Flaggstaff und Grand Canyon

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Schließlich sitze ich am Rand des Canyons. Unter meinen Wanderstiefeln reicht die Erdgeschichte bis zu fast zwei Milliarden Jahre zurück. Die urältesten schwärzlichen Gesteine ganz am Boden der Schluchten sehe ich nicht, nur die bräunlich-rötlich-violett aufgetürmten neueren Sedimentschichten lassen sich erkennen. An einer Stelle wird zwischen den steinernen Wänden der schlammgetrübte Colorado sichtbar, fern und klein.
Die gigantischen Abmessungen des Grand Canyons – er ist 446 km lang, bis zu 29 km breit und an manchen Stellen 1.857 m tief – vermag mein Hirn von der Oberkante aus und ohne Größenvergleich nicht zu erfassen. Genauso gut könnte ich an den Valle marineris auf dem Mars stehen. Dort wäre allerdings weniger los und vielleicht gibt es dort auch keine kreisenden Geier oder verküppelt aus den Wänden wachsenden Kiefern und andere struppig-staubige Vegetation, die sich an die Felsen klammert.

Wir kommen in Flaggstaff an – auf 2100 Metern Höhe, neben uns die Bergrücken des Mount Elden, von duftenden Pinienwäldern und im oberen Bereich auch von Schnee bedeckt.
Ich bin baff, denn ich hatte Wüste erwartet.
Die Höhe und die trockene Luft machen uns zu schaffen, mit aufgerissenen Lippen und Nasenbluten. Flagstaff ist eine Oase der Zivilisation und extrem stark besucht, auch von Wochenendtouristen. Das Hotel ist voll, viele Leute sind für Outdoor-Aktivitäten wie Wandern hergekommen.

Von dort aus brechen wir zu unserem letzten Highlight auf: dem Grand Canyon.
Auch den hatte ich mir in der Wüste vorgestellt, nicht in Schnee und Pinienwäldern. Es herrscht ein irrer Betrieb.
Ungeduldig schlängel ich mich durch Leute und Pinienhaine, bis ich endlich an der Kante stehe – und dann nimmt mich das gigantische Schluchten-Gewirr mit den vielen kleineren Canyons vollkommen gefangen.

Wir sind immer noch auf dem Colorado-Plateau. Vor fünf bis sechs Millionen Jahren hat sich der Colorado hier extrem tief in den Untergrund gefräst und damit den Grand Canyon erschaffen, lese ich auf den Bildtafeln des kleinen geologische Nationalpark-Museum. Das erklärt die extreme Tiefe dieses Canyon-Systems – die Zeit reichte noch nicht, um den Graben wieder mit Staub, Sand und Gesteinsschutt zu füllen. DUDE fasst zusammen, was hier geschah: Deposition, Uplift, Down cutting and Erosion – was für ein geniales Merkwort.

Die von Wasser und Erosion frei geschliffenen Kathedralen von Sedimenten offenbaren für mich die Ökosysteme, die sich hier einst erstreckten. Für mich ist der Sandstein bevölkert von vorsintflutlichen Grünzeugen und Geschöpfen.


Ich versuche, Worte zu finden, für etwas, wofür unsere Sprache eigentlich viel zu klein ist.
Ich atme so viel Erdgeschichte auf einmal ein, dass mir fast die Luft wegbleibt.

Unter meinen Wanderstiefeln sind 2 Milliarden Jahre Erdgeschichte ((C) Bettina Wurche)
Blick in den Grand Canyon ((C) Bettina Wurche)

Die karge Vegetation täuscht, im Canyon-System und dem Nationalpark leben allein 91 Arten von Säugetieren, 447 Vogelarten fliegen vorbei und 48 Reptilienarten sowie 10 Amphibienarten kriechen umher. Dazu gibt es noch viel mehr Wirbellose und natürlich speziell angepasste Pflanzen. Im Colorado schwimmen viele Arten von Fischen, die nur hier vorkommen, wie ich bereits hier schrieb.

Mehr zur Entstehung des Canyons und seiner einzelnen Gesteine ist auf der ausgezeichneten Seite des National Park Service zu finden.
In diesem NPS-Video nimmt Park-Rangerin Stephanie Sutton uns mit auf eine kurze Entdeckungstour – es lohnt sich! Dabei wird klar, wie extrem unterschiedliche Mikro-Lebensräume auf sehr engem Raum nebeneinander liegen.
Wie gern wäre ich mit ihr mitgegangen!
Und wie gern hätte ich eine Nacht in der Hütte im Canyon vebracht und dort Nacht und Sternenhimmel erlebt.

More Than A View – Grand Canyon In Depth Episode 01 (NPS)

Das Video ist hier zu finden, es ist das erste einer ganze Reihe.

Für SternguckerInnen (ja, Lagerfeuer und Gitarre SIND kitschig. Aber der Blick nach oben ist doch der Hammer, oder?)

Night Sky – Grand Canyon In Depth Episode 04

Weitere Vidos stellen die Gewässer und die Archäologie vor.

In der schroffen Schlucht und ihrer Umgebung leben seit 10.000 Jahren Menschen. Wie haben sie sich mit den endlosen Schluchten arrangiert? Wovon haben sie gelebt, haben sie die Schluchten jemals überquert?
Im Nationalpark werden die heutigen Stämme der Havasupai, Hopi und Hualapai-Stämme, die Navajo und Yavapai-Apache-Nationen, die Pueblo von Zuni und die Southern Paiute einschließlich der  Kaibab, Las Vegas und Moapa-Gruppen der Paiute Indianer, der Paiute Indianerstamm von Utah sowie der San Juan Southern Paiute Stamm genannt. Hier ist mehr über die Indianerstämme des Grand Canyon zu erfahren. Die Forderung, im Park mehr über das indianische Erbe zu informieren, verstehe ich, mich hätte es jedenfalls sehr interessiert. Als Beispiel wird genannt, dass der Bright Angel Trail ein alter Indianerpfad sei: “The Bright Angel Tail, our people call Gthatv He’e: that’s because of the trees, cause the way their branches are, or the leaf part of it, is how my dad explained it to me,” Kaska says. “Gthatv He’e: that’s Coyote Tail Trail, because it’s kind of bushy at the end.”
Die wissenschaftliche Erforschung dieser Giganten-Schlucht begann um 1850. Diese Pioniere der Forschung und Erkundung werden heute glorifiziert. Was die Ureinwohner über den Canyon wussten, ihre Geschichten und ihre spirituellen Gedanken dazu, bleiben leider unerwähnt.

Ausstattung der frühen Geologen – Hammer, Gesteinsproben-Werkzeug, Meßinstrumente ((C) Bettina Wurche)

Auf dem Rückweg nehmen wir den Bus, um wieder zum Parkplatz zurückzukommen. Die anderen drei haben Termindruck, sie wollen abends in Flagstaff noch zum Lowell Observatory (the Home of Pluto (der ja nun doch kein Planet mehr ist)) . An einer Bushaltestelle treffen wir noch zwei Elche – direkt vor dem Schild „Do not feed or touch wild animals“.
Leider war ich nicht schnell genug mit der Kamera. Das glaubt mir doch keiner.

Tschüß Arizona, hallo Kalifornien!

Morgens fahren wir in Arizona in über 2500 m Höhe los, es ist kalt und um uns herum sind Pinienwälder mit Schneeresten. Weiter geht es westwärts, heute abend wollen wir in San Diego sein, an der kalifornischen Küste. Nach den ersten paar Stunden kamen wir ins flachere Land, auf einem Abschnitt fiel die Straße so steil ab, dass es in nicht nur in meinen Ohren knackte.
Allmählich wurde es wieder trockener und wir komen wieder in die Halbwüste. Mehrere Meilen vor der Grenze gibt es Werbung für Weed – Legales Haschisch ist offenbar für viele Menschen wahnsinnig attraktiv.
Mit dem Überschreiten oder eher Überfahren des Colorado sind wir auf kalifornischem Boden. Dabei passieren wir eine Grenzkontrolle! Damit holt mich die Tagespolitik mit den Menschen, die aus Mittel- und Südamerika vor Armut, Terror und Perspektivlosigkeit in die USA flüchten wollen, ganz schnell aus meinen geologischen Träumen. Unsere Pässe will aber niemand sehen.
Hinter der Grenze biegen wir ab in die Mojave-Wüste – sie blüht. In diesem Frühjahr hat es in Kalifornien viel geregnet, unsere Freunde erzählen uns, ihr Garten sei zu einem Dschungel zugewachsen. Und in dieser wunderbaren Wüste blühen die Kakteen. Diese zarten Blüten in Pink und Gelb an den Kakteen mit ihren Armleuchter-, Kugel- und anderen bizarren Formen zu sehen, verzaubern uns. Wir steigen wenigstens kurz aus und schauen uns um.

Die Mojave-Wüste blüht! ((C) Bettina Wurche)
Mojave-Wüste mit Hügelkette ((C) Bettina Wurche)

Kurz vor unserem Ziel, dem Wohnort unserer Freunde, wandelt sich die Landschaft wieder: Jetzt sind es fruchtbare grüne Hügel, auf denen Rinder grasen. Weinberge und Weinfelder deuten auf ein fast mediterranes Klima hin. Wir sind im Hinterland von San Diego. Bei unserem letzten Besuch war alles gelb und verdorrt, jetzt ist alles grün und blüht. Wo bei uns ein Blühstreifen mit Mohn, Natternkopf, Kornrade, Malven und Klee steht, wachsen hier deutlich exotischere Pflanzen.

Straßengrün in Kalifornien ((C) Bettina Wurche)

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Auf dem Science-Blog „Meertext“ schreibe ich über meine Lieblingsthemen: Biologie, Zoologie, Paläontologie und das Meer. Wale, Fische und andere Meeresgetüme. Tot oder lebendig. Fossile Meere, heutige Meere und Meere der Zukunft. Die Erforschung, nachhaltige Nutzung und den Schutz der Ozeane. Auf der Erde und anderen Welten. Ich berichte regelmäßig über Forschung und Wissenschaft, hinterfrage Publikationen und Statements und publiziere eigene Erlebnisse und Ergebnisse. Außerdem schreibe ich über ausgewählte Ausstellungen, Vorträge, Bücher, Filme und Events zu den Themen. Mehr über meine Arbeit als Biologin und Journalistin gibt´s auf meiner Homepage “Meertext”.

10 Kommentare

  1. Am Rande des Grand Canyons zu sitzen – da sei mein Neid mit dir.

    Wie groß das Ding ist, wird einem auch dann bewusst, wenn man sich dazu informieren möchte, auf welchem Weg man am besten vom North Rim runter zum Colorado River wandert und dann auf der anderen Seite wieder hoch zum South Rim. Und dann erfährt man, dass dieses Unterfangen gar nicht an einem Tag machbar ist, sondern man im Canyon übernachten müsste, wofür man eine spezielle Genehmigung braucht. Dabei wäre das mein Traum: Sämtliche geologischen Schichten vom Kaibab Limestone oben bis zum Vishnu Schist ganz unten aus eigener Anschauung erleben.

    • @Sascha: Das denke ich auch. Ich bin ja selten um Worte verlegen, aber dafür habe ich keine worte gefunden. Die geologischen Fakten fand ich für die Erklärung dieses Wunders gut, aber da war noch ein spiritueller Anteil, der mir einfach den Mund offen stehen ließ.

  2. Dieser Videovortrag hat nicht viele Views und hat auch keine bewegten Bilder (außer das des Vortragenden), aber trotzdem. Ein Geologe wandert den gesamten Grand Canyon entlang, nicht vom Nordrand zum Südrand, sondern von dort, wo Lake Powell endet bis dort, wo Lake Mead beginnt. Also 470 km Flusslänge – und zu Fuß wahrscheinlich noch einiges mehr.

    Den größten Teil der Strecke ist er allein gegangen, nur für eine Woche und besonders herausforderndes Gelände wurde er von zwei Freunden begleitet, mit denen er sich mitten in der Wildnis getroffen hat. Dauer seines Fußmarsches durch den Canyon: 2 Monate. Er beschreibt seinen Hikingtrip auf sehr sachliche Weise, aber es wird deutlich, dass das ein nicht ganz ungefährliches Unterfangen war, welches sehr viel Planung – und trotz der Planung auch etwas Glück – erforderte.

    Sehr beeindruckend.

    • @Spritkopf: Danke! Das wäre mal ein schöner Tipp für einen dunklen Winterabend. Er wird in mir wieder das Gefühl zurückbringen, dass der Grand Canyon, das Colorado-Plateau und der ganze Mittlere Westen viel zu groß für einen kurzen Besuch und ein paar Worte sind.
      So eine Erfahrung, dort entlangzuwandern, hätte ich wahnsinnig gern gemacht. Es ist tatsächlich nicht ungefährlich, weil es extrem abgelegen und extrem trocken ist. Einen Monat nach unserem Besuch wurden die Temperaturen so extrem hoch, dass überall davor gewarnt wurde. Ohne Sonnenschutz und auf diesem Gestein wäre eine Wanderung für mich nicht mehr möglihc gewesen. Dazu gibt es sicherlich Begegnungen mit Wildtieren, von Elch bis Klapperschlange. Ja, das Video muss ich sehen!

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