Sind Blauwale im Nord-Pazifik und Nord-Atlantik verschiedene Unterarten?

Blauwale sind mit bis zu 30 Metern Länge und 180 Tonnen Gewicht die größten bekannten Säugetiere, die je gelebt haben. Allerdings hat die gnadenlose Jagd auf sie dafür gesorgt, dass es heute kaum noch solche Giganten gibt. Der Wikipedia-Artikel listet die ehemals und heute gemessenen Balaenoptera musculus-Körperlängen auf – die viel zitierten 30 Meter wurden auch früher nur selten gemessen und die vielzitierte 33-Meter-Walkuh war eine Ausnahme.
Die blauen Giganten leben in allen Weltmeeren und führen gigantische Wanderungen durch: Im Sommer schlagen sie sich in den planktonreichen subarktischen und subantarktischen Ozeanen den Bauch mit fettreichem Krill voll und ziehen dann im Winter in wärmere Gewässer, wo auch ihre Jungtiere geboren werden.
Eine genetische Studie eines Senckenberg-Forschungsteams (Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum) und der Goethe-Universität Frankfurt um Magnus Wolf hat jetzt so erhebliche genetische Unterschiede zwischen Blauwalen des Nordpazifiks und des Nordatlantiks gefunden, dass die Forscher zwei verschiedene Unterarten vermuten.
Das wäre eine wichtige Information für den Schutz dieser riesigen Meeressäuger.
Und es würde mich überhaupt nicht wundern, da dieses Muster unterschiedlicher Unterarten bei immer mehr Walarten nachgewiesen wird – es hat mit ihrer Entwicklung nach der letzten Eiszeit zu tun.

Wikipedia: NOAA Photo Libraryanim1754

Blauwal ist nicht gleich Blauwal

Längst ist bekannt, dass es nicht einfach weltweit eine einzige Blauwalart gibt, heute werden mindestens vier Unterarten aufgeführt.

  • So hatten die Daten japanischer Walfänger schon 1977 zur Beschreibung der Unterart „Zwergblauwal“ geführt – einige Exemplare des Indopazifiks waren signifikant kleiner als ihre Artgenossen (B. m. brevicauda). Dabei werden derzeit drei Populationen unterschieden: Die Madagaskar Population, die Australien/Indonesien Population und die Ost-Australien und Neuseeland-Population.
  • Weiterhin gibt es aktuell eine Nördliche Unterart (B. m. musculus) – die nach den neuen Ergebnissen wohl eher aus zwei Unterarten besteht: Sowohl die geographische Verbreitung als auch die unterschiedliche Akustik und nun noch die genetischen Unterschiede
  • North Atlantic Population– vor Neu-Englang entlang der kanadischen Küste bis Grönland, teils im St. Lorenz-Golf, auch im Sommer. Eine weiter Ansammlung gibt es vor Island und in der Norwegischen See. Außerdem werden Exemplare bis zu den Westindischen Inseln, den Azoren und vor West-Afrika berichtet
  • Eastern North Pacific population – diese Wale fressen in Sommer und Herbst vor allem vor den Küsten von Kalifornien, Oregon, Washington State, vor Alaska und den Aleuten. Im Winter ziehen sie bis vor Mexiko und Costa Rica
  • Central/Western Pacific population – vor der Kamtschtatka Halbinsel, im Winter vor Hawaii, im späten Herbst bis Winter sind einige vor Alaska
  • Northern Indian Ocean subspecies (B. m. indica) – das ganze Jahr über im nordwestlichen Indischen Ozean
  • Antarctic subspecies (B. m. intermedia) – diese Unterart umfasst alle Populationen um die Antarktis. Manche ziehen nach Norden bis in den tropischen Pazifik, den Indik, und bis in vor die südwestliche Küste Australiens und Neuseelands
    (Nach dem, was bei den Orcas gerade herauskommt, würde es mich nicht wundern, wenn sich diese Population als verschiedene Gruppen oder gar Unterarten herausstellen würde. Aber dafür gibt es noch nicht genug Daten – Meertext)

Eiszeit und Evolution

Blauwale gehören zu den schnellen und modernen Balaenoptera-Furchenwalen. Diese Familie ist zwischen 10,5 und 4,98 Millionen Jahren im späten Miozän entstanden. Die ersten anatomisch modernen Blauwale sind mit einem nur teilweise erhaltenen Schädelfossil aus Süditalien überliefert, aus dem frühen Pleistozän und zwischen 1,5 und 1,25 Millionen Jahre alt. Der Zwergblauwal hat sich wohl während des letzten Eiszeit- Maximums als eigene Art abgespalten.
Genetisch am nächsten verwandt sind die Blauwale mit den Seiwalen, außerdem gab es einen Genfluß von Zwergwalen zu den Ahnen der Blau- und Seiwale.

Wie bei den meisten anderen Walarten ist auch diese durch die Eiszeiten mit ihren Vereisungen der Nord- und Südpolar-Ozeane in ihre jetzigen Bestände auseinandergefallen. Als die Gletscher von Norden und Süden weit bis in Richtung Äquator vorrückten, drängten sie die meisten Walarten in die niedrigeren Breitengrade zurück. Nach dem Abtauen der Eismassen sind diese unterschiedlichen Bestände wieder nach Norden und Süden bis in die einzelnen Ozeanbecken vorgedrungen und haben sich dabei getrennt und unterschiedlich weiterentwickelt.
Wolf et al haben die Genome von 33 Blauwal-Individuen aus allen Weltmeeren analysiert und schlagen wegen der signifikante genetischen Unterschiede zwischen den beiden Populationen im Nordatlantik und Nordpazifik die pazifischen Blauwale als eigene Unterart aufzuführen, mit dem Unterartennamen Balaenoptera musculus sulfureus. Blauwale trugen in manchen Gegenden früher den Beinamen „Schwefelbauch“ – in einigen Meeresregionen färbte die gelbliche Algenschicht den eigentlich weißlich-hellgrauen Bauch gelblich, was an die blassgelbe Farbe des chemischen Elements Schwefel (Latein: Sulfur) erinnert. Der Unterartenname würde ihren historischen Spitznamen ehren, wie die Forscher schreiben.

Benennen dürfen die Genetiker ihre neue Unterart nicht: Um die Unterart offiziell zu machen, müssen nun Taxonomen nun nach Unterschieden der Körper und Knochen suchen. Meist werden sie an den Schädeln fündig. Allerdings müssen dafür Balaenoptera-Spezialisten viele der riesigen Schädel minutiös vermessen. Diese werden in unterschiedlichen Museumssammlungen aufbewahrt, von denen nur wenige spezielle Meß-Ausrüstungen für solche Giganten haben. Während man sich Delphinschädel einfach aus Regalen und Schubladen nehmen udn dann allein vermessen kann, ist für solche Riesenköpfe wesentlcih mehr technischer Aufwand gefragt, wie das folgende Photo gut illustriert:

“A blue whale skull measuring 5.8 meters (19 ft)” (Wikipedia; Sklmsta)

Damit sind die neuen genetischen Forschungsergebnisse von Magnus Wolf et al wenig überraschend, sie entsprechen der Verbreitung anderer Wale und ihrer Aufgliederung in Unterarten.
Wal-ExpertInnen hatten das auch für die Blauwale schon länger vermutet – wegen der unterschiedlichen geographischen Verbreitung, Wanderrouten, Körperlängen und Rufe.
Balaenopteridae-Wale produzieren sowohl Gesänge als auch sogenannte D-Calls. Ein neues Wal-Bioakustik-Projekt von NOAA

Die Gesänge sind komplex und dienen wahrscheinlich als Fortpflanzungsinstrument. Männliche Sänger einer Population singen meist sehr ähnlich, außerdem unterstreichen sie Gesänge und Gesangseinheiten mit den gleichen Verhaltensmustern.
Migrationsverhalten und Merkmale des Lebensraums prägen die Unterschiede in der Struktur der Blauwalgesänge verschiedener Populationen: Offshore-Populationen neigen zu einfacheren Gesängen als Populationen, die eher in Küstennähe vorkommen. In Gebieten wie dem Indischen Ozean, wo sich mehrere Populationen vermischen, kann die erhöhte Komplexität der Gesangsstruktur als Ergebnis akustischer Konkurrenz entstehen.

So hören sich Blauwale an:

Hybriden

Blauwale paaren sich immer mal wieder mit Finnwalen, aufgrund ihrer engen Verwandtschaft produzieren sie dabei auch Nachwuchs. Erfahrene WalbeobachterInnen können Blauwale mit ihrem blauen Rücken von Finnwalen mit ihrem auffallend weißen rechten Unterkiefer, der größeren Finne und dem niedrigeren Blas unterscheiden. So gibt es immer wieder Meldungen von Walen, die beide Artmerkmale verbinden.

So sorgte ein 2018 vom isländischen Walfangunternehmen Hvalur, das dem isländischen Multimillionär Kristján Loftsson, getöteter Finn/Blauwalhybride für Aufregung auch in Island. Finnwale sind streng geschützt, ihr Bestand im zentralen Nordatlantik wird auf 25.800 geschätzt. Island betreibt kommerziellen Piratenwalfang, da es ohne Genehmigung weiterhin Finnwale schießt, ohne dies für die Internationale Walfangkommission transparent zu machen – Island ist dort kein Mitglied mehr.
Auch Blauwale sind strengstens geschützt, ihr Bestand wird für den Nord-Atlantik auf nur noch 1000 bis 2000 Tiere geschätzt.
Island tötet jedes Jahr Finnwale und Zwergwale. Blauwale, Buckelwale, Nördliche Glattwale und Grönlandwale hingegen dürfen nicht geschossen werden, wie Artikel 3 und 10 der Isländischen Walfang-Verordnung besagt.

Hybride werden auch aus isländischen Gewässern immer wieder gemeldet:
„Blauwal-Finnwal-Hybriden sind sehr selten. Die isländischen Behörden bestätigen, dass seit 1986 fünf Hybriden von Forschern in den Gewässern um Island identifiziert wurden. Vier davon wurden von isländischen Walfängern getötet. Das fünfte Tier ist ein bei Walbeobachtern im isländischen Husavik bekannter und beliebter Wal. Dieser wurde mit nicht-tödlichen Methoden als Hybrid identifiziert.“
Dieser bei Wal-Touristen beliebte Wal wurde 2018 getötet und genetisch klar als Hybride zugeordnet.
Die große Frage beim 2018 geschossenen Finn-Blauwal-Abkömmling lautete: Wenn der Abschuss eines Blauwals illegal ist, wie ist dann der juristische Schutz für einen Halb-Blauwal? Leider kam das Icelandic Marine and Freshwater Research Institute zu dem Standpunkt, dass ein Blauwal-Finnwal-Hybride keinen Schutzstatus habe und der Abschuß darum nicht illegal war.

Unterarten und Walschutz

Der industrialisierte kommerzielle Walfang des Im 20. Jahrhunderts hat gerade die ikonischen Blauwale an den Rand der Ausrottung gebracht.
Die ältesten heute lebenden Exemplare sind schätzungsweise 110 Jahre alt (Wie man das Alter von Bartenwalen aus abgelagertem Ohrschmalz und Proteinen des Auges bestimmt, hatte ich hier näher beschriebenMeertext).
Lebewesen, die so alt werden und so groß sind, pflanzen sich nur langsam fort.  Bis heute erholt sich diese Art nicht, sie steht weiterhin auf der Roten Liste der vom Aussterben bedrohten Tierarten.

„Aus genetischer Sicht bedeutet so ein dramatischer Rückgang von Individuen, dass sich auch die genetische Vielfalt innerhalb der Blauwalpopulationen verringert. Dies verstärkt in der Folge die Effekte von Inzucht, da schädliche Mutationen sich nun stärker ausprägen als vorher“, erklärte Dr. Magnus Wolf in der Pressemitteilung.
Um die allgemeine genetische Gesundheit von Blauwalen ist es ambivalent bestellt: „Obwohl wir häufige Anzeichen von Inzucht und eine allgemeine Reduktion der genetischen Vielfalt gefunden haben, haben sich die untersuchten Blauwale eine hohe genetische Varianz erhalten, was eine gute Nachricht für das Überleben dieser Giganten ist“, erläutert Seniorautor Axel Janke.

Der aktuelle Blauwalschutz – der Recovery Plan for the Blue Whale (Balaenoptera musculus)geht bereits von mehreren Unterarten, die auch jeweils einen eigenen Management-Plan haben.Für jede Population gelten neben internationalen die zusätzlichen nationalen und regionalen Schutzmaßnahmen, die auch regelmäßige Datenerhebungen durch Surveys, Strandungsdaten und andere Forschungsprojekte beinhalten.

Publikation

Wolf, M., de Jong, M.J. and Janke, A. (2025), Ocean-Wide Conservation Genomics of Blue Whales Suggest New Northern Hemisphere Subspecies. Mol Ecol, 34: e17619.
https://doi.org/10.1111/mec.17619

Bettina Wurche in Portsmouth

Veröffentlicht von

https://meertext.eu/

Auf dem Science-Blog „Meertext“ schreibe ich über meine Lieblingsthemen: Biologie, Zoologie, Paläontologie und das Meer. Wale, Fische und andere Meeresgetüme. Tot oder lebendig. Fossile Meere, heutige Meere und Meere der Zukunft. Die Erforschung, nachhaltige Nutzung und den Schutz der Ozeane. Auf der Erde und anderen Welten. Ich berichte regelmäßig über Forschung und Wissenschaft, hinterfrage Publikationen und Statements und publiziere eigene Erlebnisse und Ergebnisse. Außerdem schreibe ich über ausgewählte Ausstellungen, Vorträge, Bücher, Filme und Events zu den Themen. Mehr über meine Arbeit als Biologin und Journalistin gibt´s auf meiner Homepage “Meertext”.

4 Kommentare

  1. Wir haben so wenige Wale, da sollte jeder Abschuss untersagt sein. Aber die Wirtschaft hat halt mehr Geld für Lobbyarbeit als Wissenschaft und gesunder Menschenverstand.

    • @Sascha: Sehe ich auch so, ebenso wie mittlerweile recht viele IsländerInnen. In diesem Fall geht es weniger um Gewinn, sondern ums Prinzip für einen reichen alten Sack, seine blutige Tradition mit Gewalt weiter durchzusetzen. Das Walfleisch ist auf Island kaum verkäuflich und darf wegen CITES-Vorschriften nur in wenige Länder exportiert werden. Aber der Reeder will den ganzen Walkuschlern halt zeigen, wo der Hammer hängt. Dabei ist es längst Image-schädigend für Island.
      Eine Menge Leute hatten gehofft, dass er wegen des nicht-existenten Gewinns den Walfang aufgeben würde, das war aber leider nicht der Fall.

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