Eine Nachlese zur Coronavirus-Impfpflicht

Neues vom Bundesverfassungsgericht, vom Ethikrat und zur Sicherheit des Impfstoffs
In der Diskussion meines Artikels über eine Corona-Impfpflicht vom 20. Dezember (Warum eine Impfpflicht zu weit geht) kamen einige Themen zur Sprache, die eine nähere Betrachtung verdienen. Im Folgenden spreche ich eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im Zusammenhang mit dem Masernschutzgesetz an, das zum 1. März 2020 in Kraft trat, also mitten in der Coronavirus-Pandemie. Danach diskutiere ich ein paar Aspekte zur Diskussion des Virus und des Lockdowns. Am Ende kommen zwei Bonbons für Interessierte, die den Statistiken auf den Zahn fühlen wollen.
Das Masernschutzgesetz
Am 14. November 2019 verabschiedete der Deutsche Bundestag mit einer Mehrheit von 459 gegen 89 Stimmen bei 105 Enthaltungen das Masernschutzgesetz, das zum 1. März dieses Jahres in Kraft trat. Für die Details verweise ich auf meinen Artikel vom 18. November 2019 (Impfpflicht im Kontext unserer Gesundheitskultur). Hier sei nur daran erinnert, dass laut dem Gesetz Kindern und Erwachsenen der Zugang zu Kindergärten und Schulen verweigert werden soll, wenn sie keine Masernimpfung oder keine Befreiung vorweisen können. Bei Nichtbeachtung drohen Bußgelder und ein Ausschluss von den Einrichtungen.
Wie zu erwarten war, wurde gegen das Gesetz Verfassungsbeschwerde erhoben. Im Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 11. Mai 2020 (eine kürzere Zusammenfassung bietet die Pressemitteilung) wurden Eilanträge von Eltern abgewiesen, die Anwendung des Gesetzes auszusetzen. Mit diesen Anträgen wollten sie erreichen, dass ihre Kinder auch ohne Immunitätsnachweis weiter betreut werden müssen.
Die Richterinnen und Richter Prof. Dr. Stephan Harbarth, Prof. Dr. Gabriele Britz und Prof. Dr. Henning Radtke vom Ersten Senat wägten hierfür zwei Szenarien gegeneinander ab: Erstens, was wäre, wenn das Gesetz verfassungskonform ist, seine Anwendung aber vom Gericht ausgesetzt wird; und zweitens, was wäre, wenn das Gesetz verfassungswidrig ist, die Eltern sich aber bis zum Ausgang des Hauptverfahrens daran halten müssen? Hier kommen sie zu dem Schluss, dass die verzögerte Anwendung des Gesetzes – verabschiedet vom Bundestag und damit der höchsten Vertretung der deutschen Bürgerinnen und Bürger – dramatischere Folgen hätte, als wenn die Eltern eine alternative Betreuung für ihre Kinder organisieren müssten. Letzteres war zum Zeitpunkt des Beschlusses im Mai aufgrund der Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus teilweise ohnehin erforderlich.
Von Bedeutung war auch der Grund, dass das neue Gesetz vor der Ausbreitung der Erkrankung schützen soll. Und der Schutz von Leben gehört zu den grundrechtlichen Aufgaben des Staats. Dabei wurden Kinder ausdrücklich erwähnt, die aus medizinischen Gründen selbst nicht geimpft werden können. Die Verfassungsbeschwerde wurde aber auch nicht als offensichtlich unzulässig oder unbegründet abgewiesen. Damit ist der Ausgang völlig offen. Im Kontext der Coronavirus-Pandemie bekommt die Prüfung des Masernschutzgesetzes auf einmal eine ganz andere Bedeutung.
“Es wird keine Impfpflicht geben”
Zwar beteuern Politiker verschiedener Lager zurzeit, dass es keine Impfpflicht geben werde. Die wäre zurzeit allein schon aufgrund der mangelnden Verfügbarkeit der Impfstoffe ohnehin nicht durchsetzbar. Es wäre aber auch naiv zu denken, dass die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht von verschiedenen Akteuren wegen ihrer möglichen Bedeutung für die Coronavirus-Pandemie sehr genau analysiert werden wird. Eine neue Lage bietet vielleicht doch neue Möglichkeiten.
Im RTL-Interview vom 10. Oktober 2020 hielt Gesundheitsminister Jens Spahn auch einen zweiten Lockdown wie im Frühjahr für sehr unwahrscheinlich: “Wir werden jedenfalls nicht nochmal solche Maßnahmen brauchen wie im Frühjahr, weil wir heute auch mehr wissen. […] Wir wissen, dass wir im Einzelhandel, bei Frisören, im öffentlichen Nahverkehr […] mit AHA-Regeln, mit aufeinander aufpassen, keine Ausbrüche haben, kein Infektionsgeschehen oder so gut wie keins.”
“Horrorszenario”
Allerdings schwebte Rüdiger Suchsland in seinem Artikel, auf den ich mich bezog, eine allgemeine Impfpflicht vor (Warum eine allgemeine Impfpflicht sein muss). Dafür würden moralische und rechtliche Gründe anders abgewogen werden müssen, als wenn es “nur” um den Zugang zu Betreuungs- oder Bildungseinrichtungen ginge.
Im Kontext so einer allgemeinen Impfpflicht kann ich den in der Diskussion vorgebrachten Vorwurf, ich würde ein “Horrorszenario” verbreiten, nicht nachvollziehen: Ich hatte ein Beispiel gebracht, in dem man nach mehreren Geldstrafen in Beugehaft kommt und schließlich den Impfstoff gewaltsam verabreicht bekommt. Als die allgemeine Wehrpflicht noch nicht ausgesetzt war, wurden Männer auch zur Not mit Gewalt abgeholt. Und wer bei einer Polizeikontrolle den Alkoholtest über die Atemluft verweigert, dem kann gewaltsam Blut abgenommen werden.
Wenn es eine allgemeine Impfpflicht gäbe, müsste sie irgendwie auch durchgesetzt werden. Dass das nicht unbedingt zu mehr Frieden in der Gesellschaft führen würde, sollte aber klar sein.
Keine Behandlung für Impfgegner?
Im Laufe der Diskussion meines vorherigen Beitrags wurde die angebliche Behauptung des Humangenetikers und Medizinethikers Wolfram Henn, Mitglied im Deutschen Ethikrat, diskutiert, wer die Impfung verweigere, der solle im Krankheitsfall auch nicht behandelt werden. Wer solche Gerüchte verbreitet, der möge sie bitte erst einmal überprüfen.
Henn hatte tatsächlich am 19. Dezember in der Bild-Zeitung in einem Kommentar mit der Aussage provoziert, wer sich partout nicht impfen lassen wolle, der möge stets eine Patientenverfügung mit dem folgenden Inhalt bei sich tragen: “Ich will nicht geimpft werden! Ich will den Schutz vor der Krankheit anderen überlassen! Ich will, wenn ich krank werde, mein Intensivbett und mein Beatmungsgerät anderen überlassen.”
Es ging also nie darum, dass jemandem die Behandlung verweigert wird, sondern dass jemand freiwillig darauf verzichtet. Ob Ärzte so eine Verfügung im Ernstfall überhaupt ernst nehmen würden, steht noch einmal auf einem anderen Blatt. Ethikrat-Mitglied Henn erklärt rückblickend jedenfalls, dass er Impfgegner mit seinem Vorschlag zum Nachdenken anregen wollte, ob sie sich der möglichen Folgen ihrer Haltung bewusst wären.
In der aufgeheizten Stimmung kann einem natürlich schnell das Wort im Munde herumgedreht werden. Manche Medien wählen im Zweifelsfall lieber die Interpretation, die zu höheren Klickzahlen führt, schlicht wegen der Werbeeinnahmen. Als kritischer Leser sollte man aber lieber einmal zu viel als einmal zu wenig kontrollieren, ob man Gerüchte ungeprüft verbreitet. Und Henn ist hoffentlich klar geworden, dass hier viele keinen Spaß verstehen.
Politischer Druck und Sicherheit
Lehrreich war ein Leserhinweis auf ein kurzes Interview des ZDF mit Prof. Dr. Wolf-Dieter Ludwig, dem Vorsitzende der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, ebenfalls am 19. Dezember. Ludwig war zwar nicht direkt in die Zulassung des BioNTech/Pfizer-Impfstoffs durch die europäische Behörde involviert, berichtet aus deren Umfeld aber Bedenkliches: So habe Jens Spahn Druck auf die Entscheidungsträger ausgeübt, damit diese den Impfstoff schon zum 15. Dezember für die Zulassung empfehlen. (Das tat die European Medial Agency dann am 21. Dezember, woraufhin die EU-Kommission den Impfstoff zuließ.)
Zudem hätten die Gesundheitspolitiker in der Sache nicht gerade mit Faktenkenntnis geglänzt und beispielsweise den Unterschied zwischen einer Notfallzulassung und einem beschleunigten Zulassungsverfahren nicht verstanden. Bei ersterer haften, wenn ich es richtig verstanden habe, die EU-Länder; bei letzterer aber die Pharma-Unternehmen selbst. Respekt für Wolf-Dieter Ludwig, dass er sich vor laufender Kamera so kritisch äußert!
Etwas rätselhaft bleibt aber seine Erklärung, seinen Patienten nur nach langer Abwägung im Einzelfall zu der Impfung raten zu können und selbst vorerst zu verzichten; er sei aber gemäß dem Impfplan ohnehin noch zu jung. Es wäre schön, wenn er seine Beurteilung des Impfstoffs ausführlicher öffentlich begründet, als das in dem kurzen ZDF-Interview möglich war.
Eine Spekulation
Man darf (oder muss) schon an der Kompetenz bestimmter regierender Politiker zweifeln, wenn man mitverfolgt, wie bestimmte Bahnhofs- oder Flughafenprojekte, die Regulierung erneuerbarer Energien, das Bahn- oder Autobahnnetzwerk, die Maut, die Ausstattung der Bundeswehr und viele andere Vorgänge mehr schiefgehen. Und dabei lassen sich die Ministerien gerne einmal von teuren Kanzleien beraten. Die vierstelligen Tagessätze, die manche Berater veranschlagen, verdient manch ein Durchschnittsbürger im Monat. “Politikverdrossenheit” ist zum beflügelten Wort geworden. Mit welchen vertrauensbildenden Maßnahmen wäre man ihr bisher begegnet?
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn ist ausgebildeter Bankkaufmann. Bundesforschungsministerin Anja Karliczek – die übrigens, laut Ludwig, denn Impfstoff als “sicher” bezeichnete, bevor die Zulassungsbehörde zu diesem Ergebnis kam – ist ausgebildete Bankkauffrau und Hotelfachfrau (und ihre Vorvorgängerin Annette Schavan trat von diesem Amt zurück, als ihr der Doktorgrad in Erziehungswissenschaften aberkannt wurde, und wurde danach Botschafterin des Papstes).
Woher kommt die Kompetenz auf ihren Ressorts? Viele andere Politikerinnen und Politiker waren oder sind in Skandale verwickelt. Könnte es vielleicht sein, dass immer mehr Menschen an der “herrschenden Meinung” zweifeln, weil ihnen allzu oft von führenden (herrschenden?) Politikern und ihnen nahestehenden Medien – über Jens Spahn las ich übrigens gerade, dass er mit dem Chef-Lobbyist der Burda-Mediengruppe verheiratet ist – ein Bär aufgebunden wurde?
So gesehen wäre der Protest gegen die Corona-Maßnahmen und jetzt gegen den Impfstoff – zumindest teilweise – ein Ausdruck mangelnden Vertrauens in Politik und Medien. Die politische Lösung bestünde dann darin, das Protestverhalten zu verbieten (etwa mit dem Masernschutzgesetz). Das würde den Konflikt wahrscheinlich eher anheizen als lösen. Zudem würde es Familien und Kinder weiter isolieren, wenn sie allgemeine Betreuungsangebote nicht mehr wahrnehmen können. So entstünden Parallelgesellschaften, die nicht mehr mit-, sondern nur noch gegeneinander reden.
Aus diesen Gründen hatte ich schon in meinem Artikel über das Masernschutzgesetz für eine sozial-integrative Lösung plädiert: Ehrlich und verständlich mit den Betroffenen reden. Dazu gehört, dass man sich die Meinung des Gegenübers auch wirklich anhört.
Und wo wir schon beim Thema Integration sind: Manche ziehen in den letzten Jahren vermehrt über Einwanderer her. Die türkischen Gastarbeiter, um nur ein Beispiel zu nennen, haben aber nicht nur zum Wiederaufbau der Wirtschaft in Deutschland beigetragen, nachdem sie viele Deutsche im Krieg selbst zerstört hatten, sondern mit Uğur Şahin ein Gastarbeiterkind ins Land geholt, das jetzt den ersten weltweit zugelassenen Coronavirus-Impfstoff entwickelt hat. Seine Mainzer BioNTech ist inzwischen so wertvoll, dass Şahin unter die 500 reichsten Menschen der Welt gezählt wird.
Empfehlung
Weihnachten, die besinnlichen Tage: Wir könnten sie darauf verwenden, zu reflektieren, was die permanenten schlechten Nachrichten und bei vielen die permanente Angst psychisch mit uns machen. Hören und lesen wir nur noch das, was wir hören wollen? Dafür habe ich zum Schluss noch zwei Beispiele aus der Sammlung der “Unstatistik des Monats”, die das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung herausgibt:
Erstens, die Unstatistik vom 2. Dezember (veröffentlicht vom Statistik-Papst Prof. Dr. Gerd Gigerenzer) bezog sich auf die Angaben zur Wirksamkeit des Impfstoffs. Hoffentlich hat sich inzwischen herumgesprochen, dass “zu 90 bis 95 Prozent wirksam” nicht bedeutet, dass 90 bis 95 Prozent der geimpften geschützt sind, sondern in der Impfgruppe 90 bis 95 Prozent weniger Infektionen auftraten. In den Studien von BioNTech/Pfizer hieß das konkret, dass in der Placebo-Gruppe 162 von rund 21.500, in der Impfgruppe aber nur 8 von rund 21.500 Teilnehmern COVID-19 bekamen. Bezieht man das auf die Teilnehmer, dann sanken die Fälle von 0,8 auf 0,04 Prozent. Das hört sich doch etwas bescheidener an.
Zweitens, die Unstatistik vom 21. Dezember beschäftigt sich mit dem Verständnis von Coronavirus-Schnelltests. Aufgrund der Rate falsch-positiver und falsch-negativer Testergebnisse ergebe sich bei anlasslosen Massentests folgendes Bild: Wenn in Wirklichkeit nur 5 von 10.000 mit dem Coronavirus infiziert sind, dann seien 98 Prozent(!) der positiv getesteten in Wirklichkeit negativ. Bei wohl näher an der Realität liegenden 100 Infizierten von 10.000 sinkt die falsch-positive Rate zwar, seien aber immer noch 71 Prozent mit positivem Ergebnis in Wirklichkeit negativ. Die gute Nachricht ist aber, dass ein negatives Testergebnis mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit auch wirklich negativ ist.
Für die Weihnachtsfeiertage geben die Autorinnen folgenden Rat mit auf den Weg:
“Vor den Weihnachtsfeiertagen stellt sich die Frage: Soll man sich vorsorglich testen lassen, wenn man keine Symptome hat – oder lieber nicht, weil die Testergebnisse nicht ‘sicher’ sind? Der Test verringert in jedem Fall die Unsicherheit, mit der die Frage ‘bin ich infiziert’ beantwortet werden kann. Dies gilt – wie oben beschrieben – vor allem für Menschen mit einem negativen Testergebnis.”
Unstatistik vom 21.12.2020
Wer sich ohne Symptome testen lässt und ein negatives Ergebnis bekommt, kann also relativ beruhigt sein. Wer ein positives Ergebnis bekommt, muss dann zwar in Quarantäne – aber auch nicht gleich in Panik verfallen. Die Wahrscheinlichkeit, dass man das Virus nicht hat, ist dann immer noch größer. (Ergänzung, mit Dank an Joseph Kuhn: Das RKI empfiehlt, nach einem positiven Schnelltest einen PCR-Test durchzuführen, um das Risiko von falsch-positiven Befunden zu minimieren.) Wie wäre es mit dem Vorsatz fürs Jahr 2021, mehr Grundkenntnisse in Statistik zu erwerben?
Hinweis: Dieser Beitrag erscheint auch auf Telepolis – Magazin für Netzkultur. Titelgrafik: mohamed_hassan auf Pixabay.
Ein interessanter Artikel aber hier muß ich “meckern”:
Dies ist eine Legende, die gerne verbreitet wird, aber falsch ist. Der “Wiederaufbau” war in den 1960ern schon “beendet” also bevor die türkishen “Gastarbeiter” kamen. Ich kannte diese Zeit noch aus eigener Anschauung.
Gruß
Rudi Knoth
@Knoth: Wiederaufbau
Das hängt auch davon ab, wie man das definiert…
…der Nachkriegsboom fand in Europa in den 1950ern und 1960ern statt. Deutschland brauchte dringend Arbeiter und schloss mit verschiedenen Ländern Abkommen (1961 mit der Türkei). Diese Gastarbeiter haben mit ihrem Schweiß dazu beigetragen, den Wohlstand in Deutschland wieder aufzubauen. Darum geht es.
@Stephan Schleim 23.12.2020, 16:46 Uhr
Nun den Wohlstand (Wirtschaftswunder) gab es aber schon Anfang der 60er Jahre. Also bevor die Türken kamen.
Gruß
Rudi Knoth
Kann man dem deutschen Gesundheitsminister (nicht) vertrauen?
Diese Frage stellt sich nach dem Lesen dieser Nachlese zur Coronavirus-Impfpflicht und damit demonstriert diese „Nachlese“ deutlich um was es hier eigentlich geht: Um die Rechte des Individuums gegenüber einer inkompetenten (Spahn (der deutsche Gesundheitsminister) ist ausgebildeter Bankkaumann), möglicherweise sogar „verbandelten“ (sein Ehemann ist Lobbyist) Clique von Politikern, bei denen man bezweifeln kann, dass sie im alleinigen Interesse ihrer Bürger handeln.
Mit anderen Worten: Stefan Schleim bezweifelt, dass die von deutschen Politikern aufgegleisten Massnahmen gegen die Corona-Pandemie richtig sind und macht das an den Personen fest, die für diese Massnahmen verantwortlich sind.
Darauf läufts hinaus: Wer Misstrauen sät, will Misstrauen ernten.
@ Stephan Schleim:
1. Bei positiven Schnelltests soll eigentlich ein PCR-Test zur Bestätigung folgen: “Ein positives Testergebnis bedarf zur Vermeidung falsch-positiver Befunde einer Nachtestung mittels PCR.” Quelle: https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Vorl_Testung_nCoV.html. Insofern bedarf die Klage über massenhaft falsch positive Befunde einer Einordnung in die Textpraxis.
2. Die Argumentation der Unstatistiker zum Bezug der 90 % nur auf die Infizierten, leuchtet mir eigentlich nicht ein. Verglichen wird der Anteil der Infizierten unter den Geimpften mit dem Anteil der Infizierten unter den Nichtgeimpften in der Studienpopulation. Warum soll das eine Aussage nur über die Infizierten sein?
@Knoth: Wohlstand
Machen wir das doch einmal an objektiven Zahlen fest: Das Bruttoinlandsprodukt hat sich von rund €155 Milliarden im Jahr 1960 auf rund €360 Milliarden im Jahr 1970 mehr als verdoppelt. Und dazu sollen die damals dringend gesuchten Gastarbeiter keinen wesentlichen Beitrag geleistet haben?
Mit Verlaub, aber auch in Äußerungen wie “bevor die Türken kamen” lese ich eine gewisse Fremdenfeindlichkeit. Es waren übrigens nicht nur türkische Gastarbeiter, sondern auch Griechen, Jugoslawen, Koreaner, Spanier und andere mehr. Die haben ihre Heimat verlassen und den Wohlstand in Deutschland vermehrt.
@Holzherr: Misstrauen…
…sähen Politikerinnen und Politiker schon von selbst mit ihrem Verhalten, da muss ich nicht nachhelfen. Mir geht es um Integration und dass man miteinander spricht, nicht gegeneinander. Steht so auch im Text. Sie schreiben hier völlig am Thema vorbei und können noch nicht einmal meinen Vornamen richtig schreiben.
@Kuhn: Kommunikation
Danke für die Ergänzung zu den Tests…
…aber wenn Sie nicht nachvollziehen können, dass die Kommunikation suggeriert, 90-95% der geimpften würden vor COVID-19 geschützt, während es in Wirklichkeit 90-95% weniger COVID-19-Infektionen gab, dann weiß ich nicht, welche anderen Argumente ich Ihnen noch liefern könnte.
@Stephan Schleim (Zitat): Sie schreiben hier völlig am Thema vorbei …
Damit meinen sie wohl sich selbst, denn in ihrem Beitrag wird alles mögliche zusammengemischt und vieles davon hat mit der Impfpflicht überhaupt nichts zu tun.
Allerdings hat ihre Schreibe schon Methode. Wenn sie etwa schreiben (Zitat): Und wo wir schon beim Thema Integration sind: Manche ziehen in den letzten Jahren vermehrt über Einwanderer her. Die türkischen Gastarbeiter, um nur ein Beispiel zu nennen, haben aber nicht nur zum Wiederaufbau der Wirtschaft …
so ist das Motiv für ihre Wertschätzung türkischer Einwanderer für mich folgendes: Sie wollen deutlich machen, dass ihre Kritik an den Corona-Massnahmen von links kommt und sie selbst nicht zu den Querdenkern und ihren rechten Kompagnons gehören. Das ist die Funktion dieses Einschubs. Mit dem Thema selbst hat er überhaupt nichts zu tun.Der Einschub will allein verhindern, dass sie falsch eingeordnet werden.
@Holzherr: Misstrauen #2
Erstens ist der Teil, auf den Sie sich beziehen, bewusst mit der Zwischenüberschrift “Spekulation” versehen. Zweitens kann ich Ihnen nur nahelegen, über die Tatsache nachzudenken, dass ein angesehener Vertreter der Ärzteschaft vor laufender Kamera berichtet, Minister Spahn habe auf das Zulassungsverfahren einwirken wollen und Ministerin Karliczek habe die Zulassungsbehörde übergangen; dazu zwingen kann ich Sie nicht. Ihre weiteren Unterstellungen sind abstrus und kann ich daher inhaltlich nicht kommentieren.
@all: Auf den Seiten der Tagesschau las ich gerade, die Impfbereitschaft sei unter medizinischem Personal noch geringer als in der Allgemeinbevölkerung!
Schade, dass man die Chance verpasst hat, die Menschen einmal selbst zu fragen; stattdessen psychologisieren ein paar Expertinnen und Experten aus sicherer Distanz.
@ Stephan Schleim:
Ich will Sie nicht provozieren, falls Sie das denken. Da Sie Gigerenzers Gedankengang offensichtlich verstanden haben, würde ich mich über eine Erklärung freuen, warum es nicht stimmen soll, dass 90-95% der Geimpften vor COVID-19 geschützt sind.
@Kuhn: Impfschutz
Die große Mehrheit in beiden Gruppen, also insgesamt über 42.000 von 43.000 Personen, bekamen kein COVID-19: Ob das am Impfschutz lag (gilt freilich nur für die Zielgruppe), am Placebo-Effekt, am eigenen Immunsystem oder schlicht daran, dass sie nicht mit dem Virus in Kontakt kamen, lässt sich in diesem Studiendesign nicht unterscheiden. Daher ist es meiner Meinung nach falsch, die 90-95% des angeblichen Schutzes durch den Impfstoff auf die Gesamtzahl zu beziehen (bzw. nur auf die der Zielgruppe), wenn die auch schlicht aus dem Grund nicht krank wurden, weil a) ihr Immunsystem sie geschützt hat und/oder b) sie nicht mit dem Virus in Kontakt kamen.
P.S. Aufgrund Ihrer Anmerkung habe ich jetzt auch den Haupttext ergänzt. Danke noch einmal. So muss das sein!
@ Stephan Schleim:
Zwei Anmerkungen dazu:
1. Die Studienzweige waren randomisiert. Das Immunsystem sollte daher bei den Unterschieden der Infektionen keine relevante Rolle spielen (Es sei denn, der Infektionsdruck wäre so schwach gewesen, dass die Randomisierung ihren Zweck nicht mehr erfüllen konnte – aber man hat die Probanden ja extra in Ländern mit veritablen Infektionszahlen rekrutiert).
2. Auch das Argument, dass viele nicht mit dem Virus in Kontakt kamen, greift nur, wenn dadurch die Randomisierung ausgehebelt worden wäre. Dass viele Probanden gar nicht mit dem Virus in Kontakt kamen, ist zwar anzunehmen, aber nach Pollack et al. haben sich mindestens 170 infiziert, in Kontakt mit dem Virus waren deutlich mehr
Könnte Gigerenzer, der ja ein ausgesprochen kluger Kopf ist und große Erfahrung in Risikokommunikation hat, doch etwas anderes vor Augen haben?
Kleiner Nachtrag:
Wir müssen das hier aber nicht ausdiskutieren, ich will das Blogthema Impfpflicht schließlich nicht derailen.
Bei dem Thema fürchte ich, könnten Forderungen nach Impfnachweisen in bestimmten Bereichen ein Problem werden. Eine staatliche Impfpflicht sehe ich erst mal nicht, zumal wenn nicht sicher ist, dass die Impfung auch die Übertragung und nicht nur die Erkrankung verhindert.
@Joseph Kuhn // 23.12.2020, 21:04 Uhr
»Könnte Gigerenzer, der ja ein ausgesprochen kluger Kopf ist und große Erfahrung in Risikokommunikation hat, doch etwas anderes vor Augen haben?«
Mir scheint, Gigerenzer wollte bloß deutlich machen, dass es nicht Ziel der Studie war, zu ermitteln, bei wie vielen Menschen der Impfschutz nicht wirkt, sondern eben, wie stark sich das Risiko einer Infektion dank Impfung verringert.
(Kann man den Studienplan irgendwo nachlesen?)
Aber vielleicht habe ich, wie viele andere Menschen auch, etwas Wesentliches nicht verstanden…
@Kuhn, Balanus: Wirkung
Es sind in der Zielgruppe 90-95% weniger Menschen erkrankt als in der Placebo-Gruppe; das ist eine Aussage, die sich auf einige hundert Menschen bezieht.
Dass der Impfstoff zu 90-95% wirkt, wird aber oft so verstanden, als wären 90-95% aller Menschen in der Zielgruppe vor dem Virus geschützt gewesen; das wäre eine Aussage, die sich auf Zehntausende bezieht.
@ Stephan Schleim:
Der erste Satz ist m.E. falsch. Die Studienbefunde beziehen sich auf ca. 40.000 Personen, die (wie stark auch immer) exponiert waren. Auch für die Berechnung der relativen Risikodifferenz braucht man nicht nur die Infizierten, sondern auch die Nennergrößen.
Aber Ihr zweiter Satz könnte in Richtung von Gigerenzers Überlegungen gehen: Es hatten sicher nicht alle 40.000 tatsächlich Kontakt mit dem Virus, d.h. der Impfstoff hat de facto auch nicht ca. 20.000 in der Verumgruppe gegen einen konkreten Virenangriff geschützt, weil eben manche dem Virus gar nicht ausgesetzt waren.
Das wäre mit Blick auf tatsächlich erfolge immunologische Auseinandersetzungen mit dem Virus korrekt, aber epidemiologisch doch unsinnig? Was würde das an der 90%-Aussage ändern? Dazu müsste man, wenn ich es recht sehen, annehmen, dass sich Probanden ohne Viruskontakt von denen mit Viruskontakt unterscheiden, also wiederum die Randomisierung infrage stellen?
Ich verstehe die Diskussion iwie nicht, Gigerenzer “erzählt” doch nur die gängige Wirksamkeitsdefinition.
@Balanus Plan https://www.documentcloud.org/documents/7212814-C4591001-Clinical-Protocol.html
@Stephan // 23.12.2020, 23:04 Uhr
»Dass der Impfstoff zu 90-95% wirkt, wird aber oft so verstanden, als wären 90-95% aller Menschen in der Zielgruppe vor dem Virus geschützt gewesen; …«
Stimmt, ich gehöre zu denen, die das so verstehen. Wie sonst wäre das Studienergebnis zu interpretieren? Im Falle eines Kontakts mit dem Virus reduziert der Impfstoff das Infektionsrisiko um 90-95%.
Wenn in beiden Studienarmen alle 43000 Teilnehmer Kontakt zu Virus gehabt hätten, dann hätte sich am Studienergebnis nichts geändert, oder?
@Kuhn, Balanus: Man muss es doch nicht komplizierter machen, als es ist. Die Aussage, “die Impfung schützte 90-95% der Personen” suggeriert doch ganz deutlich, dass diese Personen ohne die Impfung irgendwie krank geworden wären. Das ist aber gar nicht der Fall (siehe den Vergleich zur Placebo-Gruppe).
Nehmen wir ein einfaches Rechenbeispiel:
Gruppe P(lacebo): N = 10.000, wovon 100 krank werden.
Gruppe V(erum): N = 10.000, wovon 5 krank werden.
Dann könnte man sagen, der Impfstoff hat dem Anschein nach 95 Personen von V vor der Krankheit geschützt; in diesem Sinne gab es 95% weniger Erkrankungen.
Daraus aber ableiten zu wollen, der Impfstoff hätte 95% der restlichen 9.900 Personen von V geschützt, wäre doch Irrsinn, denn so viele Personen wurden auch in P nicht krank. Oder anders gesagt: Wie kann man behaupten, die Impfung hätte diese 9.900 von V zu 95% geschützt, wenn sie ohne Impfung gar nicht krank geworden wären? Was wäre das denn für eine Sprachlogik?
Vielleicht waren diese 9.900 Personen schon durch ihr Immunsystem geschützt; dann hat die Impfung gar nichts beigetragen. Vielleicht hatten sie keinen Kontakt mit dem Virus, dann wissen wir nicht, ob der Impfstoff sie geschützt hätte, wenn sie damit doch in Kontakt gekommen wären.
Zum Glück brauchen wir das nicht auszudiskutieren. Man wird es später sehen, wenn immer größere Gruppen geimpft werden.
@Stefan Schleim: 95%-iger Schutz bedeutet doch einfach, dass ein Geimpfter 20 Mal seltener an Corona erkrankt als ein Ungeimpfter, wenn beide, der Geimpfte und der Ungeimpfte, genau der gleichen Umwelt ausgesetzt sind. Das 20 Mal grössere Infektionsrisiko des Ungeimpften relativ zu seinem geimpften „Zwilling“ sollte immer zu beobachten sein, egal ob es viele oder wenige Kontakte zu Infizierten gibt
Spontan denke ich, die vorliegenden Daten der Impfstudien unterstützen diese Aussage.
@Stephan Schleim
Was soll uns das denn suggerieren? Die Herdenimmunität könnte längst erreicht sein?
Gute Idee. Persönlich habe ich damit 2020 schon begonnen.
Wie beurteilst Du die Kenntnisse von Herrn Kuhbandner diesbezüglich – mittlerweile?
Auch der Weihnachtsmann reagiert auf die individuellen Bedürfnisse:
https://ruthe.de/cartoon/3350/datum/asc/
@Martin Holzherr
Genau dem, was Sie da zuletzt geschrieben haben, stimmt Stephan Schleim zu, das ist vollkommen unstrittig.
@Stephan Schleim
Die Zensur ist aufgehoben, der Begriff steht, zumindest bei korrekter Verwendung, nicht mehr auf dem Index: “Moderation: abstrus = verboten”? Ich würde den Begriff ja auch gern häufiger, natürlich immer korrekt, gebrauchen.
Die Randomisierung garantiert, dass in beiden Gruppen der Anteil der Menschen, die dem Virus ausgesetzt waren, in etwa gleich ist. In der Placebogruppe wurden 162 infiziert, in der Verumgruppe 8. Daraus folgt, dass der Impfstoff das Risiko einer Infizierung auf 5 % senkt (100 % / 162 x 8).
“sanken die Fälle von 0,8 auf 0,04 Prozent. Das hört sich doch etwas bescheidener an.”
Was soll denn diese (viel indirektere) Rechnung besser machen? Ohne Fallrate (die schwanken kann) sind die Werte in dieser Form viel weniger aussagekraeftig, da man ja wieder zurueckrechnen muss, was sie bedeuten (naemlich das 90-95% der Faelle reduziert werden). Das scheint mir eher ein trauriger Versuch, den Vedacht zu streuen, dass ja ohnehin nur 1% infiziert werden, die Gefahr durch das Virus also gar nicht so schlimm ist. Oder die Potenz des Wirkstoffs soll kleingeredet werden (oder beides). Ehrlich, was soll das. Das 90-95% Ergebnis entspricht dem ueblichen Ansatz (weltweit verwendet, nicht nur von Ihrem despektierlich benannten “Statistik-Papst”) und macht absolut Sinn. Und das dann “Unstatistik” nennen..
@Joker: Herdenimmunität
Wieso das jetzt? Es bleibt doch ausdrücklich offen, wie viele der 9.900 Nicht-Erkrankten (in der Placebo-Gruppe) nicht erkrankten, weil ihr Immunsystem sie schützte, oder weil sie schlicht keine “Gelegenheit” hatten, sich mit dem Virus zu infizieren (z.B. durch Schutzmaßnahmen).
Und zu Kuhbandner: Ich lese nach wie vor seine Texte; der Länge wegen überfliege ich manche Abschnitte aber nur. Ich finde, dass er nach wie vor nachvollziehbar argumentiert, auch wenn ich die Aussagen im Detail nicht beurteilen kann, weil ich mich nicht so in die Studienlage vertieft habe wie er.
P.S. Wenn wegen der Lockdown-Maßnahmen genauso viele oder vielleicht sogar mehr Menschen sterben – was John Ioannidis ausführlich berechnet zu haben scheint und im Wesentlichen mit ausgesetzter Behandlung anderer Erkrankungen und einem ungesünderen Lebenswandel im Lockdown zu tun hat –, dann sollte man das in die Entscheidungsbildung miteinbeziehen, oder?
@Joker: Sprache
Eine Zensur findet nicht statt; man sollte aber Sprache so präzise wie möglich verwenden und dem Plagiatsbaron nicht alles nachplappern. Die Holzherrschen Thesen halte ich nicht nur für absurd, sondern abstrus (verworren). Das muss jede(r) aber für sich selbst beurteilen.
@Diana: Realismus
Mir geht es um ein realistisches Verständnis der Studienlage, mehr nicht; siehe dazu auch das neue Beispiel, das ich gleich aufschreibe.
Daran bin ich übrigens auch als Investor interessiert: Wie ich im vorherigen Artikel schrieb, besitze ich Pfizer-Aktien; und die wollte ich längerfristig halten. Zudem erwäge ich einen Wiedereinstieg bei BioNTech: Da gab es nämlich einen Rücksetzer von €109 im Hoch auf zurzeit rund €82.
Uğur Şahin (der BioNTech-Chef) sagte vor Kurzem im Interview, dass er davon ausgehe, der Impfschutz bestehe für mindestens zwölf Monate. Wenn es also bald jährliche Corona-Impfungen geben wird wie heute Grippe-Impfungen, dann würde das für die Investition sprechen, denn dann sind die Aktien nun wahrscheinlich unterbewertet. Dagegen sprechen aber die Mitbewerber, deren Impfstoffe gegebenenfalls einfacher zu verabreichen sind. Es bleibt also in gewissem Sinn eine Wette. Man sieht aber, dass die Börsen hier mitunter ehrlicher sind als der Journalismus.
@Diana: Päpstinnen und Päpste
Dass ich Gigerenzer als “Statistik-Papst” bezeichnete, war anerkennend, nicht, wie Sie jetzt behaupten, despektierlich. Früher nannte ich den britischen Neurologen Lawrence Weiskrantz schon einmal den “Blindsight-Papst” (Blindsight ist eine bestimmte Störung des Bewusstseins).
Im Zweifel hilft ein Blick in den Duden: “-papst”
P.S. Es steht Ihnen nicht gut, aus der Ferne meine psychischen Motive zu raten. Ich äußere mich hier auch nur konkret über das, was die Leute schreiben; und wenn ich einmal darüber hinausgehe, dann ist das ein Ausrutscher.
@all: neues Beispiel
Stellen wir uns vor, wir wollen die Wirksamkeit einer neuen Sonnencreme (z.B. mit Nanotechnologie) beurteilen. In der Placebo-Gruppe (P) erhalten 10.000 eine nutzlose Creme; in der Verum-Gruppe (V) aber 10.000 die neue Sonnencreme. Jetzt ergibt sich folgendes Bild:
In P gab es 100 extreme Sonnenanbeter, die drei Stunden lang in der glühenden Mittagssonne lagen, und schwere Verbrennungen bekamen.
In V gab es auch 100 extreme Sonnenanbeter, die ebenfalls so in der Sonne lagen, erlitten aber nur 5 schwere Verbrennungen.
Von den übrigen 9.900 waren in beiden Gruppen die meisten gar nicht, manche aber nur kaum in der Sonne; einige waren aufgrund ihrer Hauteigenschaften (dunkle Pigmentierung) unabhängig von der Creme sowieso vorm Sonnenbrand geschützt.
Jetzt zu sagen, die Creme hätte 95% der 10.000 Menschen in der V-Gruppe vorm Sonnenbrand geschützt, wäre ein Fehlschluss, denn 9.900 brauchten überhaupt keinen Schutz, selbst wenn mit nur 5 gegenüber 100 aus der P-Gruppe 95% weniger einen Sonnenbrand bekommen haben.
Es geht hier um die korrekte Verwendung von Sprache; und auch Studienergebnisse werden in Sprache vermittelt.
@all: vom Beispiel zur Corona-Pandemie
In den Impfstoff-Studien waren in beiden Gruppen (Placebo und Verum) nicht nur das Immunsystem und die Aussetzung gegenüber dem Virus enthalten, sondern, damit verbunden, auch die Lockdown-Maßnahmen. Das ist gerade die Gefahr, wenn man nämlich jetzt denkt, man bräuchte keinen Lockdown mehr, weil der Impfstoff ja 95% der Menschen schützte (was nicht stimmt, siehe das Beispiel).
Es geht mir nur darum, die Studienergebnisse nicht überzubewerten.
Was Sie übersehen, ist zudem, dass es einen verborgenen Faktor geben kann (im Beispiel war das: kein extremes Sonnenbad nehmen), der erklärt, warum nicht mehr Menschen krank wurden (Verbrennungen erlitten). Ob bei stärkerer Aussetzung gegenüber dem Virus, zum Beispiel ohne Lockdown, immer noch 95% der geimpften “geschützt” sind, wissen wir noch gar nicht. Bleiben Sie realisitsch.
“Es steht Ihnen nicht gut, aus der Ferne meine psychischen Motive zu raten. Ich “..äußere mich hier auch nur konkret über das, was die Leute schreiben.”
So did I: “von 0,8 auf 0,04 Prozent. Das hört sich doch etwas bescheidener an.” Darueber äußere ich mich und frage mich, warum Sie die Zahlen kleinrechnen, so dass man sie nicht mehr vernünftig interpretieren kann ohne Bezugsgröße (mit jeder Woche Studienlaufzeit wachsen ja beide Werte). Ihre Leserschaft ist ja zum Glück aufmerksam und schlau genug, diese Unstimmigkeit zu bemerken, da darf man sich auch fragen, was die Beweggründe sind.
zum Papst: Wenn Sie meinen. Aber ihre Gegenbeispiele aus dem Duden und der Geschichte sind natürlich wohlfeil gewählt, es kommt doch auf den Kontext an, in dem das Wort verwendet wird. Warum verwenden Sie es hier? Ich glaube, weil Sie eine Fallhöhe erzeugen wollen: “Der höchste Statistiker macht eine Unstatistik.” Das werde ich Ihnen freili niemals nachweisen können 😉
P.S. @all: verborgener Faktor im Beispiel
Im Beispiel ist das, nennen wir es so: Sonnenanbetertum ein verborgener Faktor, der nicht im Studiendesign berücksichtigt wurde. Das Ergebnis ist dann nur für die Sonnenanbeter repräsentativ (hier: N = 100), nicht für die Grundgesamtheit von 10.000 Personen.
Das ist ein einfaches Beispiel. Wer will nun behaupten, angesichts der Komplexität der gesellschaftlichen Lage und des Immunsystems würde es bei den Impfstoffstudien keinen verborgenen Faktor geben können?!
ps: ich sehe gerade, Gigerenzer hat nicht die Unstatistik aufgestellt, sondern so benannt. Sie meinten den “Papst” dann tatsächlich so. Sorry!
Dann finde ich seine Kritik nicht sonderlich stark, ich habe die 90% nie so verstanden, dass sie sich auf alle Menschen bezieht sondern (natürlich, wie sonst) nur auf die Infizierten. “zu 90 Prozent wirksam“ macht schon Sinn.
@Diana: Kontext
Auch im Kontext ist es so, dass ich Herrn Gigerenzer für einen der besten lebenden Psychologen und insbesondere für eine besondere Autorität auf dem Gebiet der Statistik halte. Gigerenzer und seine Mitarbeiter haben übrigens über viele Jahre hinweg immer wieder gezeigt, dass es auch mit dem Verständnis von Statistik unter der Ärzteschaft nicht weit her ist; ein Eindruck, den ich aus eigener Erfahrung (ich war immerhin von 2006 bis 2009 in der Abteilung für Medizinische Psychologie in Bonn, wo wir den Auftrag hatten, die Medizinstudierenden u.a. in Statistik auszubilden). Wenn Sie mir eine Mail schreiben, schicke ich Ihnen gerne ein paar Studien dazu.
Das mit der Fallhöhe ergibt doch überhaupt keinen Sinn, wo ich mich argumentativ auf die Seite Gigerenzers stelle.
Sie schrieben, ich wolle “Verdacht streuen” oder “etwas kleinreden”; darauf bezog sich mein Hinweis mit der Psychologisierung aus der Ferne. Ich sage noch einmal: Mir geht es um ein richtiges Verständnis der Daten; wären die Daten anders, wäre auch meine Ansicht anders.
@Diana: Wirksamkeit
…wenn man versteht, auf wen und was sich die 90-95% beziehen, ja.
P.S. Das mit dem Papst ist ja nun geklärt; rechtzeitig zu Weihnachten. 😉
@Herr Senf // 24.12.2020, 00:07 Uhr
Danke für den Link zum Studienplan!
»Gigerenzer “erzählt” doch nur die gängige Wirksamkeitsdefinition.«
Was heißt hier „nur“. Offenbar geht er davon aus, dass viele meinen, ein jeder würde nach Virus-Kontakt erkranken. Dabei ist es doch so, dass viele sich für unverwundbar (immun) halten, also auch solche, die es gar nicht sind.
@Stephan schreibt:
»Hoffentlich hat sich inzwischen herumgesprochen, dass “zu 90 bis 95 Prozent wirksam” nicht bedeutet, dass 90 bis 95 Prozent der geimpften geschützt sind, … «
Ich denke, das bedeutet es aber schon, wenn mit „der geimpften“ nicht _alle_ geimpften gemeint sind, sondern die, auf die es ankommt, die es zu schützen gilt, weil sie nach SARS-CoV-2-Kontakt mit hoher Wahrscheinlichkeit an COVID-19 erkranken werden. Um die anderen brauchen wir uns eh keine Sorgen zu machen (allenfalls als potentielle Verbreiter).
@Stephan Schleim
Wir sind uns aber hoffentlich einig, dass die Creme bei 95% den Sonnenbrand verhindert hätte, wären alle extrem in die Sonne gegangen. 95 % waren geschützt. Den Schutz kann jede Eingecremte natürlich nochmal steigern indem sie sich der Sonne weniger oder gar nicht aussetzt. Die 95 % geben ein Minimum an, mindestens so viele sind nach dem Eincremen auf der sicheren Seite.
Es wäre ein Fehlschluss, die Creme als Ursache für den nicht vorhandenen Sonnenbrand bei 99,95 % (9995) aller Sonnenanbeterinnen (*) zu bezeichnen. Es scheint mir allerdings auch sprachlich korrekt, zu sagen, 95 % waren nach dem Eincremen geschützt.
(*) Sonnenanbeter sind mitgemeint.
@Aussichten
Wir können doch davon ausgehen, dass bei der derzeitigen Verbreitung des Virus in dem Umfeld der Testpopulationen gegenüber den Placebogruppen nur noch 5 bis 10 % Testpositiv werden. Zu einer anderen Jahreszeit in ganz anderen Ländern und bei einer ganz anderen Infektionsdynamik hätten wir mit etwas anderen Zahlen zu rechnen. Aber macht das wirklich viel aus? Ich glaube nicht.
Wenn wir jetzt bis März 2021 die Risikogruppen der über 70-Jährigen geimpft haben, müsste die Sterblichkeit und auch die Zahl der schweren Verläufe um 85 % zurückgehen. Während aber doch das Infektionsgeschehen unter den Jüngeren durchaus noch weiter zunehmen kann, insbesondere wenn wir uns entschließen, endlich die Gegenmaßnahmen aufzugeben. Wenn aufgrund dessen die Infektionsraten sich z.B. gegenüber heute verfünffachen würden, hätten wir dann doch wieder 75 % der derzeitigen Todesfälle.
Ich würde hier vorschlagen, einen Richtwert von 300 Todesfällen pro Tag anzuvisieren, und entsprechenden Kontakteinschränkungen aufzuheben, wenn die Todesfälle unter diese 300 abfallen.
Derweil gehen die Impfungen ja weiter, und voraussichtlich wird sich mehr als die Hälfte freiwillig impfen lassen, was dann wohl irgendwann zum Zusammenbruch des Infektionsgeschehens führen wird, insbesondere im kommenden Sommer, wenn auch das Wetter die Ausbreitungsraten wieder mit reduziert.
Inwieweit zum Winter 2021/2022 dann noch höhere Impfquoten bzw. Auffrischungsimpfungen nötig werden, wird man dann wohl sehen. Da könnte eine Impfpflicht nötig sein, eventuell reichen aber auch Appelle an die Vernunft aus. Dann sollte man es auch bei Appellen lassen. Wenn die Pandemie auf Einzelfälle zusammenschrumpft, haben wir wohl alles erreicht, worum es hier geht.
“Könnte es vielleicht sein, dass immer mehr Menschen an der “herrschenden Meinung” zweifeln, weil ihnen allzu oft von führenden (herrschenden?) Politikern und ihnen nahestehenden Medien – über Jens Spahn las ich übrigens gerade, dass er mit dem Chef-Lobbyist der Burda-Mediengruppe verheiratet ist – ein Bär aufgebunden wurde?”
Sicher ist das so aber das darf natürlich nicht sein. Menschen die zweifeln sind heutzutage “Verschwörungstheoretiker” und “Schwurbler”. Was man früher als Zweifel und Skepsis bezeichnet hat, ist heute “Verschwörungsglauben” und der ist natürlich auch immer “antisemitisch”. Deshalb sind solche Menschen natürlich auch “Nazis”, die “auf die Fresse bekommen sollten” oder zumindest die selbige “halten sollen”. Wem es hier im besten Deutschland nicht gefällt, der soll gefälligst “abhauen”. So sieht leider die Medienrealität 2020 aus und ich fürchte, dass es im nächsten Jahr nur schlimmer werden kann.
@Tobias Jeckenburger (Zitat):
Beurteilung: 300 Tote Einwohner Deutschlands pro Tag, gestorben mit durchschnittlich 40 Jahren, wären zuviel. Zum Vergleich: In Deutschland sterben etwa 4000 Menschen im Verkehr – und das pro Jahr, nicht pro Monat. Aber auch pro Tag 3000 von Corona Genesene, aber mit schweren, über Wochen anhaltenden Nachwirkungen Genesene, wären zuviel. Mit anderen Worten: Nicht die Anzahl der Toten sondern die Anzahl der verlorenen Lebensjahre und die Gesamtsumme der Corona-Kranken-Tage sollte das Kriterium sein.
Folgerung: Im Jahr 2021 sollten weiterhin Massnahmen wirksam bleiben, die dafür sorgen, dass sich insgesamt nur wenige Prozent der Gesamtbevölkerung mit Sars-CoV-2 infizieren. Solche Massnahmen könnten etwa Einschränkungen bei der Anzahl Versammelten in geschlossenen Räumen sein. Eine Massnahme, die sich im Sommer ja relativ gut realisieren lässt.
@Joker: Nachdenken
Die Studie soll doch gerade erst zeigen, wie viele Personen geschützt werden; da kann man nicht einfach voraussetzen, was zu zeigen ist! Das ist ein grober Fehlschluss.
Wie gesagt, die Gruppe der 100 Sonnenanbeter ist nicht für die Gruppe der 9.900 Nicht-Sonnenanbeter repräsentativ. Das ist Grundstudium Sozialwissenschaften.
Und ebenso sind die 162 in der Placebo-Gruppe erkrankten nicht repräsentativ für die rund 21.300(!) nicht-erkrankten der Placebo-Gruppe. Daher darf man nicht sagen, 95% der 21.500(!) in der Verum-Gruppe seien durch die Impfung geschützt worden. Das ist überhaupt nicht belegt und auch nicht plausibel.
Ich wiederhole den selben Punkt immer und immer wieder. Wer mir nicht glaubt, möge noch einmal Gigerenzers Argument nachlesen.
Frohe Weihnachten!
@all: Ausblick
Auf den Seiten der Tagesschau ist ein empfehlenswerter Artikel über das Wir in der Pandemie erschienen. In dessen Fazit heißt es:
Dafür steht auch MENSCHEN-BILDER. Wie Peter Müller gerade noch einmal ausformuliert hat, hilft es der Verständigung nicht weiter, Menschen mit anderen Meinungen plump als “Impfleugner”, “Verschwörungstheoretiker”, “Nazis” und so weiter abzustempeln und so aus dem Diskurs auszugrenzen. Lasst uns miteinander reden, nicht gegeneinander.
In diesem Sinne besinnliche Weihnachten 2020 und auf ein besseres Jahr 2021!
@Stephan
Meines Wissens ist noch nie zuvor einem Impfstoff gegen irgendein Coronavirus (wie SARS, MERS) die kommerzielle Zulassung erteilt worden, obwohl daran gearbeitet worden war. Was darauf hindeuten mag, dass solche Anti-Corona-Vakzine nicht ganz unproblematisch sind, und mir fehlt einstweilen eine plausible Erklärung, wieso das im Fall von SARS-CoV-2 jetzt auf einmal alles ganz anders sein soll.
Immerhin waren auch im BMJ durchaus Bedenken gegen hektisch auf den Markt gebrachte Covid-19 Impfstoffe präsentiert worden, etwa hier: The rush to create a covid-19 vaccine may do more harm than good.
Die EMA hatte doch überhaupt keine Chance, da irgendwas sorgfältig zu prüfen, da die Zulassung eine politisch bereits beschlossene Sache war. Und was wäre denn passiert, wenn da tatsächlich jemand noch ernsthafte Vorbehalte eingebracht hätte? Im Zweifelsfall wird so jemand dann auch gerne mal gefeuert, damit das Verfahren zum vorgegebenen Termin mit dem ebenso vorgegebenen Ergebnis abgeschlossen werden kann.
Apropos Kompetenz. Immerhin ist wenigstens die EU Kommisionspräsidentin eine promovierte Ärztin. Sie hat sogar eine sehr spektakuläre Dissertation abgeliefert. Dies nur zur Erinnerung — eine angemessene Würdigung ihrer Leistungen findet man hier. 😉
@Martin Holzherr 24.12. 16:36
„Nicht die Anzahl der Toten sondern die Anzahl der verlorenen Lebensjahre und die Gesamtsumme der Corona-Kranken-Tage sollte das Kriterium sein.“
Zustimmung, die Art der Todesopfer ist wichtig, und die ändert sich ja auch, wenn die Älteren zuerst geimpft werden. Allerdings, wenn die über 70-Jährigen geimpft sind, konzentrieren sich dann wiederum die meisten Toten auf die über 60-Jährigen. Und auch hier vermute ich, dass Menschen, die an Corona sterben, generell gesundheitlich schon recht schlecht dabei sind, egal aus welcher Altersgruppe. Von daher würde ich gegen einen Richtwert von 300 Toten am Tag nicht protestieren. Ich komme hier auch auf 300, weil das noch unterhalb der Grenze dessen ist, was die Krankenhäuser verarbeiten können.
Insoweit hoffe ich aber sowieso auf Entwarnung, weil bis Mai dann auch die über 60-Jährigen geimpft werden können, und der Frühling, spätestens der Sommer, dann zusätzlich die Ansteckungsgefahren weiter reduziert. Wir hatten ja schon im letzten Sommer mit nicht so viel Gegenmaßnahmen durchwegs sehr niedrige Infektionszahlen.
@Stefan
Ich denke auch, dass der wirkliche Schutz der aktuellen Impfstoffe noch anders ausfallen kann, weil hier die Menschen der Phase-III-Population, die überhaupt in Kontakt mit dem Virus gekommen sind, recht wenige sind, und eben auch nicht repräsentativ sind.
Zusätzlich ist nicht bekannt, wie lange der Impfschutz anhält. Und wenn jetzt die eventuell virulentere Coronavariante aus England tatsächlich aggressiver ist, und sich bei uns durchsetzt, dann haben wir eine entsprechend schlechtere Prognose.
Frohe Weihnachten allerseits!
@Chrys // 25.12.2020, 12:51 Uhr
» Die EMA hatte doch überhaupt keine Chance, da irgendwas sorgfältig zu prüfen, da die Zulassung eine politisch bereits beschlossene Sache war. «
Was Du wieder alles weißt… 😉
@Tobias Jeckenburger // 25.12.2020, 13:57 Uhr
»Ich denke auch, dass der wirkliche Schutz der aktuellen Impfstoffe noch anders ausfallen kann, weil hier die Menschen der Phase-III-Population, die überhaupt in Kontakt mit dem Virus gekommen sind, recht wenige sind, und eben auch nicht repräsentativ sind. «
Schon allein deshalb nicht repräsentativ, weil es in solcherart Studien diverse Ausschlusskriterien gibt, nicht jede(r) durfte mitmachen.
Es ist also gut möglich, dass, bezogen auf die Gesamtbevölkerung, nur in acht von 10 Fällen der Impfstoff COVID-19 verhindert. Aber was heißt ‘nur’, auch das wäre eine tolle Erfolgsrate.
@Stephan Schleim
Betr.: Nachdenken
So wie Du das Szenario angelegt hast, im dem bekannt ist, wieviel Sonnenanbeter 3 Stunden in der Sonne lagen, “In V gab es auch 100 extreme Sonnenanbeter, die ebenfalls so in der Sonne lagen, […]” sollten die aber repräsentativ sein. (Sonst wäre etwas bei der Randomisierung schiefgelaufen, worauf ein einzelner Joseph bereits hingewiesen hat.) Aber gut, vielleicht hast Du dich an dieser Stelle sprachlich nur unklar ausgedrückt.
Wenn nicht bekannt ist, wie viele über 3 Stunden der Sonne ausgesetzt waren und wir davon ausgehen können, dass es mehr waren als die genannten 100, dann findet das im Grundstudium Sozialwissenschaft Gelernte tatsächlich eine Bestätigung in der Praxis: Die in der Sonne Verbrannten repräsentieren nicht die Gruppe der verbliebenen 9900.
Repräsentativ für die Probanden sollten aber wiederum jeweils die x + 100 aus jeder Gruppe sein, die zu dem Zeitpunkt mehr als 3 Stunden in der Sonne waren. An einem Zahlenbeispiel möchte ich verdeutlichen, was das bedeutet. (Man kommt für beliebige x , x größer 0, zum qualitativ gleichen Ergebnis).
Nehmen wir an, in der ersten Gruppe waren 500 Sonnenanbeter bereits länger als 3 Stunden in der Sonne, 100 bekamen einen Sonnenbrand, 400 nicht (einen möglichen Grund hattest Du genannt). Da diese Gruppe repräsentativ ist, dürfen wir das einfach hochrechnen, mit 20 multiplizieren, ergibt: 2000 Opfer.
In der zweiten Gruppe dürfen wir genauso hochrechnen, ergibt: 100 Opfer. Das entspricht 99 % Geschützter.
Wie gesagt, die 95 % sind das Minimum, das durch das Eincremen erzielt wird. Das wird übertroffen, wenn andere Schutzmechanismen in der Population vorhanden sind.
Frohes Fest.
@Stephan Schleim
Ich hätte noch etwas mehr lesen sollen. Das ging mir, aus welchem Grund auch immer, bis eben durch die Lappen:
Meine exemplarische Rechnung ignoriert das.
Ich stimme Dir hier also zu:
Früher exponiert und dem Virus länger ausgesetzt könnten im realen Fall der Covid-19-Pandemie sozial aktivere Menschen sein, wie die in Ischgl, oder im Gesundheitssystem beschäftigte, Ärzte, Krankenpfleger (-schwestern sind mitgemeint), usw. In den Zahlen der Impfstudien wären diese überrepräsentiert.
@Tobias Jeckenburger (Zitat): Ich komme hier auch auf 300, weil das noch unterhalb der Grenze dessen ist, was die Krankenhäuser verarbeiten können.
Corona-Krankenfälle bis zum Hospitalisationslimit zuzulassen war doch ein Grundfehler hier im Westen (Europa, USA). Taiwan, Neuseeland, Südkorea, Japan, Australien und China dagegen wollten Corona gänzlich eliminieren und haben es fast geschafft: aktuell haben die erwähnten Länder 10 Mal weniger Coronafälle pro 100‘000 Einwohner als Europa oder die USA. In China, Südkorea und Taiwan, aber auch in Neuseeland und Australien können in der Folge wieder Parties oder Weihnachten gefeiert werden – in Deutschland nicht.
@Stephan Schleim
Wenn ich beim Fahrradfahren einen Helm trage, so sagt man ja auch, er schützt mich vor Verletzungen. Er schützt mich also auch dann, wenn ich gar nicht falle.
Man sagt natürlich auch, der Helm soll mich vor Verletzungen schützen. Dann ist gemeint, erst im Falle eines Sturzes und Aufschlags auf dem Boden tritt (hoffentlich) die Schutzwirkung ein.
Beides scheint mir innerhalb geltender Sprachlogik erlaubt, korrekt und verständlich zu sein.
Der erste Fall entspricht einer Art Versicherungsschutz. Im zweiten Fall könnte man das, ‘der Helm hat mich geschützt’, insbesondere dann, wenn ich ohne ihn tatsächlich verletzt worden wäre, ersetzen durch, ‘der Helm hat mich vor einer Verletzung bewahrt’.
@Martin Holzherr 25.12. 19:31
„Taiwan, Neuseeland, Südkorea, Japan, Australien und China dagegen wollten Corona gänzlich eliminieren und haben es fast geschafft: aktuell haben die erwähnten Länder 10 Mal weniger Coronafälle pro 100‘000 Einwohner als Europa oder die USA.“
Die dort bisher kumulierten Infektionsraten kenne ich jetzt nicht. Aktuell ist jedenfalls Mitteleuropa im Winter, was wohl ein wesentlicher Grund dafür ist, dass die Zahlen hier bis zu 100 mal höher sind wie im Sommer.
Wenn in den angesprochenen Ländern eine bessere Corona-App, eine bessere Teststrategie und eine intelligentere Kontaktverfolgung wesentliche Beiträge geleistet haben, wäre es für eine zukünftige Pandemie wohl interessant, zu gucken wie die das gemacht haben. Ob die jetzt insgesamt mehr oder weniger Kontaktbeschränkungen hatten, weiß ich jetzt nicht.
Mir hat es jedenfalls richtig gereicht. Und im Sommer, als wir über Monate um die 5 Todesfälle am Tag hatten, hatte ich kein Verständnis mehr für eine Maskenpflicht. Die niedrigen Zahlen im Sommer haben uns ja auch nicht vor der derzeitigen Wintersituation geschützt. Im Gegenteil, wir haben inzwischen eine Durchseuchung von ca 10 %, wäre die stattdessen bei 20 %, wäre die derzeitige Reproduktionsrate entsprechend niedriger, und in etwa mit 0,89 zu multiplizieren.
So oder so, die Impfstoffe werden das Problem lösen können, und auch die beste Vermeidungsstrategie kommt wohl kaum ohne Durchimpfung aus. Sonst müsste man noch ein ganzes Jahr die Einreisenden kontrollieren, und ständig aufpassen, dass sich Corona nicht doch wieder versteckt ausbreitet.
@all: Mit einer relativ sachlichen Diskussion haben Sie mir dann noch ein schönes Weihnachtsgeschenk gemacht.
@Chrys: Zulassung
Wenn sich die EMA hier einen Fehler erlaubt hätte, dann wären die Folgen – man denke nur an den Vertrauensverlust und den politischen Skandal – wahrscheinlich viel verherender. Zudem entnehme ich dem kritischen Interview mit Wolf-Dieter Ludwig, dass die politische Einflussnahme nicht sehr erfolgreich war. Zuletzt trägt, wenn ich die formalen Aspekte richtig verstanden habe, BioNTech/Pfizer das Risiko. Die würden sich dann also ins eigene Fleisch schneiden.
Das größte Risiko sehe ich darin, dass der Impfstoff in der “freien Wildbahn” nicht zu 90-95% schützt. Diesen Aspekt habe ich aber erklärt. Oder dass die Impfung jedes Jahr wieder aufgefrischt werden muss (siehe Grippevirus). Das wäre dann aber ein Argument für den Einstieg in die Aktien, denn das wäre jetzt wohl noch nicht im Kurs eingepreist. (Keine Kaufempfehlung, nur laut gedacht.)
@Balanus, Chrys: EMA-Prüfung
…aber allgemein sind die Zulassungsbehörden natürlich von den Daten abhängig, die ihnen geliefert werden. Aus der Antidepressivaforschung wurden hier im Blog ja schon einige Beispiele für die “Optimierung” solcher Daten diskutiert. Wir werden es sehen. Nur weil gepfuscht werden kann, heißt das ja nicht, dass es immer geschehen muss.
Und anders als bei einem diffusen Syndrom wie Major Depressive Disorder, wo man mit einem Placebo-Effekt schon ein gutes Stück weit kommt, lässt sich der Impferfolg gegen das Coronavirus doch objektiver beurteilen.
@Joker: Wirksamkeit
In den jetzigen Tests sind doch die Lockdown-Maßnahmen, in Börsensprache, in das Ergebnis “eingepreist.” Insofern muss sich die Hoffnung, mit der Impfung den Lockdown lockern zu können, weil die schweren Verläufe und Todesfälle auf ein erträgliches Niveau gedrückt werden, erst noch in der Praxis bewähren (sprich: die Verhaltens- und Kontext-Effekte stecken in den Ergebnissen mit drin, in beiden Gruppen, daher kann die Studie hierüber prinzipiell nichts aussagen).
Doch es ist Weihnachten. Wünschen wir uns etwas Gutes für die Welt.
@Tobias Jeckenburger: China, Australien, Neuseeland haben einzelne Corona-Ausbrüche mit der Quarantäne/Isolation ganzer Städte und Provinzen beantwortet. Deshalb bleiben/blieben die Raten tief. Hier dagegen wurde jederzeit eine bestimmte Rate an Erkrankungen ohne Gegenmassnahmen akzeptiert. Unter diesen Umständen kann die Erkrankungsrate langsam von Woche zu Woche zunehmen und es wird sehr schwierig etwas dagegen zu unternehmen. Zu ihrer Aussage:
lässt sich sagen, dass es in Wuhan, der Stadt in der Corona zuerst ausbrach, jetzt überhaupt keine Kontakt- und Reisebeschränkungen mehr gibt. Dort läuft jetzt schon seit Monaten alles wie vorher wie vor Corona.
Sie schreiben noch:
Impfen von mehr als 70% der Bevölkerung ist nötig ja. Aber das wird frühestens Ende 2021 so weit sein. Selbst in Deutschland. Das heisst es steht uns noch einmal ein ganzes Jahr „halber LockDown“ bevor. Jedenfalls muss in 2021 die Ansteckungsrate tief gehalten werden sonst gibt es gegen Ende des Jahres gar niemand mehr zu impfen weil alle schon die Krankheit durchgemacht haben.
@Joker: P.S. Fahrradhelm
Der Helm schützt idealerweise bei einem Unfall… Ob er es wirklich tut, wissen wir erst hinterher. Das hängt von den Umständen des Unfalls ab: Bei einem Sturz aufs Kinn wird er wohl eher nicht helfen; und wenn jemanden ein LWK mit 100km/h frontal mitnimmt, dann wohl auch eher nicht.
@Stephan Schleim
Es sollte auch niemand erwarten, dass in den von Dir genannten Fällen eine Impfung schützen würde. Das sollte auf dem Beipackzettel vermerkt werden, sicher ist sicher.
Das Kinn ist durch die Mund-Nase-Maske geschützt, idealerweise.
@Stephan Schleim
Welche Verhaltens- und Kontext-Effekte sollen da wie “eingepreist” sein? Die Lockdown-Maßnahmen haben doch höchstens dazu beigetragen, dass die Studien nicht schneller beendet werden konnten, bzw. können. Man musste ja warten bis ein signifikanter Anteil der Probanden erkrankt ist. Für die schweren Verläufe ist diese Zahl meines Wissens nach auch noch gar nicht erreicht, weswegen die Frage, ob und wie Impfungen sich dabei bemerkbar machen, bisher nicht ausreichend geklärt ist.
Relevant für die Impfstoffwirksamkeit ist doch immer nur das Verhältnis von Erkrankten zwischen Impfstoff- und Placebo-Gruppe, nicht in welchem Zeitraum sich da was getan hat. Die meisten bisher genannten Unbekannten können Verzerrungen nach unten oder oben beinhalten, die Impfstoffwirksamkeit kann auch höher liegen als angegeben.
Im Übrigen, stammt nicht ein Großteil der Probanden sowieso aus Ländern, in denen die Lockdown-Maßnahmen nicht besonders ausgeprägt waren?
Sicher müssen sich die ermittelten 90 % oder 95 % Prozent Wirksamkeit des Impfstoffs speziell noch in der Gruppe der besonders Gefährdeten auch in der Praxis bestätigen. Aber eigentlich ist es doch umgekehrt, die Impfungen müssen jetzt nach und nach in die Lockdown-Maßnahmen eingepreist werden. Was allerdings keine Frage von wenigen Tagen oder Wochen, sondern eher von Monaten ist.
@Stephan Schleim
Ist das ein Versuch, in der Tradition Analytischer Philosophie stehend, die Sprachlogik der Alltagssprache einzuengen, die Bedeutung von ‘schützt’ möglichst genau zu explizieren, und sich dann auf diese eine als einzig legitime zu verständigen?
Genaugenommen wissen wir übrigens im konkreten Einzelfall auch hinterher nichts. Wenn der – anschließend zerkratzte! – Helm beim Unfall nicht getragen worden wäre, hätte eine Verletzung immer noch durch ein “Wunder” verhindert werden können. Erst Statistiken über viele Stürze hinweg geben uns einigermaßen zuverlässig Auskunft. Die Schutzwirkung oder die Risikoreduktion kann dann in Prozent angegeben werden.
@Martin Holzherr 26.12. 09:13
„China, Australien, Neuseeland haben einzelne Corona-Ausbrüche mit der Quarantäne/Isolation ganzer Städte und Provinzen beantwortet. Deshalb bleiben/blieben die Raten tief. „
Mehr Konzentration auf lokale Ausbrüche kann man sich als wohl hilfreich merken. Effektivere Coronaapps, bessere Teststrategie und intelligentere Art der Kontaktverfolgung sind auch noch mögliche Faktoren, wieso es in manchen Ländern besser geklappt hat.
„Jedenfalls muss in 2021 die Ansteckungsrate tief gehalten werden sonst gibt es gegen Ende des Jahres gar niemand mehr zu impfen weil alle schon die Krankheit durchgemacht haben.“
Keine Frage für die Aktionäre von Pfizer, die verdienen sicher kein Geld mit symptomlos Infizierten, die dadurch immun geworden sind und keine Impfung mehr brauchen. Nein, ich denke, dass wenn die Risikogruppen durchgeimpft sind, und also etwa alle, die über 60 sind, geschützt sind, dass dann eigentlich kaum mehr ein wirkliches Problem vorliegt. Da sind die 5% in den Risikogruppen, bei denen die Impfung nicht hilft, schon maßgeblicher als das tatsächliche Risiko von jungen gesunden Menschen, schwer an der Infektion zu erkranken.
Es macht allemal Sinn, wirklich bis zu 80% der Menschen Immun zu machen, damit das Virus wirklich dauerhaft zurückgedrängt wird. Aber wenn da 15% Immunität wegen überstandener Infektion dabei sind, ändert das nichts daran, dass das Problem dann nachhaltig gelöst ist.
@Joker: Sprache & Logik
Man achte auf die Logik: Wenn man davon ausgeht, dank der Impfstoffe die Lockdown-Maßnahmen aufheben zu wollen (und das wollen wir doch wohl fast alle), dann muss man berücksichtigen, dass die Tests unter den Lockdown-Maßnahmen dafür nicht repräsentativ waren, weil die Virusexpositionen schlicht ganz anders waren – dazu passt doch die absolut gesehen sehr niedrige Erkrankungsrate in der Placebo-Gruppe.
Man muss es nicht komplizierter machen, als es ist; und ich finde, du könntest mir auch einmal Recht geben.
Wenn du deine Aussage zum Fahrradhelm so verstanden haben willst, dass der Helm allgemein schützt, dann musst du in der Analogie aber berücksichtigen, dass diese Daten nicht nur aus irgendwelchen vorläufigen Studien stammen, die immer nur ein Abbild der Welt sind, sondern aggregierte Daten aus der tatsächlichen Welt sind.
@Stephan Schleim 23.12.2020, 17:43 Uhr
Nun ich argumentiere aus meiner eigenen Anschauung, weil ich die 60er Jahre noch in Erinnerung habe. Da ich 1955 in der DDR geboren wurde, und Ende der 50er Jahre in den Westen kam, kann ich nur etwas aus dieser Zeit erzählen. Daher folgende Einwände zu Ihrer Antwort:
Von keinem Beitrag habe ich nicht geschrieben. Aber schon damals (1960…) hatten “Arbeiter” schon eigene Autos und Fernseher gehabt.
Und jetzt zu Ihrer Unterstellung:
Da die Türken erst 1961 hierher kamen, benutze ich diese Formulierung. Mir aus diesem Wort Fremdenfeindlichkeit zu unterstellen, finde ich nicht richtig. Übrigens werden auch in Ihrem Text “türkische Gastarbeiter” genannt.
Frohe Weihnachten und einen guten Rutsch
Rudi Knoth
@Stephan / EMA Zulassung
Die zur Massenimpfung erforderliche Infrastruktur ist doch — mit erheblichem Aufwand — allenthalben bereits geschaffen worden, noch bevor die EMA irgendwas hat entscheiden können. Die Ansage der Politik war da ziemlich klar: es wird geimpft, whatever it takes. Die EU Staaten sind letztlich auch nicht auf die EMA angewiesen; eine Zulassung hätte im Bedarfsfall jeweils durch nationale Behörden erwirkt werden können. Die möglichst rasche Zulassung durch die EMA war obligatorisch, eine reine Formsache.
@Stephan Schleim
Die Logik finde ich wirklich beachtlich.
Man kann sich bei allen mögliche Gelegenheiten mit dem Virus infizieren, beim Reden, Singen, Knutschen oder einfach wenn man längere Zeit in der Nähe eines bereits Infizierten ist. Der Lockdown eliminiert keine davon, er sorgt nur dafür, dass solche Ereignisse seltener sind.
Bei Großveranstaltungen wird doch das Virus nicht aggressiver, es kommt nur innerhalb kürzester Zeit zu sehr vielen potentiell ansteckenden Situationen. Dafür brauche ich doch keinen anderen, speziellen Impfstoff. Zumindest wäre es mir neu, wenn eine Impfung, z.B. eine Grippeimpfung, mich nur in den auch in den Zulassungsstudien getesteten Situationen zuverlässig schützt.
Kannst Du da, abgesehen von deinen logischen Überlegungen, auch Beispiele nennen, wo das so war?
Nur um mir gleich zu widersprechen: Ja, da könnte was dran sein.
Die durch die Impfung erworbene Immunität, so könnte ich mir zumindest vorstellen, kann uns eventuell nur bei geringer Virenlast ausreichend schützen. Entsprechende Ereignisse könnten in den Studien unterrepräsentiert sein.
Andererseits, könnten im Lockdown solche Ereignisse mit hoher Virenlast auch häufiger sein. Man befindet sich immer in kleiner Runde, fühlt sich sicher und geschützt, das wird es schnell intimer als bei den zwar vielen, aber doch harmlosen Kontakten auf einem Konzert oder im Stadion.
Was nicht passt, wird passend gemacht? Eine niedrige Erkrankungsrate diskriminiert nicht zwischen Ansteckungen mit hoher oder niedriger Virenlast – nach meinem logischen Verständnis.
Ist das nicht ein performativer Widerspruch? Du machst es doch gerade komplizierter.
Das habe ich doch schon einmal. Ich gebe Dir immer Recht, wenn Du Recht hast.
Eigentlich müsste es bereits einen Impfstoff-Schwarzmarkt geben, der die reichen und egoistischen Impfwilligen versorgt.
Zumindest für den russischen Impfstoff.
Und Placebo-Betrüger, die Kochsalz-Ampullen neu etikettieren.
@Stephan // 26.12.2020, 14:32 Uhr
Adressiert an @Joker:
»Man muss es nicht komplizierter machen, als es ist; …«
Zustimmung!
Schade, dass Gigerenzer das nicht beherzigt hat.
Einfache Fragen: Was bedeutet es für den Einzelnen, der sich mit einem Impfstoff impfen lässt, der zu 90% wirksam ist, im Falle einer Infektion? Wird er erkranken? Mit welcher Wahrscheinlichkeit bekommt er COVID-19?
Das sind doch die Fragen, die die meisten interessieren, und nicht, wie viele Studienteilnehmer geimpft werden mussten, damit in der Impfgruppe acht Erkrankungen beobachtet werden konnten.
Um eine statistische Repräsentativität der Studienergebnisse zu erhalten, hätte man die geographische und soziale Verteilung der Infektionen, die bekanntlich sehr dynamisch ist, vorher kennen müssen. Das wäre von flächendeckenden Tests abhängig. Die Alternative ist, die Teststationen in Ländern mit bekannt hohen Infektionsraten anzusiedeln. In diesem Fall waren es 150 Teststationen in 6 Ländern mit Standorten von Pfizer, in USA, Deutschland, der Türkei, Südafrika, Brasilien und Argentinien.
Man kann davon ausgehen, dass eine möglichst hohe Zuverlässigkeit der Testdaten dadurch erreicht werden konnte. Selbstverständlich ist es wichtiger, unter den gegebenen Umständen die Impfkampagne mit vertretbaren Testergebnissen baldmöglichst starten zu können, als auf akademisch-statistisch befriedigende Daten zu warten.
Anstatt 300 Tote in D pro Tag europaweit maximal 10 neue Covid-19 Fälle pro Tag und Million Einwohner
Zitat Tobias Jeckenburger:
Zitat Calling for pan-European commitment for rapid and sustained reduction in SARS-CoV-2 infections:
Die Autoren des Lancet-Artikels vom 18.Dezember 2020 fordern einen eiropaweiten Lockdown bis das 10-Fälle-proTag-proMillionEinwohner-Ziel erreicht ist. Im Artikel wird dieses Ziel folgendermassen gerechtfertigt:
Persönliche Einschätzung: Die Durchimpfung der Bevölkerung wird Corona stoppen. Bis alle geimpft sind dauert es aber noch Monate. In diesem Zeitraum bis zur Durchimpfung sollten die Fallzahlen möglichst tief gehalten werden, damit nicht Leute sterben oder schwer erkranken bevor sie geimpft werden können.
Die Durchimpfung wird Corona nicht stoppen, nur die symptomatische Erkrankung Geimpfter.
Unklar ist, ob Geimpfte sich infizieren können (Mund/Rachen) und dann infektiös sind.
Dann gibt es auch keine Herdenimmunität, wenn sich 30% nicht impfen lassen, sind die ungeschützt.
Kann man selbst pi-mal-Daumen konservativ schätzen 0,1% von 20 Mio Mittelalten.
Bevor die “durchinfiziert” sind, gibt es in den nächsten 3 Jahren nochmal ~20.000 Tote.
Seehofer hat Recht, daß die Maßnahmen jetzt nicht aufgehoben werden dürfen.
@Herr Senf: Ja, wer sich impft schützt sich vor der Erkrankung (weitgehend), doch nur wenige können sich in den nächsten Wochen impfen lassen. Rein schon aus Kapazitätsgründen. Das rechtfertigt Massnahmen zur Infektionseindämmung, also Massnahmen, die die Verbreitung des Virus verlangsamen/stoppen.
@Herr Senf (Zitat): wenn sich 30% nicht impfen lassen, sind die ungeschützt.
Ja. Jetzt sind aber alle Ungeimpften ungeschützt. Das heisst praktisch alle und das noch für viele Wochen, weil die Impfaktionen sich über Monate hinwegziehen.
@Herr Holzherr, Ja, ich hab was gegen Politiker, die vor sich hinplappern:
“Wenn wir einen Impfstoff haben und mit Impfen beginnen, haben wir die Pandemie in Griff.”
Das hört sich an, als ob wieder alter Alltag kommt. Eben Nein, die vergessen das Virus.
Sich impfen lassen, ist Risikowahrnehmung und “Selbstschutz”, nicht impfen ist Lotto.
@Balanus, Joker: Kommen wir in ca. einem halben Jahr noch einmal darauf zurück, wenn wir mehr wissen?
@Martin Holzherr 27.12. 17:20
„In diesem Zeitraum bis zur Durchimpfung sollten die Fallzahlen möglichst tief gehalten werden, damit nicht Leute sterben oder schwer erkranken bevor sie geimpft werden können.“
Die Gegenmaßnahmen sollten verhältnismäßig sein. Auch wenn recht unklar ist, wie viel Aufwand an sozialen und wirtschaftlichen Kosten angemessen ist, um wie viele ernste Erkrankungen zu verhindern. Immerhin werden hier wesentliche Freiheitsrechte eingeschränkt. Die reinen Infiziertenzahlen sind nur in soweit relevant, wie sie auch zum tatsächlichen Ausbruch von ernst zu nehmenden Krankheiten führen.
Je mehr die Risikogruppen durch Impfungen geschützt sind, desto geringer wird der Anteil derer werden, die ernsthaft erkranken. Da sollte man dann auch Rücksicht drauf nehmen, und ggf. auch die Gegenmaßnahmen aufgeben, wenn hier in den Krankenhäusern nicht mehr viel los ist
@Stephan 27.12. 23:25
„Kommen wir in ca. einem halben Jahr noch einmal darauf zurück, wenn wir mehr wissen?“
Es gibt noch viele Unbekannte in der Gleichung:
Wie schnell die Impfung vorwärts kommt und wie gut die Impfung wirklich ist, vor allem bei den Risikopatienten.
Wie lange die Impfung anhält.
Wie viele Risikopatienten sich überhaupt impfen lassen, und ob Geimpfte nicht doch noch ansteckend sein können.
Ob hier virulentere Varianten des Virus das Infektionsgeschehen noch mal anheizen.
Und wie weit die Durchseuchung inzwischen schon gekommen ist, weis man auch nicht recht. Auch wenn wir eine Durchseuchung nicht anstreben, liegt sie wohl doch inzwischen ungefähr bei 10 %, und hat einen gewissen Effekt auf die weitere Ausbreitung des Virus.
Angesichts dieser Ungewissheiten muss man wohl weiterhin auf Sicht fahren.
@Stephan Schleim
Du meinst, wenn wir den Vorsatz fürs Jahr 2021, mehr Grundkenntnisse in Statistik zu erwerben, alle umgesetzt haben? Ja, gerne.
Guten Rutsch.
Konsequenzen von „Keine Herdimmunität trotz Durchimpfung“
In der brasilianischen Stadt Manaus scheinen aufgrund von Antikörpertests bereits mehr als 70% Covid-19 durchgemacht zu haben. Trotzdem erkranken weiterhin Einwohner von Manaus an Covid-19 und es gibt weiterhin Todesfälle oder wie man in Study Estimates 76 Percent of Brazilian City Exposed to SARS-CoV-2 liest:
Mit anderen Worten: Die natürlich eingetretene sehr hohe Durchseuchung in Manaus hat die Krankheit nicht gestoppt. Es ist keine Herdimmunität entstanden.
Das liesse sich damit erklären, dass eine Immunität zwar die „Erkrankung/Wiedererkrankung“ verhindert, nicht aber die Infektion/Reinfektion. In Manaus geben also möglicherweise Leute, die die Krankheit bereits durchgemacht haben, den Virus trotzdem weiter. Doch mit Sicherheit lässt sich das nicht sagen, weil es zu wenig (zuverlässige) Studien dazu gibt.
Was tun, wenn Ungeimpfte gefährdet bleiben?
Wenn sich keine Herdimmunität einstellt trotz einer hohen Durchimpfungsrate, dann bedeutet das, dass alle Ungeimpften gefährdet bleiben – egal ob sie aufgrund eines eigenen Willensentscheides auf die Impfung verzichtet haben oder ob sie wegen Vorerkrankungen nicht für eine Impfung in Frage kommen.
Falls es so herauskommt steht die Gesellschaft vor einer sehr schwierigen Frage, nämlich der Frage ob sie wieder zum Normalalltag und damit zum ungeschützten Umgang mit Nicht-Immunen zurückkehren kann.
@Martin Holzherr
Wer hat denn behauptet, die Verbreitung des Virus müsse bei Erreichen der Herdenimmunität abrupt stoppen? Wie mittlerweile hinlänglich bekannt sein sollte ist die Herdenimmunität erreicht, wenn R(t) unter 1 sinkt. Wenn zu diesem Zeitpunkt noch sehr viele Personen infiziert sind, dann werden sich auch noch sehr viel weitere Personen infizieren. Sichergestellt ist zunächst nur, dass die Pandemie dann abklingt. R wird dann auch bei anhaltender Durchseuchung absinken, aber nicht direkt von 1 auf 0.
Die akute Gefährdung eines einzelnen Ungeimpften hängt im Wesentlichen von der Anzahl der aktuell Infizierten ab.
Auch wenn es zum Zeitpunkt des Erreichens der Herdenimmunität kaum noch Infizierte gibt, sind nicht Immunisierte weiterhin gefährdet. Es kann lokal immer wieder zu neuen Ausbrüchen kommen, R ist nur ein Durschnittswert, der in teilen der Herde temporär auch übertroffen werden kann.
@Stephan, @Joker
Wenn wir in einem halben Jahr zurückkommen, wird sich am Ergebnis der Wirksamkeitsprüfung nichts geändert haben: Rund 90 Prozent weniger COVID-19-Fälle bei Geimpften im Vergleich zu Nichtgeimpften.
Der Versuch, dieses unerwartet gute Ergebnis kleinzureden, indem die absolute Anzahl der Fälle auf die Anzahl der nichtgeimpften und geimpften Studienteilnehmer bezogen wird („ …dann sanken die Fälle von 0,8 auf 0,04 Prozent“) irritiert. Ich versteh‘s nicht…
Guten Rutsch allerseits!
@Balanus
Das muss man nicht verstehen, es ist pure Augenwischerei ohne jede Aussagekraft. Solche unstatistischen Argumente könnten von der AfD oder den Querdenkern bzw. Impfgegnern kommen. Diese Zahlen beziehen sich ausschließlich auf den Zeitraum der Studie. Mit der Zeit, d.h. täglich, werden aber immer mehr Ungeimpfte infiziert, so dass sich deren Anzahl an Infizierten laufend erhöht, ohne Gegenmaßnahmen sogar exponentiell.
@ Balanus, @ anton reutlinger:
Naja, “pure Augenwischerei” ist es nicht, es macht ja eine Aussage über das individuelle Risiko (bei überschaubarem Infektionsdruck). Aber dadurch wird die 90%-Ausssage nicht falsch. Dies zu suggerieren, ist in der Tat ein Kleinreden, zumal wenn man es auch noch so aussehen lässt, als sei die absolute Risikoreduktion eine Konstante.
BTW: Beim Outcome (Covid-19, nicht Infektionen) liegt Gigerenzer übrigens ganz daneben.
@Balanus / 29.12.2020, 17:59 Uhr
»Ich versteh’s nicht…«
Was vestehst Du denn nicht?
Die 95% drücken eine bedingte Wahrscheinlichkeit aus — nämlich die Wahrscheinlichkeit, mit der im Rahmen der Studie jemand aus der Gruppe der Infizierten (Bedingung!) zur Gruppe der Ungeimpften gehört.
Die Wahrscheinlichkeit, mit der Du zur Gruppe jener gehörst, die das verstanden haben, wage ich indessen nicht zu beziffern. Einstweilen unzureichende Datenlage.
Im neuen Jahr wird bestimmt alles besser…
Grundkenntnisse in Statistik sind gut, Grundkenntnisse in Demokratie sind nicht weniger gut. Eine Demokratie ist im Prinzip eine Regierung durch gewählte Laien, sowohl in den Parlamenten als auch im Regierungskabinett. Auch dass demokratische Politik aus Mehrheitsbeschlüssen besteht, sollte bekannt sein. Schließlich müssen konträre Interessen unter einen Hut gebracht werden. Der Preis dafür ist, dass Politik und politisches Handeln nur selten den Vorstellungen der Fachleute entspricht und Hellseher können die Politiker auch nicht sein. Der Bundestag besteht zu einem Drittel aus Juristen, trotzdem werden immer wieder Gesetze oder Vorschriften von Gerichten kassiert.
Die Ablehnung von Impfungen beruht zu einem großen Teil auf dem Misstrauen gegen die Pharmaindustrie. Zweifellos hat Big Pharma selber dazu wesentlich beigetragen. Aber ist es vernünftig, nur deshalb Impfungen generell abzulehnen? Skepsis und Kritik sind immer legitim, aber pauschales Misstrauen ohne konkrete Begründung ist weder legitim noch intelligent. Der Preis für diese Einstellung kann der Tod sein, für sich selbst oder für viele Mitmenschen. Eine Impfpflicht sollte vermieden werden, wenn es noch andere Möglichkeiten gibt zur Vermeidung von Infektionen, aber Sanktionen gegen Impfunwillige wären durchaus denkbar und angemessen angesichts der Gefahren für Leib und Leben.
Hoffen wir, dass im Neuen Jahr die Vernunft die Oberhand gewinnt.
@Chrys
Hoffentlich erstickt Ihr Optimismus nicht schon in den ersten Minuten im Pulverdampf.
denkbar, ja – angemessen, wohl kaum.
Hoffen wir, dass im Neuen Jahr die Vernunft die Oberhand behält.
@Chrys // 30.12.2020, 18:22 Uhr
»Was verstehst Du denn nicht?«
Ich versteh nicht, was Stephan für ein Problem hat mit der Wirksamkeit der Vakzine, insbesondere, warum er meint, um die Wirksamkeit des Impfstoffs ins rechte Licht zu rücken, wäre es hilfreich, die jeweiligen COVID-19-Fälle auf die Zahl der Studienteilnehmer zu beziehen.
» Die 95% drücken eine bedingte Wahrscheinlichkeit aus — …«
Um es „nicht komplizierter [zu] machen, als es ist“ (@Stephan): Die 95% resultieren aus der Anzahl der Covid-19-Fälle in der Verumgruppe relativ zur Anzahl der Covid-19-Fälle in der Kontrollgruppe, also:
Wirksamkeit = 100 × (1–IRR), wobei IRR = 8 COVID-19 Fälle in Verumgruppe/ 162 COVID-19 Fälle in Placebogruppe.
Da gibt es nichts zu deuteln.
@Balanus
Ganz richtig; die Angabe der Wirksamkeit auf Grund eines klinischen Tests stellt eine Momentaufnahme als begründete Prognose dar. Das gilt für jedes Medikament und jeden Impfstoff. Der Fortschritt der Impfungen muss zeigen, ob die Prognose haltbar ist.
Wir machen tagtäglich Prognosen über die Welt und unser Leben, jeden Morgen wenn wir aufstehen und gerade jetzt zum Jahreswechsel. Dabei sind diese Prognosen weitaus weniger begründet. Verschwörungsbehauptungen und ominöse Vorhersagen kann heute jeder Trottel als Wahrheit im Internet verkaufen. Trotzdem glauben Viele daran. Das ist nicht zu verstehen.
@Joker
Glauben Sie, dass Sie künftig noch eine Lebensversicherung bekommen, wenn Sie nicht geimpft sind? Sanktionen für Impfunwillige sind äquivalent zu Boni für Geimpfte. Daran geht kein Weg vorbei.
Aus einem Interview, das Prof. Ludwig am 18.12.2020 gegeben hat:
Da ich als Vorsitzender der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft im Management-Board der EMA sitze, bin ich sehr zuversichtlich, dass sich die EMA von den Forderungen beziehungsweise dem Druck der Politiker, die meist nicht über genaue Kenntnisse der Zulassungsverfahren verfügen, nicht beeindrucken lässt. Sie werden die ihnen vorliegenden Unterlagen gründlich und mit Unterstützung externer Experten prüfen und jetzt rasch, vermutlich sogar noch vor Weihnachten, ihre Empfehlung hinsichtlich der Zulassung des BioNTech-Impfstoffs aussprechen.
Das stimmt nicht ganz mit der unterschwelligen Behauptung von Herrn Schleim überein.
@anton reutlinger
Versicherungsunternehmen beschäftigen, meines Wissens nach, viele Studierte, die sich mit Statistik ausgezeichnet auskennen und Wahrscheinlichkeitsrechnung aus dem Effeff beherrschen. Die sind es gewohnt, in ihre Angebote solche Risiken miteinzupreisen.
So verlieren auch nur wenige zurzeit abgeschlossene Policen ihre Gültigkeit, wenn andere Impfangebote nicht genutzt werden.
Nachdem die 3. und 4. Welle durch sind, dürfte sich der Angebotspreis für Risikolebensversicherungen schon deswegen kaum erhöhen, weil jüngere Jahrgänge speziell ja gar nicht extrem gefährdet sind. Und wenn sie sich doch erhöhen, dann für alle.
Ein durchschnittlich früheres Ableben, wenn monatliche Zahlungen ab einem bestimmten Datum garantiert sind, könnte die Preise für derartige Angebote sogar eher senken.
Boni für Ungeimpfte sind denkbar, aber wohl kaum (ethisch) gerechtfertigt.
@Joker
Statistik hin, Statistik her, die Versicherungen stellen Fragen zur Gesundheit und das machen sie sicher nicht nur aus statistischen Gründen. Außerdem ist es nur ein Beispiel für viele. Ein anderes Beispiel sind Reisen ins Ausland, wenn Länder Einreiseverbote für Ungeimpfte erlassen, bzw. Impfnachweise verlangen, was sehr wahrscheinlich kommen wird.
Ob man das als Sanktionen für Ungeimpfte bzw. Impfunwillige oder als Boni für Geimpfte bezeichnet, das dürfte praktisch ziemlich egal sein. Aber natürlich kann man auch eine akademisch-juristische Studie daraus machen.
@Balanus / 31.12.2020, 00:04 Uhr
»Ich versteh nicht, was Stephan für ein Problem hat mit der Wirksamkeit der Vakzine, insbesondere, warum er meint, um die Wirksamkeit des Impfstoffs ins rechte Licht zu rücken, wäre es hilfreich, die jeweiligen COVID-19-Fälle auf die Zahl der Studienteilnehmer zu beziehen.«
`Wirksamkeit’ ist in diesem Kontext ein relative Grösse, deren formale Definition Du ja nochmals repetiert hast. Eine einfache Frage von der Art, wie sie die meisten interessieren (und solche liegen Dir ja offenbar auch am Herzen), wäre dann doch: Was bedeutet diese Wirksamkeit des Vakzins konkret für das individuelle Infektionsrisiko im Alltag? Und wer so fragt, meint dabei eher ein absolutes Infektionsrisiko und nicht ein relatives, weiss aber womöglich nicht mal, dass da ein Unterschied zu beachten wäre. Wenn Du also auf solche Fragen sinnvoll etwas antworten willst, solltest Du meines Erachtens schon ein wenig mehr liefern als nur die Repetition einer akademischen Formel für Wirksamkeit.
Angesichts des fabelhaften Wertes von 95 Prozent meinen einige anscheinend, “Wenn ich geimpft bin, dann bin ich zu 95% geschützt. Dann kann mir so gut wie nix mehr passieren, also muss ich mich auch nicht mehr so strikt an diese lästigen Hygieneregeln halten.” Vor diesem Hintergrund werden mancherorts jetzt auch schon diverse Privilegien für Geimpfte gefordert. Was würdest Du solchen Kameraden entgegnen?
Zumindest für das Szenario der Studie lässt sich das absolute Infektionsrisiko für die Probanden ja bestimmen. Und das ist es, was Stephan da noch im Blick hat — ist das denn so falsch? Wenn dabei nur sehr kleine Zahlwerte herauskommen, dann ist das eben so — das ist schliesslich auch ein Ergebnis der Studie.
—
@anton reutlinger / 31.12.2020, 13:11 Uhr
Was der Herr Prof. Ludwig da schwatzt, ist doch dummes Zeug.
Gemessen an den gängigen Standards, nach denen noch kein Vakzin gegen SARS-CoV-1 oder MERS-CoV eine Zulassung erhalten hat, würden gewiss auch alle aktuellen SARS-CoV-2 Impfstoffe bei der Prüfung durchfallen. Das wäre dann allerdings politisch “absolut inakzeptabel”.
Was wäre denn wohl passiert, wenn — rein hypothetisch — die EMA nicht mitgespielt und die Zulassung verweigert oder auch nur zwecks gewissenhafter Prüfung auf unbestimmte Zeit verzögert hätte?
@Chrys 02.01. 10:21
„Gemessen an den gängigen Standards, nach denen noch kein Vakzin gegen SARS-CoV-1 oder MERS-CoV eine Zulassung erhalten hat, würden gewiss auch alle aktuellen SARS-CoV-2 Impfstoffe bei der Prüfung durchfallen. Das wäre dann allerdings politisch “absolut inakzeptabel”.“
In der Tat ist die Sicherheit der Covid19-Impfstoffe noch nicht bekannt, was eventuelle langfristige Nebenwirkungen betrifft. Deshalb erscheint es mir als unangemessen, eine Impfpflicht für Menschen einzuführen, die selbst nur ein geringes Risiko haben, im Falle einer Infektion schwer zu erkranken.
Bei den Risikogruppen sieht das wohl anders aus. Hier ist ganz akute Lebensgefahr für den Fall einer Infektion, und bei den derzeitigen Infektionsraten auch die Gefahr einer Infektion ziemlich relevant. Ich würde hier sogar eine Impfpflicht für über 70-Jährige nicht ablehnen.
Für eine Durchimpfung von 70% um eine Herdenimmunität zu erreichen werden vermutlich die Freiwilligen ausreichen, hier brauchen wir keine Impfpflicht, dann eher mehr Impfstoff und mehr Impfzentren, dass das schneller geht.
Aber nun gut, wir impfen jetzt sowieso erstmal die Risikogruppen, und werden in ein paar Monaten mehr über mögliche Nebenwirkungen wissen.
SARS-CoV-1 oder MERS-CoV waren eine Randerscheinung, und einen Impfstoff dafür braucht man nicht. Die Impfung gegen Covid19 ist ein Notfall, der auch eine Notfallzulassung der Impfstoffe rechtfertigt.
Hier wäre es sogar besser gewesen, man hätte sich noch mehr damit beeilt. Hätten wir die Massenproduktion und die Zulassung schon im Oktober gehabt, dann hätten wir jetzt das Schlimmste schon hinter uns. Die Risikogruppen wären zu 90% geschützt, und bei den aktuellen Infektionsraten hätten wir 10 mal weniger Todesfälle und entsprechend auch weniger schwer Erkrankte, und keine wesentliche Überlastung der Krankenhäuser.
Die Wiedereinführung eines ungestörten sozialen und wirtschaftlichen Lebens rechtfertigt meiner Ansicht eine Notfallzulassung, auch wenn eventuell noch Nebenwirkungen auftreten werden, die jetzt noch nicht bekannt sind. Der Preis dafür, noch Jahre mit der Zulassung zu warten, wäre zu hoch.
Chrys // 02.01.2021, 10:21 Uhr
» Angesichts des fabelhaften Wertes von 95 Prozent meinen einige anscheinend, “Wenn ich geimpft bin, dann bin ich zu 95% geschützt. Dann kann mir so gut wie nix mehr passieren, also muss ich mich auch nicht mehr so strikt an diese lästigen Hygieneregeln halten.” Vor diesem Hintergrund werden mancherorts jetzt auch schon diverse Privilegien für Geimpfte gefordert. Was würdest Du solchen Kameraden entgegnen? «
Bestimmt nicht etwas in der Form (à la Stephan):
Zu 95 Prozent geschützt klingt zwar viel, aber das Risiko einer Infektion beträgt eh nur 0,8 Prozent. Zumindest in der Studie war das so. Insofern kannst du die Hygieneregeln ohnehin locker nehmen.
Davon abgesehen: Was viele meinen, ist ja eher, dass in 10 bis 20 Fällen die Impfung eben nicht COVID-19 verhindert (COVID-19, wohlgemerkt, nicht eine Infektion).
So kommt das auch in der Pressemeldung des RWI (Gigerenzer und Co.) zum Ausdruck: Viele meinten nun, „der Impfstoff [wäre] bei 90 Prozent aller Menschen, die sich impfen lassen, wirksam“. Aber das könne mit „zu 90% wirksam“ nicht gemeint sein (dass dabei meist „Infektionen“ die Rede ist statt von COVID-19, lassen wir mal außen vor).
Mich verunsichert so eine Mitteilung schon etwas. Denn in der Tat interpretiere ich die ermittelte Wirksamkeit genau so: Nicht in allen Fällen kann die Impfung COVID-19 verhindern, jeder 10. bis 20. Geimpfte kann trotz Impfung erkranken.
Aber mag sein, dass ich hier einem Denkfehler unterliege. Wenn es um Wahrscheinlichkeiten geht, kann die Intuition schon mal trügen (man denke nur mal an das Ziegenproblem, das haben viele ja auch nicht auf die Reihe gekriegt).
»Wenn dabei nur sehr kleine Zahlwerte herauskommen, dann ist das eben so — das ist schliesslich auch ein Ergebnis der Studie.«
Mich irritiert Stephans Bewertung: „Das hört sich doch etwas bescheidener an.“ Denn auch in den kleinen Zahlenwerten steckt schließlich die 95-Prozent-Wirksamkeit der Vakzine, man muss nur nochmal entsprechend rechnen.
An @anton reutlinger gerichtet schreibst Du:
»Gemessen an den gängigen Standards, nach denen noch kein Vakzin gegen SARS-CoV-1 oder MERS-CoV eine Zulassung erhalten hat, würden gewiss auch alle aktuellen SARS-CoV-2 Impfstoffe bei der Prüfung durchfallen. «
Worauf beruhen Deine Kenntnisse zu den gescheiterten Zulassungsverfahren von SARS-CoV-1- und MERS-CoV-Impfstoffen? Ich habe da auf die Schnelle nichts dazu finden können.
@Balanus, Tobias Jeckenburger / Coronaviren und Impfstoffentwicklung
Dass überhaupt Covid-19 Impfstoffe in so kurzer Zeit präsentiert werden konnten, ist gewiss eine beachtliche Leistung, die allerdings auch nur durch die an Projekten zur Entwicklung von SARS und MERS Vakzinen geleistete Vorarbeit möglich war.
^ Vashishtha, V. M., & Kumar, P. (2020). Development of SARS-CoV-2 vaccines: challenges, risks, and the way forward. Hum Vaccin Immunother. PMID: 33270478, DOI: 10.1080/21645515.2020.1845524
Die Entwicklung eines neuen Impfstoffs (wogegen auch immer) ist offenbar ganz generell keine einfache Aufgabe — wenn man bedenkt, dass insgesamt nur ca. 6% solcher Projekte je zum erhofften Erfolg geführt haben.
Ob allfällige Impfstoff-Kandidaten für SARS resp. MERS bei der Zulassung durchgefallen sind oder ob dafür erst gar kein Antrag gestellt worden ist, weil die Entwickler das für aussichtslos und ihre Produkte für unzureichend ausgereift gehalten haben, sei mal dahingestellt.
@Chrys // 02.01.2021, 15:00 Uhr
» Ob allfällige Impfstoff-Kandidaten für SARS resp. MERS bei der Zulassung durchgefallen sind […], sei mal dahingestellt. «
Ah ja, so war das also gemeint mit „keine Zulassung erhalten“.
Ist doch klar, wenn der Pharmaproduzent feststellt, dass es an der Wirksamkeit mangelt und/oder an der Sicherheit hapert, dass also das Nutzen-Risiko-Verhältnis zu klein ist, dann wird er auch keine Zulassung beantragen.
Und wie man sieht, kann das Zulassungsverfahren von hinreichend wirksamen und relativ sicheren Arzneistoffen, wenn die Notlage es erfordert, extrem beschleunigt werden. Und zwar, ohne dass die Gesundheit der Menschen über Gebühr gefährdet würde.
@Chrys
Wobei, um die andere Darstellung aus diesem Grund zu bevorzugen, ja dann psychologisch sichergestellt sein sollte, dass, bei einem kommunizierten Erkrankungsrisiko von 0,8 %, bzw. 0,04 % (wie die Studien ergaben), alle derart Informierten, geimpft oder nicht, sich weiterhin strikt an die Hygieneregeln halten werden. Meinst Du, das wäre so?
Eventuell wäre es hilfreich, die ermittelten Zahlen für Laien besser vergleichbar zu machen, indem man sie in mittlerweile vertraute umrechnet. In der Placebo-Gruppe lag die durchschnittliche 7-Tages-Inzidenz / 100.000 Probanden bei 140, in der Verum-Gruppe bei 7.
Das erlaubt dann vielleicht sogar, Rückschlüsse darauf zu ziehen, welche Maßnahmen weiterhin aufrecht erhalten werden sollten. Dabei sollte man berücksichtigen, wie Stephan erwähnt hat, dass die Studien in Zeiten und Regionen durchgeführt wurden, in denen Lockdownbeschränkungen galten.
@Balanus / 02.01.2021, 15:35 Uhr
»Und wie man sieht, kann das Zulassungsverfahren von hinreichend wirksamen und relativ sicheren Arzneistoffen, wenn die Notlage es erfordert, extrem beschleunigt werden.«
Ganz zweifellos. Die Minderung der Standards ist eine todsichere Methode, um das zu erreichen.
In Russland und China ging das sogar alles noch viel schneller als in der lahmen EU. Daran sollte man sich mal ein Beispiel nehmen.
—
@Joker / 02.01.2021, 15:41 Uhr
Der Umstand, dass von interessierter Seite für Geimpfte bereits gewisse Privilegien gefordert worden sind, lässt doch erkennen, wie die Sache mit den 95 Prozent dort verstanden worden ist.
@ Chrys:
Das erinnert ein wenig an die Worte eines großen deutschen Aufklärers: “Ein Teil dieser Antworten könnte die Bevölkerung verunsichern”. 😉
@Chrys // 02.01.2021, 18:19 Uhr
»Die Minderung der Standards….«
Ein beschleunigtes Verfahren muss keineswegs einhergehen mit herabgesetzten Anforderungen an die Qualität der zulassungsrelevanten Daten.
Was denkst Du denn, was bei einer Arzneimittelzulassung üblicherweise so alles geprüft wird, und was eben im Falle des COVID-19-Impfstoffs nicht geprüft wurde? Oder nicht hinreichend genau?
@Chrys
Du meinst sowas: “wenn Länder Einreiseverbote für Ungeimpfte erlassen, bzw. Impfnachweise verlangen”? (@anton reutlinger)
Ja, die Gefahr besteht sicher, dass nun die weltweit bestehenden Reisebeschränkungen zuerst für die meisten Bewohner von Altenheimen und Seniorenstiften abgebaut werden (ein Vorteil der frühen Geburt) und für die zur Zeit viel beschäftigten Krankenpfleger und Ärztinnen. Da droht eine Neiddebatte.
Meine Frage aber war doch, ob sich das nur mit den 95 % Wirksamkeit des Impfstoffs begründen lässt, oder nicht sogar noch besser mit den nur 0,04 % Erkrankungsrisiko eines Geimpften, sagen wir z.B. im Verlauf einer sechswöchigen Amerikareise.
PS.
Funktioniert bei anderen die Vorschau ebenfalls nicht, wenn ein % im Text benutzt wird, oder ist das eine Spezialität meines Firefox-Browsers?
@Joker
»PS «
Endlich weiß ich, warum hin und wieder die Vorschau nicht funktioniert: Es ist tatsächlich das %-Zeichen!
Danke, danke, danke!!!
@Joker / 02.01.2021, 20:14 Uhr
Inzwischen wird schon unter Juristen lang und breit über Privilegien für Impflinge gestritten, vgl. Diskussion um Privilegien für Geimpfte.
Zum Prozent-Zeichen Problem: Mit der Codierung
%
statt%
bei der Eingabe funktioniert auch der Preview.@Balanus / 02.01.2021, 18:55 Uhr (hätte ich fast übersehen)
Meinen Link (25.12.2020, 12:51 Uhr) zu der im BMJ publizierten Opinion hattest Du nicht angeclickt?
Die beiden Autoren des Review Papers, Vashishtha & Kumar, haben da auch so ihre Bedenken, siehe hier. Und die vermitteln mir einen Eindruck von excellenter Kompetenz und vorbildlicher Sachlichkeit. Anderswo vermisst man gerade das in diesen Zeiten doch sehr häufig.
Zu den fehlenden Impfstoffen für SARS-CoV-1 und MERS gibt es doch einfache Erklärungen. Entgegen erster Befürchtungen kam es nicht zu einer weiteren Verbreitung. Das sorgt dafür, dass nur Wenige überhaupt nach einem Impfstoff forschen und das mit geringen finanziellen Mitteln. Und die, die forschen, haben das Problem, ihren Impfstoff-Kandidaten zu testen, ohne bzw. mit geringen Inzidenz lässt sich keine Wirkung nachweisen*. Das Problem hatte China ja übrigens auch bei SARS-CoV-2. Sie hatten im Land quasi keine Inzidenz und mussten daher in’s Ausland für ihre Tests.
Für SARS-CoV-2 ist die Situation genau gegensätzlich. Weite Verbreitung, hohe wirtschaftliche und soziale Schäden, also forschen Viele und mit Hochdruck, Finanzierung ist kein Problem und es ist genug Inzidenz für die Tests vorhanden.
Zur Frage, wie 0-Inzidenz erreicht werden kann, ist https://logbuch-netzpolitik.de/lnp374-ein-alter-weisser-mann-ist-passiert sehr interessant.
* Es sei denn, man möchte Menschen absichtlich und gezielt infizieren.
@Chrys // 03.01.2021, 00:49 Uhr
» Meinen Link (25.12.2020, 12:51 Uhr) zu der im BMJ publizierten Opinion hattest Du nicht angeclickt? «
Stimmt, hatte ich nicht (denn die Probleme sind ja weitgehend bekannt).
» Die beiden Autoren des Review Papers, Vashishtha & Kumar, haben da auch so ihre Bedenken, …«
Dass man Bedenken hatte und hat, ist verständlich.
Etwas anderes ist die Behauptung (oder konkrete Befürchtung, Annahme), die EMA (und damit implizit auch die FDA und alle anderen nationalen Zulassungsbehörden) hätten quasi ohne groß zu prüfen die Impfstoffe einfach durchgewinkt. Weil eben nicht genug Zeit (und Manpower) zur Verfügung gestanden hätte. Denn dafür gibt es meines Wissens keine Belege.
@Reutlinger: Unterschwelliges
Was Sie für “unterschwellige Behauptungen” in meinen Artikel hineininterpretieren, das verrät mehr über Ihr Denken als über meins.
Ich bleibe lieber oberschwellig.
@all: Unvernunft
Wir sind noch gar nicht aus der Pandemie, da philosophieren manche hier schon weitreichend über Ausgrenzung für Ungeimpfte in der nahen Zukunft. Nachdem in den letzten Jahren/Jahrzehnten so viel gegen Diskriminierungen verschiedener Art getan wurde, stehen einige bereit, Menschen aufgrund ihres Impfstatus zu diskriminieren – und zwar weitgehend aus dem gesellschaftlichen Leben auszuschließen! Das erschreckt mich schon ein wenig.
Zum heutigen Zeitpunkt (4.1.2021) lässt sich wohl sagen:
1. Die Impfstoffe sind vielversprechend; inwieweit sie aber die Pandemie beenden werden, ist noch gar nicht klar. Neben Fragen der Versorgung ist noch offen, wie groß der Schutz in der Praxis ist, nicht nur in vorläufigen Studien, und inwiefern sie auch gegen neue Mutationen schützen.
2. Für Deutschland haben CDU und SPD schon signalisiert, dass man Menschen nicht nach dem Impfstatus unterscheiden will und womöglich gar ein Verbot solcher Regelungen für die Privatwirtschaft beschließen wird. Es ist doch auch so, dass viele jetzt warten, während nun die gefährdetsten Gruppen zuerst geimpft werden. Es wäre wohl nicht vermittelbar, einen Großteil der Bevölkerung dafür aus der Gesellschaft auszuschließen (also zu bestrafen), dass sie sich an die Regeln halten und warten.
3. Unter dieser Unsicherheit und weil man auch noch nicht weiß, ob die Impfung nur die Symptome für die Geimpften reduziert oder auch die Ansteckung Anderer, werden wir wohl noch bis in den Frühling, womöglich gar bis in den Sommer mit schweren Einschränkungen leben müssen. Für diese Zeit wäre es hilfreich, nicht nur immer mehr Angst zu verbreiten, sondern auch Hoffnung. Ich halte es insbesondere für eine verpasste Chance, Menschen nicht intensiver darüber zu informieren, was sie für ihr Immunsystem tun können.
@Balanus, Chrys: EMA
Aspekte des Zulassungsverfahrens, die sich beschleunigen lassen, wurden beschleunigt; darum ging es nun viel schneller als sonst (Monate anstatt Jahre). Andere Aspekte brauchen aber auch schlicht Zeit und/oder Daten zur gesellschaftlichen Anwendungen im großen Stil; bis wir hierauf Antworten bekommen, wird es wohl noch einige Monate dauern.
P.S. Meines Wissens hat hier niemand insinuiert, die EMA habe nicht sorgfältig gearbeitet. Es ging um die Frage nach Druck aus der Politik, zu dem es konkrete Stellungenahmen in den Medien gab.
@Balanus / 03.01.2021, 14:18 Uhr
»Dass man Bedenken hatte und hat, ist verständlich.«
Verständlich auch dann, wenn Stephan die Bedenken vorbringt? Das wäre ja so was wie ein Fortschritt, den er Dir womöglich gar nicht zugetraut hätte.
Zu korrigieren hätte ich mich wohl noch in diesem Punkt: Nicht die EMA erteilt eine Zulassung, sondern die EU Kommission. Die EMA kann da nur eine Empfehlung aussprechen, das hatte ich falsch formuliert.
Hätte sich die EMA mit der Empfehlung geziert, dann wäre trotzdem geimpft worden, jeweils per nationaler Notfallzulassung. Für einen solchen Fall hat die EU jedoch keine Regeln geschaffen, nach denen sich dann überhaupt noch irgendwas mit Hinblick auf das weitere Impfgeschehen in der EU hätte koordinieren lassen. Nicht mal eine zentrale und einheitlich organisierte Datenerfassung zu den Impfungen wäre dann EU-weit geregelt gewesen.
Gewisse Unklarheiten scheinen mir noch hinsichtlich der Haftungsfrage zu bestehen. Richtig ist wohl, dass bei einer Notfallzulassung der Hersteller grundsätzlich von der Haftung ausgenommen ist, falls mit dem Impfstoff etwas schiefgeht. Was im Umkehrschluss jedoch nicht bedeutet, dass andernfalls das Risiko beim Impfstoff-Hersteller liegt, wie Stephan es angedeutet hatte. Beispielsweise ist für Deutschland die Haftungsfrage durch §60 IfSG geregelt, und demnach wären im Falle eines Falles der Bund oder die Bundesländer in der rechtlichen Verantwortung, da die Covid-19 Impfung öffentlich empfohlen worden ist.
@Chrys // 04.01.2021, 12:14 Uhr
» Verständlich auch dann, wenn Stephan die Bedenken vorbringt? «
Im hier diskutierten Fall ging es um Deine Zweifel am Zulassungsverfahren aufgrund eines vermeintlichen politischen Drucks (approvement, „whatever it takes“).
Davon abgesehen habe ich kein Problem damit, Stephans Bedenken zu teilen, wenn sie mir angebracht und begründet erscheinen. Skepsis halte ich für eine wissenschaftliche Tugend.
@Chrys: Zur Haftung informiert die Europäische Kommission hier:
Wenn davon abgesehen hier ein deutsches Gesetz von einer Haftung des Staats spricht, dann ist das um so besser für die Pharmaunternehmen. Der Gesetzestext ist aber lang und kompliziert und es bleibt die Frage, wie weit die Haftung nach Bundesversorgungsgesetz im Einzelfall geht. Eventuell blieben für darüber hinausgehende Schäden die Unternehmen verantwortlich.
@Chrys: P.S. Genehmigungsverfahren
Diese Arbeitsteilung ist dort üblich, wo einem Expertengremium formal die Entscheidungskompetenz und dem Entscheidungsgremium inhaltlich die Sachkenntnis fehlt.
An den Universitäten ist das übrigens auch so, dass beispielsweise nur der Dekan eine Stelle vergeben bzw. eine Beförderung/Ernennung aussprechen kann, das aber in aller Regel auf Grundlage einer fachlichen Empfehlung eines Gremiums macht. Formal muss die entscheidende Stelle wahrscheinlich kontrollieren, ob das Beratungsgremium die Richtlinien richtig angewandt hat.
@Stephan / Zulassungsfragen
Ja, das mit der “EMA Zulassung” war einfach meine sprachliche Schlampigkeit. Die Frage wäre dann noch: Hätte die EU Kommission auch ohne eine Empfehlung der EMA die Zulassung erteilen können? (Ist bestimmt auch irgendwo geregelt, nur weiss ich nicht wo.)
Ganz ohne die Zulassung wäre jedenfalls ein irreparabler Flurschaden für das Covid-19 Krisenmanagement der EU entstanden, der unbedingt zu vermeiden war. Die EU ist mit ihren Regeln und Bestimmungen einfach nicht auf den Fall vorbereitet, dass die einzelnen EU Staaten alle unkoordiniert mit Notfallzulassungen impfen, und genau dieser Fall wäre dann zwangsläufig eingetreten. Die Massenimpfung ist derzeit die einzige Hoffnung der Politik auf einen Ausweg aus der fatalen Lockdown-Falle — das ist für Politiker aktuell tatsächlich “alternativlos”.
@Chrys: EU-Kompetenz
Ich schätze, dass die politischen Entscheidungsträger im Notfall ihren Handlungsspielraum haben. Notfallzulassungen auf nationaler Ebene wären wahrscheinlich auch nicht das Ende der Welt (oder auch nur Europas) gewesen.
Hier könnte man nun freilich die Organisation der EU oder Aspekte der repräsentativen Demokratie tiefer diskutieren. Aber in der Praxis muss man eben auch hier und da Kompromisse eingehen. Eine Zulassung per Volksentscheid wäre inhaltlich wohl nicht sinnvoller gewesen?!
Anders als es mancher Leser verstanden zu haben scheint, vertraue ich ja generell der Arbeit der Zulassungsbehörden (außer vielleicht im Bereich Verkehr, wo man scheinbar den jahrelangen Betrug der Autohersteller ignorierte).
Haftung: Man muss die Haftung für ein Problem mit dem Impfstoff von der Entschädigung für Impfschäden, wie sie bei jedem Impfstoff auftreten können, unterscheiden. In Deutschland regelt das IfSG Letzteres für öffentlich empfohlene Impfungen.
Für Ersteres gilt bei der bedingten Zulassung der Grundsatz der Herstellerhaftung. Es sei denn, vertraglich ist etwas anderes vereinbart.
@Kuhn: Haftung
Ich kann Ihre Unterscheidung nicht nachvollziehen und finde diese auch nicht im Gesetz, siehe § 60 IfSG.
@ Stephan Schleim:
§ 60 IfSG regelt nicht den Zusammenhang von Zulassung und Produkthaftung, sondern die Folgen von öffentlich empfohlenen (oder vorgeschriebenen) Impfungen.
Bei der Produkthaftung geht es um Fehler des Impfstoffs, hier ist das Produkthaftungsrecht einschlägig, es sind Verschuldensfragen zu klären, Näheres mögen Juristen erläutern.
@Joseph Kuhn (cc @Stephan) / 05.01.2021, 06:49 Uhr
Die Unterscheidung ist schon einsichtig: Sollte der Hersteller ein fehlerhaftes (e.g. bei der Herstellung verunreinigtes) Produkt ausliefern, dann wäre das ein Fall für die Produkthaftung. Sollte eine Verunreinigung jedoch etwa erst in Zuge der Verabreichung des (einwandfreien) Impfstoffs geschehen, kann der Hersteller auch nicht für allfällige Folgen zur Verantwortung gezogen werden. Und ohnehin nicht, falls bei jemandem durch individuelle Unverträglichkeit bedingte und zuvor nicht absehbare Gesundheitsprobleme durch die (öffentlich empfohlene) Impfung auftreten — das würde eindeutig unter §60 IfSG fallen.
Und wenn ich es recht verstanden habe, wäre bei einer Notfallzulassung der Hersteller auch im erstgenannten Beispielfall von der Haftung grundsätzlich ausgenommen?
@Chrys: Das mit den Verunreinigungen…
…verstehe ich in diesem Kontext nicht: Da dürften doch allgemeine Regeln zur (fahrlässigen, grob fahrlässigen oder vorsätzlichen) Verletzung von Sicherheitsregeln gelten.
Bei den Impfungen geht es doch insbesondere um Gesundheitsschäden (Nebenwirkungen) durch den Impfstoff selbst.
@ Chrys:
Ja, bei einer Notfallzulassung kann die Produkthaftung eingeschränkt oder aufgehoben sein. Auf EU-Ebene gibt es allerdings keine Notfallzulassung (nur auf nationaler Ebene). Aber wie gesagt, das sollten eigentlich Juristen kommentieren, ich bin da kein Fachmann.
@Stephan / 05.01.2021, 17:14 Uhr
And what about Murphy’s Law?
Bei der Produktion eines Impfstoffs ist es immer vorstellbar, dass hier ein Fehler passiert und ein mängelbehaftetes Produkt ausgeliefert wird, wodurch nachfolgend jemand zu Schaden kommt. Für solche Fälle braucht es eine juristisch geregelte Produkthaftung. Was zu unterscheiden wäre von Gesundheitsschäden (Nebenwirkungen), die theoretisch auch bei einem fehlerfrei produzierten Impfstoff auftreten können, der sich seit vielen Jahren insgesant bewährt hat. Mir leuchtet der Hinweis von Joseph Kuhn auf so einen Unterschied schon ein.
@ Chrys:
Wobei ich weder beurteilen kann, was diese Unterscheidung für die Regulierung konkreter Impfschadensereignisse bedeutet, also wie Produkthaftungsrecht (Europ. Produkthaftungsrichtlinie 85/374/EWG, AMG, ProdHG, BGB etc.) und IfSG zusammenspielen, noch welche Feinheiten es bei der Produkthaftung gibt. Da sind, um es noch einmal zu wiederholen, arzneimittelrechtlich versiertere Zeitgenossen als ich gefragt. 😉
@Joseph Kuhn / 06.01.2021, 08:44 Uhr
Der Hinweis war durchaus insofern wichtig, als er uns zumindest andeutet, dass die juristischen Aspekte der Angelegenheit etwas diffizil sind. Auch wenn wir das alles hier nicht detailliert werden klären können.
Im übrigen habe ich das auch so verstanden, dass eine Notfallzulasung durch die EU gesetzlich nicht vorgesehen ist, das ginge nur jeweils auf nationaler Ebene. Der Vorteil der (befristeten) Zulassung durch die EU Kommission liegt meines Erachtens vorrangig darin, dass die EMA damit eine geregelte Handhabe hat, um in allen 27 EU Staaten koordiniert Daten zum weiteren Geschehen zu sammeln, um dann zu gegebener Zait auf dieser solideren Grundlage eine erneute Bewertung vorzunehmen. Diese Möglichkeit hätte ohne die Zulassung in dieser Form nicht bestanden, weil dieser Fall im EU Recht nicht berücksichtigt ist.
Chrys: Haftung
Das gilt aber doch für alle Produkte, auch aus dem nicht-medizinischen Bereich: Auch für ein neues Fahrrad oder ein Küchengerät gibt es Gewährleistungs- und Haftungsregeln, dabei sorgen die Qualitätsstandards dafür, dass erfreulich selten z.B. eine neue Waschmaschine das Haus niederbrennt. Falls es doch passiert, wird man untersuchen müssen, an welcher Stelle das Problem entstand und wer dafür verantwortlich gemacht werden kann: Dabei spielen, wie gesagt, (u.U. grobe) Fahrlässigkeit und Vorsatz eine Rolle.
@ Stephan Schleim:
Kann es sein, dass Sie gerade ihre eigene Argumentation kannibalisieren? Produkthaftung gibt es auch bei Fahrrädern, einen Entschädigungsanspruch gegen den Staat für einen Fahrradunfall dagegen nicht.
Die Entschädigung nach IfSG soll einen Ausgleich sicherstellen, wenn jemand einen Schaden dadurch erleidet, dass er der öffentlichen Impfempfehlung oder ggf. der Verpflichtung gefolgt ist. Konstitutiv für die öffentliche Impfempfehlung ist das “öffentliche Interesse”, siehe (im Falle eines privaten Interesses): https://scienceblogs.de/gesundheits-check/2013/05/19/impfpflicht-impfempfehlung-impfangebot-und-offentliches-interesse/
Mit anderen Worten: Wer sich im öffentlichen Interesse impfen lässt, hat einen sog. “Aufopferungsanspruch” im Schadensfall, der wird nach IfSG entschädigt.
Ceterum censeo: Ich bin kein Jurist.
@Kuhn: Fahrlässigkeit
Es ging bei Chrys doch um Verunreinigungen. Dass will ich sehen, dass die Bundesregierung Schäden für die Fahrlässigkeit von Pharmaunternehmen übernimmt. Womöglich spielt hier noch der Unterschied zwischen “normaler” und grober Fahrlässigkeit eine Rolle.
@Stephan / 07.01.2021, 18:18 Uhr
Verunreinigung hatte ich nur exempli gratia für ein fehlerhaftes Produkt genannt — wesentlich ist für die Erörterung nur, dass das Produkt mit irgendwelchen Mänglen produziert und ausgeliefert worden wäre.
Bei einer Notfallzulassung des Impfstoffs wäre, soweit mir erkennbar, der Hersteller von der Haftung für allfällige Schäden infolge einer Impfung jedoch grundsätzlich (komplett oder zumindest partiell) ausgenommen. Das Risiko liegt in diesem Fall beim Anwender, der Hersteller garantiert hier gar nichts.
@Chrys: “fehlerhafte Produkte” sind halt ein schlechtes Beispiel, wenn man die Folgen einer für eine Person unverträglichen Impfung diskutiert