Zum Begriff “Meeresnacktschnecke”

BLOG: Meldung vom Meer

Mit Nacktschnecken auf Tauchstation
Meldung vom Meer

Ein kleiner Exkurs zwischendurch zu dem Begriff „Meeresnacktschnecke“, den ich in meiner Reihe verwende. Mit der Entscheidung für diesen Begriff stieß ich auf den Konflikt, der für den Wissenschaftsjournalismus so charakteristisch ist: komplexe wissenschaftliche Inhalte korrekt und gleichzeitig journalistisch populär darzustellen.
Ich trage sozusagen beide Bestrebungen in mir, die einer Wissenschaftlerin und die einer Journalistin. Das führt dazu, dass ich schon mal innere Diskussionen ausfechten muss, wenn die Journalistin in mir etwas bildhaft, attraktiv und einfach verständlich präsentieren möchte, während die Wissenschaftlerin in mir streng auf hundertprozentige Korrektheit pocht und die gesamte Komplexität des wissenschaftlichen Inhaltes erfasst haben will. Im Fall der „Meeresnacktschnecke“ hat die Journalistin gewonnen. Denn streng genommen ist der Begriff „Meeresnacktschnecke“ keine wissenschaftliche Bezeichnung.
Der eigentliche wissenschaftliche Name der speziellen Gruppe innerhalb der Schnecken lautet „Opisthobranchia“ und wird im Deutschen mit „Hinterkiemerschnecken“ übersetzt. Der Name stammt daher, dass die Kiemen hinter dem Herzen platziert sind. Der Großteil der Arten dieser Gruppe lebt im Meer, jedoch nicht alle. Zudem haben viele dieser Schnecken ihre Schale zurückgebildet, manche tragen jedoch noch Reste von Schalen – es sind also auch nicht alle in dem Sinne Nacktschnecken. Korrekterweise müsste ich folglich, wenn ich die wissenschaftliche Gruppe bezeichnen will, von „Hinterkiemerschnecken“ schreiben. Das Wort „Hinterkiemerschnecken“ ist aber für jeden, der damit nicht den genauen Sachverhalt verbindet, kompliziert, sperrig, ohne Bildkraft und einfach „unsexy“. Stelle mensch sich beispielhaft einmal vor, in einem Tauchprospekt stünde als Werbung: „Auf diesem Tauchgang werden Sie Hinterkiemerschnecken sehen!“ Mmmh, welcher Taucher springt da direkt vor Begeisterung ins Wasser? Ganz anders dagegen: „Auf diesem Tauchgang werden Sie Meeresnacktschnecken sehen!“ Da werden einige Taucher sich wohl direkt begeistern lassen, zudem sie die Bezeichnung wahrscheinlich schon kennen, denn im Tauchsport wird der Begriff der „Meeresnacktschnecke“ ohnehin ständig verwendet ohne sich von korrekten wissenschaftlichen Gruppierungen beschränken zu lassen. Das Wort „Meeresnacktschnecke“ hat einfach mehr Bild- und Aussagekraft, alleine schon dadurch, dass das Meer dabei imaginär vor dem inneren Auge entsteht. Der Journalistin in mir ist also klar, „Hinterkiemerschnecken“ ist nicht sehr ansprechend, „Meeresnacktschnecken“ muss es sein. Doch wie überzeuge ich die Wissenschaftlerin in mir, zudem es ja noch ihr eigenes Wissenschaftsgebiet ist, das natürlich besonders in seiner Komplexität korrekt dargestellt werden muss? Also nochmal auf Basis der Fakten: Der Großteil der Hinterkiemerschnecken lebt im Meer, es gibt nur wenige Ausnahmen im Süß- und Brackwasser. Die Rückentwicklung der Schale ist charakteristisch innerhalb der Hinterkiemerschnecken, auch wenn einige noch mehr oder weniger ausgeprägt Schalen tragen. Wenn ich nun ganz konkret die Arten bezeichnen will, mit denen ich faktisch arbeite, leben alle im Meer und alle haben ihre Schale komplett zurückgebildet. Die Bezeichnung „Meeresnacktschnecken“ ist für „meine“ Arten folglich hundertprozentig korrekt. Damit ist die Wissenschaftlerin beschwichtigt, auch wenn das bedeutet, sich vom Rahmen der wissenschaftlichen Kategorisierung der Gruppe der Hinterkiemerschnecken zu lösen. Dieser kleine Exkurs soll nur mal als Beispiel dienen für Konflikte zwischen korrekter wissenschaftlicher und journalistisch populärer Darstellung und was sich so alles an Konfliktpotenzial in einem einzigen Wort wie „Meeresnacktschnecke“ verbergen kann.  

Elysia timida
Meeresnacktschnecke. © Valérie Schmitt

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Valérie Schmitt, Diplom-Biologin, Science Writer und Online-Redakteurin, schreibt ihre Doktorarbeit über Meeresschnecken mit einer besonderen Eigenschaft: In ihrer Reihe berichtet sie von dem spannenden Phänomen der Einlagerung von Chloroplasten - den Organen der Fotosynthese - bei Meeresnacktschnecken, das in dieser Form im Tierreich einzigartig ist.

2 Kommentare

  1. habe vor 3 Jahren in Kroatien am steinigen Strandbereich eine Meeres-Schnecke ? gesehen , ca 20-25 cm lang, fast ebenso dick, oben einen ca 1-2cm Kamm – sie war bräunlich dunkel – konnte aber keine Fühler/Augenhörner sehen – über Nacht hatte sie sich ca 30 cm weit bewegt – am nächstzen Tag war sie nicht mehr zu sehen – was könnte es gewesen sein?

    • @kampfer:
      Eine Meeres-Schnecke, die ca 20-25 cm lang war und bräunlich, könnte ein “Seehase”/Aplysia, gewesen sein. Diese Meeres-Schnecken können tatsächlich so groß und noch größer werden und sind auch gute Schwimmer, was das Verschwundensein am nächsten Tag erklären könnte. Der “Kamm” könnte möglicherweise ihre flügelartigen Parapodien auf dem Körper zusammengelegt gewesen sein. Wenn Sie mögen, schauen Sie doch mal in meine Episode “Begegnung mit einem Seehasen” oder suchen nach Aplysia/Seehase ob die Bilder dort dem entsprechen was Sie gesehen haben. Es gibt auch einen Fisch “Seehase”, daher am besten zum Suchbegriff “Schnecke” oder “Aplysia” hinzufügen. Ansonsten könnte es vielleicht auch keine Schnecke sondern z. B. eine Seegurke gewesen sein. Viele Grüße!

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