Schneckensuche

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Mit Nacktschnecken auf Tauchstation
Meldung vom Meer

Das Wetter kann am Mittelmeer von einem Moment zum anderen plötzlich umschlagen. So warnt mich einer der Seeleute, dass der "Tramontane" naht, der kalte, starke Fallwind von den Pyrenäen, "der von den Bergen kommt" und entsprechend starken Wellengang und Strömungen mit sich bringt. Da sich Wind und Wellen aber noch in Grenzen halten und ich noch mehr Schnecken brauche, um meine Messreihen starten zu können, entschließe ich mich, trotzdem ins Wasser zu gehen.

Sammeln von Meeresschnecken
Abb. 1: Sammeln von Meeresschnecken
Es braucht Zeit, genügend viele Individuen der kleinen und gut getarnten Schnecken zu finden, um gute statistische Auswertungen machen zu können. Ohne Pressluftflasche kann ich häufiger und länger auf die Suche gehen als bei durch Tauchzeiten und -pausen begrenzten Tauchgängen mit Gerät.

Zum Sammeln der Schnecken begleiten mich entweder Taucher des Observatoire Océanologique, oder ich suche einfach ohne Pressluftflasche in geringeren Tiefen. Dabei kann ich häufiger und länger im Wasser bleiben als bei den durch Tauchzeiten und -pausen begrenzten Tauchgängen mit Gerät. Da die Schnecken sehr klein und zusätzlich in ihrer natürlichen Umgebung gut getarnt sind, brauche ich viel Zeit für die Suche, um eine ausreichend große Anzahl Individuen für eine fundierte Statistik zu finden.

Unter Wasser
Abb. 2: Unter Wasser
Mit kompletter Tauchausrüstung kann ich auch in größeren Tiefen nach Schnecken suchen. Die verschiedenen Meeresschneckenarten sind je nach Lebens- und Ernährungsweise in unterschiedlichen Tiefen besonders häufig zu finden. Unter Wasser hätte ich manchmal gerne zusätzlich Kiemen – das würde auch Ausrüstung sparen.

Je nach Lebens- und Ernährungsweise siedeln die verschiedenen Meeresnacktschneckenarten in unterschiedlichen Tiefenbereichen. So kommen die in der Region häufigen Arten Cratena peregrina und Flabellina affinis, die Polypen fressen und deren Nesselzellen speichern, entsprechend ihrer Nahrung in dunkleren Bereichen und größere Tiefen vor.

Die Meeresschnecken, die ich suche, leben dagegen mehr in flachen, Licht durchfluteten Bereichen, häufig auf Algen bewachsenen Felsen in geschützten Buchten. Hier finden sie ihre Nahrungsalgen, während in tieferem Wasser das nötige Sonnenlicht zur Fotosynthese fehlt. Innerhalb der flachen Bereiche ist vor allem die Meeresschneckenart Elysia timida in der Nähe ihrer bevorzugten Beute Acetabularia acetabulum häufig.

Acetabularia acetabulum
Abb. 3: Acetabularia acetabulum
Sehen fast aus wie Pilze – sind aber Algen: Die Schirmchenalge Acetabularia acetabulum, die bevorzugte Nahrung der Meeresschnecke Elysia timida. Links unten auf den Schirmchenalgen sitzt eine kleine Elysia timida. Die Schnecken leben in flachen, Licht durchfluteten Bereichen, in denen sie ausreichend Licht für die Fotosynthese ihrer endosymbiontischen Chloroplasten bekommen.

Meeresbotaniker haben herausgefunden, dass Acetabularia acetabulum alljährlich zu bestimmten Zeiten verkalkt und daher für Monate als Nahrungsquelle für Elysia timida ausfällt, bis wieder neue Acetabularia-Algen wachsen. Da sich die Schnecke vermutlich stark auf ihre Nahrungsalge spezialisiert hat, könnte die Chloroplastensymbiose bei dieser Art besonders durch die Hungerperioden entstanden sein.

Elysia timida gehört zu den Meeresnacktschneckenarten, die am längsten intakte Chloroplasten speichern können: Sie überlebt Zeiträume von fast drei Monaten ohne Nahrung – nur auf Grund der Fotosyntheseprodukte ihrer endosymbiontischen Chloroplasten.

grün-weißen Schnecken auf weiß-grünem Grund
Abb. 4: Gut getarnt
Die Suche nach grün-weißen Schnecken auf weiß-grünem Grund: Durch die von den eingelagerten Chloroplasten stammende Grünfärbung und die weiße Körpergrundfarbe fügen sich die Tiere farblich in ihre natürliche Umgebung ein.

Als weiteren Vorteil für die Chloroplastensymbiose nennen Wissenschaftler die Tarnung, da die Schnecken sich mit der Grünfärbung durch die eingelagerten grünen Chloroplasten ihrem natürlichen Umfeld anpassen – was die Suche nach ihnen nicht gerade einfacher macht.

Heute gehe ich wieder mit Schnorchel suchen, bei dem nahenden Sturm ist kein Tauchgang möglich. Ich bin früh im Meer und werde fündig: In einer geschützten Felseneinbuchtung am äußeren Rand der Bucht kann ich ungestört vom Wellengang eine Schnecke nach der anderen sammeln. Völlig vertieft in meine Arbeit mache ich mich erst auf den Rückweg, als mir trotz Tauchanzug kalt wird. Als ich aus dem geschützten Felsenbereich herausschwimme, um zurück zum Strand zu schnorcheln, finde ich mich plötzlich in starkem Wellengang wieder: Die Anläufe des Tramontane sind bereits in vollem Gange.

Aber ich habe Glück: Die Strömung führt geradewegs in die Bucht hinein, und mit jeder Welle mache ich einen großen Satz in Richtung Strand. So dauert der Rückweg nicht lange, und ich lande mit guter Schneckenausbeute am Strand – genug, um meine ersten Messreihen zu starten.

Alle Bilder © Valérie Schmitt

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Valérie Schmitt, Diplom-Biologin, Science Writer und Online-Redakteurin, schreibt ihre Doktorarbeit über Meeresschnecken mit einer besonderen Eigenschaft: In ihrer Reihe berichtet sie von dem spannenden Phänomen der Einlagerung von Chloroplasten - den Organen der Fotosynthese - bei Meeresnacktschnecken, das in dieser Form im Tierreich einzigartig ist.

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