Echtes Neuro-Strafrecht: Ab welchem Alter ist man voll verantwortlich?

Wie Neurowissenschaften das Recht beeinflussen, am Beispiel des niederländischen Adoleszentenstrafrechts

Heute kehre ich zu einem klassischen Thema zurück und zudem einem, das sehr nah an meiner derzeitigen Forschung ist. Dazu muss ich gleich am Anfang einen Irrtum einräumen: Ich kritisierte nämlich immer wieder die überzogenen Aussagen führender Hirnforscher, die nicht weniger als eine Revolution des Strafrechts forderten. In meiner Kritik erwähnte ich mehrmals, es gebe noch kein Land mit einem “Neuro-Strafrecht”.

Nun halte ich die Aussagen besagter Forscher zwar immer noch für überzogen. Allerdings habe ich zu lange übersehen, dass ausgerechnet das Land, in dem ich seit 2010 überwiegend lebe, ein echtes Neuro-Strafrecht hat: die Niederlande. Hier wurde nämlich das Höchstalter für die Anwendung des Jugendstrafrechts am 1. April 2014 – kein Aprilscherz! – von 20 auf 22 Jahre erhöht. Und der Gesetzgeber hat in der Begründung dafür ausdrücklich Befunde aus der Hirnforschung angeführt, nämlich zur Gehirnentwicklung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen.

Das ist zwar keine Revolution, aber doch ein Revolutiönchen. Das gilt insbesondere im Vergleich zu intensiv in den Medien aufgegriffenen Sachverhalten, wenn sich beispielsweise ein Gericht irgendwo auf der Welt auf einen Befund der Hirnforschung oder Genetik bezog. (Meistens wirkte das dann strafmindernd.) Im Folgenden will ich erörtern, wie es zu dem kam, was man heute das niederländische Adoleszentenstrafrecht nennt; inwiefern dessen neurowissenschaftliche Begründung stimmt; und wie, allgemeiner, Wissenschaft die Politik informieren sollte und wie besser nicht.

Die hier behandelten Grundgedanken lassen sich jedenfalls auf die Strafrechte aller Länder anwenden: Ab welchem Alter ist man rechtlich voll verantwortlich? Und welche Rolle spielen wissenschaftliche Erkenntnisse bei der Beantwortung dieser Frage?

Vorgeschichte

Wir gehen zurück ins Jahr 2010. Da war ich gerade in die Niederlande gekommen und machte die hiesige Politik eine schwierige Zeit durch: Die neue Regierungsbildung dauerte nach den Parlamentswahlen vom 9. Juni satte 127 Tage und führte schließlich zu einer von Geert Wilders’ PVV tolerierten Minderheitsregierung der wirtschaftsliberalen VVD von Premierminister Mark Rutte mit der christdemokratischen CDA. Diese sollte, am Rande gesagt, nur für rund zwei Jahre dauern.

Im Wahlkampf spielte, wenig überraschend, das Thema Sicherheit eine große Rolle. Das spiegelte sich auch im Koalitionsvertrag mit dem Titel “Freiheit und Verantwortlichkeit” wieder. Hoch auf der Agenda stand insbesondere das grenzüberschreitende Verhalten sogenannter Risikojugendlicher, sowohl als Einzeltäter als auch in Banden. Jugendliche und junge Erwachsene – in der Wissenschaft nennt man sie gerne “Adoleszenten” – würden immerhin 30% aller Verdächtigten stellen.

Der Staatssekretär des Ministeriums für Sicherheit und Justiz verwies auf einen damals gerade erschienenen Bericht des Rats für die Anwendung des Strafrechts und den Jugendschutz, ein unabhängiges öffentliches Organ mit beratender Funktion.[1] In diesem heißt es, dass die psychischen Funktionen für verantwortliches Verhalten erst nach dem 20. Lebensjahr vollständig entwickelt sind. Insbesondere geht es dabei um: (1) die Impulskontrolle, (2) die Berücksichtigung von Langzeitfolgen, (3) Emotionsregulation und (4) das Empathievermögen.

Diese Gedanken sind im Begründungstext des Gesetzes, wie es schließlich seit dem 1. April 2014 gilt, ausführlicher ausformuliert. Darin heißt es, wiederum mit Verweis auf den genannten Bericht des Rats:

“Dass im Lebensalter zwischen 15 und 23 Jahren spezifisches Risikoverhalten vorkommt, kann auch der unvollständigen Entwicklung wichtiger Gehirnfunktionen zugeschrieben werden. Der Kern dessen, was die Wissenschaft hierüber lehrt, ist, dass die geistige Entwicklung junger Menschen nicht beim Erreichen des Lebensalters von 18 Jahren aufhört und dass wesentliche Entwicklung gerade danach stattfinden. Die noch unvollständige emotionale, soziale, moralische und intellektuelle Entwicklung stellt auch eine Ursache für den Umstand dar, dass ein Großteil der (Jugend)Kriminalität während der Adoleszenz auftritt, doch auch vor dem 23. Lebensjahr endet.”

Aus der Gesetzesbegründung, Übers. S. Schleim

Hier werden Gehirnentwicklung und persönliche Reife miteinander in Zusammenhang gebracht und diese beiden wiederum mit dem problematischen Verhalten von Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Nun liegt natürlich das Nervensystem unseren psychischen Fähigkeiten zugrunde, auch wenn wir oft keine Eins-zu-eins-Zusammenhänge feststellen können. Das ist eine große Diskussion in Philosophie wie Wissenschaft, die ich erst kürzlich zusammengefasst habe (Das kleine Einmaleins des Leib-Seele-Problems).

Hier will ich stattdessen den genauen Zusammenhang untersuchen, den das Beratungsgremium zwischen Gehirnentwicklung und psychischen Fähigkeiten herstellt und auf den sich das neue Gesetz bezieht. Dazu heißt es konkret in dem Bericht im Abschnitt über “Die biologische und psychologische Entwicklung junger Menschen”:

“Erst um das 25. Lebensjahr sind im präfrontalen Kortex Funktionen wie das Planen und Flexibilität ausgewachsen. Auch andere psychische Funktionen wie das Bremsen von Impulsen (“Inhibition”) oder das Unterdrücken ablenkender anderer Impulse und Assoziationen (“Interferenzen”) kommen erst nach dem 20. Lebensjahr mehr zur Blüte. Dies bedeutet, dass spezifisches Risikoverhalten, das bei jungen Menschen oft zwischen dem 15. und 23. Lebensjahr vorkommt, durch die noch unvollständige Entwicklung bestimmter wichtiger Hirnfunktionen mitverursacht wird. Die wesentlichste Entwicklung mit Blick auf diese Hirnfunktionen tritt erst nach dem 20. Lebensjahr auf. Bis zu diesem Alter haben andere, vor allem gleichaltrige Freunde, noch den größten Einfluss auf das Treffen wichtiger Entscheidungen. […] Untersuchungen zum Funktionieren des Gehirns mithilfe von Scantechniken zeigen, dass junge Menschen sich häufig noch durch den Kern im Gehirn steuern lassen, der auf direkte Belohnungen reagiert, den nucleus accumbens, während das Gehirn von Personen über 25 Jahre eine stärkere Aktivität im Mandelkern und präfrontalen Kortex aufweist. […] Erst wenn der präfrontale Kortex ausgereift ist, ist der junge Mensch besser befähigt, seine Emotionen zu regulieren als vorher.”

Aus dem Bericht des Rats für die Anwendung des Strafrechts und den Jugendschutz, Übers. S. Schleim

Damit war die Erklärung – zumindest auf dem Papier – vollständig: unreifes Gehirn = unreife Persönlichkeit = geringere Verantwortlichkeit vor dem Recht. Somit besteht nach dem neuen Gesetz in den Niederlanden nun die Möglichkeit, einen jungen Erwachsenen bis zum Alter von 22 Jahren nach den Regeln des Jugendstrafrechts zu behandeln, “wenn [der Richter] dafür in der Persönlichkeit des Täters oder den Umständen der Tat Gründe findet” (Artikel 77c, Absatz 1, Niederländisches Strafrecht). Das kann übrigens auch auf junge Urlauber aus dem deutschsprachigen Raum Auswirkungen haben, die auf niederländischem Boden Regeln übertreten.

Zwischenbilanz

Hierzu eine Zwischenbemerkung: Im Wahlkampf und dem genannten Koalitionsvertrag wurde ein härteres Vorgehen gegen junge Straftäter versprochen. Die Maßnahmen des Jugendstrafrechts (wie z.B. Sozialarbeit oder Strafen im Jugendgefängnis) sind aber tatsächlich viel milder als die des Erwachsenenstrafrechts. Bei jüngeren Täterinnen und Tätern überwiegt sowieso das pädagogische vor dem strafenden (in Fachsprache: retributiven) Motiv, weil man davon ausgeht, die Menschen in diesem Alter so positiver beeinflussen zu können.

Auch wenn ich diesen Ansatz persönlich für sinnvoll und richtig halte, hat es schon auch ein gewisses “Geschmäckle”, die Wählerinnen und Wähler so irrezuführen: Man verspricht das Eine und macht das Andere. Der Vollständigkeit halber sei aber angemerkt, dass gleichzeitig bei einigen Taten das Strafmaß laut Jugendstrafrecht angehoben wurde. Das ergibt eine gemischte Bilanz.

Bleiben wir aber beim Beitrag der Hirnforschung: Meines Wissens war dies das erste Mal weltweit, dass der Gesetzgeber so ausführlich und direkt auf Ergebnisse der Neurowissenschaften einging. In diesem Sinne haben die Niederlande damit das meines Wissens erste echte “Neuro-Strafrecht” weltweit.

Schauen wir uns nun einmal an, um welche wissenschaftlichen Befunde es konkret geht. In dem längeren Zitat aus dem Bericht oben habe ich – im Interesse der Lesbarkeit – die Verweise auf die drei Studien von Adleman und Kollegen (2002), Casey und Kollegen (2005) sowie Paus und Kollegen (2001) entfernt. Was sagen diese aus und passen deren Ergebnisse zu dem Bericht und der Gesetzesbegründung?

Analyse der Studien

Zunächst einmal fällt auf, dass diese Studien schon zum Zeitpunkt des Gesetzgebungsverfahrens veraltet waren. Damals hätte es aktuellere und bessere Publikationen zur Gehirnentwicklung gegeben. Doch lassen wir das beiseite.

Adleman und Kollegen haben den in der Psychologie sehr beliebten “Stroop-Test” im Magnetresonanztomographen (fMRT) bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen untersucht. Bei diesem werden Farbenwörter (etwa “grün”) in einer passenden oder anderen Farbe (z.B. rot) angezeigt. Die Angabe, welche Farbe ein Wort hat, dauert dabei länger, wenn Wort und Farbe nicht zueinander passen. Zudem muss die impulsive Reaktion, bei “grün” in roten Buchstaben “grün” anzugeben, wo “rot” die richtige Antwort wäre, unterdrückt werden. Deshalb wird dieser Versuch häufig als Kontroll- und Inhibitionstest angesehen.

Die drei Altersgruppen waren in diesem Experiment Kinder im Alter von sieben bis elf Jahren (N = 8), Jugendliche im Alter von zwölf bis 16 Jahren (N = 11) und junge Erwachsene im Alter von 18 bis 22 Jahren (N = 11). Hier fällt sofort die kleine Gruppengröße auf. Aus so kleinen Stichproben lassen sich unmöglich repräsentative Ergebnisse ableiten. In der MRT-Forschung verteidigt man das mit Verweis auf die hohen Kosten der Untersuchung: Je nach Länge der Messungen im Kernspintomographen kann das schnell €500 bis €1000 pro Person kosten, bei dieser Studie also €15.000 bis €30.000 allein für die Datenerhebung. Das ist aber natürlich ein rein pragmatisches und kein inhaltliches Argument.

In der wichtigsten Untersuchung meiner kognitionswissenschaftlichen Doktorarbeit an den Universitätskliniken Bonn, für die ich – meines Wissens zum ersten Mal auf der Welt – Rechtsanwälte im Hirnscanner untersuchte, war mir darum eine Gruppengröße von jeweils minimal 20 Versuchspersonen wichtig. Das war zwar immer noch wenig, für damalige Verhältnisse aber schon die Ausnahme.

Übrigens war das nicht ohne Herausforderungen, Anwältinnen und Anwälte zu untersuchen. Manch einer brachte beispielsweise ohne Vereinbarung einen Zeugen mit (beispielsweise die Ehefrau) und setzte mich dann unter Druck, die Hirnaufnahmen medizinisch zu beurteilen, selbst nachdem sie mehrmals darauf aufmerksam gemacht worden waren, dass ich dafür nicht ausgebildet war. Nun ja, uns hat damals niemand verklagt.

Doch kommen wir zurück zur Studie von Adleman und Kollegen: Neben den kleinen Stichproben fallen auch, bevor wir die Ergebnisse betrachten, Merkwürdigkeiten mit Blick auf die Altersgruppen auf. Das neue niederländische Gesetz läuft ja darauf hinaus, Menschen vor und ab dem Alter von 23 Jahren unterschiedlich zu behandeln. Darüber kann die Untersuchung schon einmal prinzipiell nichts aussagen, weil gar keine Über-22-Jährigen untersucht wurden. Erlaubt sie aber vielleicht wenigstens Aussagen im Vergleich der zwölf- bis 16-Jährigen mit den 18- bis 22-Jährigen?

Nun berichtet die Publikation für diese beiden Altersgruppen aber ausgerechnet statistisch signifikante Unterschiede – die Grenze der Strafmündigkeit liegt in den Niederlanden übrigens schon bei zwölf Jahren –, während das neue Gesetz diese ähnlicher behandelt. Dabei wurden diese Unterschiede tatsächlich im präfrontalen Kortex gefunden. Und zwischen den Kindern (sieben bis elf Jahre) und den Jugendlichen fanden sich ausgerechnet keine signifikanten Unterschiede, wo das Gesetz diese Gruppen prinzipiell anders behandelt. Die Untersuchung von Adleman und Kollegen scheint dem Gesetzesvorhaben also eher zu widersprechen als es zu stützen.

Ergibt die Publikation von Casey und Kollegen vielleicht ein anderes Bild? Hierbei handelt es sich um eine Überblicksarbeit, die verschiedene Studien zusammenfasst. Diese Autoren berichten aber, dass das Gehirn eines Sechsjährigen bereits 90% des Volumens eines Erwachsenengehirns ausmacht und sensomotorische, assoziative sowie präfrontale Gehirnregionen bis zum Alter von 16 Jahren fast vollständig entwickelt sind. Auch dies widerspricht dem Bericht des Rats und der Gesetzesbegründung direkt.

Bringt nun die dritte und letzte zitierte neurowissenschaftliche Arbeit, die von Paus und Kollegen, vielleicht die Rettung? Leider auch nicht: Hierbei handelt es sich um eine Zusammenfassung struktureller Gehirnuntersuchungen zur Gehirnentwicklung des Menschen bis zum Alter von 30 Jahren (ältere Personen wurden hierfür nicht untersucht). Laut den Ergebnissen ist es nun einerseits so, dass die Entwicklung des Gehirns nie vollständig stoppt; andererseits sind die Unterschiede zwischen den Individuen mitunter so groß, dass beispielsweise ein Sechsjähriger einen größeren Balken, der die beiden Hirnhemisphären miteinander verbindet, haben kann als ein 16-Jähriger. Auch diese Befunde können die Gesetzesinitiative also nicht stützten.

Gesetze, Verhalten und Gehirne

An dieser Stelle halte ich einen allgemeinen Punkt für angebracht: Das Gesetz definiert klare Altersgrenzen, etwa Strafmündigkeit ab zwölf – in Deutschland in Österreich übrigens ab 14, in der Schweiz allerdings schon ab zehn und vor 2007 sogar schon ab nur sieben Jahren! – oder Jugendstrafrecht jetzt unter Umständen bis 22. Es sollte klar sein, dass es sich hierbei um von Menschen, nämlich regierenden Politikern gemachte Gesetze handelt. Natürlich ist es nicht so, dass im Gehirn eines Zwölfjährigen, in Deutschland bei einem 14-Jährigen auf einmal alles anders ist, sobald der die Kerzen auf er Geburtstagstorte auspustet.

Die Gehirnentwicklung vollzieht sich individuell unterschiedlich und gemäß einem Kontinuum, nicht stufenmäßig, wie das Strafrecht es beschreibt. Insofern ist es illusorisch, eine klare Entsprechung unserer Normen im Gehirn zu finden. Das gilt übrigens auch für die (seit über 170 Jahren sehr erfolglose) Suche nach neuronalen Entsprechungen psychiatrischer Störungskategorien, seien es Aufmerksamkeits- oder Angststörungen, Autismus oder Depressionen, wie ich schon an anderer Stelle erklärte (Das kleine Einmaleins psychischer Störungen).

Man könnte also allenfalls eher grob und sehr allgemein schauen, ob die neurowissenschaftlichen Funde zu den Altersgrenzen des Rechts passen oder nicht. Im hier diskutierten Fall war das eindeutig nicht so. Doch hätte es wirklich einen wesentlichen Unterschied gemacht, wenn die Ergebnisse zur Gesetzesinitiative gepasst hätten?

Das Strafgesetz regelt das Verhalten, das in einer Gesellschaft verboten ist. In liberalen Rechtsstaaten gilt dabei: Alles ist erlaubt, was nicht zum Zeitpunkt der Tat illegal ist. Das ist getrennt von der Frage, unter welchen Umständen man Menschen für Regelübertretungen verantwortlich macht. Dabei setzt das Strafrecht in vielen liberalen Rechtsstaaten (mir ist kein Gegenbeispiel bekannt) Schuld als Vorbedingung von Strafe voraus; und Schuld setzt wiederum Einsichts- und Steuerungsfähigkeit voraus. (Vom in den letzten Jahren immer wieder von Philosophen, Psychologen und Hirnforschern beschworenen “freien Willen” ist hier übrigens keine Rede.)

Das heißt, eine Person kann für eine verbotene Tat nur dann bestraft werden, wenn sie zum Tatzeitpunkt hinreichend wusste oder wissen musste, dass ihr Verhalten verboten ist; und wenn sie sich dann auch noch hinreichend unter Kontrolle hatte. Das ist schlicht die in vielen Ländern geltende Strafrechtsdogmatik.

Klassische Gegenbeispiele sind etwa Zwang/Nötigung, also zum Beispiel: “Entweder du gibst mir deine Schmerzmittel oder ich schlachte dich ab!” Dann würde man wohl nicht wegen eines Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz bestraft werden. Ebenso Taten im Vollrausch oder in einer Psychose, so wie: “Mein Chef war von bösen Dämonen besessen, deshalb musste ich ihn umbringen.” Bekanntermaßen hat das Strafrecht hier aber zum Schutz der Gesellschaft andere Zwangsmaßnahmen, etwa Zwangstherapien oder Sicherungsverwahrung. Diese sind, der Unterschied ist juristisch wichtig, aber formal keine Strafen, auch wenn sie vom Betroffenen vielleicht so erlebt werden.

Das Recht ist pragmatisch

Damit stellt sich die Frage, wie viel man überhaupt über die Gehirnentwicklung von Menschen wissen muss, um funktionierende Regeln über die Verantwortlichkeit, Einsichts- und Steuerungsfähigkeit von Menschen festzulegen. Wenn sich nun Menschen einer bestimmten Altersgruppe in aller Regel verantwortungsbewusst verhalten, außer vielleicht in bestimmten Situationen wie Mutproben oder Gruppenzwang, dann können wir davon ausgehen, dass das etwas mit Gehirnmechanismen in einem bestimmten sozialen Kontext zu tun hat.

Dann wissen wir das aber schon bereits aus dem Verhalten und fügt das Wissen über die Hirnmechanismen nichts Wesentliches zu (Gehirnscanner oder Verhalten?). Es kann natürlich immer noch wissenschaftlich interessant sein, die konkreten Gehirnstrukturen und -Funktionen solchen Verhaltens zu untersuchen. Für die Festlegung praktischer Regeln, die den Menschen gerecht werden, ist das aber nicht erforderlich. Das Recht ist eben pragmatisch. Das stellt die von manchen gepriesene Notwendigkeit von “Neurorecht” infrage.

Ein schönes Beispiel hierfür ist eine Entscheidung des US Supreme Court aus dem Jahre 2005, über die ich in meinem Buch über die Neurogesellschaft (2011) schon ausführlich schrieb: Damals stand die Frage zur Disposition, ob zum Tatzeitpunkt minderjährige Mörder für ihre Taten verantwortlich genug sein können, um die Höchststrafe (in manchen US-Staaten also die Todesstrafe) zu verdienen. Geklagt hatte der zum Tatzeitpunkt 17-jährige Christopher Simmons, der mit Freunden ins Haus einer älteren Frau eingedrungen war, diese fesselte und misshandelte, schließlich zu einer Brücke brachte, gefesselt und mit einer Plastiktüte über den Kopf in einen Fluss warf und so ertrinken lies. Auf so eine Grausamkeit muss man erst einmal kommen!

Die höchsten US-Richter kamen in der Mehrheit (auf eine Gegenstimme komme ich gleich noch) zu dem Ergebnis, dass ein Jugendlicher, selbst nach so einer schlimmen Tat, nicht verantwortlich genug für die Höchststrafe sein kann. In der Begründung hieß es:

“Drei allgemeine Unterschiede zwischen jungen Menschen unter 18 und Erwachsenen zeigen, dass die jugendlichen Täter nicht mit Zuverlässigkeit als die schlimmsten Täter angesehen werden können. Erstens, wie alle Eltern wissen und die vom Beklagten […] zitierten wissenschaftlichen sowie soziologischen Studien tendenziell bestätigen, ‘ist ein Mangel an Reife und ein unterentwickelter Sinn für Verantwortlichkeit bei Jugendlichen häufiger anzutreffen und nachvollziehbarer als bei Erwachsenen. Diese Eigenschaften führen häufig zu übereilten und unausgewogenen Handlungen und Entscheidungen.’ […] Es wurde festgestellt, dass ‘junge Menschen in so gut wie allen Kategorien rücksichtslosen Verhaltens statistisch überrepräsentiert sind.’ […] In Anerkennung der relativen Unreife und Unverantwortlichkeit von jungen Menschen verbietet es so gut wie jeder Staat Unter-18-Jährigen zu wählen, als Geschworene zu dienen oder ohne Zustimmung der Eltern zu heiraten.”

Roper v. Simmons, Übers. S. Schleim

Interessanterweise hat dieser sehr indirekte Hinweis auf wissenschaftliche Studien – “wie alle Eltern wissen und die zitierten Studien tendenziell bestätigen” – in der Neurorecht-Diskussion merkwürdige Blüten getrieben, die einen eigen Artikel verdienen würden. Ich frage hier nur einmal: Wie verzweifelt muss man als Akademiker sein, wenn man aus dieser Aussage der Richter ableitet, die Neurowissenschaften hätten die höchstrichterliche Rechtssprechung beeinflusst? Man würde sich wundern, welch namhafte Kolleginnen und Kollegen sich an diesem Spiel beteiligt haben! (Wahrscheinlich, um anschließend Projektmittel für Neurorecht-Forschung zu bekommen, was ja auch oft genug funktioniert hat. Wahr ist, was nützlich ist!)

Verhaltenswissen hat Vorrang

Meinen Punkt macht das Urteil – und man könnte mehr Fälle zur Unterstützung heranziehen – aber deutlich: Aufgrund des Verhaltens von Jugendlichen wissen wir schon mehr als genug, um eine andere (straf-)rechtliche Behandlung zu rechtfertigen. Und wenn diese Verhaltensbeobachtungen deutlich genug sind, ist es völlig egal, wie die Gehirne von Jugendlichen aussehen. Es wäre allenfalls ein Problem für die Hirnforscher, wenn sie diese deutlichen Verhaltensunterschiede nicht erklären könnten, nicht aber für den Gesetzgeber. Verboten sind ja nicht bestimmte Gehirnprozesse, sondern nur bestimmte Taten.

Einen Durchbruch für die Rechtspraxis gäbe es wohl erst dann – und das schreibe ich auch unter dem Eindruck meiner früheren Dozententätigkeit an der Deutschen Richterakademie in Trier –, wenn man mit neurowissenschaftlichen Verfahren die Verantwortlichkeit eines konkreten Individuums bestimmen könnte. Das müsste sich dann aber wohl auf den Zeitpunkt der Tat beziehen.

Die methodischen Herausforderungen hierfür sind aber enorm, wie ich mit einem britischen Kollegen aus der Neuropsychologie schon einmal 2009 ausformulierte. Das liegt nicht zuletzt daran, dass man mit den vorherrschenden Methoden – das gilt analog auch für viele Untersuchungen in Medizin, Psychologie, den Ernährungswissenschaften sowie anderen Disziplinen – gerade nicht das Individuelle erfasst, sondern das, was bei allen Versuchspersonen gleich ist. Schlimmer noch: Individuelle Unterschiede werden mitunter sogar als Messfehler aufgefasst!

Bei einer Wissenschaft, die wie die bildgebende Hirnforschung Versuchspersonen allein schon aus dem Grund ausschließt, weil sie Linkshänder sind (das ist mir selbst immer wieder passiert, zum Glück, denn viele solcher Untersuchungen sind langweilig), eine psychische Störung haben (also 40% der Bevölkerung, laut manchen Epidemiologen?), anders erkrankt sind und bestimmte Medikamente nehmen, weil sie klaustrophobisch sind oder Frauen sind und nicht die Antibabypille nehmen (um Hormonschwankungen auszugleichen), muss man davon ausgehen, dass die Ergebnisse spekulativ sind. Gerichte können sich nicht diesen Luxus erlauben, so viele individuell unterschiedliche Menschen aus ihren Verfahren auszuschließen. Dann bliebe wohl kaum noch jemand zur Verurteilung übrig. Dieser Zweig des “Neurorechts” bleibt also Zukunftsmusik.

Wissenschaft und Gesetze

So bleibt noch die Frage nach dem Einfluss der Wissenschaft auf das Gesetz. Den Forschern der hier besprochenen neurowissenschaftlichen Arbeiten kann man nicht zum Vorwurf machen, dass andere sie fehlinterpretieren. Allerdings ist es für den Rat für die Anwendung des Strafrechts und den Jugendschutz schon sehr peinlich, Studien zu zitieren, die das genaue Gegenteil nahelegen.

Das scheint bisher in den Niederlanden aber noch keinem aufgefallen zu sein. Dass der Gesetzgeber diese Teile aus dem Bericht unkritisch übernahm, wirkt natürlich auch nicht vertrauenserweckend. Vielleicht war man dort schlicht zufrieden damit, dass die vorgestellte Interpretation zur vorgegebenen Stoßrichtung passte.

Es gibt aber genügend Beispiele, in denen Forscherinnen und Forscher nicht so unschuldig sind. Wir haben es ja gesehen: Als die Politik Gutachten wollte, dass Atomkraft sicher ist, gab es die aus der Wissenschaft. Ein paar Jahre später war die gegenteilige Schlussfolgerung gefragt. Wieder fanden sich geeignete Gutachter, die zum gewünschten Ergebnis kamen.

Ich erinnere mich auch noch gut an die Legalisierung der Beschneidung männlicher Kinder: Da fanden sich Sexualwissenschaftler, die die Praxis beispielsweise mit dem Argument für unbedenklich erklärten, dass durch Beschneidungen in bestimmten afrikanischen Ländern mit schlechten Hygienestandards das Risiko von HIV-Infektionen abnehme (Wie sich die Forschung zur Beschneidungsdebatte widerspricht).

Wie ich bereits andeutete, kam es auch beim Neurorecht zu fragwürdigen Konstellationen. Wenn irgendwo auf der Welt ein Verbrechen geschah und später eine genetische oder neuronale Unregelmäßigkeit beim Täter gefunden wurde, ging das als Sensation um die Welt. Akzeptierte irgendein Gericht neurowissenschaftliche Befunde, dann wurde auch das in vielen Medien aufgegriffen.

Vieles stellte sich bei näherer Betrachtung als problematisch heraus, wie hier beim Beispiel des niederländischen Adoleszentenstrafrechts. Auch dass sich von den schon vor vielen Jahren versprochenen neuen Verfahren zur Lügendetektion oder Risikoeinschätzung von Straftätern nichts durchsetzen konnte, erhielt wenig Aufmerksamkeit. Das wirft die Frage auf, ob Forscher hier schlicht Dinge versprechen, um wissenschaftliche Fördermittel einzuwerben. Hier hat sich vor allem die US-amerikanische MacArthur Foundation als Geldgeber hervorgetan.

Parteiische Wissenschaft?

Schon der – inzwischen verstorbene – konservative Supreme Court Richter Antonin Scalia (1936-2016), der sich gegen die oben besprochene Mehrheitsmeinung bei Roper v. Simmons stellte, wies auf ein problematisches Muster hin: Dieselben wissenschaftlichen Organisationen, vor allem aus der Medizin und Psychologie, die sich gegen die Todesstrafe für Jugendliche stellten und ihnen deshalb eine geringere Verantwortlichkeit attestierten, hätten nur wenige Jahre vorher komplett anders argumentiert. Damals war es um die Zulässigkeit von Abtreibungen bei Minderjährigen ohne Zustimmung der Eltern gegangen. In den Worten des hohen Richters:

“Wir müssen nicht lange suchen, um Studien zu finden, die den Schlussfolgerungen des Gerichts widersprechen. Wie der Antragsteller [d.i. der Gefängnisleiter der Anstalt, in der Simmons inhaftiert war, Anm. S. Schleim] aufzeigte, hat die Amerikanische Psychologische Assoziation (APA), die in diesem Fall behauptet, dass Personen unter 18 Jahren die Fähigkeit fehlt, die moralische Verantwortung für ihre Taten zu übernehmen, vorher vor diesem Gericht die genau entgegengesetzte Position eingenommen. In ihrer Stellungnahme für Hodgson v. Minnesota fand die APA ‘reichhaltige wissenschaftliche Quellen’, die zeigen würden, dass Jugendliche reif genug sind, um sich ohne Beteiligung der Eltern für eine Abtreibung zu entscheiden. Die Stellungnahme der APA zitierte psychologische Abhandlungen und Studien, die zu zahlreich sind, um sie hier aufzulisten, und kam zu der Feststellung: ‘In der mittleren Jugend (im Alter von 14 bis 15 Jahren) entwickeln junge Menschen Fähigkeiten des Nachdenkens über moralische Probleme, des Verständnisses sozialer Regeln und Gesetze [und] des Nachdenkens über zwischenmenschliche Beziehungen und Probleme, die denen von Erwachsenen ähneln.”

Roper v. Simmons, Minderheitsmeinung von A. Scalia, Übers. S. Schleim

Nun ist bekannt, dass Forscher und Hochschullehrer, zumindest außerhalb rechtswissenschaftlicher und theologischer Fakultäten, eher zu liberalen als zu konservativen Standpunkten neigen. Wenn nun aber beispielsweise die höchste psychologische Vereinigung ihre Studien jeweils passend zu ihrem liberalen Standpunkt auswählt und interpretiert – hier die Ausweitung von Abtreibung, dort die Einschränkung der Todesstrafe –, dann schadet sie nicht nur ihrer eigenen Glaubwürdigkeit, sondern dem ganzen Fach, vielleicht sogar der ganzen Wissenschaft.

Dann brauchen wir uns hinterher nicht zu wundern, wenn immer größere Bevölkerungsteile wissenschaftlichen Studien, etwa zur Sicherheit von Impfungen oder zum Klimawandel, misstrauen. Denn dann haben sie richtig erkannt, dass sich auch Forscherinnen und Forscher von ihren Interessen leiten lassen und damit bestimmte politische Ziele verfolgen. Wahr ist, was nützlich ist!

Das ist Pragmatismus pur. Zum Teil ist so ein Verhalten natürlich den Mittelkürzungen, der Konkurrenz um Fördermittel und dem Karrierismus geschuldet. Mit ihrer Interessenunabhängigkeit verliert die Wissenschaft aber ihren Sonderstatus und wird doch nur eine Meinung unter vielen. Dann können Forscher auf den “Science Marches” nicht mehr überzeugend für evidenzbasierte Politik oder Wahrheitssuche demonstrieren. Dann sollten sie besser ehrlich auf ihre Schilder schreiben: “Gebt uns Geld!”

Was bleibt vom neuen Gesetz?

So bleibt nurmehr die Beurteilung der heutigen strafrechtlichen Situation in den Niederlanden. Wie wir gesehen haben, stimmte die neurowissenschaftliche Begründung des neuen Adoleszentenstrafrechts hinten und vorne nicht. Als Entscheidungsgrundlage dienten aber auch kriminologische, psychologische und soziologische Studien – und nicht zuletzt die Alltagserfahrung. Am Ende bleibt auch ein Rest gesetzgeberischer Willkür, ob die Grenze für die zwingende Anwendung des Erwachsenenstrafrechts nun bei 21, 22 oder erst 23 Jahren gezogen wird.

Niederländische Strafverteidiger bemängeln übrigens die Unvorhersehbarkeit und Inkonsistenz bei der Anwendung des neuen Gesetzes. Wie ich oben zitierte, liegt das im Ermessen des Richters, “wenn er dafür in der Persönlichkeit des Täters oder den Umständen der Tat Gründe findet”. In Ermangelung eines Gehirntests für Verantwortlichkeit richtet man sich nach dem persönlichen Auftreten eines Verdächtigen sowie nach psychosozialen Faktoren wie denen, ob derjenige noch zur Schule geht oder noch bei seinen Eltern wohnt.

Wie die Rechtswissenschaftlerin Eva Schmidt und ihre Kollegen von der Universität Tilburg in einer neuen Arbeit über das neue Gesetz feststellen, werden die seit Jahrzehnten bestehenden Regeln für das Jugendstrafrecht in den Niederlanden ohnehin kaum bei Volljährigen angewendet. Von gerade einmal 1% der Verurteilungen im Jahr 2012 sei die Quote auf 5% in 2016 gestiegen.

Das ist im internationalen Vergleich immer noch sehr niedrig. Der Anstieg komme zudem durch die häufigeren Verurteilungen bei den 18- bis 20-Jährigen, also ausgerechnet nicht der Zielgruppe, für die das neue Gesetz verabschiedet wurde. Es scheint, als hätte die Initiative die Richterinnen und Richter schlicht daran erinnert, dass Verurteilungen nach dem Jugendstrafrecht möglich und manchmal auch wünschenswert sind.

Die Bilanz ist damit durchwachsen: Politiker versprechen im Wahlkampf härteres vorgehen, bringen im Gesetzgebungsverfahren aber den pädagogischeren Ansatz voran. Das Ganze wird mit neurowissenschaftlichen Studien gerechtfertigt, die das Gegenteil nahelegen. Vertreter des “Neurorechts” feiern solche Vorgänge als Beispiele für die besondere Bedeutung der Hirnforschung. In der Praxis machen die Gerichte von den neuen Möglichkeiten aber äußerst selten Gebrauch und kritisieren Anwälte eine gewisse Willkür.

Forschungsprioritäten

1981, in dem Jahr, als der Hirnforscher Roger Sperry den Nobelpreis erlangte, schrieb er seinen Kollegen einen Prioritätenwechsel ins Stammbuch: Die Neurowissenschaftler sollten der Öffentlichkeit neue Anwendungen versprechen, um genügend Aufmerksamkeit und Fördergelder zu erhalten. Sein Fach habe herausragende Bedeutung, denn: “Ideologien, Philosophien, religiöse Doktrinen, Weltmodelle, Wertsysteme und so weiter werden mit den Antworten stehen oder fallen, die die Hirnforschung letztendlich enthüllt. Alles kommt im Gehirn zusammen.” (Roger Sperry, Übers. S. Schleim)

Vierzig Jahre später scheint es so, als hätten sich die Forscherinnen und Forscher daran gehalten. Nach der “Dekade des Gehirns” (1990ern) ging es mit großen Gehirnprojekten weiter – bis heute. Neurologische Erkrankungen wie Parkinson oder Alzheimer stellen die Gesellschaft natürlich vor Herausforderungen. Die Behandlungsfortschritte sind aber äußerst bescheiden. Von den lange versprochenen neuen Psychopharmaka wurden nicht nur keine entwickelt. Die pharmazeutische Industrie hat die psychiatrische Forschung wegen schlechter Erfolgsaussichten sogar weitgehend fallengelassen.

Man sollte bedenken, dass diese Neuro-Forschung immer in die Zukunft gerichtet ist. Durchbrüche könnten dann natürlich vielen Menschen helfen. Wenn sie ausbleiben, stehen wir aber mit leeren Händen da. Daher sollte man mehrgleisig Fahren und beispielsweise auch Teile der Sozialwissenschaften wieder stärker fördern. Diese können schon heute Menschen dabei helfen, mit ihren Problemen – so gut es eben geht – in der Gesellschaft zu leben.

Fußnote

  1. Für die detaillierten Quellenangaben sei auf meinen 2019 in der Allgemeinen Niederländischen Zeitschrift für Philosophie sowie meinen gerade erschienenen englischsprachigen Fachartikel in Frontiers in Psychology verwiesen.

Hinweis: Dieser Beitrag erscheint auch auf Telepolis – Magazin für Netzkultur. Titelgrafik von Jabbacake auf Pixabay

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122 Kommentare

  1. Muss man einsichtig sein um Schuld zu haben?
    Schon dreijährige Kinder lernen richtiges Verhalten und dass falsches Verhalten fatale Folgen hat. Ein Kleinkind, dass auf die heiße Herdplatte gegriffen hat, versteht das sofort. Das ist die Grundlage von Erziehung. Verstöße gegen Verbote haben Folgen.

    Dieses Prinzip lässt sich auch auf uneinsichtige Heranwachsende anwenden. Der Verstoß gegen Verbote wird geahndet.

    Jetzt geht es um die Höhe der Strafe. Die richtet sich nach der Höhe des Schadens einerseits aber auch um die Fähigkeit die Höhe des Schadens erkennen zu können. Darum scheint es mir ja bei dem Thema zu gehen. Der Angeklagte weiß um seine Schuld und wenn er erfolgreich resozialisiert werden soll braucht es seine Einsicht, dass die Höhe der Bestrafung gerecht war.

    Man braucht also ein Gutachten, dass den Angeklagten richtig beurteilt. Was aber, wenn der Angeklagte klüger ist als sein Gutachter? Feste Termine sind deshalb eine Hilfe einen Heranwachsenden beurteilen zu können. Man sollte mal Jugendrichter befragen, was die dazu meinen.

  2. Eines ist sicher: Es gibt eine schon Jahrzehnte anhaltende Tendenz im Straftecht, Krankheit und Unreife zu diagnostizieren, wo früher Schuld festgestellt wurde. Das zeigt sich beispielsweise in der deutlichen Zunahme der Verwahrungen. Ein Straftäter, der auf unbestimmte Zeit verwahrt wird, der hat offensichtlich keine Schuld auf sich geladen, die er mit einer Strafe abbüssen könnte, um dann geläutert ins normale Leben zurückkehren zu können. Vielmehr bedeutet die Verwahrung, dass die für den Justizvollzug Verantwortlichen nicht an die Selbstkorrekturfähigkeit dieser verwahrten Individuen glauben, sondern dass sie annehmen, das deviante Verhalten/Denken der auf unbestimmte Zeit Verwahrten sei so fest in diese Individuen oder deren Hirn eingeschrieben, dass sie auf Dauer eine Gefahr darstellen, eine Gefahr die eventuell noch mit einer tiefgreifenden Therapie oder einem Eingriff in den Hirnstoffwechsel korrigiert werden könnte.

    Bei der Diagnose einer Unreife ist es quasi umgekehrt. Da wird angenommen, das deviante Verhalten sei in erster Linie der Unreife anzulasten und es wüchse sich mit dem Reiferwerden von selbst aus. Dass die Rechtssprechung das Erwachsenenalter hinaufschiebt passt natürlich zum Phänomen der verlängerten Adoleszenz in unserer Gesellschaft in der selbst noch 25-Jährige kindisch daherkommen.

    Mir scheint aber, im Strafrecht und Strafvollzug haben neue Theorien oder abstrakte Zielsetzungen einen zu grossen Einfluss und die Empirie sowie „gesunder Menschenverstand“ kommen zu kurz. Der „gesunde Menschenverstand“ beispielsweise würde den Kompromiss suchen zwischen Schutz der Gesellschaft vor Kriminellen und Schutz des Straftäters vor überzogenen, ihn für immer prägenden Strafen. In den USA haben aber Prinzipien über den gesunden Menschenverstand obsiegt. Dort – in den USA – gibt es 7 bis 10 Mal soviel Inhaftierte wie in Europa, Japan oder Kanada. Empirie bedeutet auch, dass man untersuchen sollte, welche Straf- Massnahmen die besten Resozialisierungserfolge bringen. Solche Untersuchungen gibt es natürlich schon. Doch sie spielen in der Politik eine untergeordnete Rolle. Politiker bevorzugen statt dessen griffige, dem Publikum gut verkaufbare Regeln und Gesetze wie etwa das Three-strikes law.

  3. Antonin Scalia (R.I.P.) war aus diesseitiger Sicht ein bemerkenswerter Denker und Richter, der insbesondere auch das Literalistische und Intentionalistische des (persistierten, schriftlichen) Rechts, insbesondere des : Verfassungsrechts, beworben hat, insofern Konzepten wie bspw. der sog. Liquid Constitution entgegenstand. [1]

    Es ist halt so, dass derjenige, der meint (Verfassungs-)Gesetze anders auslegen zu können, als sie (offensichtlich) intendiert waren, die Hand an diese Gesetze legt, wohl zerstörerisch.

    Auf das sog. Jugendstrafrecht bezogen könnte insofern, auch auf die Verfassung bezogen, Kohärenz eingefordert werden, wenn gemeint wird, dass Minderjährige wahlberechtigt sind, muss, wie hier befunden wird, auch die Strafgesetzgebung derart angepasst werden
    .
    Über Altersgrenzen kann idF gerne geredet werden, manche meinen ja, dass der hier gemeinte Primat (vs. Webbaer) erst mit 40 Jahren umfänglich selbstverantwortlich ist (Orson Wells bspw. klang mal so), andere meinen, dass es hier auch mit bspw. 12 Jahren rechtlich versucht werden kann, beide oben beschrieben meinende Seiten der Verantwortlichkeit meinend; Dr. W ist hier sozusagen indolent offen.

    Außer bei diesbezüglicher oben genannter Kohärenz, die s.E. gewahrt werden muss.

    Ja, Dr. W weiß, dass Kollektivisten (“Linksliberale”, “politisch Korrekte”) im Kommen sind und die wollen unterschiedliche Behandlung, gerade auch im Rechtlichen, bestimmte Kollektive und sog. als besonders schützenswert geltende Gruppen meinend, Stichwort : Identity Politics (wobei bspw. bundesdeutsche Identitäre, die ähnlich meinen, abär wiederum ganz böse sein sollen), Dr. W wird so nicht warm,
    sieht so eher ochlokratisches Bemühen. das nicht demokratisch ist.

    Mit freundlichen Grüßen und schöne KW32 !
    Dr. Webbaer (der mal hofft verstanden werden zu können, ansonsten noch einmal anders umschreibt – oder sich, gerne auch : auf Zuruf, insbesondere auch seitens des werten hiesigen Inhaltegebers, wunschgemäß ausklinken wird)

    [1]
    Dr. W “mag” es insofern auch, dass der bundesdeutsche Linguist Anatol Stefanowitsch nun – Endlich! – Duden-Nähe gefunden hat.
    Der Kampf um das Wort ist wichtig, Dr. W beobachtet ihn seit Langem, mag auch die hiesigen, bei den SciLogs.de verfügbaren Linguisten, ist hier sicherlich näher beim hiesigen Ekkehard Felder als beim ebenfalls recht netten, abär womöglich “ein wenig angepassten” Henning Lobin.
    Ja, das Wort bleibt wichtich (mittelniederdeutsch), es geht an dieser Stelle womöglich weniger um “Erkenntnisse der Sozialwissenschaften”, wenn es um Recht geht.

  4. Bonuskommentar @ Herr “Holzherr” und hierzu noch kurz :

    Eines ist sicher: Es gibt eine schon Jahrzehnte anhaltende Tendenz im Straf[r}echt, Krankheit und Unreife zu diagnostizieren, wo früher Schuld festgestellt wurde. Das zeigt sich beispielsweise in der deutlichen Zunahme der Verwahrungen. Ein Straftäter, der auf unbestimmte Zeit verwahrt wird, der hat offensichtlich keine Schuld auf sich geladen, die er mit einer Strafe abbüssen könnte, um dann geläutert ins normale Leben zurückkehren zu können.

    Es gibt zunehmend in das nicht nur bundesdeutsche Strafrecht eingeflossene sog. Schuldminderungsgründe (Dr. W hat ad hoc diese Quelle nicht näher geprüft, sie könnte OK sein), die effektiv zu einer unterschiedlichen Bestrafung qua Gesinnung oder Kultur führen, so dass vor dem Gesetz – Auf einmal! – nicht jeder gleich ist, nicht nur bundesdeutsch.

    Die Identity Politics sind hier bereits seit Langem rechtlich implementiert worden, das Schwein, vgl. mit diesem Zusammenhang :

    -> https://en.wikipedia.org/wiki/Animal_Farm

    … wird sozusagen “gleicher”; auch in diesem Inhaltszusammenhang will Dr. W die doppelten Anführungszeichen bemühen, um möglichst klar oder “klar”, lol, zu benachrichtigen.

    Ochlokratisch bereits seit langer Zeit und tiefgehendes Bemühen von derart nteressierter Seite ist insofern festzustellen – oder findet wer nicht?

    Dr. W geht davon aus, dass sich der werte hiesige Inhaltegeber, Pasusse (die Passus, vgl. mit ‘pandere’) dieser Art deuten darauf hin :

    Das Strafgesetz regelt das Verhalten, das in einer Gesellschaft verboten ist. In liberalen Rechtsstaaten gilt dabei: Alles ist erlaubt, was nicht zum Zeitpunkt der Tat illegal ist. Das ist getrennt von der Frage, unter welchen Umständen man Menschen für Regelübertretungen verantwortlich macht.

    … ebenfalls rechtsphilosophisch bemüht, will abär doch anraten Recht literalistisch und intentionalistisch zu pflegen.

    Nichts gegen gesonderte rechtliche Behandlung offensichtlich psychisch schwer Kranker, Dr. W verweist an dieser Stelle gerne wie folgt :

    -> https://de.wikipedia.org/wiki/M_(1931) (Peter Lorre ist ein schauspielerisches Genius, Opi W mag ihn sehr)

    Verallgemeinert werden darf hier zögernd, vs. großzügig,

    MFG – WB

  5. @Wied: Verantwortlichkeit und Gehirn

    Es geht darum, ob man zum Zeitpunkt der Tat Einsichts- und Steuerungsfähig war: Konnte/musste man wissen, dass das, was man tut, falsch ist; und konnte man sich noch im Zaum halten? Das ist aber nicht nur eine Ja/Nein-Entscheidung, sondern ein Spektrum mit vielen Zwischenschritten.

    Bei Kindern würde man wohl argumentieren, dass denen bei manchen ihrer Handlungen das Wissen um die Folgen fehlt und damit auch das Wissen, dass solche Handlungen falsch sind. Der auch im Artikel gemachte Verweis auf die Beeinflussung durch Gruppen lässt mich eher an die Steuerungsfähigkeit denken: Dann weiß man zwar, dass die Handlung falsch ist, tut sie aufgrund des Gruppenzwangs aber trotzdem.

    Damit verliert man nicht automatisch die Verantwortung für seine Taten – ein mildernder Umstand kann es aber doch sein. Und um solche Abwägungen geht es hier. Letztlich will ich auf den Punkt hinaus, dass dies soziale Entscheidungen sind und man die richtige Antwort nicht am Gehirn ablesen kann.

  6. @Holzherr: Sicherungsverwahrung

    Dass diese Maßnahmen häufiger verhängt werden, liegt zum Teil auch daran, dass sie neu sind…

    …aber es ist ja auch nicht ganz von der Hand zu weisen, dass Personen, die bereits schwere Taten begangen haben und von denen immer noch eine Gefahr ausgeht, nicht so ohne Weiteres auf die Gesellschaft losgelassen werden sollten.

    Vom menschlichen Standpunkt sehe ich den folgenden Konflikt: Wenn man einen Menschen bestraft, dann sieht man ihn auch als (verantwortliche) Person – und dann hat der-/diejenige nach Absitzen der Strafe sozusagen ein beglichenes Konto; wenn man ihn aus Sicherheitsgründen wegsperrt, dann hat das eher etwas von einem “gefährlichen Ding”.

    Andererseits könnte es aber auch humaner sein, indem man z.B. bei einem Täter, der aufgrund einer Persönlichkeitsstörung besonders gefährlich ist, diese Störung therapieren könnte. Die anhaltende Gefährlichkeit des Betroffenen muss ja jährlich (in den Niederlanden meines Wissens alle zwei Jahre) neu bestätigt werden – ansonsten kommt derjenige frei.

    Ich fürchte jedoch, dass es in der Praxis viel zu wenige psychologische Angebote für Täterinnen und Täter gibt. Sie haben eben keine starke Lobby in der Gesellschaft, abgesehen vielleicht von ein paar Sozialarbeiterinnen und -Arbeitern.

  7. @Holzherr: Interessenkonflikte

    Gut bemerkt – man sollte hier aber auch an finanzielle Interessenkonflikte denken:

    Forensische Psychiater bzw. ihre Institutionen erhalten wohl für jeden bei ihnen untergebrachten “gefährlichen Menschen” jährlich einen sechsstelligen, mindestens aber höheren fünfstelligen Betrag vom Steuerzahler. In einem kapitalistischen Umfeld ist es also äußerst lukrativ, immer mehr Kriminelle als psychisch Kranke darzustellen…

    …und in den USA haben Sie zudem die Privatisierung der Justiz. Eigentümer von Gefängnissen, genauso wie Eigentümer von Hotels, profitieren von einer möglichst guten Auslastung ihrer Betriebe. Darum gibt es im profitorientierten Kontext überhaupt keinen Anreiz dafür, die Menschen zu “guten Bürgerinnen und Bürgern” zu erziehen.

    So bezahlt man Jahr für Jahr eben immense Summen für den “Sicherheitsapparat”, die man gar nicht erst nötig hätte, wenn man nicht erst so große soziale Probleme entstehen lassen würde.

  8. @Webbär: Worte und Werte

    Im Kern ging es bei Roper v. Simmons und ähnlichen Fällen in den USA um die verfassungsrechtliche Frage, ob diese Todesstrafen für minderjährige oder geistig behinderte Täter “grausam und ungewöhnlich” sind (siehe die achte Ergänzung der US-Verfassung von 1791).

    Dass die Mehrheit des US Supreme Court das 2005 auf einmal bejahte, lag meiner Meinung nach weniger an einem neuen semantischen Verständnis von “grausam”, sondern eher in der Bereitschaft, diese Strafen als grausam anzusehen.

    Ein Gegenbeispiel wäre die Streichung der Homosexualität aus dem Psychiatriehandbuch DSM in den 1970ern. Damals musste tatsächlich erst eine neue Definition für “psychische Störung” daherkommen (nämlich mit Schwerpunkt auf subjektives Leiden und soziale Funktionstüchtigkeit, die beide nicht bloß Folge sozialer Ausgrenzung sein durften), um diesen Befreiungsschlag durchzusetzen.

    Der inoffizielle Titel meiner Wissenschaftstheorievorlesung in Groningen, die nun immerhin schon ca. 3000 Studierende über sich ergehen lassen musste, ist “Die Macht der Definitionen” (The Power of Definitions). Dennoch verwehre ich mich gegen die PR-Taktiken derjenigen, die, wie der von Ihnen verlinkte Prof. A. S., Probleme schlicht damit lösen wollen, dass sie die Dinge anders definieren, also schlicht anders über die Welt reden.

    P.S. Zu Ihrer Teilnahme an der Diskussion können Sie selbst hier schlicht als Indikator verwenden, inwiefern andere zur Diskussion mit Ihnen bereit bzw. fähig sind.

  9. So schaut’s besser aus :

    Dennoch verwehre ich mich gegen die PR-Taktiken derjenigen, die, wie der von Ihnen verlinkte Prof. A. S., Probleme schicht damit lösen wollen, dass sie die Dinge anders definieren, also schlicht anders über die Welt reden. [der werte hiesige Inhaltegeber, Herr Dr.. Stephan Schleim sein Name]

    Antonin Scalia (R.I.P.) ist vom Schreiber dieser Zeilen nicht ‘verlinkt’ worden, sondern es ist vom Schreiber dieser Zeilen intendiert worden, Scalia folgend, die Sprache als die begrifflich intendierte Entwicklung von Welt zu verstehen, auch oder gerade auch im Rechtlichen, Altvorderen folgend.

    ‘PR-Taktiken’ liegen webbaer-seits nicht vor, dies nur randseitig angemerkt, Sie meinten, werter Herr Dr. Schleim nicht Dr. W (sondern den anderen, danke) :

    Es ist aus diesseitiger Sicht schon ein wichtiger Gesamt-Verhalt der Welt und begrifflichen Bestimmung durch Erkenntnissubkekte im Grundsatz A) der Arbeit Altvorderer folgen zu wollen oder B) derart gemein und modischerseits eher nicht oder eher zögerlich zu folgen, gegensätzlich, sich hier aber grundsätzlich entscheidend müssend.

    MFG – WB (der nun schon ein wenig, eingeräumtermaßen, Leichtbier getätigt, verzehrt hat, sich auch insofern gerne einstweilen ausklinkt – Ihnen für Toleranz dankt)

  10. @Webbär: Ich meinte tatsächlich nicht den Richter A. S., der möglicherweise auch Professor war?, sondern die Sprachpolizei Prof. A. S. Vielleicht macht das meinen Kommentar verständlicher.

  11. Zitat:

    Hier wurde nämlich das Höchstalter für die Anwendung des Jugendstrafrechts am 1. April 2014 – kein Aprilscherz! – von 20 auf 22 Jahre erhöht. Und der Gesetzgeber hat in der Begründung dafür ausdrücklich Befunde aus der Hirnforschung angeführt, nämlich zur Gehirnentwicklung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen.

    Für das niederländische Strafrecht beginnt das Erwachsenenalter also mit 22. Wählen und Heiraten kann man aber mit 18, was gemäss der Logik des Strafrechts bedeuten würde, dass Unreife wählen und heiraten können.
    Allerdings gab und gibt es solche Widersprüche schon lange. Bis 2006 etwa konnten in Frankreich 15-Jährige Mädchen/Frauen bereits heiraten. Gemäss Wikipedia gilt(Zitat):

    Im Iran galt bis Mai 2002 ein Mindestheiratsalter für Mädchen von 9 Jahren, seitdem von 13 Jahren, für Jungen von 15 Jahren. Im Jahre 2012 wurde erwogen, dieses für Mädchen wieder auf 9 Jahre zu senken

    Im Iran wären dann wohl 15-jährige Erwachsen, falls sie männlich sind, während Frauen schon mit 13 Erwachsene wären. Allerdings könnte im Iran auch die Auffassung herrschen, dass man nicht erwachsen sein muss um zu heiraten.

  12. Ich meine, Wolf Singer wird zu Unrecht wegen seiner Sicht zur „Willensfreiheit“, die im engen Zusammenhang mit dem „Neuro-Strafrecht“ steht, kritisiert.

    Ein „Verbrecher“ kann durchaus „Pech mit seinem Hirn“ haben, was aber noch lange nicht bedeutet, dass sich die Gesellschaft nicht vor solchen „Typen schützen“ darf. Dies hat auch Singer, der nach meiner Erinnerung sogar recht robust von „Absonderung“ sprach, betont. Was letztlich bedeuten würde, dass sozusagen „Unverbesserliche“ nicht frei kommen, egal ob alt oder jung. Es kommt auf eine sachliche rationale Lösung an, weniger auf die Befriedigung von Emotionen wie Rache oder auf philosophische Aspekte.

    In Amerika wohnen angeblich Angehörige der Opfer der Hinrichtung des Täters bei und spenden Beifall. Diese Vorstellung ist angeblich für die Täter besonders abschreckend.

    Die Philosophie sieht die Komplexität der Infomationsverarbeitung im Gehirn, z.B. auch bei Verbrechern, eben nicht realistisch genug. Es gibt auch noch zusätzliche Phänomene die bedeutsam aber unerklärlich scheinen.

    Es gibt z.b. den „Rudeleffekt“, besonders bei (jungen) Hunden, die im Rudel so allerhand „anstellen“. Besonders ausgeprägt auch bei Wölfen, die sinnlos (ohne vom Hunger getrieben zu sein), viele Schafe in einer Schafherde töten.

    Bei den erwähnten Fall des 17-jährigen Christopher Simmons, der mit Freunden ins Haus einer älteren Frau eingedrungen war, diese letztlich grausam ermordete, dürfte auch das „Rudelphänomen“ eine Rolle gespielt haben.

    Besonders aber auch die absurden Vorfälle bei den „Coronademos“ in Berlin würde ich auf dieses „Rudelphänomen“ zurückführen. Jeder möchte in der Gruppe die anderen Kumpels mit seinen verrückten Aktivitäten überbieten und die Zuschauer können nur noch staunend den Kopf schütteln.

    Ich vermute, dass dieses Phänomen letztlich bei den Faschingsumzügen institutionalisiert wurde. Die Menschen können sich sozusagen „austoben“ und keiner nimmt es ihnen übel.

    Unsere Demonstrationen sind eben zu „Faschingsumzügen“ verkommen.

    That´s life….

  13. Was hier wohl nicht bedacht wurde, ist wohl der Fakt, dass jugendlich (männliche) Gehirne doch sehr testosterongesteuert sind. Da wir dieses Stadium ja alle mal durchlaufen haben, kennen wir die massiven Auswirkungen auf triebgesteuerte Wesen. Das Gehirn ist reif genug, es fehlen nur die staatlich verordneten “Normen” ,die Einsichten und Erfahrungen, die Codierung. Letzteres ist nicht vom Alter abhängig , ist Teil eines sich anpassen wollen oder nicht anpassen wollen an die Werte dieser Gesellschaft. Jugendliche haben hier das Privileg, dass sie weniger vorgeprägt sind, also nicht solche Lemminge oder Herdentiere geworden sind wie die “Alten”. EINSICHT oder REIFE als Kriterium ist rechtlich gesehen zwar sinnvoll, hat aber nichts mit
    der Gehirnentwicklung gemein da es hier wohl um die Anpassung an die Wertenormen dieser Gesellschaft geht – die nicht unbedingt ausgereift sind .

  14. @Elektroniker: sehr gut Elektroniker, jetzt kommen sie zum Kern des Problems wenn’s um Neuro-Betrachtungen und den Übeltäter Hirn geht. Sie schreiben (Zitat):

    Ein „Verbrecher“ kann durchaus „Pech mit seinem Hirn“ haben

    Damit trennen sie die Person (den Verbrecher) von seinem Hirn, was man auch so formulieren könnte: gute Person mit einem Scheisshirn – mit einem Hirn für das er aber nicht verantwortlich, dass er einfach so bekommen hat.

    Meiner Meinung nach ist eine solche Trennung von Person und Hirn aber nicht möglich – ausser vielleicht bei multiplen Persönlichkeiten, beim Dr. Jekyll und Mr. Hyde-Syndrom.

  15. @Elektroniker&Querdenker: sie beide sprechen vom Hirn als Übeltäter und etwa noch vom testerongesteuerten Jugendlichen/Mann oder auch von Rudeleffekt. Elektroniker schreibt dann:

    Die Philosophie sieht die Komplexität der Infomationsverarbeitung im Gehirn, z.B. auch bei Verbrechern, eben nicht realistisch genug.

    Elektroniker denkt also, dass biologisch/neurologische Betrachtungen ein „realistischeres“ Menschenbild ergeben.
    Ich dagegen würde behaupten: jeder gute Anwalt, jeder Richter berücksichtigt bereits die Umstände einer Tat, das Rudelverhalten oder die Testerongetriebenheit. Da ist überhaupt nichts Neues dabei, denn Testerongetriebenheit und Rudelverhalten gab es schon immer und es war Richtern und Anwälten auch schon immer bekannt, dass es das gibt, wenn sie vielleicht auch andere Bezeichnungen dafür hatten.
    Etwas wirklich neues kommt erst dann dazu, wenn man das mit medizinischen oder erzieherischen Mitteln korrigieren will. Tatsächlich gab/gibt es solche Eingriffe, etwa die Kastration von Sexualstraftätern. Ich betrachte solche Eingriffe aber als problematisch – möchte sie aber nicht von vornherein ausschliessen.

  16. Stefan Schleim,
    Ihr Ansatz mit dem Gruppenzwang ist gut. Jugendliche , insbesondere männliche sind anarchistisch. Das hat mit Bosheit oder fehlender Einsicht nichts zu tun, die Ablehnung von Ordnung gehört in die natürliche Entwicklung jedes Menschen. Das beginnt in der Trotzphase, wo das Kind sein “Ich” entdeckt, geht weiter in der Pubertät, wo die Abnabelung vom Elternhaus stattfindet, geht weiter im Beruf, wo es um Macht und Einfluss geht. Wer seinem Chef den Posten streitig macht, überschreitet damit die Ordnung .Im Mittelalter hat man solche Probleme mit dem Schwert einfach gelöst, nur als Hinweis.
    Wenn wir also um Recht und Strafe diskutieren, dann dürfen wir die Entwicklungspsychologie nicht aus den Augen verlieren. Die Verlängerung des Jugendstrafrechts ist somit ein gelungener Einstieg.

    Dr. W.
    die Qualität einer Diskussion geht von der richtigen Definition von Begriffen aus. Anders geht es unter Männern nicht. Der Hinweis “Männer” sei erlaubt, weil Frauen unterschiedliche Meinungen anders bearbeiten. Es wäre gut, wenn jetzt ein Frau anwesend wäre.

    Was jetzt Beziehungstaten angeht, da kommt noch die Kultur hinzu. Lustmord, Mord aus Leidenschaft. Leider werden hier Männer und Frauen ungeleich behandelt. Eine Frau, die lange Jahre misshandelt wurde und ihren Mann vergiftet, die wird lebenslang bestraft, ein Mann der seine Frau nicht vergiftet, sie aber nur erschlägt bekommt mildernde Umstände , weil man dieser Art des Tötens den Affekt unterschieben kann. Welch eine Ungerechtigkeit den Frauen gegenüber.

  17. @Holzherr: Erwachsen im Recht

    Jein – dass verschiedene Rechtsgebiete verschiedene Altersgrenzen verwenden, scheint natürlich ein Widerspruch, über den ich in einem (wissenschaftlichen) Folgeartikel gerne noch einmal schreiben würde.

    Beim Heiratsalter muss man aber aufpassen: Bei Minderjährigen ist dann oft die Zustimmung der Eltern erforderlich. Mich würde es nicht wundern, wenn man so z.B. auch in Deutschland oder in den Niederlanden ab 16 heiraten könnte. Das ist nicht die Regel, in bestimmten religiösen oder ländlichen Kreisen aber vielleicht noch gängig.

    Apropos Religionen: Im Protestantismus wird man mit 13/14 Jahren konfirmiert, die Katholiken sind meines Wissens noch früher dran. Wenn ich zurück denke, haben damals alle meine Freunde wegen sozialen Drucks und/oder der Geschenke “ja” gesagt. Ich habe aus Gewissensgründen abgebrochen, auch wenn ich den Konfirmationsunterricht mochte. So pragmatisch ist man eben in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen.

    Die Frage, ab welchem Alter man psychisch reif genug ist – und bei manchen wird das früher sein als bei anderen – bleibt.

  18. @ Martin Holzherr 04.08.2020, 10:25 Uhr

    Die Formulierung „Pech mit seinem Hirn“ haben, war als kleiner Gag gedacht.

    Es ändert sich nichts an der Sache, er (der Verbrecher) hat eben Pech mit seinem „gesamten System“ gehabt, seinem neuronalen System und dem Zusammenwirken mit dem eigenen Körper, mit seiner gesamten Umgebung, seiner Herkunft, seiner Umwelt, …..

    Es ist auch „Glücksache“ ob man selbst, oder ob andere z.B. durch Erziehung, Therapie… auf das persönliche Verhalten wirklich Einfluss nehmen können. Therapeuten die sozusagen an der „Front“ arbeiten, können von Erfolgen berichten aber auch von unerwarteten absurden Misserfolgen. Alle Strukturen wirken, mitunter verhängnisvoll, zusammen. Vermutlich würden diese Therapeuten eher Wolf Singer bestätigen.

    Das neuronale System entwickelt sich „gemeinsam mit Körper und Umwelt“, ist absolut individuell und das Gehirn kann meiner Meinung nach keinesfalls „ausgetauscht“ werden wie z.b. die „Steuergeräte“ eines Autos (selbst die müssen individuell programmiert werden).

    Es scheint sinnlos diese „äußeren Umstände“ zu ignorieren und die Verantwortung auf den geheimnisvollen „freien Willen“ zu schieben, nur weil man alles an einer bestimmte „Entität“ (im Sinne der Informatik) festmachen möchte. Realistisch gesehen gibt es praktisch fast keinen „freien Willen“, er ist eine allenfalls nützliche Fiktion.

    Wie es „wirklich“ mit dem freien Willen „steht“, wird so manchem erst klar, wenn man sich dabei beobachten kann, wie man auf „erotische Signale“ bestimmter Sexualpartner/innen reagiert….

    Daran ernsthaft zu Glauben, einen „freien Willen“ zu haben, kann man verzichten, so wie an den Glauben an den Osterhasen….

  19. @Elektroniker: Schutz und Zwang

    Ich denke, dass man hier ein paar Dinge trennen bzw. präzisieren sollte.

    Gemäß Singers (oder Roths) Denken bestraft man Menschen nicht mehr, weil sie schuldig sind, sondern sperrt sie weg, weil sie gefährlich sind. Offen bleibt allenfalls, wie weit man bei präventiven Maßnahmen gehen darf, also bevor jemand überhaupt ein Verbrechen begeht. Es gab auch einen einflussreichen Verfassungsrechtler, der ähnliche Gedanken zu einem “Feindstrafrecht” ausarbeitete (Günther Jakobs).

    Aber ja, Gruppenzwang und/oder schlicht der Wunsch, dazu zu gehören, können sich auf so viele Weisen, mal konstruktiv, mal destruktiv äußern. Denken wir auch an politische Parteien, wo selbst unsere allerhöchsten Repräsentanten Rudelverhalten zeigen (Stichwort: Fraktionszwang), oder Fußballstadien.

  20. @Querdenker: Testosteron

    Nun bin ich doch interessiert: Wenn Kriminalverhalten vor allem am Testosteron läge, wäre das für Sie ein mildernder oder ein verschärfender Umstand?

    Also weniger Strafe und mehr Pädagogik oder präventive Psychotherapie oder Sicherungsverwahrung für Männer mit viel Testosteron?!

  21. “Ich fürchte jedoch, dass es in der Praxis viel zu wenige psychologische Angebote für Täterinnen und Täter gibt. Sie haben eben keine starke Lobby in der Gesellschaft, abgesehen vielleicht von ein paar Sozialarbeiterinnen und -Arbeitern.”

    Die Priorität ist so niedrig, dass es sogar dazu gekommen ist, dass in Niedersachsen so wenig Plätze sind, dass verurteilte Täter keine Klinikplätze bekommen:

    https://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/hannover_weser-leinegebiet/Massregelvollzug-Niedersachsens-Kliniken-ueberfuellt,massregelvollzug278.html

  22. @Wied: Jugend und Widerstand

    Wie werten Sie es dann aber, dass solche Widerstandshandlungen nicht bei jedem Jugendlichen auftreten und wenn, dann in unterschiedlichem Maße?

    Der eine färbt sich vielleicht die Haare blau; der andere legt sich mit den Autoritäten in blauen Uniformen an. Die soziale Schicht und ggf. der ethnische Hintergrund könnten hier eine Rolle spielen.

  23. @libertador: Therapiemangel

    Danke für den Hinweis, auch wenn das freilich keine guten Nachrichten sind…

    …und es wäre ja nicht das erste Mal, wenn ein deutsches oder europäisches Gericht diese Maßnahmen für Verfassungswidrig hält.

    P.S. Ich hatte in diesem Jahr in meiner Wissenschaftstheorie-Pflichtvorlesung im zweiten Jahr des Psychologie-Bachelors in Groningen fast 600 Studierende. Wie viele Psychologinnen und Psychologen müssen wir denn noch ausbilden, damit es reicht?!

  24. @Stephan

    »Und der Gesetzgeber hat in der Begründung dafür ausdrücklich Befunde aus der Hirnforschung angeführt, nämlich zur Gehirnentwicklung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen.«

    Wie bist Du darauf gestossen, nachdem Dir dieses “Revolutiönchen” offensichtlich jahrelang entgangen ist? Gab es überhaupt seither in den NL nennenswerte Reaktionen von philosoph. Seite dazu? Das kann ja wohl nicht sein, dass in ganz Holland kein Philosoph zu finden sein sollte, dem angesichts dieser Begründung nicht sogleich ein grober Kategorienfehler auffällt.

  25. Stefan Schleim,
    das Verhalten Jugendlicher ist auch genetisch festgelegt. Bei den eigenen Kindern erlebt man, wie unterschiedlich die Verhaltensweisen sind, bei gleicher Erziehung.
    Das reicht vom friedlichen Kind ohne jegliche Aggression, bis zum Wüterich, der so treffend in dem Jugendbuch von Hoffmann beschrieben ist, dem Struwwelpeter.
    Die Trotzphase scheint mir aber allgemein bei allen Kindern vorzuliegen, wenn nicht, dann ist das nicht der Norm entsprechend.

  26. @Chrys: Niederlande

    Eine Amsterdammer Kollegin machte mich bei ihrer Buchveröffentlichung 2015 (“Kijken in het brein: mythen en mogelijkheden”) darauf aufmerksam. Im längeren, niederländischen Artikel zum Thema, übrigens in einer Sonderausgabe über Neurophilosophie, bedanke ich mich dafür auch bei ihr.

    Ich hätte gerne schon früher hierüber geschrieben, doch hatte andere Dinge zu tun (u.a. Gerichtsverfahren gegen die niederländische Regierung). Mir wäre kein anderer Philosoph bekannt, der sich zu diesem Thema geäußert hätte. Im Peer Review des neuen englischsprachigen Artikel hieß es übrigens auch erst, das Thema sei gar nicht interessant genug für eine Publikation. Das ließ sich aber einfach entkräften.

    Ein paar Rechtsanwälte kritisierten die willkürliche Anwendung der neuen Regeln und niederländische Rechtswissenschaftler geben ihnen tendenziell Recht (siehe den englischsprachigen Artikel für aktuelle Quellen). An dieser Gehirn-Sache oder der Schlampigkeit des erwähnten Rats hat sich meines Wissens sonst noch keiner abgearbeitet.

    Auch ein paar Rechtswissenschaftler, die ich ausdrücklich hierauf aufmerksam machte, reagierten verhalten. Vielleicht will sich keiner mit dem Ministerium anlegen?

  27. @Wied: Den Genen…

    …wird gerne alles zugeschrieben, was man nicht anders erklären kann. Der Verlauf der Schwangerschaft und die Umstände bei der Geburt können auch eine Rolle spielen (so ist z.B. die Geburtsfolge der bisher stärkste bekannte biologische Effekt auf männliche Homosexualität, stärker als alle identifizierten Gene zusammen, siehe meine Diskussion hier: Was noch zur sexuellen Orientierung gesagt werden muss). Zudem verhalten sich Eltern den Kindern gegenüber nicht gleich. Selbst eineiige Zwillinge wachsen nicht in identischen Umwelten auf.

    Das sind alles nicht-lineare Effekte, die wir allenfalls oberflächlich verstanden haben. Übrigens stellen sie auch etablierte Praktiken von u.a. Zwillingsstudien in Frage. Doch das wäre ein Thema für ein anderes Mal.

  28. @ Stephan Schleim 04.08.2020, 11:56 Uhr

    Ich vermute, dass Singer und Roth zu den sehr realistisch denkenden Neurologen gehören.

    Klar wäre, dass abgesehen von den vielen an psychischen Problemen leidenden Menschen, besonders die an derartigen Problemen „leidenden“ (jungen) Straftäter eine entsprechende Behandlung benötigen würden.

    Nur ist realistisch denkenden Menschen klar, dass die Gesellschaft eine derartige Betreuung (durch geschulte Therapeuten) derzeit nicht erwirtschaften kann. Ähnlich wie man einmal argumentiert hat, es werde niemals ein alle Menschen erreichendes Telefonnetz geben, weil fast die gesamte weibliche Bevölkerung in den „Handvermittlungsstellen“ Tag und Nacht die Telefongespräche „vermitteln“ müsste. (Männer würden dies aus psychischen Gründen nicht aushalten. Selbst die Frauen sind immer wieder zusammengebrochen, mussten von den Kolleginnen auf ein vorbereitetes Bett geschleppt werden, dann kam der Arzt mit einer Spritze und die Betreffende bekam einige Tage Krankenstand verordnet).

    Die Technik hat dieses, als unmöglich geltende „Telefonsystem“ zur Kommunikation der Menschen untereinander realisiert und ich halte es auch für denkmöglich, dass die Kommunikation mit dem Therapeuten erfolgreich mittels Technik substituiert werden kann.

    Ich vermute daher, man wird aus Kostengründen für die Therapiearbeit einmal Computersysteme, womöglich mit KI nutzen. Dann wäre tatsächlich eine psychologische Betreuung letztlich „für Jedermann“, nicht nur für die Kriminellen, kostengünstig und erfolgversprechend möglich.

    Der „Computer“ stellt im Prinzip Fragen nach vorgegebenen an den jeweiligen Patienten optimal angepassten „Mustern“ (ähnlich wie das berühmte Programm „Eliza“). Wertet die „Reaktionsmuster“ aus, findet (anders als „Eliza“) passende neue Fragemuster, erhält letztlich statistische Daten um den Patienten beurteilen und individuell, mit einer bestimmten statistischen Erfolgsaussicht, optimal behandeln zu können.

    Joseph Weizenbaum (der „Erfinder“ von Eliza) soll sich über ähnliche, ehemals von einem am „Eliza Projekt“ beteiligten Psychiater geäußerten Gedanken, die ich oben ungefähr nachzuvollziehen versucht habe, furchtbar aufgeregt haben.

    Das Gehirn arbeitet auf Basis einer „Musterverarbeitung“, das ist ein alter Hut. Sich in diese „Musterverarbeitung“ kommunikativ einzubinden, diese Muster extern nachzuvollziehen und entsprechen einzuordnen, allenfalls die „Denkmuster“ des Patienten positiv zu verändern, das war Freuds recht erfolgreiches, modernes Behandlungskonzept.

    Er musste es zumindest nicht mehr selbst erleben, durch einen Computer „ersetzt“ zu werden…..

  29. St. Schleim
    “Testosteron”
    Sehr lustig. Dieses ist für mich keine Entschuldigung sondern ein Erklärungsversuch, macht es doch auch aggressiv und erklärt damit das Verhalten vieler Männer . Es ist also weder mildernd noch verschärfend also einfach nur menschlich. Vielleicht können sie damit neben Aggressivität auch Dominanz, Herrschsucht, Eitelkeiten oder andere Persönlichkeitsmerkmale verbinden und erklären. Vielleicht hat Donald Trump auch zu viel von diesem Hormon und Frau Merkel zu wenig ? Im Volksmund sagte man früher zu “solchen” Jugendlichen: Die müssen sich erst die Hörner abstoßen- was wohl die beste Psychotherapie ist wenn es andere hörnertragende Wesen nicht schädigt.

  30. zu Elektroniker 04.08.2020, 14:07 Uhr

    Möchte noch zu meinem Text hinzufügen, dass KI Systeme in der Psychotherapie den Vorteil hätten, dass ihre Wissensbasis extrem groß, also fast beliebig kumulieren kann, weil die Daten von unbegrenzt vielen Patienten zusammengeführt werden können und extrem viele Mustervarianten (an die ein einzelner Mensch gar nicht denken kann) berücksichtigt werden können.

    Für einen Therapeuten ist die Zahl der Patienten die er behandeln kann und damit seine „Erfahrung“ begrenzt.

    Die KI ist bei der systematischen Mustererkennung – verarbeitung (z.B. Bildern, …) jetzt schon Menschen überlegen.

  31. @ Querdenker 04.08.2020, 14:28 Uhr

    Zitat: „Vielleicht hat Donald Trump auch zu viel von diesem Hormon und Frau Merkel zu wenig ?“

    Vermutlich „substituiert“ Frau Merkel Testosteron durch überlegenen Intellekt.

  32. @Elektroniker (Zitat):

    Daran ernsthaft zu Glauben, einen „freien Willen“ zu haben, kann man verzichten, so wie an den Glauben an den Osterhasen….

    Klar gibt es keinen freien Willen zu wollen was man will. Aber …Es gibt den freien Willen zu tun, was man will. Das nennt man Handlungsfreiheit. Sie können heiraten wen sie wollen, essen was sie wollen und interagieren mit dem sie wollen. Allerdings ist auch die Handlungsfreiheit äusseren Einflüssen unterworfen. Und noch wichtiger: Solange jemand nicht krankhaften Handlungszwängen unterworfen ist , kann er/sie auch abwägen ob es in einer bestimmten Situation sinnvoll oder richtig ist, das zu tun, was er/sie eigentlich will. Dafür gibt es im Alltag unzählige Beispiele.

    1. Beispiel: Ein reifer, zu Jähzorn neigender Erwachsener, kann sich bewusst zurückhalten und etwa darauf verzichten, seinen Ehepartner oder sein Kind zu schlagen.

    2. Beispiel: ein areligiöser Mensch kann trotzdem an einer Kirchenzeremonie teilnehmen etwa aus Rücksicht auf Bekannte oder Freunde oder Familienmitglieder, denen das wichtig ist.

    Für das Strafrecht bedeutet diese Freiheit auf Handlungen verzichten zu können, dass ein potenzieller Täter die Situation richtig einschätzen kann und auf eine Straftat verzichten kann, weil er weiss, was die Tat für Konsequenzen hätte. Wer zu dieser Zurückhaltung nicht fähig ist, den nennt man oft impulsiv oder rücksichtslos oder/und unreif. Bei Adoleszenten wird dann wie im obigen Beitrag von Stefan Schleim dargestellt, oft angenommen, dass sie einfach noch unreif sind und dass sie es mit den Erwachsenwerden noch lernen.

  33. @ Martin Holzherr 04.08.2020, 15:57 Uhr

    Zitat: „Und noch wichtiger: Solange jemand nicht krankhaften Handlungszwängen unterworfen ist , kann er/sie auch abwägen ob es in einer bestimmten Situation sinnvoll oder richtig ist, das zu tun, was er/sie eigentlich will.“

    Genau diese „Handlungszwänge“, aber auch (bewusste oder unbewusste) „Zwangsgedanken“, sind sozusagen der „springende Punkt“ und eigentliche Ursache fast aller Probleme. Die sind es, die in Wirklichkeit ganz viele Menschen „unfrei machen“, von denen viele Menschen „getrieben“ werden, keinen wirklich “freien Willen” mehr haben.

    Bei problematischen Handlungen „leiden“ Mitmenschen. Bei „Zwangsgedanken“, Ängsten, Depressionen, …. leiden die Betroffenen selbst. Manche versuchen Alkohol und Drogen, beides kann zu noch größeren Problemen führen. Dazu kommen oft noch Geldsorgen, berufliche Probleme oder Sorgen um Kinder, Partnerschaften oder Krankheiten…..

    Das „psychische Elend“ in der Bevölkerung ist größer als man annimmt, auch dann wenn der „sichtbare“ Wohlstand noch nie so hoch war wie heute.

    Bei „leichten Problemen“ reichen mitunter einfache Psychotricks um sein Leben in vernünftige Bahnen zu lenken.

    Sonst wären die Psychologen/Psychiater „Helfer“ bei der Problemlösung. Die sind aber überlastet und ihre Tätigkeit kann derzeit kaum mittels „Mechanisierung“ gelöst werden, daher sind derartige Behandlungen (ohne Medikamente) teuer.

    Ich setze, wie schon geschrieben, auch hier auf die „Elektronik“.

  34. @Elektroniker (Stichworte): Handlungszwänge, Zwangsgedanken, Ängsten, Depressionen, Alkohol und Drogen
    Ja, solche Dingen machen unfrei und sind mehr oder weniger krankhaft. Doch es ist der Lebensstil und wie die Leute miteinander umgehen, die solch krankhafte Zustände entstehen lassen oder aber die Entstehung verhindern. Es ist falsch, das einfach an Psychologen und Psychiater abzuschieben.
    Übrigens denke ich, dass heute mehr Menschen relativ frei von Zwängen und krankhaften psychischen Veränderungen sind. Freier sind nicht unbedingt die, die im Arbeitsleben stehen, sondern es sind Senioren, denen es heute viel besser geht als vor 30 oder 50 Jahren.

  35. @Martin Holzherr 04.08. 15:57

    Volle Zustimmung meinerseits.

    „Klar gibt es keinen freien Willen zu wollen was man will. Aber …Es gibt den freien Willen zu tun, was man will. Das nennt man Handlungsfreiheit.“

    Die Diskussionen über die Willensfreiheit, die die Hirnforschung immer wieder aufgreift, erscheint mir als ein Trick, die Menschen zu entmündigen.

    Wenn ich dir erklären kann, was dein Gehirn mit dir macht, kenne ich dich besser als du dich selbst. Und dann kann ich dir helfen, mit dir selber klar zu kommen, aber dich auch vor dir selbst zu schützen. Und wenn nötig, auch die Gesellschaft vor dir zu schützen. Ob das angebracht ist, entscheidet ich als Gehirnexperte. Du selbst kannst da nicht viel zu sagen, du bist ja nur das Produkt deines Gehirns.

    Eigentlich ist Hirnforschung nur ein neuer Zugang zur Psyche des Menschen. Neben der Erfahrung mit sich selbst, der Erfahrung im Miteinander und auch der Beobachtung des Verhaltens von Menschen, ist Hirnforschung ein interessanter Aspekt, eine interessante neue Perspektive, von der aus man Menschen beobachten kann.

    Aber wirklich viel hat das bis heute nicht gebracht. Mal von Neurologischen Störungen abgesehen, liefert die Hirnforschung auch heute noch kaum was brauchbares, ist nur öfter eine kleine Ergänzung zur psychologischen und soziologischen Grundlage der Beobachtung und Systematisierung von konkreten Menschen.

    Darüber hinaus, jenseits von aller Wissenschaft und klinischer Perspektive, ist die Introspektion und Reflexion ein ganz wesentliches Element, wie der Mensch sich selbst und die Menschen in seinem Umfeld versteht. Das hat immer noch den meisten Erklärungswert. Dostojewski lesen hilft da Einiges. Und auch konkrete therapeutische Experten sind vor allem dann hilfreich, wenn sie mittels Introspektion und Reflexion in ihrem eigenen Leben und in ihrem eigenem sozialen Umfeld das menschlichen Leben und sein Risiken und Chancen gut kennen.

    Die Wissenschaftliche Basis nicht nur der Hirnforschung, sondern auch der Psychologie und der Soziologie ist einfach zu dünn, der Mensch ist zu vielfältig, hat zu viele Dimensionen, als dass man das in einfachen Regelwerken erfassen könnte. Die Erfahrung im direkten Gegenüber sind mit Nichts zu ersetzen, um Andere einschätzen zu können.

    Und die Hirnforschung hat noch einen sehr langen Weg vor sich. Erst braucht man das komplette Konnektom, um zu sehen wie ein Mensch auf der Ebene der Nervenzellen prinzipiell verschaltet ist, und dann muss man sich auch noch durch eine ungeheure Komplexität durcharbeiten, um hier wirklich schlau draus zu werden. Und die individuellen Unterschiede zwischen den Menschen sind noch mal ein Kosmos für sich, und der wird das auch voraussichtlich bleiben.

    Und inwieweit das menschliche Bewusstsein jetzt auch noch geistige Anteile an einem kosmischem Bewusstsein hat, ist hier noch nicht mal mitgerechnet.

    Angesicht dieser Schwierigkeiten, die auch die besten Experten in der Einschätzung von Straftätern haben, ist natürlich ein Strafrecht, das sich an den eventuellen zukünftigen Taten orientiert, eigentlich aussichtslos. Hier wird es zu einem Lotteriespiel, wie die Gutachter entscheiden, dessen Ausgang vom zufälligem Zusammentreffen der Strategie des Kriminellen, der wieder in Freiheit möchte, und der jeweiligen Ausbildung und der jeweiligen persönlichen Einstellung und Erfahrung des Gutachters.

    Das reine bestrafende Strafrecht hat den sehr attraktiven Vorteil, dass eben die tatsächlichen Taten auch tatsächlich nachweisbar sind, und auch nachweisbar sein müssen. Resozialisierung kann man ja trotzdem versuchen, und auch Therapie bei psychischen Störungen aller Art kann man ja im Gefängnis bzw. im Maßregelvollzug gerne anbieten. Aber die Dauer der Strafe sollte man in erster Linie an den tatsächlich begangenen Straftaten ausrichten. Einfach aus praktischen Gründen.

    Es wäre ja toll, wenn man im Vorfeld schon mittels Therapie bzw. Verwahrung die meisten Straftaten verhindern könnte. Aber das geht eben einfach schon deswegen nicht, weil menschliches Verhalten grundsätzlich nicht vorhersehbar ist.

  36. @Elektroniker: KI und Psychotherapie

    Nun ja, einen Teil könnte man ja über Videos vermitteln, dafür bräuchte man keine KI. Davon abgesehen: Wenn es in der Psychotherapie spezifisch um das Zwischenmenschliche geht, nicht nur um irgendwelche gedanklichen Techniken, dann ist äußerst fraglich, dass KI das ersetzen kann. (Das neue Buch von Thomas Fuchs hatte ich Ihnen schon empfohlen?) Im Übrigen haben wir schon seit ein paarhundert Jahren die Vervielfältigungstechnik “Buchdruck” und der Bereich “Lebensratgeber” verkauft sich ja nach wie vor gut.

    Was halten Sie eigentlich von diesem Sophia Roboter?

    Und am Rande: Ich sehe wenig künstliche Intelligenz – aber vor allem viel echte Dummheit. Etwa in der Form: Ich schalte auf meinem Mobiltelefon den Wecker aus. Eine Minute später meldet sich der Google-Asssitent: “Sie haben keinen Wecker eingestellt. Soll ich ihn für Sie aktivieren?” Danke, KI! Wo kann ich dich ausschalten?

  37. @Querdenker: Biologismus

    Ich weiß nicht, wie weit ich diesen Testosteron-Erklärungen folgen soll… Wenn man mal die Jugendlichen der 1930er/1940er/1950er (in der Masse, nicht nur die Extremfälle) mit denen von heute vergleichen würde, dann würden einem Wohl beachtliche Unterschiede auffallen: Die ganze Zeit am Computer sitzen, am Smartphone kleben, allenfalls noch auf dem Skateplatz abhängen – aber auch dort vor allem aufs Smartphone starren oder Selfies mit dem Skateboard machen?!

    Das Soziale halte ich für determinierender als das Biologische.

  38. Stephan Schleim,
    das “Soziale” ist das Vorbild, an dem sich Jugendliche orientieren. Das ist richtig und das vergessen viele Erwachsene wenn sie auf dem Egotrip sind oder wenn der eilige Geschäftsmann bei Rot über die Straße läuft, während die Kinder mit der Mutter am Fußgängerüberweg wartet.
    Für solche Situationen braucht es kein Soziogramm der handelnden Personen, es reicht das Gesetz, die Vorschrift, das Verbot die Straße bei Rot zu überqueren. Und man muss auch nicht einsichtig sein das zu verstehen auch wenn sich kein Auto nähert.
    Ein Hinweis auf das Verbot, die Frucht vom Baum im Paradies zu essen, das scheint hier passend.

    Bei Beziehungstaten kommt man mit reinen Verboten nicht aus. Blut ist dicker als Wasser, sagt der Volksmund und meint, dass es Verhaltensweisen, Regeln gibt, die vom Gesetzgeber verboten sind, von der Familie aber gefordert werden. Als Beispiel sei hier mal die Familienehre bei Immigranten genannt, die bewusst gegen unsere Gesetze verstoßen und das trotzdem für richtig halten.

    In diesen Fällen ist das Suchen nach der Schuldfähigkeit im Gehirn nicht sinnvoll .

  39. @Stephan / 04.08.2020, 13:29 Uhr

    Den verlinkten Open Access Artikel habe ich mir inzwischen geholt. I like it.

    »Most importantly, legal responsibility is not a neuroscientific category.«

    Ja, das war so auch mein Gedanke dabei.

    Womöglich halten die genannten Rechtswissenschaftler es auch für ausgesprochen rational, sich zur Begründung bei der Gesetzgebung auf Ergebnisse der Neurobiologie zu stützen. Und verkennen dabei, dass im Lichte der Aufklärung eine unreflektierte Vermischung von Sein und Sollen, von Facts and Values, oder, in Kants Begriffen, von reiner und praktischer Vernunft doch alles andere als rational ist.

    Wäre noch ein schöner Erfolg, sollte es Dir gelingen, mit den Publikationen erneut einen Diskurs darüber anzustossen bei resp. mit den Leuten, die es angehen sollte. Und ganz allein stehst Du mit Deiner Sicht der Dinge gewiss auch in den Niederlanden nicht.

  40. @Chrys: Soziale Kategorien

    Wenn du mich fragst, steht der Nachweis, dass man menschliches Verhalten rein auf der neurowissenschaftlichen Ebene besser erklären oder vorhersagen kann, vielleicht mit Ausnahme bestimmter neurologischer Erkrankungen, immer noch aus.

    Wir sind uns wohl einig, wie man hier einen Kategorienfehler vermeiden kann. Ab wann man Menschen im allgemeinen für voll verantwortlich hält, ist kein kein Naturgesetz, sondern eine soziale Konvention. Dabei ist es aber nicht prinzipiell falsch, sich auf empirische Studien zu stützen. Im Gegenteil: Worauf denn sonst? Womit wir wieder zum vorherigen Absatz kämen.

    Mal schauen, wer diese Studie wahrnimmt. Es ist doch so, dass einfallslose PostDocs und PIs auf der Suche nach Fördergeldern und Projekten alles Mögliche als “gute Wissenschaft” verkaufen. Das ist Zweckoptimismus, wie der eines Gebrauchtwagenhändlers. Ein Vorteil ist, dass diese Zeitschrift durchaus auch von Psychologen wahrgenommen wird und es da genug gibt, denen der Neuro-Fetischismus auf die Nerven geht.

    P.S. Als Kant-Kenner, ist dir vielleicht der 2,5-Millionen-Preis für die Kant-Forscherin Pauline Kleingeld an meiner Uni aufgefallen?

  41. @ Stephan Schleim 05.08.2020, 08:07 Uhr

    Der „Sophia Roboter“ ist für mich ein origineller Gag. Einfach einen Menschen „nachzuäffen“, halte ich nicht für wirklich sinnvoll.

    Ich habe eher an die Methoden der Testpsychologie (Assoziationsverfahren) und daran gedacht, dass KI Systeme im Bereich Mustererkennung z.b. bei der Auswertung von Tumor Röntgenbilder besonders erfolgreich sind. Computer können riesige Datenmengen auf für bestimmte Sachverhalte (Krankheiten) typische Muster scannen. KI Systeme können (wie auch in der Wirtschaft bereits genutzt) Muster erkennen, auf die ein Mensch kaum kommen würde und die signifikant sein können. Sehr viele zu testende Patienten wären praktisch kein Problem mehr.

    Weniger habe ich an mediale Techniken für Lebenshilfe gedacht.

    Neben „biographischen Mustern“, sprachlich semantischen Mustern, können zusätzlich Stimmmuster, Hautwiderstand, Temperatur ….. allenfalls auch Muster aus dem EEG und EKG die vom Patienten stammen, in die Musteranalysen einbezogen werden. („Lügen“ oder besondere „Emotionen“ könnten, z.B. ähnlich wie beim „Lügendetektor“, erkannt werden).

    Es ist praktisch eine Erweiterung der üblichen analytischen Verfahren der Psychologie. Mehr Patienten, bessere Qualität, keine ausufernden Personalkosten…..

    Vermutlich sind diese Analyseverfahren deswegen relativ erfolgreich, weil sie auf Musteranalysen beruhen, andererseits das Gehirn eher auch eine biologische „Musterverarbeitungsmaschine“ ist.

    Absurde Fehlleistungen kommen bei elektronischen Systemen gelegentlich vor. Ein Bekannter wollte sein neues „sprechendes Auto“ vorführen. Wegen eines Sensorfehler „quatschte“ das Auto auf der ganzen Fahrt: „Bitte anhalten und den Kofferraumdeckel schließen“. Der Fahrer konnte es nicht abstellen….

  42. @Elektroniker (Zitat):

    Der „Sophia Roboter“ ist für mich ein origineller Gag. Einfach einen Menschen „nachzuäffen“, halte ich nicht für wirklich sinnvoll. …
    Ich habe eher an die Methoden der Testpsychologie gedacht.

    Damit gehen ihre Vorstellungen aber an den Bedürfnissen vieler Menschen/Patienten vorbei. Die persönliche Beziehung ist ein starkes Bedürfnis. Schon bei Weizenbaums ELISA-Programm (Dialogsystem zur Simulation eines Psychologen/Psychiaters) wollten die Versuchspersonen (die Patienten) bald einmal allein sein mit der Maschine um sich unter 4 Augen 👀 👀? (oder 2 Ohren und einem Mikrofon) auszutauschen. Das Bedürfnis nach einer persönlichen Beziehung, einem Freund, ist auch ein wichtiger Grund, dass viele einen Hund halten. Schliesslich zeigt sich dieses Bedürfnis und die möglichen Folgen einer künstlichen Beziehung auch im U.S.-Film Her, in dem die Hauptperson, ein einsamer Mann, sich unsterblich (?) in Samantha verliebt, ein Betriebssystem mit der Stimme von Scarlett Johansson, wobei sich später herausstellt, dass auch seine Ex-Frau sehr gut mit Samantha klarkommt, ja dass Samantha tausende von Beziehungen „pflegt“. Irgendwann macht Samantha dann Schluss und unser Held ( Joaquin Phoenix ) ist wieder so einsam wie zuvor.

  43. @ Martin Holzherr 05.08.2020, 18:12 Uhr

    Der Ausgangspunkt dieser Diskussion war das „Neuro Strafrecht“. Singer und Roth vermuten eher, dass Kriminalität auch psychisch/neurologische Ursachen hat, der „freie Wille“ eine (nützliche) „Fiktion“ ist.

    Ich nehme an, sie vermuteten auch, dass entsprechende Behandlungen nützlich sein könnten, aber eben zu teuer für die Gesellschaft sind, dass man letztlich überwiegend dabei bleibt Betroffene „abzusondern“ und kaum wirksam behandelt.

    Ich als ehemaliger Techniker sehe es so, dass heutzutage jeder (mehrere) Telefone hat und jede Menge anderer „technische Spielereien“. Durch Einsatz von Hochtechnologie können wir uns praktisch alle „Wohlstand“ leisten.

    Im Medizin/Pflege/Sozialbereich ist Hochtechnologie durchaus schwierig.

    Dass persönliche Beziehungen ein starkes Bedürfnis sind, ist mir schon klar. Hier stand aber der „Krankheitsaspekt“ (bei dem natürlich auch das soziale Umfeld wichtig ist) im Vordergrund.

    Angeblich freuen sich in Japan alte Leute dass sie mit Roboterhunden und Katzen „kuscheln“ können, oder dass ein „Gesundheitslabor“ natürlich auch mit einer automatische Reinigungs- und Trocknungsfunktion im WC eingebaut ist.

    Röntgenbilder von einer KI Software auswerten zu lassen, ist besonders einfach und scheint sehr erfolgreich. (Ich persönlich „träume“ übrigens davon meine alten Landschaftsvideos mit erschwinglicher KI Software auf 4K „aufzupeppen“, was Profis sogar mit alten Filmen vom 1 Weltkrieg ganz gut geschafft haben).

    KI Softwarehilfe direkt bei der Psychotherapie, oder der Vorschlag Medikamente oder bestimmte Ops vorzuziehen, scheint mir zweckmäßig.

  44. Zu Elektroniker:
    Zu ihrer Mustererkennung:
    Ihr “Muster” von Frau Merkel erinnert mich an Schlagzeilen der Medien der letzten Tage “Merkel ist intelligenter als Trump”. Ich weis nicht, wer da einen Intelligenztest gemacht hat, aber solche “intelligenten Muster” wurden mir nicht mal in der DDR vorgesetzt ,frei nach dem Motto : Honecker ist intelligenter als Kohl.
    Ansonsten frage ich mich, ob ein selbst denkender kritischer fünzehnjähriger Junge “unreif” ist wenn er erkannt hat, dass einige Politiker sich ihren Doktortitel erschwindelt haben und Fünfzigjährige, die das nicht erkennen , reif sind, also mit einem gesetzlich anerkannten ausgereiften Gehirn , was auf Mustern aus Schlagzeilen der Medien wie gewünscht reagiert.

  45. @Elektroniker (Zitat):

    Singer und Roth vermuten eher, dass Kriminalität auch psychisch/neurologische Ursachen hat, der „freie Wille“ eine (nützliche) „Fiktion“ ist.

    Zugespitzt könnte man doch sagen: Singer und Roth glauben dass wir im Grunde alle nur Ameisen 🐜 sind und unser Programm abspulen. Dumm nur, dass das in letzter Konsequenz auch bedeutet, dass auch Singer und Roth sowie Philosophen und Ethiker dann nur Ameisen 🐜 sind, was dann auch bedeuten würde, dass Moralsysteme und Ethikregeln und auch Regierungsformen vollkommen willkürlich sind. Bei so einer Sicht ist es dann nicht mehr weit zu Massnahmen wie Elektrokrampftherapie, medikamentöse Ruhigstellung oder Hirnoperation zwecks Resozialisierung.

  46. @ Querdenker (Zitat):

    Ansonsten frage ich mich, ob ein selbst denkender kritischer fünzehnjähriger Junge “unreif” ist wenn er erkannt hat, dass einige Politiker sich ihren Doktortitel erschwindelt haben und Fünfzigjährige, die das nicht erkennen , reif sind

    Da scheinen sie Intelligenz mit Reife gleichzusetzen. Reife äusserst sich aber meiner Meinung eher in Handlungen als im „Durchblick“, den einer hat. Ein reifer Mensch handelt reif: er berücksichtigt die Auswirkungen seiner Handlungen auf die anderen und sich selbst.

  47. @Stephan / 05.08.2020, 15:47 Uhr

    Da sind wir uns absolut einig. Im übrigen fehlt es mir an Erfahrung mit den Rechtswissenschaften, um einschätzen zu können, wie hoch der Anteil an philosophischen Einfaltspinseln dort sein mag. Ich würde zwar intuitiv erwarten, dass diese Quote deutlich niedriger ist als e.g. in der Neurobiologie, aber ich könnte mich da freilich irren.

    Das mit dem Kant-Kenner nehme ich mal als schmeichelhaftes Kompliment.* Und Pauline Kleingeld musste ich erst mal googeln. Wie ich sehe, sie ist eine herausragende Ethikerin, und diese Auszeichnung freut mich sehr für sie — wie auch für die RUG.

    * Tatsächlich habe ich nicht mehr Scheine in Philosophie vorzuweisen als Henri Poincaré — der meines Wissens erste und einzige studierte Ingenieur, dessen philosophisch gehaltene Texte auch von professionellen Philosophen vorbehaltlos respektiert wurden und nach wie aufgegriffen werden. Und wie G.H. von Wright es schreibt. hatte die Thematisierung der Sein-Sollen Dichotomie in Poincarés 1913 posthum veröffentlichten Dernières Pensées nachfolgend speziell in der skandinavischen Rechtsphilosophie um Axel Hägerström einige Diskussionen angeregt. Die Rechtsgelehrten brauchen vielleicht hin und wieder einen extern vermittelten Impuls, um in Fahrt zu kommen.

  48. Nun unterliegt natürlich das Nervensystem unseren psychischen Fähigkeiten, auch wenn wir oft keine Eins-zu-eins-Zusammenhänge feststellen können.

    Ich denke, es ist genau anders herum: Die psychischen Fähigkeiten unterliegen dem Nervensystem.

    In der zugehörigen Frontiers-Publikation ist es jedoch korrekt dargestellt, und zwar in diesem fragenden Satz:

    »Whether an understanding of the neural processes underlying these behavioral differences is more informative than the already available developmental–psychological and behavioral evidence is an open question. «

    Wir dürfen annehmen, dass genau diese Auffassung, dass nämlich das Nervensystem den psychischen Fähigkeiten und somit auch dem Verhalten zugrunde liegt, den niederländischen Gesetzgeber dazu bewogen hat, den altersabhängigen neurobiologischen Reifegrad des Gehirns ausdrücklich als weitere Gesetzesbegründung ins Feld zu führen.

    Bekanntlich ist die Schuld des Täters Grundlage für die Zumessung der Strafe. Unter anderem darum gibt es das Jugendstrafrecht. Und darum wird auch immer die Schuldfähigkeit eines Straftäters geprüft, implizit oder explizit. Worin sollte diese Schuldfähigkeit begründet sein, wenn nicht in den psychischen Fähigkeiten, die dem Nervensystem unterliegen?

    (Es ist mir schleierhaft, wieso der eine oder andere meint, es läge hier ein Kategorienfehler vor.)

  49. @ Martin Holzherr 05.08.2020, 20:24 Uhr

    Ich fürchte, die Menschen die sich nicht mit den Sichtweisen Wolf Singers zum „freien Willen“ abfinden können, haben die „3. Kränkung der Menschheit“ noch nicht überwunden.

    „Kränkungen der Menschheit“ ist angeblich ein von Sigmund Freud im Jahr 1917 geprägter Begriff für umstürzende wissenschaftliche Entdeckungen, die, so Freuds These, das Selbstverständnis der Menschen in Form einer narzisstischen Kränkung in Frage gestellt haben.

    Zitat Wikipedia: „In seiner Arbeit „Eine Schwierigkeit der Psychoanalyse“ aus dem Jahre 1917 stellt Freud die Widerstände dar, die der von ihm entwickelten Psychoanalyse seiner Auffassung nach entgegenstehen, bevor sie allgemein anerkannt werde. Wie jede wissenschaftliche Neuerung müsse sie sich gegen das etablierte Denken durchsetzen. Aber der „größere Anteil rührt davon her, daß durch den Inhalt der Lehre starke Gefühle der Menschheit verletzt worden sind.“

    Freud nennt drei große Einschnitte, die der naive Narzissmus des menschlichen Bewusstseins durch den historischen Fortschritt wissenschaftlicher Erkenntnis erlitten habe:

    1. Die kosmologische Kränkung: Die erste Erschütterung sei die mit dem Namen Kopernikus verknüpfte Entdeckung gewesen, dass die Erde nicht der Mittelpunkt des Weltalls ist (vgl. Kopernikanische Wende).

    2. Die biologische Kränkung: Die zweite Kränkung lag in der Entdeckung, dass der Mensch aus der Tierreihe hervorgegangen ist (Charles Darwin und andere).

    3. Die psychologische Kränkung: Die dritte Kränkung sei die von ihm entwickelte Libidotheorie des Unbewussten; ein beträchtlicher Teil des Seelenlebens entziehe sich der Kenntnis und der Herrschaft des bewussten Willens. Die Psychoanalyse konfrontiere das Bewusstsein mit der peinlichen Einsicht, (…) daß das Ich nicht Herr sei in seinem eigenen Haus.“

  50. @Balanus: Sprache

    1) Es könnte sein, dass ich die Reihenfolge im Deutschen umgedreht habe, wo “unterliegen” so viel wie “bestimmt werden durch” bedeutet…

    …das englische “underlying” bedeutet aber so viel wie “die Basis” oder “Ursache sein von”. Vielleicht rührt daher meine Formulierung, da ich dachte, dass das, was unterliegt (im Sinne von: darunter liegt) grundlegender ist – übrigens vielleicht fürs Sein, nicht aber fürs Verständnis.

    2) Und daher ist deine Verteidigungsstrategie für den niederländischen Gesetzgeber auch ein Eigentor: Denn dass Jugendliche sich (im Mittel) minder verantwortungsvoll verhalten, wissen wir ja gerade nicht durch das Studium des Nervensystems, sondern die Beobachtung des Verhaltens, also die Psychologie.

  51. P.S. Balanus: Ich habe es im Text angepasst, um missverständnissen vorzubeugen. Interessant übrigens, dass das keinem außer dir aufgefallen ist. Danke für den Hinweis.

  52. @ Balanus 07.08.2020, 11:05 Uhr

    Zitat: „Es ist mir schleierhaft, wieso der eine oder andere meint, es läge hier ein Kategorienfehler vor“

    Das Problem ist, man „bewegt“ sich sozusagen in „2 Kategorien“, wenn man auf das „Wechselspiel“ Körper und Psyche eingeht, wenn man Fehlerursachen erkennen will.

    Angeblich dürfte es dies aus Sicht der Philosophie nicht geben, weil Geistiges niemals mit Körperlichem wechselwirken könne. Ich habe einmal Argumente dafür gelesen was mich fast davon überzeugt hätte, finde diese aber leider nicht mehr.

    Aber in der Elektronik sind definierte Wechselwirkungen zwischen den unterschiedlichen Kategorien „Hardware und Software“ völlig selbstverständlich, weil mittels (elektronischer) und genau beschreibbarer Interpretermechanismen die Wechselwirkungen absolut selbstverständlich und alltäglich sind.

    Ich finde, diese Sicht lässt sich auf die Neurologie/Psychologie übertragen.

    Bedeutet:
    1.) Das Nervensystem generiert aus „geistigem“ („Gespeichertem Wissen“), z.B. „Sprache“ (Luftdruckwellen) mittels der ein auch „geistiger Output ausgegeben“ wird.

    2.) Umgekehrt, der „geistige Input auf den sprachlichen Luftdruckwellen“ kann im neuronalen System von der Sensorik ausgewertet, umgesetzt werden und die synaptischen Strukturen erweitern, so dass im neuronalem Zielsystem neues Wissen kumuliert.

    Probleme können an der „Qualität des geistigen Input“ liegen, an der fehlerhaften „Umsetzung“, oder der fehlerhaften „Hardware“. Es ist in der Informatik/Elektronik so und offensichtlich auch im Bereich Psychologie/Neurologie.

    Es ist eine saubere Beschreibung der Prozesse auf beiden Ebenen (die verschiedenen Kategorien angehören) und auch der Übergänge zwischen diesen Ebenen nötig.

    „Kategorienfehler“ dürften dann entstehen, wenn man sozusagen „gemischte Beziehungen“ einfach verknüpft. Man muss auf verschiedene Kategorien achten.

  53. @Elektroniker // 07.08.2020, 12:24 Uhr

    »Aber in der Elektronik sind definierte Wechselwirkungen zwischen den unterschiedlichen Kategorien „Hardware und Software“ völlig selbstverständlich, …«

    Kein Wunder, hier beruht ja auch alles auf physikalischen Prozessen. Was auch leicht einsehbar ist, im Gegensatz zu den Vorgängen im Menschen.

    Um in der gewählten Analogie zu bleiben: Die *Bedeutung* einer Software, ihr Nutzen, ihr Wert für den Anwender, das fiele hier in eine andere Kategorie als die der Physik. Die Software als solche, also der Programmcode, ist eine physikalische Entität. (Übrigens ebenso wie die Systemeigenschaften des Gehirns, behaupte ich mal…)

  54. Stephan Schleim // 07.08.2020, 11:28 Uhr

    Eigentor

    »Denn dass Jugendliche sich (im Mittel) minder verantwortungsvoll verhalten, wissen wir ja gerade nicht durch das Studium des Nervensystems, sondern die Beobachtung des Verhaltens, also die Psychologie.«

    Die Frage ist aber doch, ob sie, die Jugendlichen, (im Mittel) auch anders könnten, wenn sie nur wollten.

    Die Erkenntnisse der Neurowissenschaften zur Gehirnentwicklung und –reifung lassen da anderes vermuten.

  55. @Balanus Kategoriefehler

    „Die psychischen Fähigkeiten unterliegen dem Nervensystem. … Worin sollte diese Schuldfähigkeit begründet sein, wenn nicht in den psychischen Fähigkeiten, die dem Nervensystem unterliegen? Es ist mir schleierhaft, wieso der eine oder andere meint, es läge hier ein Kategorienfehler vor. (Es ist mir schleierhaft, wieso der eine oder andere meint, es läge hier ein Kategorienfehler vor.)“

    Die Betrachtung von innen, wie wir unsere eigene Innenwelt erleben, ist ja zunächst mal etwas ganz anderes, als die Betrachtung des Nervensystems mit Mikroskopen oder mit den „Bildgebenden Verfahren“. Die Untersuchung menschlichen Verhaltens hat so auch in erster Linie mit den Zielen zu tun, die der konkrete Mensch hat. Den Bankräuber versteht man am ehesten, wenn man sich dessen Ziele vor Augen führt, also das Bestreben schnell an Geld zu kommen. Dazu mag eine gewisse Lust an Gewalttätigkeiten kommen.

    Genau diese Ziele jetzt mit der Untersuchung des Räubergehirns zu ermitteln, ist heute unmöglich, und wäre auch überflüssig umständlich. Soviel zu den praktischen Unsinnigkeiten der Perspektive aus Sicht des Nervensystems.

    Ein anderes Problem ist die Sicht auf geistige Aspekte der menschlichen Psyche. Das allein das Nervensystem die Psyche produziert ist eine Sichtweise, die davon ausgeht, dass unsere Psyche keinerlei geistige Anteile hat. Wenn es diese aber doch gibt, wovon die meisten traditionellen Religionen ausgehen, dann kommt hier eine weitere, eine geistige Komponente ins Spiel. Das bezieht sich dann logischerweise auch auf das Thema Schuld und Verantwortung. So kann man auch z.B. von bösen Geistern geritten werden, wer weiß das schon so genau?

    Ich persönlich gehe davon aus, dass das menschliche Bewusstsein durch eine Synthese aus dem lokalen Gehirn mit einem kosmischem Geist entsteht. Das muss nicht stimmen, aber meine Sichtweise widerspricht eben ganz klar der Einschätzung, dass das Gehirn hier alles alleine macht. Es ist also Realität, dass der Mensch sich hier anders definieren kann. Nicht nur in meinem Fall.

  56. @ Stephan Schleim 07.08.2020, 11:28 Uhr

    Zitat: „Und daher ist deine Verteidigungsstrategie für den niederländischen Gesetzgeber auch ein Eigentor: Denn dass Jugendliche sich (im Mittel) minder verantwortungsvoll verhalten, wissen wir ja gerade nicht durch das Studium des Nervensystems, sondern die Beobachtung des Verhaltens, also die Psychologie.“

    Ich meine, es geht beim Adoleszentenstrafrecht um die „Hardware“, die sich nun einmal mit dem Alter entwickelt. Die „Hardware“ ist sozusagen verantwortlich dafür, dass auch die „Software“ bestens funktioniert. Es bleibt gar nichts anderes übrig, als zu versuchen die neurologische Entwicklung zu erforschen.

    Zuerst wird immer aus psychologischer Sicht das Verhalten auffallen und die Neurologen finden vielleicht eine Ursache.

    Die Berücksichtigung von Milderungsgründen wird der Richter eher unabhängig vom Alter vornehmen. Es ist nun einmal so, dass besonders in Amerika, 5 Jährige ihre Geschwister oder ihre Mutter erschießen. Dass kleine Kinder nicht verantwortlich sein können ist klar, genau so, dass es irgend wo eine (oder mehrere) Altersgrenze(n) geben muss.

    Ergebnisse der Wissenschaft werden heutzutage nun einmal „zerpflückt“ und 10 Jahre später kann das Gegenteil Stand der Wissenschaft sein.

    Die Politiker klagen immer wieder über die „Kakofonie“ unter den Wissenschaftlern, wie sollten sie damit umgehen?

  57. @Balanus: Ein paar Fakten

    1. Das Gehirn ist, wie wahrscheinlich alles in uns, (auch) sozial geprägt.

    2. In der biologischen Entwicklung gibt es keine festen Kriterien, auf denen unsere normativen Kriterien basieren, sondern nur fließende Übergänge.

    3. Die Unterschiede innerhalb einer biologischen Altersgruppe dürften größer sein als die zwischen Altersgruppen.

    Damit ist doch alles gesagt.

  58. @Elektroniker: Kakophonie

    Ich sehe das anders, dass Politiker sich diejenigen Sachverständigen suchen, die ihren eigenen Standpunkt (also die Parteilinie) bestätigen…

    …viele Diskussionen in der Wissenschaft kranken daran, dass die Teilnehmenden ihre Grundvoraussetzungen nicht offenlegen und so auch nicht zur Diskussion stellen.

  59. @ Balanus 07.08.2020, 14:42 Uhr

    Zitat: „Die Software als solche, also der Programmcode, ist eine physikalische Entität.“

    Dafür dürfte es keinen Nachweis geben. Es gibt zwischen „Information“ und der „Welt der Physik“ keinen eindeutigen Zusammenhang, wie z.b. zwischen Energie und Masse.

    Letzterer Zusammenhang besteht mathematisch eindeutig (z.B. E=m*c^2).

    Information benötigt zwar einen physikalischen „Datenträger“ aber der kann für die gleiche Information z.B. 1 Mikrogramm oder 1 Gramm schwer sein, ähnlich verhält es sich auch beim Energiebedarf zur Informationsverarbeitung.

    Daher sehen viele „Information“ eigenständig, wie „den Geist“, unabhängig von der Physik.

    Die „realen“ Vorgänge im Menschen dürften sehr wohl nach den Gesetzen der Physik, Chemie ….ablaufen, die „geistigen informellen“ Vorgänge nach den Gesetzmäßigkeiten der elektronischen Informationsverarbeitung.

    Laut W. McCulloch beruht die Informationsverarbeitung auf „logischen Gatteranordnungen“, ähnlich wie in der Elektronik. Allerdings nicht mit der „Exaktheit“ wie in modernen technischen Systemen. Die einzelnen „Gatterfunktionen“ im neuronalen Netz sind chemischen Einflüssen ausgesetzt, daher „bestimmt“ eine Mehrheit der einzelnen Gatterverknüpfungen die „logische Funktion“.

    Daher denken Menschen „launenhaft“ und unterschiedlich, nicht präzise eindeutig wie ein Computer.

  60. @ Stephan Schleim 07.08.2020, 16:38 Uhr

    Ich sehe es natürlich auch so wie Sie, dass Politiker (eher) sich diejenigen Sachverständigen suchen, die ihren eigenen Standpunkt (also die Parteilinie) bestätigen.

    Die Kakophonie bietet, verursacht erst diese Möglichkeit.

    Zitat: „…viele Diskussionen in der Wissenschaft kranken daran, dass die Teilnehmenden ihre Grundvoraussetzungen nicht offenlegen und so auch nicht zur Diskussion stellen.“

    Ich vermute die „Grundvoraussetzungen“ legen sie eben genau deswegen nicht offen, um nicht noch mehr „Angriffspunkte“ zu liefern….

    Das „Wissenschaftsgeschäft“ scheint heutzutage sehr hart zu sein…

  61. @Elektroniker: Henne oder Ei?

    Tja, was ist hier Ursache, was Wirkung?

    Vertreten Wissenschaftler so viele unterschiedliche Standpunkte, weil sie damit ihre Interessen durchsetzen können? Oder setzen Wissenschaftler ihre Interessen durch, weil so viele unterschiedliche Standpunkte vertreten?

    Im Übrigen denke ich, dass die Kakophonie gar nicht so vielstimmig ist; im Wesentlichen handelt es sich doch um marktgängige und damit im heutigen System förderungswürdige Standpunkte.

  62. @Tobias Jeckenburger // 07.08.2020, 15:12 Uhr

    Kategorienfehler

    Es geht hier doch gar nicht darum, das „Räubergehirn“ neurowissenschaftlich zu untersuchen, sondern es geht um die Frage, ob uns die Neurowissenschaften bei der Frage helfen können, ab welchem Alter man voll verantwortlich (für seine Straftaten) ist. Also welche Altersgrenze man sinnvollerweise wählen sollte.

    Ich sehe nicht, warum das nicht möglich sein soll, bzw. wo hier ein „grober Kategorienfehler“ (@Chrys) wäre.

  63. @Stephan

    Apropos Fakten

    »1. Das Gehirn ist, wie wahrscheinlich alles in uns, (auch) sozial geprägt.«

    Ich würde es zwar etwas anders formulieren, aber ja, gerade weil das Gehirn mit 21 Jahren (im Mittel) noch nicht voll ausgereift ist, erscheint es sinnvoll, in bestimmten/manchen Fällen das Jungendstrafrecht anzuwenden — in der Hoffnung auf positive Effekte während der weiteren Reifung.

    Die beiden anderen genannten Punkte (2. und 3.) stehen dem aus meiner Sicht nicht entgegen:

    Natürlich verläuft die Entwicklung kontinuierlich und natürlich gibt es große Unterschiede zwischen den Individuen. Aber dass das Gehirn einer 17-Jährigen weiter entwickelt sein kann als das eines 21-Jährigen ist eben die Ausnahme und nicht die Regel.

    Apropos Probe aufs Exempel

    Mein Standpunkt ist, dass die Neurowissenschaften Recht haben wenn sie sagen, dass das menschliche Gehirn in der Regel mehr als 18 oder 20 Jahre braucht, um zur vollen „Reife“ zu gelangen.

    Und dass man mit dieser Erkenntnis die Heraufsetzung des Höchstalters im Jungendstrafrecht gut begründen kann — auch als Gesetzgeber.

    (Bitte keine Nebenkriegsschauplätze eröffnen…;-)

  64. @Elektroniker // 07.08.2020, 16:40 Uhr

    »Information benötigt zwar einen physikalischen „Datenträger“… «

    Weil es aktuell hier im Blog um was anderes geht, nur ganz kurz:

    Ich denke, das Entscheidende ist nicht die Substanz des Informationsträgers, sondern die in/auf ihm vorhandene Struktur, das Muster, oder wie immer man das auch nennen mag, die (von was auch immer) „gelesen“ werden kann.

  65. @Balanus Räubergehirn

    „Es geht hier doch gar nicht darum, das „Räubergehirn“ neurowissenschaftlich zu untersuchen, sondern es geht um die Frage, ob uns die Neurowissenschaften bei der Frage helfen können, ab welchem Alter man voll verantwortlich (für seine Straftaten) ist“

    Wenn ich nicht weiß, wie ein Erwachsener es schafft kriminellen Neigungen zu widerstehen, dann kann ich doch auch wenig dazu sagen, inwieweit Jugendliche noch nicht diese Kontrollfunktionen haben. Die genaue neurowissenschaftliche Kenntnis, was Kriminelle von gesetzestreuen Bürgern unterscheidet, würde ich aber schon fordern, wenn jemand Änderungen im Strafrecht neurowissenschaftlich begründen will.

    Offenbar hat man das im beschriebenen Fall mit der Altersgrenze in den Niederlanden auch nur gemacht, weil sich das gut und modern anhört. Im wesentlichen fehlte hier offenbar die Evidenz. Und das Ergebnis in der Praxis sind dann auch willkürliche Entscheidungen im Einzelfall. Das ist für alle Beteiligten eine unangenehme Angelegenheit.

    Ich will hoffen, dass wir nicht noch mehr Gesetzesänderungen bekommen, die auf ungesicherter neurowissenschaftlicher Grundlage motiviert werden und in der Praxis nur zu Willkür und Unberechenbarkeit führen. Das greift letztlich die Rechtssicherheit an.

    Die Frage nach dem Kategoriefehler meine ich, dass wir hier in jedem Fall zwei ganz verschiedene Beschreibungsebenen haben. Um zu wissen, dass hier beides genau das selbe Subjekt, unser Bewusstsein in unserer inneren Erlebniswelt beschreibt, bräuchten wir sehr viel mehr neurowissenschaftliche Erkenntnis, meine ich. Diese Frage kann man aktuell schlecht beantworten, da muss man wohl verschiedene Provisorien nebeneinander stehen lassen.

  66. Tobias Jeckenburger bringt es auf den Punkt:

    Offenbar hat man das im beschriebenen Fall mit der Altersgrenze in den Niederlanden auch nur gemacht, weil sich das gut und modern anhört. Im wesentlichen fehlte hier offenbar die Evidenz. Und das Ergebnis in der Praxis sind dann auch willkürliche Entscheidungen im Einzelfall. Das ist für alle Beteiligten eine unangenehme Angelegenheit.

    Das gilt so in ähnlicher Weise auch für die besagten Entscheidungen des US Supreme Court (es gab noch ein paar damit zusammenhängende Folgefälle). Die normativen Kategorien ergeben sich aus der sozialen Praxis – die neurowissenschaftlichen Ergebnisse werden allenfalls sekundär und stütztend herangezogen, sind bei näherer Betrachtung aber selbst äußerst interpretationsbedürftig.

    Man darf nicht vergessen, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unter Karrieredruck so ein Steckenpferd wie “Neurorecht” brauchen, für das sie Fördergelder einwerben können. Ansonsten endet die Karriere. (Und dann müssen sie in der Wirtschaft andere “Produkte” verkaufen.)

  67. @Balanus: Allgemeinplätze

    Das sind doch alles Allgemeinplätze. Sag doch wenigstens, ab welchem Alter das Gehirn (im Mittel) ausgereift ist…

    …und da es ein plastisches Organ ist, entwickelt es sich immer weiter, in deinem Fall allein schon deshalb, weil du regelmäßig die Texte von MENSCHEN-BILDER liest. 😉

    P.S. Nun nicht von deinen Hausaufgaben ablenken: Du hast bisher 0% der juristischen Kategorien biologisch reduziert. Dein Mindestwert liegt bei 25%.

  68. @ Balanus 07.08.2020, 23:22 Uhr

    Zitat: „Ich denke, das Entscheidende ist nicht die Substanz des Informationsträgers, sondern die in/auf ihm vorhandene Struktur, das Muster, oder wie immer man das auch nennen mag, die (von was auch immer) „gelesen“ werden kann.“

    Praktisch genau so sehe ich es auch. Weil es keinen direkt mathematischen Bezug von „Information“ zur Physik gibt, steht „Information“ „getrennt und eigenständig“ da.

    So ähnlich wie die Energie sozusagen erst durch Einsteins Formel so „wirklich“ zur Physik gehörte.

  69. StefanSchleim, Balanus,
    das Gehirn ist niemals ausgereift. Die Schwaben behaupten ,dass sie erst mit 60 schlau werden. Manche sehen erst auf dem Totenbett ihre Fehler ein.
    In der Rechtssprechung und in der Politik wird allerdings auf “Augenhöhe” verhandelt. Deshalb ist ein Mensch ab 21 Jahre voll mündig, wenn man Präsident werden will, sogar 25 Jahre alt sein.

    Die verschiedenen Altersstufen sind also ein Kompromiss und aus der Praxis abgeleitet.

  70. @Tobias Jeckenburger // 07.08.2020, 23:53 Uhr

    »Offenbar hat man das im beschriebenen Fall mit der Altersgrenze in den Niederlanden auch nur gemacht, weil sich das gut und modern anhört. Im wesentlichen fehlte hier offenbar die Evidenz. «

    Ok, dann geht es also primär darum, dass allgemein anerkannte neurowissenschaftliche Befunde grundsätzlich in Frage gestellt werden. Und dass man meint, es gäbe für die beobachteten Phänomene (unterschiedliches Verhalten von Jugendlichen und Erwachsenen) keine wissenschaftlich begründete Erklärung.

    Das lässt sich aus Stephan Schleims Beitrag aber so nicht schließen, da er von neueren, besseren Studien spricht, auf die der Gesetzgeber sich hätte beziehen können.

    »Die Frage nach dem Kategoriefehler meine ich, dass wir hier in jedem Fall zwei ganz verschiedene Beschreibungsebenen haben. «

    Wir haben ein unterschiedliches Sozialverhalten bei Jugendlichen und Erwachsenen und eine neurowissenschaftliche Erklärung, die diesen Unterschied wenigstens zum Teil erklären kann, nämlich durch den altersabhängigen Reifegrad des Gehirns. Diese Erklärung haben sich die Hirnforscher nicht aus den Fingern gesaugt, sondern aufgrund valider empirischer Untersuchungen geschlussfolgert.

    Natürlich gibt es hier verschiedene Beschreibungsebenen, aber die gibt es immer, wenn es um hierarchisch organisierte Systeme und Systemeigenschaften geht. Es geht ja nicht um ein (logisches) Schließen vom Sein auf das Sollen, sondern darum, wie das Sein das Sozialverhalten bedingt oder bedingen kann. Die Frage, welches Sozialverhalten gut und richtig ist, wird dabei gar nicht berührt.

  71. @Balanus: neuere Studien

    …da er von neueren, besseren Studien spricht, auf die der Gesetzgeber sich hätte beziehen können.

    Das sagt mehr darüber aus, wie schlecht bzw. überholt die verwendeten Studien sind. Die neueren können die Altersgrenze auch nicht untermauern.

    Dass Kinder weniger entwickelte Körper (und Gehirne) haben – was für eine Balanität! –, wissen wir zum Glück nicht erst seit den paar Jahrzehnten, in denen manche Hirnforscher sich für die Spitze der Wissenschaften vom Menschen halten…

    …interessanter ist hier doch, dass sich viele Kinder und Jugendliche trotz ihrer noch unterentwickelten Körper (und Gehirne) im Allgemeinen recht verantwortungsvoll verhalten können.

    P.S. Was machen eigentlich deine Hausaufgaben?

  72. @Stephan

    Hausaufgaben

    Nun gut, nach dreimaliger Aufforderung/Erinnerung gehe ich jetzt darauf ein.

    Die Aufgabenstellung scheint mir ein gewisses Miss- oder Unverständnis zu offenbaren, was die Begründung der in Rede stehenden Gesetzesinitiative und dem, was die Neurowissenschaften generell so leisten, anbelangt.

    Ich weiß gar nicht, wie ich es formulieren soll, ohne in „Allgemeinplätze“ und Trivialitäten zu verfallen. Ich versuch’s mal so:

    Im obigen Beitrag wird stellenweise so argumentiert, als gingen manche davon aus, man könne „klare Entsprechung unserer [juristischen] Normen im Gehirn“ finden. Und, so geht allem Anschein nach das Argument, weil das offenkundiger Unsinn ist, ist es auch Unsinn, Erkenntnisse aus der Hirnforschung heranzuziehen, wenn es gilt, ein höheres Höchstalter im Jugendstrafrecht zu begründen.

    Für mich sind das aber zwei paar Stiefel. Es gibt gute Gründe — auch neurowissenschaftliche — sowohl für die niederländische Gesetzesinitiative als auch für die juristischen Altersstufen. Die kontinuierlich verlaufende postnatale Hirnentwicklung steht dem überhaupt nicht entgegen, ganz im Gegenteil.

    Anders verhielte es sich, wenn das, was derzeit als neurowissenschaftlicher Kenntnisstand hinsichtlich des neuronalen Entwicklungsverlaufs gilt, sich beim näheren Hinsehen als grob falsch herausstellen würde. Aber dafür scheint es derzeit keinerlei konkreten Anzeichen zu geben. Zumindest finden sich keine im obigen Beitrag.

    So einfach, so trivial…

  73. @Balanus / 09.08.2020, 12:48 Uhr

    Ja, Miss- oder Unverständnis — den Eindruck habe ich auch.

    Es geht dabei u.a. um die Beurteilung. ob ein Indivduum die sittliche Reife und hinreichend Vernunft hat, den Sinn oder Unsinn von gesellschaftl. Normen einzusehen und sich gemäss dieser Normen zu verhalten.

    Du verwechselst anscheinend sittliche Reife mit biologischer Reife. Diese beiden darf man nicht so einfach einander gleichsetzen, das wäre ein Kategorienfehler.

    Malala Yousafzai war offenbar als 11-jährige Bloggerin in puncto sittliche Reife und Vernunft schon weiter, als es beispielsweise der 74-jährige Tweeter, der als sogenannter 45. US-Präsident derzeit im Oval Office herumfurzt, in seinem ganzen Leben je gewesen ist.

  74. @Chrys // 09.08.2020, 14:39 Uhr

    »Malala Yousafzai war offenbar als 11-jährige Bloggerin in puncto sittliche Reife und Vernunft schon weiter, als es beispielsweise der 74-jährige Tweeter, der als sogenannter 45. US-Präsident derzeit im Oval Office herumfurzt, in seinem ganzen Leben je gewesen ist.«

    Und was folgt daraus? Dass man das Jungendstrafrecht ruhig abschaffen kann?

    Die Beurteilung,

    »ob ein Indivduum die sittliche Reife und hinreichend Vernunft hat, den Sinn oder Unsinn von gesellschaftl. Normen einzusehen und sich gemäss dieser Normen zu verhalten«,

    obliegt der jeweiligen Gerichtsbarkeit.

    Gut möglich, dass bei dem Mann aus dem Oval Office auf mildernde Umstände erkannt würde.

    Sag mir, an welcher Stelle meiner bisherigen Einlassungen ist der Eindruck entstanden, ich würde die sittliche Reife (was immer das im Einzelnen jeweils ist) mit der biologischen Reife verwechseln?

    Wahr ist, dass ich denke, dass bestimmte biologische Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit ein Mensch überhaupt zur sittlichen Reife gelangen kann.

    (Aber klar, das ist ja wieder furchtbar trivial, ein „Allgemeinplatz“, der dem hohen Niveau der hiesigen Beiträge einfach nicht gerecht wird…)

  75. @Balanus: Realisten vs. Opportunisten

    Der springende Punkt ist, dass es sich schlicht um eine Korrelation handelt: Jugendliche verhalten sich im Allgemeinen etwas weniger verantwortungsvoll und haben im Allgemeinen ein weniger entwickeltes Gehirn. Jetzt tut man so, als füge der neuronale Befund etwas hinzu: Aber wenn sich Jugendliche in bestimmten Situationen im Allgemeinen etwas weniger verantwortlich verhalten, dann wissen wir bereits, dass dem auch etwas im Körper entsprechen muss. (Denn V = K x U, wie ich hier in diesem Blog schon vor Jahren erklärte.) Leute ohne bessere Ideen für Forschungsprojekte tun jetzt so, als sei das eine bahnbrechende Erkenntnis, und können so manche Stiftung tatsächlich zur finanziellen Förderung überreden. Das ist nichts als Opportunismus.

    Ein Durchbruch wäre es, wenn Neurowissenschaftler im Einzelfall die Steuerungs- und Handlungsfähigkeit einen Straftäters (und zwar zum Zeitpunkt der Tat!) beurteilen könnten. Dann bräuchte man im Endeffekt gar keine allgemeine Altersgrenze mehr. Dann könnte man jedem das passende Gesetz sozusagen auf den Körper maßschneidern. Dass es so etwas geben könnte, ist aber noch nicht einmal am Horizont abzusehen.

  76. @ Stephan Schleim 10.08.2020, 00:07 Uhr

    Zitat: „Ein Durchbruch wäre es, wenn Neurowissenschaftler im Einzelfall die Steuerungs- und Handlungsfähigkeit einen Straftäters (und zwar zum Zeitpunkt der Tat!) beurteilen könnten. Dann bräuchte man im Endeffekt gar keine allgemeine Altersgrenze mehr. Dann könnte man jedem das passende Gesetz sozusagen auf den Körper maßschneidern. Dass es so etwas geben könnte, ist aber noch nicht einmal am Horizont abzusehen.“

    Derartiges wäre natürlich ideal.

    Es ist aber nicht einmal bei Computersystemen, die man nahezu vollständig determiniert gestalten könnte, möglich. Dies ist einerseits schon schwierig, weil man z.B. (bei der KI) „determinierte Zufallsvariable“ verwenden müsste, was an sich ein Widerspruch wäre, aber man könnte sich immerhin auf eine vorgegebene „Liste derartiger Variable“ festlegen, damit immerhin eine gewisse „Nachvollziehbarkeit“ ermöglichen.

    Es gibt aber noch das grundsätzliche Problem der Elektronik, dass sie “Fehler” produziert, dass sich eine „Elektronik“ sozusagen, in der Realität eher selten, „selber aufhängt“, wie die Elektroniker so „bildhaft“ sagen.

    Wir haben schon einmal darüber diskutiert, weil das Phänomen bei „philosophischer Denke“ sofort auffällt, in der Realität aber selten ist.

    Das bedeutet, Fehler in der Informationsverarbeitung sind grundsätzlich nicht auszuschließen, können aber minimiert werden. Vermutlich bereitet dieses Problem den VW Technikern bei der Konstruktion sicherer autonomer Autos mehr Kummer als der Dieselskandal. (Je “gleicher” die Komponenten bei der “Serienproduktion” sind, desto größer das Problem).

    Ich will damit sagen, was an “Systemsicherheit” nicht einmal in der Elektronik, mit ihren doch recht gut, eigentlich bestens „determinierten Systemen“, absolut vollständig und sicher, nicht wirklich möglich ist, das ist in der Neurologie, wo nicht einmal die „neuronalen Gatter“ gut determiniert (also sehr „launenhaft“) arbeiten, noch weitaus weniger möglich.

    Im Extremfall wird es immer „Opfer“ geben, mit Technik vielleicht weniger.

    Es bleibt einem gar nichts anderes üblich, als sich mit der Statistik zufrieden zu geben…

    Wie sehen dies die Ethiker?

  77. @Balanus / 09.08.2020, 15:57 Uhr

    »Und was folgt daraus? Dass man das Jungendstrafrecht ruhig abschaffen kann?«

    Schon an dieser Bemerkung offenbart sich ein gewisses Unverständnis, wie in der Ethik überhaupt argumentiert wird. Aus dem sein Sein folgt kein Sollen, und auch aus dem Sollen folgt kein weiteres Sollen. Zur Rechtfertigung dafür, wie im niederl. Rechtswesen mit Adoleszenten verfahren werden soll, die nicht so gehandelt haben, wie sie es gemäss der geltender niederl. Rechtsnormen hätten tun sollen, können sich die Rechtsgelehrten letztlich nur auf die praktische Vernunft berufen.

    Dass die Gesetzgebung da einen Unterschied macht zwischen adulten und adoleszenten Personen, ist nicht logisch oder biologisch zu begründen, sondern einzig vermittels der Vernunft zu rechtfertigen. Und wenn heute im (mehr oder weniger) aufgeklärten Europa überhaupt nur Menschen (dem biolog. H. sapiens) das Attribut der Rechtsfähigkeit zuerkannt wird, dann ist auch das keine Frage der Biologie, sondern das wird so gemacht, weil es vernünftig vertretbar ist.

    Wenn Du Schwierigkeiten hast mit den Begriffen der Ethik — das ist ja auch durchaus schwierig. Du hattes mal irgendwo erwähnt, ein Ethik-Lexikon von O. Höffe zu besitzen. Wär’ jetzt wohl eine passende Gelegenheit, dort ein wenig nachzulesen über “Sittlichkeit”, “praktische Vernunft” und dergleichen.

  78. @Elektroniker: Determiniertheit

    Nun ja, wenn wir noch nicht einmal bei unseren Maschinen derartige Aussagen treffen können – interessantes Thema übrigens: Verantwortlichkeit bei den Fehlern von KI-Systemen, etwa im Straßenverkehr –, dann rückt die Entscheidung beim Menschen in noch weitere Ferne; ich erinnere auch noch einmal ans Dreikörperproblem der Physik.

    Die Justiz wird bis auf Weiteres mit den Methoden auskommen müssen, die es heute auch schon gibt; und da kommt es auf die hermeneutische Interpretation einer Reihe von Quellen an (etwa: Zeugenaussagen, Tatgeschehen, Biographie, psychiatrisch/psychologisches Gutachten usw.). Hier haben wir noch gar nicht besprochen, dass neurowissenschaftliche Ergebnisse ebenfalls der Interpretation bedürfen und sich hier Experten durchaus uneins sind.

    Es wird einige wenige Fälle geben, nämlich bei ausgeprägten neurologischen Erkrankungen, wo Hirnwissen eine wesentliche Rolle spielt. Aber ich erinnere noch einmal an meine Diskussion in “Die Neurogesellschaft”, wo ich u.a. gezeigt habe, dass ähnliche Tumore in derselben Gehirnregionen bei verschiedenen Personen verschiedene Auswirkungen haben können.

    Und bei den Ethikern ist es i.d.R. so, dass diejenigen, die selbst ein Eisen im Feuer haben (z.B. “Neuro-Ethik”), eher die Werbetrommel für die Neurowissenschaften rühren – und der Rest zurückhaltender ist.

  79. Chrys // 10.08.2020, 10:22 Uhr

    »Schon an dieser Bemerkung offenbart sich ein gewisses Unverständnis, wie in der Ethik überhaupt argumentiert wird.«

    Da offenbart sich wohl eher mein Unverständnis über den Versuch, mal eben schnell das Thema zu wechseln. Oder bin ich nur der falsche Adressat, war etwa Stephan gemeint?

    In Stephans Beitrag/Aufsatz jedenfalls geht es offenkundig nicht um die ethische Rechtfertigung einer Gesetzesinitiative, sondern schlicht um deren Begründung unter Zuhilfenahme neuronaler Befunde. Otfried Höffes Ethiklexikon kann also vorerst im Regal bleiben.

  80. @Stephan

    »Der springende Punkt

    … ist, dass es sich schlicht um eine Korrelation handelt: Jugendliche verhalten sich im Allgemeinen etwas weniger verantwortungsvoll und haben im Allgemeinen ein weniger entwickeltes Gehirn. Jetzt tut man so, als füge der neuronale Befund etwas hinzu: «

    Zunächst einmal kann man von einem „weniger entwickelten Gehirn“ ja nur sprechen, wenn es ein Mindestmaß an neuronalem Wissen gibt.

    Des Weiteren wird die Heraufsetzung des Höchstalters für das Jugendstrafrecht meiner Kenntnis nach sehr wohl durch neuronale Befunde untermauert. Es gibt hierzu schließlich reichlich neurowissenschaftliche Literatur, ältere und neuere.

    Und darüber, wie Verhalten gesteuert wird und welchen Bedingungen das Ganze unterliegt, sind wir uns ja — allem Anschein nach — weitgehend einig.

    »Ein Durchbruch wäre es, wenn Neurowissenschaftler im Einzelfall die Steuerungs- und Handlungsfähigkeit einen Straftäters (und zwar zum Zeitpunkt der Tat!) beurteilen könnten. Dann bräuchte man im Endeffekt gar keine allgemeine Altersgrenze mehr. Dann könnte man jedem das passende Gesetz sozusagen auf den Körper maßschneidern.«

    Ja, davon mögen manche träumen. Das dürften dann die gleichen sein, die davon träumen, das Bewusstsein oder die gesamten Erinnerungen eines Menschen auf einer Festplatte zu speichern. Seriöse Neurowissenschaftler sind wohl eher nicht darunter.

  81. @Balanus / 11.08.2020, 10:07 Uhr

    Du wolltest wissen, welche Deiner Einlassungen den Eindruck von kategorieller Begriffsverwirrung vermitteln. Und eine solche habe ich Dir exemplarisch genannt. (Ich könnte auch sagen, dass eigentlich alles, was Du hier kommentierend beigetragen hast, mir diesen Eindruck vermittelt.)

    Aber wenn Du schon so schlau bist, um auf gelehrte Bücher verzichten zu können, dann mach’ uns doch einfach mal begreiflich, wie Deiner Ansicht nach mit neurobiolog. Untersuchungen bei einem Individuum e.g. das Vorliegen von Strafmündigkeit (gemäss deutschem Recht) festgestellt werden soll.

  82. @Balanus: Allgemeinplätze vs. Fakten

    Ach, lass uns doch nicht unsere Zeit mit solchen Allgemeinplätzen verplempern, sicher nicht bei so einer Hitzewelle…

    …Fakt ist, dass du keine einzige der zahlreichen Altersgrenzen direkt aus der Gehirnentwicklung herleiten kannst. Kandidaten dafür gäbe es genug.

    Ergebnis: Inhaltlich null Punkte; für den guten Willen schenke ich dir einen. Nicht bestanden.

  83. @Stephan

    Allgemeinplätze vs. Fakten

    »Nicht bestanden! «

    Alles andere hätte mich schwer gewundert … :-).

  84. @Chrys // 11.08.2020, 13:40 Uhr

    »Du wolltest wissen, welche Deiner Einlassungen den Eindruck von kategorieller Begriffsverwirrung vermitteln. Und eine solche habe ich Dir exemplarisch genannt.«

    Na gut, es liegt nicht in meiner Hand, welchen Eindruck meine Einlassungen bei dem einen oder anderen hinterlassen. Und ohne dass hier Butter bei die Fische gegeben wird, kann ich auch nichts weiter dazu sagen.

    »Aber wenn Du schon so schlau bist, um auf gelehrte Bücher verzichten zu können, dann mach’ uns doch einfach mal begreiflich, wie Deiner Ansicht nach mit neurobiolog. Untersuchungen bei einem Individuum e.g. das Vorliegen von Strafmündigkeit (gemäss deutschem Recht) festgestellt werden soll. «

    Also auch Du — nicht nur Stephan meint (sinngemäß): Auf neurobiologische Befunde kommt es bei der in Rede stehenden Gesetzesinitiative nicht an, weil man mit neurobiologischen Untersuchungen bei einem Menschen nicht das Vorliegen von Strafmündigkeit feststellen kann.

    Merkwürdiges Argument. Die hier im gesetzgeberischen Kontext relevanten neurobiologischen Befunde liefern schließlich nur eine mögliche Erklärung, wieso manche junge Erwachsene strafrechtlich eher wie Jugendliche zu behandeln sind. Nichts weiter.

    Dass Stephan aufgrund einer ausgeprägten Neurophobie hier Verständnisprobleme hat, kann ich nachvollziehen, aber von jemandem, der sich philosophiescheinmäßig mit Henri Poincaré vergleicht, hätte ich doch mehr erwartet.

    Ich schließe mit Otfried Höffe [unter Stichwort Sittlichkeit]:

    Zwar steht der Mensch unter mannigfachen biologischen, psychologischen und soziokulturellen Bedingungen […]. Durch sie ist er aber nicht vollständig festgelegt. […] Im Unterschied zum Tier trägt der Mensch für seine Existenz selbst Verantwortung.

  85. @Balanus / 11.08.2020, 21:36 Uhr

    Na bitte, ganz so daneben war der Griff ins Regal womöglich doch nicht. (Zumindest ist jetzt klarer, welche Quelle zu Fragen der Ethik bei Dir im Regal steht.)

    Und was heisst denn hier »ausgeprägte Neurophobie«? In dem von Dir zitierten Textabschnitt bei Höffe findet sich auch ein Verweis auf das Stichwort Determination, woraus ich jetzt mal zitiere:

    Die empirischen Wissenschaften vertreten insgesamt einen methodischen Determinismus, nach dem sich für alles, auch die menschliche Praxis u. das ihr zugrundeliegende Wollen, im Prinzip (wenn auch nicht immer schon auf dem gegenwärtigen Forschungsstand) adäquate wissenschaftliche Erklärungen finden lassen. Diese Einstellung rechtfertigt jedoch nicht die Tendenz vor allem junger Wissenschaften, sich selbst absolut zu setzen u. alle Bedingtheiten menschlichen Verhaltens jeweils nur aus physikalischen, biologischen, psychologischen, ökonomischen oder soziologischen Gesetzen (Physik[a]lismus, Biologismus, Psychologismus usf.) zu erklären.

    Diese angesprochene Tendenz — mit spezieller Betonung der Neurowiss. — ist es doch, worum es Stephan nach meinem Verständis geht.

    Wo es vernünftig gerechtfertigt erscheint, werden auch im Rechtswesen neurobiolog. Erkenntnisse zur Beurteilung herangezogen. So endet beispielsweise die Rechtsfähigkeit einer natürl. Person mit deren Ableben. Und dieses wird juristisch (laut rechtslexikon.net) anhand der Hirn- und nicht etwa der Herzaktivität beurteilt.

  86. @Chrys // 12.08.2020, 10:03 Uhr

    » Und dieses [Ableben] wird juristisch (laut rechtslexikon.net) anhand der Hirn- und nicht etwa der Herzaktivität beurteilt.«

    Weil die Hirnaktivität eben stark mit dem Lebendsein assoziiert ist. Aber letztlich ist es nur eine Korrelation.

    »Diese angesprochene Tendenz [einer Wissenschaft, sich selbst absolut zu setzen] — mit spezieller Betonung der Neurowiss. — ist es doch, worum es Stephan nach meinem Verständis geht.«

    Naja, wenn man’s wohlwollend betrachtet, vielleicht. Ich habe aber eher den Eindruck, dass ihm die ganze Richtung nicht passt, dass er eine Agenda hat, sozusagen eine Mission verfolgt, wie ja auch der Beitrag hier zeigt. Weder haben sich die Neurowissenschaften hier selbst „absolut gesetzt“, noch haben der „Rat für die Anwendung des Strafrechts und des Jugendschutzes“ und in der Folge der Gesetzgeber die Neurowissenschaft als die allein seligmachende Instanz angeführt. Auch hier also: Kein (Neuro-)Biologismus, nirgends.

    Am Ende läuft es doch meist darauf hinaus, dass den (angeblich maßlos überschätzten) Neurowissenschaften mehr Forschungsgelder zur Verfügung stehen als den Psychologen und Soziologen—und das ärgert halt.

  87. @Balanus: Jetzt sage ich doch mal deutlich, dass mich dein Gelaber in letzter Zeit ganz schön nervt. In dem hier diskutierten Artikel geht es um die Tatsachenfeststellung, dass die angeführten neurowissenschaftlichen Evidenzen das Gegenteil von dem stützen, was in der Rechtsinitiative vom Rat und der Regierung angeführt wurde. Wenn du das, wie so oft hier seit vielen Jahren, in deiner herumbalanisierenden Weise unter den Teppich kehren willst, okay, aber dann hast du in meinen Augen die Bezeichnung “Wissenschaftler” nicht verdient. Dank Haltungen wie deiner brauchen wir uns nicht wundern, dass immer mehr Menschen an wissenschaftlichen Argumenten (etwa zum Klimawandel, Impfungen etc.) zweifeln und immer vehementer “Fake News” schreien.

    Dieser Blog hier ist für Leserinnen und Leser gemeint, die sich ernsthaft mit wissenschaftlichen Erkenntnissen auseinandersetzen wollen.

    P.S. Im Übrigen distanziere ich mich von deiner Unterstellung der “Neurophobie”. Du scheinst mir aber eine naive, szientistische und in Konsequenz sehr hirnlose Neurophorie an den Tag zu legen.

  88. Richtigstellung zum Hirntod: Dank Fortschritten in der Notfallmedizin vor einigen Jahrzehnten konnte man Menschen mit Herzstillstand immer häufiger “wiederbeleben” (nach heutiger Definition gelten sie nicht mehr als tot). Daher ersetzte der Hirntod das Kriterium des Herzstillstands (früher übrigens des Atmens), nicht weil Gehirnaktivität mit Lebensäußerungen “korreliert”, sondern weil beim Eintreten des Hirntods die Rückkehr eines Menschen ins Leben mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann.

  89. @Balanus / 13.08.2020, 09:31 Uhr

    Dass es die Neuro-Prediger sind, die eine Agenda haben, sozusagen eine Mission* verfolgen, ist Dir nicht erkennbar? Nun, das nährt dann doch gewisse Zweifel an Deiner Urteilskraft, und ich habe jetzt leider keine Idee, wie man Dir da helfen kann.

    * Beiläufig angemerkt: Human Brain Project: bureaucratic success despite scientific failure (betr. FET Flagship Interim Evaluation, Feb 2017).

  90. Balanus, Schleim,
    nachdem ich den blog nochmal durchgegangen bin, scheint mir der Streit darüber zu gehen, ob Verhaltensweisen biologisch erklärbar sind oder psychologisch.
    Meiner Meinung nach sollte man so ein Thema phänomenologisch betrachten.
    Vor 100 Jahren gab es ja noch die Vorstellung von dem Phlegmatiker, der verzögert auf Reize reagiert und eine Situation unbedenklich ansieht, während der Choleriker sofort gereizt reagiert und zu unüberlegten Handlungen neigt.
    Diese Eigenschaften sind angeboren. Ob man die im Hirn nachweisen kann, das glaube ich nicht, aber durch reine Beobachtung kann man in den Augen eines Menschen erkennen, der ist gutmütig und “mit dem ist nicht gut Kirschen essen.”
    Frauen sind da die besseren Beobachter, die haben in den Jahrtausenden der Evolution gelernt mit Männern richtig umzugehen.

    Wenn also die Rechtsprechung neue Gesetze plant, dann sollte sie auf die Psychologen hören und wenn man der Überzeugung ist, dass man psychische Störungen medikamentös beherrschen kann, dann darf man auch die Neurologen hinzuziehen.

    Ein Laie, der nichts von alldem versteht.

  91. @Wied: Reduktionismus

    Danke für Ihre Vermittlung.

    Es bestreitet ja niemand, dass das Nervensystem und insbesondere das Gehirn eine zentrale Stelle unseres Wahrnehmens, Denkens, Fühlens und Verhaltens ist. Die Meinungen gehen aber darüber auseinander, wie weit man den Menschen und seine psychischen Fähigkeiten auf diesem Niveau (also dem von Nervensystem bzw. Gehirn) erklären kann. Reduktionisten und Naturalisten wiederholen gebetsmühlenartig, der Mensch sei nichts als die Summe seiner Gehirnzellen und im Prinzip könne man den Menschen auf dieser Ebene vollständig erklären.

    Das sind, näher betrachtet, keine wissenschaftlichen Erkenntnisse, als die sie oft dargestellt werden, sondern (unbewiesene) philosophische Annahmen. Eine Vermischung von diesen zwei Welten halte ich für sehr gefährlich und übrigens auch unwissenschaftlich (im Sinne von: man sollte unbewiesene oder unbeweisbare Annahmen nicht als bewiesen darstellen).

    Das ist leider mehr als nur ein philosophischer Disput: Denn Reduktionisten haben (noch) die Oberhand, was zu Verzerrungen in der Projektförderung, bei den Publikationen und letztlich auch die Vergabe von Stellen und Lehrstühlen in der Forschung führt. Das heißt, nicht die Wissenschaftler mit den besten Ideen werden am meisten gefördert, sondern diejenigen, die sich der herrschenden Meinung unterordnen.

    Und dass das auch für unseren Alltag, Menschen und Patienten nachteilige Folgen hat, sieht man nicht zuletzt in der Psychiatrie: Da verhinderen Reduktionismus und Naturalismus seit den 1980ern, dass wichtige Innovationen und Verbesserungen in die Praxis umgesetzt werden. Erfreulicherweise zeichnet sich dort aber bei den nachwachsenden Psychiaterinnen und Psychiatern wieder ein Umdenken statt, in dem Sinne, dass man sich wieder mehr für Philosophie und alternative Modelle interessiert, weil man die Defizite der herrschenden Meinung nicht mehr ignorieren kann.

  92. @Chrys: HBP und Gehirnsimulation

    Wir hatten ja 2017 schon einmal nachgeschaut, wie es um das Projekt steht, ein Gehirn im Computer simulieren zu wollen.

    Ich kann es erst einmal der EU nicht übel nehmen, dass man dort (politisch) ein Großprojekt für die Hirnforschung durchdrücken will; und dass Forscher im Wettbewerb von dieser Gelegenheit Gebrauch machen, kann ich auch (psychologisch) nachvollziehen…

    …zu der Frage, was die Opportunitätskosten (also Schäden für andere Forschungsprojekte) dieser Ressourcenallokation für das HBP sind, kann ich mich fachlich nicht äußern. Hier gab es aber auch in der Wissenschaftswelt viel Kritik am HBP (und seinem Leiter Markram).

    Ich sehe schon einen wirklichen Mehrwert in Projekten wie dem “Julich-Brain Atlas” (von u.a. Katrin Amunts und Karl Zilles). Das hätten die ohne das HBP aber wahrscheinlich genauso durchgezogen. Davon abgesehen ist Vieles in der heutigen Wissenschaftswelt Schimmer und Schein. Zur Not hat man ja aber PR-Abteilungen, die alles wie ein Erfolg aussehen lassen.

    P.S. Hast du denn konkrete Verbesserungsvorschläge?

  93. @Human Brain Projekt

    Das Gehirn im Computer zu simulieren, wenn man das ganze Konnektom mal eingescannt hat, fände ich auch sehr interessant. Dann könnte sich womöglich sogar die Frage klären lassen, ob unser Bewusstsein in seiner inneren Erlebniswelt nicht doch auch kosmisch-geistige Anteile hat. Klar dürfte sein, dass die entsprechenden Forscher dieses ganz bestimmt nicht suchen. Aber ich beobachte die Entwicklungen auf diesem Gebiet mit großem Interesse.

    Für den psychiatrischen Alltag hilft das aber wohl erst einmal nichts. Allerdings hat auch die Psychologie sehr schnell ihre Grenzen, wenn es um handfeste psychische Krankheiten geht. Was wirklich interessant ist, sind aber die sozialen Nebenbedingungen, die bisher von dem Hilfesystem immer noch nicht genügend berücksichtigt werden. Den längerfristig psychisch Kranken eine vernünftige Arbeit mit einem vernünftigem sozialen Umfeld zu organisieren, erscheint mir als sehr aussichtsreich.

    Zur Zeit ist man in Dortmund dabei, sogenannte Stationsäquivalente Leistungen aufzubauen. Dann müssen viele Patienten im Krisenfall nicht gleich stationär untergebracht werden, und können alternativ zuhause täglich aufgesucht und behandelt werden. Der Gedanke dahinter ist, dass so der Megastress einer Einweisung vermieden werden kann. Man muss sich mal klar machen, wie anstrengend das ist, über Wochen und Monate mit 15 ebenfalls schwer verrückten Mitgefangenen 24 Stunden und 7 Tage die Woche auf ziemlich beengten Stationen klarkommen zu müssen. Das ist kein Klima, in dem man eine akute Krise gut überwinden kann.

    Noch nicht mal ein eigenes Zimmer, wo man sich zurückziehen kann, bekommt man da. Da sind Gefängnisinsassen oft besser dran, da kann man sich seine Kontakte zu Mitgefangenen aussuchen, und bei Bedarf auch wenigsten seine Ruhe haben. Und Freistunde gibts in der Psychiatrie auch nicht. Schnell kommt man 6 Wochen lang nicht an die frische Luft. Hier kann man dran arbeiten, da ist Potenzial. Genuntersuchungen und Neuroforschung sind weit weg von der Realität, nahezu vollkommen abstrakt gegenüber der psychiatrischen Wirklichkeit.

  94. @Jeckenburger: Die Entwicklung hin zu mehr ambulanter Versorgnung und Tageskliniken ist sicher sehr wichtig. Nicht nur die Bedinungen der Einrichtungen, die Sie ansprechen, scheinen mir relevant; sondern auch der Verlust der gewohnten Umgebung.

    Vergessen wir nicht, dass z.B. Menschen mit einer Schizophrenie-Diagnose in vielen “Entwicklungsländern” eine bessere Prognose haben als bei uns.

  95. @h.wied // 14.08.2020, 11:19 Uhr

    »…nachdem ich den blog nochmal durchgegangen bin, scheint mir der Streit darüber zu gehen, ob Verhaltensweisen biologisch erklärbar sind oder psychologisch. «

    Nun, ich für meinen Teil sehe da eigentlich keinen Gegensatz, keinen Streit: Beides hat seine Berechtigung, je nachdem. Kommt halt darauf an, um was es im Einzelnen geht, welche Frage beantwortet werden soll.

    Mir ist bloß wichtig, dass nicht vergessen wird, dass, ich sag‘s mal so, dass das Biologische die Basis aller Phänomene des Lebendigen ist (Psychologie, Soziologie, Kultur). Wir müssen nicht immer, vielleicht sogar eher selten, auf die Ebene der Biologie herabsteigen, wenn wir Verhalten oder bestimmte soziale Zusammenhänge erklären wollen, aber diese Ebene ist nichtsdestotrotz da, ohne sie würden alle Erklärungen frei in der Luft schweben.

    Und eins sollte man hier im Zusammenhang mit dem Blog-Thema nicht vergessen: Psychologische Befunde und neurobiologische Befunde können sich praktisch nie widersprechen, wenn beide zugleich „wahr“ bzw. zutreffend sind.

    Wenn der Psychologe z.B. sagt, ein 22-Jähriger (Erwachsener) verhält sich oft so wie ein Heranwachsender mit 18, dann wird der neurobiologische Befund eher nicht ergeben, dass das eigentlich nicht sein kann, etwa, weil das Gehirn mit 18 ausgereift ist und danach keine erkennbaren Veränderungen mehr stattfinden. Wäre es so, stünden wir vor einem Rätsel.

    Vor Gericht spielen allgemeine psychologische oder neurobiologische Befunde eh keine Rolle, dort kommt es auf den Einzelfall an.

    Zu guter Letzt, was Stephan Schleim da über Reduktionisten und Naturalisten schreibt, dass sie gebetsmühlenartig wiederholen, der Mensch sei nichts als die Summe seiner Gehirnzellen und im Prinzip könne man den Menschen auf dieser Ebene vollständig erklären, ist, wie soll ich es sagen, wohl nichts weiter als ein Zerrbild, um sogenannte Naturalisten in einem schlechten Licht erscheinen zu lassen. Natürlich ist auch für die allermeisten „Reduktionisten“ und „Naturalisten“ der Mensch mehr als die Summe seiner Teile. So wie ein Wald mehr ist als die Summe seiner Bäume und ein spielendes Orchester mehr als die Summe der Musikinstrumente. So wie man Beethovens Neunte nicht auf der Ebene der Instrumente „erklären“ kann, so wenig wird der „Reduktionist“ oder „Naturalist“ versuchen, die Funktion komplexer lebender Systeme (wie etwa das Gehirn) auf der Ebene der Neuronen zu erklären. Aber wie gesagt, diese basalen Ebenen sind natürlich unverzichtbar für das, was auf den höheren Beschreibungsebenen beobachtet werden kann.

    Was „Reduktionisten“ und „Naturalisten“, zumindest nach meinem Verständnis, sagen, ist, dass es keine Lücke im naturwissenschaftlichen Weltverständnis gibt, eine Lücke, die Raum ließe für alternative, wissenschaftsfremde Erklärungen.

  96. ROTFL

    You, your joys and your sorrows … are in fact no more than the behavior of a vast assembly of nerve cells and their associated molecules.

    Francis Crick, 1994, Biologe, Neurowissenschaftler und Nobelpreisträger

    Ideologies, philosophies, religious doctrines, world-models, value systems, and the like will stand or fall depending on the kinds of answers that brain research eventually reveals. It all comes together in the brain.

    Roger Sperry, 1981, Neurowissenschaftler und Nobelpreisträger

    Wir sind unser Gehirn.

    Dick Swaab, u.a. 2013, Neurologieprofessor und Besserwisser

    All we need to account for everything we see in our everyday lives are a handful of particles — electrons, protons, and neutrons — interacting via a few forces — the nuclear forces, gravity, and electromagnetism — subject to the basic rules of quantum mechanics and general relativity. … That’s a remarkably short list of ingredients, to account for all the marvelous diversity of things we see in the world.

    Sean Carroll, 2010, Top-Physiker vom MIT

    usw. usf.

    Aber unser balanesischer Besserwisser muss natürlich immer das letzte Wort haben, auch wenn er gar keine Ahnung hat von dem, was er da sagt.

  97. @Chrys // 14.08.2020, 10:03 Uhr

    »Dass es die Neuro-Prediger sind, die eine Agenda haben, sozusagen eine Mission* verfolgen, ist Dir nicht erkennbar? «

    Wer soll das sein? Der Rat, auf den sich der niederländische Gesetzgeber u.a. berufen hat? Oder haben etwa bestimmte Proponenten des HBPs ihre Hand im Spiel gehabt?

    Davon abgesehen macht es die Sache hier keinen Deut besser, wenn auch andere Wissenschaftler Agenden verfolgen und der kritische wissenschaftliche Blick bzw. die Objektivität dabei flöten geht.

    Zur Wahrheit gehört aber auch, dass völlig unabhängig vom HBP die Erforschung des menschlichen Denkorgans zu den größten wissenschaftlichen Herausforderungen zählt, die man sich so vorstellen kann.

    (Ich hoffe, Du hast mitgekriegt, was Stephan geschrieben hat: »In dem hier diskutierten Artikel geht es um die Tatsachenfeststellung, dass die angeführten neurowissenschaftlichen Evidenzen das Gegenteil von dem stützen, was in der Rechtsinitiative vom Rat und der Regierung angeführt wurde. «. Also nix mit grobem Kategorienfehler und ethisch-sittlichen Fragen…)

  98. @Balanus 14.08. 20:29

    „Mir ist bloß wichtig, dass nicht vergessen wird, dass, ich sag‘s mal so, dass das Biologische die Basis aller Phänomene des Lebendigen ist (Psychologie, Soziologie, Kultur). Wir müssen nicht immer, vielleicht sogar eher selten, auf die Ebene der Biologie herabsteigen, wenn wir Verhalten oder bestimmte soziale Zusammenhänge erklären wollen, aber diese Ebene ist nichtsdestotrotz da, ohne sie würden alle Erklärungen frei in der Luft schweben.“

    Wieso ist das denn so wichtig, dass alles auf die biologische Basis zurückgeführt werden kann? Wenn hier geistige Inspiration ins Spiel kommen kann, so geht die ja offenbar aus Geisteswelten hervor und mischt auch an der biologischen Basis mit. Wieso muss das denn unbedingt ausgeschlossen werden?

    „Was „Reduktionisten“ und „Naturalisten“, zumindest nach meinem Verständnis, sagen, ist, dass es keine Lücke im naturwissenschaftlichen Weltverständnis gibt, eine Lücke, die Raum ließe für alternative, wissenschaftsfremde Erklärungen.“

    Die mögen ja glauben, was sie wollen. Aber gerade dass es keine Lücken geben soll, ist konsequenterweise keine gesicherte wissenschaftliche Erkenntnis. Allenfalls eine Fiktion, und vielleicht sogar nur ein Mythos, und davon sogar ein ziemlich unguter Mythos, der das eigentliche wilde geistige Leben in diesem Kosmos nicht haben will.

  99. Balanus , Jeckenburger,
    eine interessante Anmerkung zur Biologie. Vor etwa 30 Jahren kam der Beruf des Profilers in die Medien und in den USA gab es eine Krimiserie mit einem Profiler in der Hauptrolle. So ein Profiler kann aus den Umständen und den Einzelheiten einer Tat und noch mit Hilfe der Psychologie auf den Täter schließen. sogar wie er aussieht.
    Just zu dieser Zeit hatte ich einen Straftäter in der Vollzugsanstalt zu besuchen, von dem ich nicht wusste, wie er aussieht.
    Aus den Umständeen des Deliktes habe ich mir ein Bild gefertigt und ich war platt, als ich am nächsten Morgen vor ihm stand. Er sah genau so aus , wie ich ihn skizziert hatte. Ist das nicht ein schöner Zusammenhang von Biologie und Denken.

  100. @Tobias Jeckenburger // 15.08.2020, 00:36 Uhr

    »Die mögen ja glauben, was sie wollen. Aber gerade dass es keine Lücken geben soll, ist konsequenterweise keine gesicherte wissenschaftliche Erkenntnis. «

    Weiter oben hat @Chrys eine kleine Sentenz aus Höffes Ethik-Lexikon zitiert („Die empirischen Wissenschaften vertreten insgesamt einen methodischen Determinismus,…“).

    Betonung auf ‚methodisch‘. Das ist der für mich entscheidende Punkt. Ich zitiere weiter aus dem Höffe:

    [D]ie empirischen Wissenschaften gehen grundsätzlich von der Idee durchgängiger Determination, nämlich der prinzipiellen Erklärbarkeit aller Phänomene aus Ursachen und Motiven, aus, wobei deren Gesetzmäßigkeiten — wie etwa im subatomaren Bereich — auch durch Wahrscheinlichkeits- und Unbestimmtheitsbeziehungen (Heisenberg-Prinzip) ausgedrückt sein können.

    So arbeitet man halt in den empirischen Wissenschaften, und das aus gutem Grund. Ob ein Wissenschaftler darüber hinaus, also quasi nach Feierabend, noch einem religiösen Glauben anhängt oder sich für die Homöopathie stark macht oder die Sterne nach seinem Schicksal befragt oder eben auch nur meint, es müsse da mehr geben als das, womit sich die empirischen Wissenschaften beschäftigen, das ist dann eben sein Privatvergnügen und für die Wissenschaft ohne Belang. Zumindest bis auf weiteres.

  101. @h.wied // 15.08.2020, 08:56 Uhr

    »Ist das nicht ein schöner Zusammenhang von Biologie und Denken.«

    Gewiss. Daran sieht man mal wieder, wie die Biologie das Denken determiniert (oder welchen Zusammenhang hatten Sie im Sinn?).

  102. @Balanus: Irgendwie schon tragisch, dass du noch nicht einmal merkst, wenn ein (Wort-)Gefecht für dich verloren ist.

    Nun ja… sero sapiunt Phryges.

  103. Balanus,
    Alles hängt mit Allem zusammen. Die Psychologie beschäftigt sich mit der Reife und den Motiven, die Biologie beschäftigt sich mit unserem Gehirn, die Soziologie beschäftigt sich mit den Gegebenheiten, den Zwängen und als Ergebnis bekommen wir ein Gesicht, aus dem sich alles ablesen lässt.

  104. @Balanus 15.08. 11:33

    „So arbeitet man halt in den empirischen Wissenschaften, und das aus gutem Grund.“

    In der Tat. Ich kann Ihnen das in keinster Weise vorwerfen, weil das wirklich Mainstream ist, aber genau das bringt eben auch Probleme mit sich.

    Der methodische Determinismus lässt alles durch das Raster fallen, dass sich individuell und eben nicht methodisch-regelmäßig verhält. Alles was geistig bedingt ist, kann dann aus der Wahrnehmung herausfallen, wenn es nur hin und wieder mal wirksam wird.

    Gerade im Gegensatz von Neurologie und Psychologie führt das dann zu den handfesten Konflikten, die wir hier gerade diskutieren. Was in der Psychologie als regelmäßig festgestellt werden kann, kann auch geistige Ursachen haben. In der Nähe des menschlichen Bewusstseins gibt es eine Menge geistig bedingter Effekte, die so regelmäßig auftreten, dass der beobachtende Wissenschaftler sie gar nicht als geistig bedingt einschätzt. Und die Psychologie so dann vieles als Fakten einstuft, das eigentlich nicht-materielle Ursachen hat.

    Dummerweise findet man gerade diese Effekte dann in der neurologischen Perspektive nicht wieder. Was klar ist, weil diese Effekte eben nicht aus dem Gehirn kommen, sondern nur mit dem Gehirn arbeiten.

    Wenn ein Mensch wirklich glaubt, das es keinen Geist in diesem Kosmos gibt, und die wissenschaftliche Methode für geeignet hält, wirklich alles zwischen Himmel und Erde zu beschreiben, dann respektiere ich dies als persönliche Glaubensentscheidung. Ich will aber doch darauf hinweisen, dass man die Dinge auch anders sehen kann, und sich inmitten eines auch geistigen Kosmos bewegen möchte, der dem persönlichen Leben dann eine Menge von weiterführenden Dimensionen hinzufügen kann.

    Licht ins Dunkel könnte hier gerade die Hirnforschung bringen. Wenn es sich beim Versuch, Bewusstsein im Computer zu realisieren, herausstellt, dass das nur mit geistiger Unterstützung funktionstüchtig werden kann, so wäre entschieden, dass wir eben auch ohne geistige Unterstützung kein Bewusstsein in einer inneren Erlebniswelt entwickeln können.

    Es gibt auch nicht die eine religiöse Einstellung, hier ist ein ganzer Kosmos von Glaubensinhalten Realität. Religiöse und auch esoterische Einstellungen aller Art können dabei auch ziemlich destruktiv ausgeformt sein, aber einen gewissen Respekt gegenüber Andersgläubigen will ich in meinem Leben gerne praktizieren.

    Einerseits ist man die Gaubensdiskussion um den richtigen religiösen Glauben los, wenn man den Kosmos für grundlegend geistlos annimmt. Das hat schon was. Anderseits verpasst man aber auch mehr als das halbe Leben dabei.

    @h.wied: „Alles hängt mit Allem zusammen. Die Psychologie beschäftigt sich mit der Reife und den Motiven, die Biologie beschäftigt sich mit unserem Gehirn, die Soziologie beschäftigt sich mit den Gegebenheiten, den Zwängen und als Ergebnis bekommen wir ein Gesicht, aus dem sich alles ablesen lässt.“

    Genau.

  105. @Balanus / 14.08.2020, 22:35 Uhr

    »Ich hoffe, Du hast mitgekriegt, was Stephan geschrieben hat:…«

    Ich hoffe, Du hast mitgekriegt, dass bereits im Titel das Wort “verantwortlich” steht, und wie oft dann nachfolgend der Begriff Verantwortlichkeit im Text erscheint. Lass’ Dich erforderlichenfalls mal von Höffe belehren, wie dieser Begriff kategoriell einzuordnen ist.

    »Also nix mit grobem Kategorienfehler und ethisch-sittlichen Fragen…«

    Möchtest Du das vielleicht noch korrigieren? Eine neurobiolog. Klärung von Strafmündigkeit (d.i. strafrechtliche Verantwortlichkeit) hast Du ja trotz Aufforderung nicht präsentiert — wie zu erwarten war. Willst Du das noch nachholen? Oder können wir uns jetzt endlich darauf einigen, dass Du das ganz einfach nicht schaffst?

    Wann immer Dir die Argumente fehlen, kommst Du stattdessen mit gebetsmühlenhaft repetierten naturalistischen Glaubensbekenntnissen an, die Stephan inzwischen zur Genüge bekannt sind. Dass er sich davon nicht sonderlich beeindrucken lässt, hast Du doch hoffentlich auch schon mitgekriegt?

  106. @Chrys // 15.08.2020, 15:58 Uhr

    »Ich hoffe, Du hast mitgekriegt, dass bereits im Titel das Wort “verantwortlich” steht, und wie oft dann nachfolgend der Begriff Verantwortlichkeit im Text erscheint. «

    Klar steht das im Titel, bei der Gesetzesinitiative geht es schließlich genau um diese Frage. Aber, wie Stephan völlig richtig schreibt:
    „In dem hier diskutierten Artikel geht es um die Tatsachenfeststellung, dass die angeführten neurowissenschaftlichen Evidenzen das Gegenteil von dem stützen, was in der Rechtsinitiative vom Rat und der Regierung angeführt wurde.“ (Fettungen von mir)

    Vielleicht schreibt Stephan ja mal einen Beitrag, wo es in der Hauptsache um die strafrechtliche Verantwortlichkeit geht und wie man die gewählten Altersgrenzen begründen oder rechtfertigen kann. Dann bin ich gerne bereit, mich diesbezüglich auszulassen (falls dann immer noch gewünscht).

    »Wann immer Dir die Argumente fehlen, kommst Du stattdessen mit gebetsmühlenhaft repetierten naturalistischen Glaubensbekenntnissen an, die Stephan inzwischen zur Genüge bekannt sind. «

    Mein Glaubensbekenntnis ging an die Adresse von @h.wied, nicht an Stephan, es ging um Klarstellungen und nicht um Argumente in der Sache.

    Aber immerhin hat das zu Stephans Erheiterung beigetragen — was ihm sicherlich gutgetan hat ;-).

  107. @Balanus / 15.08.2020, 19:49 Uhr

    Wie wir gesehen haben, zur jurist. Beurteilung von Rechtsfähigkeit wird u.a. auch ein biolog. feststellbares Kriterium (Hirntod) herangezogen.

    Da ist die Frage nicht von vornherein abwegig, ob zur Beurteilung von Strafmündigkeit nicht auch biolog. feststellbare Kriterien herangezogen werden sollten, repektive, ob das im geschilderten Fall des niederl. Adoleszentenstrafrechts sinnvoll und konsistent gemacht worden ist. Stephan beantwortet letzteres mit nein und legt auch seine Argumente für diese Antwort dar.

    Es steckt ja implizit in der Deiner Hausaufgabe, gegebenenfalls bessere und vor allem konsistentere biolog. Kriterien vorzuschlagen. Hast Du nicht gemacht. Wie willst Du ihn dann aber davon überzeugen, dass hier unbedingt irgendwas mir “neuro” zu begründen sein soll?

  108. @Balanus: Hausaufgaben

    Es ist ja in Ordnung, als Fingerübung und zum Zeitvertreib so eine Diskussion zu führen. Man sollte es irgendwann aber auch einmal gut sein lassen.

    Was von deinem Standpunkt aus zu leisten wäre, um rechtliche Alterskategorien neurowissenschaftlich zu untermauern, sollte inzwischen klarer geworden sein. Melde dich einfach, wenn du hier etwas Substanzielles zu bieten hast. Warum publizierst du es dann nicht in einer wissenschaftlichen Fachzeitschrift? Viel Erfolg!

  109. @ Stephan Schleim. @ Balanus

    Ihre Diskussion „spiegelt“ den traditionellen Konflikt zwischen Neurologie / Psychologie wieder.

    Es geht letztlich, wie bei jeder Bewertung eines Problems, um „persönliche“ Bewertungen und den Versuch „Wissenschaftlichkeit“ vorzuschieben, womöglich so nebenbei Wissenschaftlichkeit und Wissenschaftsgebiete an sich zu bewerten. Diese Konflikte gehören zu den am verbissensten geführten Konflikten.

    Für die Bewertung der individuellen Schuld werden Psychologen beauftragt, für den Status der Entwicklung, es ist nun einmal ein Unterschied wenn ein 5 Jähriger seine Mutter erschießt, oder ein 30 Jähriger psychisch Kranker, scheinen eher die Neurologen zuständig. Die werden naheliegender Weise für die Festlegung einer Altersgrenze beauftragt.

    Diese besondere „Hausaufgabe“ (an Balanus) scheint damit vergleichbar, aus Stroh Gold „spinnen“ zu müssen. Einerseits weil wegen dem „Geburtstag“ ein stark unterschiedliches Strafmaß droht, was nicht vernünftig begründbar ist, was allerdings der Richter ausgleichen kann. Andererseits Menschen grundsätzlich,Wissenschaft hin oder her, unterschiedlich und abhängig von ihrer persönlichen Einstellung unterschiedlich bewerten.

    Sinnvoller Weise sollten mehrere Neurologen zu einer wissenschaftlich möglichst begründbaren, dennoch persönlichen Entscheidung kommen, ähnlich wie es in der (obersten) Gerichtsbarkeit üblich ist. Die Entscheidung wird aber immer noch von der Zusammensetzung dieses “Gremiums von Entscheidungsträgern“ abhängig sein. Dies scheint unvermeidbar.

  110. @Stephan / 14.08.2020, 11:41 Uhr / HBP und Gehirnsimulation

    Eigentlich hätte meines Erachtens jeder vernunftbegabte Mensch bereits anno 2012 zumindest in Betracht ziehen müssen, dass Henry Markram vielleicht ein Marktschreier ist, der nur phantastische Wolkenschlösser anpreist. Zur Rekapitulierung der Lage hier nochmals ein NZZ-Artikel von 2011, Der Griff nach dem Bewusstsein, betreffend die Kritik dreier Zürcher Neuroinformatiker an Markrams, nennen wir es mal, Forschungspraxis.

    Die EU, namentlich die seinerzeit für’s Digitale zuständige EU Kommissarin Neelie Kroes, hat die HBP Visionen sehr bereitwillig geschluckt. Gewiss nicht zuletzt, weil es politisch doch so schön wäre, wenn die EU hier weltweit die Nase technologisch endlich mal ganz weit vorn hätte und nicht immer nur den USA hinterherdackeln muss.

    Auf dem HBP Flagship wude dann alsbald gemeutert und der Kapitän Markram abgesetzt. Die Meuterer haben aber gewiss doch auch vor dem Stapellauf schon gewusst, dass das Projekt mit völlig unrealistischen und unhaltbaren Versprechungen beworben worden ist — doch da haben sie brav die Klappe gehalten. Die Aussicht auf die Geldtöpfe der EU waren wohl einfach zu verlockend.

    Weitere FET Flagship Projekte hat die EU jetzt erst einmal gestrichen. Wohl wegen der lockdown-bedingten Erfordernis zu Einsparungen und nicht aus der Einsicht, dass die Finanzierung von surrealistischen Megaprojekten wömoglich doch nicht der Königsweg zum politisch erhofften Erfolg ist. Ob man in der EU das Format hat, sich einzugestehen, dass man Fehler gemacht hat, um etwas daraus zu lernen? Die HBP Interim Evaluation lässt mich daran sehr zweifeln.

  111. »Tatsachenfeststellung «

    Nach meinem Eindruck ist diese „Tatsachenfeststellung“, dass die angeführten neurowissenschaftlichen Evidenzen das Gegenteil von dem stützen, was in der Rechtsinitiative vom Rat und der Regierung angeführt wurde“, nur unzureichend belegt.

    Erstens und vor allem erfahren wir nicht, an welchen Stellen in der zitierten Gesetzesbegründung die angeführten Neuro-Publikationen mit welchen Aussagen zitiert werden. Das bleibt völlig im Dunkeln.

    Zweitens bleibt offen, wie denn der Stand der neurowissenschaftlichen Forschung zur Hirnreifung wirklich ist, wenn, wie behauptet, die angeführten Studien veraltet und überholt sind. Es wird zwar hier im Blog angedeutet, dass es „bessere“ Studien gibt, aber angeblich sollen auch diese die Gesetzesinitiative nicht stützen können.

    Das dem wirklich so ist, darf allerdings bezweifelt werden. Man braucht kein versierter Kenner der neurowissenschaftlichen Literatur zu sein, um zu erkennen, dass diese Behauptung so nicht zutreffend ist. Ein wenig Recherche genügt völlig.

  112. @Elektroniker // 16.08.2020, 11:20 Uhr

    »Diese besondere „Hausaufgabe“ (an Balanus) scheint damit vergleichbar, aus Stroh Gold „spinnen“ zu müssen. «

    Diese „Hausaufgabe“ ist doch nur ein Ablenkungsmanöver. Es ist ja nicht so, dass die Neurowissenschaften darüber bestimmen wollten oder dürften, wo die die Justitia im Strafrecht die Altersgrenzen zieht. Das ist doch völlig abwegig.

    Wenn man aber die etablierten Altersgrenzen begründen oder rechtfertigen will und muss, dann sollte man auf alles vorhandene Wissen zurückgreifen dürfen, und dazu können neben den psychologischen und soziologischen auch die neurobiologischen Befunde zählen. Warum das nicht statthaft sein soll, diese Antwort bleibt uns der Autor leider schuldig.

    Nebenbei, diese Altersgrenzen setzen ja nur einen Rahmen, der vom jeweiligen Gericht ausgefüllt werden muss. Vor Gericht spielen bei der Strafzumessung neurologische Befunde sicherlich nur in Ausnahmefällen eine Rolle. Aber das ist eine ganz andere Baustelle.

  113. @ Stephan Schleim

    Zitat: „All we need to account for everything we see in our everyday lives are a handful of particles — electrons, protons, and neutrons — interacting via a few forces — the nuclear forces, gravity, and electromagnetism — subject to the basic rules of quantum mechanics and general relativity. … That’s a remarkably short list of ingredients, to account for all the marvelous diversity of things we see in the world.

    Sean Carroll, 2010, Top-Physiker vom MIT“

    Ich vermute, auch an diesem Beispiel von „übertriebenen Reduktionismus“ sieht man die Nachwirkungen des „Materialismus“.

    Diese kurze Zutatenliste scheint alle wichtigen Zutaten zu enthalten, aber nur mit dem Wort „interacting“ wird implizit erwähnt, dass auch höchst komplexe Strukturen und Prozessketten, beschreibende und Prozesse steuernde Information, eine wichtige Rolle spielen.

    Für den Materialismus existiert nur „Angreifbares“ wirklich, allenfalls noch Kräfte und Energie. Prozesse, Strukturen und Information die erst so richtig bewirken dass aus diesen „Zutaten“ eine „dynamische und auch lebendige“ Welt wird, werden bei Sean Carroll immerhin mit einem Wort „erwähnt“.

    Materialisten, auch ältere Neurologen, können die Existenz und die große Bedeutung der psychischen Prozesse und der Umwelt nur sehr widerwillig mit einer Art von „Lippenbekenntnis“ akzeptieren.
    Jede Zeit hat ihre besondere „Denke“.

    Der Materialismus setzte sich für einige Zeit durch. Einerseits weil die Pfaffen mit ihrem Dualismus immer weniger zu reden hatten und in eher gebildeten Kreisen der Eindruck bestand, der atheistische Marxismus würde sich weltweit durchsetzen. Da zählten nur die Zutaten, nicht das „Geistige“.

    Ein Physiklehrer der um ungefähr 1960 das sozusagen im „Morgengrauen heraufdämmernde“ „Informatikzeitalter“ (Digitalzeitalter) wahrgenommen hat, fragte sich, wie die Materialisten damit fertig werden, dass „geistig informelles“ real existiert, zu einer Art von „Rohstoff“ wird, der verarbeitet übertragen, regelrecht „verkauft“ wird.

    Information (als Software) zu verkaufen schien, besonders auch den Steuerbehörden, als Betrug. Die ersten Steuerberater die sich mit der neuen Realität, dass Software existiert und ein normales „Verkaufsobjekt“ ist, juristisch durchsetzen konnten, wurden extrem wohlhabend, konnten sich ein Anwesen mit „Dienertrakt“ für den Butler und die Haushälterin leisten. Sogar eine eigene „Garçonnière“ für die Büglerin (Studentin) die jeden Tag um 5 Uhr früh die Rüschenblusen für die Hausherrin gebügelt hat, gab es.

    Die „Quantenmechanik und generelle Relativität“ formuliert von Sean Carroll, (ich nehme an dass das o.a. Zitat auf ihm zurückgeht) erklären möglicherweise sogar „das Bewusstsein“.

    Bewusstsein hat offensichtlich damit zu tun, dass so etwas wie „Rechenergebnisse aus dem neuronalen Netz“, Wahrnehmungen, Empfindungen „umgesetzt“ auf elektrische neuronale Schaltprozesse, zur relativen örtlichen und zeitlichen gemeinsamen „Anzeige“ gebracht werden.

    So wie Bildpixel (relativ zueinander und zeitlich nacheinander) auf der flächigen Netzhaut in einen örtlichen, farblichen zeitlichen …. Zusammenhang gebracht, zu einem Bild (Video) emergieren. Beim Bewusstsein kommen eben die besonderen „Empfindungen“ (aus Quanteneffekten stammenden) abbildenden Signale zusätzlich zur Auswertung.

    Ähnlich wie beim Photoeffekt die Lichtquanten, dürften durch so etwas wie „Reize“, Elektronen aus einer Bindung, z. B. aus der äußersten Hülle aus sensorischen Molekülverbänden gelöst werden, dabei das Empfindungsphänomen entstehen und in der Folge die Elektronen (Ladungsträger) vom neuronalen Netz aufgenommen und hinsichtlich der Stärke, Art und Lokalität … ausgewertet werden.

    Die „modulierten“ Signale kommen sozusagen „gleichzeitig“ auf flächigen Bereichen (Zwischenschichten zwischen Hirnorganen) zur „informellen Abbildung“. (Einer Art von „Hirnkino“ mit Empfindungs (Lust und Schmerz) Auswertung).

    Die Empfindungen entstehen an bestimmten Orten, es ist allerdings denkbar, dass sich auch in der Nähe der Auswertestrukturen „Empfindungsstrukturen“ befinden, die z.b. Kopfschmerz „empfinden“ und gleich in der Nähe „lokalisieren“.

  114. @Balanus: Tatsachen

    Dein Bla Bla hättest du dir sparen können, wenn du die gerade einmal vierseitige Originalpublikation, die ich am Ende verlinkt habe, gelesen hättest. Englisch verstehst du, oder? Das hier ist ein allgemeinverständlicher Blogbeitrag, an dessen Ende steht, dass die ausführlicheren Quellen an anderer Stelle gefunden werden können (einschließlich Links).

    Mann, du spielst dich so auf, aber reitest dich selbst nur noch immer tiefer ins Lächerliche. Ich denke, dass ich die Diskussion hier bald schließe, wenn sie zu so einem Quatsch führt.

  115. @Tobias Jeckenburger // 15.08.2020, 15:47 Uhr

    In Ihrer Antwort ist mir ein Satz besonders aufgefallen. Sie schreiben:

    »Gerade im Gegensatz von Neurologie und Psychologie führt das dann zu den handfesten Konflikten, die wir hier gerade diskutieren. «

    Ich denke, es gibt diesen Gegensatz oder Konflikt gar nicht, er wird nur von manchen herbeigeredet oder beschworen (ich lese ‚Neurologie‘ als ‚Neurowissenschaft‘). Es sind halt unterschiedliche Disziplinen: Die einen arbeiten primär bottom-up, die anderen eher top-down. Und wie an anderer Stelle bereits gesagt: Im Ergebnis müssen beide Disziplinen übereinstimmen, das eine muss zum anderen passen, ansonsten wurde irgendwo ein Fehler gemacht.

    Was es wohl aber gibt, ist die Konkurrenz um Forschungsgelder. Das scheinen die Neurologen bzw. Neurowissenschaftler ganz allgemein mehr Erfolg zu haben.

    Aber schon klar, ich argumentiere hier aus der Perspektive der Wissenschaften. Phänomene, die sich den wissenschaftlichen Methoden entziehen (etwa Bewusstseinsinhalte), bleiben dabei außen vor.

  116. @Stephan // 16.08.2020, 14:43 Uhr

    »Bla Bla«

    »…wenn du die gerade einmal vierseitige Originalpublikation, die ich am Ende verlinkt habe, gelesen hättest.«

    Wenn ich die nicht gelesen hätte, hätte ich nicht gewusst, dass Du den Begriff „underlying“ dort richtig verwendest hast. Mannmann …

    Vielleicht habe ich ja was übersehen, aber worauf ich mich beziehe, ist dieses hier:

    The quoted portion contains all (four) references to the brain of the justification of the new law4. To better understand the science behind this argument, I shall finally quote part of the proposal by the said Council, from the section “The psychological and biological development of the young”:

    “Thus the growth of the young continues approximately until the 16th to 18th year. The gray matter of the brain develops earlier: An increased growth of the brain is reported until 14 to 15 years of age. Just around the 25th year prefrontal cortex functions such as planning and flexibility are completely grown. […] This means that specific risk behavior often occurring among adolescents between the 15th and 23rd year is partially caused by the incomplete development of particular important brain functions. The most essential development with respect to these brain functions only occurs after the 20th year. […] Research on the functioning of the brain using scanning techniques shows that adolescents let themselves often be controlled by a brain region reacting to immediate rewards, the nucleus accumbens, while the brain of persons older than 25 years show a stronger activation in the amygdala and prefrontal cortex. This lets the latter group consider the long-term consequences more in dangerous situations. […] Only when the prefrontal cortex has fully matured, the adolescents are better capable of regulating their emotions than before that time. […] It can be concluded that the development of adolescents usually is not completed until the 23rd year.”5

    Before discussing the actual neuroscientific publications on which these claims are based in the next section, …

    Quelle: Front. Psychol., 29 July 2020 | https://doi.org/10.3389/fpsyg.2020.01762

    Also, was habe ich übersehen oder falsch verstanden?

  117. @Stephan // 16.08.2020, 14:43 Uhr

    Nachtrag

    Um weiteren Missverständnissen vorzubeugen:

    Mir geht es allein um die Weglassungen der Zitate/Quellen in diesem Textausschnitt.

  118. @Balanus: Zitat

    Das ist für eine Fachpublikation sowieso schon ein außergewöhnlich langes Zitat. Es geht um die Stellen, in denen die Hirnentwicklung angesprochen wird. Und die sind zu 100% wiedergegeben.

    Die neurowissenschaftlichen Quellen, die hier weggelassen sind (Zitate im Zitat sehen eben nicht schön aus), sind, wer hätte’s gedacht!, just die drei neurowissenschaftlichen Studien, die ich danach ausführlich diskutiere, sowie ein populärwissenschaftliches Buch. Das ist ja gerade der Witz der ganzen Arbeit.

    Also: aufmerksam lesen. Das bildet!