Schützen russische Marine-Delphine die russische Flotte in Sewastopol?

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Diesen Beitrag schrieb ich 2022 anläßlich eines Tweets des US-amerikanischen Journalist und Marine-Experten H I Sutton. Er hatte auf Satellitenbildern des europäischen Erdüberwachungssatelliten Sentinel 2 vom Marinestützpunkt in Sewastopol Strukturen im Wasser gefunden, die wie Delphingehege aussehen. Er schrieb am 27. April 2022 auf USNI-News, dass die russische Marine bereits im Februar zu Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine zwei Delphingehege auf den Stützpunkt verlegt hatte. USNI News (U.S. Naval Institute) ist ein unabhängiges Nachrichtenportal.

Dieser Tweet von H I Sutton zeigt die Satellitenaufnahme:

Ich halte seine Schlußfolgerungen für plausibel, habe aber bislang keine 2. Quelle zur Bestätigung gefunden.

Dass die die sowjetische Flotte im Schwarzen Meer Marine-Delphine hielt, ist bekannt. Nach dem Zerfall der Sowjetunion fielen diese Delphine an die Ukraine. Aufgrund ihres teuren Unterhalts mussten sie bald ihr Geld als Therapie-Delphine verdienen.

Große Tümmler (Tursiops truncatus) werden von verschiedenen Staaten als Marine-Helfer genutzt, vor allem zur Abwehr feindlicher Taucher und zum Aufspüren von Minen. Normalerweise werden sie als Gruppe eingesetzt und haben am Einsatzort ein eigenes Gehege. Zwei solcher Gehege für also zwei solcher Delphingruppen hat H I Sutton auf den Satellitenbildern gefunden.
Der Hafen von Sebastopol an der Südspitze der Krim ist von zentraler strategischer Bedeutung für Rußland. Seit dem Überfall auf die Ukraine ist der Hafen wieder in russischer Hand, dort ankern viele russische Kriegsschiffe der einst legendären Schwarzmeerflotte (Seit dem Untergang des topmodernen Raketenkreuzers Moskwa gehört der Ruhm ja eher der Vergangenheit an).

Das Sewastopol-Programm wurde 2012 von der ukrainischen Marine wiederbelebt, aber nach der Invasion der Krim fielen die Meeressäuger 2014 wieder in russische Hände. Die Ukraine forderte erfolglos die Rückgabe der Tiere, und RIA Novosti berichtete, dass Moskau plane, das Programm auszuweiten. „Unsere Spezialisten haben neue Geräte entwickelt, die die Unterwasser-Sonarerkennung von Zielen durch Delfine in ein Signal an den Monitor des Bedieners umwandeln. Der ukrainischen Marine fehlten die Mittel für solches Know-how, und einige Projekte mussten eingemottet werden“, zitiert Sutton eine nicht näher benannte Quelle der russischen Nachrichtenagentur. Zwei Jahre später kündigte die russische Marine Pläne an, fünf weitere Delfine zu kaufen, und startete ein Bieterverfahren für einen Vertrag über 1,75 Millionen Rubel – etwa 21.000 US-Dollar – zur Lieferung von Delfinen an die Basis in Sewastopol bis Ende des Sommers. Es ist unklar, ob die Delfine, von denen angenommen wird, dass sie sich heute in Sewastopol befinden, dieselben sind, die aus diesem Vertrag hervorgegangen sind. Satellitenbilder aus dem Jahr 2018 zeigten, dass Russland während des Syrienkrieges auch Delfine auf seinem Marinestützpunkt in Tartus, Syrien, einsetzte. Soweit Suttons Bericht.

Die russische Marine hat neben Großen Tümmlern auch trainierte Seehunde und Belugas, die für den Einsatz in kalten Gewässern geeignet sind, als Große Tümmler. Große Tümmler sind robuste und größere Delphine mit ganz schön großen Zähnen. Die großen grauen Delphine mit dem kurzen breiten Schnabel werden je nach Herkunft zwischen 1,90 und 4 Metern lang und wiegen zwischen 150 und 300 Kilogramm, einige ausgewachsene Bullen können aber auch 650 Kilogramm wiegen.
Ein Zahnwal, der so groß wie ein Mensch ist, hat also einen viel massiveren Körper. Durch seine hydrodynamische Anpassung ist er ohnehin jedem Menschen im Wasser überlegen. Sein Gewicht und die Fähigkeit zur Beschleunigung aus dem Stand sowie zum Abbremsen mit einem Schlag der Schwanzflosse würden ihn zu einem übermächtigen Gegner machen. Mit seinem perfekten Zahnwal-Sonar, das jedem menschengemachten Sonar weit überlegen ist, kann er auch „Freund“ und „Feind“ unterscheiden. Schiffe der eigenen Marine sollen unter Wasser Metallplaketten tragen, die überstrichen und für Menschen unsichtbar sind. Ein Delphinsonar hingegen entdeckt sie zuverlässig. „Freundliche“ Taucher werden ähnliche Markierungen tragen, so sind Verwechslungen ausgeschlossen.

Ich kann mir gut vorstellen, dass sie auch Gegenstände tragen können und unter Wasser auf einen Taucher viel Eindruck machen. Sowohl Rammstöße mit dem Schnabel als auch kräftige Bisse können Schweinswale töten (was gerade größere Delphinbullen etwa vor der schottischen Küste regelmäßig tun). Es gibt allerdings keinen einzigen echten Beleg dazu, dass irgendeine Marine der Welt jemals Delphine als „Killer“ eingesetzt hat.
Welche Staaten Meeressäuger als Marinehelfer einsetzen, hatte ich hier zusammengefasst.

Ob die jetzt entdeckten Delphine aus dem Bestand der ehemaligen Schwarzmeerflotte stammen und im Schwarzen Meer akklimatisiert sind oder aus einer anderen Region kommen, wäre eine wichtige Information über ihre Einsatzfähigkeit. Jedes Gewässer hat seine eigene Temperatur und eigenen Salzgehalt sowie seine eigenen Mikroorganismen. Werden Wale in ein anderes Gewässer gesetzt, müssen sie sich erst akklimatisieren. So sollen im Golfkrieg eingesetzte Delphine der US Navy große Probleme mit Hautkrankheiten gehabt haben – in den warmen Gewässern bekamen sie Pilzinfektionen.

Insgesamt erscheint es mir, als ob Delphine als Geheimwaffe oft überschätzt werden. Ihre quasimystische Aura als unüberwindliche intelligente Geheimwaffe dürfte doch zu einem gewissen Teil aus Propaganda bestehen. Angesichts der Tatsache, dass die glorreiche russische „Moskwa“ nach dem Einschlag von ein bis zwei ukrainischen Raketen offenbar in Brand geriet, es daraufhin zu Explosionen in den Waffenmagazinen kam und der 180 Meter lange Stolz der Marine dann bei nur Windstärke 4 gesunken ist, hat die russische Marine etwas positive Propaganda sicherlich sehr nötig. Vor allem, wenn man bedenkt, dass der größte Teil der Besatzung dabei höchstwahrscheinlich nicht überlebt hat (zumindest sind die Seeleute und Soldaten seitdem nirgendwo wieder aufgetaucht).

Im Februar 2022 hatte die Hamas behauptet, ein israelischer „Killer-Delphin“ habe einen Hamas-Taucher angegriffen. Die israelische Marine hat zwar tatsächlich Delphine, aber die Hamas ist als Quelle wenig glaubwürdig. Ein ägyptischer Politiker hatte 2012 auch behauptet, dass die Israelis Killer-Haie zur Störung des Touristen-Verkehrs einsetzt, dann beschuldigte die Türkei einen israelischen Geier der Spionage. Offenbar trauen Israels Nachbarn den Israelis sehr viel zu, egal, wie hanebüchen es sich anhört. Solche Behauptungen fügen sich jedenfalls nahtlos in die üblichen antisemitischen und antizionistischen Verschwörungsmythen ein, die über Israelis und Menschen jüdischen Glaubens verbreitet werden (Hier mehr zu den angeblichen „zionistischen Killerdelphinen“).

Der Beluga Hvaldimir, der im Mai 2019 mit einem Brustharnisch aus russischer Produktion bekleidet vor der norwegischen Küste auftauchte und dort Anschluß suchte, war kein Marine-Wal, sondern stammte aus einem russischen Freizeitpark. Dort war er verletzt aufgenommen worden und nach seiner Gesundung u. a. für Kinderprogramme eingesetzt worden, dort hieß er Semjon (Stand 2022, mittlerweile gibt es andere Stimmen).
Er hatte sich vor Hammerfest an Fischer „angelehnt“, und war offenbar dringend auf der Suche nach menschlicher Gesellschaft. Die Fischer und der Fischereiinspektor Jörgen Wiig hatten ihn von dem Brustgeschirr befreit und er war ihnen dann in den Hafen von Hammerfest gefolgt. Ich hatte dazu einige der beteiligten Norweger interviewt, meine Infos waren also aus erster Hand.
Von russischer Seite kam zu diesem Wal allerdings nie ein offizielles Statement.

Dass Hvaldimir jetzt wieder von H I Sutton und anderen Medien als Marinewal bezeichnet wird, entsprach 2022 nicht der Faktenlage. Darum bin ich nicht sicher, wie belastbar seine Recherche im vorliegenden Fall ist.
Falls jemand eine zweite Quelle für den Einsatz russischer Marine-Delphine gefunden hat, würde ich mich über eine Zuschrift freuen. Soweit ich gesehen habe, beziehen sich alle Medienberichte auf Suttons Bericht in den USNI News (U.S. Naval Institute).

Update:
Ich habe mit H I Sutton eben gechattet und dann auf Google Earth selbst gesucht – ich finde keine Delphingehege:

Hafenmole in Sewastopol, vor der vor wenigen Tagen Delphingehege beobachtet wurden

Diese Aufnahme ist ein Screenshot der Hafenmole in Sewastopol und zeigt den gleichen Bildausschnitt wie H I Suttons Aufnahme.
Das Nichtvorhandensein der schwimmenden Delphingehege lässt verschiedene Schlußfolgerungen zu.
Sie könnten verlegt worden sein, ich habe sie allerdings nicht gefunden.
Vielleicht findet jemand anders sie wieder?

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Auf dem Science-Blog „Meertext“ schreibe ich über meine Lieblingsthemen: Biologie, Zoologie, Paläontologie und das Meer. Wale, Fische und andere Meeresgetüme. Tot oder lebendig. Fossile Meere, heutige Meere und Meere der Zukunft. Die Erforschung, nachhaltige Nutzung und den Schutz der Ozeane. Auf der Erde und anderen Welten. Ich berichte regelmäßig über Forschung und Wissenschaft, hinterfrage Publikationen und Statements und publiziere eigene Erlebnisse und Ergebnisse. Außerdem schreibe ich über ausgewählte Ausstellungen, Vorträge, Bücher, Filme und Events zu den Themen. Mehr über meine Arbeit als Biologin und Journalistin gibt´s auf meiner Homepage “Meertext”.

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