Exzessiver Verzicht: Über den zum Scheitern verurteilten Versuch, ein gefahrloses Leben zu führen

Die Schriftstellerin und Barbesitzerin Kerstin Ehmer reflektiert über das Thema der 13 Fragen-Sendung: Muss Alkohol stärker reguliert werden?

Alkohol wandert in unserer Wahrnehmung zusehends in das Abseits, indem sich bereits Gluten, Milchprodukte, Fleisch oder Zucker befinden. Sie sind allesamt gebrandmarkte Genuss- oder Lebensmittel, gemieden aus einerseits guten Gründen, andererseits aus einer neu erwachten Lust an der Askese, die paradoxerweise vor allem in den Wohlstandsgesellschaften der westlichen Welt auftritt.

Diejenigen, die alles haben können, entschließen sich zum Verzicht. Und wie den religiös motivierten Asketen auch, sind den bewusst verzichtenden Beifall und Anerkennung sicher. Das, worauf sie verzichten, wird nicht einfach gemieden, sondern zunehmend dämonisiert. Zucker zum Beispiel, hat sich in unserer Wahrnehmung vom Energiespender oder einer freudvollen Belohnung zum potenziellen Killer gewandelt.

Dass Gesellschaften, die sich zu einem Großteil von Weißmehlprodukten ernähren, überhaupt noch existieren, erscheint uns mittlerweile als Wunder, das wir geflissentlich ignorieren, während wir an unseren Vollkornschnitten kauen. Jährlich werden neue Feinde identifiziert und inquisitorisch an den Pranger gestellt. Der Teufel versteckt sich in toten Tieren, Mehl und Milch, in Nudel und Brötchen. Alkohol bedroht nicht nur unsere Leber. Auch Herz-Kreislaufsystem und Hirn sind gefährdet. Krebserkrankungen warten im Hinterhalt, Ängste, Depressionen und, das allerschlimmste, der Verlust der Freiheit durch eine Suchterkrankung.

Selbstoptimierung in der Leistungsgesellschaft

All das ist richtig. Hinter jedem Verzicht stehen gute Gründe, die nicht ernsthaft angezweifelt werden können. Skepsis ist jedoch angeraten, wenn das Resultat dieser Askese nur allzu gut den Anforderungen unserer neoliberalen Performancegesellschaft entspricht.

Ein gesund ernährter, durch morgendliches Joggen gut gelüfteter Angestelltenkörper wird die langen Stunden am Bildschirm besser verkraften. Yogastunden helfen die Zumutungen einer produktivitätsgesteigerten Arbeit besser zu ertragen. Bezahlt werden diese Übungen nicht. Sie dienen der Selbstoptimierung, dem kostenlosen Update unseres Betriebssystems.

Ein nüchterner Angestellter ist auch abends um 9 noch in der Lage, die allerletzte Mail seines Chefs zu beantworten. Er hat am nächsten Morgen nicht zunächst mit seinem Kater zu kämpfen und seine Leistungsfähigkeit ist ab der ersten Minute im Office zu 100% abrufbar. Erzeugt dieser Mix aus Enthaltsamkeit und Training also eine Win-Win-Situation? Maximale Gesundheit bei maximaler Performance im Job?

Die Stichworte für unsere Selbstoptimierung und Enthaltsamkeit sind Gesundheit, Nachhaltigkeit, Sicherheit und Kosteneffizienz. Sie sind die neuen, heiligen Kühe, die durch die Dörfer und Landschaften unserer Ängste getrieben werden. Ihre nimmersatte Gefräßigkeit droht jedoch genau das zu vernichten, was unser Leben lebenswert macht, das, was uns von der fehlerlosen, programmierten Maschine unterscheidet.

Anders als die künstlichen Intelligenzen sind wir fähig zu Genuss, zu Verschwendung, zu Großzügigkeit ohne Eigennutz, zu Euphorie und Ekstase. Eigenschaften und Zustände, die zunehmend aus dem Fokus unserer Wünsche geraten, die in ihrer scheinbaren Unvernunft dem einen oder der anderen inzwischen lediglich dubios erscheinen.

Alkohol und Kultur

Alkohol begleitet die Entstehung der Zivilisation von Beginn an. Bereits 4000 v. Chr. gab es in den ersten Stadtstaaten zwischen Euphrat und Tigris Orte des Alkoholausschanks in relevanter Zahl. Wann immer sich Menschen näher kamen, wenn es eng und voll wurde, war er im Spiel.

Offenbar handelt es sich also bei Alkohol um ein Werkzeug oder Hilfsmittel zur Herstellung einer als angenehm empfundenen Gemeinschaft. Und dieses berauschte, temporäre, gemeinschaftliche Erleben bildet den Gegensatz zur individualisierten, narzisstisch um die Erfolge von Training und Verzicht kreisenden Selbstoptimierung.

Wir müssen uns entscheiden, welchen Preis wir zahlen wollen, denn beide Modelle fordern von uns Opfer. Dem gesunden, optimierten, vernünftigen Leben opfern wird den Genuss. Dem Rausch bisweilen entgrenzter Gemeinschaftserlebnisse, dem Genuss opfern wir ein Stück weit unsere Gesundheit.

Einen Preis bezahlen müssen wir in beiden Fällen. “Umsonst ist nur der Tod”, ist eine Weisheit, die älteren Generationen noch geläufig war. Wir hingegen glauben, dass wir bei entsprechendem Wohlverhalten um diese Zahlung herumkommen, zumindest aber ein Sonderangebot ergattern könnten.

Leicht gerät im allgemeinen Bemühen das “Richtige” zu tun und vor allem zu lassen, in Vergessenheit, dass überhaupt gar kein außergewöhnliches Erlebnis ohne Gefahr daherkommt. Das gilt nicht nur für Genuss und Rausch, sondern auch für alle anderen Glückszustände.

Einem Verliebten droht der Selbstverlust, zumindest aber Schmerz in Proportion zur Intensität der zuvor erlebten Liebe, sollte diese zerbrechen. Der elektrisierende Sprung von einem Felsen ins blaue Meer ist ungleich gefährlicher als ein vorsichtiges Hineinwaten. Jeder Sprint ist in seinem Kontrollverlust mit Verletzungsmöglichkeiten verbunden, die das gemessene Schreiten nicht bereithält.

Alkohol bietet uns Rausch, Nähe, Euphorie und fordert ebenfalls seinen Preis. Dito Tabak, Schokolade, Fleisch, Zucker, Drogen… Die Liste ist lang. Und oft ist es gerade dieser Preis, das Opfer, das wir dem Vergnügen bringen müssen, das selbiges erhaben macht. Erhaben über die vernunftgesteuerte Banalität des Alltäglichen, erhaben über Kosteneffizienz und Sorge um die Lebenszeit, erhaben über die Angst vor der Berührung durch den Anderen.

Frage nach dem richtigen Maß

In der eingangs erwähnten Dämonisierung unter anderem von Alkohol liegt eine Hysterie, die nur simplifizierende Kategorien von gut oder böse zulässt. Die Frage nach der richtigen Menge und Dosierung, nach diesem tatsächlich schwer austarierbarem, der jeweiligen Person und dem Umstand entsprechendem, erstrebenswertem Maß, wird nur noch selten gestellt. Dabei wissen wir es seit langem besser.

Unsere christlich geprägte Kultur kennt beides: das Fasten, den Verzicht und das wilde, bisweilen unkontrollierte Fastenbrechen. Sie kennt sehr wohl das Fest, die Feier, die sich auch durch Alkoholgenuss vom Alltag abgrenzt. Ohne dieses Gegensatzpaar aus Banalem und Erhabenem wird unsere Existenz der Dualität beraubt, die Bewertung und Abgrenzung beider Bereiche überhaupt erst ermöglicht.

Diese Problematik hat bereits 300 Jahre vor Christus den Vorsokratiker Epikur beschäftigt. Seine Antwort: “Es gibt auch im kargen Leben ein Maßhalten. Wer dies nicht beachtet, erleidet Ähnliches wie derjenige, der in Maßlosigkeit verfällt.”

Sehen Sie hier die neue Folge von 13 Fragen über Alkohol. (Foto: @davidbiene)

Lesen Sie mehr zum Thema von der Gastautorin:

Kerstin Ehmer, Beate Hindermann: Die Schule der Trunkenheit. Berlin. ISBN 978-3-95732-518-1

Persönlich kann ich Ihnen auch einen Besuch in der von Kerstin Ehmer mitgegründeten Victoria Bar in der Potsdamer Straße in Berlin empfehlen, wenn Sie Cocktails mögen.

Zum Weiterlesen:

Titelgrafik: Pexels auf Pixabay.

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22 Kommentare

  1. Zu viel und zu wing ist ein Ding, sagt der Volksmund. Der Bodymaßindex liefert die Grenzen.

    Neben der Gefahr des Zuviel oder Zuwenig, gibt es noch eine Gefahrenquelle, die auszuufern droht, die Konservierungsstoffe, Farbstoffe, künstlichen Aromen, Geschmacksverstärker und synthetischen Lebensmittel.

    Viele Kinder ernähren sich von Kartoffelchips mit Cola. Viele Schulkinder sind übergewichtig. Hier ist exzessiver Verzicht angesagt, man brauch kein Cola zum Leben und man braucht auch keine Kartoffelchips.

  2. Wenn man einmal diesen Dualismus,ich würde ja eher auf Komplementarität tippen,aber Antonymismus kann es auch sein, nicht nur verstanden, sondern auch akzeptiert,seine Bedingheit akzeptiert hat, dann ist ein sehr befreiende Ausgeglichenheit möglich!
    Sehr schöner Essay!

  3. @fauv: Übergewicht & Individualismus

    Und wenn Sie noch einen Schritt weiterdenken, dann kommen Sie vielleicht darauf, dass es hier einen Zusammenhang gibt zwischen 1) der Lebensmittelindustrie, die, in einem kapitalistischen System, immer weiter wachsen muss, wofür industriell hergestellte, billige und ungesunde Lebensmittel voraussetzung sind und 2) einer Gesundheitspolitik, die nur oder vor allem auf die Individuen abzielt, nicht auf die Strukturen: Nicht jeder versteht deren Botschaften, wohl aber die Bilder und Videos der Reklame; und nicht jeder ist so vorausschauend und hat die Möglichkeiten, sein Leben anders zu strukturieren.

  4. Stephan Schleim,
    Sie haben vollkommen Recht, das System , das Wirtschaftssystem ist die Ursache für hohe Preise auf der einen Seite und sinkender Qualität der Lebensmittel auf der anderen Seite.
    Nur, die Einflussmöglichkeiten sind begrenzt, die Nahrungsmittelindustrie operiert europaweit, der Nestlé Konzern hat es z.B. geschafft, innerhalb von 4 Jahren den Preis für eine Tafel Schokolade fast zu verdoppeln . Heinz verkauft seinen Ketchup zum doppelten Preis wie die anderen Anbieter, und wenn man weiß, dass dieser Konzern seine Tomaten aus China bezieht, dann kann man nur den Schluss ziehen, die Verbraucher sind nicht genügend aufgeklärt.

    Mittlerweile gibt es in Deutschland nur noch Edeka, Lidl, Aldi , Metro und Rewe Und es kann davon ausgegangen werden, dass hier Preisabsprachen getroffen werden.

    Die Möglichkeiten der Politik sind begrenzt, überhaupt werden die Möglichkeiten der Politik überschätzt.
    (Sieht man gerade am Gaspreis, wo unsere Regierung hilflos reagiert)

    Aber……..man darf den Verbraucher nicht entmündigen. Wenn der auf Werbung reagiert, dann ist das normal. Sie als Psychologe wissen das am besten.
    Der Kunde glaubt immer nocht, was teuer ist , ist besser.

    Eine Werbekampagne zur Einführung eines neuen Produktes wird gewissenhaft geplant und nichts ist dem Zufall überlassen. Und…. das wissen auch die wenigsten, alle großen Werbeagenturen kommen aus den USA und die sind uns in punkto Werbepsychologie mindestens 30 Jahre voraus.

  5. @fauv
    Was mir zunehmend quer schlägt ist,dass die Schuld für Zustände immer bei anderen gesucht und verortet wird.
    Das mindeste an Zuständen ist die eigene Beteiligung.

  6. @fauv
    Ich tippe mal nach Auswertung der Befragung in meinem Umfeld: 90 % spüren,dass was falsch läuft,98 % machen trotzdem weiter mit.

  7. @fauv
    Weil die Ökonomen nichts anderes gemacht haben,als ein (T)Konto aus der Thermodynamik zu generieren.
    Das ist zu tiefst unterbewusst.
    Ihre Legitimität erwächst allein aus dem daraus entstehenden Denken über Geld.
    Sie wollten physikalisch sein,haben aber Physik nicht verstanden,die Trottel.
    Denken wir nochmal über Geld und Verteilung nach.
    @Michael Blume ist da auf dem sehr konsequenten Weg!

  8. @fauv
    2.Satz der Hauptthermodynamik: Wandlung von Energie GEWINN und EnergieVERLUST.
    So simpel ist Biophysik…als Leben…

  9. Mussi,
    Mussi,
    mit Biophysik kommst du bei der Betriebswirtschaftslehre nicht sehr weit. Betriebswirtschaftslehre ist ein eigenständiger Wissenschaftszweig der die Zusammenhänge von Warenerzeugung und Warenverkauf, von Käufer und Verkäufer, von Gewinn- und Verlustrechnung, von den rechtlichen Bedingungen , ja, es gibt sogar ein Handelsgesetzbuch, und von Werbung betrachtet.
    Der letzte Bereich ist der wichtigste, denn es wird nicht das beste Produkt verkauft, sondern das am besten umworbene Produkt.

    Fangen wir mal bei „Schuld „ an , die gibt es kaum im Wirtschaftsgeschehen, es gibt die Verursacher und die Bedingungen unter denen der Markt stattfindet.

    Was behauptest du, ich solle meine Schuld bei mir suchen. Betrachte mich als neutralen sachkompetenten Beobachter.
    Und der sagt Dir, Wirtschaft funktioniert ähnlich einem Spiel bei dem es Spielregeln gibt. Je besser du das Spiel verstanden hast, desto größer ist deine Gewinnchance.

    Du kennst doch den begriff der „Mund zu Mund Werbung“. Das mache ich und gerade auch jetzt hier. Leute, kauft Euch ein Buch über Betriebswirtschaftslehre und lest weniger „Das Grüne Blatt“.

  10. Mussi,
    keine Ironie, ich habe nur mal dick aufgetragen.
    Was es zu bemängeln gilt, dass ist die neue Rolle die der Staat als Regelmechanismus zwischen der Gesellschaft und der Wirtschaft spielen sollte.

    Wirtschaftsinteressen und gesellschaftliche Interessen driften auseinander.
    Die Gesellschaft will es immer bequemer, Fastfood, die dann per Pizzabote zugestellt wird, höhere Löhne, längere Ferien, Wissen aus dem Internet, nur nicht selber nachdenken, nur noch Light-Arbeit, der Staat übernimmt alles, auch die Verantwortung.
    Die Wirtschaft will nur Gewinnmaximierung, auf Teufel komm raus, keine Umweltverpflichtungen, hinter uns die Sindflut.

    Die Aufgabe des Staates wäre jetzt, hier ein Verantwortungsgeflecht zu schaffen, das beide, die Menschen und die Wirtschaft neu verflechtet.
    tut sie aber nicht, im Parlament sitzen schon die Interessenvertreter der Wirtschaft, die Gewerkschaften sind fast entmachtet, die Parteien sind fast alle korrumpiert, das heißt die schauen zuerst auf ihre Interessen,
    Fazit: Die Gemeinschaft Staat steht vor einem Scherbenhaufen, ganz konkret bestehend aus Müll, leergefischten Meeren, vergifteten Böden und einer immer schneller fortschreitenden Klimaerwärmung.
    Jetzt zu Herrn Schleim mit seinem Vorschlag oder auch Nichtvorschlag von Verzicht für ein gefahrloses Leben.
    Meine Meinung: Beim Alkohol kann man mal Farbe bekennen und die eigene Willenskraft testen. Eine Woche ohne Alkohol.
    Überschrift: Diese Woche bleiben wir trocken. Vom 1.8. – 7.8.
    Mussi geh du voran !

  11. Mussi,
    nicht gleich übertreiben , denk doch mal an die Moselbauern, die Wengerter aus dem Schwabenland, die verstehen dann die Welt nicht mehr.
    Dann haben wir zusätzlich zu den Querdenkern noch die Antialkos und wenn die mal auf die Straße gehen, dann wird es ernst, denn die verstehen keinen Spaß, woher auch ? Spaß ist ein Kind des Alkohols.

  12. @Kerstin Ehmer

    Ein wirklich guter Beitrag. Früher war es das Himmelreich, das mit Askese gesucht wurde, heute nur noch die Vision von Gesundheit und langem Leben. Dabei ist es doch gerade das Leben selbst, dass man einsetzen muss, um wirklich zu leben.

    „Erhaben über die vernunftgesteuerte Banalität des Alltäglichen, erhaben über Kosteneffizienz und Sorge um die Lebenszeit, erhaben über die Angst vor der Berührung durch den Anderen.“

    Ich bin durchaus ein Fan von Alkohol, aber so sehr, dass ich darauf leider ganz verzichten muss. Ich schaffe es hier nicht, Maß zu halten. Wenigstens andere Lebensrisiken nutze ich dann schon. Und fahre etwa Fahrrad im dortmunder Stadtverkehr. Und spar mir einiges an Geld, indem ich etwa viel Zucker verbrauche. Hier macht sich bei mir durchaus bemerkbar, dass ich eben keinen Alkohol trinke. Öfter mal ein Glas Saft mit Wasser verdünnt und noch ein paar Teelöffel Zucker, dann kann ich auch besser auf Alkohol verzichten.

    Hier wäre Alkohol in Maßen sicher sogar gesünder, aber das Maß gelingt mir leider nicht. So ist dann durchaus das Vergären von Fruchtsäften wirklich gesund, es eliminiert den schädlichen Zucker, indem dieser in Alkohol umwandelt wird. Auch das Malz im Bier wird im Gärungsprozess von einem Übermaß an Kohlenhydraten befreit. Auch bei der Käseherstellung wird der Milchzucker entfernt. Und bei der Fleischproduktion wird das wertvolle Eiweiß in den Futtermitteln aufkonzentiert.

    Das soll jetzt alles ungesund sein? Und gleichzeitig die eingesparten Kohlenhydrate insbesondere als Industriezucker aber auch. Hier passt was nicht zusammen, scheint mir. Irgendwie sieht es so aus, dass manchen Leuten so ziemlich alles ungesund zu sein scheint. Auf jeden Fall ist ein hoher Zuckerkonsum aber billig, und Käse, Fleisch und Alkoholhaltiges schmeckt einfach richtig gut, und macht schon dadurch gute Laune.

    Ist es also letztlich doch die gute Laune selbst, die nicht nur den religiösen Asketen ein Dorn im Auge ist, sondern auch den modernen Gesundheitsaposteln? Wobei die religiösen Spinner wenigstens noch intern logisch unterwegs sind, den Anhängern des aktuellen Gesundheitswahns fehlt sogar die innere Logik. Die sterben nicht nur auch, sondern ich würde drauf wetten, dass die nicht mal länger leben, und sogar auch öfter krank werden.

    Oder ist man irgendwie beleidigt, dass man eben nicht in ewiger Glückseeligkeit verweilen darf, und auf Freude und Genuss dennoch Schmerz und Krankheit folgt und am Ende sogar der Tod dann unausweichlich auf der Liste steht? So beleidigt, dass man letztlich das Leben selber verurteilt.

  13. @Stephan Schleim (Zitat): „dass es hier einen Zusammenhang gibt zwischen 1) der Lebensmittelindustrie, die, in einem kapitalistischen System, immer weiter wachsen muss, wofür industriell hergestellte, billige und ungesunde Lebensmittel voraussetzung sind„

    Das scheint mir nur teilweise zu stimmen, denn
    a) will auch die Biobranche wachsen und das tut sie auch trotz häufig doppelt so hohen Preisen
    b) ist Convenience-Food bei allen Konsumenten beliebt, egal ob sie biologisch, vegetarisch/vegan oder sonst wie eingestellt sind. Grund: Kochen muss heute für die meisten schnell gehen und genau das bieten fertigt präparierte Gerichte, die man nur noch in den Ofen schieben muss. So verwundert es nicht, dass es auch vegane Fertiggerichte gibt.

    Fazit: Nicht für alle als negativ empfundenen gesellschaftlichen Trends können die Konzerne oder das kapitalistische Gesellschaftsmodell verantwortlich gemacht werden. Zudem: Wenn die Interessen der Vermarkter immer auf der Siegerseite stehen würden gäbe es keine Einschränkungen bei Alkohol und Tabak. Umgekehrt gilt auch, dass Gesellschaftstrends und Vermarktung nicht voneinander getrennt werden können. Heute etwa essen die meisten nicht mehr zu Hause zu Mittag, sondern sie gehen entweder ins Restaurant oder besorgen sich Fast Food. Hier hat die Industrie (Restaurants, Fast Food, etc) auf einen gesellschaftlichen Trend reagiert, ihn dadurch aber auch weiter gefördert.

  14. “Alkohol und Kultur”
    Kenne ich aus DDR Zeiten und danach . Kultur bzw. Kulturveranstaltungen für die breite Masse und für die Eliten . Alkohol entzauberte im Laufe des Abends die vornehmen Herren und Damen und aus den hohen kulturellen Ansprüchen wurden bachusähnliche Zustände in denen man ,zunehmend ungehemmt, seine Sinneslust auslebte. Alkohol ist als “Kulturgut” insofern interessant da es die Menschen , die ansonsten in ihrem gesellschaftlichen Rollenspiel gefangen sind, enthemmt und ihre Triebe ungebremst ausleben lässt. Ich habe, wie bereits erwähnt, sehr viele Veranstaltungen jeglicher Art organisiert und die Abläufe waren immer ähnlich: Zu Beginn herrschten Etikette , Blasiertheit, Verkrampfungen , Standesdünkel etc… Erst unser oben genannter “Freund” Alkohol schaffte es im Laufe der Zeit Menschen ihr wahres Gesicht wieder zugeben .Seit je her scheinen Menschen den Alkohol zu nutzen um in dem enthemmenden Rausch gesellschaftliche und private Zwänge zu vergessen bzw. ihre Triebe die sie ansonsten beherrschen müssen, exzessiv auszuleben. Auch werden wohl Konflikte nicht mehr unterdrückt bzw. verdrängt, was dann ,was ich oft erlebt habe, bei Paaren zu Streitigkeiten bzw. Seitensprüngen führt. Alkohol scheint also auch Aggressionen freizusetzen die wiederum aus nicht gelösten Konflikten bestehen.

  15. @Golzower: wahres Ich

    Interessantes Beispiel. Doch wie wissen wir, dass die Person unter Alkoholeinfluss ihr “wahres Ich” zeigt – und nicht umgekehrt?

    In beiden Fällen äußert sich gesellschaftliche Konditionierung, nur vielleicht anders – oder nicht?

  16. Man lebt nur ein mal und zu viel Verzicht ist auch nicht gut… besonders bei Feierlichkeiten wie Hochzeiten kann man mal etwas lockerer sein

  17. wahres Ich,
    “Jeder Mensch spielt eine Rolle” das war der erste Satz unseres Psychologie Dozenten.
    Und es stimmt. Wir spielen sogar verschiedene Rollen, am Arbeitsplatz, in der Familie ,im Sportverein……

    Und nach einem Glas Wein findet ein Rollentausch statt. Wir sind nämlich nicht eindimensional, sondern haben verschiedene Gesichter.
    Aus dieser Sicht ist das alkoholische Getränk der Türöffner zu unserem Ich.

    Ja, und die Asketen, die fürchten sich vielleicht vor ihrem Ich und wollen nicht mit ihm konfrontiert werden. Deshalb verzichten sie auf Alkohol und allem was ihr wahres Ich offenbart.
    Nietzsche spricht vom apollynischen und dem dionysischem Prinzip. Irgendwo dazwischen wird sich jeder wiederfinden.

  18. Mussi,
    und Nietzsche hat sich beim Grillen die Finger verbrannt.
    Schade um ihn, seine Einsichten in die menschliche Natur sind unüberboten.

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