ADHS-Medikamente für Erwachsene verdreifacht!

Auch bei Kindern und Jugendlichen ist der Anstieg groß. Was hat das zu bedeuten? Im Streitgespräch mit der Schweizerischen ADHS-Fachgesellschaft
Ich habe mich in jüngerer Zeit intensiver mit dem Störungsbild Depressionen beschäftigt. Wer am Resultat interessiert ist, kann mein neues Buch Perspektiven aus der Depressions-Epidemie: Depressionen verstehen, vorbeugen und heilen schon als E-Book zum kleinen Preis bei Amazon, Apple oder Google erwerben. Insbesondere in der ausführlichen neuen Einleitung und im Schlussteil ist viel aktuelles Wissen zusammengefasst.
Dann erhielt ich allerdings die Anfrage eines Journalisten, der mich für die Neue Züricher Zeitung zum Thema Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) interviewen wollte. Er war über frühere Artikel von mir auf mich aufmerksam geworden. Wegen des Auftraggebers war ein besonderer Bezug zur Schweiz willkommen.
Dieser ließ sich leicht über die – dort wie auch in Deutschland – steigenden ADHS-Diagnosen und Medikamentenverschreibungen herstellen. Wie meine langjährigen Leserinnen und Leser wissen und im genannten Buch über die “Depressions-Epidemie” noch einmal behandelt wird, bestritten führende Epidemiologen einerseits über längere Zeit einen wirklichen Anstieg psychischer Störungen. Andererseits gingen (und gehen) aber immer mehr Menschen wegen solcher Probleme zum Psychotherapeuten, Arzt oder Psychiater. Wer hat recht?
Das Schweigen der Epidemiologen
Seit der Coronapandemie ist es um diese Epidemiologen eher still geworden. Insbesondere in Deutschland mag dabei eine Rolle spielen, dass gegen den über Jahrzehnte führenden Experten auf diesem Gebiet, den Psychologieprofessor Hans-Ulrich Wittchen (Universität Dresden), die Staatsanwaltschaft im letzten November Anklage erhob: Es geht um Vorwürfe wissenschaftlichen Fehlverhaltens, die Verwendung von Forschungsgeldern und Druck auf Mitarbeiter.
Ich hatte schon seit Längerem so meine Probleme mit seinem Forschungsansatz. Und damit trete ich nicht nach, jetzt wo er ins Fadenkreuz der Justiz gekommen ist. Zuletzt im März 2021 und auch in den Jahren davor gab es schon kritische Bemerkungen von meiner Seite (Kommentar: Nehmen psychische Störungen zu?).
Doch bleiben wir bei aktuellen Fragen: Das Schweigen der Epidemiologen könnte auch daran liegen, dass in der Coronapandemie noch einmal sehr viel mehr Menschen mit psychischen Problemen Hilfe suchten. Das zeit sich jetzt sogar in der Kriminalstatistik.
Auf wen soll man jetzt hören? Auf die Epidemiologen, die berichten, es gebe keine Veränderung? Oder auf die Daten der Krankenkassen, die über Jahre hinweg immer wieder massive Anstiege berichteten? In seiner Allgemeinheit habe ich das gerade für das neue Depressions-Buch diskutiert. Im Folgenden konzentriere ich mich, wie im Titel versprochen, auf ADHS.
Verdreifachung
Die schöne Schweiz hat zudem den Vorteil, dass dort die Daten zu den ADHS-Medikamentenverschreibungen zentral erfasst und übersichtlich im Internet dargestellt werden. Allein schon wegen der Landkarte empfehle ich einen Blick beim Schweizer Gesundheitsobservatorium: Im Norden und Westen des Landes werden nämlich bis zu achtmal so viele Psychostimulanzien verschrieben wie im Süden und Osten. Insbesondere in den Kantonen Neuenburg und Basel (Stadt & Land), also nahe der deutschen Grenze, gibt es auffällig viele Rezepte.
Neben dieser Momentaufnahme ist auch der zeitliche Verlauf interessant: So haben sich die Medikamentenverschreibungen für Erwachsene seit 2015 verdreifacht. Diese sind zwar noch 40 Prozent unter den Zahlen für Kinder und Jugendliche. Das liegt aber vor allem daran, dass ADHS offiziell als Entwicklungsstörung gilt: also vor allem ein Problem der jüngeren Lebensjahre.
Es ist ein neuer Trend, dass nun auch immer mehr Erwachsene wegen Aufmerksamkeitsproblemen zum Arzt gehen. Dort bekommen sie dann häufig die Diagnose und oft auch ein Rezept für die Psychostimulanzien mit Methylphenidat oder – in Europa seltener – Amphetamin.

Abbildung: Bei den (Schweizer) Erwachsenen verdreifachte sich der medizinische Konsum von Psychostimulanzien seit 2015. Bei Kindern und Jugendlichen war er schon auf einem höheren Niveau, doch sieht man seit der Coronapandemie ebenfalls einen 43-prozentigen Anstieg. Quelle: Schweizerisches Gesundheitsobservatorium
Ein entsprechender Anstieg hat bei den Kindern und Jugendlichen schon vor einigen Jahrzehnten stattgefunden: In den 1980ern änderten sich die diagnostischen Kriterien in den USA. Seit den 1990ern wird auch in europäischen Ländern immer mehr über ADHS-Probleme gesprochen – und dann das Störungsbild häufiger diagnostiziert.
Doch auch hier fällt auf: In der Coronaviruspandemie stieg auf dem schon hohen Niveau der Medikamentenkonsum der Psychostimulanzien bei den Kindern und Jugendlichen um noch einmal 43 Prozent. Die Zahlen für Deutschland und Österreich dürften ähnlich aussehen, doch die müsste ich mir erst noch einmal zusammensuchen. Vielleicht hängen die Berichte der Länder noch in der Fax-Warteschlange beim Bundesgesundheitsministerium fest?
Gehirnpsychiatrie
Dazu noch eine Zwischenbemerkung: Meine langjährigen Leserinnen und Leser wissen, dass ich – aufgrund meines eigenen fachlichen Hintergrunds in den Kognitionswissenschaften und der Neurophilosophie – immer einen kritischen Blick auf die gängigen Gen- und Hirn-Erklärungen werfe. Das ist nun im Kontext des genannten Anstiegs der letzten Jahre besonders interessant.
Denn laut der herrschenden Meinung in der biologischen Psychiatrie handelt es sich bei den psychologisch-psychiatrischen Störungsbildern um erbliche Erkrankungen des Gehirns. Meine Rückfrage: Warum sollten diese sich auf einmal in einer Viruspandemie verstärkt äußern? Hat COVID etwa die Hirne von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen derart angegriffen, dass sie jetzt vermehrt Medikamente brauchen?
Laut dem von mir vertretenen und in meinem (Gratis-Buch) über psychische Gesundheit und Substanzkonsum ausführlicher diskutierten Standpunkt erhöhen die Psychostimulanzien vor allem die subjektive Energie und die Motivation. Will heißen: Wenn jemand sich langweilt, sich müde und schlapp fühlt oder unmotiviert, dann helfen vielleicht die psychoaktiven Stoffe, die den Dopaminspiegel erhöhen. (In einem schwächeren Sinn gilt das übrigens auch für Kaffee und Alkohol. Bei Letzterem nehmen mit zunehmender Dosierung natürlich die Defizite stark zu.)
Und genau das, Dopamin erhöhen, machen eben Methylphenidat und Amphetamin, die jetzt von Ärzten verstärkt verschrieben werden. Ein Vorteil der neueren ADHS-Medikamente ist dabei, dass diese in der Regel nur noch einmal am Tag genommen werden müssen, anstatt etwa alle drei bis vier Stunden wie beim klassischen “Ritalin”.
Durch die zeitliche Verzögerung kommt es auch nicht zum Rauscherlebnis, der das Thema in den Bereich des von den Behörden sogenannten “Drogenmissbrauchs” brächte. (Für den Rausch nehmen, insbesondere auch in Schweizer Großstädten beliebt, die Menschen eher Kokain, das den Dopaminspiegel schnell und stark erhöht.)
Streitgespräch
Das meiner Meinung nach sehr gelungene Interview mit mir zum Thema ADHS erschien schließlich in der NZZ am Sonntag vom 30. März, und dann online auf den Seiten der Neuen Züricher Zeitung am 2. April. Anfangs bekam ich nur positive Rückmeldungen, sogar auch von Psychiatern und anderen Ärzten sowie Betroffenen mit ADHS-Diagnose und Medikamentenverschreibung.
Die Online-Veröffentlichung landete dann aber wohl auf dem Bildschirm einiger Schweizer Psychiater, denen mein Standpunkt gar nicht schmeckte. Nur zu! An begründeter inhaltlicher Kritik bin ich immer interessiert. Wenn mir jemand einen Fehler nachweist, dann lerne ich immerhin etwas Neues.
Was Professorin Edna Grünblatt, Molekularpsychiaterin an der Kinder- und Jugendpsychiatrie der Universitätsklinik Zürich, und Dr. Stephan Kupferschmid, Chefarzt an einer Privatklinik und Mitglied im Vorstand der Schweizerischen Fachgesellschaft ADHS, an “Kritik” zusammenstellten, ist jedoch mit sehr heißer Nadel gestrickt. Anstatt – kollegial – einmal mit mir Kontakt aufzunehmen, überraschten sie mich am gestrigen Morgen mit einem LinkedIn-Post, in dem mein Profil markiert wurde.
Auf zwei Seiten, die ich nur als JPG-Bildchen in schlechter Qualität downloaden konnte, meinen die Psychiater, mir zahlreiche unsachliche und unwissenschaftliche Behauptungen nachgewiesen zu haben. Meine Aussagen widersprächen “in ihrer Vielzahl dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand zur ADHS”. Das ist eine klare Ansage.
Nachgedacht: Fakten und Interpretationen
In der Wissenschaft muss man erst einmal unterscheiden: zwischen Faktenfragen und Interpretationen der Fakten. Dem entspricht der auch für das Presserecht wichtige Unterschied zwischen Tatsachenbehauptungen und Meinungsäußerungen. Wichtig ist allerdings, dass auch Fakten (eigentlich von lateinisch facere, gemacht) nicht einfach nur Fakten sind, sondern von bestimmten menschlichen Vorentscheidungen abhängen.
Wenn zum Beispiel Politiker und Ökonomen darüber streiten, ob die Armut zunimmt, muss man sich erst einmal darüber verständigen, was “Armut” überhaupt ist – und wie man sie misst. Ansonsten redet man nur aneinander vorbei und vergleicht man Äpfeln mit Birnen.
Ein anderes Beispiel ist das eines Fotoapparats oder einer Videokamera: Klar, wenn man solche Bilder und Aufnahmen nicht einfach nur künstlich herstellt, wie das heute mit AI einfacher geht denn je, spiegeln diese Instrumente einen Teil der Realität wider. Doch durch die gewählte Perspektive, die Auswahl eines Objektivs, die Lichtverhältnisse, die Einstellungen des Apparats und so weiter bestimmten Entscheidungen von Menschen und der Umstände das Ergebnis der Aufnahme entscheidend mit.
Das heißt, um “Fakten” beurteilen zu können, muss man wissen und verstehen, wie sie zustande gekommen sind. Und im nächsten Schritt, bei der Interpretation, spielen Hintergrundwissen und Überzeugungen der Menschen eine weitere Rolle. Idealerweise trennt man Streitigkeiten über Fakten und deren Auslegung voneinander, doch in der Praxis wird es oft vermischt.
Ein konkretes Beispiel zu den ADHS-Medikamenten wäre, dass die Gehirnpsychiater und klinischen Psychologen, die für Psychopharmaka sind, einen Anstieg immer damit erklären – oder besser: immer so deuten –, dass die Störung nun besser diagnostiziert werde. Warum der Konsum der Psychostimulanzien dann in den USA bis 2013/2014 massiv zunahm, danach aber wieder sank, konnte mir bis heute niemand erklären. Ich versuche, solche Trends eher im gesellschaftlichen Kontext zu verstehen.
Theorie
Solche Dispute können schnell ausufern. Sie sollten aber fair geführt werden. Bei den beiden genanten Psychiatern und der Schweizerischen Fachgesellschaft ADHS mangelt es nach meinem Ergebnis jedoch an Fairness.
Dass wir zu den Interpretationsfragen nie vollständig einer Meinung sein werden, sollte klar sein. Doch dass mir meine Gegner zu rund 80 Prozent Aussagen in den Mund legen, die ich gar nicht tätige, halte ich für unwürdigen Stil. Es zeugt meiner Meinung nach von schlechtem Lese- und Textverständnis. Dabei war das Interview in der NZZ am Sonntag bewusst in leicht verständlicher Sprache gehalten.
Kurz gesagt, die beiden haben mich als Sozialkonstruktivisten abgestempelt. Die sind klassischerweise Kritiker der Gehirnpsychiater. Beispiele hierfür wären Michel Foucault (1926-1984) und andere Soziologen, deren Gedanken auch von vielen Feministinnen aufgegriffen wurden, oder der ungarisch-amerikanische Psychiatrieprofessor Thomas Szasz (1920-2012). Wobei, wie so oft bei einem Gelehrtenleben: Man könnte sich wohl darüber streiten, ob sie diesen Standpunkt durch und durch vertraten, oder nur hin und wieder aus so einer Perspektive argumentierten.
Ich sehe mich selbst wissenschaftstheoretisch eher als Pragmatiker, wie übrigens die Mehrheit der klinisch tätigen Psychiater und Psychologen, doch mit einem nominalistischen Einschlag (von lateinisch nomen, Name). Das heißt, ich würde ADHS oder seine Symptome niemals als “nur sozial konstruiert” auffassen. Was “Nominalismus” bedeutet, lässt sich mithilfe einiger Beispiele veranschaulichen.
Sich verändernde Kriterien
Ich weise zum Beispiel darauf hin, dass die Kriterien – erst für ADS, dann für ADHS – von führenden US-Psychiatern in den 1980er-Jahren festgelegt wurden. Davor sprach so gut wie niemand von diesen Störungsbildern. Man stritt sich in den Jahrzehnten davor um Bezeichnungen wie “minimaler Gehirnschaden”, “minimale Gehirnstörung” oder etwas eloquenter “minimale cerebrale Dysfunktion”. Im Englischen kürzte man die ersten beiden mit MBD ab, im Deutschen die Letztere mit MCD.
Inwiefern die Definitionen damals verändert wurden, soll ein anderes Mal diskutiert werden. Doch ein historisches Fakt ist: Seit der Festlegung dieser Kriterien für AD(H)S in den 1980ern nehmen die Diagnosen rapide zu. 1994, 2000 und zuletzt 2013 wurden die Kriterien angepasst – und stiegen die Diagnosen (damit einhergehend die Medikamentenverschreibungen) immer weiter.
Aufgrund der heutigen Häufigkeit von Erwachsenen-ADHS kommt nun die Frage auf, ob man ADHS überhaupt noch sinnvoll als “Entwicklungsstörung” auffassen kann – denn Erwachsensein heißt ja gerade, dass die Entwicklung fertig ist. (Wen es interessiert, der kann darüber mehr in meinem neuen Gratis-Buch über Gehirnentwicklung mehr lesen.)
Und das ist nun genau, was ein Nominalist macht: Er schaut sich an, wie sich Name, hier “ADHS”, zum Benannten verhält, hier: den so diagnostizierten Personen. Und es ist doch interessant, dass je mehr die Kriterien ausgedehnt werden, je mehr das Thema in den Medien und heute auch von Influencern in Sozialen Medien behandelt wird, desto mehr Menschen sich als ADHS-Betroffene erkennen!
Beispiel multiple Persönlichkeiten
Der kanadische Wissenschaftsphilosoph Ian Hacking (1936-2023) wies das insbesondere an der Multiplen Persönlichkeitsstörung (MPD) nach, bei der es in den 1970er- bis 1990er-Jahren so einen Hype gab: Die Kriterien wurden verändert, immer mehr Menschen (vor allem Frauen) erkannten sich darin. Psychologen und Psychiater diagnostizierten es immer häufiger. Und nicht nur das: Die Anzahl der (angeblichen) Persönlichkeiten pro Person wurde immer größer und sie nahmen auch immer bizarrere Züge an.
In den USA gab es schließlich sogar sogenannte “Split Bars”, in denen man Menschen mit der Diagnose treffen oder sich über das Thema austauschen konnte. Es gab Brettspiele, Romane, Dokumentarfilme. Merchandise, Merchandise, Merchandise!
In der Forschung sprach man von “Sybil Inc.”, also der Firma Sybil, benannt nach dem MPD-Roman von Flora Rheta Schreiber aus dem Jahr 1973. Dieser wurde 1976 und 2007 fürs Fernsehen verfilmt. Darin geht es um die Psychoanalyse von Sybil Dorsett, basierend auf der wahren Geschichte der amerikanischen Kunstlehrerin Shirley Ardell Mason (1923-1998). Der Untertitel des Romans ist bezeichnend: Die wahre Geschichte einer Frau, die von 16 verschiedenen Persönlichkeiten besessen ist.
Und heute? Gibt es MPD gar nicht mehr als diagnostische Kategorie. Und der Hype ist Geschichte.
Kritiker mögen jetzt sagen: Das stimmt doch gar nicht! Man hat doch nur den Namen verändert. Es heiße jetzt eben “dissoziative Identitätsstörung” (DID). Jein. Denn mit dem Namen änderten sich auch die diagnostischen Kriterien. Und heute gibt es sehr viel weniger DID-Fälle als damals MPD-Fälle.
Das sind doch wichtige Fakten. Will jetzt noch jemand sagen, Wissenschaftstheorie sei unnütz? Doch wer nur Moleküle und Gehirne studiert, wird nie auf so etwas kommen.
Am Ziel vorbei
Darum fürchte ich, dass mit den Schweizer Psychiatern, Professorin Grünblatt und Dr. Kupferschmid, kein konstruktiver Dialog entstehen wird. Dass wir uns bei den Interpretationsfragen nie einig werden, liegt auf der Hand. Wenn sie den Großteil meiner Aussagen umdrehen oder entstellen, ist das bedauerlich. Ihre Kritik verfehlt das Ziel.
Umgekehrt habe ich ihnen in meiner Replik satte 16 Irrtümer und Fehler nachgewiesen (hier bis auf Weiteres als PDF zum Download). Besonders heikel für Edna Grünblatt dürfte dabei sein: Ich zitiere ihre eigene Forschung (zum Beispiel hier) gegen ihre Kritik an meinem Interview!
Die Schweizerische Fachgesellschaft ADHS hat ein schnelles Händchen, wenn es darum geht, jemanden mit Falschbehauptungen in Sozialen Medien anzugreifen. Das hat mir – wie übrigens auch der renommierten NZZ – schon den Vorwurf eingebracht, wir seien “rechtspopulistisch”. Meine Freunde, die mich gut kennen, mussten darüber lachen.
Aber eine Reaktion gab es, trotz mehrer Kontaktversuche meinerseits mit der Fachgesellschaft, Frau Grünblatt und Herrn Kupferschmid, noch nicht. Ich finde, wenn man mit schnellem Händchen auf der Computermaus in den Sozialen Medien unterwegs ist, dann sollte man auch schnell reagieren können.
Wie dem auch sei: Ich habe meine Punkte gemacht. Wer möchte, kann das Geschehen hier auf LinkedIn weiterverfolgen.
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Falls ADHS dem Patienten weh tut, ganz egal, in welchem Universum er lebt, ist es eine Krankheit. Falls es aber von der Interaktion mit der Umgebung abhängt, ist es eine Frage der Reibung an der Berührungsflächen aufgrund unzureichender System-Integration, und da gibt es Stellschrauben auf beiden Seiten.
Geistige Gesundheit ist nur die zu einem bestimmten Zeitpunkt modische Massenpsychose. Gehen Sie zehn Jahre zurück, dreißig – jeder Mensch mit dem Geisteszustand, der heute die Norm vorgibt, wäre wegen Angstzuständen und Wahnvorstellungen eingeliefert worden. Und wenn ich mir die Gesellschaft als kollektives Hirn vorstelle, sehe ich die gleichen Symptome fortgeschrittener Demenz in ganz „vernünftigen“ Alltagsdebatten und „rationalen“ Entschlüssen, wie bei meiner über 90jährigen Oma.
Ein großer Computer mit vielen Chips braucht viel mehr Zeit, um seine Schaltkreise zu schließen. Wenn Sie die emotionale Temperatur der Gesellschaft um 20 Grad erhöhen, läuft jeder, der sowieso schon auf 180 war, Amok, während die große Mehrheit erst anfängt, Waffen zu horten, sich selbst zu bemitleiden und alles und jeden zu hassen.
Wir sind Teil größerer Netzwerke, die gerade hochgefahren werden: Nationen erwachen, das Individuum wird zur Massenware reduziert, einem Transistor, Soldaten, Körperzelle, die absolut austauschbar sein muss, weil der Verschleiß im Krieg groß ist. Diese Netzwerke müssen lange Zeit Daten zwischenspeichern, und das machen sie, indem sie uns zu kaputten Schallplatten machen. Heute werden Sie sehr viele Leute hören, mit denen Sie gar nicht reden können, die immer und immer wieder das Gleiche wiederholen und nicht verstehen, was Sie zu ihnen sagen (ja, ich bin selber ein Prachtbeispiel für die Spezies). Sie können es sich wirklich so vorstellen, dass die Hirne durchschmoren, weil sie wie eine Weihnachtsbeleuchtung glühen müssen, Spannung halten, wie Derwische im Kreis rotieren, Tag und Nacht. Eine kollektive Gehirn-Selbstwäsche mit den Methoden von Guantanamo.
Verallgemeinerung und Vereinfachung wirft sich aber auf alles aus: Der Mensch muss ein einfaches, standardisiertes Fließbandprodukt sein, damit er mit einfachen, standardisieren Mitteln gefüttert, bespaßt, geheilt, verheizt werden kann. Individualisierung, Personalisierung sind teuer: Haben Sie viele Ressourcen, können Sie auch auf viele Eigenheiten eingehen und so profitiert die Wirtschaft davon, dass alles Mögliche „normal“ wird, toleriert, kultiviert, die Vielfalt muss gefüttert werden und aufblühen, wie im Frühling.
Im Wirtschaftswinter sind die Ressourcen knapp, die Produkte vereinheitlicht, also müssen auch die Kunden vereinheitlicht werden. Abweichungen von der Norm werden nicht mehr toleriert oder als Eigenheiten ins System integriert, um von ihnen heute oder vielleicht in Zukunft zu profitieren, sondern unter Druck gesetzt, sich anzupassen, denn sonst werden sie als Sand im Getriebe entsorgt.
Was Sie beschreiben, bezeichnet auch die Ursache dieser Entwicklung: Je mehr Firmen oder Staaten um Märkte kämpfen, desto mehr eskaliert der Wettbewerb. Desto mehr versucht jeder Beteiligte, die Kundschaft zu überzüchten, sodass sie auf sein Produkt und sein Produkt allein angewiesen ist, zwischen sie und ihr Glück ein Schloss einzubauen, zu dem nur sein Schlüssel allein passt. Das Ganze erinnert irgendwie an ein Säurebad, das Metalle reinigt, oder an Piranhas, die so lange am Kadaver nagen, bis nur noch die Knochen übrig blieben, die zu fest sind, ihren Zähnen zu widerstehen – die Piranhas wollen es nicht. Wir sind es, die erkennen, dass sie damit zur Müllabfuhr der Natur geworden sind und für Hygiene sorgen.
Natürlich muss der Konsument auch mit der Rentabilität mitgehen. Für den Schnapsbrenner ist die Abstinenz eine Krankheit, doch jeder kann sich eine Schnapsbrennerei basteln. Also brauen Sie einzigartiges Schlangenöl, das nur Sie herstellen können, aber das ist dann teurer in der Herstellung – wenn Sie zum Beispiel die anderen Schnapsbrenner aus der Gegend verjagt haben, oder wenn die Wirtschaftslage die Patienten ärmer macht, kommt die Abstinenz-Epidemie aus Kostengründen zurück, unter anderem Namen, Schnaps heißt jetzt Superschlangohol und kostet exakt so viel, wie sich die Patienten gerade noch leisten können.
Die Firmen sind genauso verzweifelt wie wir alle. Es gibt keine Sieger bei der Apokalypse, das Schiff sinkt schneller, als die Großen über die Leichen der Kleinen nach oben klettern können. Alle Milliarden der Welt schützen Sie nicht vor einer einzigen Kugel, also kaufen die Milliardäre umso mehr Kugeln, um zurückzuschießen, je mehr Milliarden sie haben, und weil es ihre Feinde auch tun, füllt sich die Welt mit Kugeln, die aus jeder beliebigen Richtung in jede beliebige Richtung fliegen können, und so können sie jede Nacht schlechter schlafen.
Das Kleine, Empfindliche, Individuelle, die vielen winzigen Verzweigungen, die den Ästen der Gesellschaft die Härte nehmen, werden abgenagt, der ganze Strom, die ganze Kraft, fließt auf das Große, Einfache, Unkomplizierte, Elementare. Das Gleiche passiert wohl auch in unseren Köpfen.
Ich nenne das ganze Zombifizierung – unser Hirn ist plastisch genug, uns an jede beliebige Umwelt anzupassen. Aber die Umwelt der letzten 80 Jahre ist nicht mehr lebensfähig, also wird das Hirn erst mal zerstört, auf das Primitivste, Stärkste, Ursprünglichste reduziert, umhüllt von einem vagen Nebel wirbelnder, wahnsinniger Geister, ein Zombie, der sich stur, blind und triebgesteuert durchs Leben frisst, Kampf, Flucht, Angststarre, während der kollektive Geist durch Versuch und Irrtum versucht, ihm eine neue Welt und ein neues, kompatibles Hirn zu konstruieren.
Nehmen Sie den Mist einfach nicht zu ernst und schlucken Sie keine roten, blauen, gelben oder sonstigen Pillen, die Ihnen windige Gestalten im Internet andrehen wollen. Meistens sind Mitmenschen die beste Therapie, mit denen sie im Gleichschritt mar… im Gleichklang sind. Tja, alle Pillen werden teurer, früher oder später muss auch die Pharma-Industrie auf Panzerschokolade umsteigen, weil die Kriege um die Märkte und die Patienten eskalieren, und die Patienten all ihre Ressourcen für die Heilmittel gegen die Art Pillen brauchen, die vom Himmel fallen.
Alle Wege führen zur Hölle, wenn das System es will. Immer die gleiche menschliche Dummheit mit immer größeren Waffen erzwingt immer größere Staaten, denn nur die sind in der Lage, die immer größeren Einschusslöcher zu überleben. Aber auch der menschliche Körper bleibt immer gleich verletzlich, also muss irgendwann eine Pille kommen, die mächtig genug knallt, all unseren Wahnsinn auf einmal zu heilen.
@Paul S: Schmerz & Krankheit
Wenn man alles, was schmerzt, als “Krankheit” bezeichnet – also auch eine Scheidung, einen Todesfall, soziale Ausgrenzung… –, dann befindet man sich im medizinischen Diskursfeld. Das sollte man nicht leichtfertig machen (Stichwort: Medikalisierung), da das auch negative Konsequenzen und gesellschaftspolitische Relevanz haben kann.
P.S. Ich habe den ersten Absatz Ihres langen Kommentars gelesen.
” In der Coronaviruspandemie stieg auf dem schon hohen Niveau der Medikamentenkonsum der Psychostimulanzien bei den Kindern und Jugendlichen um noch einmal 43 Prozent.”
Das deutet darauf hin, dass Wohlbefinden und auf der anderen Seite Depressionen und Hyperaktivität mit den äußeren Lebensbedingungen zusammenhängen.
Und als Außenstehender, der auch Verwandtschaft in der Schweiz hat, ist meine Beobachtung, die Schweiz hat eine gespaltene Gesellschaft. Einerseits die Wohlhabenden, die auch vom Tourismus profitieren und auf der anderen Seite, die Berufstätigen mit niederem Einkommen 4000 – 6000 sfr, die die hohen Lebenshaltungskosten kaum noch bezahlen können. Die Lebenshaltungskosten liegen statisisch gesehen bei 150 im Gegensatz zu Deutschland mit 100-
Die Lebensmittelpreise sind mittlerweile bis zu 3 x höher als in Deutschland.
Und diese Bevölkerungsschicht fühlt sich ausgebeutet und ist es auch.
Man begebe sich einmal nach Neuchâtel und gehe dort in die Seitengassen.(vorn hui und hinten ärmlich)
Das kommt daher, dass der sfr viel zu hoch bewertet ist. Die Schweiz hat eine versteckte Inflation. Gleich hinter der Grenze kostet ein Croissant 6 sfr.
Wir haben in Uri 9,50 sfr für eine Flasche Mineralwasser bezahlt.
Meine Meinung, vielleicht haben die Betroffenen Existenzängste.
@N: Wohlstand & psychische Gesundheit
Die Schweiz scheint etwas größere Einkommensunterschiede als Deutschland zu haben (Gini-Koeffizient von 33,1 gegenüber 31,7). Im Vergleich zu anderen Weltregionen, insb. Südamerika, ist das wenig.
Aber allgemein gilt eben schon, dass langanhaltende Armut Stress verursacht und das wiederum ein allgemeiner Risikofaktor für psychische Probleme ist (jetzt sehr allgemein gesprochen). Quellen hierzu finden Sie übrigens unter Punkt 5 in meiner Replik.
“Hat COVID etwa die Hirne von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen derart angegriffen, dass sie jetzt vermehrt Medikamente brauchen?”
Wenns Gehirn schuld ist, kann es ja nicht an den Lebensumständen liegen.
“gilt das übrigens auch für Kaffee und Alkohol. ”
Eben, es geht ums Funktionieren.
“rechtspopulistisch”
Daß selbst die NZZ auf so ein Totschlagargument zurückgreift, sagt leider etwas aus über den Zustand vieler “liberaler” Medien.
@DH: Rechtspopulisten
Missverständnis: Das war ein Kommentar auf der Seite dieser ADHS-Fachgesellschaft auf LinkedIn. Er hat sogar die NZZ und mich zusammen so beschimpft.
Na ja.
Stephan Schleim
“Stress”
Stress macht auf die Dauer krank. Aarau, Basel , Thurgau leiden unter der Verkehrsdichte.
Auch Neuchâtel ist betroffen. Die Nord-Süd-Verbindung Richtung Lausanne geht durch Neuchâtel . Wer nicht die E 25 benutzt, der fährt am Lac de Neuchâtel .
Das Gebiet ist französischsprachig. Es liegt also nicht an der Ethnie.
DH
“kann ja nicht an den Lebensumständen liegen”
Sie wohnen nicht an einer Hauptverkehrsstraße, wo sie nachts von einer Harley Davidson geweckt werden, am Morgen von der Müllabfuhr und tagsüber die Abgase einatmen müssen.
Das mit dem Funktionieren stimmt schon. wer berufstätig ist, der muss funktionieren. Und mit Medikamente geht das eben besser. Einer unserer Verwandten, der nahm des morgens Aufputschmittel, abends Schlafmittel und ist trotzdem 97 Jahre alt geworden. Vielleicht hätte er ohne diesen Lebenswandel die 100er Marke überschritten.
Das nur mal als positive Sichtweise.
@N: Dass Neuenburg/Neuchâtel den höchsten MPH-Konsum der ganzen Schweiz hat, würde ich jetzt nicht auf die Autobahn schieben – sondern eher das Verhalten der (Kinder-) Ärzte.
Stephan Schleim
“Dass Neuenburg/Neuchâtel den höchsten MPH-Konsum der ganzen Schweiz hat, würde ich jetzt nicht auf die Autobahn schieben – sondern eher das Verhalten der (Kinder-) Ärzte.
Klar, die Medikamente werden von den Ärzten verschrieben.
Wir , hier im blog können uns nur schrittweise dem Phänomen nähern.
Und meine Aussagen sind keine Beweise, sie sind eher Hinweise , sind Puzzlesteine, die den Umfang der Problematik aufzeigen.
Also nochmal zu Neuchâtel, das, was mir aufgefallen ist, die Luxushotels am Ufer mit Yachthafen und die runtergekommenen Häuser in den abgelegenen Seitenstraßen.
Nicht wie in Montreux, wo man auf den Parkplätzen auch nur Luxusautos sieht.
Und was man auch nicht als Tourist sieht, die versteckte Kriminalität. Einer unserer Bekannten (selbständig) wurde überfallen und ausgeraubt. Und die Familie leidet noch immer daran.
Um die Sache abzukürzen, ADHS steht außer Frage, Als Ex-Lehrer war der Umgang mit verhaltensauffälligen Schülern das tägliche Brot. Und die Verhaltensauffälligkeit kann unterschiedliche Ursachen haben. Aus meiner Erfahrung war es oft der familiäre Hintergrund.
Und wenn sie sagen, dass ADHS erblich begünstigt wird, dann wird das so stimmen.
Auch nur als Puzzlestein, körperliche Unruhe bzw. Bewegungsdrang kann man durch Sport auffangen. (Einen unserer aktivsten Störenfriede ließen wir zum Ausgleich eine Langstrecke laufen. Er wollte zeigen, dass er fitter ist als seine Lehrer. Nach 24 km hat er schlapp gemacht und war dann ganz ruhig)
Als regelmässiger Konsument von Wissenschaftsartikeln und zugehörigen Videos ist mir schon auch aufgefallen, dass über ADHS bei Erwachsenen immer mehr berichtet wird: In diesem Jahr schon deutlich mehr als letztes Jahr und letztes Jahr sehr viel mehr als vor 5 Jahren. Dazu kommen noch persönliche Berichte über ADHS bei Erwachsenen von denen ich gerade heute einen gelesen habe, der wohl repräsentativ ist: Es sei ihr wie Schuppen von den Augen gefallen, als in einer Sendung, die sie sah, von solchen Fällen berichtet wurde, denn sie habe sich in den Schicksalen über die berichtet wurde, selber wiedererkannt. Und klar wurde sie selbst inzwischen dementsprechend diagnostiziert, als Person nämlich mit weit überdurchschnittlicher Intelligenz, aber mit deutlichen Anzeichen von ADHS, welche nun wohl verständlich machen, warum sie von den Arbeitsämtern als „schwer vermittelbar“ eingestuft wurde.
Mein Verdacht: Auch heute noch ist der menschliche Geist (ganz ähnlich wie die heutigen KI-Programme) zu einem grossen Teil eine Black Box und die individuellen Unterschiede im kognitiven und seelischen Bereich sind sehr gross. Immer wenn eine neue Diagnose auftaucht oder ein Krankheitsbild auf eine breitere Bevölkerungsschicht ausgedehnt wird, dann wird man viele Menschen finden, die sich mit dem aufgezeigten „Krankheitsbild“ identifizieren können. Doch gerade die grossen individuellen Unterschiede sprechen dafür, dass es hier auch einfach um eine Zuordnung handeln kann, die selber empfundene Ungereimtheiten und Unpässlichkeiten plötzlich scheinbar erklärt – selbst dann wenn der Zusammenhang eher ein statistischer als ein ursächlicher ist.
Martin Holzherr,
” Immer wenn eine neue Diagnose auftaucht oder ein Krankheitsbild auf eine breitere Bevölkerungsschicht ausgedehnt wird, dann wird man viele Menschen finden, die sich mit dem aufgezeigten „Krankheitsbild“ identifizieren können.”
Denk mal an des Kaisers neue Kleider. Hinter dem Kranheitsbild ADHS stehen Menschen. Und denen wird klar, was ihnen fehlt.
Das ist doch positiv zu sehen.
Und wenn es Medikamente gibt, die den Betroffenen helfen, warum nicht.
Die machen ja keine Schlankheitskur mit einer Modediät. Also keine Luxuskrankheit.
Autoimmunkrankheiten wie die Zöliakie sind im Vormarsch. verursacht durch den zu hohen Glutengehalt im Weizen.
Vielleicht ist ADHS auch eine Folge einer Autoimmunreaktion auf einen Stoff, den wir noch nicht kennen. Vielleicht ist es auch nur der Zucker. ??
@N: Schule
In meiner Schulzeit (1986-2000) gab es auch Störenfriede, Klassenclowns – und wahrscheinlich auch tagträumende Mädels.
Eine ADHS-Diagnose hatte meines Wissens damals niemand, obwohl angeblich, laut heutigen Studien, rund 5 bis 7 Prozent ADHS gehabt haben müssten.
Nochmal: Ich bestreite nicht, dass es hier (auch) um psychische Probleme geht. Aber die Welle an ADHS-Diagnosen (und nicht nur ADHS) der letzten 20 Jahre sagt vielleicht mehr darüber aus, wie wir heute auf den Menschen schauen.
@Holzherr: Diagnosen und “wie Schuppen von den Augen”
Wenn ich jemandem ein diagnostisches Medizin- oder Psychologie-Buch zum Lesen gebe, dann ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass der*diejenige sich in einigen der beschriebenen diagnostischen Kategorien erkennt; das gilt insbesondere für Personen mit einer hohen Suggestibilität.
Wie ich schon erwähnte, gibt es häufige Überschneidungen zwischen ADHS und Substanzkonsumstörungen, depressiven Störungen usw. usf. Aus einem Artikel der mich kritisierenden Professorin Grünblatt könnte ich noch mehr zitieren. (Stichwörter: unscharfe Grenzen, Komorbidität)
Man muss pharmakologisch verstehen, was diese Medikamente (dieselben Moleküle heißen auf der Straße “Drogen”) machen: Wenn jemand niedergeschlagen ist, unkonzentriert (auch typische Depressions-Symptome) und dann solche Stimulanzien bekommt (manchmal nennt man sie auch “uppers” oder “Aufputschmittel”), dann überrascht es mich gar nicht, dass es den Personen besser geht und sie mehr Dinge erledigen können. Daraus das Vorliegen einer ADHS abzuleiten, ist aber ein Fehlschluss.
Und meist ist das dann ja auch so, dass die Effekte nach einiger Zeit wieder abklingen und die Leute dann andere Mittel und Wege suchen. Manche, bis es ihnen bei einem anderen Bericht “wie Schuppen von den Augen fällt”.
Stephan Schleim,
“wie wir heute auf den Menschen schauen.”
soll das heißen, dass wir heute differenzierter schauen, also unterscheiden zwischen einer psychologischen Störung und einer Stoffwechselstörung ?
Dann wäre also ADHS verursacht durch falsche Ernährung oder sogar durch eine genetische Veranlagung ?
Zustimmung bei der Verwendung des Begriffes. Auch noch im Jahre 2010 wurde an den Schulen der Begriff ADHS nicht verwendet.
@N: Ich meinte, dass Probleme heute sehr schnell psychologisch, medizinisch, psychiatrisch gedeutet werden.
Stephan Schleim,
“Ich meinte, dass Probleme heute sehr schnell psychologisch, medizinisch, psychiatrisch gedeutet werden.”
Hintergrund: Wir haben einen Fall von burnout, dessen Ursachen nicht genau festgestellt werden können. Von long covid bis zu vielen Schicksalschlägen in kurzer Zeit.
Deswegen interessiere ich mich für das Thema. Und ADHS bei Erwachsenen, könnte auch irgendwie passen.
Meine Meinung zu Arztdiagnosen ist auch beschädigt, nachdem die Zöliakie bei unserem Enkelkind von den meisten Kinderärzten gar nicht erkannt wurde.
Fazit: Eine gut begründbare Analyse tut not.
@Stephan Schleim
Da hab ich der NZZ Unrecht getan, ziehe zurück.
Besonders schlau ist die Bezeichnung natürlich dennoch nicht, noch nichtmal für die NZZ, die auch mal bessere Tage gesehen hat.
@N
“Sie wohnen nicht an einer Hauptverkehrsstraße, wo sie nachts von einer Harley Davidson geweckt werden, am Morgen von der Müllabfuhr und tagsüber die Abgase einatmen müssen.”
Naja…Teile dieser Phänomene sind mir durchaus bekannt, insbesondere der Terrorlärm von sogenannten Bikern und Fahrern von “Sportwagen”.
Meine Aussage über die Lebensumstände war sarkastisch gemeint, Teile der Hirnforschung zielen erkennbar darauf ab, immer biologische Faktoren als Ursache für alle Probleme zu betrachten, über ein sinnvolles Maß hinaus, um eben abzulenken von schwierigen Lebensumständen.
Lärm ist ein weit unterschätztes Problem, in meiner Gegend laufen Viele herum, die auffällig hibbelig wirken und die genannte Hauptstraße ist nicht weit….eine weitere Auffälligkeit ist auch die Häufung von Leuten die an krude Theorien wie Chemtrails glauben und wer weiß, vielleicht hat das auch (teilweise) mit Dauerlärm zu tun.
Es gibt seit Jahren technische Möglichkeiten, fast geräuschlose Fahrzeuge zu bauen, daß das nicht längst der Normalstandard ab Werk ist, ist eine handfeste Schweinerei.
DH,
” Teile der Hirnforschung zielen erkennbar darauf ab, immer biologische Faktoren als Ursache für alle Probleme zu betrachten, über ein sinnvolles Maß hinaus, um eben abzulenken von schwierigen Lebensumständen.”
Herr Schleim spricht ja deswegen von einer psychischen Störung und nicht von einer Krankheit. Damit haben wir schon mal eine begriffliche Grenze zwischen psychisch und physisch.
Laut Definition ist ADHS eine psychische Störung. Und wenn es Medikamente gibt, die hier stützend eingreifen, dann ist das gut so. Ob Krankenkassen die alimentieren, das weiß ich nicht, ich denke aber, im Kern der Sache geht es darum.
@N
So ist es, wieviel Medikation ist sinnvoll und wo beginnt das Zudecken von psychischen Problemen. Kann nicht oft genug thematisert werden.
DH
Vorallem wird Selbstmedikation teuer. Hier im Net kostet Ritalin 34 €.
Was das Zudecken psychischer Probleme betrifft, die kann man sich nicht aussuchen, die sind Teil unseres Lebens und man muss mit ihnen leben.
Deswegen ein ausdrückliches Lob an Herrn Schleim, ohne ihn hätte ich keinen Einstieg gehabt in die Welt der Psyche.
Ganz kurzer Blitzgedanke, ob Haustiere auch psychische Probleme haben ?
Ein schönes Wochenende!
Als ADHSler kann ich nur sagen: was für ein werbeträchtiger Artikel und was für eine unsägliche Diskussion von Ahnungslosen.
B
Mensch B, sag doch etwas Konstruktives. Wir sind als nicht ADHSler die Laien.
@B: Wenn Sie uns zumindest verraten würden, welcher meiner Aussagen sie nicht zustimmen, idealerweise mit einem Argument/Grund, kommen wir vielleicht ins Gespräch. Danke.
P.S. Ich verwende übrigens lieber die Redeweise “jemand mit ADHS-Diagnose” als “ADHSLer”. Letzteres wirkt auf mich doch recht reduktionistisch/stigmatisierend.
@N
Von Selbstmedikation ist natürlich dringendst abzuraten.
“Was das Zudecken psychischer Probleme betrifft, die kann man sich nicht aussuchen, die sind Teil unseres Lebens und man muss mit ihnen leben.”
Bis zu einem gewissen Grad ja, aber ich sage nichts Neues mit dem Hinweis auf chronische, schwere oder gar suizidale Fälle die dringend Medikamente brauchen, dauerhaft oder als Übergang, idealerweise begleitet durch Psychotherapie, was hier dankenswerterweise immer wieder thematisiert wird.
“ob Haustiere auch psychische Probleme haben ?”
Fahren Sie gelegentlich mal U-Bahn….
Schönen Restsonntag.
@DH: Selbstmedikation – macht das nicht jeder?
@Stephan Schleim
Kommt darauf an was man da mit einschließt, ich habe jetzt schon wirkliche Medikamente gemeint.
Alkohol und Co., klar, da haben Sie Recht. Auch hier sei auf die U-Bahn verwiesen…;-)
DH
Was Dante Alighieri die U-Bahn und Linkedin gemeinsam haben.
Sie führen nach unten.
Wer mal nachgelesen hat, was man akzeptieren muss um bei Linkedin zu kommunizieren, es ist kurz gesagt, die Aufgabe der Persönlichkeitsrechte.
Auch bei der Divina Commedia steht am Eingang zur Unterwelt “Lasst, die Ihr eintretet, alle Hoffnung fahren!“
Vielleicht meintest du das, was Haustiere fühlen, wenn sie U-Bahn fahren?
Jetzt fehlen nur noch Medikamente gegen Verhaltensstörungen bei Haustiere.
Ja, gerade nachgelesen, es gibt angstlösende Medikamente für Haustiere.
Herr Schleim Verzeihung, aber das musste auch mal gesagt werden. Wir Menschen sind gar nicht so verschieden im Vergleich. Auch der Volksmund vergleicht manche Männer mit Hunden, Frauen eher mit Katzen und wer sich ganz gehen lässt, der wird zur Sau gemacht.
@N
“Was Dante Alighieri die U-Bahn und Linkedin gemeinsam haben.
Sie führen nach unten.”
Schön gesagt.
“Vielleicht meintest du das, was Haustiere fühlen, wenn sie U-Bahn fahren?”
Ich fürchte meine Gedanken sind viel profaner. So mancher Zeitgenosse hat nicht nur im besagten Untergrund eben schon sein Quantum an sozial akzeptierter Selbstmedikation intus, meistens Alkohol, leider immer öfter auch in Verbindung mit Chemie, was ziemlich aggressiv machen kann, und auch Energydrinks werden unterschätzt..
Übrigens kein Schwerpunkt bei sog.Randgruppen oder im abendlichen Nachtleben, die aggressivsten Leute habe ich bisher eher im bürgerlichen Feierabendverkehr erlebt, Vorsicht vor den besonders Geschniegelten.
Tatsächlich aber ist die U-Bahn eher unauffällig in der Kriminalitätsstatistik, es kommt u.a. drauf an, nicht mit diversen Körpersäften in Kontakt zukommen die da so mancher auf dem Sitz verewigt, und nicht wenige setzen ihren Hund auf den Sitz, mit den dazugehörigen Hinterlassenschaften, wobei das Problem am anderen Ende der Leine zu finden ist.