Gegenwärtige Gehirnverwirrung

BLOG: MENSCHEN-BILDER

Mensch, Gesellschaft und Wissenschaft
MENSCHEN-BILDER

Ein neues Buch verspricht spannende Einblicke in die „Zukunft Gehirn“ und trägt sogar den Namen der renommierten Max-Planck-Gesellschaft. Ein genauerer Blick in ein Probekapitel erweist sich jedoch als sehr enttäuschend.

Dienstagmorgen, ich habe wie jeden Tag meine heiße Tasse chinesischen Grüntees in der Hand und blättere online durch die Nachrichten. Im Wissenschaftsticker wandert mein Blick über eine Meldung zur Neuerscheinung eines Buchs: Zukunft Gehirn: Neue Erkenntnisse, neue Herausforderungen. Ein Report der Max-Planck-Gesellschaft. Auf den ersten Blick also ein Titel, wie man ihn in den letzten Jahren so oft gesehen hat, der Topos von den neuen Entdeckungen der Hirnforschung.

Gehirn-Komplexität überschätzt?

Tatsächlich finden sich auf der Verlagsseite wohlbekannte Floskeln: Da ist vom Gehirn als „wohl komplexeste[r] Struktur im Universum“ die Rede. Diese Wendung zeugt davon, dass jemand nicht lange nachgedacht hat. Führen wir uns kurz vor Augen, dass mit Dunkler Materie und neuerdings Dunkler Energie das Universum laut Astrophysikern zum größten Teil aus etwas bestehen soll, das wir gar nicht wahrnehmen können. Von welcher Hybris zeugt es dann, dem Gehirn die Komplexitätskrone zu verleihen? Nach welchem Maßstab ist das Gehirn komplexer als beispielsweise unsere Sonne, deren Energie Lichtjahre durch den Kosmos strahlt und all unser Leben ermöglicht? Gleich nach dem Komplexitätsfetisch verspricht der Verlag noch demnächst zu erwartende Durchbrüche. Damit soll natürlich praktische Relevanz suggeriert werden.

Ich hätte diese Meldung eigentlich nicht weiter beachtet, würde nicht der Name der Max-Planck-Gesellschaft auf dem Umschlag prangen. Wie kaum eine andere Marke verspricht er doch Wissenschaft höchster Qualität. Also schlug ich das virtuelle Inhaltsverzeichnis auf und fand dort nicht wenige bekannte Namen aus der deutschen Hirnforscherszene. Ich stolperte dann über die Überschrift des vorletzten Kapitels: Das Gehirn auf der Anklagebank, von Hans Markowitsch und Reinhard Merkel. Streng genommen ist das natürlich Unsinn aber um das Interesse der Leser zu wecken gar nicht mal schlecht. In einigen meiner Artikel habe ich auch mit diesem Bild geworben (siehe etwa die Homepage meines ersten Buchs), obschon dort wenigstens noch ein ganzer Mensch vor den Richtern liegt und nicht nur ein Gehirn.

Wie es der Zufall so will, ist gerade dieses Kapitel online als Leseprobe erhältlich. Vielleicht denken die Herausgeber, damit die Praxisrelevanz des Buchs besonders hervorzuheben. Ich konnte es nicht lassen, den Text zu lesen, und schließlich hatte ich auch noch viel Tee übrig. Nach den ersten paar Sätzen bin ich aber erst einmal gehörig erschrocken und wäre mir beinahe die Tasse aus der Hand gefallen. Dann könnte ich jetzt wahrscheinlich nicht mehr auf dieser Tastatur tippen, Totalschaden.

Gehirn und Pädophilie

Dort verweisen die Autoren auf einen Artikel der Neurologen Jeffrey Burns und Russell Swerdlow von den Universitätskliniken Virginia (USA), den ich auch in meinem neuen Buch (Die Neurogesellschaft) bespreche. Darin geht es um einen Mann, der mit dem Sammeln von kinderpornographischem Material anfängt und schließlich seine Stieftochter sexuell belästigt. Das Besondere daran ist, dass dieses Verhalten mit einem Gehirntumor in Zusammenhang gebracht wird. Tatsächlich, so Markowitsch und Merkel, sei dies ein Beispiel dafür, dass ein großer Tumor pädophile Neigungen auslöse.

Ihre Darstellung des Falls erinnert mich aber an meine historische Analyse des Unfalls von Phineas Gage (1823-1860), einem der wahrscheinlich bekanntesten neurologischen Patienten. Anhand wissenschaftsgeschichtlicher Untersuchungen und der Originalquellen versuche ich in meinem Buch nachzuweisen, dass Wissenschaftler hier ähnlich wie bei einem Stille-Post-Spiel Unfug treiben. Im Laufe der Zeit wurden dem Bahnarbeiter Gage nämlich aufgrund seiner Gehirnverletzung die unterschiedlichsten psychischen Veränderungen angedichtet, obwohl es dafür kaum Belege gibt. Sehr beliebt ist es sogar noch heutzutage, ihn als einen krankhaften Kriminellen, als einen Psychopathen darzustellen. Gibt es Belege für sein angebliches Kriminalverhalten? Fehlanzeige.

Eine Portion Gehirnverwirrung

Wenn ich jetzt den Artikel von Markowitsch und Merkel lese, dann wird mir deutlich, dass dieses Stille-Post-Spiel nicht nur bei historischen Fällen gespielt wird, die schon mehr als 150 Jahre alt sind, sondern auch bei neuen Berichten. Der Artikel der beiden amerikanischen Neurologen ist 2003 erschienen. Zuallererst muss ich anmerken, dass schon die Behauptung, der Tumor habe „pädophile Neigungen“ ausgelöst, verwirrt ist. Aus dem Fallbericht wird nämlich nicht deutlich, ob der Mann bereits vorher schon derartige Neigungen hatte und diese womöglich durch den Tumor nicht mehr kontrollieren konnte, oder der Tumor die Pädophilie zusammen mit dem Kontrollverlust ausgelöst hat.

Auf Nachfrage räumte der Mann ein ausgeprägtes Interesse an Pornographie seit seiner Adoleszenz ein, stritt jedoch ein älteres Interesse an Kinderpornographie ab. Wer würde das aber schon freiwillig zugeben, wenn neben einer Haftstrafe noch lebenslange soziale Ächtung, Kontrolle mit elektronischen Fußfesseln oder gar eine medikamentöse Zwangsbehandlung droht? Umgekehrt spricht in dem Artikel vieles für eine Störung der Impulskontrolle. So gab der Mann beispielsweise in seinen eigenen Worten zu, das Lustprinzip habe irgendwann seine Triebkontrolle überschritten. Die Neurologen selbst interpretieren den Fall ebenfalls anders als Markowitsch und Merkel: „Die orbitofrontale Störung verschlimmerte vermutlich ein bereits bestehendes Interesse an Pornographie, das sich in sexueller Abweichung und Pädophilie äußerte“ (S. 439; meine Übersetzung).

Besonders interessant ist an diesem Fall übrigens, dass der Mann zweimal operiert wurde und mit dem Entfernen beziehungsweise neuen Wachsen des Gehirntumors sein abweichendes Verhalten verschwand oder wieder zurückkehrte. Ich könnte noch auf andere Ungereimtheiten im Text von Markowitsch und Merkel eingehen, wo es beispielsweise heißt, der „Familienvater“ hätte „sich plötzlich gegenüber seinen eigenen Kindern pädophil“ verhalten und schließlich „in der Vollzugsanstalt über ständige Kopfschmerzen geklagt“, während es sich tatsächlich um einen Mann handelte, der seine Stieftochter belästigte, nie in einer Vollzugsanstalt war und sich stattdessen selbst in eine psychiatrische Klinik einwies, als er Angst bekam, er könnte sonst seine Vermieterin vergewaltigen. Wer es genau wissen will, liest am besten die Originalquelle.

Selektive Gehirnerübertreibungen

Der mir wichtigere Punkt ist aber das selektive Vorgehen der beiden deutschen Autoren: Was in das Bild passt, dass Kriminalverhalten durch Abweichungen im Gehirn entsteht, wird herausgepickt und notfalls sogar frei assoziiert; was jedoch gegen eine starke Gehirndetermination spricht, wird einfach verschwiegen. Das findet sich leider in sehr vielen Texten und suggeriert immer einen wesentlich stärkeren Zusammenhang zwischen Gehirn und Verhalten, als er eigentlich in den Daten steckt. So geht es Markowitsch und Merkel auch um die „Aufdeckung sehr direkter Zusammenhänge zwischen Gehirn und Verhalten“ und kommen sie zu dem philosophischen Fazit:

In den Naturwissenschaften hat sich inzwischen ein stabiles Fundament an Methoden, Techniken und darauf aufbauenden Erkenntnissen angesammelt, das es erlaubt, eine Vielzahl geistiger Tätigkeiten messbar zu machen. Alles, was die Hirnforschung aufdeckt und was Persönlichkeitsänderungen nach Hirnschäden oder externer Manipulation (brain washing) zeigen, lässt sich schwerlich anders interpretieren, als dass wir durch unsere Gene, unsere Umwelt und die im Hirn (und im restlichen Körper) ablaufenden Prozesse gesteuert werden. (Hans Markowitsch und Reinhard Merkel)

Darin äußert sich natürlich das Bild eines unfreien und fremdbestimmten Menschen, das uns in der Willensfreiheitsdebatte schon so oft begegnet ist. Dass der Mann sich selbst etwa trotz seines Gehirntumors noch in einem gewissen Maß steuern konnte, er seine Vorliebe für Kinderpornographie vor seiner Ehefrau verbergen konnte, bis die Stieftochter ihrer Mutter von den Misshandlungen berichtete, dass er an Hilfsprogrammen teilnahm, wenn auch erfolglos, aber sich schließlich selbst einwies, anstatt dem Drang nachzugehen, seine Vermieterin zu vergewaltigen, all das verraten uns die Neurodeterministen natürlich nicht. Auch sonst berichten sie uns nur halbe Geschichten:

  • „Bis in die Gegenwart wird etwa Cesare Lombroso als Arzt zitiert, dessen Ausführungen sowohl im forensisch-psychiatrischen wie im juristischen Bereich Aufsehen erregten“ (M&M). Ja, jedoch wurde seine Lehre vom Geborenen Verbrecher und dem Zusammenhang zwischen Körpermerkmalen und Kriminalverhalten um die Jahrhundertwende 1900 ebenso schnell wieder fallen gelassen, wie sie zuvor aufgestiegen war, weil sich seine Funde nämlich nicht von anderen Kollegen replizieren ließen. Dennoch hatte man bereits zuvor einige Menschen einschließlich Minderjähriger aufgrund von Lombrosos Lehre einer Zwangsbehandlung unterzogen, gerne auch zur „Prävention“ zukünftigen Kriminalverhaltens.
  • „In einem Gerichtsverfahren konnte mittels funktioneller Hirnbildgebung gezeigt werden, dass eine junge Frau als Zeugin in einem Mordprozess glaubwürdig aussagte, weil sie die gleichen Hirnareale aktivierte, die andere Menschen beim Erinnern persönlich erlebter Ereignisse aktivieren“ (M&M). Das ist ohne Quellenangabe oder Aktenzeichen nicht nur unüberprüfbar, sondern auch logisch falsch. Denn aus der Tatsache, dass zweimal Gehirnaktivierung im selben Areal vorliegt, folgt nicht, dass zweimal derselbe psychische Prozess vorliegt. Diese Idee einer 1:1-Korrespondenz gehört ins 19. Jahrhundert und sehr viele Artikel inklusive ganzer Spezialausgaben psychologischer, neurowissenschaftler, interdiszipinärer und methodologischer Zeitschriften müssen spurlos an einem vorbei gegangen sein, wenn man ihr noch stets anhängt.
  • „In den USA existieren bereits Firmen, die den Gerichten ihre Dienste zur Aufdeckung von Lügen anbieten“ (M&M). Korrekt; und im letzten Jahr haben zwei Gerichte in den USA diese Angebote unabhängig voneinander restlos niedergeschmettert (siehe z.B. Kap. 4 von Die Neurogesellschaft).

Die zweite Hälfte des Artikels enthält übrigens durchaus lesenswerte Abschnitte über die möglichen Implikationen der Hirnforschung für das Strafrecht. Da die Autoren dort zu dem Fazit gelangen, dass den bisherigen Resultaten der Hirnforschung im Gerichtsverfahren „nur ein höchst relativer indizieller Beweiswert“ zukomme, dass falsche Suggestionen vermieden werden müssten und dass zur Beurteilung der Verfahren eine besondere wissenschaftliche Qualifikation notwendig sei, können sie meine kritischen Anmerkungen zu ihrem Text hoffentlich begrüßen.

Quellen:

Burns, J. M., & Swerdlow, R. H. (2003). Right orbitofrontal tumor with pedophilia symptom and constructional apraxia sign. Arch Neurol, 60(3), 437–440.

Draaisma, D. (2005). Ontregelde geesten. Ziektegeschiedenissen. Groningen: Historische Uitgeverij. (wissenschaftsgeschichtlich über Lombroso und die Rezeption seiner Lehre in den Niederlanden)

Markowitsch, H. J. & Merkel, R. (2011). Das Gehirn auf der Anklagebank. In: T. Bonhoeffer & P. Gruss (Hrsg.), Zukunft Gehirn: Neue Erkenntnisse, neue Herausforderungen. Ein Report der Max-Planck-Gesellschaft. München: C. H. Beck. (Ich arbeitete mit der Online-Version, daher leider keine Seitenzahlen.)

Schleim, S. (2011). Die Neurogesellschaft: Wie die Hirnforschung Recht und Moral herausfordert. Hannover: Heise Verlag.

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58 Kommentare

  1. Wow…

    Da kann man nur hoffen, dass Dein Blog weithin wahrgenommen wird. So etwas wie dieser Beitrag ist wohl mit der kritisch-konstruktiven Internet-Öffentlichkeit gemeint…

    Danke dafür. (Und das schreibe ich, weil ich lange Zeit auch noch der Gage-Legende aufgesessen bin und mich im Nachhinein darüber ärgere…)

  2. “Komplexestes Organ im Universum”

    Du hast recht.

    Auch ich bekomme jedesmal Brechreiz, wenn ich dieses Marktgeschrei der mit dem Hirn Befassten höre.

    Andererseits gibt einem das die Chance, die eigene Lehre mit Pejorationen zu würzen:

    “Als Hirn, meine Damen und Herren, bezeichnet man die knapp drei Pfund puddingartiger Masse, die wir im oberen und hinteren Teil unseres Schädels mit uns herumtragen. Die Feinsinnigen unter uns nennen es bei seinem altgriechischen Namen “enkephalon”, und meinen damit schlicht “das, was im Kopf ist”. “Cerebrum” heißt es auf Latein. Die Verwechslung mit dem Wort “Cerumen” ist zu vermeiden. Denn das ist der ordinäre Ohrenschmalz (usw..).”

  3. @ Michael: En-Gaged

    Danke, ich habe tatsächlich schon ein paar interessante Reaktionen erhalten und bekomme jetzt sogar ein Rezensionsexemplar.

    Das mit Gage habe ich vor ein paar Jahren auch noch falsch (ab-)geschrieben. Ich finde es vor allem schade, wenn man diesen Berichten nicht trauen kann und alles selbst lesen muss — das kostet auch viel Zeit.

    Das Problem findet sich auch bei manchen der von Sacks beschriebenen Fällen wieder, wo doch manche recht erstaunliche Überlegungen leider in Fußnoten versteckt sind und dann von anderen überhaupt nicht gelesen oder schnell vergessen werden. Dazu in diesem Jahr wahrscheinlich noch mehr.

  4. @ Wicht

    Haha, ist das ein Zitat aus einer deiner Reden?

    Leuten, die wie du noch echt am Hirn arbeiten, würde ich das sogar noch eher glauben.

    Mir fällt auch hin und wieder auf, dass die Zahl der Neuronen und vor allem der Gliazellen gerne mal zwanzig bis mehrere hundert Milliarden zu hoch angesetzt wird.

  5. @Stephan Schleim:

    Tatsächlich finden sich auf der Verlagsseite wohlbekannte Floskeln: Da ist vom Gehirn als „wohl komplexeste[r] Struktur im Universum“ die Rede. Diese Wendung zeugt davon, dass jemand nicht lange nachgedacht hat.

    Oder dass jemand Selbstverständliches der Kürze halber einfach weggelassen hat, nämlich die (fast überflüssige) Wendung, die deutlich gemacht hätte, dass nur der uns bekannte Teil des Universums gemeint ist.

    Und in diesem bekannten Teil kenne ich in der Tat keine Struktur, die (pro Rauminhalt) komplexer wäre als diese „puddingartige Masse“ (Helmut Wicht).

    Nach welchem Maßstab ist das Gehirn komplexer als beispielsweise unsere Sonne, deren Energie Lichtjahre durch den Kosmos strahlt und all unser Leben ermöglicht?

    Nach dem Maßstab des funktionalen Organisationsgrades vielleicht?


    @Helmut Wicht

    » Auch ich bekomme jedesmal Brechreiz, wenn ich dieses Marktgeschrei der mit dem Hirn Befassten höre. «

    Ich dachte, vom „komplexesten [bekannten] Organ im Universum“ wäre vor allem dann die Rede, wenn Hirnforscher zugeben müssen, dass sie vergleichsweise wenig von den Hirnfunktionen wissen.

  6. Hybris? Na dann . . .

    … fassen Sie sich mal an die eigene Nase. Wie kann man so was als Wissenschaftler überhaupt fragen:

    “Nach welchem Maßstab ist das Gehirn komplexer als beispielsweise unsere Sonne, deren Energie Lichtjahre durch den Kosmos strahlt und all unser Leben ermöglicht?”

    Die enorme Energie und die Fernwirkung der Sonne haben überhaupt nichts mit Komplexität zu tun, die elementaren Vorgänge in ihrem Inneren sind weitgehend bekannt

    Über ein einzelnes Neuron ist auch schon eine ganze Menge bekannt, über das Zusammenwirken von tausenden oder Milliarden Neuronen dagegen weiß die Forschung dagegen noch gar nichts – eben weil es für die gegenwärtigen wissenschaftlichen Möglichkeiten zu komplex ist.

  7. @ Balanus: Was für ein Quatsch!

    Ich bin auch nicht frei von Fehlern aber wenn du mir einen vorwirfst, dann mache bitte wenigstens deine Hausaufgaben.

    Auf der von mir verlinkten Website des Verlags heißt es wörtlich über das Buch: “In diesem Buch geben international führende Hirnforscher … einen allgemeinverständlichen Überblick darüber, was wir aktuell über die wohl komplexeste Struktur im Universum wissen …”

    Diesen Satz habe ich aufgegriffen; nicht mehr und auch nicht weniger. Wenn du über ‘was anderes sprichst, dann fantasierst du.

  8. @ Elsaesser: Ich hab ‘ne große Nase

    und fasse mir durchaus gerne daran, das können Sie z.B. in der Sektion Errata auf der Website meines ersten Buchs nachvollziehen. Wenn Sie irgendwo etwas Falsches finden, dann wird das richtig gestellt, ohne lange Diskussion.

    Inhaltlich:

    Die enorme Energie und die Fernwirkung der Sonne haben überhaupt nichts mit Komplexität zu tun, die elementaren Vorgänge in ihrem Inneren sind weitgehend bekannt.

    ROTFL. Erinnern Sie sich noch an die Nuklearkatastrophe in Fukushima? Da hieß es, eigentlich wisse man gar nicht so genau, was sich im Inneren eines Reaktors bei einer Kernschmelze wirklich abspiele, denn schließlich könne man da auch keine Experimente machen.

    Netter Versuch; es kommt eben immer auch drauf an, durch welche begrenzende Sonnenbrille man auf die Welt schaut, nicht wahr? Und plötzlich merkt man: Die Welt verhält sich ja ganz anders als es im Lehrbuch steht. Komisch.

  9. @Stephan Schleim

    » Diesen Satz habe ich aufgegriffen; nicht mehr und auch nicht weniger. … «

    Unbestritten, diesen Satz hast Du aufgegriffen. Und spekulierst dann über die Länge des Nachdenkens eines „Jemand“ beim Verfassen dieses Satzes. Ich spekuliere halt in eine andere Richtung als Du.

    Mein „jemand“ ist der gleiche „jemand“ wie bei Dir, Du alter Egozentriker 😉

  10. @Stephan Schleim, Nachtrag

    Sollte ich Dich missverstanden haben, nehme in den „alten Egozentriker“ zurück und bitte um Entschuldigung: Du bist nicht alt… und sicher auch nicht allzu egozentrisch.

  11. Komplexität

    Nach allem, was ich weiss, ist es sehr schwer, die Rede von der “Komplexität” eines biologischen Systems mit (quantitativen) Daten zu unterfüttern. Ich kenne da nur ein Buch dazu (Bonner: The Evolution of Complexity), und der versucht es mit Zelltypen und Artenvielfalt…

    Was ich mal auf die Schnelle gemacht habe, ist ein “macroscopical brute force approach”. Wenn man als Komplexität die “Anzahl der unterscheidbaren und unter sich verschiedenen beobachtbaren Elemente” definiert, dann kann man – makroskopisch zumindest – einfach die “Terminologia anatomica” zur Hand nehmen, und Begriffe zählen.

    Und dabei kommt heraus, dass die (makroskopische) Anatomie etwa 1400 Begriffe braucht, um das Gehirn zu beschreiben, aber ebensoviele, um das Gefässsytem des Körpers abzudecken.

    Prima facie also, was die “Komplexität pro Rauminhalt angeht”, kein so klarer, “universaler” Punktsieg für das Hirn.

  12. @ Balanus

    Das ist schon in Ordnung, wenn du mich etwas beleidigst, wir sind hier ja quasi sowas wie Busenkumpels im umgekehrten Sinn. 😉

    Inhaltlich scheint mir der Unterschied aber doch zu sein, dass ich den Satz beim Wort nehme, das für Unsinn halte und dann über den Geisteszustand spekuliere, während du den Satz veränderst, ihm einen Sinn gibst und dann über den Geisteszustand spekulierst. Um es in der Sprache des Realismus auszudrücken: Ich glaube, ich bin näher an der Realität.

    Oder ist das jetzt schon wieder zu egozentrisch? Haha.

  13. @Helmut Wicht

    Beeindruckend, wie viele Begriffe die makroskopische Anatomie kennt. Dass es auch für das Gefäßsystem (Blut- und Lymphgefäße?) rund 1400 gibt, hätte ich nicht gedacht (oder sind da die diversen Flüssigkeiten eingeschlossen?).

    Angenommen, wir könnten die Architektur (bis runter zur molekularen Ebene) und die Funktion der Organe oder Systeme vollständig beschreiben. Für welches Organ oder System würden wir wohl mehr Regalmeter brauchen? Ich tippe auf das Gehirn bzw. Nervensystem.

  14. @ Balanus

    Die “Zählung” umfasst das ganze “Systema vasorum” (also auch die Lymphgefässe und die Nodi lymphoidei) und das “Cerebrum” (samt Hüllstrukturen). Es sind nur Strukturen dabei, die sich dem blossen Auge (und einer Lupenvergrösserung) erschliessen. Also nichts genuin Mikroskopisches (Zelltypen etc.)

    Die Flüssigkeiten selbst (Liqour, Lymphe, Blut) tragen nur wenig zur Gesamtmasse der Begriffe bei.

    Die Komplexitätsmessung via “Regalmeter publizierter Literatur” scheitert imho daran, dass diese Regalmeter eher das Interesse am Organ als dessen Komplexität widerspiegeln.

    Es gibt in der Tat ein weiteres Komplexitätsmass, das ich verschwiegen habe – die Homogeneität. Hab’ ich (im Mikroskop) ein Stück Leber gesehen, hab’ ich die ganze Leber gesehen. Hab’ ich im Mikroskop ein Stück Hirn gesehen – hab’ ich sehr viel weniger gesehen. Es ist regional (licht)mikroskopisch viel heterogener als die Leber.

    Wenn’s dann aber wieder auf’s quantifizieren hinausläuft, wird es schwierig. In der Leber gibt’s (lichtmikroskopisch) so um die 10 Zelltypen. Im Hirn (grobe Schätzung aus’m Bauch, nie wirklich gezählt) kann man im Lichtmikroskop vielleicht 100 verschiedene Zelltypen unterscheiden.

    Das Hirn, würde ich also als Anatom sagen, ist strukturell um ein oder zwei Grössenordnungen komplexer als andere Organe. Aber ich würd’ mich nicht zu “universalen” Aussagen hinreissen lassen.

  15. … Bereit sein Irrtümer zu begehen

    Hallo,

    ich mag solche Artikel!

    Ich bin weder Mediziner, noch im speziellen Hirnforscher oder Genetiker. Trotzdem wage ich zu behaupten, die Komplexität (hier: Gehirn) geht über die rein konstruktive und vor allem materielle Seite hinaus. Komplexität von etwas zeigt sich vor allem im „Zusammenspiel“ mit seinem Umfeld, also „funktional“. Hier im wiederum im allgemeinen Sinn von Gehirn und Umwelt im Wechsel“spiel“, also so gesehen „system“atisch. Überspitzt wage ich darüber nachzudenken, das Gehirn (und z. B. die DNA) sind auch (ein) Teil des Systems „Umwelt“.

    Deswegen bin ich auch überzeugt, die Komplexität der (hier: menschlichen) DNA ist in diesem Sinn der des Gehirns zumindest ebenbürtig (schon auch deswegen, weil sie offensichtlich „kleiner“ gebaut ist, als die manch „niederer“ Lebensform). Und von beiden (DNA und Gehirn) ist „man“ überzeugt, die wesentlichen Bestandteile des materiellen Aufbaus zu kennen, doch was es letztlich in der Lage ist im Zusammenspiel mit seinem Umfeld zu bewirken, geschweige denn wie es funktional in der Lage ist, sich zu verändern (anzupassen), das geht ganz banal ausgedrückt auch über jeden Forscherverstand weit hinaus. Meine persönlicher Eindruck ist, gerade im Hinblick Gehirn (und DNA), mit jeder neuen Erkenntnis steigen wir (Menschen) ein Treppchen tiefer hinunter vom Sockel unser egozentrischen Selbstüberschätzung … so gesehen dient Wissenschaft auch der Entzauberung des Menschen hinsichtlich seiner Überzeugung von sich selbst, seines „Selbstbildnis“! Darüber sollten wir uns eigentlich freuen, zeigt es doch um so deutlicher, das wir, so wie wir sind dazugehören (zu dieser, unseren „Welt“)!

    Ich freue mich über jeden Wissenschaftler, der sich sein kindliches staunen und freuen bewahrt hat, überraschend neues unvoreingenommen erst einmal so akzeptiert, wie es ist … und ebenso unvoreingenommen daran (wissenschaftlich arbeitend) Teilhaben kann, das es so ist!

    … in diesem Sinn, weiter so!

    mfG

  16. Wer sitzt eigentlich am Steuer?

    “Dass der Mann sich selbst etwa trotz seines Gehirntumors noch in einem gewissen Maß steuern konnte, …” Der Mann steuerte sich selbst? Aha. An seinem Gehirn vorbei? Nein, denn er konnte es wegen des Tumors ja nur noch “in gewissem Maße”, wie Stephan Schleim schreibt. Also hat der Tumor einen Einfluss. Auch wenn man den Fall dieses Mannes 100prozentig korrekt wiedergeben würde – was wünschenswert wäre -,würde er doch einen Hinweis darauf geben, dass unser Wollen und Steuern nicht vom Gehirn losgelöst ist und der Zustand des Organs und die Prozesse darin bestimmen, was wir wollen. Der Fall selbst unterstützt also die Grundannahmen der Autoren. Und Gage ist nun nur noch eine Legende? Soweit ich weiß ist er ein Beispiel für jemanden, der nach dem Verlust eines bestimmten Teils seines Gehirns einen gewissen Impulskontrollverlust und vermutlich einen Mangel an Empathie zeigte. Oder hat das Ehepaar Damasio hier unseriös gearbeitet? Wenn andere Teile zerstört werden, werden wir dement (verschwindet da nur ein Teil unseres Geistes oder verliert unser Geist die Kontrolle über einen Teil seines Roboters?) Nach der Zerstörung anderer Teile können wir uns nicht mehr bewegen, können nicht mehr atmen, sterben.
    Ich habe den Eindruck, es gibt hier Dualisten, die sich aufgrund der unscharfen (und wohl kritikwürdigen) Darstellung der MPI-Autoren bestätigt fühlen. Dazu gibt dieser Artikel keinen Anlass.

  17. Dualismus

    “Auch wenn man den Fall dieses Mannes 100prozentig korrekt wiedergeben würde – was wünschenswert wäre -,würde er doch einen Hinweis darauf geben, dass unser Wollen und Steuern nicht vom Gehirn losgelöst ist und der Zustand des Organs und die Prozesse darin bestimmen, was wir wollen.”

    Mutet irgendwie dualistisch an, Ihre Aussage. Sie sind doch nicht von Ihrem Gehirn losgelöst oder warum schreiben Sie, dass der Zustand des Organs sowie die Prozesse darin bestimmen, was wir wollen?

  18. @Helmut Wicht

    Ich weiß nicht, was Ihre Zählungen von Begriffen oder gar Regalmetern soll. Meinten Sie das ironisch?
    Komplexität an der Zahl von Zelltypen, Lymphgefäßen, überhaupt generell an Zahl der Elemente eines Systems festzumachen, geht doch völlig am Problem vorbei. Für die Anatomie des menschlichen Gehirns mögen vielleicht solche quantitativen Daten ganz aufschlussreichreich sein. Aber was die eigentliche Komplexität, die Funktionalität betrifft, stößt man schon ein paar Nummern kleiner an fast unüberwindliche Grenzen. Denken Sie nur mal an das winzige Gehirn oder ZNS der Drosophila. Auch das ist schon so komplex, dass niemand bis heute weiß, wie das nette kleine Tierchen Grapefruit von Seife unterscheiden kann.

  19. Komplexität und Brechreiz

    “Dienstagmorgen, ich habe wie jeden Tag meine heiße Tasse chinesischen Grüntees in der Hand…”

    Mit einer solchen (überflüssigen und unangenehm eitlen) Einleitung zeigt ein Gehirn (Autor), daß es imstande ist und es genießt, sich an der Idee seiner eigenen “Kultiviertheit” zu berauschen.

    Und – man mache sich nichts vor – zu solchen “Einsichten” bedarf es eben genau der überaus komplexen Dynamik der Struktur Gehirn, die im Universum wohl ihresgleichen sucht.

    Keine Sonne käme auf die “Idee”, sich ihrer Strahlungsintensität wegen zu brüsten oder blau zu leuchten, obwohl sie eigentlich eher kalt und rot ist.

    Absurdes projizieren (etwas komplexes vorgaukeln) können offenbar nur entsprechend hochkomplexe neuronale Verknüpfungen: Gehirne. Außerhalb der Erde haben wir bisher keine weiteren “intelligenten” Lebensformen entdecken können – warum wohl? Sonnen u.ä. gibt es hingegen überall “reichlich”.

  20. @ Elsässer

    “Komplexität an der Zahl von Zelltypen, Lymphgefäßen, überhaupt generell an Zahl der Elemente eines Systems festzumachen, geht doch völlig am Problem vorbei.”

    Haben Sie eine bessere/andere Idee, wie man “Komplexität” in biologischen Systemen messen kann?

  21. @ MCSvD: Steuer

    Steuer und Steuermann — das ist doch Descartes’ Humunkulus.

    Nur weil meine Fähigkeit der Selbstreflexion und -Kontrolle im Gehirn realisiert ist, verliere ich doch nicht diese Fähigkeit. Die Aussage, dass ich mich selbst (mal mehr, mal weniger) kontrollieren/steuern kann, ist weder notwendig dualistisch, noch unverständlich (die Aussage jedoch, dass mein Gehirn sich selbst steuert/kontrolliert, ist demgegenüber sehr wohl problematisch!). Die Darstellung der Autoren ist eben in Details falsch und obendrein selektiv; das habe ich alles schon im Text geschrieben und belegt und werde ich hier nicht wiederholen.

    Gage ist Gage; aber um seinen Fall werden in der Tat schon seit 150 Jahren Mythen gesponnen. Tatsächlich waren die ersten, die ihn als Delinquenten dargestellt haben, die damaligen Phrenologen. Insofern die Damasios Gage als (Pseudo-)Psychopathen darstellen, arbeiten sie tatsächlich unsauber. Er hatte einen Mangel an Empathie? Seine Mutter berichtet da etwas anderes, nämlich Sorge um seine Nichten und Neffen, Hunde und Pferde.

    Wenn Sie wollen, schicke ich Ihnen ein paar Folien aus meiner Vorlesung mit den einschlägigen Zitaten. Da finden Sie auch ein Beispiel, wie Antonio Damasio aus einem netten Märchenonkel Gage einen unverbesserlichen Lügner macht.

  22. @ Schütze: Eitelkeit?

    Ich sehe darin weder Überfluss, noch Eitelkeit, sondern ein Experiment mit einem anderen Schreibstil; und vielen gefällt das doch.

    Wenn Sie auch einen neuen inhaltlichen Beitrag zur Diskussion haben, setze ich mich gerne damit auseinander.

  23. @Stephan Schleim

    Entschuldigung, ich wollte nicht unhöflich sein, aber indem hier freimütig von Brechreiz gesprochen wurde..

    Ich denke, inhaltlich habe ich mich hinreichend geäußert, insofern ich darauf hinwies, daß nur eine (aufgrund ihrer funktionalen Komplexität) äußerst seltene Struktur wie etwa Ihr Gehirn imstande ist, sich derartiges auszudenken – sei es banal, eitel oder nicht. Es ist auf jeden Fall eine bis vorgestern nicht zu erwartende Geschichte entstanden, hingegen die Sonne heute zum wiederholten Male aufgegangen ist – was zu erwarten war.

  24. @ Schütze

    Wenn man mich und meine Gewohnheiten kennt, dann war es gewissermaßen vorhersehbar, dass ich auf den Beitrag von Markowitsch und Merkel reagieren würde. 😉

    Naja, wenn man die Komplexität der Sonne anhand der Gleichungen misst, welche die Umlaufbahnen beschreiben, dann ist das natürlich langweilig; aber dann würde es keine Rolle spielen, ob wir es mit einem Stein zu tun haben oder mit einem Objekt mit mehr als einer Million Kilometer Durchmesser, einer Masse von ca. 2000000000000000000000000000000 Kilogramm und so weiter. Können Sie sich sowas vorstellen? Soviel zur Komplexität der Ideen des Gehirns.

    So viel zu Ihrem Vergleich.

  25. @Helmut Wicht:

    »Haben Sie eine bessere/andere Idee, wie man “Komplexität” in biologischen Systemen messen kann? «

    Ohne dem angesprochenen Jack Elsaesser vorgreifen zu wollen, aber wie wär’s denn damit:

    In der Systemtheorie werden komplexe Systeme durch eine Reihe charakterisierender Eigenschaften beschrieben. Die Komplexität eines Systems steigt mit der Anzahl an Elementen, der Anzahl an Verknüpfungen zwischen diesen Elementen sowie der Funktionalität dieser Verknüpfungen (zum Beispiel Nicht-Linearität).

    (Quelle: Wikipedia)

    Wenn wir das Gehirn als ein “System” betrachten (weil Teil des zentralen Nervensystems), dann haben wir es einer schier überwältigenden Anzahl an Verknüpfungen zwischen den Elementen, sprich Neuronen, zu tun.

    Wenn wir also alle durch synaptische Verbindungen realisierten Schaltkreise pro Volumeneinheit zählen, müsste doch eine recht hohe Zahl herauskommen. Da können andere Organe kaum mithalten.

    Im Übrigen hat Stephan völlig zu Recht an anderer Stelle (Steinzeitliches Gehirne…) darauf hingewiesen, dass das Gehirn viel komplizierter ist, als viele Evolutionspsychologen anscheinend meinen (Stichwort: Modularität).

    (Ich bin mir ziemlich sicher, dass Sie das mit den Synapsen natürlich auch bedacht haben, aber ich komme einfach nicht dahinter, warum das kein Kriterium für Komplexität sein soll…)

  26. @ Balanus

    Hervorragend. Rechne das jetzt mal fürs Gehirn aus, dann für jedes andere Organ sowie für jeden anderen Gegenstand des Universums und vielleicht wäre dann die strittige Werbe-Aussage bewiesen.

    Ich bezweifle es aber. Wie viele Atome und Interaktionen pro Zeit hat beispielsweise die Sonne, also beinahe 100% der Masse unseres Sonnensystems? 😉

  27. @Stephan / Das Gehirn…

    …die wohl komplexeste Struktur im [bekannten] Universum…

    So lautet der Werbetext (das fehlende “bekannt” habe ich ergänzt). “Komplexität” habe ich oben bereits abgehandelt, widmen wir uns nun der “Struktur”. Der Einfachheit halber, nochmals Wikipedia:

    Unter Struktur (von lat.: structura = ordentliche Zusammenfügung, Bau, Zusammenhang; bzw. lat.: struere = schichten, zusammenfügen) versteht man das Muster von Systemelementen und ihrer Wirk-Beziehungen (Relationen) untereinander, also die Art und Weise, wie die Elemente eines Systems aufeinander bezogen sind (durch Beziehungen „verbunden“ sind), so dass ein System bzw. Organismus funktioniert (entsteht und sich erhält).

    Ein Kubikzentimeter Sonne hat im Mittel eine größere Dichte als das gleiche Volumen Gehirn. Ist diese größere Teilchenzahl nun gleichbedeutend mit einer komplexeren Struktur?

  28. Klein- vs. Großhirn

    Wir sehen auch unterschiedliche Grade von Komplexität innerhalb des Gehirns. Das Kleinhirn hat mehr Neurone als das Großhirn und diese haben wesentlich mehr synaptische Verbindungen. Dennoch hält man es für deutlich weniger komplex als das Großhirn, weil seine Architektur viel stärker repetetiv ist.

    Ich bin Helmut Wicht trotzdem dankbar für seinen Hinweis auf das Gefäßsystem. Wir sollten nicht unsere ganze Ehrfurcht auf das Gehirn konzentrieren und für anderes Lebendige keine mehr übrig haben. Hier z.B. ein Bild des Hämoglobinmoleküls:

    http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Datei:HbA_1GZX.jpg&filetimestamp=20101006170321

    Wenn das nicht komplex ist!

  29. @Jürgen Bolt:

    »Wir sollten nicht unsere ganze Ehrfurcht auf das Gehirn konzentrieren und für anderes Lebendige keine mehr übrig haben. «

    Das Fass, aus dem wir die Ehrfurcht schöpfen, ist unendlich groß. Es bleibt also genug für alle und alles.

    Rhetorische Frage: Welches andere anderthalb Kilo Materie ist im uns bekannten Universum so komplex strukturiert, dass es Ehrfurcht empfinden könnte? Oder ist das der Irrtum, zu meinen, dass dazu eine komplexe Struktur notwendig sei?

  30. @Jürgen Bolt

    Das Hämoglobinmolekül …
    “Wenn das nicht komplex ist!”

    Das Hämoglobinmolekül kann nicht bemerkenswert komplex sein (relativ zu anderen Strukturen, und so sollten wir es betrachten) – das ist auch nicht seine Aufgabe. Und so bilden auch entsprechend Wenige das Hämoglobinmolekül. Sonst käme es am Ende auf den Gedanken, den Sauerstoff für sich zu behalten

  31. Komplexität @ Schleim @ Wicht

    Ein System ist um so einfacher, je weniger Elemente mit nichtlinearen Wechselwirkungen es enthält, und umgekehrt um so komplexer, je mehr Elemente, Nichtlinearitäten und Freiheitsgrade seine Dynamik bestimmen. Messgrößen dafür gibt es m.W. nicht.

  32. @jörg schütze

    “Das Hämoglobinmolekül kann nicht bemerkenswert komplex sein (relativ zu anderen Strukturen).”

    Ich vermute, Du sprichst von anderen organischen Strukturen, und da hast Du natürlich recht. Ich habe bei dem Beispiel an anorganische Strukturen, speziell die von Stephan erwähnte Sonne, gedacht.

    Wahrscheinlich hätte ich besser ein anderes Beispiel gewählt. Muß an dem grünen Tee (Tie Guan Yin) liegen, den ich heute morgen genossen habe, daß ich nicht selbst darauf gekommen bin.

  33. Feedback loops im Gehirn?

    “die Aussage jedoch, dass mein Gehirn sich selbst steuert/kontrolliert, ist demgegenüber sehr wohl problematisch!”

    Das musst Du mir näher erklären. Ich sehe kein grundsätzliches Problem in der Aussage, schon ein einfacher Thermostat ist doch in der Lage, sich selbst zu steuern. Kaum ein Neurowissenschaftler zweifelt doch an dem Prinzip der feedback-Verschaltung neuronaler Netzwerke im Gehirn. Darin ist auch gar nichts Unheimliches oder Metaphysisches (siehe Thermostat oder – um ein Beispiel aus der belebten Natur zu nennen – die Genregulierung).

    Ich will jedenfalls schwer hoffen, dass mein Gehirn nicht nur meinen Körper unterhalb des Halses, sondern auch das Organ in der Schädelkalotte – also sich selbst – steuert.
    Und bitte komm mir jetzt nicht damit, dass das Gehirn ja vom Körper (Energieversorgung) und äußeren Reizen abhängig ist und also von “außen” gesteuert wird. Wobei, ich kann mir auch nicht vorstellen, dass Du Dich hier als Behaviorist outest. 😉

    Kurz, ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass immer wieder eine dualistische Note zwischen Deinen Zeilen aufblitzt (auch wenn Du das abstreitest).

  34. Spam

    Heiße Debatte, aber ich habe bei dem Thema immer den Eindruck, daß man im Dunkeln tappt und sich deshalb dauerend anrempelt.
    Da helfen auch die Experten vom Max Planck-Rang nicht, sie haben nicht
    jene Eigenschaften, die Siegbert Müller so großartig beschrieb:
    „Ich freue mich über jeden Wissenschaftler, der sich sein kindliches staunen und freuen bewahrt hat, überraschend neues unvoreingenommen erst einmal so akzeptiert, wie es ist … und ebenso unvoreingenommen daran (wissenschaftlich arbeitend) Teilhaben kann, das es so ist!“
    Darauf ergreife ich die Gelegenheit, um auf mein Ebook „Neurolinguistik“ zu weisen, daß ich gerade veröffentlicht habe. Anlass war ein gut dotierter Wettbewerb „der neue Buchpreis“, bei dem jeder facebook- oder twitter-user mit abstimmen kann, indem er den link aufruft und bei „gefällt mir“ klickt.
    Ich hoffe, es kann hier auch manchem gefallen.

    http://www.epubli.de/shop/buch/Neurolinguistik-Steffen-Rehm/9273
    In diesem Sinn
    Steffen Rehm

  35. @ Mortimer

    Wir wissen, was es bedeutet, wenn z.B. ein Kapitän ein Schiff steuert; aber wenn ein Gehirn sich selbst steuert? Können wir diese Metapher einlösen?

    Steuert ein Thermostat sich selbst? Ich glaube, diesen Unsinn hat uns Daniel Dennett eingebrockt. Wenn überhaupt, dann steuert der Thermostat (wenn er funktioniert) die Heizung, denn dazu wurde er gebaut. Und wer steuert dann den Thermostat? Scheint mir von der Umwelt abzuhängen, nämlich der Temperatur, ob der Zufluss warmen Wassers herauf- oder heruntergeregelt wird.

    Ist das Magie, ist das Metaphysik? Nee. Nur wer behauptet, das Gehirn steuere sich selbst, der muss schon sagen können, was das bedeutet, sonst verdächtige ich Ihn der Esoterik.

    Und nochmals: Selbst wenn Neuronen uns festlegen (O-Ton W. Singer), wer legt dann die Neuronen fest?

    Das hat alles mit Dualismus nichts zu tun, sondern damit, die Welt nicht einfacher machen zu wollen, als sie allem Anschein nach ist.

  36. alte probleme, alte (?) antworten

    Ich zäume das Pferd mal von hinten auf:

    “Das hat alles mit Dualismus nichts zu tun, sondern damit, die Welt nicht einfacher machen zu wollen, als sie allem Anschein nach ist.”

    Wenn Dein Problem darin liegt, dass die Dinge nicht so einfach sind, wie durch die Presse (und aus heuristischen Gründen hin und wieder auch von einigen Wissenschaftlern) dargestellt wird, dann gebe ich Dir recht: Das Gehirn ist nun mal das komplexeste System/Gebilde, dass wir im Moment kennen. 😉

    (bitte keine Ausflüchte: was ist mit dem irdischen Wetter, dem Öko”system”, der menschlichen Kultur? Über die Definition eines Systems kann gestritten werden; es gibt sicher hierarchische Prinzipien: Was ist komplexer: die Gesamtheit der Stoffwechselwege in einer einzelnen Zelle, die Gesamtheit der Interaktionen von Zellen im Gehirn, oder der Gesamtheit der Interaktionen vieler Gehirne in einem sozialen System? Das ist einen eigenen Beitrag wert, führt aber uns nicht bei dem weiter, was jedem intuitiv klar ist.)

    “Selbst wenn Neuronen uns festlegen (O-Ton W. Singer), wer legt dann die Neuronen fest?”

    Dazu könnte man einfach bei Vollmers evolutionären Erkenntnistheorie nachlesen, das überspringe ich aus Platzgründen und komme direkt zum Schiff/Steuermann-Problematik:

    “Nur wer behauptet, das Gehirn steuere sich selbst, der muss schon sagen können, was das bedeutet, sonst verdächtige ich Ihn der Esoterik.”

    Wie wäre es damit: Motorik braucht Steuerung; dabei hat sich bei sich bewegenden Organismen im Laufe der Evolution ein besonderes Prinzip bewährt: Nimm mit Sinnesorganen den Ort wahr, der am besten dein Überleben sichert und steuere dahin. Wie wird sichergestellt, dass dein Schiff da auch hinsteuert? Vergleiche dein gewünschtes mit dem tatsächlichen Ergebnis und passe deine Steuerbefehle Schritt für Schritt an (= feedback, unser Thermostat).

    “Steuert ein Thermostat sich selbst? Ich glaube, diesen Unsinn hat uns Daniel Dennett eingebrockt. Wenn überhaupt, dann steuert der Thermostat (wenn er funktioniert) die Heizung, denn dazu wurde er gebaut. Und wer steuert dann den Thermostat?”

    Ja, das hat und Dennett eingebrockt, siehe aber auch unbedingt Wolpert, Friston, und vor allem Rick Grush (2004), sehr lesenswert!

    “Scheint mir von der Umwelt abzuhängen, nämlich der Temperatur, ob der Zufluss warmen Wassers herauf- oder heruntergeregelt wird.”

    Genau! Das wird (durch Wahrnehmung) in die Vorhersage (Emulation) zukünftiger Ereignisse (eigener und der der Umwelt) für die Planung passender Reaktionen einbezogen.

    Sehr verkürzt, ich gebe zu (bei Bedarf bitte nachhaken); aber bis jetzt sehe ich eigentlich gar keine so große Widersprüche unserer Haltungen.

    “Wir wissen, was es bedeutet, wenn z.B. ein Kapitän ein Schiff steuert; aber wenn ein Gehirn sich selbst steuert? Können wir diese Metapher einlösen?”

    Kann es sein, dass es Dir doch um die Leib/Seele-, Körper/Gehirn-Dichotomie geht? Wäre das Problem nicht vorhanden, wenn wir Roboter- oder Amöben-gleich durch die Welt wandelten? Stört Dich also die Tatsache, dass wir uns dabei unseren motorischen Planungen bewusst sind, um anzuerkennen, dass “unsere Neurone uns [unser Verhalten] festlegen?”

    Dann ginge es um die spannende Frage, warum wir ein Bewusstsein haben. Ich kenne keine Wissenschaftler, die behaupten, darauf eine schlüssige Antwort zu haben. Vielleicht hat es mit der internen Emulation von uns und der Umwelt zu tun…

    Ich vermute aber, dass die Frage nicht wirklich von großer Bedeutung ist. Vor hundert Jahren gab es die spannende Frage, was Leben ist, wie es definiert sein könnte, usw. Heute haben Biologen diese Frage pulverisiert: Es ist Ansichtssache, es hängt von der Definition ab, es gibt einen Gradienten von der unbelebten zur belebten organischen Chemie.
    Meine Vermutung ist also, dass es sich mit der Frage nach dem Bewusstsein ähnlich verhalten wird: sie wird Ansichtsache sein, es gibt einen Gradienten von unbewussten zu bewussten Systemen; und all das wird nichts dem (von uns empfundenen) Zauber unseres Daseins nehmen.

    glaub mir! 😉

  37. @ Mortimer

    Ich denke, zur Komplexität ist hier schon viel geschrieben worden. Nach wie vor halte ich es für Träumerei, ohne bestimmtes Maß dem Gehirn diese Krone zu verleihen – gerade wenn du im Vergleich z.B. vom Ökosystem sprichst. Da ich gleich einen Zug kriegen muss, komme ich zum wichtigsten Punkt (Vollmer, Dennett und das alles können wir uns schenken):

    Wie wäre es damit: Motorik braucht Steuerung; dabei hat sich bei sich bewegenden Organismen im Laufe der Evolution ein besonderes Prinzip bewährt: Nimm mit Sinnesorganen den Ort wahr, der am besten dein Überleben sichert und steuere dahin. Wie wird sichergestellt, dass dein Schiff da auch hinsteuert? Vergleiche dein gewünschtes mit dem tatsächlichen Ergebnis und passe deine Steuerbefehle Schritt für Schritt an (= feedback, unser Thermostat).

    Schau, du wolltest hier erklären, was “steuern” biologisch heißt und in deiner Erklärung taucht dieses Steuern (meine Hervorhebung) einfach wieder auf. Dadurch wird überhaupt nichts klarer, du löst die Metapher nicht auf, kein Bisschen. Mir scheint, du hast wirklich zu viele schlechte Philosophen gelesen.

    Stört Dich also die Tatsache, dass wir uns dabei unseren motorischen Planungen bewusst sind, um anzuerkennen, dass “unsere Neurone uns [unser Verhalten] festlegen?”

    Mich stört daran, dass es eben dumm ist (bzw. vergleiche meine vorherige Bemerkung dazu, die Welt einfacher zu machen, als sie ist; ferner hatte ich hier im Blog auch schon ewig lange Diskussionen mit Banalus dazu); ich brauche nur einen geeigneten Schlag auf den Kopf zu kriegen, und plötzlich “steuern” diese Neuronen gar nichts mehr.

    Ebenso wie Balanus begehst du diesen Fehler, Kausalität, Steuerung und Kontrolle immer nur vom Gehirn ausgehen zu lassen, selbst wenn es ganz klar die Umwelt ist, die in einem Fall ein bestimmtes Verhalten auslöst. Der Mensch und sein Gehirn, der Mensch und seine Umwelt, sind eben kein Billiardtisch.

  38. @ Elsässer / Def. Komplexität

    “Ein System ist um so einfacher, je weniger Elemente mit nichtlinearen Wechselwirkungen es enthält, und umgekehrt um so komplexer, je mehr Elemente, Nichtlinearitäten und Freiheitsgrade seine Dynamik bestimmen. Messgrößen dafür gibt es m.W. nicht.”

    Ok, das ist eine Diskussionsgrundlage. Nur – wenn man daraus kein MASS ableiten kann, dann sind wir doch genauso schlau wie zuvor. Unser Urteil “kommt aus dem Bauch”.

    Wenn man dennoch ein Mass daraus aubleiten wollte, wäre es so etwas wie “Anzahl Elemente x Mass der Nicht-Linearität x Freiheitsgrade”, oder?

    Von Nicht-Linearitäten und Freiheitsgraden verstehe ich nichts. Von Elementen ein wenig, und so will ich nur anmerken, das es schon sehr schwer ist, diese “Elemente” überhaupt zu definieren. Mit blossem Auge Abgrenzbares? Zellverbände? Einzelzellen? Synapsen?

    Ist ein Hirn, das einfach nur mehr Zellen als ein anderes enthält, deshalb schon “komplexer”? Das Hirn eines Pottwales oder Orcas wiegt 9 kg und hat entsprechend SEHR viel mehr Zellen als unsere Hirne…das Walgehirn, “das komplexeste Gebilde in bekannten Universum”?

    Und jetzt geht der Ärger wieder los: ABER der Cortex ist dünner, ABER die Anzahl der Synapsen pro Volumen ist geringer, ABER Hirngewicht skaliert mit Körpergewicht, ABER der Encephalisationsquotient ist geringer…

    Das wird nicht leicht.

  39. @ Mortimer, Bewusstsein und Leben

    Na, da hätte ich beinahe noch die Sache mit dem Leben vergessen. Gut, dass es in den NS-Zügen Wireless Internet gibt, übrigens sogar kostenlos (und von einem deutschen Provider). Da könnte sich die Doofe Bahn mal ein Beispiel dran nehmen.

    Dann ginge es um die spannende Frage, warum wir ein Bewusstsein haben. Ich kenne keine Wissenschaftler, die behaupten, darauf eine schlüssige Antwort zu haben. Vielleicht hat es mit der internen Emulation von uns und der Umwelt zu tun…

    Naja, es besteht doch kein Mangel an Evolutionären Psychologen und Philosophen, die auf alles eine Antwort haben: Überlebensvorteil; aber ich stimme dir zu, schlüssig finde ich das auch nicht.

    Ich vermute aber, dass die Frage nicht wirklich von großer Bedeutung ist. Vor hundert Jahren gab es die spannende Frage, was Leben ist, wie es definiert sein könnte, usw. Heute haben Biologen diese Frage pulverisiert: Es ist Ansichtssache, es hängt von der Definition ab, es gibt einen Gradienten von der unbelebten zur belebten organischen Chemie.

    Soso, haben Biologen das “pulverisiert”? Ist es nur eine Frage der Definition, was Leben ist?

    Komisch, dass dann beispielsweise Craig Venter seine Multi-Millionen-Forschung mit dem Ziel betreibt, “künstliches Leben” herzustellen (siehe dazu in Science). Da könntest du ihm doch mal eine E-Mail schreiben und sagen, Lieber Craig, alles nur eine Definitionssache. Willst du mit dem ganzen Geld nicht ‘was Sinnvolles machen? Zum Beispiel ein paar Ferienhäuser in Spanien bauen?

    Zu allem Überfluss war es bei Venter unlängst mal wieder ein Philosoph, der nicht wusste, was er eigentlich schreibt, und in jedem Fall für die Erschaffung künstlichen Lebens ordentlich Beifall spendete (siehe Arthur Caplan in Nature).

    Ich habe in Bonn übrigens in einem Arbeitskreis mitgemacht, in dem wir uns u.a. mit dieser Frage beschäftigt haben (und unser Ergebnis publizierten). Du denkst, Biologen hätten das pulverisiert? Lies dann doch mal Kirschner, Gerhart & Mitchison (2000). Molecular “Vitalism”. Cell 100:79-88.

    Meine Vermutung ist also, dass es sich mit der Frage nach dem Bewusstsein ähnlich verhalten wird: sie wird Ansichtsache sein, es gibt einen Gradienten von unbewussten zu bewussten Systemen; und all das wird nichts dem (von uns empfundenen) Zauber unseres Daseins nehmen.

    Und deine “Vermutung” scheint mir auf reichlich vielen fragwürdigen Annahmen zu beruhen. Worum geht es hier eigentlich? Doch darum, dass Menschen sich – mal mehr, mal weniger – unter Kontrolle haben, dass man das im Recht dann beispielsweise “Steuerungsfähigkeit” nennt, und dass auch wenn es da manchmal Unsicherheiten und Grenzfälle gibt, wir doch verständlich beschreiben können, was wir damit meinen, während du dich mit deiner Gehirnmetaphorik im Kreis drehst.

    Mortimer, du bist doch noch jung. Willst du nicht ‘was Gescheites mit deinem Leben machen? Schreib doch Gedichte, geh Tanzen, verlieb dich aber verschwende deine Zeit doch nicht mit Beifallklatschen und Mantras wie “Das Gehirn ist Groß”, “Das Gehirn ist Komplex” usw.

    glaub mir! 😉

    Ein Andermal vielleicht. 😉

  40. @Stephan Schleim:

    Eigentlich wollte ich ja nur noch mitlesen, aber das hier kann ich natürlich nicht unkommentiert lassen:

    » Ebenso wie Balanus begehst du diesen Fehler, Kausalität, Steuerung und Kontrolle immer nur vom Gehirn ausgehen zu lassen, selbst wenn es ganz klar die Umwelt ist, die in einem Fall ein bestimmtes Verhalten auslöst. «

    Dass Signale aus der Umwelt ein Verhalten auslösen können, habe ich bestimmt nicht bestritten. Ich behaupte allerdings, dass die Umwelt keinen Einfluss darauf hat, welches spezifische Verhalten im Einzelfall ausgelöst wird. Der Einfluss der Umwelt endet am Sinnesrezeptor, alles weitere ist allein die Leistung des Organismus (mit einem “geeigneten Schlag auf den Kopf” kannst Du natürlich jegliche Verhaltensäußerungen unterbinden—was aber auch nur wieder zeigt, dass nicht die Umwelt, sondern nur das intakte Gehirn Verhalten generieren kann).

    Was die ‘Pulverisierung’ der Frage nach dem, was Leben ist, betrifft: So ganz pulversiert kann diese Frage noch nicht sein, denn sonst würde ein renommierter Biologe wohl nicht einen Aufsatz titeln mit: The riddle of “life,” a biologist’s critical view. (DOI 10.1007/s00114-008-0422-8)

    Aus diesem Aufsatz möchte ich ein Zitat bringen, das meiner Meinung nach auch gut zur Frage der Komplexität passt:

    The concept of functionality and with it the aspect of
    self-produced and self-maintained organization is of central
    importance in biology and quite unknown in physics.
    Therefore, all efforts to explain the phenomenon of life in
    terms of physics and chemistry are doomed to fail because
    these approaches cannot discern the complex integration
    necessary for specific biological organization and for the
    purposeful behavior of living beings. It will never be
    possible “to explain all biology in terms of physics and
    chemistry” (Crick 1966). I agree with Kaufmann (1993)
    that the origins of order are to be found in the generic
    properties of living matter itself and only there. Complexity
    is not just complication but represents a new theoretical
    world with new physics associated with it. “It is not biology
    but physics that deals with too limited, too restricted class
    of systems” (Rosen 1991).

    (Heinz Penzlin, Naturwissenschaften (2009) 96:1–23)

    » Zu allem Überfluss war es bei Venter unlängst mal wieder ein Philosoph, der nicht wusste, was er eigentlich schreibt, und in jedem Fall für die Erschaffung künstlichen Lebens ordentlich Beifall spendete (siehe Arthur Caplan in Nature). «

    Ich verstehe auch nicht, warum Caplan glaubt, angesichts einer gentechnischen, ja doch, Meisterleistung, über das Ende der Debatte über den Vitalismus schreiben zu müssen. Wer debattiert denn noch ernsthaft über den Vitalismus?

    (Schön, dass Du so viele Literaturhinweise gibst, Danke dafür 🙂 )

  41. @ Balanus

    Danke für das schöne Zitat! Was manche doch immer so alles auf die Physik reduziert wissen wollen… Da dürfte so manchem Physiker wohl ganz schwindelig von werden. Bezeichnenderweise sind es meiner Erfahrung nach auch oft gerade nicht Physiker, die solche Reduktionismus-Versprechen machen.

    Ich werde aber diesen Denkfehler der Art: Aus “A und B sind kausal notwendig für C” mach “eigentlich ist es aber B, das C verursacht” nicht mehr weiter mit dir diskutieren.

  42. @Stephan Schleim:

    » Ich werde aber diesen Denkfehler der Art: Aus “A und B sind kausal notwendig für C” mach “eigentlich ist es aber B, das C verursacht” nicht mehr weiter mit dir diskutieren. «

    Na, dann ist ja gut 😉

    Wenn A der Organismus ist, B das auslösende Signal aus der Umwelt, und C das resultierende Verhalten von A, wo ist dann der Unterschied zu meiner Auffassung?

    Ich sage doch lediglich, dass C eine Leistung von A in Reaktion auf B ist, mehr nicht. Und, dass A bei gleich bleibendem B auch C’ oder C’’ oder C’’’ generieren könnte. Oder dass A’ bei gleichem B C, C’, C’’ oder ganz was anderes generieren kann. Kurz, B kann der Auslöser von allem möglichen sein. Kommt eben drauf an, welche vorgegebenen Möglichkeiten A hat, um auf B zu reagieren.

    Beispiel: Wenn es dunkel wird, gehen die Lichter an. Wenn B, dann C. Über A wissen wir zunächst nichts. A kann ein Mensch sein, der einen Schalter betätigt, oder eine Photozelle mit Schaltfunktion (ein Dämmerungsschalter halt). Klar, “A und B sind kausal notwendig für C”, keine Frage. Aber interessant ist doch vor allem die Frage nach dem Mechanismus, der dafür sorgt, dass das Licht eingeschaltet wird.

    (Ich hoffe, Du bleibst bei Deinem Versprechen…)

  43. @ Balanus: versprochen ist versprochen

    Natürlich bleibe ich bei meinem Versprechen. Ich halte eben nur mal fürs Protokoll fest, dass du dich soeben zum Indeterminismus bekannt hast:

    Und, dass A bei gleich bleibendem B auch C’ oder C’’ oder C’’’ generieren könnte.

  44. Nochmal Komplexität @ Helmut Wicht

    Ja, messen kann man Komplexität wohl nicht, und einschätzen kann sie jeder nach Belieben. Stefan Schleim meint halt, die Sonne wär das komplexere System, andere sehens anders, aber im Grund ist das doch sowieso wurscht. Für die Wissenschaft zählt lediglich als Kriterium, wie weit sich Dinge/Vorgänge in einem System berechnen und voraussagen lassen. Und da weiß man zum Beispiel ja (Drei-Körper-Problem), dass schon bei drei sich anziehenden Massen Schluss ist mit exakter Bahnberechnung.

  45. @Stephan Schleim:

    Ebenfalls fürs Protokoll: Zu dieser Form des Indeterminismus habe ich mich schon immer “bekannt” (wäre ja auch noch schöner, wenn Umwelteinflüsse das Verhalten der Organismen determinieren würden—wo bliebe denn dann die Selbstbestimmung, sprich: selbstbestimmte Steuerung?).

  46. @ Bal: deterministischer Indeterminismus

    Sorry Junge aber wenn du Inderterminist bist, dann kann auch der Organismus sein Verhalten nicht determinieren. Dir bleibt nur der Zufall – willst du das wirklich?

  47. @Stephan

    Mit “dieser Form des Indeterminismus” meinte ich, dass nicht exakt vorhersagbar ist, wie sich ein Organismus auf einen bestimmten Reiz hin verhalten wird. Vielleicht ist “Indeterminismus” auch der falsche Begriff.

    (Welche Rolle indeterministische Prozesse im ansonsten deterministischen Gehirn spielen können, kannst Du z.B. bei Martin Heisenberg nachlesen (Nature 459,2009:164 — kennst Du ja)

  48. @ Balanus: Indeterminismus

    Wenn es dir aber um mangelnde Vorhersagbarkeit geht, dann bist du kein echter Indeterminist; und dann ist deine vorherige Annahme, System A könnte sich unter Bedingung B für C, C’, C” usw. entscheiden, falsch.

  49. @ Balanus: Heisenberg…

    …spricht in seinem Paper übrigens erst mal von Indeterminismus als Unvorhersagbarkeit (S. 164, rechte spalte, oben), dann aber von Zufall (unten). Das ist beides nicht dasselbe; etwas mehr Fingerspitzengefühl für diese schweren Begriffe wäre wünschenswert.

  50. @Stephan

    Wieso ist die Aussage, System A könne sich unter Bedingung B für C, C’ oder C” usw. entscheiden, falsch, wenn damit bloß gemeint ist, dass wir das Ergebnis nicht exakt vorhersagen können?

  51. @ Balanus: Sprachkurs

    Wenn du damit meinst, dass man was bloß nicht vorhersagen könne, wofür sich das System entscheide, warum sagst du dann nicht einfach: Man kann nicht vorhersagen, ob sich das System A unter Bedingung B für C, C’, C” usw. entscheidet. Vielleicht sagst du es nicht, weil du dann selbst merken würdest, dass es mit unserer Diskussion nicht viel zu tun hat?

    Stattdessen sagst du dann etwas anderes, nämlich dass sich das System unter den gleichen Bedingungen für unterschiedliche Alternativen entscheiden könnte. Das impliziert für mich jedenfalls Indeterminismus.

  52. @Stephan / Zurück auf Los

    Ok, ich vervollständige meinen Satz, dass A bei gleich bleibendem B auch C’ oder C’’ oder C’’’ generieren könnte, wie folgt: …, weil es zum einen Zufallsereignisse (neuronale Spontanaktivitäten) und zum zweiten begleitende Kofaktoren gibt, die das Ergebnis (C) beeinflussen können. Diese Kofaktoren (oder wie immer man die Begleitumstände nennen möchte) stammen entweder aus dem System (A) selbst, oder wie die Bedingung B aus der Umwelt.

    Passt es jetzt?

  53. @Stephan

    Du kannst mich einordnen, wo Du möchtest, Hauptsache, es geht alles „mit rechten Dingen“ zu 🙂

  54. nocache:6de4c8477a4e056d1df24b5ee2d58354

    Nebenan im “Schlampen”-Beitrag kann man mal wieder nicht kommentieren.

    Blog-Repair-Man, bitte kommen…

  55. Nocache

    Ich weiß bis heute nicht woran es liegt, aber den Fehler mit dem Kommentarfenster kann man beheben, indem man in den Beitrag geht und das letzte Leerzeichen löscht.

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