Ehrlichkeit im wissenschaftlichen Publizieren

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Mensch, Gesellschaft und Wissenschaft
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Ehrlichkeit ist für die Wissenschaft unerlässlich. Angesichts der stärkeren Fokussierung auf messbare Erfolge diskutiere ich die Frage, ob die verbreitete Veröffentlichungspraxis zur Ehrlichkeit beiträgt.

Vor einigen Jahren hatte ich die Freude, einen weltweit bekannten Hirnforscher persönlich kennenzulernen. Einen Wissenschaftler an einer der Top-10-Universitäten, der es so weit gebracht hatte, dass es kaum noch weiter geht; und obendrein noch ein äußerst freundlicher und zuvorkommender Mensch. Ich weiß noch, wie ich mit ihm eine seiner Arbeiten diskutierte, die natürlich in einer der Top-Zeitschriften publiziert worden war. Wieso sie ausgerechnet diese Erklärung der Daten gewählt hätten und keine andere, die mir logischer erschien, fragte ich ihn damals.

Seine Antwort hatte auf mich nachhaltigen Eindruck: Er würde das auch eher so sehen wie ich, doch ein Reviewer habe diese Interpretation partout nicht zugelassen. Nebenbei habe der sich auch darüber beschwert, in der Arbeit werde einer bestimmten Literatur – wahrscheinlich seiner eigenen – in den Zitaten nicht genügend Rechnung getragen. So hätten die Forscher die Veröffentlichung am Ende an des Reviewers Wünsche angepasst, um keine Ablehnung zu riskieren. Mein Gedanke war damals, wenn selbst dieser führende Experte nicht das schreiben kann, was er will, wer kann es dann überhaupt?

Natürlich erfüllt das peer review, die (meist einseitig anonyme) wissenschaftliche Kontrolle von Kollegen, eine wichtige Funktion. Andere Wissenschaftler sollen dafür bürgen, dass eine Arbeit methodisch korrekt ist und dem Stand der Forschung entspricht. Kontrolle hat aber immer auch eine Kehrseite, nämlich dann, wenn sie missbraucht wird, um eine unliebsame oder dem Mainstream widersprechende Meinung abzulehnen. Natürlich mögen das Einzelfälle sein; aber das Beispiel zeigt doch, dass auch wissenschaftliche Entscheidungen letztlich von Menschen gemacht werden und ihnen deshalb auch gänzlich unwissenschaftliche Einflüsse unterliegen können.

Von vielen wird erwartet, ihre Ergebnisse in einer möglichst ansprechenden Form darzustellen, um sie möglichst gut zu publizieren. Teilweise werden schon manche Doktoranden mit dem Anspruch konfrontiert, in den Top-Zeitschriften zu veröffentlichen, um den Wünschen von Betreuern gerecht zu werden. Da kann es schnell passieren, dass man sich als wissenschaftlicher Anfänger überfordert fühlt. Vielleicht bietet es sich dann an, zumindest den Anschein zu erwecken, als hätte man mehr erreicht?

Den Vorgang aus einem Ergebnis mehr zu machen, als es eigentlich ist, nennt man overstatement. Natürlich gibt es keine deutliche Regel dafür, wie sehr man seine Daten interpretieren darf, wie sehr man den möglichen wissenschaftlichen oder praktischen Nutzen seiner Resultate hervorheben soll, wann die Selbstoptimierung zur Täuschung wird.

„Sünden“ wissenschaftlichen Publizierens

Overstatement oder overselling hat der Ko-Blogger Neuroskeptic in eine Liste der neun Höllenkreise der Wissenschaft aufgenommen, in seine Aufzählung verbreiteter „Sünden“ des wissenschaftlichen Publizierens. Andere Beispiele sind das fischen nach signifikanten P-Werten. Wenn eine Methode nicht das gewünschte Ergebnis bringt, dann wird es mit allen anderen probiert in der Hoffnung, dass schon ein positives Ergebnis dabei sein wird. Natürlich wird am Ende nur der gelungene, nicht die vielen gescheiterten Versuche erwähnt. Andere „Sünden“ sind Plagiate, die Nicht-Veröffentlichung oder nur teilweise Veröffentlichung von Daten.

Der Artikel ist zynisch und scherzhaft zugleich. Eine Grafik und die Erläuterungen erklären, welche Strafe in der wissenschaftlichen Hölle auf die „Sünder“ wartet. Wer beispielsweise „kreativ“ mit unerwarteten Daten umgegangen sei und diese aus der Auswertung entfernt habe, dem würden Dämonen die Haare einzeln ausrupfen. Begründung: Mit jedem einzelnen Haar sei etwas falsch und eigentlich sei man ohne es viel besser dran. Meine erfahrenen Reaktionen auf den Beitrag in Gesprächen mit anderen Wissenschaftlern waren zwiespältig.

Viele wissen, dass im Wettkampf um die besten Publikationen und damit Stellen ein großer Druck herrscht: publish or perish, veröffentlich oder gehe unter; und gegen viele Probleme kann man als Gutachter nichts machen. Da man nur das fertige Produkt sieht, kann man nicht unterscheiden, ob das nun wirklich der geradlinige Weg von den Daten zum Ergebnis war oder wie viele Kurven und Umwege es gegeben hat. Natürlich kommen nur konsistente und überzeugende Papers überhaupt für eine Publikation infrage.

Der Weg so wichtig wie das Ziel

Theoretisch gibt es also Wege, wie sich Ergebnisse beschönigen, selektieren oder gar erfinden lassen, ohne dass dies auffällt. Wer einfach alle Daten ausschließt, die seiner Erwartung widersprechen, der wird nach einiger Zeit allein schon aufgrund statistischen Rauschens das gewünschte Ergebnis erhalten. Daher ist es wichtig, in einer Forschergemeinschaft zu sein, in der nicht nur Vertrauen untereinander besteht, sondern auch ein Maß an Kontrolle – und dadurch ehrliche Arbeit gefordert und belohnt wird. Für das Vertrauen halte ich aber auch für wichtig, dass der Weg (die Forschungsarbeit) als mindestens genauso wichtig angesehen wird wie das Ziel (die Publikation); und dass eben nicht alle Mittel, alle Wege für ein bestimmtes Ziel akzeptiert werden. Nur dann ist auch wirklich „Doktor“ drin, wo „Doktor“ draufsteht.

Der Skandal um den Harvard-Professor Marc Hauser stellte Insiderberichten zufolge ein Beispiel dafür dar, dass man sich auch in einem ganz anderen Umfeld befinden kann; dass das Ergebnis schon vor einem Experiment feststehen und dann sogar gegen Widerstände aufrechterhalten werden kann, wenn die Daten in eine andere Richtung deuten. In diesem Fall war es überhaupt nur auf Ehrlichkeit Wert legenden Doktoranden und Assistenten zu verdanken, dass die Sache an die Öffentlichkeit kam. Dass selbst mutmaßlich erfundene Publikationen so lange in der wissenschaftlichen Literatur überleben, liegt auch daran, dass nur selten Studien repliziert werden. Zu groß ist der Druck auf den Einzelnen, stets mit neuen Ideen aufzuwarten.

Übrigens meldeten sich auch in der Causa Hauser Stimmen, die das mutmaßliche Fehlverhalten mit Blick auf das äußerst erfolgreiche Gesamtbild des Forschers relativierten. Dabei wird meines Erachtens aber unterschätzt, dass Schummeleien auch als Steigbügel auf dem Weg zum Erfolg dienen. Wie viele folgende Ehrungen und Möglichkeiten basierten auf den umstrittenen Werken? Wie viel politisches Gewicht hatte ein auf Plagiaten beruhender Doktor auf dem Weg nach oben? Die Unterscheidung zwischen Mensch oder Politiker und Wissenschaftler finde ich nicht überzeugend. Jemand, der die Arbeit eines anderen als die eigene ausgibt, der schreckt vielleicht auch vor anderen Unwahrheiten und Regelbrüchen nicht zurück.

Ich halte es auch für psychisch gefährlich, so eine Trennung durchzusetzen. Damit wird eine Art Persilschein dafür ausgestellt, sich auf dem Weg nach oben anderer zu bedienen. Mit etwas Glück wird man es schon so weit gebracht haben, dass man als unantastbar oder unverzichtbar gilt, wenn der Bluff auffliegt. Wie ich dann meinen Studenten noch beibringen soll, nicht ohne Quellenangabe von anderen zu kopieren, nicht den Ghostwriter die Abschlussarbeit schreiben zu lassen, das ist mir ein Rätsel. Alles „lästige Fußnoten“? Angesichts des nachsichtigen Umgangs mit der Copy-and-Paste-Affäre fühle ich mich zu der zynischen Abschlussbemerkung geneigt, dass ein Volk auch diejenigen Politiker bekommt, die es verdient hat.

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7 Kommentare

  1. @Stephan: unterbestimmt

    “Mein Gedanke war damals, wenn selbst dieser führende Experte nicht das schreiben kann, was er will, wer kann es dann überhaupt?”

    Es würde mir enorm helfen, zu wissen, warum der Reviewer eine bestimme Erklärung nicht wollte? War es Willkür? Hatte er Gründe?

    Ansonsten ist es normal, daß man seinen Schreibstil und Aufbau des papers der Zielgruppe der Zeitschrift anpaßt. Und darin sehe ich auch keinen Verlust für die Wissenschaft.

  2. Wissenschaft = Technik (plus Rhetorik)

    @alle

    Guttenberg ist einfach zu gut für diese Welt!

    Diese furchtbar eingebildete Wissenschaftsmafia (Schavan, Lepsius, etc.) hat ihn letztlich zu Fall gebracht!

    Bücher sind sowieso Sch… (ausser Facebook und Fuckbook, natürlich), denn die liest eh kein Schwein.

    Dabei gibt es keine Wissenschaft — es gibt nur Technik und Technologie (s. Mutti bei CEBIT). Alles darüber ist eh nur Rhetorik!

    Und Guttenberg ist ein perfekter Rhetoriker mit einem perfekten hypersozialen Primatenhirn — das ganze geBILDete Volk spürt das!

    Und das Volk braucht charismatische Führer mit einer hypersozialen Intelligenz!!!!

    Darum: Guttenberg for Kanzler!!!!!

    Guttenberg will be back!!

  3. @ Elmar: Bevormundung

    Es ging nicht ums Anpassen von Schreibstil und Aufbau, sondern um die Auswahl einer Interpretation von Daten. Nun ist es bekannt, dass immer mehrere Möglichkeiten bestehen, auch wenn diese natürlich nicht immmer gleich plausibel sind.

    In dem vorliegenden Fall hatten zumindest der Seniorautor und ich die Meinung, dass eine andere Interpretation besser zu den Daten passte; eine Interpretation, die der Reviewer eben partout nicht akzeptierte. In diesem Kontext war deutlich, dass er auf einer Interpretation bestand, die eher zu seiner eigenen Theorie passte. Daher auch das Einfordern von Zitaten auf die mutmaßlich eigene Arbeit.

    Natürlich lässt sich hier nichts beweisen; der Peer-review-Prozess findet eben bei den meisten Journals im Halbdunkel statt. Aber wer kennt ihn nicht, den Typ des gekränkten Professors, der sich durch unzureichende Verweise auf seine Arbeit gekränkt fühlt? Darüber werden unter Mitarbeitern doch sogar Witze gemacht. Dass so jemand in einer entsprechenden Laune mal ein Paper reviewt, das ist doch eigentlich nicht so überraschend.

    Für mich war damals eben überraschend — und so habe ich es ja auch beschrieben –, dass selbst dieser Experte auf diesem Gebiet letztlich seine Interpretation aufgegeben hat, um die Publikation in einem der Top-Journals nicht zu riskieren.

  4. @Stephan Schleim:

    Für mich war damals eben überraschend — und so habe ich es ja auch beschrieben –, dass selbst dieser Experte auf diesem Gebiet letztlich seine Interpretation aufgegeben hat, um die Publikation in einem der Top-Journals nicht zu riskieren.

    Kein Mensch ist ohne Fehler und Schwächen. Hat sich denn inzwischen herausgestellt, welche “Interpretation” der Daten besser ins Gesamtbild der wissenschaftlichen Erkenntnisse passt?

  5. Aufgabe eigener Prinzipien für Karriere?

    Ein sehr gelungener Beitrag, der die Lage, besonders im naturwissenschaftlichen Bereich sehr gut beschreibt. Gutachter diktieren, was richtig ist und was nicht. Es gibt häufig einen Trend zu gewissen Interpretationen. Passen die eigene Ergebnisse nicht oder beweisen gar etwas anderes, dann wird ihre Veröffentlichung blockiert. Der (teils sinnfreie) Veröffentlichungsdruck auf Wissenschaftler führt dann dazu, dass sie ihre Interpretation anpassen oder gar aufgeben, unpassende Daten zu veröffentlichen. Für Doktoranden kann das besonders schwierig sein, da Wissenschaftler dann verweigern, die Daten zu veröffentlichen, weil sie nicht ins Bild passen. Dies führt zu einer ernsthaften Sinnkrise für den Doktoranden, der die Daten mit viel Mühe und Sorgfalt erhoben hat. Auch Löschen von Daten (sog. Ausreißer) ist gängige Praxis, vor allem bei älteren Wissenschaftlern, welche diese Praxis dann nach “unten” weitergeben. Eine klare Vorgabe des Insituts, wie mit Daten zu verfahren ist, ist hier unerlässlich. Oder man müsste wenigstens genauestens dokumentieren, auch in der Publikation, wie die Daten ausgewählt wurden, was natürlich zu Fragen führen würde. Ebenfalls wird niemals der Weg beschrieben, über den man zu einer Erkenntnis gelangt. Es wird nachträglich eine Geschichte zusammengebaut, die suggeriert, das man genau das raus finden wollte. Als junger Mensch, der irgendwann mal eigenständiges Denken gelernt hat verliert man immer mehr das Vertrauen in die Ehrlichkeit der Wissenschaft. Man wird zur Marionette einiger weniger und muss mögliche Zweifel für sich behalten, sonst defarmiert man seine Vorgesetzten und schadet sich selbst, da man abhängig von ihnen ist. Es gibt kaum Chancen, aus diesem Kreislauf auszbrechen. Leider bleiben in diesem System vor allem solche, die bereit sind sich anzupassen (Gründe sind vielfältig z.B braucht man das Einkommen). Die nach außen präsentierten Prinzipien wissenschaftlichen Arbeitens und der Selbstkontrolle durch Gutachter und “peer review” sind ein Farce. Es existiert eine hierarchiche Struktur, in der Machtspielchen und Ausbeutung der Mitarbeiter an der Tagesordnung sind. Eigenständiges Denken ist unerwünscht, opportunistisches Verhalten vorteilhaft. Wirkliche Wissenserweiterung kann so nicht stattfinden und jeder, der der mal Spaß an Wissenschaft hatte sucht zwangsläufig das Weite oder resigniert (“innere Kündigung”).

  6. Dann ist er steuerbar

    “Jemand, der die Arbeit eines anderen als die eigene ausgibt, der schreckt vielleicht auch vor anderen Unwahrheiten und Regelbrüchen nicht zurück. “

    Den Aspekt, dass ein Fehlverhalten wie dieses durchaus schon immer bekannt gewesen sein kann, jedoch nur in bestimmten Kreisen, und dann auch einfach nur als Druckmittel verwendet werden kann hat bisher noch keiner betrachtet – in allen diesen vielen Artikeln zum Thema. Es liegt durchaus im Rahmen der Möglichkeiten, dass Nachrichtendienste gute Arbeit bei der Sammlung brisanter Informationen leisten. Auch eine Schwiegermutter kann so ihren Interessen Nachdruck verleihen 🙂

    Wollt ich nur mal anmerken, in der Hoffnung, dass sich mehrere Menschen mit diesem Gedanken befassen.

  7. Lesenswert

    Betrug, Machenschaften und Ausgrenzungen, mit denen Wissenschaftler den Fortschritt der Wissenschaft verhindern, werden anschaulich vom Wissenschaftshistoriker Federico Di Trocchio in seinem Buch “Newtons Koffer” beschrieben.

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