Illusion 3D

BLOG: MENSCHEN-BILDER

Mensch, Gesellschaft und Wissenschaft
MENSCHEN-BILDER

Im Kino sah ich kürzlich ganz besondere Menschen-Bilder: In dem „Black Box“ getauften Saal des Cinedom in Köln sowie in einigen anderen Kinos in Deutschland werden nun normale Kinofilme in einer besonderen 3-D-Ausführung gezeigt. Damit der Effekt funktioniert, muss man dafür eine elektronische Brille tragen, die wahrscheinlich abwechselnd jedes Auge verdunkelt, ca. 60 mal pro Sekunde und pro Auge. Mit einem aufwändigen Projektor kann man so jedem Auge unterschiedliche Bilder zeigen, was aber zu schnell geschieht, um davon etwas zu bemerken. Durch die Differenz der Bilder wird den Augen dann eine Tiefenperspektive vorgetäuscht, die es gar nicht gibt. Das Gesehene wirkt dreidimensional. Ohne die Brille könnte man den Film zwar auch anschauen, würde aber alles verschwommen sehen. Da die Bilder unterschiedlichen Perspektiven entsprechen, werden sie dann von beiden Augen gleichzeitig gesehen und der Effekt bricht zusammen.

Die Objekte verdecken einander, wie in der Wirklichkeit. Doch will man den Kopf drehen und an ihnen vorbei schauen, bricht der Effekt zusammen.

Man mag sich fragen, worin der Vorteil gegenüber den schon bekannten 3-D-Kinos besteht. Nun, während dort meist nur spezielle Filme laufen wie „Erlebe die Dinosaurier“ oder „Reise in die Antarktis“, versprechen die neuen 3-D-Kinos nun den Mainstream-Kinogeschmack in der dritten Dimension zu erschließen. Ganz so einfach ist das allerdings nicht, da die digitale Erfassung der Objekte wie Schauspieler und Gegenstände notwendig ist, um die perspektivischen Bilder für beide Augen berechnen zu können.

Mit dem dafür nötigen Mehraufwand wurde auch der Film Beowulf beworben, der nun nicht nur auf herkömmlichen Leinwänden, sondern auch in 3-D gezeigt wird. Es heißt, man habe bestimmte Szenen von den menschlichen Darstellern spielen lassen, um dann eine digitalisierte Aufnahme mit räumlicher Information zu bekommen. Was am Ende dabei herauskommt, sieht etwas realistischer aus als ein Zeichentrickfilm, kann jedoch keine Realität vortäuschen – wäre da nicht der 3-D-Effekt.

Der Movie-Held Beowulf hat es mit einem lärmgeplagten Troll zu tun, der die Menschen überfällt, weil sie zu laut feiern.

Der mag einen für einen kurzen Moment wirklich zu überlisten. Wenn Beispielsweise Tische oder andere Personen die Handlung verdecken, dann möchte man den Kopf zur Seite legen oder verdrehen – aufstehen und herumlaufen geht im Kino ja nicht. Dieses gewohnte Verhalten fördert dann jedoch kein neues Bild aus einer anderen Perspektive zutage, wie wir es in der wirklichen Welt erleben, und man erinnert sich, dass hier alle dieselbe Illusion zu sehen bekommen, aus einer einzigen, vom Computer für den Film vorausberechneten Perspektive. Für ein paar Millisekunden verblüfft, ist man dann doch enttäuscht, dass die 3-D-Welt nicht das verspricht, was sie einem vorspielt – Tiefe. Mit dem Wahrnehmungspsychologen David Marr möchte man daher eher von 2 ½-D sprechen; oder von zwei Schichten von Pappfiguren und -landschaften, die man voreinander hält. Auf den ersten Blick überzeugend, entpuppen sie sich schnell als tiefenlose Oberflächen aus Papier. Eben dann, wenn man mit ihnen so umgehen will, wie mit den Objekten des Alltags.

Was bringen also die neuen Kinos? Denkt man an Beowulf, muss man zunächst von einem Film sprechen, der gegenüber bekannten Helden-und-Drachen-Filmen nichts Neues zu bieten hat. Zudem sind die Dialoge oberflächlich und langweilig, was allerdings in manchen Fällen schon Lacher provozieren kann: „Wie geht es deinem Vater?“ „Der ist gestorben.“ „Ach!“ Das erste Monster, der so genannte Grendl, erinnert an einen geplagten Großstadtbewohner, der nachts wegen der lauten Techno-Musik seiner Nachbarn nicht schlafen kann – und so überfällt er dann auch die Menschen, weil sie bei ihren Saufgelagen zu viel johlen und poltern. Rache muss sein, aber da hat der lärmgeplagte Troll mit Minderwertigkeitskomplex die Rechnung ohne den Filmhelden gemacht, der ihm für seine Raubzüge noch ordentlich auf dem Trommelfell herumtrommeln wird. Nicht auf einer Trommel, dafür auf einer Harfe, singt die schöne Frau des Königs vorher noch ein eingedeutschtes Liebeslied zu Metallicas Melodie aus „Nothing Else Matters“.

In Sachen 3-D-Darstellung dürften die Computerspiele schon bald die Möglichkeiten des Kinos weit übertreffen.

Kurz gesagt, kann man sich Beowulf getrost sparen. Der 2 ½-D-Effekt, er mag am Anfang zu überraschen aber letztlich doch nicht zu überzeugen. Somit bietet die Spezialbrille der „Black Box“ allenfalls ein Argument, die kognitive Dissonanz des Kinobesuchers (vgl. „Einblicke in die Dynamik des Denkens“, Gehirn&Geist 10/2007) zu verringern: Ich habe zwar viel Geld für einen schlechten Film bezahlt, aber wenigstens habe ich ihn in 2 ½-D gesehen. Man denkt an den Ausspruch des kanadischen Medientheoretikers Marshall McLuhan: „The Medium is the Message.“ Ob das aber nicht nur beim ersten Mal, sondern wiederholt funktioniert, das sei dahingestellt. Sicherlich denken die Kinobetreiber auch schon daran, bei aufwändigeren Ausführungen der Filme die Preise anzuziehen – mehr Leistung, mehr Geld. Bevor sich das Kino aber die dritte Dimension erschließt, dürften das schon lange die Computerspiele getan haben, die auf einer Videobrille jedem Auge die entsprechende Perspektive liefern können – und zwar blickwinkelabhängig, interaktiv und in Echtzeit. So nah, als wär' man da.

Das – bis jetzt misslungene – Bestreben der Kinobetreiber, den Kunden ein neues Argument für den Kinobesuch zu liefern, erinnert an die verzweifelte Frau der Romanfigur Guy Montag, den Antihelden in Ray Bradburys Fahrenheit 451. Nur noch an ihre virtuellen Fernsehserien denkend, setzt sie ihren Mann unter Druck, mehr Geld für die noch fehlende dritte Videowand zu verdienen, die ihrem dreidimensionalen und damit perfekten illusionären Glück noch fehlt. Letztlich denunziert die Frau Guy Montag wegen seines illegalen Buchbesitzes und bringt ihn damit in Lebensgefahr, um ihre virtuelle Welt zu schützen. Ich glaube, wer auf seinem Computer Spiele wie das umstrittene Crysis spielen kann, der wird über die Effekte von Beowulf nur müde lächeln; und auch Guy Montags Frau hätte ihn wohl kaum für eine Illusion von der Qualität Beowulfs verraten.

 

Quellen: 

Lange, L. (2007). Einblicke in die Dynamik des Denkens. Gehirn&Geist 10/2007, S. 38-43.

Der Vergleich mit den Pappfiguren stammt von Karla Schneider.

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1 Kommentar

  1. Hallo Kollege!

    Witzig, grad sitze ich über meinem nächsten Blogeintrag zum Thema “Wie und wo wir Kinofilme sehen”, da fällt mein Blick auf Ihren Beitrag. Great minds think alike… 🙂

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