Weißwal Hvaldimir verhungerte – wegen Müll im Maul

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Der 16-jährige Storm Karolius Kristiansen und sein Vater angelten am 31. August 2024 in der Risavika-Bucht bei Stavanger gerade Makrelen, als sie den leblos im Meer treibenden Weißwal fanden – es war der Publikumsliebling Hvaldimir. Der 14 Fuß lange und 2700 Pfund schwere Wal wurde geborgen und nun untersucht: Die vorläufigen Ergebnisse der Nekropsie zeigen keine Einschüsse und Projektile. Aber mehrere Organe hatten versagt und der leere Magen zeigte, dass er gehungert hat. Der Grund dafür: Im Maul steckte ein 35 cm langer und 3 cm breiter Stock. Seine Nähe zum Menschen hat durch die hohe Müllbelastung gerade der Küstengewässer und Häfen letztendlich umgebracht.

Schußwunden? Fehlanzeige

Die norwegische Polizei hatte eine Untersuchung eingeleitet, nachdem die Tierrechtsgruppen OneWhale und NOAH Anzeige erstattet hatten. Sie behaupteten, der Wal sei erschossen worden:
“[…] there was “compelling evidence suggesting that Hvaldimir’s death was caused by intentional human-inflicted injury.”
Der tote Meeressäuger trug tatsächlich mehrere blutige Wunden auf dem Körper.
OneWhale und NOAH sagten weiter: “Several veterinarians, biologists, and ballistics experts have reviewed photographic evidence, including close-ups of Hvaldimir’s injuries,” their statement said. “Their assessments strongly suggest that the whale’s death was the result of a criminal act, prompting the need for immediate police involvement.”

Die Gruppen teilten in sozialen Medien Photos, die blutige Löcher und weitere Blutspuren auf dem leblosen weißen Körper des Wals zeigten.
Die norwegische Polizei und die Norwegian National Authority for Investigation and Prosecution of Economic and Environmental Crime nahmen also Ermittlungen auf.

Die Nekropsie durch das Norwegian Veterinary Institute kam aber zu dem Ergebnis, dass es sich nicht um Schußwunden handelte und es auch keine Projektile gab – die hätten im Walspeck steckenbleiben müssen. Bei den einschußartigen oberflächlichen Wunden handelte es sich wohl eher um Verletzungen durch Vogelschnäbel. Möwen und andere Seevögel mit starken und großen Schnäbeln fressen oft auf treibenden Walkadavern, ihre scharfen Schnäbel hacken auch Löcher in Wale.
Die Veterinäre meinen, dass diese oberflächlichen Wunden sicherlich nicht die Todesursache waren.

Vielmehr sei der Wal verhungert, weil ein 35 cm langer und 3 cm breiter Stock in seinem Maul steckte. Er konnte ihn nicht entfernen und dadurch nicht mehr fressen. So war sein Magen leer und mehrere Organe hatten versagt.
Die Polizei erklärte, da der Wal nicht durch menschliche Aktivitäten zu Tode gekommen war, keine weiteren Ermittlungen einzuleiten.
Der vollständige Nekropsie-Bericht würde in zwei Wochen vorliegen.

Hvaldimirs schräge Geschichtevom Spion zum Kinderfreund

Als im April 2019 vor der nordnorwegischen Küste ein zahmer Weißwal (Beluga, Delphinapterus leucas) mit russisch beschriftetem Brustgeschirr auftauchte und offenbar menschlichen Kontakt suchte, wurde prompt der Spionage verdächtigt.
Fischer und der Fischereiinspektor Jörgen Wiig hatten dem Tier das Brustgeschirr  abgenommen und ihn mit Fisch gefüttert, der anlehnungsbedürftige weiße Wal war ihnen daraufhin nach Hammerfest gefolgt. Dort im Hafen wurde er schnell DIE Attraktion – er grinste für jedes Photo in die Kamera, apportierte ins Wasser gefallene Handys und löste zunächst wilde Gerüchte aus, ein russischer Marine-Beluga zu sein. Schließlich haben Norwegen du Russland eine gemeinsame Seegrenze.
In Norwegen hatte er den Namen „Hvaldimir“ erhalten, eine Kombination aus dem norwegischen Wort Hval (Wal)  und dem Vornamen des russischen Präsidenten Wladimir Putin.

Wenig später stellte er sich als Therapie-Wal namens Semjon heraus. Er war vor 16 Jahren von Robben verletzt und von Russen gesund gepflegt worden. 2008 kam er dann in ein Wassersport-Zentrum am Weißen Meer, wo er mit Kindern spielte, u. a. mit kranken oder behinderten Kindern. Mit dem Brustgeschirr, das für erhebliche Irritation gesorgt hatte, zog er ein Boot, in dem jauchzende Kinder sitzen konnten.

Wie ist es Hvaldimir weiter ergangen?

Der im geschäftigen Hafen von Hammerfest herumlungernde Wal war zwar eine Touristenattraktion, warf aber einige Probleme auf.
Er jagte nicht oder nicht genug und zeigte schnell Anzeichen von Unterernährung. Darum übernahm die NGO Norwegian Orca Survey die sachgerechte Fütterung des Weißwals: Mit reichlich fettem Hering wurde Hvaldimir schnell wieder rund. Die Meeresbiologin und Gründerin von Norwegian Orca Survey Eve Jourdain und andere Teammitglieder fütterten den großen Delphinartigen per Hand, offenbar war er es so gewöhnt. Der Fisch wurde von der Kommune bezahlt.
Das andere Problem war, dass im Hafen von Hammerfest natürlich reger Schiffsverkehr ist, so dass immer die Gefahr einer unbeabsichtigten Verletzung bestand.

Initiativen, ihn in arktische Gewässer zurückzulotsen, waren immer wieder fehlgeschlagen.
So schwamm Hvaldimir die nächsten Jahre vor der norwegischen Küste umher und war nun zuletzt vor dem geschäftigen Hafen der südnorwegischen Stadt Stavanger unterwegs. Als einziger Weißwal so weit südlich und durch sein zahmes Verhalten, wurden seine Routen stetig dokumentiert. Wo er auftauchte, gingen sofort Warnungen an die Schifffahrtslinien und Freizeitschiffer heraus, dass sie unbedingt auf den langsam schwimmenden Weißwal achten sollten. Hvaldimir war ein Wnaderer zwischen den Welten, der der Wale und der der Menschen.
Bis jetzt war es gut gegangen.

Aber nun ist ihm seine Nähe zu Menschen doch noch zum Verhängnis geworden: Küsten mit viel Schiffsverkehr und gerade Häfen sind noch stärker vermüllt, als selbst arktischen Küsten es ohnehin schon sind.
Die  Norwegian Broadcasting Corporation hat einige Menschen gefragt, die Hvaldimir näher kannten und ihm zumindest einen schönen Nachruf geschrieben: The celebrity whale Hvaldimir has died.
Nun hat er Müll gefressen und ist dadurch verhungert.

Update: Meldung der norwegischen Polizei zur abgeschlossenen Untersuchung

Die Autopsie und die polizeiliche Untersuchung sind nun abgeschlossen:
In einer Pressemitteilung erklärte die norwegische Polizei, dass der Weißwal Hvaldimir wohl an einer bakteriellen Infektion verstorben ist. Die Veterinärmediziner fanden in der Nekropsie keinen Hinweis auf die behaupteten Einschüsse oder andere menschliche Einwirkung. Die Infektion und das Verhungern des Wals seien auf den Stock zurückzuführen, der sich im Maul des Wals verklemmt hatte und den er selbst nicht wieder entfernen konnte.

Meldung der norwegischen Polizeit vom 4.10.2024, Polizeibezirk Sør-West|Nachrichten
Der abschließende Autopsiebericht des Veterinärinstituts ist nun fertig.
Die Untersuchungen des Veterinärinstituts werden dadurch erschwert, dass viele Organe des Wals sehr verfault waren. Der Bericht kommt zu dem Schluss, dass die wahrscheinliche Todesursache eine bakterielle Infektion ist – möglicherweise als Folge einer Wunde im Mund durch einen festsitzenden Stock. Möglicherweise hatte der Stock auch dazu geführt, dass Hvaldimir Probleme bei der Nahrungsaufnahme hatte und dadurch das Infektionsrisiko stieg. Bei der Autopsie gebe es keine Erkenntnisse, die darauf hindeuten, dass der Wal geschossen wurde, sagt Amund Preede Revheim, Leiter der Abteilung Nordsee und Umwelt im Polizeibezirk Sør-West.
Hintergrund für die Meldung an die Polizei waren Fotos von Verletzungen des toten Wals (und die Behauptung von Tierschützern, auf dem Körper seien Einschußlöcher – Meertext). Darum wurde eine gründliche Untersuchung des Wals durchgeführt.
Wie Bilder in den Medien zuvor zeigten, wurden mehrere oberflächliche Wunden in der Haut im Bereich der hinteren Brusthöhle, des Bauches und an der Schwanzflosse gefunden. Die Wundränder waren uneben und eingerissen und werden darum als Verletzungen gedeutet, die durch Vögel verursacht wurden, die Löcher in die Haut pickten (Möwen und andere Meeresvögel hacken sich mit ihren scharfen, kräftigen Schnäbeln üblicherweise auch in Walkadaver – die Wunden sehen ganz typisch dafür aus – Meertext). Auf der Unterseite des Wals befanden sich zwei Löcher in der Haut. Eine Wunde ging durch die Haut und die gesamte Speckschicht, betraf jedoch keine inneren Organe. Der Wundkanal vom zweiten Loch war weniger als 1 cm tief. Nach Einschätzung des Veterinärinstituts und der Kriminaltechniker der Polizei handelt es sich hierbei nicht um Schusswunden. Es wurde eine Röntgenaufnahme des Brustkorbs und des Kopfes durchgeführt, ohne dass Projektile oder andere Metallfragmente nachgewiesen werden konnten.
– Den Ermittlungen zufolge gibt es also keine Hinweise darauf, dass Hvaldimir illegal getötet wurde. Die Polizei sehe daher keinen Grund, eine weitere Untersuchung zum Tod des Wals einzuleiten, und die eingegangene Anzeige sei abgewiesen worden, sagt Preede Revheim.

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Auf dem Science-Blog „Meertext“ schreibe ich über meine Lieblingsthemen: Biologie, Zoologie, Paläontologie und das Meer. Wale, Fische und andere Meeresgetüme. Tot oder lebendig. Fossile Meere, heutige Meere und Meere der Zukunft. Die Erforschung, nachhaltige Nutzung und den Schutz der Ozeane. Auf der Erde und anderen Welten. Ich berichte regelmäßig über Forschung und Wissenschaft, hinterfrage Publikationen und Statements und publiziere eigene Erlebnisse und Ergebnisse. Außerdem schreibe ich über ausgewählte Ausstellungen, Vorträge, Bücher, Filme und Events zu den Themen. Mehr über meine Arbeit als Biologin und Journalistin gibt´s auf meiner Homepage “Meertext”.

17 Kommentare

    • @Sascha: Das habe ich auch gedacht.
      ‪Eigentlich hatte ich genau so etwas befürchtet: die meisten Wale sterben durch das Fressen von Plastik, in Fischereinetzen oder durch Schiffs/Bootskollisionen : (
      Ein einzelner Beluga vor der norwegischen Küste hätte allerdings auch noch von Orcas gerissen werden können

  1. R.i.P Hvaldimir :-/

    Weiß man mehr über den Stock? Reuters sagt auch nicht mehr, als “Stick”. Ist sicher dass es sich um menschlichen Müll handelt?

    • @Dampier: Ich habe bis jetzt keine weitere Beschreibung dazu gelesen.
      Ich bin sicher, dass der Stock und wie er ins Maul des Wals geriet im vollständigen Bericht näher spezifiziert sein werden.

    • Ich musste mich schlau machen. “Stick” heißt auf deutsch “Stab” oder “Stock”. Bei “Stab” habe ich etwas Menschengemachtes im Kopf, bei “Stock” denke ich eher an einen Ast. Hoffentlich gibt es bald Aufklärung.

      • @RPGNo1: Ich gehe davon aus, dass Hvaldimir etwas Menschengemachtes geschluckt hat. Irgend etwas daran muss ihn ja animiert haben, das fressen zu wollen.
        Darum warte ich auf den vollständigen Autopsiebericht

  2. Die viel wichtigere Frage ist doch, wie und warum ist ein von Menschen aufgezogener, zahmer Wal, der offensichtlich kaum jagen und sich somit nicht selbst ernähren konnte, in die freie Wildbahn gelangt? Damit hat man ihm keinen Gefallen getan. Schon die Fütterung einzustellen, war auf lange Sicht wohl sein Todesurteil.

    • Es ist so grausam, zu wissen, daß Wale, Meeresschildkröten und viele andere Tiere in den Netzen qualvoll ertrinken. Auch der Walfang und die Massaker auf Färöer und in Japan sind unerträglich und nicht akzeptabel. Die Natur an sich ist grausam beim töten – aber was der Mensch macht übertrifft alles!

      • @Marion Gerstmann. Ich finde es auch sehr bitter, dass Wale seit fast 60 Millionen Jahren in den Meeren leben und die Meinschheit sie, wie andere Megafauna auch, innerhalb von etwa 250 Jahren so grausam dezimiert hat. Eine Arten sind schon ausgestorben, andere Bestände werden folgen.
        Die färingischen und japanischen Kleinwal-Massaker sind allerdings, verglichen mit den stetigen Verlusten durch Schiffskollisionen, Fischerei-Beifang, chemische und Plastik-Belastung tatsächlich für diese Arten nicht gefährdend. Das heisst nicht, dass ich das gutheiße, ganz im Gegenteil.
        ich möchte nur dazu anregen, Wal- und Meeresschutz ernster zu nehmen – allein eine Reduzierung des Mikroplastiks von Autoreifenabrief, aus Kosmetika, … oder PTAs in Kunststoffen und ganz viel mehr sollte man auch immer wieder auf dem Schirm haben. Klima-, Umwelt- und Meeresschutz verschwinden gerade von den individuellen und politischen Agendas, das bereitet mir große Sorgen.
        Sorry, ich wollte eigentlich nicht predigen. Aber ich habe gerade die Nachricht von einem verstorbenen Pottwal bekommen, der in der Straße von Gibraltar wohl von einer Schnellfähre überfahren wurde. Ein FIRMM-Whale watching-Boot hat den verletzten Wal sterben sehen. Leider nutzen viele Menschen Schnellfähren und Speedboote just for fun und machen sich überhaupt keine Gedanke über die Auswirkungen.

        • Liebe Frau Wurche, ich freue mich, daß es Menschen wie Sie gibt!
          Ich bin auch schon längst für einen viel besseren, größeren Schutz “unserer” Meere.
          Da ist soviel Schreckliches, und es wird kaum darüber berichtet.
          Hoffentlich können wir noch etwas retten, möglichst viel und möglichst schnell. Liebe Grüße!

  3. P. S. Warum wurde der Weißwal nicht mehr gefüttert?!
    Dann hätte man doch bemerkt, daß er nicht fressen kann…?

  4. Liebe Frau Wurche, ich freue mich, daß es Menschen wie Sie gibt!
    Ich bin auch schon längst für einen viel besseren, größeren Schutz “unserer” Meere.
    Da ist soviel Schreckliches, und es wird kaum darüber berichtet.
    Hoffentlich können wir noch etwas retten, möglichst viel und möglichst schnell. Liebe Grüße!

    • @Marion Gerstmann: Liebe Frau Gerstmann, vielen Dank! Wir versuchen es einfach weiter, auf allen Kanälen und mit allen Mitteln. Wichtig ist auch, im Austausch zu bleiben – meine Meertext-LeserInnen und -KommentatorInnen motivieren mich immer wieder, gerade wenn ich wegen des mangelnden Meeres- udn Klimaschutzes mal wieder total frustriert bin. Liebe Grüße zurück, Bettina

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