Gehirndoping: Um welche Mittel geht es eigentlich?

Eine Zusammenfassung nach zwanzig Jahren Forschung. Teil 2

Serie in vier Teilen

  1. Was ist Gehirndoping/Neuroenhancement und wie verbreitet ist es? (28.12.2020)
  2. Um welche Substanzen geht es und wie wirken sie? (4.1.2021)
  3. Instrumenteller Substanzkonsum und Werte (11.1.2021)
  4. Beantwortung häufiger Fragen und Literaturverzeichnis (18.1.2021)

Im ersten Teil ging es um die Frage, was Gehirndoping/Neuroenhancement eigentlich ist und wie verbreitet es ist. Nun beschäftigen wir uns eingehender mit den Substanzen.

Zweiter Teil

Der Fantasie sind prinzipiell keine Grenzen gesetzt, wenn es darum geht, welche Substanzen oder Mittel die geistige Leistungsfähigkeit steigern könnten. Neben vorläufigen Versuchen mit elektrischen bzw. magnetischen Gehirnstimulationsverfahren wie der transcraniellen Gleichstromstimulation (TDCS) oder transcraniellen Magnetstimulation (TMS) und möglichen Anti-Demenz-Mitteln hat sich die Forschung im Wesentlichen auf die Psychostimulanzien Amphetamin (“Speed”), Methylphenidat (“Ritalin”) und das zur Behandlung bestimmter Schlafstörungen verschriebene Modafinil (“Vigil”) konzentriert.

Diese Mittel haben Einfluss auf die Verfügbarkeit von Botenstoffen wie Dopamin und Noradrenalin im Gehirn, wobei die Wirkmechanismen – vor allem von Modafinil – noch nicht vollständig verstanden sind. Übrigens wird Amphetamin seit über 100 Jahren, Methylphenidat seit den 1940ern und Modafinil seit den 1970ern erforscht. Alle drei Substanzen stehen im Verdacht, Sucht- und Missbrauchspotenzial zu besitzen und sind darum speziell reguliert, Modafinil allerdings in geringerem Maße als die anderen beiden.

Zu den wissenschaftlichen Studien mit gesunden Versuchspersonen lässt sich allgemein sagen, dass die Gruppengröße oft sehr klein und die Testaufgaben meist eher weltfremd sind, was die Aussagekraft der Ergebnisse schmälert. Zudem sind die Effekte sehr stark von der jeweiligen Dosierung und individuellen Gesundheitsfaktoren abhängig.

Schach spielen für die Wissenschaft

Eine nach meinem Dafürhalten besonders aussagekräftige Studie untersuchte 39 gesunde und männliche Schachspieler im Alter von im Mittel 37,3 Jahren (Franke et al., 2017). Diese sollten an verschiedenen Tagen nach der Gabe von Methylphenidat (“Ritalin”), Modafinil, Koffein oder einem Placebo mehrere Partien gegen einen Schachcomputer spielen, der an das Niveau des jeweiligen Spielers angepasst war. Wichtig ist das Detail, dass die Spielzeit für die Versuchspersonen auf 15 Minuten pro Partie begrenzt war.

Im Ergebnis erzielten die Schachspieler im Mittel 6,3% (Methylphenidat) bis 8,2% (Modafinil) mehr Punkte pro Partie im Vergleich zum Placebo. (Es galt: Verlust = 0, Unentschieden = 0,5 und Gewinn = 1 Punkt.) Diese Unterschiede erreichten allerdings nicht die statistische Signifikanzschwelle. Die Ergebnisse unter Koffein und Methylphenidat (“Ritalin”) unterschieden sich so gut wie nicht. Verglichen mit Koffein erzielten die Schachspieler unter Einfluss von Modafinil im Mittel 1,7% mehr Punkte. Auch dieser Unterschied war nicht statistisch signifikant.

Interessant ist, dass sich die Schachspieler unter Einfluss der Wirkstoffe mehr Zeit pro Partie nahmen und damit häufiger wegen Erreichen des Zeitlimits verloren. Sie schafften dann auch 2,1% (Modafinil) bis 2,8% (Methylphenidat) weniger Partien im Vergleich zum Placebo. Die Forscher spekulierten, dass die Versuchspersonen nach Gabe der Wirkstoffe ohne die zeitliche Begrenzung mehr Punkte erzielt hätten. Dies unterstreicht noch einmal die Bedeutung der Rahmenbedingungen solcher Versuche.

In der Fachdiskussion wird vermutet, dass die Psychostimulanzien vor allem die Wachheit, Erregung und Motivation der Konsumenten erhöhen und nicht direkt die Intelligenz oder Kreativität (Quednow, 2010b). Die Personen fühlen sich unter Einfluss dieser Mittel also vielleicht schlicht motivierter oder mehr “bei der Sache”, um bestimmte – oft auch eher eintönige – Aufgaben zu bewältigen.

Die Studie mit den Schachspielern habe ich hier hervorgehoben, da diese ein vergleichsweise realistisches Szenario untersuchte. In aller Regel verwenden solche Experimente neuropsychologische Tests, die primär entwickelt wurden, um kognitive Defizite psychologisch-psychiatrischer Patientinnen und Patienten zu untersuchen. Bei der Übertragung solcher Testergebnisse in die Lebenswelt gesunder Menschen droht daher ein “klinischer Fehlschluss” (Schleim, 2014). Bloß weil man bei einem solchen Test am Computer ein paar zusätzliche Punkte erzielt, ist man nicht automatisch schlauer oder effizienter beim Arbeiten oder im Studium. Auch nach mehr als 20 Jahren Forschung gibt es hierauf leider keine schlüssige Antwort.

Dennoch will ich den Nutzen der Substanzen nicht gänzlich abstreiten. Bei sehr hohem Wettbewerbsdruck können nämlich auch kleine Unterschiede ausschlaggebend sein, die in solchen Studien nicht die Signifikanzschwelle erreichen. Denken wir etwa an ein Schachturnier, bei dem im Prinzip gleichstarke Spieler aufeinandertreffen. Dann können 1,7% Leistungssteigerung (hier bei Modafinil im Vergleich zu Koffein) entscheiden, wer gewinnt. Bei ungünstigen Rahmenbedingungen, wie dem genannten Zeitlimit, könnte sich ein Wirkstoff aber auch als nachteilig erweisen.

Für die allermeisten Menschen dürfte der ohnehin nur potenzielle und geringe Mehrwert das Risiko von Nebenwirkungen nicht aufwiegen. Diese können im Einzelfall erheblich sein, insbesondere beim Vorliegen von Vorerkrankungen (etwa einer womöglich auch unerkannten Herz-Kreislauferkrankung). Wer den Konsum solcher Mittel erwägt, sollte sich besser erst gesundheitlich beraten lassen.

Fazit zur Wirkungsweise

Die in der Forschung bisher im Wesentlichen untersuchten Substanzen zum Gehirndoping/Neuroenhancement sind auf jeden Fall keine Wundermittel. In vielen Situationen dürfte ein ähnlicher Effekt bereits mit dem frei verfügbaren Koffein erreichbar sein. In einer neuen Meta-Analyse haben Forscherinnen und Forscher 47 Einzelstudien zu den Effekten von Amphetamin (“Speed”), Methylphenidat (“Ritalin”) und Modafinil auf gesunde Menschen ausgewertet (Roberts et al., 2020). Sie kommen zum folgenden Ergebnis:

“Methylphenidat hat von den drei untersuchten Stimulanzien die stärksten Effekte auf das Denken. Die positiven Effekte sind allerdings klein bis moderat und beschränken sich auf das Erinnern, die Hemmungskontrolle und das Aufrechterhalten von Aufmerksamkeit. […] Amphetamin führt zu keinen Verbesserungen des Denkens und kann wahrscheinlich für die zukünftige Erforschung der sicheren und wirksamen geistigen Leistungssteigerung ausgeschlossen werden. Die Daten für diese Stimulanzien sind bei weitem nicht positiv, wenn wir bedenken, dass die Effekte klein und wahrscheinlich vorübergehend sind, und zwar in Experimenten, die der tatsächlichen Verwendung in der allgemeinen Bevölkerung nicht gut entsprechen.”

Roberts et al., 2020, S. 20-21; dt. Übers. S. Schleim

Die Forscherinnen und Forscher weisen auch auf das Risiko von Nebenwirkungen hin, insbesondere bei einer Überdosierung. Dann könne es zu Aufregung, Kopfschmerzen, Schlafproblemen, Zittern, Halluzinationen, Paranoia, Anfällen oder Herz-Kreislaufproblemen kommen.

Abschließend möchte ich auf eine Studie hinweisen, in der pharmakologische mit nicht-pharmakologischen Mitteln zur geistigen Leistungssteigerung verglichen wurden (Caviola & Faber, 2015). Letztere sind computergestütztes Lernen, Schlaf und Sport. Das Fazit lautet:

“Wir denken, dass alle der beschriebenen Techniken signifikante vorteilhafte Effekte auf die geistige Leistung haben können. Die Effektgrößen sind jedoch moderat und hängen üblicherweise von individuellen Faktoren und der Situation ab sowie von der psychischen Fähigkeit, um die es geht. […] Wir können schlussfolgern, dass pharmakologisches kognitives Enhancement nicht effektiver ist als nichpharmakologisches kognitives Enhancement.”

Caviola & Faber, 2015, S. 1; dt. Übers. S. Schleim

Das heißt, dass sich die ohnehin eher bescheidenen Effekte, die sich vielleicht mit den Substanzen erzielen lassen, wahrscheinlich auch mit nichtpharmakologischen Mitteln erreichen lassen.

Im dritten Teil geht es um die Werte: Aus welchen Gründen sollte man Mittel nehmen oder nicht nehmen, um bestimmte Ziele zu erreichen?

Hinweis: Dieser Beitrag erscheint auch auf Telepolis. Titelgrafik: GDJ auf Pixabay.

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18 Kommentare

  1. “dass die Psychostimulanzen vor allem die Wachheit und den Grad der Erregung erhöhen….”
    Betrachten sie die Arbeitsweisen bestimmter (großer) Künstler. Der Schriftsteller Balzac hat nachts jeweils seine Kanne starken Kaffee getrunken um kreativ zu werden :
    “Die Ideen sind danach anmarschiert wie eine Armee Soldaten” .Ich war lange Zeit in der Show-Szene tätig und habe gesehen wie Künstler sich vor dem Auftritt “dopen”, um dann auf der Bühne die Rampensau spielen zu können. Kurz: Die Stimulanzen scheinen mir dieses Sympathikussystem ,dieses Kampfsystem in uns, zu erregen, was den Dopaminausstoss stimuliert, aggressiv macht und endlos phantasieren lässt, also die Assoziationen kommen “wie eine Armee Soldaten” .

  2. Hallo Herr Schleim,

    Ihre Serie zum Thema Gehirndoping ist wirklich eine interessante Zusammenfassung der aktuellen Forschungsergebnisse.

    Persönlich: Mir wurde Methylphenidat von einem Neurologen vor rund 15 Jahren verordnet, um meine “altersbedingten Defizite” zu kompensieren. Das hat auch zunächst funktioniert, ich fühlte mich aktiver und leistungsfähiger, allerdings habe ich dann auch dazu tendiert, meine persönlichen Leistungsgrenzen täglich zu überschreiten.

    Irgendwann stellt man sich dann auch die Frage, ob die subjektiv empfundene Wirkung nicht im Wesentlichen auf einem Placebo-Effekt beruht und außerdem ob man sich evtl. mal Gedanken zum eigenen Verhalten als sog. “Leistungsträger” machen sollte.

    Ich freue mich auf Teil 3 und 4.

  3. @Golzower: Künstlerinnen und Künstler…

    …im breiten Sinn leben oft an oder jenseits der Grenze. Denn fürs Normale bezahlt das Publikum wahrscheinlich nicht gerne.

    Doch wie war das für die Betroffenen? Konnten Sie dort jemals Selbstreflexion im Umgang mit den Mitteln erkennen? Oder wurde schlicht geschluckt, was das Zeug hält? Oder gab es irgendwann einen Umkehrpunkt, an dem jemand aufgehört hat, weil er oder sie das nicht mehr authentisch fand?

  4. @Kühn: Plastizität & Placebo

    Der Körper, der Organismus, das Gehirn reagieren auf alles; und den Placebo-Effekt hat man immer dabei.

    Irgendwann erreicht man mit der gleichen Dosis wahrscheinlich nur noch die Aufrechterhaltung des Standardzustands und müsste man immer mehr für den gewünschten Mehreffekt erzielen. So beginnen manche Drogenkarrieren.

    Im dritten Teil wird es tatsächlich um die Wertfragen gehen, die hier eine Rolle spielen. Warten Sie bitte noch ein paar Tage.

  5. Wie fast immer werden die Frauen vergessen. Die griechische Mythologie kommt ohne sie nicht aus. Deren Wirkung übersteigt jede chemische Substanz.
    Viele Künstler haben eine Muse an ihrer Seite gehabt, die sie zu guten Einfällen stimulierten.

  6. Zu St. Schleim
    Künstler sind-wie viele – den Gesetzen des Marktes ausgeliefert. Daraus entsteht ein Dauerdruck, denn die die oben sind, sich gut verkaufen, wollen oben bleiben und die anderen suchen den Erfolg, manchmal um jeden Preis. Kreativität ist -körperlich gesehen- nur begrenzt möglich und so wird dann mit Aufputschmitteln nachgeholfen was den Körper dann in einen permanenten Stresszustand versetzt.. Künstler scheinen mir da besonders anfällig, da ihre Emotionalität doch stärker ausgeprägt ist .
    ZU hwied: Ich weis nicht ob Adam von Eva im Paradies stimuliert wurde. Wenn, dann zum lügen und zum Wortbruch. In der griech. Mythologie gibt es ähnliche abschreckende Beispiele (Pandora, Xanthippe, Kirke, Sirenen und andere zänkische und machtsüchtige Weiber) Die chem. Substanz, der Testosteronspiegel , scheint hier also Gad der Bewertung zu sein, was nicht immer von Vernunft geprägt ist bzw. der Triebsteuerung unterliegt. Wenn ,dann ist also der Trieb das stimulierende Dopingmittel .

  7. @Bednarik: Reaktionszeiten

    Das hängt vom Einzelfall ab.

    Ich hatte im Kopf, dass (gesunde) Versuchspersonen unter Methylphenidat (Ritalin) oder Amphetamin schneller (impulsiver) reagieren und darum bei bestimmten Aufgaben mehr Fehler machen…

    …in der hier erwähnten Schachstudie reagierten sie aber langsamer und verloren darum mehr Partien, weil ihnen die Zeit ausging.

  8. @Golzower: Erfolg

    Ja, eine entscheidende Frage ist dann wahrscheinlich, welchen Stellenwert Erfolg für jemanden im Leben hat und was der- oder diejenige bereit ist, dafür zu tun (und z.B. was von seinen Werten aufzugeben). Zufällig habe ich drei Jahre lang an einem (englischen) Essay zu dieser Frage gearbeitet und ihn gestern abgeschlossen. Ich werde wahrscheinlich einmal hier im Blog darauf verweisen.

    Bei der Diskussion der Werte im dritten und der Fragen&Antworten im vierten Teil dürfte es auch schon etwas in diese Richtung gehen.

  9. zu Frauen & Männern

    Ich musste bei der Bemerkung, dass Frauen auf Männer eine stimulierende Wirkung haben können, erst schmunzeln; wie ist das eigentlich umgekehrt oder bei Menschen mit homosexuellen Neigungen?

    Nun höre ich aber doch auch einen etwas frauenfeindlichen Grundton heraus. Bei Adam und Eva muss ich an Miltons klassische Darstellung (“Paradise Lost”) denken und das Lesen dieses Buchs hat mich maßlos genervt: Da wird nämlich einerseits die ganze Zeit auf Eva wie auf ein naives Mädchen herabgeschaut, das nicht weiß, was es tut, während Adam als der große Mann aufgewertet wird; andererseits wird dann aber – nach der Verführung – Adam als hilflos dargestellt und bekommt Eva die Schuld für alles. Wie passt das zusammen? Wenn Adam so ein toller Hecht ist, dann sollte er auch die Verantwortung für sein Handeln übernehmen. Zudem fing die Verführung mit einer männlichen Schlange an!

  10. Stephan Schleim,
    die Statistik spricht für die Frau.
    2011 gab es in Deutschland 60067 Strafgefangene Männer und nur 3321 Frauen.

    In der Geschichte sind die Mehrzahl der Frauen die kleinen unschuldigen Dummchen. Das kommt aber daher, dass die Geschichtsschreiber ausnahmslos Männer waren. Im Märchen kommen die Frauen besser weg. Shehezerade in 1001 Nacht überzeugt durch Intelligenz und Menschenkenntnis.
    Nicht von ungefähr spricht man von “Mutter Erde”, also weiblich.

    Zur Rolle der Frau in der Bibel. Auch hier gilt , dass die Hüter der hl. Schriften Männer waren. Ohne weiteren Kommentar.

  11. @hwied: Es ist immer auch eine Frage, was und wie man vergleicht. Die Gefangenen (aber auch die Obdachlosen, die Schulabbrecher, die Kriegstoten, die Menschen in gefährlichen Berufen, das Durchschnittsalter, die Suizide) deuten in eine Richtung. Fakt ist, denke ich, dass unsere Gesellschaft Menschen nach dem Geschlecht unterschiedlich behandelt. Manchmal zum Vorteil, manchmal zum Nachteil. Wichtig ist mir vor allem die Feststellung, dass alle Menschen gleichwertig sind.

    In diesem Beitrag geht es aber um Neuroenhancement bzw. Gehirndoping. Halten wir uns bitte an dieses Thema.

  12. Stephan Schleim,
    abschließende Anmerkung, es wär auch interessant zu wissen, wie der Verbrauch von “Dopingmitteln” bei Männern und Frauen ist. Und es ist auch wissenswert, ob die Wirkung dieser Mittel bei Männern und Frauen unterschiedlich ist.

  13. Aus eigener Erfahrung:

    Ich habe ADHS und daher hatte ich keine Schwierigkeiten, es mir verschreiben zu lassen – nicht, weil ich meinte, es zu brauchen, sondern weil ich wissen wollte, wie es wirkt.
    Mir wurde zwar gesagt, ich müsse als Erwachsene “einschleichen”, also mit niedriger Dosierung beginnen und dann steigern, aber eine genaue Anleitung bekam ich nicht.
    Ich begann an Tag 1 mit einer halbenTablette (15mg), verspürte keine Wirkung und nahm am Abend noch mal eine halbe – wieder ohne Wirkung. Am nächsten Tag nahm ich eine ganze und am dritten Tag zwei Tabletten – und da rutschte mir das Bild weg. Mein Mann konnte ich gerade noch auffangen. Die folgenden drei Tage waren der Horror – ich war nur noch müde, tieftraurig (deprimiert ist etwas anderes, depressiv auch), das Leben verlief im Zeitlupentempo, und ich konnte nicht mehr denken. Ich erinnere mich nur, dass ich einmal dachte, ob das wohl ein Dauerzustand werden würde. Normalerweise wäre das ein Grund zur Panik gewesen, aber ich hatte keine Angst – eigentlich überhaupt keine Gefühle,außer der Traurigkeit.
    Am dritten Tag redete ich plötzlich wieder mit mir selbst und wußte: ich bin zurück, ich bin wieder ich.

    Da Ritalin /Methylphenidathydrochlorid die Dichte der Dopamintransportergene am synaptischen Spalt reduziert, hätte mich interessiert, was in diesen drei Tagen in meinem Gehirn passiert ist.

    Einer meiner Söhne hat das Medi für anderthab Jahre genommen, nicht gern, aber er hätte anderenfalls nicht mal die mittlere Reife geschafft(inzwischen ist er Diplomingenieur). Er sagte später, er habe an diese Zeit keine Erinnerung mehr, es habe ihn nur sehr belastet, dass er das Medikament nehmen musste, “um richtig zu funktionieren”.

    Wenn in den genannten Studien die Probanden langsamer geworden sind, dann dürften sie zu Meinesgleichen gehört haben. Denn normalerweise bewirkt Ritalin das Gegenteil.

  14. Schade, die Vorschau funktionierte nicht: Im ersten Satz hätte es heißen müssen:
    Ich habe ADHS und hatte daher keine Schwierigkeiten, mir Ritalin (nicht “es”) verschreiben zu lassen.

  15. @ Robert Kühn
    04.01.2021, 17:18 Uhr

    Hallo Herr Schleim,

    Ihre Serie zum Thema Gehirndoping ist wirklich eine interessante Zusammenfassung der aktuellen Forschungsergebnisse.

    Leider sieht die “Aktuelle” und weniger aktuelle Forschung laut dem Zusammenfassungen und Schlußfolgerungen auch so aus, als ob man auf sie hätte verzichten können, da sie kaum bis gar nicht aussagefähig ist (mangelnde Repräsentativität, unklare Studien- und Abfrage-Taktiken, Nichtvergleichbarkeit und… zuletzt auch noch wenig Signifikanz).

    Wie kann das interessant sein, wenn das Ergebnis die wissenschaftlichen Anforderungen gar nicht erfüllt?

    Vielleicht ist ja gerade dies das Interessante daran?

    Die Frage ist, wenn man schon seit hundert Jahren daran forscht, aber immernoch keine den Anforderungen hirneichenden Ergebnisse hat. Will man also gar nicht genau genug hinsehen und erforschen?

    Abgesehen davon, das man dieses “Gehirndoping” allzu sehr mit “intelligenzsteigerung” suggeriert in verbindung bringt.
    Dabei sind Aufputschmittel letztlich nur zur Leistungsteigerung oder Verlängerung gut.

    Und abgesehen davon, das es noch andere Mittel und Methoden neben diesen genannten gibt, um Leistungssteigerungen/verlängerung zu ermöglichen/erreichen.
    Neuroenhancemend über eine Kombination von Aufputschmitel/Nervengiften und Metallionen, die zusammen eine dauerhaft hohe neuroaktivität und somit zu einer dauerhaft hohen Leistung führen. Situativ kann das auch zu einer signifikant erhöhten Intelligenz führen, wenn die Eingangsbedingungen dazu günstig sind.

    Ausserdem wird in den Beiträgen demonstrativ kursiv hervorgehoben: “Studien mit gesunden Versuchspersonen…”

    Was impliziert, aber gleichzeitig auch vertuscht, das es einen “Komsum” bei kranken Menschen gibt, und dieser eben trotz der unterschiedlichen Ausgangslage praktisch zum Szenario gehört, weil Substanzkonsum ist Subtsanzkonsum, egal, aus welchen Motivationen oder Implikationen.

    Ausserdem würde dann wahrscheinlich überdeutlich werden, das das Problem viel weniger im autonomen (aka illegalem) Konsum läge, sondern viel eher als Problem der gesamten Population zu sehen ist.

    Dazu käme auch noch, das schleichende Vergiftungen, die durch Feldchemie und Feldfrüchte in uns gelangen, eine signifikante Wirkung haben und das Problem sowieso von aller individuellen Ausgangslage (Pathologie, Freizeit-Konsum oder Leistungsteigerung in Leistungsdrucksituation) entkoppeln würde.

    Fazit also: Die Studienlage ist an allen Fragestellungen äußerst mangelhaft und unvollständig. Letztlich nur zu “Unterhaltungszwecken” .. also zur “Bildung” von ideologischen Meinungen zu gebrauchen, bei denen weniger die Sachfrage, sondern mehr das Vorurteil gebildet werden soll. Nämlich: das all die Mythen um den Drogenkonsum eh nichts bringt, und alle, die an Drogenindizierten Schäden leiden, es umsonst getan haben.
    Was die Aufputschmittel angeht, bin ich auch ohne diese Studien dieser Meinung: Wer meint, dem oft genug zu hohem Leistungsdruck bestehen zu müssen, hat ganz andere Probleme, als zu wenig Leistung zu erbringen. Er glaubt, das er es müsse.

  16. Auch irreführend ist die Erwähnung der vorrübergehenden Leistungsteigerung.

    Denn wenn ein regelmäßiger Konsum stattfindet, wird der neuronale Apparat durch die Häufigkeit “konditioniert” und bildet Vernetzungen aus, die durch die fortgeschrittenere Myelinisierungen primär auf das Bewusstsein einwirken und ab dann als “bewusstseinsbildend” zu erklären ist.

    “Bildung” ist hier kein Begriff auf ideeller Ebene, sondern als organische Bildung zu verstehen, wenn Gehirnveränderungen aufgrund des häufigeren Konsums entstehen.

    Insofern kann man alle politischen und ideellen “Bildungs”-Begriffe auf diesen Entwicklungsprozess reduzieren, weil das die Grundlage jeder Bildung ist: das dieses Gehirn primäre Vernetzungen ausbildet.

    Das wird landläufig immer missverstanden, wenn “Bildung” in den Mund genommen wird….wenn die Politik von Bildung redet.

    Man muß auch zur Kenntnis nehmen, das selbst Crystal Meth ein nur zu gerne akzeptiertes Mittel zur “Bildung” sei. Besonders, wenn es Metallionen-Verunreinigungen enthält, die sogar nach einmaliger Einnahme neue Vernetzungen stabil entstehen lassen können. Und wenn dabei zu viele myelinisiert werden: Auch kein Problem, man kann dann ja “regulierend” durch Neurodegeneration ein “Gleichgewicht” herstellen, mit dem man als “Gesellschaft” umgehen kann.

    Das ist alles zynisch, aber es ist leider eine unbequeme Wahrheit an der Sache mit unserem Gehirn und der Bildung.

    Gerecht aber ist, was der Gesellschaft nützt. Und da ist es auch “gerecht” und erwünscht, das es einen flurierenden Schwarzmarkt mit kristallinen Aufputschmitzteln gibt, in welche man sehr leicht Metallionen einbauen kann, die dann die ganze “Bildungsarbeit” für den Staat erledigen. Natürlich ist das die brutale Methode.
    Die weniger brutale Methode wäre dann wohl die amerikanische, wie man hört: Wo man erhöhte Bleiwerte in der trinkwasserversirgung der Schulen und Universitäten feststellte.
    Was man eigendlich kaum als ungewollt deuten kann. Wenn man bedenkt, wie die Zusammenhänge sind.

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