Gratis: Neuer Gehirndoping-Bericht erschienen

Wer hat nicht schon einmal vom Gehirndoping (Neuroenhancement) gehört? Laut Medienberichten verwenden 20 bis 30 Prozent der Studierenden verschreibungspflichtige Stimulanzien während der Klausurvorbereitung. Stimmen diese Meldungen? Und was wissen wir über die Wirkungsweise von Amphetamin, Ritalin und Microdosing? Verpassen Sie etwas, wenn Sie nicht mitmachen? Oder handelt es sich nur um den nächsten Hype? Dieser neue Bericht fasst Ergebnisse aus über 15 Jahren Forschung zusammen und ist gratis verfügbar.

Schneller, besser, effizienter: Wer kennt nicht die Erwartung, dass alles immer weiter optimiert werden muss? Schon in der Schule haben wir vom lebenslangen Lernen gehört. Die Regierungen hochentwickelter, doch rohstoffarmer Länder betrachten ihre Bevölkerung mitunter als ‘geistiges Kapital’. Und in der Arbeitspsychologie ist es schon lange üblich, Angestellte als ‘Humanressource’ zu verstehen. Gleichzeitig klagen Menschen über immer mehr Stress und nimmt die Diagnose von Burn-out-Zuständen und Depressionen immer weiter zu.

Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, wenn Gehirndoping ernsthaft diskutiert wird. Bietet die Pharmakologie Lösungen für die Probleme unserer Zeit? Welches Potenzial haben Drogen, die viele Menschen aus eigener Entscheidung konsumieren, zur Leistungsverbesserung? Macht eine Pille aus einem Durchschnittsmenschen einen ‘kleinen Einstein’? Medienberichte spielen häufig mit solchen Hoffnungen – oder zeichnen ein Schreckensbild.

Über 15 Jahre Forschung

Stephan Schleim forscht seit über 15 Jahren zum Thema und beleuchtet es aus sozialwissenschaftlicher, pharmakologischer und philosophischer Sicht. Im jetzt gratis vorliegenden Abschlussbericht des vom niederländischen Forschungsrat NWO geförderten Projekts ‘Geschichte der Neuroethik’ werden die Ergebnisse von über 70 Jahren wissenschaftlicher Forschung allgemeinverständlich zusammengefasst. Der Bericht behandelt auch den neuen Trend des Microdosing, also der Verwendung kleinster Mengen psychedelischer Substanzen wie LSD.

In bisher einzigartiger Form behandelt der Bericht auch die ethischen Werte, die für oder gegen eine pharmakologische Verbesserung des Menschen sprechen. Das Thema wird außerdem zum instrumentellen Substanzkonsum in Bezug gesetzt. Das heißt, dass Menschen nachweislich schon seit Jahrtausenden psychoaktive Stoffe zum Erreichen bestimmter Ziele verwenden. Ein Abschnitt am Ende widmet sich der Beantwortung häufig gestellter Fragen und ergänzt den Bericht damit um eine persönliche Perspektive.

Den Gratis-Bericht können Sie über Stephan Schleims Homepage als PDF-Datei beziehen.

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Die Diskussionen hier sind frei und werden grundsätzlich nicht moderiert. Gehen Sie respektvoll miteinander um, orientieren Sie sich am Thema der Blogbeiträge und vermeiden Sie Wiederholungen oder Monologe. Bei Zuwiderhandlung können Kommentare gekürzt, gelöscht und/oder die Diskussion gesperrt werden. Nähere Details finden Sie in "Über das Blog". Stephan Schleim ist studierter Philosoph und promovierter Kognitionswissenschaftler. Seit 2009 ist er an der Universität Groningen in den Niederlanden tätig, zurzeit als Assoziierter Professor für Theorie und Geschichte der Psychologie.

30 Kommentare

  1. @Schleim
    Danke für die Studie.
    Momentan bemühe ich mich eher,mich in das Elend der Studie zu saufen.
    Ich kann die Konsequenz vieler zur propagierten neoliberalen Selbstoptimierung nicht folgen.
    Welch eine Seuche.
    Was hat das zur Folge?

  2. @Mussi: Selbstoptimierung

    Mir scheint, dass das Selbstoptimierungsdenken durch die Coronapandemie einen Dämpfer erhalten hat und “Durchhalten” zur Zeit für viele wichtiger ist – ebenso wie vielleicht Eskapismus.

    Zum Thema Alkohol folgen in Kürze weitere Artikel. Bitte übertreiben Sie es nicht mit dem “Saufen”.

  3. Ein etwas einseitiger Bericht. Menschen werden in dieser Hochleistungsgesellschaft “verheizt” und Drogen sollen dieses etwas hinauszögern. Gehirndoping dient also, wie in der Tour de France , zur Schaffung
    von Höchstleistungen auf Kosten des Körpers der dadurch noch schneller verfällt.
    Für mich steht immer in diesem System die Frage: Wer verdient daran ? Die, die das tun werden sicherlich in ihrem Lobbysystem entsprechende Studien verfassen ,werden Medien für sich gewinnen und Milliardenumsätze machen. Depressionen bzw. Burn out werden noch weiter zunehmen da das Grundproblem nicht gelöst wird sondern lediglich eine Erscheinung denn die “Humanressource” wird mit Drogen noch mehr ausgebeutet ,noch schneller in die Krankenhäuser und auf die Friedhöfe geschickt. Wo sehen sie da einen ethischen Wert ? Und das Menschen schon immer solche Substanzen genommen haben, ist ein Elefant im Raum da man keine gesicherten Erkenntnisse hat ob diese Substanzen wirklich die Wirkung erreichten die man hier angibt bzw. zur Umsatzsteigerung vorgibt. Wissenschaftlich gesehen sind die Gehirne dieser “armen Schweine” mit Dopamin zugeschüttet, was normal Wahnideen, Halluzinationen, paranoide Verhaltensweisen etc., auslöst.
    Jeder Verstand wird hierbei auf die Müllhalde gekippt und ich kenne niemand der dadurch reifer geworden wäre. Diese Art der Reisen in die Unterwelten ,mehr ist es ja nicht, können sie billiger und ohne Drogen haben.Wenn sich also Personen unter Drogen was einbilden hat das noch lange nichts mit Bildung zu tun.

  4. Golzower “Menschen werden verheizt”. Sie vergessen dabei die Selbständigen, die temporäer beruflich über Maßen gefordert sind, die morgens Aufputschmittel nehmen und abends Schlafmittel. Wenn der Zeitraum überschaubar bleibt, und sie haben keine andere Wahl, dann ist das eben ein Notbehelf.
    Mit mahnenden Worten kann man die Realität nicht besser machen.

  5. @ Stephan Schleim

    Mir ist beim flüchtigen durchlesen Ihres Textes aufgefallen, dass Sie auf so etwas wie den „ritualisierten Kaffeekonsum“ zur „Leistungssteigerung“, der zumindest in Bayern, Österreich relativ verbreitet scheint, weniger eingegangen sind.

    Der Kaffee ist bei Besprechungen mit Kollegen oder Geschäftspartnern fast eine Selbstverständlichkeit. Ich selbst habe in der Zeit meiner Berufstätigkeit auch noch als „Frühstück“ rund einen viertel Liter relativ starken Kaffee (aus einem einfachen italienischen „Espressokocher“) getrunken und vertrage jetzt im Alter nur mehr maximal einen halben Teelöffel Hag Löskaffee.

    Ich meine, „Hobbys“ sind eine leichte „Form des Eskapismus“ und eigentlich positiv, auch wenn einem selbst klar ist, dass sie letztlich eine Flucht vor Altersdepression oder Demenz sind.

    So etwas ähnliches wie „Yogaübungen“ (ohne „Verrenkungen“), wenn man sich sozusagen selbst „einredet“ wie „super“ man sich fühlt, sind irgendwie das Gegenteil von depressiven Gedanken, die sich andernfalls in die „Bahnen des Denken“ „einprägen“ und mitunter vorherrschen könnten.

    „Elektronik- oder Softwarebasteln“ als Hobby, ermöglichen es vorzüglich „Gedanken“ (so etwas wie „Denkmuster“) zu realisieren“ und selber am Experiment bestens zu erkennen was der Realität entspricht oder wo man „falsch liegt“. Das können Biologen/Mediziner (aus ethischen Gründen) weniger und Philosophen vermutlich überhaupt nicht.

    Das Video Hobby ermöglicht es „Traumvideos“ von „wunderschönen Landschaften“ zu erstellen um sich daran, je nach Laune, zu erfreuen.

    Mit der Teilnahme an Diskussionen kann man sich selbst im Alter noch weiter entwickeln und geistig möglichst fit halten. Geistige Fitness ist das allerwichtigste im Alter.

  6. @Joker: kein Alkohol

    Das steht nur in der inoffiziellen Fassung…

    …aber tatsächlich kommt wohl nächste Woche in Text zum Thema Alkohol mit einer ähnlichen Formulierung: Kein Alkoholkonsum verursacht auch Kosten.

  7. @Golzower: Einseitigkeit?

    Worin besteht denn jetzt die Einseitigkeit?

    Es ist halt primär ein Bericht über Gehirndoping, nicht die Leistungsgesellschaft. Auf diese wird aber hingewiesen.

    Im Gegensatz zu Christian P. Müllers Ansatz zum instrumentellen Drogenkonsum verweise ich Ausdrücklich auf eine kritische Reflexion der (psychosozialen) Gründe, aus denen Menschen zu solchen Substanzen greifen.

  8. @Golzower, fauv: In der Praxis…

    …werden fast nur Studierende nach ihrem Konsumverhalten befragt – und ohne, dass man sich auf ein einheitliches Vorgehen einigen würde, was die unterschiedlichen Studien unvergleichbar macht.

    Im Übrigen wird wohl ein Großteil dessen, was eigentlich “Gehirndoping” wäre, von Psychiatern zu “medizinischem” Konsum aufgewertet.

  9. Da kein anderer Autor genannt ist: Warum schreiben Sie über sich in der dritten Person? Der Text klingt wie ein 08/15-Agenturtext und nicht nach Ihnen.

    Und jetzt zum Download.
    Schönes Wochenende!

  10. @ Stephan Schleim 23.07.2022, 00:41 Uhr

    Im Zusammenhang mit Doping und Leistungsgesellschaft hat eine Armeepsychologin der Amerikaner, die vor den Ehefrauen jung verheirateter Soldaten Vorträge gehalten hat, den jungen Ehefrauen empfohlen, den Bierkonsum ihrer Ehemänner so „einzuregeln“ dass sie mit ihren Frauen und der Umwelt gerade noch zurecht kommen, aber nicht die „Bodenhaftung“ verlieren. ….

  11. Ein wenig Grundsätzliches. Der Begriff Doping kommt aus dem Sport und bezeichnet dort Verbotenes.

    Ein nachvollziehbarer Grund für Verbot von Doping im Sport ist fehlerhafte Lastverteilung des Körpers – wer etwa mit Präparaten ein Radrennen bestreitet muss im Anschluss einen biochemischen Ausgleich haben, um nicht zu erkranken.

    Was zeichnet Doping im Sport noch aus: es sorgt für punktuelle – nicht stetige – Leistungsspitze.

    Nun zum Hirn-„Doping“. Auch ohne tief ins Fach zu steigen liegt nahe, dass durch punktuelle Hochleistung die Lastverteilung des Hirns modifiziert wird. Beispielsweise kann ein „Wachmacher“ zu Hirnstörung führen, wenn die natürlichen und notwendigen Träume zum „lockermachen“ infolge Schlafmangels ausbleiben.

    Das ist freilich nur ein technischer Aspekt – in dem Sinn, dass die Nebeneffekte mit passenden Pharmaka beherrschbar sein können. Ein wichtigerer Aspekt ist die Frage nach dem cui bono – wem nützt es? Weil die Hochleistung punktuell statt stetig ist gibt es nur einen einzigen Aspekt, unter dem Anwendung des Hirn-Doping Sinn ergibt: Punktezählen bei Wissens- und Könnens-Prüfung. Nicht Forschung, nicht Wissens-Sammlung, nicht Alltagsarbeit.

    Insbesondere dürfen wir davon ausgehen, dass Hirn-Doping keinerlei Auswirkung auf Durchsatz in der Wissenschaft hat.

  12. @Wort: Textgattung

    Sie haben schon richtig erkannt, dass es sich hier eher um eine Pressemitteilung handelt. Warum auch nicht nicht?! Darf ich in meinem Blog, in dem es zudem seit bald 15 Jahren immer wieder um das Thema Gehirndoping geht, etwa nicht darauf hinweisen?

  13. @Elektroniker: Kaffee

    Ja, wo fängt “Gehirndoping” an, wo hört es auf? Darauf gibt es keine eindeutige Antwort.

    In ähnlicher Weise verändert sich unser Verständnis davon, was Nahrungs-, was Genussmittel ist, was Droge und was Medikament.

    Siehe z.B.

    Hengartner/Merki (1999). Genussmittel: ein kulturgeschichtliches Handbuch.

  14. Insbesondere dürfen wir davon ausgehen, dass Hirn-Doping keinerlei Auswirkung auf Durchsatz in der Wissenschaft hat.

    Beim akademischen Nachwuchs der USA ist es nicht extrem selten, eine Nacht pro Woche dank Modafinil durchzuarbeiten. IdR Freitag auf Samstag; in der Nacht zum Sonntag kann man ausschlafen und Montags beginnt man mit einem leeren Schreibtisch. So eine Nacht kann man als vollen Arbeitstag veranschlagen, so dass es (abgezogen zB Krankheit, Kongresse, Urlaub) im Jahr 40..45 Arbeitstage mehr ergibt. So ein Prozentsatz mehr (oder schneller) als die Konkurrenz is nothing to sneeze at.

  15. @Wort: Gehirndoping in der Wissenschaft

    Es gab 2008 diese nicht-repräsentative Befragung über Gehirndoping in der Wissenschaft in Nature, die natürlich sofort von den Medien aufgegriffen wurde.

    Mir erzählten einmal deutsche Kollegen von dem Trick, Vaterschaftszeit zu beantragen aber dann fleißig weiterzupublizieren. Da diese Zeit nicht in die Berechnung der Karrierezeit einfließt, hat man so am Ende mehr Publikationen pro Zeit.

    Wissen Sie, mit all diesen Tricks… tut es mir auch nicht leid um diese Wissenschaft. Noch einmal würde ich diesen Lebensweg wohl nicht einschlagen – und dann gäb’s auch diesen Blog nicht. Vielleicht etwas Besseres? Oder Schlechteres? Wer weiß.

  16. Sie haben schon richtig erkannt, dass es sich hier eher um eine Pressemitteilung handelt. Warum auch nicht nicht?! Darf ich in meinem Blog, in dem es zudem seit bald 15 Jahren immer wieder um das Thema Gehirndoping geht, etwa nicht darauf hinweisen?

    Aber selbstverständlich. Mir fiel halt nur der andere Stil auf. Kein Angriff.

  17. @ Stephan Schleim 23.07.2022, 13:59 Uhr

    Psychologie und Wissenschaft: Vor vielen Jahren hat ein Psychologe gemeint, dass viele Menschen deswegen Psychologie studieren um die Menschen besser zu verstehen und um bestehende Vorurteile möglichst zu überwinden.

    Viele Vorlesungen später und nach viel Statistik (Mathematik wollten die Psychologiestudenten eher vermeiden) wurden die Vorurteile in der Gesellschaft eher bestätigt.

    Die Grenzen zwischen “wissenschaftlicher Publikation” und “08/15-Agenturtext verschwinden”….

  18. @ Noch’n Wort 23.07.2022, 11:49 Uhr

    Nächte durchzuarbeiten, besonders um technische Pläne für den Abgabetermin zu zeichnen, war auch in arbeitsintensiveren technischen Fächern früher durchaus üblich.

    Man musste relativ konzentriert arbeiten, weil die vielen Komponenten der technischen Strukturen absolut „sicher“ sein mussten. Fehler bei denen Menschen gefährdet wären (z.B. in Bremssystemen), mussten vermieden werden und alles musste „geordnet zusammenpassen“.

    „Munter“ gehalten hat man sich mit Kaffee, oder man ist eine Runde um den Häuserblock gelaufen….

  19. @Wort: Nichts für ungut. Meine Antwort kam auch etwas defensiver herüber als ich es eigentlich beabsichtigte. Diskutieren Sie hier gerne weiter mit!

  20. @Elektroniker: Psychologie & den Menschen verstehen

    Die Psychologie hat es sich im 20. Jahrhundert zum Ziel gesetzt, einen “Durchschnittsmenschen” zu erklären (mit Ausnahme des kleinen Teils, der sich mit Genies befasst). Daher kommt man zwangsläufig auf Stereotypen hinaus, falls Sie das mit “Vorurteilen” meinten. Die Statistik trägt übrigens dazu bei beziehungsweise ermöglicht dies, weil sie eben Mittelwerte (Durchschnitte) vergleicht.

    Ich würde das natürlich nie offiziell sagen, doch mein Eindruck ist, dass man in Psychologie an der Universität weniger über den Menschen, als über die psychologischen Theorien vom Menschen lernt. In meinen Vorlesungen ist das natürlich anders. Zwinkersmiley.

  21. P.S. Dazu kommt, dass man wegen der starken Selektion einer ohnehin schon sozial selektierten Gruppe (Abitur, Hochschulstudium) in der Psychologie fast nur Studierende aus dem Bürgertum sieht – wie in der Medizin oder bei Richterinnen und Richtern auch.

    Das ist bei uns in Groningen etwas anders, weil zu uns eben viele kommen, die kein Einserabitur haben.

  22. @Wort, Elektroniker: Durcharbeiten & Substanzkonsum

    An durchgemachte Nächte erinnere ich mich noch. Als ich Doktorand war, passierte das regelmäßig (für EUR 1.000 netto pro Monat) – und wenn der Prof in Japan einen Vortrag hielt, dann stand ich (wegen der Zeitverschiebung) auch mal nachts auf, um ihm noch ein paar Fragen zu beantworten.

    Als ich in Groningen zum Assistenzprofessor befördert wurde und so viel Lehre bekam (als junger 30er), habe ich auch noch einmal ein paar Nächte durchgearbeitet. Heute kommt das eher nicht mehr vor.

    Wahrscheinlich habe ich in solchen Nächten auch mal etwas Kaffee getrunken. Aufputschmittel sicher nicht. Die Aufregung tat ihr Übriges. Doch schon in der Abizeitung hatten meine Mitschüler über mich geschrieben: “Stephan nimmt Koffein statt Schlaf”, weil ich eine Zeit lang Koffeintabletten genommen hatte.

    Ich erinnere mich aber vor allem daran, dadurch nervöser geworden zu sein und mehr geschwitzt zu haben.

    Für mein neuestes Buch (erscheint voraussichtlich Anfang 2023) habe ich übrigens geringe Mengen Alkohols konsumiert, um in den Erregungszustand zu kommen (ein Rauschzustand wäre da eher abträglich). Es war aber schon auch etwas verrückt, von Mitte Mai bis Anfang Juli, gerade in der stressigsten Zeit des akademischen Jahres, mal so nebenbei 350.000 Zeichen zu schreiben. Es hat aber auch Spaß gemacht.

  23. @Stephan 24.07. 11:54

    „dass man in Psychologie an der Universität weniger über den Menschen, als über die psychologischen Theorien vom Menschen lernt.“

    Der Mensch ist ja nun überaus vielfältig. Man hat nur eine kleine Stichprobe an Menschen, die man wirklich gut kennt, und die psychologischen Theorien sind schnell gestrickt, bilden aber nur wenig Relevantes vom wirklichem Menschen ab.

    Statistische Mittelwerte kann man zusammenfügen, wie man mag, das hilft aber wenig, wenn man mit den Problemen von wirklichen Individuen arbeiten will. Hin und wieder helfen auch Stereotypen, öfter aber eben genau nicht. Methoden der Annäherung an den Anderen, Kompetenzen in der Kommunikation und generelle Strategien, die als Mensch allgemein hilfreich sind, machen dann auch die psychologische Praxis aus.

    Die Vielfältigkeit der wirklichen Menschen ist nicht zu fassen, da kann auch die Wissenschaft der Psychologie nichts für. Nur mehr Respekt vor dem Menschen, den könnte so mancher Psychologe und Psychiater doch gebrauchen. Insbesondere in der klinischen Praxis kommt die Heilkunst schnell an ihre Grenzen, und grenzt auch zuweilen mal an Machtmissbrauch. Insbesondere im geschlossenen Bereich, wo die Patienten nicht freiwillig untergebracht sind, ist man nicht auf eine Zustimmung für die Behandlung angewiesen, was auch prompt ausgenutzt werden kann.

    Die Experten können nicht viel dafür, wenn sie ihre Patienten nicht verstehen. Aber die Rahmenbedingungen, die dem Menschen im allgemeinen wie dem psychisch Kranken im besonderen entgegen kommen, die könnten doch ernst genommen und soweit möglich auch realisiert werden. So ist etwa eine vernünftige Arbeitstherapie oder attraktive Innenhöfe, in denen man draußen verweilen und weitere Kontakte zu Mitpatienten knüpfen kann, in diesem Sinne wirksam.

    Auch der Übergang für die Zeit nach dem Klinikaufenthalt wird wenig bearbeitet. Medizinischer Substanzkonsum alleine ist zu wenig. Der Mensch hat noch ein paar Dimensionen mehr. Überhaupt ist es auch ein Ding, dass man gesetzliche Betreuer und Betreutes Wohnen selber bezahlen muss. So landet so mancher in der Armut, der eigentlich eine brauchbare Rente bekommt.

  24. @Stephan Schleim 24.07.2022, 11:54 Uhr

    „Stereotypen“ ist tatsächlich eine bessere Begriff als „Vorurteile“ für den von mir gemeinten Sachverhalt.

    Zitat: „Ich würde das natürlich nie offiziell sagen, doch mein Eindruck ist, dass man in Psychologie an der Universität weniger über den Menschen, als über die psychologischen Theorien vom Menschen lernt.”

    Das kann ich mir gut vorstellen. Früher dürfte den Studenten hauptsächlich die jeweilige „Denkschule“ des Professors bei dem sie studiert haben vermittelt worden sein.

    Nur gibt es heutzutage viele verschiedene, teilweise sich sogar widersprechende „Denkschulen“. Jetzt bleibt den Lehrenden kaum etwas anderes übrig, als auf die verschiedenen psychologischen Theorien einzugehen.

    Früher dürften sich die Studierenden eher mit der „Interpretation“ von so etwas wie „Fallstudien“ beschäftigt haben.

  25. @ Tobias Jeckenburger 24.07.2022, 15:46 Uhr

    Zitat: Der Mensch ist ja nun überaus vielfältig. Man hat nur eine kleine Stichprobe an Menschen, die man wirklich gut kennt, und die psychologischen Theorien sind schnell gestrickt, bilden aber nur wenig Relevantes vom wirklichem Menschen ab.“

    Die „Vielfältigkeit“ scheint tatsächlich das Problem. Welche psychologische Theorie ist die Optimale bei welchen Patienten?

    Hausärzte dürften schon versuchen die Patienten an den jeweils „optimalen Spezialisten“ zu vermitteln. Nur gibt es örtliche Probleme, weil der „Spezialist“ einfach zu weit entfernt ist. Oder es gibt Probleme mit der Krankenkasse, der die Behandlung zu teuer ist.

    Der Patient „landet“ oft auf einer überforderten 08/15 Station.

  26. @Elektroniker: Schulen in der Psychologie

    Nun ja – auch heute wählt man aus, wen man in der Geschichtsschreibung erwähnt und wen nicht. Freud wird z.B. mitunter schon in die Nähe der Pseudowissenschaft gerückt, obwohl er in der Öffentlichkeit der bekannteste Psychologe sein dürfte (eigentlich war er Arzt). Die Phänomenologische oder Kritische Psychologie findet auch kaum Erwähnung.

    Irgendwann müsste ich einmal ein Buch für ein alternatives Psychologiestudium schreiben.

  27. @Stephan 25.07. 14:09

    „Man sieht dann gewissermaßen nur noch den Wald, nicht mehr die Bäume.“

    Und man übersieht auch schnell, dass der Einzelne ein Baum ist, der am Besten im Wald in Gemeinschaft mit anderen Bäumen wächst. Das können dann aber auch kleinere Waldstücke sein, wir brauchen keinen Riesenwald für alle.

    „Irgendwann müsste ich einmal ein Buch für ein alternatives Psychologiestudium schreiben.“

    Gute Idee. Es gibt auch in NRW das Ex-In Projekt, wo Experten aus Erfahrung nach einer passenden Fortbildung als sogenannte Genesungsbegleiter in Kliniken oder Wohnheimen die Teams unterstützen. Die kennen dann die Krankheitsbilder, wie man sie selbst erlebt und können ein gutes Korrektiv sein, wenn die studierten Experten sich mal wieder von der Wirklichkeit des konkreten kranken Menschen recht weit entfernen.

    Wir hier in der Selbsthilfe haben auch ein Buch geschrieben. „Die Wirklichkeit psychischer Krankheiten“ kann man hier lesen:

    http://introspektiva.de/eumschlag/index.php#starti

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