Pottwal-Strandung vor Sylt
BLOG: Meertext

Vor Sylt wurde ein 16 Meter langer Pottwal-Bulle vor Hörnum angespült. Muschelfischer hatten den Kadaver nach Hörnum geschleppt. Der NDR-Beitrag ist gut und bringt alle wesentlichen Fakten korrekt nach Stand der Wissenschaft:
– Pottwal-Bullen stranden halt gelegentlich aus natürlichen Ursachen auch in der Nordsee
– große Wal-Kadaver müssen vorsichtig untersucht und entsorgt werden
– gerade aufgegaste Kadaver können aufplatzen (bzw. “explodieren”)
Mehr Background-Wissen, woher er kommt, warum Pottwalbullen in der Nordsee stranden und was mit diesem Walkadaver nun weiter passiert, erzähle ich Euch gern hier auf Meertext.

Knackige Kälte im Februar – typisches Pottwal-Wetter!
Die Bullen dieser Art stranden fast immer in den kalten Monaten, zwischen November und Ende Februar.
Dann wandern die Bullen aus den subarktischen Freßgründen nach Süden, zu den Weibchen-Kind-Gruppen in wärmeren Gewässern. Dabei verirren sie sich manchmal – in der tiefen Norwegischen Rinne beigen sie nicht rechtzeitig ab, in die offene Nordsee, sondern gerade zu tief nach Süden und schließlich in flaches Wasser. In immer flacherem Wasser und mit zunehmendem Schiffsverkehr ist ihr Schicksal meist besiegelt.
Viel mehr Details hatte ich bei der letzten größeren Pottwalstrandung im Humber-Delta zusammenengestellt.
Große erwachsene Bullen wandern oft allein, sie stranden dann auch allein. Jüngere Bullen ziehen oft gemeinsam als Bachelor-Gruppe, sie stranden dann auch gemeinsam. Oft werden alle paar Tage weitere Tiere an Nordseestränden entlang ihrer Route in die Irre angespült. Ich hoffe sehr, dass es diesmal nicht dazu kommt – wenn diese Leviathane hilflos am Strand liegen, überkommt mich immer tiefe Trauer.
Solch ein aufgegaster Kadaver muss sehr vorsichtig gehandhabt werden, sonst entladen sich die Gase explosionsartig. Die starke Gasbildung liegt daran, dass Wale ja eine sehr dicke Blubbelschicht haben, die den Körper perfekt isoliert. Da nach dem Tod eines Tieres im Innern weiterhin Bakterien leben und “arbeiten”, kommt es extrem schnell zu extrem starker Fäulnis mit Gasbildung. Da wegen der Blubberschicht innen alles schön warm bleibt, steht der Kadaver bald wie Ballon unter Gasdruck. Wale haben ein extrem starkes Bindegewebe, das dem Druck erstmal widersteht. Wenn die Hülle dann platzt – fast immerram Rücken Walkadaver – wird extremer Druck frei, der die teils verflüssigten Eingeweide und große Placken kiloschwerer Blubber- und Muskulaturstücke sehr hoch und weit hervorsprudelt. Sie können nicht nur Motorräder und Autos beschädigen, sondern sind auch eine potenzielle Gefahr für Menschen. Außerdem haftet ihr Geruch für ein bis zwei Wochen an allem und lässt sich auch durch extremes Duschen und Waschen erst allmählich wieder entfernen. In der Nase hat man ihn ohnehin länger.
https://www.youtube.com/watch?v=7X0hq0ug9q4
Der vor Oregon explodierte Pottwal ist sogar in die Oregon Encyclopedia aufgenommen worden, offenbar gehört der Vorgang zum Kulturerbe:
Darum ist es eine gute Entscheidung, den toten Wal vor Hörnum erst einmal zu zerlegen, dabei werden sicherlich auch alle Masse und Proben zur wissenschaftlichen Dokumentation genommen. Dann lassen sich auch Angaben zur Todesursache machen. Bei den lebend gestrandeten Tieren ist klar, dass Hitzestreß und ihr eigenes Gewicht zum Tod führen, dann wäre die Strandung selbst die Todesursache. In den letzten Jahren kam allerdings vermehrt auch Plastik als Gesundheitsproblem dazu: In unseren mit Plastikmüll verseuchten Ozeanen nehmen auch Pottwale immer häufiger Kunststoff-Müll mit oder statt der Nahrung auf. Darum ist es nur eine Frage der Zeit, bis im Magen angereichertes Meeresplastik auch bei Pottwalen direkt zum Tod führt – es sorgt für Entzündungen im Verdauungstrakt und füllt den Magen, bis der Wal schließlich verhungert.
An einem kalten Februartag vor langer Zeit habe ich mal bei so einer Pottwalstrandung auf Norderney geholfen. Wir alle waren hin- und hergerissen von der unglaublichen Faszination, solch ein Tier in voller Lebensgröße zu sehen und der Traurigkeit, dass hier ein langes Leben hilflos und unrühmlich zu Ende gegangen war, am schmoddrigen Strand von Norderney.
Pottwale stranden seit über 500 Jahren an den Nordsee-Küsten, so lange sind die angespülten Leviathane schon auf historischen holländischen Stichen abgebildet. Dass es in den vergangenen Jahrzehnten häufiger vorkommt, könnte auch daran liegen, dass ihr Bestand sich nach Jahrzehnten der erbarmungslosen Bejagung allmählich erholt.
Morderney ist im Zusammenhang mit einem toten Pottwal auch ein netter Schreibfehler.
Ansonsten, danke für die Einordnung, immer wieder interessant.
Lol, Moderney sprang mir auch sofort ins Auge.
Warumnur sitzen N und M auch direkt nebeneinander auf dem Keyboard? 😉
@RPGNo1: Böse Tastatur! Jetzt sind auch die Videos ergänzt
@JW: Hmpf. Danke : )
Eine Folge von “Wilsberg”, die statt in Münster auf Norderney spielt, wo natürlich prompt ein Mord geschieht, hieß auch mal so.
https://de.wikipedia.org/wiki/Wilsberg:_Morderney
“dass ihr Bestand sich nach Jahrzehnten der erbarmungslosen Bejagung allmählich erholt.”
Immerhin.
“Außerdem haftet ihr Geruch für ein bis zwei Wochen an allem und lässt sich auch durch extremes Duschen und Waschen erst allmählich…”
Wie ist das dann erst bei Häuserwänden, vermutlich muß man die generalsanieren?
@DH: Dürfte davon abhängen, ob das Haus aus Holz oder Stein ist und wieweit verflüssigte Substanzen eines verrotteten Wals einsickern und wieweit die Wand Wind und Wetter ausgesetzt ist 🙂
Berüchtigt ist auch die Explosion eines Pottwalkadavers in Taiwan. Dies geschah, als man versuchte, den Kadaver vom Strand zum Geländer der Universität zu transportieren. Es war wohl keine so gute Idee, den Weg durch die Stadt zu wählen.
https://www.youtube.com/watch?v=sD3uzkIQNEA
@Michael Khan: Ja, das ist such klasse. Ich dachte mir, dass das wahrscheinlich auch schon jede/r kennt : )
Obwohl solch ein Aufplatzen doch eigentlich wesentlich häufiger passieren sollte, gibt es leider nicht sehr viele verschiedene Videos
https://www.n-tv.de/mediathek/videos/panorama/Experten-zerlegen-vor-Sylt-verendeten-Pottwal-article25573419.html
Nach dem Pottwal nun ein Buckelwal. Dieser ist an der ostfriesischen Insel Minsener Oog (bei Wangerooge) entdeckt worden.
https://www.spiegel.de/panorama/nordsee-toter-buckelwal-auf-minsener-oog-gestrandet-a-9299f6d6-c4d2-42be-8f0e-18080587382c
https://www.spiegel.de/panorama/gestrandet-nahe-wangerooge-toter-buckelwal-ist-unterernaehrtes-jungtier-a-50ccf9e6-4d36-4b29-9447-3588f3f9baf9
@RPGNo1: Oje, der war aber wirklich noch ein Kälbchen. Wale stecken wie alle Wildtiere bis zum Stehkragen voller Parasiten, Darmparasiten sind also völlig normal. Die Parasitenlast kann allerdings für geschwächte und hungernde Tiere, wie diesen jungen Wal, ein größeres Problem werden.
https://www.spiegel.de/panorama/sylt-wal-spezialist-loest-fleischreste-vom-unterkiefer-a-7f025790-0872-424b-b704-9f6c47ad32e2
https://www.t-online.de/heim-garten/garten/tiere/id_100650520/pottwal-kadaver-vor-sylt-experten-decken-todesursache-auf.html
@RPGNo1: Danke! Das ist dann leider die übliche Todesursache, wenn Pottwale sich in die Nordsee verirrt haben. Im zunehmend flacheren und engeren Gewässer haben sie leider kein Chance, Schlick und Tidenhub geben ihnen dann den Rest : (