Mörderische Vernunft

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Die Weihnachtstage sind vorbei und auch Sylvester liegt gerade hinter uns. Für das neue Jahr hat uns der Autor Jens Johler einen Kriminalroman beschert, der im Milieu der Hirnforschung spielt. Wenn die Bücher, die für uns unter dem Weihnachtsbaum gelegen haben mögen, nicht passen oder schon gelesen sind, dann verspricht die Kritik der Mörderischen Vernunft ein spannendes Lesererlebnis für alle Hirn- und Krimifreunde.

Troller, ein Wissenschaftsredakteur der imaginären Zeitschrift Fazit, erhält eine mysteriöse E-Mail von jemandem, der sich selbst Kant nennt. Seine Ankündigung, eine "praktische Kritik" zu beginnen, bekommt plötzlich einen grauenhaften Sinn, als am nächsten Tag der führende Hirnforscher Deutschlands ermordet aufgefunden wird — in einem Stuhl, an den sonst Affen für Tierexperimente gefesselt werden. Doch dieser Mord soll nur der erste in der neurowissenschaftlichen Forschungslandschaft sein. Es beginnt eine aufregende Reise durch die Verwicklung von Recht, Moral und Hirnforschung auf den Spuren des verrückten Serienmörders.

Das schönste an Johlers Roman ist, dass die Charaktere, die Debatten und Themen wie das der Willensfreiheit allen wohlbekannt sein dürften, die sich seit Jahren für die Hirnforschung interessieren und beobachtet haben, wie Hirnforscher in den deutschsprachigen Medien auftreten. Durch den Serienmörder, der nun eben diese Forscher aufs Korn nimmt, bekommt die Kontroverse um die Schuldfähigkeit und Verantwortlichkeit des Menschen neues Leben eingehaucht. Der Autor hat es wahrscheinlich nicht zufällig so angelegt, dass die Handlung seines Romans die Stationen der öffentlichen Debatte nachvollzieht. Daher können sich die Leser von Gehirn&Geist darauf freuen, einigen Bekannten aus dieser Landschaft zu begegnen, wie etwa dem "Manifest" führender Hirnforscher über die Auswirkungen ihrer Disziplin.

Das Buch ist jedoch keine trockene Wiederholung der Feuilletons, in denen sich die Forscher geäußert haben. Johler ist es nämlich gelungen, einen packenden Kriminalroman zu schreiben, der einiges an Tiefe hat und den man so schnell nicht aus er Hand legen kann.

Jens Johler: Kritik der Mörderischen Vernunft. Ullstein Verlag, € 9.95 (D). Erscheint voraussichtlich am 14. Januar 2009.

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7 Kommentare

  1. Frohes neues Stephan,

    das hört sich ja wirklich spannend an, wenn der Krimi an bekannte Hirnforscher angelehnt ist. Normalerweise lese ich keine Krimis, aber vielleicht mache ich mal eine Ausnahme.

  2. Tod im Affenstuhl

    Ich hab’ gewisse Schwierigkeiten damit, mir auch nur einen der Unterzeichner des “Manifestes der Hirnforschung” tot im Affenstuhl vorzustellen. Ich mein’: ein Makak ist ein Makak und ein Mensch ist ein Mensch und zwischen beiden liegen – zumindest was die Scheitel-Steiss-Länge und das Körpergewicht angeht – Meter und Zentner.

    Nun, egal.

    Was ich wirklich vermisse, ist eine Buchvorstellung und -kritik, vor allem angesichts dessen, was momentan an der Uni Bremen geschieht. Bezieht der Autor in irgendeiner Form Stellung? Oder schlägt er “nur” kriminalistische/literarische Funken aus einer ethisch verworrenen Debatte? Wenn Du’s schon gelesen hast: enthalt uns doch die Buchkritik nicht vor!

  3. @ Wicht

    Lieber Helmut,

    ein Stuhl für Makaken ist es sicher nicht; dort sollen auch Schimpansen ihren Platz gefunden haben. Vielleicht geht das aber auch auf die Fantasie des Autors zurück.

    Weißt du, weil ich kein Krimiexperte bin und momentan nicht viel Zeit habe, konnte ich keine richtige Rezension schreiben. Die zehn Euro für das Buch sind aber eine gute Investition, wenn du es dir anschaffst. Ich denke, so viel geht aus dem Beitrag hervor.

    Viele Grüße

    Stephan

  4. Empfehlenswert

    Das Buch habe ich gerade heute zuende gelesen. Im Nachwort des Autors fand ich den Namen Stephan Schleim und google brachte mich hierher.
    Ich liebe Krimis die man hinterher noch “nachbearbeiten” kann. So habe ich zuerst ein wenig über Immanuel Kant “recherchiert” und habe mir danach mit großem Interesse die online erreichbaren Texte zum Buch “Gedankenlesen” einverleibt.
    Als weiterführende Lektüre könnte ich mir tatsächlich mal ein solches Sachbuch vorstellen. Vielleicht haben Sie sogar schon das Schreiben an einem eigenen Krimi begonnen? Ideen gäbe es sicher einige…

  5. @ Winter

    Vielen Dank, es freut mich, wenn Ihnen der Krimi genauso gefallen hat wie mir. Das Schreiben von Thrillern sollte man aber besser denjenigen überlassen, die etwas vom Metier verstehen — und dazu gehöre ich (noch) nicht dazu.

    Viele Grüße

    Stephan Schleim

  6. Ganz elektrisiert , , ,

    …von der im Juli eher zufällig entdeckten Vorstellung des Buches hier hab ich es sofort bei meinem Buchhändler zur Ansicht bestellt und ebenso schnell gekauft, nachdem ich schon beim ersten Reinspitzen gefesselt war: von dem ersten in meinem Leben selbst erstandenen Krimi.

    Ich kann den Hinweis nur unterstreichen, dass Leser von Gehirn & Geist den Roman besonders interessant finden könnten. Mit eigener Sachkenntnis zu verfolgen, was Jens Johler aus dem Bekannten gemacht hat, entwickelt seinen eigenen Reiz und fordert vor allem zur verschärften eigenen Stellungnahme zu seiner Darstellung der Problematik heraus, die er in ihren vielen und weitverzweigten Aspekte zu vermitteln sucht. Mir ist es jedenfalls ganz anders ergangen als dem anonymen Autor der Vorstellung des Romans auf S. 80 in Heft 5/2009 von G&G, der trotz der Feststellung, “der Thriller verbindet Fiktion und Wirklichkeit auf bemerkenswerte Weise” – der ich nur zustimmen kann – meint, wer sich halbwegs auskenne, habe gerade “davon schnell zu viel.” (Wie ein biologisch abseitiges Thema, für dessen Darstellung an sich ein kurzer Zeitungsartikel genügt, dagegen zu einem ebenso breit ausgewalzten wie ganz unwahrscheinlichen Plot verarbeitet werden kann, dokumentiert der hier angezeigte Krimi.)

    Ich staune jetzt noch, wie vielschichtig und sogar aktuell Jens Johler seinen Roman angelegt und wie gründlich er dafür recherchiert hat. So führt er in seinem Buch beispielsweise die große Studie der Europäischen Akademie zur Erforschung von Folgen wissenschaftlich-technischer Entwicklungen “Intervening the Brain” an, von der G&G bislang noch nicht berichtet hat. (Zusammenfassung auf Deutsch hier) Derartiges hätte ich in einem vordergründig reißerischen Roman nun wirklich nicht vermutet!

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