Saure Zeiten für die Ozeane – bis in die Tiefe
BLOG: Meertext
Über die Versauerung des Ozeans wird immer wieder geschrieben. Allerdings hört sich das so abstrakt an, dass die katastrophalen Ausmaße nicht einfach zu erfassen sind. De facto kann zu viel gelöstes Kohlendioxid nicht nur ein Seestern-Außenskelett oder Koralllen auflösen, sondern auch Fischschuppen korrodieren, selbst Haie sind dagegen nicht gefeit. Außerdem ist davon Plankton mit Kalkschalen betroffen, wie etwa die Massen von planktischen Kalkalgen (z. B. Coccolithophoriden), schwebenden Schnecken wie Limacina und andere Miniaturwesen. Coccolithophoriden kommen in solchen Massen vor, dass sie gesteinsbildend sind – z B in den Kreidefelsen vor Rügen – und planktische Schnecken werden tonnenweise von Bartenwalen eingeschlürft. Kein Wunder, dass das AWI (Alfred Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung) die Ozeanversauerung den bösen Zwilling der Ozeanerwärmung nennt, das fiese Paar wurde geboren aus dem menschengemachten industriellen CO2-Ausstoß.
Noch viel seltener wird darüber berichtet, dass sich auch in der Tiefsee eine saure Zone weiter ausbreitet. In den tiefsten Tiefen der Ozeane, unter 4000 Metern Tiefe, herrscht eine Kombination aus sehr hohen Drücken, niedrigen Temperaturen und hoher Kohlenstoffdioxid-Konzentration. Es gibt eine Grenzschicht, ab der die Karbonatlösung den Karbonateintrag kompensiert, die sogenannte Karbonatkompensations-Tiefe (carbonate compensation depth, CCD). Die Karbonatlösung beginnt zwar schon darüber, unterhalb der sogenannten Lysokline. Aber ab der CCD hat Kalziumkarbonat keine Chance mehr. Da der Meeresboden in der Tiefe in vielen Arealen aus ausgedehnten Ebenen besteht, bedeutet das, dass das Aufsteigen der Lysokline um mehrere Meter saure Bereiche gleich stark ausdehnt.
Mark John Costello (Professor in Marine Biology, Nord University, Norwegen) und Peter Townsend Harris (Adjunct Professor in Marine Geology, University of Tasmania) hatten 2023 gemeinsam mit anderen Wissenschaftlern den Zusammenhang von Versauerung, Meeresbodenmorphologie und dem Anstieg der CCD publiziert und die Ergebnisse jetzt für ein breiteres Publikum in The Conversation beschrieben (mit sehr guten Abbildungen).
Die CCD ist seit Beginn der Industrialisierung durchschnittlich um 98 Meter angestiegen. Damit ist der unterhalb der CCD liegende Meeresboden innerhalb der letzten 200 Jahre um 3.6 % gewachsen. Wegen der unterschiedlichen Meeresbodenmorphologie in verschiedenen Meeren und Meeresgebieten liegt die CCD in unterschiedlichen Tiefen und steigt unterschiedlich stark auf. Am stärksten ist dies im westlich-äquatorialen Atlantik, dort liegt sie heute 300 Meter höher.
Heute sind 41% der globalen Ozeane unterhalb der CCD. Costellos und Harris` Ergebnisse deuten darauf hin, dass diese Grenze zukünftig weiter aufsteigen wird. Weitere 300 Meter würden dann schon 51% der globalen Ozeane betreffen. Das bedeutet, dass auf Millionen von Quadratkilometern des Meeresbodens kalkige Sedimente und Strukturen chemisch instabil werden, korrodieren und sich schlimmstenfalls ganz auflösen. An solchen Stellen können Tiere mit kalkigen Außenskeletten nicht mehr leben, ganze Tiergruppen sind dort nicht existenzfähig.
Im vergangenen Jahr hatte eine internationale Arbeitsgruppe aus Tiefseeexperten auf der Basis einer gigantischen Datenmenge erstmals auch gezeigt, dass die CCD auch eine biologische Grenze ist, die mit unterschiedlichen Lebensräumen darüber und darunter. Gleich ein ganzes Team renommierter Tiefseebiologen (von denen ich schon so einige interviewt habe und deren Publikationen ich folge) hat im vergangenen Jahr Daten aus der Erforschung der Clarion Clipperton Zone (CCZ) im nordöstlichen Pazifik ausgewertet: Oberhalb der CCD sind die häufigsten Meeresbodenbewohner Weichkorallen, Schlangensterne, Muscheln, Schnecken, Käferschnecken (Chiton) und Moostierchen, die alle alle kalkige Schalen oder Skelette haben. Unterhalb der CCD waren eher Seeanemonen, Seegurken und Oktopusse zu finden, die keine kalkigen Stützelemente haben oder sie tiefer im Körper, geschützt durch weiches Gewebe, tragen.
Die CCZ ist in den letzten Jahrzehnten stärker erforscht worden, weil sie das Zielgebiet für Tiefseebergbau ist. Der Schatz an Polymetallknollen macht dieses Areal zu einem besonders stark besiedelten Lebensraum, da viele Tiefsee-Organismen einen festen Untergrund zum Verankern brauchen oder sich darin verstecken. So sind diese bräunlichen Klumpen voller Mangan, Kobalt und anderer Metalle ein einzigartiger Lebensraum für sehr viele Arten und gleichzeitig eine Bonanza für die rohstoffhungrige Menschheit.
Dass die abyssalen Meeresgründe und ihre unterschiedlichen Ökosysteme mehr als 60% der Erdoberfläche bedecken, wissen die meisten rohstoffhungrigen Menschen nicht. So ist diese Rohstoffexploration in der lichtlosen Tiefe gleichzeitig ein großes Glück, da nur so ihre durch Spezialschiffe teure Erforschung finanzierbar wird, während gleichzeitig bereits ihre großflächige Zerstörung absehbar ist. Wegen des durch Kälte und Nahrungsmangel langsamen Wachstums der Tiefseetiere würde ihre Wiederbesiedlung mindestens Tausende von Jahren dauern, sofern sie überhaupt erfolgt.
Da die Ozeane im Zuge der Erwärmung und des stetig sinkenden Sauerstoffgehalts ohnehin gerade viele Arten verlieren, ist die fortschreitende Versauerung immer größerer Bereiche eine zusätzliche Bedrohung und wird weitere Verluste von Arten und Ökosystemen nach sich ziehen.
Der bewohnbare Bereich für die vielen kalkigen Organismen wird zwischen dem sauren CO2-Eintrag aus der Atmosphäre in die Meeresoberfläche und der von unten aufsteigenden „sauren Grenze“, der CCD, „squeezed“, also zunehmend eingequetscht.
Aufgrund der unterschiedlichen Tiefe der CCD und dieser Vorgänge sind unterschiedliche Staaten und ihre exklusiven ökonomischen Zonen (EEZ) unterschiedlich betroffen. Am stärksten wird dieses Problem ozeanische und Inselstaaten treffen. Besonders hart wird es Bermuda treffen, bei weiterem Anstieg der CCD befürchten Wissenschaftler, dass schließlich 68% des Meeresbodens betroffen sein wird. Dass dadurch für viele Meerestiere wichtige Nahrungsquellen wegfallen und die Meeresproduktivität signifikant sinkt, wird Meeresressourcen wie Fische, die gerade in ärmeren Ländern viele Menschen ernähren, regional verringern.
Die beiden Meeresforscher beenden ihren The Conversation-Artikel mit der Bemerkung, es sei bemerkenswert, dass immerhin 41% der Tiefsee bereits betroffen sind, was bis zum Ende des Jahrhunderts noch auf 50% ansteigen kann und dass die erste Studie, die diese Effekte auf das Meeresleben klar aufzeigt, erst letztes Jahr veröffentlicht wurde.
Da kann ich ihnen nur zustimmen.
(Falls hier noch Bedarf an Informationen zum Tiefseebergbau und der CCZ besteht, kann ich dazu gern noch mal einen Übersichtsartikel zusammenstellen. Aber vielleicht ist es mittlerweile durch genügend Presseberichte weitgehend bekannt)