Ehrlichkeit im Internetzeitalter: 2.000 Euro zurückgebracht, 34.000 bekommen

Obdachloser Flaschensammler ging mit gefundenem Portemonnaie zur Polizei. Dank einer Spendenaktion wurde er selbst nun reich belohnt

“Es gibt noch ehrliche Menschen”, mögen manche bei diesem Ereignis denken, das wie aus einem Weihnachtsmärchen klingt: Letzten Sonntag fand der 33-jährige Obdachlose Hadjer el Ali beim Flaschensammeln in einem Zug am Amsterdamer Hauptbahnhof ein Portemonnaie. Darin waren fast 2.000 Euro. Trotzdem ging der Mann mit seinem Fund zu einer nahe gelegenen Polizeistation.

Die Polizeibeamten bedachten den Finder mit einer Auszeichnung, einem “silbernen Daumen”, sowie einem Gutschein über 50 Euro. Und mit einem Instagram-Post. Letzterer erwies sich für el Ali als Glücksfall:

Denn der mysteriöse Instagram-Account “CESTMOCRO”, der seit 2017 Kurzzusammenfassungen von offiziellen Nachrichtenseiten verbreitet, startete daraufhin eine Spendenaktion für den Obdachlosen. CESTMOCRO hat über eine Million Follower und ist damit einer der populärsten Nachrichtenkanäle auf Social Media Belgiens und der Niederlande. Wer hinter dem Account steckt, ist bis heute unbekannt.

Innerhalb nur eines Tages lieferte die (inzwischen gestoppte) Aktion satte 34.000 Euro für el Ali. Eine heutige Nachricht, in der auch der Empfänger zu Wort kommt, erhielt in nur wenigen Stunden ebenso viele Likes. Demnach bewegte die Geschichte von der besonderen Ehrlichkeit viele Mitmenschen, wird der Mann auf der Straße gegrüßt und bekommt er weitere Geschenke.

Ein normales Leben

El Ali ist Vater von zwei kleinen Kindern und lebt seit gut eineinhalb Jahren auf der Straße. Mit dem Geld will er jetzt eine Wohnung mieten. Auf seine Frage, ob jemand vielleicht eine Arbeitsstelle für ihn hat, soll er schon mehrere positive Reaktionen bekommen haben. In seinen Worten:

“Dadurch wird mein Leben besser, ich kann wieder in eine Zukunft investieren. Ich glaube immer, dass aus einer guten Tat etwas Gutes entsteht, so gehe ich an das Leben heran. Aber das hätte ich mir nie vorstellen können.”

Hadjer el Ali auf Instagram

Noch eine Pointe: In dem Portemonnaie befanden sich keine Personalien. Wenn sich der rechtmäßige Besitzer nicht innerhalb eines Jahres bei der Polizei meldet, bekommt der ehrliche Finder auch noch die 2.000 Euro dazu.

Doch wer trägt in dem Land, in dem so gut wie alles mit der Girokarte bezahlt wird und viele Läden schon gar kein Bargeld mehr annehmen, noch solche Beträge mit sich herum? Und dann auch noch ohne Ausweispapiere. Möglicherweise handelt es sich um jemanden aus dem Drogenmilieu.

Schicksal der Obdachlosen

Vielleicht macht das Sommermärchen auf das Schicksal der Menschen am Rande der Gesellschaft aufmerksam, die weniger Glück haben. Die Anzahl der (statistisch erfassten) obdachlosen Erwachsenen ist in den Niederlanden zuletzt nämlich innerhalb nur eines Jahres um ganze 15 Prozent auf 30.600 gestiegen. Gleichzeitig nahm auch der Anteil junger Menschen und der Frauen zu.

Das Leben auf der Straße ist hart und gefährlich. In Zeiten knapper Kassen werden die Hilfsangebote seltener. Und bürokratische Hürden machen es nicht leichter: Ohne Wohnsitz kein Konto – ohne Konto keine Wohnung? Und auch die Dienstleistungen einer Bank muss man sich leisten können.

Das Beispiel zeigt, wie ein obdachloser Flaschensammler auf einmal als Held gefeiert werden kann. Man wünscht ihm, dass der Neuanfang gelingt. Wie viele der anderen 30.000 könnten es – im nach Bruttoinlandsprodukt elftreichsten Land der Welt – auch schaffen, wenn man ihnen auf die Beine hülfe?

CESTMOCRO zeigte den glücklichen Finder el Ali in einem Instagram-Video. Seine Dankbarkeit und Gefühle ließen sich nicht in Worte fassen. Seinen kurzen Moment der Aufmerksamkeit nutzt er, Menschen das Beste zu wünschen, Allah zu danken – und mit einer politischen Botschaft zu schließen: “Free Palestine!”

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Folgen Sie Stephan Schleim auf Twitter/X oder LinkedIn. Titelgrafik: falco auf Pixabay.

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