Geheimnisvolle Schnabelwale – von Entenwalen (1)
BLOG: Meertext

Schnabelwale sind mittelgroße Zahnwale, von denen die meisten Menschen noch nie gehört haben.
Die Tiere sind zwar nicht sehr klein, sondern zwischen 3,5 und über 12 Metern groß, aber sie leben meistens im offenen Meer, weit vor den Küsten. Und sie sind scheu – nach meinen eigenen Erfahrungen während eines Wal-Surveys in der Antarktis 1996/97 meiden viele Arten den Kontakt mit Menschen und tauchen vorher ab. So werden sie nicht sehr häufig gesichtet. Dass sie kein spektakuläres Verhalten an der Oberfläche zeigen wie Delphine oder Buckelwale und auf den ersten Blick mit den langgezogenen Schäbeln und schlanken Körpern wie zu groß geratene Delphine wirken, erschwert ihre Identifikation zusätzlich.

Um 1990 waren Schnabelwale (Zipiidae) die am wenigsten bekannte Familie der Wale. Mit ihrer wenig erforschten Lebensweise und ihren seltsam geformten Köpfen, die ganz anders aussehen, als alle anderen Wale, haben sie mich auf den ersten Blick fasziniert: Ich schrieb meine Diplomarbeit über zwei dieser Arten aus dem Nordatlantik – den Nördlichen Entenwal (Hyperoodon ampullatus) und den Sowerby-Zweizahnwal (Mesoplodon bidens). Seitdem ermöglichen neue Technologien auch in der Walforschung wie präzisere Hydrophone, preiswertere und leistungsstärkere DTAGs sowie die molekulare Identifikation immer neue, spektakuläre Einblicke in das Leben und Treiben der Tieftaucher.
Gerade in dieser Wal-Familie werden immer noch regelmäßig neue Arten identifiziert. Konnte man die ähnlich aussehenden und nur kurz auftauchende Wale früher meist nur an Schädeln ausgewachsener Männchen identifizieren, geht das jetzt schneller und zuverlässiger, manchmal sogar während einer Expedition.
Meine Faszination für die Schnabelwale mit ihren sogar für Walen ungewöhnlichen Schädeln und Zahnmustern hält bis heute an, darum tauchen sie auf Meertext regelmäßig auf. Da ich mittlerweile auf der dritten Plattform schreibe, werde ich ab und an ältere Beiträge auf die SciLogs ziehen und sie aktualisieren.
Der Nördliche Entenwal – ein Profil wie Donald Duck
Meinen Erstkontakt mit diesen seltsamen Meeressäugern hatte ich um 1992 im dänischen Naturkundemuseum in Arhus. Auf dem Boden stand ein großer Walkopf mit stark vorgewölbter Stirn und Schnabel, ein Gipsabguß. Laut Beschriftung ein “Døgling”. So einen Wal hatte ich noch nie gesehen und den Namen noch nie gehört, über den wollte ich mehr erfahren. Im Studium begann ich, mehr über diese seltsamen Meeresbewohner zu lesen und schrieb schließlich meine Diplomarbeit über ihre Schädel.
Entenwale werden bis zu 10 Metern groß und 3,6 Tonnen schwer, Männchen sind deutlich größer als Weibchen und haben wesentlich größere und stärker gewölbte Köpfe. Nur bei erwachsenen Bullen sind die beiden Zähne an der Spitze des Unterkiefers sichtbar, bei Jungtieren und Weibchen bleiben sie im Zahnfleisch verborgen. Obwohl sie Zahnwale sind, haben Entenwale keine weiteren Zähne.
Als exzellente Tieftaucher erreichen sie Tiefen von bis zu 1400 Metern und können bis zu 120 Minuten tauchen.

Während der Diplomarbeit hatte ich mir einen dieser außergewöhnlichen Schädel auf den Schreibtisch gestellt und an ihm ein neues Messverfahren entwickelt und erprobt. Es war ein noch nicht ausgewachsener Nördlicher Entenwal (Northern bottlenose whale, Hyperoodon ampullatus). Seinen Schädel habe ich in – und auswendig studiert: Etwa 1,30 Meter lang mit hoch aufgewölbtem Hirnschädel und hohen seitlichen Kämmen (Maxillarkämmen) auf dem Oberkiefer: Der Donald Duck unter den Walen!
“Mein” Wal war ein junges Männchen, der gemeinsam mit einem älteren Weibchen, vermutlich seiner Mutter auf den Färöern mit in den Grind geraten war. Die Schädel kamen in die Schausammlung des Zoologischen Museums in Hamburg, der des Weibchens ist dort ausgestellt.
Ich habe Tage gebraucht, bis ich den Schädel verstanden hatte. Mit voller Kraft konnte ich den Schädel des Jungtiers gerade eben allein heben und meinen kleinen Liebling in den Armen halten, um ihn von allen Seiten anzusehen, zu zeichnen und zu vermessen.
Schädel von Nördlichen Entenwalen sind in nur wenigen zoologischen Museen und Instituten in Deutschland und Holland zu finden, sie ziehen am Kontinentalschelf an der Atlantikküste westlich der Britischen Inseln vorbei, und bleiben dabei in tiefen Gewässern. Manchmal stranden sie dort, selten kommen sie als Irrläufer bis an die Nordseeküsten und ganz selten in die Ostsee – im Meeresmuseum in Stralsund ist ein solcher Fund. Da sie ähnlich kostbares Kopföl wie Pottwale haben, wurden sie früher auch vor den europäischen Küsten etwa vor Norwegen kommerziell bejagt, aus dieser Zeit sind Schädel mit den charakteristischen Messerspuren vom „Abflensen“ erhalten. Im Lübecker Museum für Natur und Umwelt steht der Schädel eines Weibchens, der aus dem Hafenbecken gefischt worden war, in Amsterdam stieß ich auf zwei extrem große, wuchtige Schädel von ausgewachsenen Bullen, die stark beschädigt waren. Da ich auch von der Schädelunterseite Meßpunkte brauchte, mussten wir sie umdrehen – das haben wir zu dritt so gerade eben geschafft. Warum ausgerechnet Schnabelwale und ganz besonders Entenwale so massive Knochen haben, ist nicht abschließend geklärt.
Entenwale vor Jan Mayen
In den tiefen kühlen Gewässern des nördlichen Nordatlantiks leben zwei Bestände Nördlicher Entenwale: im Osten in den tiefen Meeresschluchten vor der norwegischen Insel Jan Mayen und im Westen vor Nova Scotia in den Tiefsee-Canyons von „The Gully“. Während die Population vor Nova Scotia durch den exzellenten Walforscher Hal Whitehead (Dalhousie University) schon ganz gut erforscht ist, war über die europäischen Entenwale bislang noch wenig bekannt. Jetzt ist gerade eine neue Arbeit zum Schnabelwal-Lebensraum vor Jan Mayen herausgekommen: “Habitat Use of the Northern Bottlenose Whale (Hyperoodon ampullatus) near Jan Mayen, North Atlantic” von K. Y. Woo, S. Isojunno, P. J. O. Miller (St. Andrews University).
Dass dort Entenwale leben, ist seit Walfängerzeiten bekannt, die Tiere wurden dort lange “befischt”. In jüngerer Zeit hat das natürlich auch Walforscher angezogen.
So dokumentierten Forschende bei Surveys im Juni 2014 in der Nähe von Jan Mayen regelmäßige Sichtungen von Nördlichen Entenwalen, und 2016 sogar noch mehr. Woo et al haben Lebensraum-Modelle erstellt und mit den Sichtungen, deren genaue Position, Uhrzeit und andere Daten bei Surveys penibel erfasst werden, mit ozeanographischen und ozeanologischen Parametern abgeglichen. Wenig überraschend nahm die Häufigkeit der Sichtungen bei einem steileren Profil des Meeresbodens zu. Gerade an steilen Hängen vermischen sich der Eintrag organischer Stoffe von Land aus und kühles Tiefenwasser, oft sind dort auch starke Strömungen. All diese Parameter führen zu einer höheren Wachstumsrate der Meeresflora und -fauna, vom Plankton über Fische und Tintenfische, was dann auch mehr Wale anzieht. Die Vorhersage aus dem Modell, dass Entenwal-Sichtungen in Wassertiefen unter 1000 Metern und mit steiler Topografie höher sind, wurde durch die Feldbeobachtungen bestätigt. Meeresböden mit steilen Abhängen und tiefen Schluchten sind ein besonders wichtiger Lebensraum für diese tieftauchende Art, Entenwale verbringen dort einen erheblichen Teil ihrer Zeit.
Neben dem visuellen Survey brachten die Forschenden an einigen aufgetauchten Walen DTAGs an, also saugnapfbewehrte Sender, die den Tauchgang aufnehmen (Wassertiefe, Tauchzeit, Bewegungsmuster des Wals …) und oft auch Lautäußerungen aufzeichnen.
Auch wenn die Aussagekraft dieser ersten Modelle und Daten noch begrenzt ist, liefern sie grundlegende Informationen zum Schutz und Management dieser Wale: Es gibt nämlich eine räumliche Überschneidungen zwischen den von Nördlichen Entenwalen stark genutzten Gebieten und Gebieten mit hohen anthropogenen Aktivitäten.
Verlockende Tintenfische

Die Unterwasserschluchten und -strömungen vor den norwegischen schroffen, langen Küsten etwa vor Jan Mayen und auch den Vesterålen sind reich an Biodiversität und ziehen damit mittelgroße Jäger wie Kalmare wie Gonatus fabricii an. Der bis zu 30 cm große Kalmar ist der häufigste Kalmar in arktischen Gewässern und, so zeigen Mageninhatsanalyse toter Wale, ein absoluter bevorzugter Leckerbissen für Pott- und Entenwale. Diese Tintenfische kommen in großen Schwärmen vor, wie Fische. Die norwegische Atlantikströmung bringt junge Tintenfische nordwärts in die Gewässer zwischen Jan Mayen und den Vesterålen, während erwachsene Tiefseebewohner wohl über die Ostgrönlandströmung Jan Mayen erreichen, beschreibt Woo. Der Zusammenhang zwischen den Kalmaren als reichhaltige Proteinhäppchen für die beiden großen Zahnwal-Gruppen Pott- und Schnabelwale ist jedenfalls offensichtlich.
Sowohl Pott- als auch Schnabelwale sind Zahnwale mit stark reduzierten Gebissen. Für Tintenfische sind Zähne wohl nicht so wichtig, das deren weiche Geweben einfach reißen würden. Beide Wale scheinen ihre wabbelige schlüpfrige Beute einzusaugen: Sie stellen mit einer Erweiterung des Kehlraums Unterdruck her und saugen die Kalmare dann schnell in den Schlund. Beide Walgruppen haben Falten an der Kehle, die so genutzt werden könnten. Beobachtet hat das allerdings noch niemand.
Entenwale versus U-Boote
Die schroffen nordatlantischen Unterwasser-Canyons der vulkanisch entstandenen Insel Jan Mayen (Norwegen) und in “The Gully” vor Nova Scotia (Kanada) sind also wichtige Lebensräume für die tieftauchenden Entenwale. Leider tummeln sich auch genau dort besonders viele U-Boote – die Studie von Woo et al nennt den bevorzugten Wal-Lebensraum die “U-Boot-Canyon-Regionen im Osten und Südosten der Insel Jan Mayen”. Der uns entlegen erscheinden Nordatlantik ist seit 100 Jahren ein geopolitischer Hot Spot, in den submarinen Schluchten patrouillieren sowohl NATO- als auch russische U-Boote, Arktis und Subarktis sind wichtige Areale geopolitischer Ost-West-Szenarien (hier ist eine topographische Karte der Arktis). Den meisten Lesenden ist das sicherlich aus dem Film “Jagd auf Roter Oktober” bekannt.
Genau diese U-Boot-Verfolgungsjagden sind ein großes Problem für Schnabelwale – diese Wale geraten bei Marinemanövern regelmäßig in Panik und schießen dann aus der Tiefe extrem schnell an die Meeresoberfläche. Schnabelwale verwechseln die bei der U Boot-Jagd eingesetzten Low frequency active sonar (LFAS) wohl mit Ortungslauten von Orcas, ihren schlimmsten Freßfeinden. Da Schnabelwale normalerweise langsam auf- und abtauchen und einen langsamen Druckausgleich durchführen, platzen ihnen bei einem solchen Not-Auftauchen die Blutgefäße in der Ohren und vermutlich auch in Kopf und Körper. Sie überleben dieses Barotrauma nicht, sondern sterben noch auf dem Meer oder stranden desorientiert und sterbend an der nächsten Küste. Dieser Zusammenhang wurde 1998 erstmals postuliert und ist seitdem immer wieder bestätigt worden (weitere Artikel dazu kommen, mit weiteren Quellen).
Nördliche Entenwale sind bis jetzt allerdings nur selten als Sonar-Opfer aufgetaucht. Bei einer sehr ungewöhnlichen Massenstrandung im Jahr 2020 waren Pottwale, Bartenwale, Grindwale, Delphine und Schweinswale sowie ein Entenwal vor der nordnorwegischen Küste gestrandet; auch wenn der Grund nicht klar nachgewiesen werden konnte, ist aufgrund der vielen beteiligten Arten eine anthropogener Ursache anzunehmen. Da Entenwale vor allem im abgelegenen Nordatlantik leben und dann bei Unfällen im Meer sterben oder an entlegenen Küsten stranden, können ihre frischen Kadaver meist nicht sofort untersucht werden. Wegen der schnellen Verwesung von Walen lassen sich die Blutungen im Ohr sicher wohl nur innerhalb der ersten 24 Sunden nachweisen. Das Fehlen von Entenwalen als Sonaropfer bedeutet also nicht, dass es nicht vorkommt.
Das gleiche Problem der akustischen Gefahr tritt bei der geologischen akustischen Suche nach Öl- und Gasvorkommen auf, die ebenfalls mit extrem lauten, explosionsartigen Lauten arbeitet. Mit dem Abtauen des arktischen Meereises nimmt auch der Schiffsverkehr in diesem Gebiet stark zu, dazu kommen Fischereiaktivitäten in den gleichen Jagdgründen, die auch die Entenwale anziehen. Untersuchungen des Verhaltens lebender Tiere und ihrer Reaktion auf Unterwasserlärm hatten bereits klar nachgewiesen, dass sie solche Störungen meiden und dann ausweichen (an dieser Studie war u. a. Patrick J. O. Miller beteiligt, der Co-Autor der hier vorgestellten Studie zum Hyperoodon ampullatus-Lebensraum).
Die vor Nova Scotia lebenden Entenwale und anderen Tieftaucher haben da mehr Glück: Die Unterwasserschluchten von “The Gully” sind seit über 10 Jahren ein Meeresschutzgebiet. Ob das vor den europäischen Küsten auch möglich wäre? Angesichts der geopolitischen Situation wage ich nicht darauf zu hoffen. Wale und andere Wildtiere in den Meeren und an Land sind auf jeden Fall Verlierer der neuen Kriege und Konflikte, die auf der Liste der sogenannten Kollateralschäden weit unten rangieren.
Ob im Schwarzen Meer, im Nordatlantik oder anderswo.