Charismatische Meeresnacktschnecken

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Mit Nacktschnecken auf Tauchstation
Meldung vom Meer

Auf einen wahren Meeresnacktschnecken-Fan traf ich bei meinem letzten Forschungsaufenthalt im südfranzösischen Banyuls sur mer: Bernard Picton, Autor zahlreicher Bücher über Unterwasserorganismen und aktuell Kurator für marine Wirbellose am National Museum of Nothern Ireland nahe Belfast, war in Banyuls sur mer, um Untersuchungen für ein Forschungsprojekt über die Stammesgeschichte von Schwämmen zu machen. Dabei konnte er auch ausgiebig einer seiner Lieblingsbeschäftigungen nachgehen: Meeresnacktschnecken fotografieren.

Für Picton ist seine Leidenschaft zum Beruf geworden. „Ich hatte schon immer ein großes Interesse an Pflanzen und Tieren und begann zunächst, Schmetterlinge zu sammeln“, erzählt der 59-Jährige. Sein Weg zu den „Schmetterlingen des Meeres“, den Meeresnacktschnecken, nahm seinen Lauf, als er mit dem Tauchen anfing. Zu diesem Zeitpunkt studierte er Botanik an der Universität Bristol, an der auch T.E. Thompson Professor war, ein Spezialist für Meeresnacktschnecken. Thompson arbeitete an der Veröffentlichung von Fachbüchern über die Biologie der Hinterkiemerschnecken. Einer der Doktoranden von Thompson, Gregory Brown, wurde der Tauchpartner von Picton und die beiden begannen, auf ihren Tauchgängen Schnecken für Thompsons Bücher zu sammeln.

„Als wir eine unbekannte Schnecke fanden, die selbst der Experte Thompson nicht identifizieren konnte, inspirierte mich das, mich auch mit der Artbestimmung und systematischen Klassifikation der Schnecken zu beschäftigen“, erinnert sich Picton. „Von nun an wurde das Tauchen für mich Mittel zum Zweck, Meeresnacktschnecken zu finden, zu bestimmen und zu fotografieren.“ Er begann zunächst, die Schnecken in Becken an Land mit einem gewöhnlichen Fotoapparat aufzunehmen. Eine Unterwasserfotoausrüstung war für ihn noch unbezahlbar, zudem die Unterwasserfotografie zu dieser Zeit – Anfang der Siebziger Jahre – noch ein schwieriges Feld war.

Seine erste Unterwasserkamera bekam er schließlich Mitte der Siebziger Jahre zusammen mit seinem Job beim National Museum Nothern Ireland. Das Museum suchte jemanden, der Tauchen konnte und Interesse an Unterwasserfotografie hatte. Glücklicherweise waren Picton und Museum gleichermaßen überzeugt davon, dass er die perfekte Besetzung dafür sei. „Diese erste Kamera vom Museum war jedoch frustrierend“, erzählt er. „So ging ich dazu über, mir meine eigene Ausrüstung zusammenzustellen und bestimmte Teile, wie einen externen Blitz, sogar selbst zusammenzubasteln.“

Durch seine Arbeit als Kurator am Museum Nothern Ireland und weitere wechselnde Tätigkeiten in ähnlichen Bereichen betauchte er verschiedene Küstenregionen um Irland und England und sammelte Tiere und Algen, identifizierte und klassifizierte sie. Dabei entstanden einige systematische Bücher über Meeresorganismen: zunächst Spezialbände über einzelne Tiergruppen wie Schwämme und Stachelhäuter, aber auch gesammelte Werke wie „Sea Life of Britain and Ireland“ (1988) und „The species directory of the marine fauna and flora of the British Isles and surrounding areas“ (1997). Sein erstes Buch über Meeresnacktschnecken veröffentlichte er zusammen mit seinem Tauchkollegen Gregory Brown schon 1979; 1994 erschien dann noch mal ein komplett neues: „Nudibranches of the British Isles“.

Mittlerweile hat Picton im Internet eine frei zugängliche Unterwasser-Enzyklopädie „Encyclopedia of Marine Life of Britain and Ireland“ herausgegeben, die er teils selbst programmiert hat. Hier kann sich jeder Interessierte durch ein systematisch geordnetes Reich an Unterwasserorganismen klicken. Der Großteil der erfassten Organismen sind marine Wirbellose wie Schwämme, Anemonen, Quallen, Seesterne und Meeresnacktschnecken, aber auch einige beeindruckende Aufnahmen von Fischen sind zu sehen.

„Meine liebsten Forschungs- und Fotoobjekte sind nach wie vor marine wirbellose Tiere“, sagt Picton und fügt mit einem schelmischen Grinsen hinzu: „Insbesondere natürlich Meeresnacktschnecken.“ Die Faszination ist ihm deutlich anzusehen. Mit leuchtenden Augen und der Begeisterung eines kleinen Jungen, der gerade einen Schmetterling in den schillerndsten Farben erbeutet hat, deutet er auf eine Schnecke in meinem Meerwasserbecken: „Wirklich? Darf ich mir die zum Fotografieren ausleihen?“

So treffe ich ihn später im Labor über Aufbauten aus Stativ, Fotoapparat und Spezialobjektiven gebeugt, darunter kleine Wasserschälchen mit einzelnen verschiedenfarbigen Meeresnacktschnecken darin. Es erfordert nicht nur eine gute Ausrüstung, sondern vor allem viel Geduld, eine beständig herumkriechende Meeresnacktschnecke fotografisch schön in Szene zu setzen. Seine langjährige unermüdliche Leidenschaft für die „Schmetterlinge des Meeres“ bringt Picton mit einem Satz auf einen Nenner: „Meeresnacktschnecken sind einfach charismatisch!“

Picton, B.E. & Morrow, C.C., 2002-8. http://www.habitas.org.uk/marinelife/. Encyclopedia of marine life of Britain and Ireland.
Howson, C.M. & Picton, B.E.(eds) 1997. The species directory of the marine fauna and flora of the British Isles and surrounding seas. Ulster Museum and The Marine Conservation Society, Belfast and Ross-on-Wye.
Picton, B.E. & Morrow, C.C. 1993. Nudibranchs of the British Isles. Immel Publishing Ltd. London.
Picton, B.E., in Wood, E. ed. 1988. Sea Life of Britain and Ireland. Immel Publishing Ltd. (sections on Ireland and major photographic source)
Brown, G.H. & Picton, B.E. 1979. Nudibranchs of the British Isles – a colour guide. Underwater Conservation Society.
T.E. Thompson: Biology of Opisthobranch Molluscs, Volume 1. Ray Society, London, 1976.
T.E. Thompson and G.H. Brown: Biology of Opisthobranch Molluscs, Volume 2. Ray Society, London, 1984.

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Veröffentlicht von

Valérie Schmitt, Diplom-Biologin, Science Writer und Online-Redakteurin, schreibt ihre Doktorarbeit über Meeresschnecken mit einer besonderen Eigenschaft: In ihrer Reihe berichtet sie von dem spannenden Phänomen der Einlagerung von Chloroplasten - den Organen der Fotosynthese - bei Meeresnacktschnecken, das in dieser Form im Tierreich einzigartig ist.

6 Kommentare

  1. Hallo Valérie,

    eine wirklich sehr schöne Geschichte. Ich mag ja solch “verrückte” Menschen, die sich einem Thema voll und ganz verschrieben haben und diese Leidenschaft dann auch noch ausleben können.

    Ich persönlich finde Nashörner ja charismatischer als Meeresnacktschnecken, aber das ist natürlich Ansichtssache^^

  2. Nashörner charismatischer?

    Hallo Sören,

    so, du findest Nashörner charismatischer als Meeresnacktschnecken? 😉 Wer weiß, vielleicht werden Nashörner ja mal deine bevorzugten Forschungs- und Foto-objekte?

  3. Ob Sie meine bevorzugten Forschungsobjekte werden, weiß ich noch nicht. Auf jeden Fall berichte ich gerne über sie und widme mich dem sogenannten “Spread the word”. Das kann ich wohl ganz gut. Die Knochen dürfen sich andere brechen…

  4. Oh Valérie, entschuldige bitte das erste “Sie”, welches natürlich klein geschrieben werden muss. Wirkt sonst irgendwie anzüglich^^

    Ach, demnächst widme ich mich übrigens dem kaukasischen Leoparden. Mal was anderes als immer nur Nashörner…

  5. @Sören

    😀

    Also, Leoparden finde ich persönlich nun wiederum äußerst charismatisch. Dann werde ich das ja bestimmt bald in deinem Blog lesen.

  6. @Valérie

    Ja, das wirst Du. Ich muss die Unterlagen aber erstmal durchlesen dazu. Die sind zwar schon da, aber ich komme gerad nicht dran.

    Und ich freue mich schon auf einen weiteren Schnecken-Artikel. Mein Wissen über diese Tiere bewegt sich nämlich in sehr engen Grenzen…

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