Aller Anfang ist grün
BLOG: Meldung vom Meer

Es ist faszinierend zu sehen, wie frisch geschlüpfte sogenannte „fotosynthetische Meeresnacktschnecken” der Art Elysia timida zum ersten Mal in ihrem Leben fressen (zum Hintergrund hier im Blog z. B. „Von solarbetriebenen Meerestieren“ und „Das Geheimnis der grünen Schnecken”). Die jungen Schnecken – in der Fachsprache Juvenile genannt – sehen noch völlig anders aus als die ausgewachsenen. Sie haben noch keine Färbung oder Strukturen wie Körperanhänge ausgebildet, sondern sind einfach durchsichtige Wesen mit zwei dunklen Augenpunkten, nur aus dem Kopf und einem direkt anschließenden, kegelförmig zulaufenden, Körper bestehend. Äußerlich erinnern sie so vielleicht etwas an ein Robbenjunges. Sie kriechen an die Algen heran, die sie fressen, und beginnen an ihnen zu saugen.

Beim Beobachten der winzigen Juvenilen im Stereomikroskop – sie sind nach dem Schlüpfen aus ihrem Gelege nicht mal einen Millimeter groß – lässt sich genau nachverfolgen, wie sie den grünen Zellsaft durch den Mund bis in die Mitteldarmdrüse in ihren Körper einsaugen. Sozusagen Schluck für Schluck färbt sich ihr Körperinneres grün, wie in diesem Video einer Open-Access-Publikation mit einem Teil der Ergebnisse meiner Doktorarbeit zu sehen ist. (Um das Video anzuschauen in der Publikation unter “Results additional file Video 1 anklicken:
Mit dem grünen Zellsaft aus ihren Futteralgen nehmen die jungen durchsichtigen Schnecken zum erstem Mal in ihrem Leben Chloroplasten – die Organe der Photosynthese – in ihren Körper auf. Ihre Elternschnecken tragen zwar Chloroplasten in ihrem Gewebe, sie vererben sie jedoch nicht an ihre Jungen weiter. Jede Generation nimmt sie von neuem auf. (Wie ich die Aufnahme der Chloroplasten in die Zellen bei den Juvenilen im Transmissions-Elektronen-Mikroskop untersucht habe, erzähle ich an anderer Stelle hier im Blog – Reise ins Innere der Zellen)
Die Elternschnecken sind Zwitter, so dass sie sich gleichzeitig in ihrer männlichen als auch in ihrer weiblichen Form paaren können. Sie zeigen dabei ein erstaunlich komplexes Paarungsverhalten – eine Art Paarungstanz, bei dem sich die zwei Schnecken gleichzeitig um die jeweils eigene Achse drehen (genauer in dieser Open-Access-Publikation beschrieben: Schmitt et al.: Mating behavior in the sea slug E. timida (Opisthobranchia, Sacoglossa): hypodermic injection, sperm transfer and balanced reciprocity. Front Zool 2007, 4:17).

Nach der Paarung kann jede Schnecke ein spiralförmiges Gelege voller Schneckeneier legen. Die Schneckeneier reifen in dem Gelege ohne Chloroplasten zu den transparenten Juvenilen heran, die nach einiger Zeit schlüpfen und sich auf die Suche nach Nahrung begeben. Wenn sie dann ihre Futteralgen finden und deren Zellsaft samt Chloroplasten aufnehmen, können sie nach und nach wachsen und ihre Strukturen ausbilden bis sie sich eines Tages selbst paaren und Nachwuchs bekommen, womit der Lebenszyklus von Neuem beginnt…