Klicken Pottwale mit einem “phonetischen Alphabet”?
BLOG: Meertext
Pottwale (Physeter macrocephalus) kommunizieren offenbar noch komplexer, als bisher vermutet wurde. Die Kommunikation der gewaltigen Meeressäuger wird seit einiger Zeit in einem interdisziplinären Projekt mit neuestem technischen KnowHow erforscht, dem CETI-Projekt („Cetacean Translation Initiative“). Dafür belauschen und beobachten Forschende die Mutter-Kind-Gruppen in der Karibik vor Dominica, im weltweit einzigen Pottwal-Reservat.
Schon länger ist bekannt, dass Pottwale nicht pfeifen, wie etwa Delphinartige, sondern ihre Klicks nicht nur zur Echoortung, sondern auch zur sozialen Interaktion einsetzen (hier kann man sich diese Geräusche zwischen Morsecode und Popcorn-Ploppen anhören). Allerdings nutzen sie ganze Klickserien (Codas), die je nach Pottwal-Gruppe unterschiedlich sind und die wohl Informationen über Sender und Empfänger tragen – darum werden Pottwale in “Klick”-Clans gruppiert, die menschlichen Gesellschaften ähneln. Die Lautäußerungen werden mit Zusatzinfos wie Verhalten und welche Wale kommunizieren, ergänzt (gelabelt). Unmengen von gelabelten Datensätzen werden dann mit Einsatz von KI und Machine Learning nach Mustern durchsucht – das ist die Kurzfassung des CETI-Ansatzes.
Jetzt gab es einen ersten Durchbruch bei der Suche nach der Pottwal-Sprache: Offenbar kombinieren die Meeressäuger die gleichen Klickfolgen immer wieder neu – wie wir aus Buchstaben immer neue Worte formen.
Erste Bausteine einer Pottwal-Sprache?
Bei der Auswertung vieler Tausend Lautäußerungen von 60 Walen haben die Forschenden nicht nur immer wieder die gleichen 156 Codas identifiziert, sondern auch jeweils Variationen davon. Jeder Coda besteht aus drei bis 40 Klicks. Aber die Pottwale ändern dabei nicht nur die Anzahl der Klicks, sondern beschleunigen oder verlangsamen oft auch das Tempo – “Rubato” nennen die Forscher das. Manchmal fügen die Wale am Ende einer Coda einen zusätzlichen Klick hinzu – “Ornament” (Verzierung”) nennen dies die Forscher. Außerdem klicken die Wale die Lautreihen in unterschiedlichen Geschwindigkeiten und unterschiedlichem Rhythmus.
Damit hat das Forscherteam nun gezeigt, dass “Codas eine kontextuelle und kombinatorische Struktur aufweisen.” schreiben sie. “Zunächst berichten wir über bisher unbeschriebene Merkmale von Codas, die auf den Gesprächskontext, in dem sie auftreten, reagieren und bei Walen systematisch kontrolliert und nachgeahmt werden. Wir nennen sie Rubato und Ornamentik (Verzierung). Zweitens zeigen wir, dass Codas ein kombinatorisches Kodierungssystem bilden, in dem Rubato und Verzierung mit zwei kontextunabhängigen Merkmalen, die wir Rhythmus und Tempo nennen, kombiniert werden, um einen großen Bestand an unterscheidbaren Codas zu erzeugen. Die Lautäußerungen von Pottwalen sind ausdrucksvoller und strukturierter als bisher angenommen und basieren auf einem Repertoire, das fast eine Größenordnung besser unterscheidbare Codas umfasst. Diese Ergebnisse zeigen, dass kontextsensitive und kombinatorische Lautäußerungen in Organismen mit unterschiedlicher evolutionärer Abstammung und unterschiedlichem Stimmapparat auftreten können.”
Natürlich weiß es bisher niemand etwas über die Bedeutung der Pottwal-Codas.
Einige Biologen sind auch noch nicht überzeugt, ob es überhaupt eine Form von Sprache ist. Der Bioakustiker Taylor Hirsch (Oregon State University) meinte, dass diese Laute auch einfach eine Art Musik sein könnten, die Wal-Emotionen ausdrücken oder beeinflussen könnte. Meiner persönlichen Ansicht nach sollte man solche Zweifel zwar im Hinterkopf behalten, aber irgendwie erscheint es mir nach den bisherigen Ergebnissen doch sehr unwahrscheinlich. Ich denke, dass in der Pottwal Kommunikation alles darauf hindeutet, dass es sich wirklich um eine Sprache handelt.
Der CETI-Projektgründer, Biologe und Mit-Autor der Studie David Gruber meinte jedenfalls gegenüber der Presse, dass die in immer neuen Varianten kombinierten Codas so etwas wie Silben, Wörter oder sogar Sätze ergeben könnten. Dann wären sie die ersten Bausteine einer Walsprache.
Die Hauptautorin Pratyusha Sharma, eine MIT-Expertin für KI, Robotik und Sprachen ist da recht zuversichtlich: Mit dieser kombinatorischen Basis könnten die Wale mit einer endlichen Menge von Symbolen (hier: Codas) auf der Basis von Regeln eine unendliche Anzahl von Symbolen erstellen.
Die Autoren der Studie gehen jedenfalls davon aus, dass sie nun das phonetische Alphabet zumindest dieser Gruppe von Pottwalen vorliegen haben und werden darauf basierend weiter forschen.
Die Publikation ist ohne Vorkenntnisse nicht ganz einfach zu lesen, aber ich finde einige der Abbildungen ganz aussagekräftig.
Bei aller Begeisterung erwarten die Biologen natürlich nicht, dass jemals eine Eins zu Eins-Übersetzung aus Pottwalisch in eine menschliche Sprache möglich sein wird. Vielmehr hoffen sie, dass sie Lautäußerungen bestimmten Verhaltensweisen zuordnen können und damit vielleicht eine Ahnung bekommen, was den dunkelgrauen Meeresriesen im Leben wichtig ist und was sie bewegt. Diese größten aller Zahnwale sind schließlich gefährdet und vielleicht lässt sich so etwas erfahren, um ihren Schutz zu verbessern und ihr Überleben in den sich schnell verändernden Weltmeeren besser zu sichern, erklärt Shane Gero (Carleton University in Kanada). Der Biologe ist ein ausgewiesener Pottwal-Experte, er hat das Dominica-Wal-Projekt begründet und aufgebaut. Anders als andere Pottwal-Familien, die große jahreszeitliche Wanderungen unternehmen, sind die dominikanischen Walkühe und ihr Nachwuchs ortstreu und dort das ganze Jahr über zu beobachten – darum sind sie ideal für die Walforschung. Die bis zu elf Meter langen Meeressäuger sind alle per Foto-ID individuell anhand ihrer Fluke erfasst, sie ist genauso unverwechselbar wie ein menschlicher Fingerabdruck. Auch die zur Paarungszeit vorbeikommenden Bullen von bis zu 18 Metern Länge und 50 Tonnen Gewicht sind meist alte Bekannte der Walkühe und Forscher. Dieser besondere Pottwal-Lebensraum in der Karibik ist einzigartig und die Wale mittlerweile an die Forschenden gewöhnt. Auch Touristen dürfen sich dort unter Leitung der Biologen den Meeressäuger-Familien vorsichtig nähern. Mittlerweile ist es das erste Pottwal-Schutzgebiet der Welt.
Die hervorragenden Grundlagenforschung und die intimen Kenntnisse dieser Walfamilien unter Geros Leitung haben den interdisziplinären Ansatz des CETI-Projekts überhaupt erst ermöglicht. “Wenn wir über Wale sprechen können, und darüber wie wichtig ihre Großmütter sind, oder wie wichtig es ist, ein guter Nachbar zu sein, oder die Bedeutung der kulturellen Vielfalt in der Gesellschaft, dann kommt das bei den Menschen wirklich gut an und kann zu Veränderungen im menschlichen Verhalten führen, um die Wale zu schützen.”
Da hat er absolut recht! Ich hatte ihn vor einiger Zeit zu diesem Projekt für das MIT Tech Review interviewt und bin von ihm und den anderen Forschenden sehr beeindruckt. Dabei erzählte er mir, was er sich von dieser Forschung erwartet: Mehr Erkenntnisse über das Wir-Gefühl der großen Zahnwale, die nur in ihrer Gruppe im Meer überleben können. Menschen schützen vor allem das, was sie kennen und was sie gern haben. Die ikonischen Pottwale beeindrucken uns nicht nur als geschickte Jäger in den Abgründen der Ozeane, sondern auch durch solche Projekte wie das in der Karibik, das ihre emotionalen engen Bindungen und ihr ausgeklügeltes Familienleben beschreibt. Und, so Shane, trägt die Pottwal-Forschung hoffentlich zum besseren Schutz der Wale und ihres Meereslebensraums bei.
Quelle:
Pratyusha Sharma, Shane Gero, Roger Payne, David F. Gruber, et al: “Contextual and combinatorial structure in sperm whale vocalisations”
Nature Communications volume 15, Article number: 3617 (2024)
Dieser Artikel ist ohne Paywall zu lesen
Es macht schon Sinn, dass komplexere Kommunikation aus kleineren Bausteinen zusammengesetzt ist. Sonst müssten die Beteiligten ja alle Komplexe von vorne herein kennen (oder erlernen), was nur bei rudimentärer Information machbar ist.