Wie Delphine jagen – aus Delphinperspektive
BLOG: Meertext
Ein Buzz aus superschnellen Klicks und zuletzt ein fröhliches Siegesquietschen – so endet der Soundtrack der Delphinjagd. Einige Walexperten hatten Delphine der US-Marine mit Kameras ausgestattet und ihre Jagdtouren ins Meer dokumentiert. (Die Studie ist schon von 2022, war mir aber bislang nicht bekannt – Meertext.)
Die Großen Tümmler (Tursiops truncatus) sind auf der Navy-Base in San Diego stationiert und bekommen neben ihren Tiefkühl-Fisch-Rationen auch regelmäßig Gelegenheit, selbst Jagdtouren in der Bucht von San Diego und vor der Küste zu unternehmen. Bei einigen dieser Touren trugen sie eine Kamera, die Bild und Ton aufzeichnete. Dadurch erfuhren ein Forschungsteam um die Walforschungslegende Sam Ridgway noch ein paar neue Details, wie die Meeressäuger Sicht und Echoortung für den besten Jagderfolg koordinieren.
Sechs der Marine-Meeressäuger wurden von der US National Marine Mammal Foundation (NMMF), ausgestattet und trugen für jeweils sechs Monate eine Kamera. Da die Delphine an ein solches Geschirr gewöhnt sind, macht es ihnen offenbar nichts aus – ihr Jagd- und sonstiges Verhalten gleicht dem von in Freiheit lebenden Tümmlern.
(Sie hätten reichlich Gelegenheit, ansonsten einfach im freien Meer zu verschwinden).
Buzz und Schlürf
Wenn Delphine jagen, nutzen sie zur Echolokation Klicks in Intervallen von 20 bis 50 Millisekunden.
Nähern sie sich der Beute, wird die Klickfrequenz schneller, bis sie sich zuletzt wie ein einziger Ton anhört – der sogenannte „Buzz“ ist das Zustoßen und Ende der Jagd (übrigens auch bei Pottwalen und vermutlich auch anderen Arten). Der „Buzz“ ergibt ein hoch aufgelöstes dreidimensionales Echobild der Beute und ihrer Bewegung sowie Lage im Raum, damit der Zahnwal seine Mahlzeit perfekt ergreifen kann.
Auf ihren Streifzügen vor San Diego schnappten sich die Tümmler über 200 Fische – darunter Barsche, Umber, Heilbutt, Stinte und Seenadeln. Die Stinte warfen sich oft in die Luft, um verzweifelt den geschickten Raubtieren zu entkommen. Aber das nützte ihnen nicht, die Delphine verfolgten jede ihrer Bewegungen. Oft schwammen die Zahnwale dabei kopfüber, weil sie so das beste Sichtfeld haben – diese Technik setzen auch wilde Artgenossen ein.
Diese Kombination aus der Jagd auf Sicht und nach dem „Hörbild“ ergibt offenbar den besten Erfolg – die Echolokation hilft zunächst beim Aufspüren der nächsten Mahlzeit und im Nahbereich werden zusätzlich die Augen eingesetzt.
Direkt am Fisch nutzen die Delphine dann Unterdruck, um die zappelnde schlüpfrige Beute regelrecht einzusaugen: Sie erweitern mit starken Rachenmuskeln den Rachenraum, die Zunge wird aus dem Weg geschoben. Wenn sie dann den Schnabel öffnen, erzeugen sie mit dem erweiterten Mundraum ein Vakuum und saugen die Mahlzeit meist seitlich über den Schnabel ein. Das ist auch von anderen Zahnwalen bekannt – beim „Einschlürfen“ erwischen sie schlüpfrige Beute wie Fische oder Tintenfische sicher und im Stück. Die Forscher vergleichen diese Methode mit dem Einschlürfen von Nudeln. Einige Delphine schlangen ihre Mahlzeit aber auch im Ganzen hinunter, das nennen die Biologen die „Hot Dog“-Methode (Ich kenne niemanden, der ein ganzes Hot Dog-Würstchen auf einmal herunterschlingt – Meertext).
Auf jeden Fall fressen Wale nicht häppchenweise – beim Abbeißen würde oft ein Teil der Nahrung im Wasser verloren gehen.
Besonders ungewöhnlich war, dass ein Delfin gleich acht hochgiftige Gelbbauch-Seeschlangen (Hydrophis platurus) fraß. So etwas war noch nie beobachtet worden. Glücklicherweise schien die Mahlzeit dem Delphin nicht zu schaden, er zeigte keine Anzeichen von Vergiftung.
Flußdelphine spielen mit Anakonda
Dass Zahnwale mit Schlangen spielen, ist schon zuvor dokumentiert worden: So hatten einige Biologen in Bolivien eine Gruppe Flußdelphine mit einer Benin-Anakonda spielen sehen.
Diese Flussdelfine (Inia boloviensis) sind relativ seltene aquatische Säuger, es gibt nur noch wenige und die sind im trüben Strom meist schwierig zu entdecken.
Umso überraschter waren einige Biologen, als sie im August 2021 in der Nähe des Flusses Tijamuchi in Bolivien gleich mehrere der seltenen Säuger mit aus den trüben Fluten gereckten Köpfen beobachteten: Mindestens 6 Flußdelphinen hielten synchron die Köpfe aus dem Wasser und trugen in den langen Schnäbeln gemeinsam eine große Schlange. Die Biologen beobachteten über 7 Minuten lang, wie die aquatischen Säuger synchron schwammen, dabei bewegte sich die ganze Gruppe etwa 70–80 Meter flussabwärts.
Die Säuger schienen mit dem Reptil eher zu spielen, als es fressen zu wollen. Außerdem kam es den Biologen vor, als ob die Erwachsenen den Jungtieren die Schlange vorführten. Die Beni-Anakonda (Eunectes beniensis) kann bis zu 2 Meter lang werden und ist damit eine kleine Vertreterin der Würgeschlangen. Da sie sich während der ganzen Aktion nicht bewegte, hat sie das Spiel vermutlich nicht überlebt.
Quellen
Sam Ridgway, Dianna Samuelson Dibble, Mark Baird: Sights and sounds dolphins, Tursiops truncatus preying on native fish of San Diego Bay and offshore in the Pacific Ocean
August 17, 2022; https://doi.org/10.1371/journal.pone.0265382
Der auf Wale spezialisierte Tierarzt Sam Ridgway ist während der Publikation dieser Forschungsergebnisse 2022 mit 86 Jahren verstorben – der Meeressäugerexperte ist eine Legende. Darum ist die Studie ihm gewidmet.
Omar M. Entiauspe-Neto, Steffen Reichle, Alejandro de los Rios: A case of playful interaction between Bolivian river dolphins with a Beni anaconda
12 April 2022
https://doi.org/10.1002/ecy.3724
Delfine sind halt sehr intelligente Tiere, da machen sie neben cleveren Dingen auch viel “Unsinn”. Wie Katzen, Hunde, Krähen etc.
@Sascha: Allerdings! Die armen Schlangen. Ich kann mir so richtig vorstellen, wie der Tümmler mit dem kringeligen Ding spielt – wie eine Katze. Aber dass die Flussdelphine gemeinsam mit ner Riesenschlange spielen, ist nochmal eine ganz andere Nummer. Völlig irre