Neuseeland: Seltener Bahamonde-Schnabelwal angespült

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Der schlanke Wal hat einen langen Schnabel, auf den ersten Blick sieht er aus, wie ein zu groß geratener Delfin. Der tote Meeressäuger wurde gerade an einen Strand in Neuseeland angespült und ist eine Sensation. Er ist ein Zweizahnwal aus der Familie der Schnabelwale – bisher einer der am seltensten nachgewiesenen Wale der Welt: der Bahamonde-Zweizahnwal Mesoplodon traversii.
Da dieser Wal erst vor Kurzem verstarb, sind die neuseeländischen WissenschaftlerInnen begeistert. Dieser Bote der Hochsee lebt eigentlich weit vor den Küsten, lebendig hat ihn noch niemand gesehen. Seine Beschreibung als neue Art ist erst 2012 auf der Basis einiger ebenfalls gestrandeter Exemplare und einiger Schädel und Skelette in Museumssammlungen vorgenommen worden.
Diese Wale haben eine wilde Entdeckungsgeschichte hinter sich.
Aufgrund seiner extrem langen Küstenlinie im ansonsten abgelegenen und wenig erforschten Pazifik werden an Neuseelands Küsten sehr viele Wale angespült, darunter allein 13 Arten Schnabelwale.
Zweizahnwale leben wie alle Schnabelwale vor allem in großen Wassertiefen bis unter 1000, oder gar 2000 Metern Tiefe, wo sie vor Orcas, ihren Todfeinden sicher sind. Sie ziehen meist in Gruppen umher und jagen vor allem Kalmare.

Die wilde Entdeckungsgeschichte von Mesoplodon bahamonde

Schnabelwale der Gattung Mesoplodon sind nur von Experten zu bestimmen. Viele Arten sehen sich äußerlich zum Verwechseln ähnlich. Das wichtigste und offensichtlichste Unterscheidungsmerkmal sind die beiden Zähne im Unterkiefer, die nur bei erwachsenen Männchen durchbrechen. Bei Weibchen und Jungtieren bleiben die Zähne jedoch im Zahnfleisch verborgen.
Abgesehen von den Zähnen kann die Artzugehörigkeit dieser Wale nur von ebenfalls erfahrenen Spezialisten über kleine Details des Schädels bestimmt werden. Als 2010 an der neuseeländischen Küste ein Weibchen und ihr Jungtier gestrandet waren, wurden die beiden zahnlosen Geschöpfe zunächst als Camperdown-Wale (Mesoplodon grayi) bestimmt.
Neben der Schädelanalyse kann die Art auch über eine DNA-Analyse bestimmt werden. als die Wissenschaftler die DNA dieser Wale entzifferten, stellte sich heraus, dass es keine Camperdown-Wale waren, sondern sie die gleiche DNA wie ein einzelner Schädel der Sammlung hatten.

Diese Mesoplodons sind so seltene Funde, dass sie in Museen gut dokumentiert sind: 1873 fand James Hector auf Pitt Island (Neuseeland) einen Unterkiefer, den er in Wort und Bild dokumentierte – fälschlich als Mesoplodon layardi (Nach Hector ist übrigens auch der Schnabelwal Mesoplodon hectori benannt worden, aber das ist eine andere Geschichte). Im darauf folgenden Jahr publizierte John Edward Gray die wissenschaftliche Beschreibung des Kiefers, erkannte darin eine noch unbekannte Art und benannte sie nach Henry Hammersley Travers: M. traversii.
Um 1950 wurde dann auf White Island (Neuseeland) noch ein Schädel ohne Unterkiefer (= Calvarium) gefunden, der später irrtümlich dem Gingko-Zweizahnwal (M. gingkodens) zugeordnet wurde.
1986 wurde ein beschädigter Schädel ohne Unterkiefer in Chile auf Robinson Crusoe Island angespült und von van Helden und Kollegen 1995 als neue Art beschrieben: Mesoplodon bahamondi – Bahamonde’s Zweizahnwal. Mit der Namensgebung ehrten sie den Chilenischen Meeresbiologen Prof. Dr. Nibaldo Bahamonde, “teacher and friend to an entire generation of Chilean marine scientists.” Er gründete auch die meeresbiologische Station auf der Robinson Crusoe-Insel.
In diesem Fall wurde allerdings wenig später klar: Der Schädel gehörte gar nicht zu einer neu entdeckten Art, sondern zu dem schon 1874 beschrieben Tier. Darum war der Name M. bahamondi ungültig und M. traversii gültig. So schreiben es die Regeln der internationalen Nomenklaturkommission vor – 2003 schrieben Van Helden und Kollegen die Richtigstellung. Zumindest im deutschen Populärnamen bleibt der Wal aber Nibaldo Bahamonde gewidmet (Danke, Frank, für die Recherche!).

Im Dezember 2010 strandeten zwei Schnabelwale am Strand von Opape, Bay of Plenty, Neuseeland. Das 5,3 m lange Weibchen und das 3,5 m lange junge Männchen wurden von Mitarbeiterinnen des New Zealand Department of Conservation photographiert, beprobt und zunächst als Gray´s Schnabelwale (Mesoplodon grayi) einsortiert.
Erst durch die genetische Analyse wurde klar, dass sie zur gleichen Art wie van Heldens Fund gehören. Das sind selbst für eine seltene Walart extrem wenige Nachweise, darum titulierten Thompson und Kollegen M. traversii in ihrer 2012 erschienen Publikation ihn als den “seltensten Wal der Welt” (Thompson, K. et al. 2012: The world’s rarest whale. Current biology, 22(21): R905–R906. doi:10.1016/j.cub.2012.08.055). Ganz schön viel Aufregung für einen so kleinen, stillen Wal.
Den bisher noch kein Mensch auf See identifiziert hat. Gesehen haben ihn vielleicht schon einige Menschen. Aber wenn nicht gerade ein erwachsenes Männchen den Kopf aus dem Wasser hob, zufällig Schnabelwal-ExpertInnen anwesend waren, die vielleicht auch noch für die Vermessung verwertbar filmten, Laute aufnahmen und vielleicht noch Umwelt-DNA nahmen, ist er einfach unerkannt wieder in den fast unendlichen Weiten des südlichen Pazifiks verschwunden.

Diese Geschichte war dem American Museum of Natural History 2012 sogar ein Video wert:
Science Bulletins: Rarest Whale on Earth Identified in New Zealand

Zu genau dieser Art gehört das jetzt gestrandete Tier. Darum ist die Aufregung groß, denn bei so wenigen Funden sind die zu erwartenden neuen Erkenntnissen besonders groß und wissenschaftlich wertvoll. Möglicherweise liefert die Nekropsie sogar Hinweise auf die Todesursache.

Aus der Ferne geht mir dazu schon einiges durch den Kopf: Er ist nicht durch ein LFA-Sonar gestorben – sonst wären mehr Wale seiner Gruppe gestrandet. Äußere Verletzungen sind nicht zu sehen, Schiffskollision und Orca-Angriff sind damit eher unwahrscheinlich.
Allerdings kommt mir das Tier extrem mager vor. Da er im Pazifik unterwegs war und dort eigentlich jede Menge Nahrung für ihn herumschwimmt, wäre das ungewöhnlich. In den letzten Jahren kam es gerade bei den tief tauchenden und jagenden Schnabelwalen zu Verwechslungen von Beute mit Plastiktüten. Da den Schnabelwal in der Dunkelheit die Echolokation zur Beute führt, kann er diese Verwechslung nicht sehen. Offenbar haben Tintenfische und wassergefüllte Plastiktüten ein ähnliches Sonarecho. Da die Wale Plastik nicht kennen, kommt ihnen die mögliche Abweichung nicht ungewöhnlich vor und sie schlucken die Tüten. Irgendwann ist der Magen voller Kunststoff, die Magenwände chronisch entzündet und es passen keine Tintnfische mehr hinein – der Wal verhungert.
Ich verfolge diesen Wal mal weiter und berichte, das wird allerdings dauern.

Außerdem lade ich zu den Schnabelwalen noch ein paar ältere Artikel hier hoch, die mehr Infos dazu geben.

Die Einbindung der Maori ist für mich eine sehr positive Entwicklung: Maoris sehen sich als Hüter der Ozeane und betrachten Wale als ihre Vorfahren. Da viele Wale durch menschliche Einwirkung sterben, wie etwa in Schiffskollisionen, aber auch durch Fischereiaktivitäten, Marinemanöver und Zivilisationsabfällen wie Plastik und Öl wollen die neuseeländischen Māori gemeinsam mit indigenen Völkern von Tahiti und den Cook-Inseln in der “He Whakaputanga Moana”-Erklärung Walen Persönlichkeitsrechte verliehen. In ihren Verfassungen soll das Recht der Wale auf körperliche Unversehrtheit verankert werden.


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Auf dem Science-Blog „Meertext“ schreibe ich über meine Lieblingsthemen: Biologie, Zoologie, Paläontologie und das Meer. Wale, Fische und andere Meeresgetüme. Tot oder lebendig. Fossile Meere, heutige Meere und Meere der Zukunft. Die Erforschung, nachhaltige Nutzung und den Schutz der Ozeane. Auf der Erde und anderen Welten. Ich berichte regelmäßig über Forschung und Wissenschaft, hinterfrage Publikationen und Statements und publiziere eigene Erlebnisse und Ergebnisse. Außerdem schreibe ich über ausgewählte Ausstellungen, Vorträge, Bücher, Filme und Events zu den Themen. Mehr über meine Arbeit als Biologin und Journalistin gibt´s auf meiner Homepage “Meertext”.

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