Floridastrom-Stabilität widerlegt nicht Golfstrom-Abschwächung
BLOG: Meertext

Spoiler:
1. Die Stabilität des Floridastroms widerlegt NICHT die Abschwächung des Golfstroms. Wegen eines korrigierten Meßfehlers schwächt sie die Abschwächung des Golfstroms nur ab.
2. Manche Medienbeiträge haben Probleme, die komplexen Vorgänge der Klimakrise richtig einzuordnen.
Aber der Reihe nach.
Am 09.08. hatte ich den Beitrag „Klimakrise: Schwächelt das Golfstrom-System vor 2050?“ zur Publikation „Probability Estimates of a 21st Century AMOC Collapse“ von René M. van Westen, Michael Kliphuis und Henk A. Dijkstra der Universität Utrecht geschrieben. Der Tenor der Publikation war, dass nach aktualisierten Modellen die Atlantische Umwälzzirkulation (Atlantic Meridional Overturning Circulation, AMOC, Golfstrom-System) früher als bislang befürchtet zusammenbrechen könnte: 2050 (Mittelwert von 2037 und 2064). Die Wahrscheinlichkeit eines AMOC-Kollapses vor dem Jahr 2050 schätzen diese KlimaforscherInnen auf 59 % ± 17 %.
Der Knackpunkt an dieser neuen Studie ist: „Ihre Berechnungen basieren nicht mehr wie in älteren Studien auf Proxydaten (z B aus Eisbohrkernen, Hölzern, fossilen Algenablagerungen, …), die extrapoliert werden, sondern auf aktuellen Messungen von Ozean-Parametern. Ein solcher wichtiger Parameter ist der Salzgehalt der Ozeane, der gemeinsam mit der Temperatur Meerwasser unterschiedlich dicht macht und so Wassermassen zum Absinken oder Aufsteigen bringt. In diesem Fall erwiesen sich Salzgehaltsdaten in der Nähe der Südgrenze des Atlantiks als optimal, um in diesem Modell aktualisierte Schätzungen des Zeitpunkts des AMOC-Kollapses zu liefern.“
Die Abnahme der AMOC ist nun also meßbar!
Damit ist sie aus der hypothetischen Zukunft zum aktuellen Anliegen geworden.
Dampier schrieb dazu am 29.09. folgenden Kommentar:
„Die taz über die Golfstrom-Kollaps-Studie:
Der mögliche Kollaps des Golfstroms war im Februar eine große Nachricht. Eine neue Studie weckt daran Zweifel – doch in den Medien kommt sie kaum vor.
Der Fall ist symptomatisch für die mediale Neigung, katastrophisch zuzuspitzen. (…)
Gleichzeitig glaubten viele, die den Klimawandel anzweifeln, noch stärker daran, belogen zu werden. (…) So befeuert eine katastrophisierende Berichterstattung eine sich weiter polarisierende Wahrnehmung.
Anfang September kam nun eine neue Studie zum Golfstrom heraus. Geschrieben haben sie Forscher:innen der Universität Miami, publiziert wurde sie in Nature (…). Die Verfasser:innen stellen hier – wieder vereinfacht gesagt – fest, dass eine Änderung des Erdmagnetfelds in einem wichtigen Element des Golfstrom, dem sogenannten Floridastrom, bisher nicht berücksichtigt worden war.
Die entsprechende Korrektur zeige, dass der Floridastrom „bemerkenswert stabil“ geblieben sei. Die daraus folgenden Schätzungen zur künftigen Entwicklung des Golfstroms insgesamt „ergeben einen deutlich schwächeren negativen Trend“ (…).
Das klingt nach einer potentiell guten Nachricht. Aber solche haben es schwer. Weit schwerer, als Schocker wie die „minus 30 Grad“. Und das ist ein Problem.
(…)
An der Notwendigkeit, auf Grundlage des aktuellen Wissensstandes gegen die Klimakrise vorzugehen, ändert das nichts.
Ich finde, das ist ein valider Einwand. (Das beziehe ich ausdrücklich nicht auf deinen Artikel zum Thema, @Bettina, den finde ich nicht überdramatisiert – es ist trotzdem noch dramatisch genug, auch wenn man es sachlich schildert.) Aber vielleicht sollte auch über diese Studie mehr berichtet werden.“
Meine Antwort am 30.09:
„@Dampier: Ich gucke mir das mal an. Der taz-Artikel erscheint mir ziemlich dünn, die geben nicht mal die Quelle an, lassen das durch keinen Ozeanographen/ Klimaforschenden einordnen und machen nur so ein Medienberichterstattungsdings daraus. Überzeugt mich nicht. Ich versuche mal, was rauszufinden.“
Da muss ich mich jetzt korrigieren: Christian Jakob zitiert in seinem taz-Artikel Jochem Marotzke, Direktor des Hamburger Max-Planck-Instituts für Meteorologie: „Der Golfstromstransport habe „nicht abgenommen“.
Zu dieser Einordnung später mehr.
AMOC und Stabilität des Floridastroms
Die neue Studie “Florida Current transport observations reveal four decades of steady state”von Wissenschaftlern des Cooperative Institute for Marine and Atmospheric Studies (CIMAS), der Rosenstiel School of Marine, Atmospheric, and Earth Science der University of Miami, des Atlantic Oceanographic and Meteorological Laboratory (AOML) der NOAA und des National Oceanography Centre ergab, dass die Stärke des Floridastroms, dem Beginn des Golfstromsystems und einer Schlüsselkomponente der globalen Atlantischen Meridionalen Umwälzströmung (AMOC), in den letzten vier Jahrzehnten stabil geblieben ist.
Der Floridastrom zirkuliert im Golf von Mexiko und ist der Beginn der AMOC, die vor den nordeuropäischen Küsten endet.
„Sie haben im Rahmen von wurden Messungen an Unterseekabeln des Floridastroms um die gerichteten (säkularen, also nicht oszillierend) Änderungen im Geomagnetfeld korrigiert. Dabei stellte sich heraus, dass der Floridastrom, eine der schnellsten Strömungen im Ozean und ein wichtiger Teil der AMOC, in den letzten 40 Jahren bemerkenswert stabil geblieben ist.“ steht in der Pressemitteilung.
Der Abstract der Originalstudie lautet:
„The potential weakening of the Atlantic Meridional Overturning Circulation (AMOC) in response to anthropogenic forcing, suggested by climate models, is at the forefront of scientific debate. A key AMOC component, the Florida Current (FC), has been measured using submarine cables between Florida and the Bahamas at 27°N nearly continuously since 1982. A decrease in the FC strength could be indicative of the AMOC weakening. Here, we reassess motion-induced voltages measured on a submarine cable and reevaluate the overall trend in the inferred FC transport. We find that the cable record beginning in 2000 requires a correction for the secular change in the geomagnetic field. This correction removes a spurious trend in the record, revealing that the FC has remained remarkably stable. The recomputed AMOC estimates at ~26.5°N result in a significantly weaker negative trend than that which is apparent in the AMOC time series obtained with the uncorrected FC transports.“
Könnte man übersetzen mit:
„Die potenzielle Abschwächung der Atlantischen Meridionalen Umwälzströmung (AMOC) als Reaktion auf anthropogene Einflüsse, wie sie von Klimamodellen vermutet wird, steht im Mittelpunkt der wissenschaftlichen Debatte. Eine wichtige Komponente der AMOC, der Floridastrom (FC), wurde seit 1982 mithilfe von Unterseekabeln zwischen Florida und den Bahamas bei 27°N fast kontinuierlich gemessen. Eine Abnahme der FC-Stärke könnte ein Hinweis auf die Abschwächung der AMOC sein. Hier bewerten wir die bewegungsinduzierten Spannungen, die an einem Unterseekabel gemessen wurden, neu und bewerten den Gesamttrend des abgeleiteten FC-Transports neu. Wir stellen fest, dass die Kabelaufzeichnungen ab dem Jahr 2000 eine Korrektur für die säkulare Änderung des Geomagnetfelds erfordern. Diese Korrektur entfernt einen fehlerhaften Trend in den Aufzeichnungen und zeigt, dass der FC bemerkenswert stabil geblieben ist. Die neu berechneten AMOC-Schätzungen bei ~26,5°N ergeben einen deutlich schwächeren negativen Trend als der, der in der AMOC-Zeitreihe erkennbar ist, die mit den unkorrigierten FC-Transporten erhalten wurde.“
Vereinfacht ausgedrückt: Mit der Messung der elektrischen Ladungen entlang der Kabel lässt sich die Stärke des Floridastroms berechnen – die Meßreihe reicht bis 1982 zurück. Jetzt sind diese Messungen um die Auswirkung der Verschiebung der irdischen Magnetpole ergänzt und korrigiert worden.
Widerlegt das jetzt die Studie zum Zusammenbruch der AMOC?
Christian Jakob schreibt dazu in der am 29.09:
„Negative Nachrichten: Jagd nach der nächsten Katastrophe
Der mögliche Kollaps des Golfstroms war im Februar eine große Nachricht. Eine neue Studie weckt daran Zweifel – doch in den Medien kommt sie kaum vor.“
Er beginnt ebenfalls mit den „fatalen Folgen eines Kollaps`des Golfstroms“ und dann kommt der erste Fehler: „Im Februar dieses Jahres erschien dann die bisher umfassendste Simulationsstudie zum Thema.“
Diese Studie basiert eben nicht mehr nur auf Modellrechnungen, sondern greift erstmals auch auf Meßwerte zurück, eben zur Salinität.
Dass viele Medien die extreme Möglichkeit eines Temperatursturzes von -30 °C aufgriffen und daraus begeistert ein dramatisches Klimakatastrophen-Szenario strickten, hat mich auch gestört, da stimme ich Jakob zu. Darum hatte ich mich ja auch entschlossen, einen langweilig anmutenden Beitrag zu dieser Studie geschrieben, um nicht in die Falle des Alarmismus zu tappen.
Christian Jakob schreibt dann weiter, dass die neuen Resultate zum Floridastrom in Klimaskeptikerkreisen begeistert aufgegriffen würden und wiederholt die falsche Aussage, anstatt sie zu debunken. Er befragt zwar einen Experten, macht aber im Weiteren aus den beiden Studien ein medienkritisches Ding, statt sich weiter inhaltlich mit den ozeanographischen Daten und Schlussfolgerungen zu beschäftigen.
Mir erschien dieser Move von Klimaforschung zu Medienversagen ziemlich konstruiert. Ich las schnell aus der Studie und Pressemeldung der UMiami (University of Miami) heraus, dass die Korrektur die Abschwächung der AMOC nicht widerlegt, sondern nur etwas verringert hatte. Schließlich ist der Floridastrom nur ein Teil des gesamten AMOC-Systems.
Da ich aber keine Ozeanographin bin, habe ich einen Ozeanographen um Einordnung gebeten. Den fand ich mit Prof. Joseph D. Ortiz, Oceanographer, Climate Scientist (Kent State University) auf Blue Sky.
Er antwortete mir Folgendes:
Das Zitat von Denis Volkov, dem Hauptautoren der neuen Floridastrom-Publikation stammt aus einer Pressemitteilung der UMiami.
Mein erster Eindruck hat also nicht getrogen: Die beiden Studien sind kein Widerspruch!
Sondern sie erklären unterschiedliche Aspekte des sehr komplexen Strömungssystems AMOC, dass für uns in Westeuropa mit dem Golstrom eine wunderbare Fernwärmeheizung bedeutet.
Bessere Einordnung der Publikationen zur AMOC
Die SZ-Wissen-Redakteurin Vera Schroeder hat diesen scheinbaren Widerspruch zwischen den beiden Studien anders angepackt und mehrere Experten befragt – am 02.10 schrieb sie „Verlangsamt sich die Atlantik-Strömung doch nicht?“.
Sie erklärt noch einmal detailliert, worum es geht und fragte dann zwei Experten: Auch sie zitiert Jochem Marotzke, den Direktor am Max-Planck-Institut (MPI) für Meteorologie in Hamburg. (Wie er zu seiner Aussage „Der Golfstromtransport hat nicht abgenommen, und die Abschwächung der AMOC war marginal“ kommt, obwohl die Autoren das bereits in ihrer Publikation zur Berichtigung der Floridastrom-Daten verneinen, ist mir schleierhaft)
Dem stellt sie Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) entgegen, der betont: „Auch in den korrigierten Daten zum Floridastrom ist die jüngste Abschwächung der AMOC steiler als der langfristige Trend. Aus dieser Datenkorrektur ergibt sich also keine signifikante Änderung an der Risikoeinschätzung für die AMOC insgesamt.“ Rahmstorf ist Mit-Autor der Publikation „Current Atlantic Meridional Overturning Circulation weakest in last millennium“, bei der die Abschwächung des Golfstroms gemessen wurde.
Ihr Artikel ist sachlich und unaufgeregt, Rahmstorf Schlußwort macht klar, wo der Schwerpunkt liegt.
Das ist ein deutlich angemessener Umgang mit einem scheinbaren Widerspruch zweier Fach-Publikationen gerade beim sensiblen und äußerst komplexen Thema Klimakrise.
Fazit
- Der Widerspruch ist nur scheinbar. Die Studie zur Stabilität des Floridastroms, schwächt die Studie zur Abschwächung der AMOC leicht ab, widerlegt sie aber nicht.
- Unser globales Klimasystem mit den Atmosphären- und Ozeanströmungen ist genauso komplex wie die Klimakrise. Manchmal ist die Darstellung nicht einfach. Sie braucht viel Expertise. Aber darum sollten wir alle uns immer wieder bemühen. Außerdem ist niemand vor Sachfehlern gefeit, gerade in einer komplexen Materie anderer Fachgebiete.
Aber JournalistInnen sollten sich zumindest bemühen, keine Desinformationen weiterzubreiten. Auch wenn sie unbeabsichtigt durch ungeschickte Narrative entstehen. - BlueSky ersetzt nicht Twitter vor der Musk-Übernahme, bietet zumindest für mich aber zumindest ein kleines, noch keimendes Netzwerk auch mit Wissenschaft und Wissenschaftsdiskussionen.
Ich bin dort als Meertext @meertext.bsky.social unterwegs.
Hinweis zu Diskussion von Klimakrise-Themen auf Meertext
Wie bei allen Beiträgen zur Klimakrise möchte ich noch einmal darauf hinweisen, dass diese Aussagen und Schätzungen auf Forschungsarbeiten von Tausenden von Arbeitsgruppen auf allen Kontinenten basieren. Und dass, auch wenn zurzeit niemand konkret sagen, an welchem Tag in welchem Jahr was genau passieren wird, alle Daten auf das Abschwächen des Golfstroms und einen engen Zusammenhang der globalen Meeresströmungen zeigen. Weiterhin gibt es zwar keinen 100%-igen Beweis, dass die menschengemachte Erderwärmung die Ursache für das Schwächeln dieser Meeresströmung ist, aber eine signifikante Menge von Indizien und Berechnungen. Ich lade zu einer faktenzentrierten Diskussion ein.
Trollereien, Populismus und billige Polemik hingegen haben auf Meertext keinen Platz. Genauso wie das Unvermögen, zwischen Fakten und Meinung zu differenzieren.
Da ich den morgigen Tag vor allem mit dem HERA-Launch im ESOC verbringen werde, kann ich mich nicht um die Moderation von Kommentaren kümmern.
Darum schalte ich die Kommentarfunktion ausnahmsweise noch nicht gleich frei, sondern erst Dienstag vormittag.