Der Neuro-Autokauf

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Der Neuro-AutokaufOft liest man inzwischen vom Neuromarketing. Tatsächlich gibt es schon eine Reihe von Büchern, die unter diesem Prädikat aus den Ergebnissen der Hirnforschung Empfehlungen für die Gestaltung, die Bewerbung und den Verkauf von Produkten ableiten wollen. Die Güte dieser Theorien zu diskutieren wäre Stoff für ein eigenes Buch. Hier soll es um eine Fantasiegeschichte gehen, wie ein Autokauf in einer fernen(?) Zukunft funktionieren könnte:

Herr Schmidt parkte seinen in die Jahre gekommenen Wagen auf dem Parkplatz des Autohändlers. Seine Frau war im siebten Monat schwanger und er wollte die alte Karre durch einen zuverlässigen Neuwagen ersetzen. Außerdem würden sie ja bald zu viert sein und da bräuchten sie viel Platz. Der Autohändler hatte seine Filiale erst vor kurzem eröffnet und Herrn Schmidt war in der Zeitung eine Anzeige aufgefallen, in der es hieß, man würde seinen Kunden „mithilfe neuester wissenschaftlicher Methoden“ zur optimalen Kaufentscheidung verhelfen. Ein Versuch koste ja nichts, hatte er sich gedacht und dann auf den Weg hierher gemacht.

Im Geschäft wurde er freundlich von einem seriös aussehenden Mann im Anzug begrüßt. Herr Schmidt erzählte von seiner schwangeren Frau und erklärte mit einem abfälligen Blick auf seinen alten Wagen, den man durch die Schaufensterscheibe hindurch auf dem Parkplatz sehen konnte, warum er ein neues Auto brauche. Nur sei er sich noch nicht ganz sicher, für welches Modell er sich entscheiden solle. Er habe kürzlich eine Gehaltserhöhung erhalten und so könne es durchaus „etwas mehr“ sein, als er sich damals für den alten gegönnt habe. Er würde sich aber freuen, wenn man ihm mit der beworbenen Technologie bei der Kaufentscheidung unterstützen könne. Der Verkäufer erklärte ihm, man verwende hier ein neues wissenschaftliches Verfahren, das mithilfe magnetischer Felder – für den Kunden selbstverständlich völlig ungefährlich und auf Sicherheit geprüft – Hirnaktivierungen aufzeichne und nach einer Computeranalyse seine Vorlieben herausfinde. Er müsse nur fünf Minuten im Gerät platz nehmen und nachdem man ihm ein paar Filme von Autos gezeigt habe, wisse man sofort, welches Auto das Beste für ihn sei.

Herrn Schmidt war zunächst etwas unwohl zumute, als er auf dem sterilen Stuhl, der ihn an eine Zahnarztpraxis erinnerte, platz nahm. Seinen Kopf sollte er bequem in eine halboffene Kugel legen und einfach auf den Monitor vor ihm schauen, ohne sich zu bewegen. Der Verkäufer drückte an einer Konsole auf ein paar Knöpfe, woraufhin sich der Stuhl Herrn Schmidts Größe anpasste und es im Raum dunkel wurde. Als das Gerät lief und vor ihm verschiedene Filmsequenzen von Autos des Händlers und einiger Konkurrenzmodelle erschienen, merkte Herr Schmidt nur ein leichtes Brummen und entspannte sich.

Nach ein paar Minuten, die sehr schnell vorbei gingen, hörte das Brummen wieder auf und nachdem der Verkäufer ihn aus dem Gerät geholfen hatte, erzählte er ihm enthusiastisch, dass er gleich gewusst habe, Herr Schmidt sei ein richtiger Sportwagen-Fan. Man habe herausgefunden, dass das neueste Sportwagenmodell des Händlers ihn am glücklichsten mache. Die Videos dieses Autos habe die Neuronen in seinem Nucleus Accumbens am stärksten feuern lassen, welche die Erzeugung des „Glückshormons“ Dopamin im Gehirn anregten. Um seine Aussage zu unterstützen, wedelte der Verkäufer mit einem farbigen Ausdruck herum, auf dem manche Bereiche in dem, was eine Aufnahme seines Gehirns sein musste, farbig hervorgehoben waren. Die farbigen Stellen verrieten ihm als Laien jedoch nichts.

Herr Schmidt war zuerst skeptisch, da das Auto nicht viel mehr Platz bieten würde als sein alter Wagen. Wie sollten sie darin zwei Kindersitze und womöglich noch einen Kinderwagen und etwas Gepäck unterbringen können? Andererseits fand er aber auch das Argument überzeugend, sich für dasjenige Auto zu entscheiden, das ihn offenbar am glücklichsten mache. Diesen Punkt müsse schließlich auch seine Frau einsehen. Der Verkäufer bot ihm an, den Vertrag gleich auf der Stelle zu unterschreiben, um schon nächste Woche den Sportwagen abholen zu können. Herr Schmidt erkundigte sich noch, ob seine Frau ebenfalls an dieser wissenschaftlichen Untersuchung teilnehmen könne. Prinzipiell sei das schon möglich, bekam er nach einem kurzen Zögern vom Verkäufer erklärt, doch sei das Gerät leider nicht für Schwangere freigegeben. Schließlich verabschiedete Herr Schmidt sich mit der Bitte um etwas Bedenkzeit, da er solche Kaufentscheidungen stets mit seiner Frau abspreche. Der Verkäufer gab ihm noch den farbigen Ausdruck von der Untersuchung sowie einen Prospekt des Sportwagens mit auf den Weg.

Eine Variante dieser Geschichte ist zuerst erschienen in meinem Artikel „Was wäre, wenn Gedankenlesen wahr würde?“ in: what if – Zukunftsbilder der Informationsgesellschaft, S. 109-115. S. Iglhaut, H. Kapfer & F. Rötzer, Hrsgg., 2007, Heise Verlag, Hannover).

Übrigens wird meine Kollegin, Susanne Erk, gerne mit ihrer EmoCar-Studie zitiert, wenn es ums Neuromarketing geht (Erk S., Spitzer M, Wunderlich AP, Galley L, Walter H (2002).  Cultural objects modulate reward circuitry. NeuroReport 13: 2499-2503).

Gedankenlesen - Das Buch Gedankenlesen
Pionierarbeit der Hirnforschung
mit Vorworten von Thomas Metzinger und John-Dylan Haynes
184 Seiten, € 18,- (D) / € 18,60 (A) / SFr 32,-
ISBN 978-3-936931-48-8
Homepage zum Buch

Foto: © Andreas Liebhart (Evoline) / PIXELIO

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11 Kommentare

  1. :-))sehr schön. Um daran anzuschließen: Ähnlich wie das Auto ist auch das Gehirn etwas Vorgestelltes oder um es mit Kant zu sagen: das Gehirn als Gegenstand erscheint in meiner Welt. Was aber ist es, was da auswählt, ignoriert, filtert oder für gut befindet? Ich kann nicht anders als wieder mit dem Willen zu kommen: denn er ist es, der als wahr annimmt, was ihn befreit. So kann der Bauer zwar auch auf einer Scheibe sein Feld bestellen, der Seefahrer aber wird die Wahrheit -die Erde ist rund- als Befreiung erleben, da er nun nicht mehr fürchten muß, von der Erde herabzufallen.

  2. Gute Pointe!

    Vom Neurophilosophischen abgesehen wird da vor allem auch deutlich: sehr viele Verhaltensphänomene erschließen sich nicht isoliert in Einzelgehirnen, sondern in der Interaktion verschiedener Gehirne (Was wird wohl Schmidtchens Frau sagen?).

    Bei mir war aber ein anderes Marketing bereits erfolgreich: Ich habe vorgestern Dein Buch bestellt, Stephan, und bin sehr gespannt!

    Darf ich Dich als einer unserer Scilogs-Top-Neuro-Philosophen sowie Deine an den wirklich schwierigen Fragen wirkende Lesergemeinde dafür in einer für mich wichtigen, philosophischen Frage ganz ernsthaft um Hilfe bitten? Es scheint mir eine Frage zu sein, in der meine empirisch orientierte Schulweisheit nicht weiterkommt…

    http://www.wissenslogs.de/wblogs/blog/natur-des-glaubens/philosophische-fragen/2008-04-18/beten-roboter-wenn-sie-beten

    Hilfe!

  3. @ Schleim

    Hallo,
    wo liegt der Knackpunkt? Vielleicht kann mir auch einer der Herren helfen, denen der Artikel so gut gefallen hat.
    Gruß Uwe Kauffmann

  4. @ Kauffmann

    Nun, wenn ich Herrn Schleim richtig verstehe, nimmt er die
    “Neuromarketingabteilungen” aufs Korn. Herr Schmidt mag zwar ein Sportwagenfan sein und sein Hirn mag beim Anblick des Wagens Dopamin ausschütten, doch seine Frau dürfte ein anderes Hirn haben. Die Wechselbeziehung zwischen Herrn Schmidts Hirn und dem Hirn seiner Frau ist der Knackpunkt.

  5. @Hilsebein

    Sehr geehrter Herr Hilsebein,
    ich interpretiere der Artikel nicht so.
    Der Auseinandersetzung mit dem Gehirn seines Weibes, wäre Herr Schmidt, auch ohne Neuromarketing ausgeliefert.
    Was ist mit dem Brummen? Transcraniale Magnetstimulation/manipulation?

    Gruß Uwe Kauffmann

  6. @ Kauffmann

    “Was ist mit dem Brummen? Transcraniale Magnetstimulation/manipulation?”

    Da bin ich überfragt. Ich werde mich wohl zeitlebens nicht in so eine “halboffne Kugel” begeben.

    “Der Auseinandersetzung mit dem Gehirn seines Weibes, wäre Herr Schmidt, auch ohne Neuromarketing ausgeliefert.”

    Selbstverständlich. Das ist doch das Schöne an der Geschichte. Herr Schmidt weiß, daß, wenn er seine Frau sieht, die den Sportwagen wohl nicht für gut befinden wird, sein Dopaminspiegel in den Keller fährt. Daher ist er skeptisch. Hirne sind eben komplexer als sich die “Neuromarkentingabteilungen” träumen lassen.

  7. Brummende Ehefrauen 🙂

    Ich dachte da beim “Brummen” eher ans MEG — bei fMRT hätte ich “Hämmern” schreiben müssen und TMS ist auch nicht gerade sehr angenehm. Ich war aber selbst noch nie Versuchsperson in einem MEG-Experiment, also entspringt das meiner Fantasie (ist ja auch eine Fantasie-Geschichte).

    Der Witz an der Geschichte ist doch, dass Herr S. mit dem Wunsch loszieht, einen Wagen, der seinen familiären Umständen entgegen kommt, zu erwerben; der Verkäufer findet aber im Gehirn des Herrn S. nicht diesen rationalen Wunsch, sondern nur die Glücksreaktion beim zeigen von Sportwagen.

    Dass manche Männer so eine Reaktion haben, wenn sie sich Sportwagen anschauen, das wissen wir ja schon längst (man denke an die Automagazine oder die Studie Susanne Erks oben; wie ist das bei Motorrädern, Helmut?); manche Männer geben sogar komische Geräusche von sich, wenn sie solche Wagen sehen — insbesondere dann, wenn sich auch noch eine leichtbekleidete Dame auf dessen Motorhaube räkelt (wieder: siehe bestimmte Automgazaine).

    Meines Erachtens hätte der Verkäufer den rationalen Wunsch des Herrn S. ernst nehmen müssen — was will er mit einem Sportwagen, dessen Anblick ihn glücklich macht (wenn er im Auto drin sitzt, sieht er’s eh nicht von außen), wenn noch nicht einmal der Kinderwagen in den Kofferraum passt? Um Herrn S. unter diesem Gesichtspunkt zu dem passenden Auto zu verhelfen, wäre der Verkäufer wohl auch ohne eine teure Neuro-Maschine ausgekommen; ein bisschen Nachdenken hätte gereicht.

  8. Rationaler Wunsch?

    Lieber Stephan,

    intuitiv stimme ich Dir völlig zu, hätte aber noch eine Begriffsfrage. Du definierst den familienbezogenen Wunsch von Herrn Schmidt als den “rationalen” Wunsch, das Befriedigen des Glücksspiegels beim Betrachten des Sportwagens dagegen nicht.

    Mir kommt das zwar sehr entgegen (denn m.E. entscheidet letztlich der biologische Erfolg über die “Rationalität” einer Entscheidung) – aber wie definierst Du “rational”? Und wenn Herr Schmidt es schafft, seine Frau zu dem Wagen zu überreden, der ihm persönlich Spaß macht – wäre das dann Deiner Meinung nach irrational?

  9. Sind Wünsche Bedürfnisse?

    Sehr geehrte D+H,
    also sehr schön, aber ist das Neuromarketing?
    Im Moment haben wir ja nur Psychomarketing. Was bedeutet das ich ein Produkt habe und die Konsumentenwünsche, so geformt werden, das Sie zum Produkt passen. Oder ich versuche einen Konsumwunsch hevorzurufen oder einem Bedarf eine Wichtigkeit zu zuschreiben, den er nicht hat und nach Möglichkeit, die Erfüllung des selben nur mit meinem Produkt erfolgreich erscheinen zu lassen.
    Ein weiterer Aspekt ist der Verkauf von scheinbarem Mehrwert. Ich kaufe das Produkt weil ich die im Kontext beworbenen Eigenschaften haben möchte oder deren Anwessenheit durch deren Besitz, vor mir und vor anderen untermauert wird.

    Was hat also Neuromarketing gegenüber dem Psychomarketing zu bieten?

    (X)marketing ist auf die Spitze getrieben, die Bemühung dem Kunden das zu verkaufen, daß man Ihm verkaufen will.
    Das wird immer das sein was der Anbieter problemlos verfügbar ist und den höchsten Gewinn erwirtschaftet.
    Ein guter Verkäufer ist nach wie vor nicht zu ersetzen, erst recht nicht von einer Wunschanalysevorrichtung.

    Gruß Uwe Kauffmann

  10. @ Michael: Rationalität

    Lieber Michael,

    als Kennzeichen des Rationalen würde ich (in Anlehnung an den US-Philosophen Davidson) auf den holistischen Charakter hinweisen, den die Entscheidung hat, das Auto entsprechend der Familienplanung anzuschaffen.

    Sprich: Es gibt ein Netz von Gründen, das die Entscheidung mit Sinn erfüllt; für Davidson war das das charakteristische des Mentalen.

    Es ist ja noch nicht einmal gesagt, dass Herrn S. der Sportwagen “Spaß macht”, wie du schreibst; ich denke, seine Frau würde ihn bloß entgeistert anschauen und fragen, wie er auf diese komische Idee kommen könne, ein Auto zu kaufen, in das noch nicht einmal der Kinderwagen passt. Sie würde ihm erwidern: “Es geht hier doch nicht um deinen Spaß, sondern darum, dass wir ein Auto für die Zwecke haben, für die wir es als große Familie bald brauchen werden! Das hast du offenbar nicht verstandne, also sollte ich besser das Auto aussuchen.” Insofern wäre sein Wunsch irrational, ja.

    Aber wie gesagt: Überhaupt vom “Spaß machen” zu sprechen, wenn da im Gehirn ‘was leuchtet, da muss man erst einmal eine Brücke bauen. Wenn es ihm wirklich Spaß machen würde, wäre das schon wesentlich rationaler als das Neuronenfeuern. 🙂

  11. @ Kaufmann: Marketing

    Sehr geehrter Herr Kauffmann,

    ehrlich gesagt verstehe ich jetzt nicht, ob ich Ihnen widersprechen müsste.

    Zuerst ist es einmal ein Faktum, dass viele vom “Neuromarketing” sprechen. Suchen Sie mal in der Buchhandlung nach dem Schlagwort; in der neuen G&G wurde gerade ein Sammelband mit diesem Titel rezensiert.

    Wenn Sie sagen wollen, dass es voreilig ist, vom Neuromarketing zu sprechen, oder gar sinnlos, dann würde ich sagen: Die Beweislast liegt bei den “Experten”, uns zu zeigen, inwiefern das Wissen über neuronale Prozesse besseres Marketing erlaubt. Mir sind solche Befunde noch nicht begegnet aber ich muss dazu gestehen, dass ich auch noch nicht so intensiv danach gesucht habe.

    Und dass ich das generell kritisch sehe, das steckt ja in der Geschichte.

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