Das Dogma der biologischen Psychiatrie in historischer Perspektive

Man kann die Störungsbilder einfach nicht im Gehirn nachweisen. Welche Schlüsse zieht man daraus?
Im ersten Teil ging es um eine neue Studie, die die Auswirkungen von Psychotherapie im Gehirn nachgewiesen haben will. Wie ich ausführte, ist das weder neu noch überraschend. Die Darstellung der Studienergebnisse erwies sich außerdem als problematisch, vor allem wegen der fehlenden Kontrollgruppe.
Die Versuche der biologischen Psychiatrie, ihre Hunderten Störungsbilder wie Depressionen oder Angst- und Aufmerksamkeitsstörungen im Gehirn nachzuweisen, scheitern immer wieder. Trotzdem fordern diese Forscher*innen seit Jahrzehnten immer mehr Geld. Und sie kriegen es in der Regel auch. Für andere Forschungsbereiche, die klinische Praxis und damit das Wohl der Patient*innen hat das verheerende Auswirkungen.
Ökonomisch nennt man das “Opportunitätskosten”. Was verliert man dadurch, dass ein Forschungszweig so dominiert?
Opportunitätskosten
Die Mittelverteilung ist nicht so unschuldig, wie es auf den ersten Blick scheinen mag. Und es ist mitnichten ein rein wissenschaftlicher Streit. Wie eine Reihe amerikanischer und britischer Psychiater vor ein paar Jahren schon einmal anmerkte, kann man jeden Euro beziehungsweise jedes Pfund oder jeden Dollar ja nur einmal ausgeben. Durch die starke Dominanz der Neuro-Forschung fehle es an Projekten zur Prävention psychologisch-psychiatrischer Probleme, zur Unterstützung von Familien, die es schwer haben, und zur Verhinderung von Suiziden.
Doch die Situation im Jahr 2025 ist, dass die Forschungsmilliarden weltweit – hier am Beispiel der größten psychiatrischen Forschungseinrichtung aufgezeigt, dem National Institute of Mental Health (NIMH) in den USA – immer noch vor allem in die Suche nach den neuronalen Ursachen fließen. Laut den gängigsten offiziellen Kriterien gibt es 227 gültige Symptomkombinationen für Depressionen, bei der Aufmerksamkeitsstörung ADHS sind es sogar 116.220. Dieser von führenden Fachleuten am Konferenztisch festgelegten Komplexität und Vagheit kann man mit neurowissenschaftlicher Forschung nicht Herr werden.
In meinem Buch Die Neurogesellschaft von 2011 entlarvte ich einige Neuromythen. Ironischerweise rezensierte es der führende europäische Neuropsychologe in der Zeitschrift für Neuropsychologie sehr wohlwollend. Ein anderer Institutsdirektor schrieb mir, er stimme mir zwar weitgehend zu, doch er würde das Buch seinen Mitarbeiter*innen nicht empfehlen. Sonst müsste er nämlich fürchten, dass sie mit der Arbeit aufhören. Dabei wäre genau das die beste Schlussfolgerung gewesen.
2021 formulierte ich den Aufruf, das medizinische Modell in der Psychiatrie endlich aufzugeben und sich wieder mit den psychosozialen Bedürfnissen der Menschen zu beschäftigen. Damit hätte man viele Forschungsmilliarden sparen und nicht nur in Prävention, sondern auch die bessere Ausbildung klinischer Psychologen und Psychiater investieren können. Wer meine Kritik für übertrieben hält, dem sei mit einem Zitat von Thomas Insel geantwortet. Er war von 2002 bis 2015 Direktor des NIMH und entschied jedes Jahr über ein Milliardenbudget. Gegenüber Wired erklärte er, der “Star-Neurowissenschaftler”, erstaunlicherweise:
“Ich habe 13 Jahre am NIMH verbracht und mich dort intensiv mit der Erforschung der Neurowissenschaften und Genetik psychischer Störungen beschäftigt. Wenn ich zurückblicke, wird mir klar, dass es mir zwar gelungen ist, eine Menge wirklich toller Artikel von tollen Wissenschaftlern [im Original: lots of really cool papers published by cool scientists] zu veröffentlichen, und das zu einem ziemlich hohen Preis – ich glaube, 20 Milliarden Dollar. Aber ich glaube nicht, dass wir etwas dazu beigetragen haben, die Suizidrate zu senken, die Krankenhausaufenthalte zu reduzieren und die Genesung von zig Millionen Menschen mit psychischen Erkrankungen zu verbessern.” (Thomas Insel in Wired, 2017; dt. Übers.)
Historisch
Wie “coole Forschung cooler Leute” zur dominanten Strömung in der Psychiatrie werden konnte, verdeutlicht ein kurzer historischer Überblick. Wer es genauer lesen will, kann in Perspektiven aus der Depressions-Epidemie weiterlesen.
Im 19. Jahrhundert kam es zu großen Umbrüchen in der Medizin. Inspiriert durch naturwissenschaftliche Fortschritte – verbunden mit heute noch bekannten Namen wie Rudolf Virchow (1821-1902), Robert Koch (1843-1910) und Paul Ehrlich (1854-1915) – entdeckte man immer mehr Bakterien, Viren und organische Abweichungen als Krankheitsherde. Psychiatrie und Psychotherapie im heutigen Sinne kannte man noch nicht. Für die Armen gab es Seelsorge oder Gefängnisse. Die Wohlhabenden kamen in Sanatorien. Wer es sich wirklich leisten konnte, mietete sich einen Leibarzt als Reisebegleitung, um einmal andere Luft zu schnuppern und auf andere Gedanken zu kommen.
In den Großstädten war auch das Elend der Armen groß. Schließlich nahm man sie – vor allem Alte, Bettler, Demente, Epileptiker und Prostituierte, die keinen anderen Ort hatten – in Krankenhäusern auf. Beispiele sind die Salpêtrière in Paris, die 1795 vom Psychiatrie-Reformer Philippe Pinel (1745-1826) übernommen wurde; später sollte der junge Sigmund Freud (1856-1939) hier studieren und in die Hypnose eingeweiht werden. Oder das heute noch existierende Bethlem-Krankenhaus in London, wo der Arzt und Apotheker John Haslam (1764-1844) um 1800 schon in den Gehirnen verstorbener Patient*innen nach dem Sitz von Depressionen suchte – und sogar glaubte, sie gefunden zu haben!
Um nicht nur als Seelsorger oder “Irrenärzte”, sondern als echte Mediziner wahrgenommen zu werden, brauchte die Psychiatrie eine organische Ursache der “Geisteskrankheiten”. Passenderweise entwickelte der Arzt und Anatom Franz Joseph Gall (1758-1828) damals die Phrenologie. Zwar sah man in der Ärzteschaft die spätere Popularisierung durch Galls Assistenten, Johann Gaspar Spurzheim (1776-1832), und andere kritisch. Doch die Ansicht, dass “Geisteskrankheiten” Gehirnkrankheiten sein mussten, passte in den Zeitgeist. Sie löste das peinliche Dilemma, kein Organ zu haben, auf das man zeigen konnte.

Abbildung 5: Der Gedanke der funktionellen Spezialisierung des Gehirns, links von den Phrenologen Gall und Spurzheim auf einer anatomischen Zeichnung von 1810 angedeutet, inspirierte Psychiatrie und Psychologie bis heute. Die spätere Popularisierung, Persönlichkeitseigenschaften an der Kopfform erkennen zu können, hier aus einem Buch aus dem Jahr 1859, brachte die Phrenologie aber nachhaltig in Verruf.
Die Hypothese der Gehirnstörungen wurde im Laufe des 19. Jahrhunderts schließlich zum Dogma. Wie dieses bis heute wirkt, sah man auch an der Aussage Ronny Redlichs im ersten Teil, mit seiner – bei näherer Betrachtung doch eher bescheidenen – Studie die Gleichwertigkeit von Psychotherapie “naturwissenschaftlich-medizinisch” gezeigt zu haben. Gleichwertig womit eigentlich? Er meinte Psychopharmaka.
Das ist ein interessantes Beispiel, da diese laut neuer epidemiologischer Studien bei Depressionen kaum besser als Placebo wirken. Der vielleicht irgendwie noch optimistische Fund, dass sie wenigstens 15 Prozent der Betroffenen helfen, doch dann intensiv, wurde gerade mit einer brandneuen Studie weiter relativiert: Wenn man das nicht nur, finanziert durch die Pharmaindustrie, in sorgfältig ausgewählten Patientengruppen erforscht, sondern in repräsentativen Gruppen, wie sie wirklich in den Praxen und Kliniken zu finden sind, dann ist die Wirksamkeit noch geringer.
Kaputte Gehirne?
Dass Menschen mit psychologisch-psychiatrischen Problemen fürchten, nicht ernst genommen zu werden, ist bekannt. Doch dass auch die Fachleute immer noch am gut 200 Jahre alten Dogma festhalten und sogar den genetischen Konsens seit den 1970er-Jahren beharrlich ignorieren, ist erstaunlich. Während ihre Versuche, die Störungsbilder auf genetische Varianten zu reduzieren, immer wieder scheitern, jagen sie jetzt eine “verborgene Erblichkeit”.
Das ist die “dunkle Energie” der Psychiatrie, wobei man der Physik vielleicht noch eher nachsieht, zur Aufrechterhaltung des sonst sehr gut funktionierenden Standardmodells unbeobachtete Entitäten anzunehmen. Doch was könnte ein “gut funktionierendes Standardmodell” der biologischen Psychiatrie sein? Dass sich manche Symptome mit psychoaktiven Substanzen oder elektrischem Strom kontrollieren lassen? Auch das ist bereits seit dem 19. Jahrhundert bekannt. Und es hinterlässt zu viele Patienten hilflos und im schlimmsten Fall mit neuen Problemen aufgrund schwerer Nebenwirkungen und Medikamentenabhängigkeit.
Die heute anhaltende Welle der biologischen Psychiatrie kam in den 1980ern auf. Damals begann die Zeit von “Neuro” und “Gen”. Thomas Insels Vor-vor-vor-vor-Vorgänger als Direktor am NIMH, Alan Leshner, erklärte vielleicht im Altersleichtsinn, wie das funktionierte: “Experten für psychische Gesundheit begannen, Schizophrenie als ‘Gehirnkrankheit’ zu bezeichnen und Kongressabgeordneten Gehirnscans zu zeigen, um sie zu mehr Forschungsgeldern zu bewegen. Es funktionierte wirklich” (zit. n. Satel & Lilienfeld, 2014, S. 4; dt. Übers.).
Leshner war von 1990 bis 1992, also gerade am Anfang der “Dekade des Gehirns”, kommissarisch im Amt – ausnahmsweise als Neuropsychologe, nicht als biologischer Psychiater. Heute, 30 Jahre später, wollen Psychiater die Diagnose “Schizophrenie” übrigens aufgeben, unter anderem weil sie bei Patienten mehr Leid verursachen kann als dass sie hilft.
Leshner wurde für seinen Einsatz für die Psychiatrie dadurch belohnt, dass er zum ersten Direktor des neu gegründeten National Institute on Drug Abuse (NIDA) ernannt wurde. Eine seiner wesentlichen Leistungen bestand darin, Sucht als Gehirnkrankheit darzustellen. Wenn es schon zur Zeit der Phrenologen funktionierte, warum dann nicht auch Ende der 1990er? Gut 25 Jahre später haben die USA ein ungekanntes Suchtproblem mit vielen Toten und noch mehr Elend.
Aber für die Forscher*innen ging die Rechnung auf: Sie hatten, mit Thomas Insel gesprochen, satte Chancen für “coole Karrieren mit coolen Papers”. An Forschungsmilliarden bestand kein Mangel. Ein von mir sehr geschätzter Neuropsychiater sagte es einmal im Interview: “Auf wissenschaftlichen Kongressen kommen Sie mit sozialpsychiatrischen Vorträgen in unserer Zeit nicht so gut an. Und die Leute wollen eben auch Karriere machen.” Ja, so ist das.
Gegenwart
Was nahe am Menschen wäre, ist in der Forschung, die zwanghaft “medizinisch-naturwissenschaftlich” sein will, doch in Wirklichkeit vor allem Ideologie ist, kaum angesehen. Man könnte über den Coup lächeln, wenn nicht so viel auf dem Spiel stünde: Die zum Beispiel von Leshner und vielen anderen versprochenen Medikamente gegen Sucht sind größtenteils ein Traum geblieben, während heute viele Millionen Menschen einen süchtigen Albtraum erleben.
Die 2004 im “Manifest führender Hirnforscher” versprochenen besseren Therapien gibt es immer noch nicht. Auch alle von Thomas Insel 2010 für das Jahr 2020 versprochenen Fortschritte der biologischen Psychiatrie – darunter diagnostische Biomarker, bessere Therapien und sogar Impfungen gegen psychologisch-psychiatrische Störungen – fehlen bis heute. Eine Dekade, nachdem er seinen milliardenschweren Direktorenstuhl am NIMH räumte, erklärte Insel die Sache mit den “kaputten Gehirnschaltkreisen” als Metapher. Man wisse noch gar nicht genug übers Gehirn. Ach so.
Mit Leshner könnte man sagen: “Es funktionierte wirklich.” In seinem neuen Buch Healing: Our Path from Mental Illness to Mental Health erklärte Insel, zur Lösung der Krise der psychischen Gesundheit müsse man vielleicht doch sozial-institutionelle Probleme lösen. Ach so. Darauf hat die biologische Psychiatrie, die vor allem Moleküle herumschubsen will, keine Antwort.
Hypes
Als ich in dem Fachgebiet promovierte, war gerade die “Personalisierte Medizin” in. Im biomedizinischen Paradigma war das aber nur eine Chiffre für noch mehr Gerätemedizin. Weil das vielen Patient*innen nicht half, dachte man sich als nächstes die “Translationale Medizin” aus: Als ob medizinische Forschung nicht immer praktisch, anwendungsnah und im Interesse der Betroffenen sein müsste. Den neuesten Hype nennen sie jetzt “Präzisionsmedizin”.
Dem Anspruch, Vorläufiges immer als großen Durchbruch verkaufen zu müssen, mochte ich nicht gerecht werden. Darum hörte ich 2010 mit dieser Forschung auf. Seitdem wunderte ich mich mehr als einmal über Forscherpersönlichkeiten mit tollen Karrieren, die im persönlichen Gespräch alle Kritik einräumten – um dann in Forschungsanträgen, öffentlichen Vorträgen oder im Interview den Medien etwas ganz anderes zu erzählen. Ist das nur Zweckoptimismus oder schon eine psychologisch-psychiatrische Störung, Stichwort “Realitätsverlust”?
Für die im ersten Teil kritisierte Publikation unter Leitung von Ronny Redlich in der Fachzeitschrift Translational Psychiatry flossen laut der Preisordnung 4000 Euro an Publikationskosten an den Verlag. Für eine Veröffentlichung meiner Kritik müsste ich 1300 Euro bezahlen. Dann wird es halt wieder nur ein Blogbeitrag. Dass den Hilfesuchenden mit dem Aufspüren neuronaler Abdrücke psychosozialer Therapie nicht gedient ist, sollte aber auch so klar geworden sein.
Zukunft
Der Schweizer Psychiatrieprofessor Matthias Jäger klagte kürzlich über die Patientenflut nach der sovielten Destigmatisierungskampagne in der Gesellschaft: “[Das soziale in der Psychiatrie] bedeutet aber nicht, dass die Psychiatrie für die Behebung von sozialen Problemlagen und sozial unerwünschten Verhaltens jeglicher Art zuständig ist.” Damit wäre man wieder zurück im frühen 19. Jahrhundert, gewissermaßen vor der medizinischen Professionalisierung des Fachs, in der Zeit der Armen- und Irrenhäuser.
Dank knapper Kassen, Mangel an Prävention und mit Ausblick auf weitere Sozialkürzungen für die Verteidigung ist nicht von einer Abnahme psychologisch-psychiatrischer Störungen auszugehen. In Großbritannien, wo die sozialen Einschnitte schon ein, zwei Stufen weiter sind und die Not der Menschen entsprechend groß, entstehen allerdings auch neue Lösungen:
Es gibt dort ein Ministerium gegen Einsamkeit. Ein Netzwerk kritischer Psychiater*innen um Joanna Moncrieff, Psychiatrieprofessorin in London, hilft Menschen beim Abbauen der sogenannten Antidepressiva. Denn dass man davon abhängig werden kann, wurde lange geleugnet. Und gemeinschaftliche Hilfe vor Ort soll dort für die Menschen verfügbar sein, wo sie leben und sich durch die Herausforderungen ihres Alltags lavieren.
Hier in meinem Artikel wurde eine Möglichkeit identifiziert, wo man (global) sofort ein paar Milliarden und in Europa immer noch Hunderte Millionen einsparen könnte. Und wenn Psychologie (wörtlich: Seelenlehre) und Psychiatrie (wörtlich: Seelenheilung) ihr seelenleere überwinden und den Menschen wieder als das biopsychosoziale Wesen würdigen, das er ist, werden auch hier vielleicht wieder Probleme gelöst und nicht nur Symptome behandelt. Auch Jahrzehnte der Psychotherapieforschung kamen zum Fazit, dass Beziehungen und das Umfeld die wesentlichen Faktoren sind:

Abbildung 6: Laut dieser Übersicht sind für den Therapieerfolg allgemeine Faktoren, darunter vor allem die Beziehung zum*zur Psychotherapeut*in, Veränderungen außerhalb der Therapie und die Erwartung der Klient*innen von Bedeutung. Auf die psychotherapeutischen Techniken im eigentlichen Sinn entfallen nur 15 Prozent. Nach: Helle, 2019, S. 179
Dennoch will ich meinen ausdrücklichen Respekt für alle Psychiater*innen ausdrücken, die sich trotz der schwierigen Bedingungen den Herausforderungen ihres Berufs stellen, nicht selten Tag und Nacht. Meine Kritik richtet sich nicht gegen sie, sondern das die Forschung und Praxis einengende Dogma.
Damit sind Alternativen aufgezeigt. Ob wir sie beschreiten, hängt von unseren Entscheidungen ab, sowohl individuell als auch gemeinschaftlich.

Erfahren Sie mehr über die “Depressions-Epidemie” im neuen Buch von Stephan Schleim: Was sind Depressionen überhaupt? Wie werden sie diagnostiziert? Wie veränderte sich das Störungsbild im Laufe der Zeit? Warum wird es in den letzten Jahrzehnten so viel häufiger diagnostiziert und haben sich die Medikamentenverschreibungen verfielfacht? Das Buch kombiniert 27 alte und neue Perspektiven aus Psychologie, Neurowissenschaft und Soziologie mit viel Orientierungswissen zum Verstehen, Vorbeugen und Heilen. Das eBook gibt es für nur 9,99 Euro bei Amazon, Apple Books und Google Play Books.
Referenzen
- Ball, T., Derix, J., Wentlandt, J., Wieckhorst, B., Speck, O., Schulze-Bonhage, A., & Mutschler, I. (2009). Anatomical specificity of functional amygdala imaging of responses to stimuli with positive and negative emotional valence. Journal of Neuroscience Methods, 180(1), 57-70.
- Böge, K., Jüttner, J., Stratmann, D., Leucht, S., Moritz, S., Schomerus, G., … & Hahn, E. (2025). Psychiatrische Begriffe im Wandel–Warum eine Umbenennung der Schizophrenie im 21. Jahrhundert nötig ist. Psychiatrische Praxis, 52(03), 125-128.
- Brabec, J., Rulseh, A., Hoyt, B., Vizek, M., Horinek, D., Hort, J., & Petrovicky, P. (2010). Volumetry of the human amygdala—an anatomical study. Psychiatry Research: Neuroimaging, 182(1), 67-72.
- Brosch, K., Stein, F., Schmitt, S., Pfarr, J. K., Ringwald, K. G., Thomas-Odenthal, F., … & Kircher, T. (2022). Reduced hippocampal gray matter volume is a common feature of patients with major depression, bipolar disorder, and schizophrenia spectrum disorders. Molecular Psychiatry, 27(10), 4234-4243.
- Buchheim, A., Viviani, R., Kessler, H., Kächele, H., Cierpka, M., Roth, G., … & Taubner, S. (2012). Changes in prefrontal-limbic function in major depression after 15 months of long-term psychotherapy. PloS One, 7(3), e33745.
- Cuijpers, P., Miguel, C., Harrer, M., Plessen, C. Y., Ciharova, M., Ebert, D., & Karyotaki, E. (2023). Cognitive behavior therapy vs. control conditions, other psychotherapies, pharmacotherapies and combined treatment for depression: A comprehensive meta‐analysis including 409 trials with 52,702 patients. World Psychiatry, 22(1), 105-115.
- Duque, A., Arellano, J. I., & Rakic, P. (2022). An assessment of the existence of adult neurogenesis in humans and value of its rodent models for neuropsychiatric diseases. Molecular Psychiatry, 27(1), 377-382.
- Hamilton, J. P., Siemer, M., & Gotlib, I. H. (2008). Amygdala volume in major depressive disorder: a meta-analysis of magnetic resonance imaging studies. Molecular Psychiatry, 13(11), 993-1000.
- Helle, M. (2019). Psychotherapie. Berlin: Springer.
- Insel, T. R. (2010). Faulty circuits. Scientific American, 302(4), 44-52.
- Insel, T. (2022). Healing: Our Path from Mental Illness to Mental Health. Penguin.
- Jäger, M. (2025). Das Soziale in der Psychiatrie. Psychiatrische Praxis, 52(05), 245-247.
- Leshner, A. I. (1997). Addiction is a Brain Disease, and it Matters. Science, 278(5335), 45-47.
- Lewis-Fernández, R., Rotheram-Borus, M. J., Betts, V. T., Greenman, L., Essock, S. M., Escobar, J. I., … & Iversen, P. (2016). Rethinking funding priorities in mental health research. The British Journal of Psychiatry, 208(6), 507-509.
- Noble, S., Curtiss, J., Pessoa, L., & Scheinost, D. (2024). The tip of the iceberg: A call to embrace anti-localizationism in human neuroscience research. Imaging Neuroscience, 2, 1-10.
- Satel, S., & Lilienfeld, S. O. (2014). Addiction and the brain-disease fallacy. Frontiers in Psychiatry, 4, 141.
- Schleim, S. (2022). Why mental disorders are brain disorders. And why they are not: ADHD and the challenges of heterogeneity and reification. Frontiers in Psychiatry, 13, 943049.
- Stone, M. B., Yaseen, Z. S., Miller, B. J., Richardville, K., Kalaria, S. N., & Kirsch, I. (2022). Response to acute monotherapy for major depressive disorder in randomized, placebo controlled trials submitted to the US Food and Drug Administration: individual participant data analysis. BMJ, 378.
- Winter, N. R., Blanke, J., Leenings, R., Ernsting, J., Fisch, L., Sarink, K., … & Hahn, T. (2024). A systematic evaluation of machine learning–based biomarkers for major depressive disorder. JAMA Psychiatry, 81(4), 386-395.
- Xu, C., Naudet, F., Kim, T. T., Hengartner, M. P., Horowitz, M. A., Kirsch, I., … & Plöderl, M. (2025). Large responses to antidepressants or methodological artifacts? A secondary analysis of STAR* D, a single-arm, open-label, non-industry antidepressant trial. Journal of Clinical Epidemiology, 111943.
- Zilberstein, K., Galves, A., Cole, M., Foreman, W., Hahn, P., & Michaels, L. (2025). Off Balance: National Institute of Mental Health Funding Priorities in 2012 and 2020. Ethical Human Psychology & Psychiatry, 27(1).
- Zwiky, E., Borgers, T., Klug, M., König, P., Schöniger, K., Selle, J., … & Redlich, R. (2025). Limbic gray matter increases in response to cognitive-behavioral therapy in major depressive disorder. Translational Psychiatry, 15(1), 301.
Neu: Diskutieren Sie die Blogbeiträge in der Community PsycheUndMensch auf Reddit (gratis).
Folgen Sie Stephan Schleim auf Twitter/X oder LinkedIn.Abbildung: von StockSnap, Pixabay-Lizenz.
Wissenschaft untersucht Phänomene, die mit den Mitteln der Wissenschaft untersucht werden können. Sind diese Mittel noch nicht erfunden, kommt so was wie Alchemie raus – man sieht schon systematisches, wissenschaftliches Vorgehen und Forschen, aber ohne Mikroskop und Marie Curie kriegen Sie Feuer, Wasser, Luft und Erde, nicht das Periodensystem der Elemente.
Im Moment scheint die Neurowissenschaft in einem Stadium zu sein, in dem sie ein Ei nur zerschlagen kann, indem sie den Mond auf die Erde stürzen lässt. Für ein Omelett fehlt noch Präzision und Feingefühl. Sogar das Neuro ist vermutlich ein Irrweg, denn das Gehirn ist ohne andere Einflüsse nicht zu verstehen: Wenn ich mir einen Zeh stoße, denkt er doch mit, wenn mir mein Hund mit dem Schwanz zuwedelt, kommt meine Idee, Gassi zu gehen, aus seinem Hirn, nicht aus meinem.
Wenn die Wissenschaft in einem solchen Frühstadium steckt (wo sie als typischer Noob erst zur Selbstüberschätzung, dann zum vorschnellen Aufgeben neigt), ist es sehr wichtig, Unwissenheit auszuhalten. Ist wie Malen nach Zahlen – hier taucht ein Pünktchen aus dem Nichts auf, da ein anderes, doch wenn man sie zu früh verbinden will, kommt nur Bullshit raus. Was erlaubt ist und erwünscht ist, ist Science Fiction – Ratespielchen, man malt Bilder, in denen alle Pünktchen mal nur miteinander, mal auch mit fiktiven Pünktchen zu einem logischen Ganzen verbunden sind, doch man darf nie und nimmer behaupten, eines dieser Bilder wäre wahr und alle anderen falsch.
Über Neurologie kann ich etwas sagen, weil ich in einem Riesenhirn lebe – die gleichen Naturgesetze erzwingen ähnliche Strukturen, die Welt als Ganzes ist zwar kein Gehirn, doch ein Netzwerk, das im Allgemeinen recht ähnlich funktioniert.
Und da fällt vor allem auf – würden Sie die Menschen nur unters Mikroskop legen, wiegen, zählen, die Temperatur messen, mit dem Stethoskop an der Erde horchen oder die Veränderungen des Erdmagnetfeldes messen, wüssten Sie auch nicht genug, um die Menschheit zu verstehen. Die Stadt verändert sich viel langsamer als das Leben darin. Wenn Sie nur die Häuser sehen, begreifen Sie keine Wirtschaftskrisen, keine Tagespolitik, verstehen nicht, welche Mechanismen die Diktatur der Dinosaurier, die globale Gerontokratie erzeugt haben, durch die wir uns gerade selbst eine massive Persönlichkeitsspaltung der Globalisierung einhandeln.
Dass sich magische und abstrakte Energieflüsse und Kraftfelder bei näherem Hinsehen in miteinander interagierende Teilchen auflösen, Fleisch und Materie und damit „organisch“ werden, ist eigentlich selbstverständlich. Was aber auffällt, ist die Manie der Wissenschaft, zu glauben, die Existenz von Autos könnte widerlegt werden, indem man beweist, dass jedes nur ein Klumpen von Rädern, Karosserie, Motor ist. Nein – Dinge hören nicht auf zu existieren, bloß weil man verstanden hat, wie sie im Innern funktionieren. Nur der Wissenschaftler hat den Blick fürs Große Ganze verloren, als er heranzoomte.
Wenn man ein System nicht versteht, bleibt nur, es als Ganzes zu beeinflussen. Ich kann nicht jeden Menschen am Köpfchen streicheln und ihm ein Pflasterchen aufs Aua machen, aber ich kann allen ein gefühlvolles Liedchen vorsingen und ein paar Lastwagen Pflaster in die Menge kippen, ob das dann funktioniert, hängt davon ab, ob die Menge sich nicht lieber weiter prügelt und was so ein Pflaster auf dem Schwarzmarkt einbringt, oder ob ich nicht zufällig den Attentäter mit der Maschinenpistole mit verarzte. Ich handle aufgrund der Wahrscheinlichkeitsrechnung – meistens funktioniert’s und wenn’s versagt, hab ich halt Pech gehabt, hab aber keine Ahnung, was da konkret schiefgelaufen ist.
Womit ich aber meist Schaden anrichten werde, ist der Holzhammer. Egal wie ich in ein System eingreife, jede Veränderung erfordert erst mal Zeit, Energie, Anpassung, sie ist ein Arschtritt, der irgendeinen Spießer auf Trab bringt. Wenn ich Amok laufende Spießer-Stampeden sehen will, die das ganze System in Stücke reißen, wähle ich AfD oder stecke mir eine Schrotflinte ins Maul, der Effekt ist der Gleiche – zu viel unkoordinierte, unvorhersehbare Action, die vom System nicht mehr abgefedert werden kann. Psychopharmaka haben was von Tränengasgranaten in einer Finanzbehörde. So ein Elektroschock tut manchmal Wunder, aber er zerstört etwas, das sich dann von selbst neu erschaffen muss, und es hat auch keine Ahnung, was es da tut, es wird funktionieren, aber nicht unbedingt besser. Kleckern, nicht Klotzen.
Wenn solche Methoden, die eher abstrakte Vorstellungen vom Gehirn haben und sehr sanft und behutsam aufs Ganze einwirken, zurzeit zuverlässiger sind, dann ist das halt so. Die Neurowissenschaftler, die organische Ursachen suchen, müssen ihren Übermut zügeln und sich in Geduld üben. Sie sind nicht auf dem Holzweg, sie sind auf dem langen Weg, und Wunschdenken bringt sie nicht näher ans Ziel, sondern auf Irrwege.
Das Problem sind aber die Geldgeber. Die Menschen wollen verarscht werden, sie wollen den Zirkus, sie wollen große Versprechen vom schnellen Erfolg, sie wollen Schlangenöl und Ablassbriefe und Talismane und Amulette, sie wollen den Magier, den Schamanen, den Zauberer tanzen und Hühner bluten sehen, all das mit Konfetti und Feuerwerk und Seifenoper und großen Gefühlen. Denn irgendwie wissen wir schon alle, dass von tausend Start-ups nur eines gelingt, von tausend Petri-Schalen nur eine uns weiterführt, und wenn man in Forschung investiert, dauert’s vielleicht hundert Jahre, bis sich die Investition auszahlt.
Und so ist der Zirkus alles, was wir davon haben. Er verschwendet vielleicht enorme Mittel, doch ohne ihn wären wohl gar keine Mittel da. Wissenschaft verkauft Entertainment, sie spielt Religion und sie spielt den Magier, und je mehr sie voran schreitet, desto mehr macht sie Religion und Magie wahr.
Jeder Euro lässt sich unendlich oft ausgeben, Geld ist ein Wanderversprechen, das immer wieder erfüllt wird, solange irgendeine arme Sau da ist, die es erfüllt. Früher arbeiteten wir alle auf dem Feld, heute fährt da ein Trecker rum, und drum herum wachsen riesige Blasen, die nur dazu da sind, uns gegenseitig zu lausen – dadurch verteilen wir Geld um und mit Geld die Produkte dieses Treckers. Dass in einer Welt, die in Arbeitslosen mit Beschäftigungstherapie ertrinkt, Pflegenotstand und Arbeitskräftemangel haben kann, ist mit ein Grund, warum ich mir beim Anblick der Menschheit die Haare raufe. Um Ihren Mitmenschen zu lausen, brauchen Sie ihm keinen Plastik-Tand aus China anzudrehen, Sie können ihm einfach nur zuhören und ihm bei seinen Problemen helfen.
Wir sind das Personal, das wir für die persönliche Beziehung brauchen, um so nahe am Gehirn zu operieren, wie es nach dem jetzigen Stand der Wissenschaft möglich ist. Wir können einander kennen lernen, als Individuen sehen, auf die Marotten jedes Einzelnen eingehen. Fehlt nur, dass uns jemand dafür bezahlt. Wenn damit Profit zu machen ist, werden Sie vermutlich so lange von Therapie zu Therapie gehetzt, bis Sie komplett irre werden, daraufhin wird man Ihnen eine Therapie verordnen. Und dann werden Sie sich nach Aspirin sehnen oder Alkohol oder irgendeiner Pille, die Ihr Leid abschaltet, auch wenn die Risiken, Nebenwirkungen und Langzeitkonsequenzen Sie umbringen.
Nicht übertreiben, nicht versteifen. Wo ein Widerspruch ist, fehlt nur was in der Mitte, das Puzzlestück, das beide Teile verbindet. These, Antithese, Mayonnaise, da springt bei der Synthese nebenbei sogar ein Burger raus. Der ist organisch und schmeckt lecker, tut Körper und Seele gut. Ganz egal, wie die zusammenhängen.
@Paul S: Frühstadium?
Das wird gerne gesagt – aber ich wies gerade auf eine rund 200-jährige Geschichte hin. Was ist daran jetzt früh?
Man könnte fürs 20. Jahrhundert schlicht die diagnostischen Handbücher heranziehen: Das DSM-I (1952) bis zum DSM-5-TR (2022). In keinem davon findet sich auch nur ein zuverlässiger diagnostischer Biomarker.
Es gibt immer wieder neue, spekulative Funde (dass “die Psyche” verkörpert ist, bestreite ich nicht; darum ist aber “Depression” kein körperliches Ding). Dann, konsistent seit mindestens den 1980ern, immer zu rufen: “Der Durchbruch ist nahe, gebt uns mehr Geld!”, ist mir halt zu wenig.
Sollen die Leute ihre eigenen Schlüsse ziehen/ihre eigenen Entscheidungen treffen. Aber die Fakten scheinen mir relativ klar zu sein. Was darüber hinausgeht, ist Ideologie.
Zum Text,
es erfordert eine Willensentscheidung ob man sich zum Text eines studierten Dr. äußert oder zu einem Phantasiekunstwerk des Paul S.
Vielleicht ist die Sichtweise eine Laien eine kleine Hilfe.
Also, worum geht es ? Woran leidet unsere Gesellschaft und wie kann man Abhilfe schaffen.
Ein Blick in die Vergangenheit , wir schreiben das Jahr 1800.
Napoleon überzieht Europa mit Kriegen.
Die deutsche Gesellschaft geht darauf nicht ein, sie versteckt sich in einer Märchenwelt, man nennt diese Zeit in der Literatur, die Romantik.
Es folgt der Biedermeier, eine Zeit des beschaulichen Zuhause.
Hunder Jahre später ist es vorbei mit dem beschaulichen Zuhause, die Industrialisierung erfasst alle Teile der Gesellschaft und die Gesellschaft reagiert diesesmal mit Aufruhr, es folgen die Sozialistengesetze und das Ganze mündet in einen europaweiten Krieg, dem 1. Weltkrieg.
Es ist doch kein Wunder, dass damit das Zeitalter der Psychologie beginnt, zum ersten Male wird der Mensch mit seiner verletzten Seele der Gegenstand der Wissenschaft. Und dieses Stadium besteht bis heute, noch leben die Verschütteten der bombadierten Stadtbevölkerung. Und die Kinder und Kindeskinder, also die lebende Generation leidet auch noch unter den seelischen Erlebnissen der Kriegsgeneration.
Wenn die Eltern seelisch krank/verletzt waren, dann sind es auch noch die Kinder.
Was lernt man daraus, seelische Verletzungen kommen von den Lebensumständen.
Und wie begegnet man heutzutage den seelischen Verletzungen ?
Man versucht sie mit Wissenschaft und Geld zu heilen.
Dabei wäre es viel sinnvoller die Ursachen der falschen Lebensführung zu beseitigen.
Nur mal zu Überlegen,
Die Stadt mit den meisten Depressiven in Deutschland ist Hanau bei Frankfurt.
Man mache einmal einen Kurzurlaub in diese Region. Und dann kommt man zu der Einsicht, in diesem Gebiet kann man nicht leben . Der ständige Fluglärm macht krank , Fluglärmkrank. Mit dem Wort Depression verschleiert man nur diese Tatsache.
@D: Geschichte & Psychologie/Psychiatrie
Es sind mehrere Veränderungsvorgänge: Die Industrialisierung, Landflucht, Säkularisierung, Medizinalisierung…
Die Psychotherapie begann im frühen 20. Jh. v.a. für wohlhabende Frauen. Im Zweiten Weltkrieg bewiesen Psychologen ihre Nützlichkeit mit der Optimierung der Armee, z.B. durch Eignungstests; das setzte sich danach am Arbeitsmarkt durch. Psychiater an der “Heimatfront” machten die “Kriegszitterer” (heute würden wir sagen: PTBS) wieder fit für die Front, u.a. mit Schocktherapien.
Ich weiß nicht, ob es das in unserer Gesellschaftsform noch gibt: Problemlösungen. Man scheint Probleme v.a. zu verwalten – davon profitieren auch die meisten Dienstleister.
Nach der hier zitierten Meta-Analyse (Cuijpers et al.) hilft Psychotherapie jedenfalls langfristiger als Pharmakotherapie.
Ich dachte, Offenbar sei die “depressivste” Stadt Deutschlands; aber das ist nicht weit weg.
Stefan Schleim
“Ich weiß nicht, ob es das in unserer Gesellschaftsform noch gibt: Problemlösungen”
Das Paradoxe daran ist, die Ursache ist unser Wohlstand. Alles lässt sich mit Geld lösen, so denken die Leute. Und wenn das auch nicht funktioniert, dann zieht man eben um nach Mallorca.
@D: Ich würde es umdrehen:
Mit allem lässt sich Geld verdienen.
Das Gesundheitssystem wurde ja in den vergangenen 20-25 Jahren nach kapitalistischen Marktprinzipien reformiert. Heute haben wir den Salat. Aber einige machte und macht es sehr reich.
Stephan Schleim.
Money makes the world go round, so heißt es in einem musical.
Kapitalistische Marktprinzipien ! Bei uns haben sie sogar das lokale Abwassernetz privatisiert und verkauft. Nach Protest der Bürger wurde das Projekt wieder rückwärts abgewickelt.
Also , es besteht noch Hoffnung, der Gemeinsinn lebt noch. Und wenn in eine paar Jahren die Schuldenpolitik auf die Sozialleistungen durchschlägt, dann wird wieder ein Umdenken stattfinden.
Was sich aber kaum noch ausrotten lässt, das ist das ex und hopp Verhalten beim Müll .
Erst wenn die dann neu eingeführte Müllgebühr für einen neu gelieferten Pullover höher werden wird als der Neupreis, wird es auch wieder Kaufenthaltungen geben.
Was hat das jetzt alles mit Depressionen zu tun ?
Mit jedem Wunsch, den man sich erfüllt, hat man einen kleinen Traum weniger. Und irgendwann packt dann der Lebensüberdruss den Menschen, zuerst ganz unbemerkt bis uns das ganze Leben sinnlos vorkommt, weil wir eben keine Wünsche mehr haben.
Im Gegensatz zu Herrn Hallervorden, der gerade 90 Jahre alt geworden ist. Der findet an allem Spaß .
In einer tatsächlichen Wissenschaft wäre es unmöglich, auf Dauer etwas zu behaupten, wofür es keine Beweise gibt.
Aber in der Psychiatrie dominieren leider seit Menschengedenken irgendwelche Meinungen, und noch bedauerlicher ist es, dass Psychiater das Ansehen als Wissenschaftler einfordern und auch bekommen. Normalerweise müsste zum Beispiel die Verabreichung von Elektroschocks, bei der selbst einige Psychiater zugeben, nicht zu wissen, was sie nützen soll, strafbar sein.
@Neuschnitzer: Irrtümer in der Psychiatrie
Ja, wäre der Artikel nicht schon so lange gewesen, hätte ich noch eine Liste mit beispielhaften Irrtümern der Psychiatriegeschichte hinzugefügt. Die kommt dann vielleicht ein anderes Mal.
Beim Aufräumen fiel mir auf, dass die Autor*innen einer der zitierten Studien, darunter Ronny Redlich, sogar selbst von einem “Dogma” der biologischen Psychiatrie sprechen:
Mal davon abgesehen, dass diese Aussage über den Dualismus ziemlich unsinnig, wenn nicht gar schon peinlich ist, kommen andere Fachleute auch zu anderen Ergebnissen zur Wirksamkeit der Psychopharmaka und zur Größe des genetischen Beitrags (meist doch eher <10% der erklärten Varianz).
@Neuschnitzer: Zwang und Menschenrechte in der Psychiatrie
Na ja, also die Elektrokrampftherapie (Elektroschocktherapie) wird ja nicht gegen den Willen der Patient*innen eingesetzt, sondern mit deren Zustimmung; sonst wäre es wohl eine Körperverletzung.
Dass die Frage der Zwangsmaßnahmen in der Medizin und insbesondere in der Psychiatrie ein anhaltendes Problem ist, ist bekannt. Aber stellen Sie sich vor, Sie arbeiten dort – und ein Patient in einem Wahn beißt ihnen den Finger ab.
Ein Bekannter, Prof. Dr. Dirk Richter, hat ein neues Buch zu der Frage veröffentlicht: Menschenrechte in der Psychiatrie. Prinzipien und Perspektiven einer psychosozialen Unterstützung ohne Zwang (2024).
Ich habe gehört, wenn man online danach sucht, findet man es vielleicht sogar gratis.
Gegen den szientistischen Wahn habe ich ein Buch veröffentlich, dass uns erst einmal wieder richtig denken lehren kann: https://www.amazon.de/unbekannte-Kant-Kants-Vorlesungen-Psychologie/dp/3758476682
Leider werden auch in Zukunft noch Unsummen in überflüssige Forschungen fließen. Jedenfalls sind alle psychischen Störungen nichts anderes als eben psychische Störungen und können deshalb nicht anders als auf psychologischer Ebene wirklich geheilt werden. Medikamente usw. bekämpfen nur Symptome und behindern damit die eigentliche Heilung.
Geist und Seele haben immer das Primat. Deshalb macht eine kranke Seele auch den Körper krank (Psychosomatik).
Gegen den Unsinn wissenschaftl. Spekulation Geist und Seele als Emergenzerscheinung zu sehen: https://www.academia.edu/127602029/Emergenz_verstehen
@ Manfred Reichelt 05.09.2025, 08:10 Uhr
Zitat: „Jedenfalls sind alle psychischen Störungen nichts anderes als eben psychische Störungen und können deshalb nicht anders als auf psychologischer Ebene wirklich geheilt werden. Medikamente usw. bekämpfen nur Symptome und behindern damit die eigentliche Heilung.“
Dass psychische Störungen hauptsächlich auf psychologischer Ebene geheilt werden sollten, finde ich naheliegend, allerdings halte ich Ihre „Absolutheit“ nicht für zweckmäßig.
Aus praktischen Gründen bleibt den Psychiatern oft keine andere Möglichkeit, als mit Medikamenten vorzugehen, zumal deren Ergebnisse durchaus verblüffend sein können.
Die Wirkungen beruhen auf selektive chemische Signalblockierungen eng abgegrenzter Bereiche, was bei einer hochgradig „verteilten Informationsverarbeitung“, wie im Gehirn, naheliegend ist…..
Es könnten, verstärkt mittels Lernprozessen, andere Bereiche (auch mit Psychotherapie) positiv gefördert werden und Problembereiche könnten sich „relativ zurückbilden“….
Zitat: „Gegen den Unsinn wissenschaftl. Spekulation Geist und Seele als Emergenzerscheinung zu sehen:“
Offensichtliche Emergenzmechanismen ignorieren zu wollen, halte ich für nicht zweckmäßig.
Punkte aus Druckerschwärze auf einem Blatt Papier emergieren zu Buchstaben, diese zu Worte und Sätzen, letztlich werden komplexe Informationen im Gehirn abgebildet.
Die Bildpixel im Auge emergieren zu visuellen Bild (Video) Informationen, zuerst an der Netzhaut, danach werden neue mit bestehenden Informationen aus vielen Bereichen im Sinne der IIT (G. Tononi) im neuronalen Netz zusammengeführt und die Komponenten werden letztlich auf geeigneten Strukturen als „Bewusstsein“ realisiert.
Der allenfalls als „schwache Emergenz“ bezeichnete Mechanismus existiert zweifellos und spielt bei der Informationsverarbeitung eine große Rolle….
Die Argumentation der biologischen Psychiatrie enthält einen grundlegenden Kategorienfehler. Psychische Störungen lassen sich auf verschiedenen Ebenen beschreiben – biologisch, psychologisch, sozial. Diese Ebenen stehen nicht in einem einfachen Ursache-Wirkungs-Verhältnis, sondern sind komplementäre Perspektiven auf ein und denselben Prozess. Wer behauptet, Biologie sei die „Ursache“ psychischer Erkrankungen, begeht deshalb einen Kategorienfehler: Er verkehrt eine parallele Beschreibungsebene in eine kausale Relation.
Genau auf solchen Fehlern basiert das traditionelle Leib-Seele-Problem ebenso wie das sogenannte Hard Problem des Bewusstseins. Man konstruiert eine Kluft zwischen Gehirn und Geist, die dann als metaphysisches Rätsel behandelt wird. Tatsächlich entsteht das Problem erst durch die falsche Annahme einer Kausalität zwischen Beschreibungsebenen. Damit wird künstlich eine metaphysische Last erzeugt, anstatt die Phänomene im Rahmen eines kohärenten, mehrschichtigen Modells zu verstehen.
@Stegemann: Kategorienfehler
Absolut! Sie sprechen mir aus der Seele.
Auf welcher Ebene, das dürfen Sie selbst entscheiden. 😉
@ Wolfgang Stegemann 05.09.2025, 20:02 Uhr
Ich würde Sie, als „studierter Philosoph“, um ihre Sicht zum nachstehenden „technischen Problem“ ersuchen. (Auch die Neurologie/Psychologie „schlägt sich“ mit ähnlichen Problemen herum).
Es geht um die Frage: „Kann “Geistiges” mit “Materiellem” (Kategorienproblem) interagieren?“
Soweit ich informiert bin, wurde derartiges ausgeschlossen?
Kurz gesagt, die Techniker sorgen dafür, dass es geht, allenfalls mit „Tricksereien“. In der Computertechnik wird es dringend gebraucht, die Techniker haben es realisiert….
Sie konstruierten einfach einen „Interpretationsmechanismus“ der „Geistiges“ (Schrift, Bilder, Sprachinhalte, ….) erkennen und interpretieren kann.
Über den Interpretationsmechanismus kann mittels (konstruierter) „Prozesssteuerungen und Prozessen“ auf „Materie“ im Rahmen der physikalischen/chemischen Gesetzmäßigkeiten zugegriffen werden.
„Denkfehler“ sind vermutlich überwiegend „Softwarefehler“, aber es ist natürlich auch klar, dass sich z.B. der Suff, also biochemische Ursache, stark auswirken kann….
Ich will damit sagen: Hauptsächlich Philosophen/Linguisten suchen nach möglichst allgemeingültigen Regeln und Bezeichnern, was natürlich notwendig ist um Chaos zu vermeiden. Habe einmal gehört, dass Informatikfirmen extra Philosophen/Linguisten eingestellt haben um das sprachliche Chaos in der Firma zu reduzieren….
Wie ist die Sichtweise der Philosophie, um mit den immer schneller werdenden Veränderungen zurecht zu kommen?
@Elektroniker, Stegemann: Beschreibungsebenen
Wenn Geistiges/Materielles vor allem zwei unterschiedliche Beschreibungsebenen sind, hat diese Frage keinen Sinn. Das wäre dann in etwa so, als würde man fragen, ob es eine Interaktion zwischen etwas beschrieben als Birne und etwas beschrieben als grüne, leicht süßliche Frucht gibt. (Und die Pointe besteht nicht darin, dass es neben Birnen auch noch andere grüne, leicht süßliche Früchte gibt.)
Wolfgang Stegemann,
Mit dem Begriff „Kategorienfehler“ schaffst du das Mysterium des Menschseins nicht aus der Welt.
Wir sind die Synthese aus Geist und Körper, wir leiden daran, wir erfreuen uns daran, und wir versuchen bei Störungen/ Krankheiten dieser Doppelnatur beizukommen.
Das geschieht durch menschliche Zuwendung und durch den Einsatz von Medikamenten.
Der Wissenschaftszweig, der sich systematisch mit der Zuwendung beschäftigt, nennt sich Ethik.
Und dabei geht es auch um die Frage, ob zum Beispiel der Tyrannenmord gerechtfertigt werden kann. Und für die Person , die mit der Entscheidung ringt, für die hilft der Begriff Kategorienfehler nicht weiter.
Wenn sich die Person entschieden hat ,muss sie Zeugnis ablegen über ihr Motiv. Und dabei sind wir auch beim Sinn des Lebens. Und bei dem geht es hauptsächlich um einen Ursache-Wirkungs-Zusammenhang.
Anmerkung: Ich wollte damit nicht den Gedankengang des Kategorienfehlers als falsch hinstellen, es muss aber auch klar sein, dass der Kategorienfehler nur in der Sprache stattfindet und nicht im realen Leben.
Anmerkung 2: In der evangelischen Kirche wird gerade die Person des Widerstandskämpfers Dietrich Bonhoeffer und dessen Weltanschauung behandelt und für den zählte das Handeln mehr als das Denken darüber.
ich bin der Auffassung, dass sich der allergrößte Teil der Probleme der Philosophie des Geistes durch Vermeidung von Kategoriefehlern lösen lässt. Das ist das eigentliche hard problem. Körper und Geist sind zwei Blickwinkel auf ein Individuum, nicht zwei Substanzen. Kausalitäten sind immer nur aus einer Beschreibungsebene darstellbar. Das zu begreifen, ist für die meisten extrem schwer. ich denke, 90% der akademischen Philosophen scheitern daran.
@Stegemann: psychophysischer Parallelismus
Volle Zustimmung: Vertretern der Philosophie des Geistes sagt man ja regelmäßig eine gewisse Geschichtsvergessenheit nach. Viele dieser Fehler könnte man vermeiden, würde man sich z.B. mit der Diskussion des psychophysischen Parallelismus vor rund 100 Jahren auseinandersetzen.
Aber sorgfältige historische Arbeit wird selten belohnt – und hat im Endeffekt sogar den Nachteil, dass man nicht das Rad immer wieder neu erfinden kann.
In einer Forschungsarbeit habe ich z.B. einmal nachgewiesen, dass der Kern des sogenannten “harten Problems des Bewusstseins” schon bei du Bois-Reymond und im Prinzip auch schon bei Leibniz und wer weiß, wem noch, gefunden werden kann. Also schon im 18. und 19. Jahrhundert. Wenn man das nicht weiß (oder verschweigt), kann man das Problem im 20. Jahrhundert natürlich als neu verkaufen – und damit sogar tausendfach zitiert werden, siehe David Chalmers.
Als gehaltvolle Alternative kann ich zu diesem Thema die Schriften des Wissenschaftsgeschichtlers/-Theoretikers Michael Heidelberger wärmstens empfehlen.
P.S. Tatsächlich glaube ich, dass der Zweite Weltkrieg diesen ideologischen Bruch verständlicher macht:
Einige führende Denker Deutschlands und Österreichs wurden, weil sie Demokraten, Kommunisten und/oder Juden waren, vertrieben, so nicht ermordet, und einige von ihnen machten dann in den USA Karriere. Die eigentlich kontinentaleuropäische Tradition wurde dann ab den 1960ern als amerikanisch geprägte analytische Philosophie in Europa als neu verkauft, jedoch oft ohne Bewusstsein für die historischen Wurzeln. (Vielleicht wollte man die wegen der schmerzhaften Erfahrungen sogar – bewusst oder unbewusst – vergessen.)
Lese-Tipp: Heidelberger, M. (2000). Der psychophysische Parallelismus:
Von Fechner und Mach zu Davidson und wieder zurück. In Stadler, F. (Hrsg.), Elemente moderner Wissenschaftstheorie. Zur Interaktion von Philosophie, Geschichte und Theorie der Wissenschaften, S. 91-104. Wien/ New York: Springer. (Findet man, glaube ich, als Manuskript des Autors online.)
W. Stegemann
“Körper und Geist sind zwei Blickwinkel auf ein Individuum” kein Widerspruch.
In der medizinischen Fachsprache sricht man von Entität.
“In der Medizin bezeichnet eine Entität einen medizinisch eigenständigen Betrachtungsgegenstand, wie z. B. eine spezifische Krankheitsentität, die eine klar definierte Ursache und abgrenzbare Symptome hat.”
Auch kein Widerspruch.
Was aber nicht gesagt wird, der Geist hat auch eine eigene Entität, unabhängig vom Körper. Das ist der Kern der Religionen. Und die Worte haben Macht, Macht über den Körper. Und Bücher, die mit Macht sprechen, die nennt man heilige Schriften.
@ Stegemann, all
In der Technik kann man sehr oft „Beobachtungsebenen“ einführen. Z.B. auch die Interaktion von Information und Materie beobachten und auch realisieren.
Womöglich könnte man sich sogar vorstellen, dass bestimmte dynamische Muster, welcher Art auch immer (z.B. Teilchen, Quanten,….), Empfindungen in Sensoriken realisieren und mindestens auch Korrelationen ermittelt werden können.