Sonnenfinsternis-Tour 2024: Cahokia
BLOG: Meertext
Unsere dreiwöchige USA-Reise, die mit der erfolgreichen Beobachtung der Sonnenfinsternis in Carbondale, Southern Illinois, begann, führte uns anschließend quer durch den Mittleren Westen bis an die kalifornische Pazifikküste. Unsere Freunde Hillary und Billy nahmen uns mit auf ihren Heimweg nach San Diego. Beide haben diese Reise schon sehr oft gemacht, beim Pendeln zwischen Familien, Studienplatz und eigenem Wohn- und Arbeitsorten. Für uns haben sie an einigen besonderen Orten angehalten, um sie gemeinsam mit uns zu erleben. Dabei haben sie die Informationen vor Ort immer wieder ergänzt, mit ihren persönlichen Erlebnissen und Wissenswertem etwa zur Geschichte der UreinwohnerInnen. Dadurch haben wir immer wieder andere Perspektiven entdeckt, als üblicherweise in Reiseführern stehen. Ich bin ihnen für diese phantastische Reise unendlich dankbar und möchte sie mit Euch teilen – soweit Worte das überhaupt vermitteln können.
Eines Morgens nach der Sonnenfinsternis brechen wir in Carbondale, Southern Illinois, auf.
Cahokia – die präkolumbianische Megapolis
Zwischen dem heutigen St. Louis und Colinsville liegt das UNESCO-Weltkulturerbe Cahokia Mounds State Historic Site – die etwa 3,5 Quadratkilometer große präkolumbianischen Indianerstadt. Der Park umfasst etwa 80 künstliche Hügel, das größte erhaltene Lehmbauwerk nördlich von Mexiko und zeigt heute nur noch einen Teil der einstigen Ausdehnung der antiken Siedlung: Um 1100 n. Chr. erstreckte sich die Stadt in ihrer Blütezeit über eine Fläche von etwa 16 Quadratmeilen, umfasste etwa 120 Erdwerke unterschiedlichster Größe, Form und Funktion und hatte eine Bevölkerung zwischen 15.000 und 20.000 Menschen (das entspricht dem damaligen London).
Cahokia war die größte, wohlhabendste und einflussreichste Siedlung der Mississippi-Kultur. Diese Kultur, die zwischen dem Mississippi und dem Atlantik lebte, entwickelte sich mehr als 1.000 Jahre vor dem Kontakt mit Europäern und bestand aus einer ganzen Reihe von hoch entwickelten Kulturen in weiten Teilen der heutigen zentralen und südöstlichen Vereinigten Staaten. Die Cahokia Mounds sind heute die größte und komplexeste archäologische Stätte nördlich der großen präkolumbianischen Städte Mexikos. Archäologische Untersuchungen rekonstruierten eine kosmopolitische Stadt: Mit Strontium-Tests der Zähne stellen ArchäologInnen fest, dass ein Drittel der Bevölkerung nicht aus Cahokia, stammte, sondern offenbar eingewanderte Natchez, Pensacola, Choctaw, Ofo oder anderen Stämmen waren.
Die Ureinwohner Cahokias betrieben Landwirtschaft, Handel und Jagd. Die Ernährung basierte auf Mais-Kulturen, daneben wurde auch eine mit Quinoa verwandte Getreideart angebaut, außerdem Kürbisse und viele andere Pflanzen. Cahokias Stadtzentrum aus breiten öffentlichen Plätzen und wichtigen Gebäuden wurde auf riesigen, von Hand errichteten Erdhügeln erbautIn der Mitte lagen vier riesige Plätze, die den Himmelsrichtungen nach Norden, Osten, Süden und Westen gewidmet waren – die Stadtplaner hatten sie astronomisch ausgerichtet. An anderen Stellen umschlossen Woodhenges große kreisförmige Plätze oder Zeremonienbereiche. Ein Woodhenge ist eine Kreisanlage wie der Steinkreis Stonehenge – nur eben aus Baumstämmen. Diese Kreisanlage hat Öffnungen und Markierungen, die wichtige astronomische Ereignisse des Himmelsjahres erlebbar machen, wie die Sommer- und Wintersonnenwende.
Der größte Erdhügel – der mehr als 30 Meter hohe und 14 Hektar große Monks Mound – ist bis heute erhalten.
Aber um 1350 verließen die Bewohner ihre prächtige Stadt. Über 200 Jahre vor dem Eintreffen der ersten Europäer. Auch gab es keine Spuren von kriegerischen Verwüstungen, wie etwa zerstörte Gebäude.
Dafür entdeckten die ArchäologInnen allerdings einen Hügel mit Massengräbern: darin lagen die Überreste von Hunderten von Menschen, hauptsächlich jungen Frauen. Einige wurden wahrscheinlich erdrosselt; andere starben möglicherweise an Aderlass. Vier Männer wurden mit abgeschnittenen Köpfen und Händen gefunden. In einer anderen Grabgrube befanden sich hauptsächlich Männer, die erschlagen worden waren. Diese Massenbegräbnisse deuten darauf hin, dass die Bewohner Cahokias möglicherweise rituelle Menschenopfer durchgeführt haben, wie sie aus manchen südamerikanischen Kulturen bekannt sind.
Einige Archäologen schließen aus dem stetigen Befestigungsausbau, dass die Stadtbewohner offenbar Angst vor anderen Völkern hatten. Andere Archäologen denken, dass klimatische Veränderungen wie eine Dürre die Stadtbewohner zum Auswandern brachten. Jedenfalls verschwanden sie, nicht nur aus der Stadt, sondern auch aus den Geschichten.
(Wer mehr erfahren möchte: Dieser Guardian-Artikel „Lost cities #8: mystery of Cahokia – why did North America’s largest city vanish?“ ist ausführlicher.
Zu meinem ganz großen Bedauern blieb uns dafür keine Zeit. Eine archäologiebegeisterte Freundin hatte mir diesen Tipp verraten, leider etwas zu spät für unsere Tourenplanung. Wir hatten schon zu viele andere Ziele entlang der Strecke herausgesucht.
Historic Routes 66 und 40
Mit der Überquerung des Mississippi südlich von St. Louis sind wir in Missouri, unsere Route auf den „Historic Routes“ 66 und 40 folgt den historischen Planwagentrecks der Siedler, die aus Europa und von der Ostküste nach Westen rollten. Über 2000 Meilen (über 3200 Kilometer) und über 30 Stunden reine Fahrtzeit durchqueren wir den Mittleren Westen, das „Heartland“.
Warum es Heartland heisst? „It´s not the brain“, that`s sure“ erklären unsere Freunde.
Die Route 66 – US Highway 66 – ist “the shortest, best and most scenic route from Chicago through St. Louis to Los Angeles”. So bedeutend ist diese Strasse, dass der National Park Service ihr einen Essay widmet.
Einige Teilstücke waren wir auf der Route 40 unterwegs. U.S. Route 40 und U.S. Route 66 teilen sich den Namen “Main Street of America”, beide sind transkontinentale Verkehrsachsen vom den großen Städten im Norden – Chicago – und den Metropolen im Osten nach Westen.
Ab St. Louis beginnt der historische „Wilde Westen“, dessen Bild immer noch stark geprägt ist durch unzählige Western. Diese Eroberung der „unzivilisierten“ Prärien, Wälder, Berglandschaften, Wüsten und Halbwüsten wird stolz und in vielen Geschichten immer wieder erzählt und ist ein Fundament des Selbstverständnisses der meisten US-AmerikanerInnen.
Tagelang durchreisten wir diese wechselnden Landschaften, durch die Erdgeschichte und die Geschichte der USA. Wie einschüchternd müssen diese leeren staubigen Weiten mit den Bergen und Bergzügen auf Europäer gewirkt haben, die aus der viel kleinskaligeren Geographie Europas kamen? Schroffe, oft trockene Landschaften in Ocker, Orange und Rot statt der europäischen Wälder und Wiesen, den kleinen und großen Gewässern sowie den geschäftigen Dörfern und Städten? Nicht nur die staubige, oft wasserlose Halbwüste und Steppe dürfte sie verschreckt haben – dazu kamen noch wilde Tiere wie Bisons oder Wölfe, die im größten Teil Europa längst ausgerottet waren. Und dann auch noch Indianer, die so ganz anders lebten und aussahen.
Dabei gehörte dieses Land den Indianern, gerade in den Great Plains, den großen Ebenen, waren viele Prärieindianer Nomaden und lebten mit und von Bisons. Andere Indianervölker bauten mehrstöckige Gebäude und bestellten das Land. Die Geschichte und Perspektive der Indianer-Völker (First Nations) kommt in den meisten Wild-West-Szenarien oft zu kurz, entlang der historischen Routen 40 und 66 sind die Indian Trading Points wichtige Hinweise. Auch wenn es touristische Shops sind, trifft man dort auf in den Reservaten lebenden Menschen und ihr traditionelles Kunsthandwerk wie Silberschmuck und Lederarbeiten. Gerade der Silberschmuck ist eine schöne Verflechtung von Kultur- und Erdgeschichte – Silber und Halbedelsteine wie Türkis stammen aus den durch eiszeitliche Gletscher aufgerissenen älteren Erdzeitaltern, wo sie in Vulkanschloten auskristallisierten.
Doch dazu später mehr.
Höhlenforschung: Jesse James und der Salamander
In Missouri erwartete uns Aquaplaning, darum war unser Zwischenstop für eine Führung durch eines der vielen Höhlensystem im Kalkgesteins-Untergrund eine richtig gute Idee.
Hillary hatte für uns die Meramec-Höhlen ausgesucht, eine riesige unterirdische Landschaft voller Stalagmiten und Stalaktiten, mit Seen und fantastischen Formationen.
Natürlich wurden sie schon lange von Menschen genutzt, wie präkolumbianische Artefakte belegen.
Leider erzählte unser Guide statt Geologie und Archäologie lieber Histörchen über Jesse James und andere Räuberbanden, die dort einst hausten. Dabei hat Missouri einiges zu bieten – es liegt auf einem 1,1 Milliarden Jahre alten Kraton und ist damit älter als der Kontinent Amerika. Über dem Grundgestein haben sich, wenn Missouri gerade mal wieder am Grund eines Ozeans lag, Kalk-Sedimente abgelagert und später unter Druck immer wieder aufgefaltet. Schließlich hat Wasser über Jahrmillionen hinweg die Höhlungen aus dem weichen Kalksteinsediment ausgewaschen.
Missouri war sowohl im Erdaltertum, als auch Erdmittelalter und der Erdneuzeit immer wieder Meeresboden. Im Präkambrium und Kambrium wuchsen hier im flachen warmen Wasser Algenriffe, die als Stromatolithen fossil erhalten sind. Aus dem Ordovizium ist dann das volle Meeresleben aus verschiedenen Korallen, den geheimnisvollen Graptolithen, Nautilus-Kopffüßern und Panzerfischen überliefert. In der Kreisezeit wurde es Teil des Western Interior Seaway, dem flachen tropischen Meeresarm zwischen dem Labradorarm im Norden und dem Golf von Mexiko im Südosten. Die Meeresbedeckung dauerte bis in die frühe Erdneuzeit, dann wurde Missouri Festland. Während der Eiszeiten hobelten dann Gletscher, die im Missouri-Tal nach Süden vordrangen, die alten Schichten wieder frei.
Diese ganzen Meeresfossilien haben wir leider nicht zu Gesicht bekommen. So war mein persönliches Höhlen-Highlight ein winziger, dürrer oranger Höhlensalamander. Unser Guide hatte ihn entdeckt, und ich wachte dann über das Amphib, damit die nachfolgende Gruppe ihn nicht zertrampelte. Hochheben ließ er sich nicht, da er sich bei der Berührung flach an den Untergrund presste.
(Fortsetzung folgt)