Monterey – Meeressäuger, Medusen und Dosenfisch

Dann sind wir in Monterey. Dem wunderbaren Ort an der Monterey Bay, wo John Steinbeck und der legendäre Meeresbiologe Ed “Doc” Ricketts zusammentrafen, arbeiteten und philosophierten. Und wo, nahe an phantastischen Tiefsee-Canyons, heute das legendäre MBARI (Monterey Bay Aquarium Research Institute) steht. Eines der wichtigsten US-Meeresforschungsinstitute mit einer ganzen Flotte von Forschungsschiffen und Tauchbooten.
Wo auch “Star Trek IV -The Voyage home” gedreht wurde – der Star Trek-Fim mit der Zeitreise und den Buckelwalen. Auch wenn im Aquarium natürlich keine Wale leben, dafür aber in der Bucht davor.

Nach der Ankunft laufen wir erstmal eine Stunde durch Stadt und am Strand entlang, bis zur Cannery Row und dem Aqaurium. Die Cannery Row war einst die Straße der Sardinenverarbeitung. Monterey lag günstig, vor seiner Küste zogen einst gewaltige silbrig schimmernde Sardinenschwärme vorbei, der Nährstoffeintrag von Land trifft dort auf emporwallendes, kaltes, sauerstoffreiches Tiefenwasser. Sardinen waren willkommene Beute eines unglaublich produktive Meeres für Meeressäuger, Seevögel, Haie, andere Fische sowie für Menschen. Um 1850 begannen chinesische Siedler mit der Fischerei von Sardinen und Tintenfischen. Um 1889 hatte die industrielle Verarbeitung von Sardinen zu Dosenfisch in San Francisco begonnen, in Monterey begann es 1902. Neben Immigranten aus China waren auch Immigranten aus Japan, Mittelmeer-Staaten (vor allem Italiener), Neu-England, der Nordsee und Biskaya sowie Basken unter den Begründern – sie alle brachten Fischerei-Expertise mit und entwickelten in Südkalifornien eine florierende Industrie. Fabrik reihte sich an Fabrik, die Fischerei war der wichtigste Industriezweig.

Geschichte der Dosensardinen, Monterey Bay Aqaurium ((c) Bettina Wurche)

Das Leben der dort arbeitenden Menschen entdeckte der im nahen Salinas geborene John Steinbeck und setzte ihnen und Doc Ricketts mit seinem Roman “Cannery Row” ein Denkmal (falls noch nicht bekannt, bitte unbedingt lesen, das Buch ist genial.)

“Doc” Ricketts war zu dieser Zeit der einzige Meeresbiologe und erforschte und kartierte als erster die reichen Ökosysteme der Monterey Bay und auch des tropischen Golfs von Kalifornien, der Sea of Cortez.
In Monterey betrieb er das Pacific Biological Lab, ein sehr einfaches Labor, in dem er auch seine Sammlungen aufbewahrte und schrieb; Labor und Wohnung waren ein kleines, schuppenartiges Holzgebäude nahe des heutigen Aquariums.
1940 unternahmen er und John Steinbeck auf dessen Boot, der “Western Flyer”, eine Expedition in die Sea of Cortez. Ricketts kartierte und dokumentiert, Steinbeck schrieb ein Logbuch – ihre Sea-of-Cortez-Expedition war eine Pionierleistung (Ich habe mir das Buch mitgebracht, bin aber noch nicht zum Lesen gekommen).
Aber die Sardinenfischerei ging nicht mehr lange gut – in den 1950-er Jahren kollabierte sie. Der 1958 verstorbene Ricketts hatte bereits bemerkt, dass mehr Sardinen gefischt wurden, als “nachwuchsen”, das wollte allerdings niemand hören. Zum Zeitpunkt des Kollpses begann gerade die Erforschung des silbigen Fischleins Sardinops sagax caerulea. Statt angesichts der Alarmzeichen den Bestand sofort unter Schutz zu stellen, entschloss man sich, ihn erst einmal weiter zu erforschen. Durch einige kalte Winter zu Beginn der 1950-er pflanzten sich die kleinen Fische kaum fort, Ende der 1950-er kamen dann erste El Nino-Jahre, die dem Sardinenbestand auch nicht gut taten. In den 1970-er Jahren wurde die Sardinenfischerei dann viel zu spät vollständig geschlossen, erst ab den 1980-ern durfte kleinskalig wieder gefischt werden.
Die Fabriken waren damals bereits Geschichte.

Bei der Suche nach einer Nachnutzung der Fabriken und des Küstenstrichs zogen Meeresforschungsinstitute ein und 1978 wurde der Bau des privat finanzierten Monterey Bay Aquariums als Touristenattraktion geplant, das 1984 eröffnete. Die Geschichte des Sardinenfangs ist in einer ausgezeichneten Ausstellung im Aquarium dokumentiert.

Als wir abends in Monterey ankommen, laufen wir vom Hotel erst einmal schnell in Richtung Hafen und Cannery Row. Gegen 18:00 Uhr hat schon fast alles geschlossen.
Dabei kommen wir am heute kleinen Fischereihafen vorbei. Ich höre laute Rufe – ein Seelöwe!
Nichts wie hin!
Zwiscehn Bucht und Fischereihafen läuft eine Mole entlang. Als erstes sehe ich Kormorane. Diesmal sehe ich weiße lange Federn, die wie “Schnurrhaare” rechts und links des Schnabels wippen, ein Brandt´s Kormoran von hinten.

Brandt´s Kormoran von hinten ((c) Bettina Wurche)

Der Vogel ist vollkommen unbeeindruckt von dem Geschrei der Kalifornischen Seelöwen um ihn herum. Auch bei den Seelöwen sind die Jungen noch nahe der Mutter. Neben den auf Steinen pennenden Robben jagen andere im Wasser nach Snacks zwischen den Tangen. Außerdem tummeln sich dort auch wieder die rundköpfigen Meerotter, vor allem Mütter mit Nachwuchs. Auch diese Otter essen gern Muscheln. Aber anders als in Pismo-Beach, brauchen sie für die hier wachsenden dünnschligeren Muscheln keine Steine, sondern brechen die dünnen Schalen so auf. Ich finde es faszinierend, wie Meeressäuger sich immer wieder perfekt auf ihre jeweilige Beute einstellen. Gerade die Otter mit ihren geschickten Händen und dem Werkzeuggebrauch mag ich sehr. Auch wenn die Pazifischen Meerotterviel größer als unsere Fischotter sind, wirken sie mit ihren runden Köpfen und Ohren noch knuffiger, wie kleine Teddybären.

Junger Seelöwe ((c) Bettina Wurche)
Seelöwen-Mutter und -Junges ((c) Rainer Kresken)
Erwachsener Seelöwen-Bulle mit der typischen vorgewölbten Stirn ((c) Bettina Wurche)

Am nächsten Tag geht es dann nach dem Frühstück zügig ins Aquarium und ich bin schon wieder im Paradies. Das Monterey Bay Aquarium ist deutlich größer als das Birch Aquarium in La Jolla und auch noch hochpreisiger. Sie müssen sich halt ohne staatliche Hilfe finanzieren.

Dann stehe ich vor dem Kelpwald, der über drei Stockwerke hinweg reicht. Einfach herrlich.
Dadurch sind die unterschiedlichen Stockwerke des ökologischen Gefüges gut erkennbar:
An der Oberfläche schwimmt der kleine Sardinenschwarm. Die silbrig-glitzernden Fischlein schillern in den Sonnenstrahlen, die durch die Meeresoberfläche in den Ozean eindringen, das ist ihre Tarnung.

Blick von unten in den Sardinenschwarm, Monterey Bay-Aquarium ((c) Rainer Kresken)
Auge in Auge mit dem Fisch im Kelpwald ((c) Rainer Kresken)

Eine Besonderheit des Monterey Bay Aquariums ist die ausgezeichnete Galerie mit Quallen-Aquarien. Neben den Ohrenquallen, die in vielen Ausstellungen zu sehen sind, haben sie auch genug Platz für die größeren Kompaßquallen mit ihren wimpelartig langen Tentakeln. Der Name der Meduse kommt von den Strichen auf dem Schirm, die an eine Kompaßrose erinnern sollen.
Die gibt es auch im Nordatlantik und ich habe sie sogar schon in der Nordsee gesehen, aber erst unter Wasser kommt ihre ganze Grazie und Eleganz zum Vorschein.

Kompaßquallen im Monterey Bay Aquarium ((c) Bettina Wurche)
Noch mehr Kompaßquallen im Monterey Bay Aquarium ((c) Bettina Wurche)

Neben den Medusen mit ihren Nesselfäden zeigt das Aquarium auch Rippenquallen. Sie sind ebenfalls gelatinös und teilen einige Merkmale mit den Nesseltieren, sind aber eine ganz andere Tiergruppe. Rippenquallen haben keine Nesselzellen. Sie haben acht Rippen am Körper und schleppen meist zwei lange Tentakel, die statt Nesselzellen Klebezellen haben.
Sowohl Nesseltier-Quallen als auch Rippenquallen gehören zum gelatinösen Plankton, den sogenannten Gelata (die hatte ich hier erklärt).

Rippenquallen im Monterey Bay Aquarium ((c) Bettina Wurche)

Die Meeresvögel bewohnen einen eigenen Flügel. Neben Watvögeln (die wir schon am Strand getroffen hatten) und Blauen Pinguinen (die nicht in Kalifornien leben) wohnen auch Papageientaucher im Aquarium. Die nordpazifischen Alken sind schwarz und tragen als Erwachsene einen feschen gelben Schopf, darum heißen sie Gelbschopflund. Im Hintergrund ist ein erwachsener Vogel zu sehen, im Vordergrund ein heranwachsender.

Gelbschopflund (Fratercula cirrhata) im Aquarium ((c) Bettina Wurche)

Neben der Quallensammlung gibt es in Monterey Bay noch etwas Außergewöhnliches: Eine Tiefsee-Abteilung. Da der Pazifik dicht vor der Küste gleich in Tiefseegräben abfällt, findet im MBARI viel Tiefseeforschung statt. So werden in den Tiefsee-Aquarien verschiedene dieser Ökosysteme vorgestellt, teils mit echten Bewohnerinnen, teils als Dioramen. Dieser Whale Fall, also ein abgesunkener Wal-Kadaver mit seinem eigenen Ökosystem aus Schleimaalen, Krebsen und Zombie-Würmern ist nur nachgebildet. Trotzdem sehr beeindruckend.

Whale Fall (Pottwal) im Aquarium ((c) Bettina Wurche)

Und dann gibt es für mich noch eine richtige Überraschung: Eine der vielen ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen präsentiert eine lebende Tiefsee-Assel. Es ist kein ganz großes Tier, die werden noch wesentlich größer, aber doch schon kapital. Anders als die bescheidenen kleinen Landasseln, die in Kellern oder Wäldern leben und Pflanzenreste fressen, sind Meeresasseln wesentlich größer und räuberisch. Ihre Mundwerkzeuge können auch in Finger beißen. Riesenasseln der Gattung Bathynomus werden bis zu 45 cm lang und 1,7 kg schwer.
Dieser Krebs mit den vielen gleichförmigen Beinen – daher ihr wissenschaftlicher Name Isopoda – saß allerdings ganz friedlich auf dem Boden und ich ließ mich zum Anfassen einladen.

Dann musste ich meine Hand aber doch schnell zurückziehen – das Wasser war bei asselfreundlicher Niedrigtemperatur. In der Tiefsee herrschen 4°C, da wollte man dem Tiefseetier keine kalifornische Apriltemperatur zumuten.

Riesen-Tiefseeassel ((c) Bettina Wurche)

Ein wirklich herrliches Aquarium, das neben phantastisches Meerestieren und -pflanzen auch die Geschichte dieses besonderen Ortes zeigt und in dem man gut einen ganzen Tag verbringen kann.
Viel zu schnell sagen wir Monterey Good-bye und fahren nach San Franciso weiter.

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https://meertext.eu/

Auf dem Science-Blog „Meertext“ schreibe ich über meine Lieblingsthemen: Biologie, Zoologie, Paläontologie und das Meer. Wale, Fische und andere Meeresgetüme. Tot oder lebendig. Fossile Meere, heutige Meere und Meere der Zukunft. Die Erforschung, nachhaltige Nutzung und den Schutz der Ozeane. Auf der Erde und anderen Welten. Ich berichte regelmäßig über Forschung und Wissenschaft, hinterfrage Publikationen und Statements und publiziere eigene Erlebnisse und Ergebnisse. Außerdem schreibe ich über ausgewählte Ausstellungen, Vorträge, Bücher, Filme und Events zu den Themen. Mehr über meine Arbeit als Biologin und Journalistin gibt´s auf meiner Homepage “Meertext”.

2 Kommentare

  1. Wo auch “Star Trek IV -The Voyage home” gedreht wurde – der Star Trek-Fim mit der Zeitreise und den Buckelwalen. Auch wenn im Aquarium natürlich keine Wale leben, dafür aber in der Bucht davor.

    Na dann … 😉
    https://www.youtube.com/watch?v=QYuAdOWVcEc

    Und dann gibt es für mich noch eine richtige Überraschung: Eine der vielen ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen präsentiert eine lebende Tiefsee-Assel.

    Ist es das liebenswerte “Tierchen”, über welches du bereits mehrere Artikel verfasst hast?

    Auf alle Fälle ist bereits das Jungtier ein ordentlicher Brocken.

    • @RPGNo1: Ja, diese Tiefseeasseln waren auf dem alten Blog imme rmal wieder Thema. Die sind ja schon bizarr. Das Experiment, wie schnell die Alligator Falls fressen, fand ich schon bemerkenswert. Den star Trek-Film könnte man mal wieder gucken, der ist ja wirklich nett : )

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