misst die Geschwindigkeit der Neutrinos, wieder und wieder, um letztlich eine Wahrscheinlichkeitsaussage zu treffen. Er wird sagen, dass Überlichtgeschwindigkeit eine Eigenschaft von Neutrinos ist, die sie unter bestimmten Bedingungen zeigen. Und er wird diese Bedingungen näher erläutern können. Der Unterschied zu Wundern ist, dass genau das nicht geht: Man kann keine Bedingungen nennen unter denen sie (mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit wären) reproduzierbar wären. Ich denke, das ist es worauf Naturalisten hinaus wollen.

    [Ob es überprüfbar ist, weiß ich nicht. Wissenschaft beruht aber darauf. Und alle Thesen sollten, ob nun ad hoc oder nicht, prüfbar sein und geprüft werden.]

    Man kann natürlich darüber streiten, ob wir beide gerade über das Netz kommunizieren oder nicht – ich werde das aber sicherlich nicht tun. Dass Wissenschaft und Technik unsere Welt rasant verändert haben und verändern, ist evident außerhalb ganz basaler Erkenntnistheoretischer Zweifel oder Prämissen. Die negative Seite gehört hier selbstverständlich dazu, aber auch sie gibt den Naturalisten indirekt recht: Dass wir verstehen können, welche Schadstoffe auf welche Art und Weise Lebewesen und Menschen gefährden, ist wieder eine Errungenschaft von Naturwissenschaft und Technik. Freilich: Es ist völlig berechtigt zu fragen warum und wozu dieses oder jenes getan oder entwickelt, erforscht oder erfunden wird, aber diese Frage steht wieder jenseits des Naturalismus, oder?. Was auch für das iPhone gilt – aber schön jemand zu treffen, der auch das einfachste Mobiltelefon haben will (geht mir nämlich genauso).

  71. Wunder

    Ich halte es für eine Stärke des Naturalismus, dass er (aufgrund bisheriger Erkenntnissen) die Möglichkeit von (echten) Wundern von vorneherein ausschließt.

    Das stellt sicher, dass auch bei wundersam erscheinenden Phänomenen eingehend nach natürlichen Erklärungen gesucht und so der wissenschaftliche Fortschritt vorangetrieben wird.

    (Im Übrigen finde ich es überaus gelungen, den Naturalismus mit einer geläufigen Redewendung [“alles geht mit rechten Dingen zu”] auf den Punkt zu bringen.)

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