Fisch-Embryonen als Frühwarnsystem und Folgen von Ölpesten
BLOG: Meertext

Wasserbewohner nehmen durch die Haut und ihre Nahrung auch viele giftige Substanzen aus ihrem aquatischen Lebensraum auf und reichern sie im Körper an. Fischembryonen reagieren besonders schnell und sensibel auf solche Toxine. Darum nutzen US-Forschende jetzt Stint-Embryonen zur effektiven Überwachung zur Toxin-Belastung von Küstengewässern und als Frühwarnsystem.
Stinte sind durchsichtig erscheinende kleine Fische mit grünlichem Rücken, die zwischen Meer und Süßwasser leben. In europäischen Küstengewässern lebt der meist 15 cm lange Binnenstint Osmerus eperlanus, der traditionell etwa im Elb- und Weserästuar gefischt wird.Er riecht intensiv nach frischer Gurke, mit einer unangenehmen Unternote und wird darum scherzhaft „Gurkenfisch“ genannt.
Die nordamerikanische Art Hypomesus pretiosus lebt an der amerikanischen Nordpazifikküste zwischen San Franciso (Kalifornien) und dem Prince William-Sund (Alaska). Etwas größer als der europäische Verwandte, kommt er oft in der Brandungszone vor – darum heißt er surf smelt – und ist dort mit Handnetzen leicht zu fangen. Neuerdings untersuchen WissenschaftlerInnen Embryonen dieser „Brandungsstinte“, um die Auswirkungen der Verschmutzung im oberen Gezeitenbereich besser zu verstehen. Dort treffen im Übergangsbereich zwischen Land und Meer marine und menschliche Ökosysteme zusammen.
Der Brandungsstint ist in verschiedenen Stadien seines Lebens eine ökologische Schlüsselart – verschiedene Altersgruppen sind Nahrung für Lachse, Seevögel, Raubvögel, Meeres- und Landsäugetiere sowie Menschen. Stinte fressen selbst Plankton und werden oft als Futter- oder Köderfisch genutzt.
Im Gegensatz zu anderen Fischen schwimmen sie zum Laichen bis zur Hochwasserlinie und hinterlassen ihre befruchteten Eier im Strandsediment, wenn das Wasser zurückgeht. Stinte kommen von Südkalifornien bis Alaska vor und sind im Bundesstaat Washington weit verbreitet, wo sie das ganze Jahr über an verschiedenen Stränden laichen. Trotzdem wissen die Wissenschaftler nicht viel über sie, weder wie viele es gibt, noch ob es genetisch unterschiedliche Populationen sind. Dass einige Populationen im Sommer häufig auf der Ostseite des Puget Sound in der Nähe von Seattle vorkommen, andere nicht, könnte auf solche Unterschiede hinweisen. Im Winter ziehen sie nach Süden in Richtung Tacoma, und im Frühjahr ziehen sie nach Nordwesten in die Juan-Fuca-Straße.
Da sie klein und auch zu Fuß leicht zu fangen sind, bieten sich die bis zu 20 cm kleinen amerikanischen Stinte fürs Monitoring schädlicher Auswirkungen der Verschmutzung in wichtigen Küstenlebensräumen an. Umweltschäden lassen sich so frühzeitig identifizieren und mit Gegenmaßnahmen minimieren.
Dort waten einige Fischer in die Brandungszone und fangen einige der kleinen silbrigen Stinte im Handnetz. Es gibt eigentlich keinen Markt für die mickrigen Lachsverwandten mit dem intensiven Geruch, sie werden in der Saison als lokaler Snack im Ganzen verspeist – genau, wie in Deutschland auch wieder (die Elbfischerei war wegen der hohen Schadstoffbelastung für Jahrzehnte untersagt)
Wenn die Stintfänger am Twin Beach an der Nordküste der Olympic Peninsula im US-Bundesstaat Washington erfolgreich waren, spricht der Aquakultur-Experte Mark Tagal vom Washington Department of Fish and Wildlife (WDFW) sie an. Er sucht „reife“ Fische – also laichbereite Männchen und Weibchen. Zur Fortpflanzungszeit haben die Fische dicke Hinterleiber. Wenn Tagal dann vorsichtig darauf drückt, drückt er bei Weibchen reife Eier und bei Männchen „Milch“ – spermienhaltige Flüssigkeit – aus den Urogenitalöffnungen vor der Afterflosse (Bei Fischen gibt es nur eine gemeinsame Öffnung für Kot, Urin und Geschlechtsprodukte).
Tagal füllt Eier und Sperma in Plastikfläschchen und gibt noch etwas Seewasser dazu. Im Meer vermischen Wellen und Strömungen Eier und Sperma, im Plastikfläschchen muss Tagal mit leichtem Schütteln dafür sorgen. Danach steckt er die Probenbehälter mit den nun befruchteten Eiern in eine Kühlbox. In den nächsten Tagen wird er sie in speziell entworfene Käfige an Stränden rund um Puget Sound setzen, wo sie sich entwickeln. Dieses Experiment ist Teil eines Pilotprojekts zum Monitoring der lokalen Küstengewässer auf Verschmutzungen und Toxine.
Mark Tagal und sein Team beim Washington Department of Fish and Wildlife (WDFW) hoffen, von den Stint-Embryonen Informationen zu erhalten, wie sich vom Menschen verursachte Veränderungen diese Gezeitenlebensraums wie etwa Meeresverschmutzung, Küstenentwicklung und ökologische Wiederherstellung sowohl auf die Stinte als auch auf das gesamte Ökosystem auswirken.
„Exxon Valdez“ und der Beginn des Umwelt-Monitorings per Hering
Als am 24. März 1989 der Öltanker „Exxon Valdez“ im Prince William Sound in Alaska auflief, flossen 42 Millionen Liter Rohöl über mehr als 2000 Kilometer der Küsten Alaskas. Im giftigen zähen Ölschlick starben Hunderttausende Seevögel, Tausende Meeressäuger, darunter Seeotter, Seehunde und Orcas, sowie Hunderttausende Lachse und Heringe. Diese Ölkatastrophe hatte über Jahrzehnte hinweg schwere Auswirkungen auf die Ökosysteme, Ökonomien und Kulturen der Küsten im gesamten pazifischen Nordwesten.
Nach der Katastrophe leiteten Forscher der National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA) und des United States Geological Survey die damals größte Umweltverträglichkeitsprüfung ein, die je zu einem Ölunfall auf See durchgeführt wurde.
Eine wichtige Rolle spielten dabei Pazifische Heringe, die eine den Stinten ähnliche ökologische und ökonomische Rolle einnehmen.
In den ersten Jahren nach der ersten Ölpest entdeckten WissenschaftlerInnen bei erwachsenen Heringen Leberschäden durch die im Rohöl enthaltenen Toxine. Die sich entwickelnden Heringe aus von der Ölpest betroffenen Gebieten starben doppelt so häufig wie Exemplare aus nicht verölten Gebieten und hatten deutlich mehr äußere körperliche und chromosomale Anomalien.
Tückisch war, dass die Ölpest an den Stränden kaum noch zu sehen war, die Schäden der toxischen Erdöl-Komponenten aber weiterhin stiegen. Bis 1993 kehrten nur 25 Prozent der erwarteten erwachsenen Tiere zum Laichen zurück und die pazifische Heringspopulation brach ein.
Ab 2008 half eine Reihe toxikologischer Studien bei der Erklärung des Zusammenbruchs des Fischbestands: Sie zeigten, dass chemische Verbindungen im Rohöl die sich entwickelnden Herzen von Heringsembryonen schädigen. Diese waren nicht unmittelbar tödlich, verursachten aber schwerwiegende lebenslange Defekte. Sie sorgen für eine schlechte Fitneß der Heringe und damit für deren geringere Fortpflanzungsrate. Erst im November 2024 wurde die kommerzielle Heringsfischerei zum ersten Mal seit mehr als 30 Jahren wieder aufgenommen. Dabei sind die Heringsbestände immer noch geringer als vor der Ölpest.
Damit waren erstmals die tiefgreifenden Auswirkungen der toxischen Ölkomponenten und -verbindungen im „Feldversuch“ nachgewiesen.
Übrigens sind durch die „Exxon Valdez“ Ölpest auch einige Orca-Familie der küstennah lebenden Resident-Orcas verschwunden bzw werden aussterben – sie können sich nicht mehr fortpflanzen. Diese Tiere waren direkt durch den Ölschlick an der Meeresoberfläche geschwommen und hatten dabei toxische Bestandteile eingeatmet und über die Haut aufgenommen. Dazu hatte ich vor einigen den Biologen Craig Matkin, der u a diese Orcas erforscht, interviewt: Ölpest: Das lange Sterben der Wale.
Die anderen Orca-Familien der Küstengewässer vor Alaska und Kanada erholen sich glücklicherweise allmählich davon.
Kalifornien, 2007, „Cosco Busan“: Die 2. Ölpest-Lektion
Durch die Ölpest der „Exxon Valdez“ konnten die Wissenschaftler erstmals die schädlichen Auswirkungen von Rohöl auf die Entwicklung von Heringen über Jahre hinweg erforschen und verstehen. Doch erst bei einer weiteren Ölpest konnten sie die gewonnenen Erkenntnisse zur Überwachung der Gesundheit eines Küstenstreifens anwenden.
Im November 2007 kollidierte das Containerschiff „Cosco Busan“ mit der San Francisco-Oakland Bay Bridge und über 200.000 Liter Schweröl flossen ins Wasser. Als kurze Zeit später die dort lebenden Heringe ablaichten, konnten die Forscher mit einer einer In-situ-Methode zum Biomonitoring die Auswirkungen der Ölpest auf die Embryonalentwicklung der Heringe analysieren und dokumentieren. Dazu setzten sie manuell befruchtete Heringsembryonen in Unterwasserkäfige – ähnlich denen, die Tagal schließlich für Stinte entwickeln würde. In der ölverschmutzten Bucht waren die Fischembryonen dann sieben Tage lang dem Öl ausgesetzt, danach sammelten die Forschenden sie wieder ein. Bei der Untersuchung der sich gerade entwickelnden Larven durch Foto- und Videomikroskopie wurden die durch die toxischen Ölbestandteile verursachten Schäden deutlich: das Öl verursachte wieder selbst innerhalb so kurzer Zeit umfangreiche Herzschäden. Außerdem führte die Schadstoffkonzentration, obwohl sie eigentlich unter der tödlichen Schwelle lag, dennoch zu einer hohen Sterblichkeit. Dies lag offenbar an Wechselwirkungen dieses Toxin-Cocktails im Fisch und dem Sonnenlicht. Damit war klar: Fischembryonen waren ein geeignetes toxikologisches Überwachungsinstrument zum Monitoring der Küsten.
Allerdings laichen Heringe in flachen Gewässern und streifen ihre Eier dort an Seegras- oder Kelpwäldern ab, ihre Embryonen müssen immer von Salzwasser bedeckt sein. Die Brandungsstinte hingegen „reiten“ mit der Flut bis an den Strand und legen dort in der oberen Hochwasserlinie, im Spülsaum, die Eier ab. Ihre Embryonen klammern sich dann im Brandungsbereich an Kiesel. Im Gegensatz zu den Heringen überleben Stinte bei Ebbe auch Luft und Sonnenlicht. Damit sind die kleinen Stinte anfälliger für Verschmutzung vom Land, die etwa durch städtische Regenwassereinleitungen und Abwasserüberläufe oder durch Küstenentwicklungsprojekte entstehen. Also haben Forschende wie Tagal die Techniken des Heringsmonitorings auf Stinte angewendet. Damit haben sie ein weiteres Frühwarnsystem entwickelt – diesmal für den wichtigen Übergang zwischen Land und Meer, wo marine und menschliche Ökosysteme zusammentreffen.
Der größte Teil dieses Beitrags stammt aus meiner Übersetzung des ausgezeichneten Textes „Listening to the Smelt“ von Gemina Garland-Lewis, den ich etwas ergänzt habe.
Zum Weiterlesen
Wer sich für weitere Details bei der Haltung und Aufzucht von Stint-Embryonen interessiert, sollte direkt bei Gemina Garland-Lewis: „Listening to the Smelt“ weiterlesen.
Hier geht es zu den Berichten des Smelt Monitoring Teams für Kalifornien
https://www.usbr.gov/mp/bdo/smelt-monitoring-team.html
und hier für Alaska
https://www.fws.gov/media/edsm-daily-report-0
Wer sich für Details der toxischen Auswirkungen von Ölpesten auf Meerestiere interessiert: 2010 war im Golf von Mexiko die Ölbohr-Plattform „Deepwater Horizon“ in Brand geraten, es kam zum Blowout – dem unkontrollierten Ausfluss von Öl.
Ich hatte gerade meinen ersten Scienceblog Meertext in Betrieb genommen und darüber ausführlich berichtet:
„Der perfekte Sturm“ für die Delphine des Golf von Mexiko: Kommentar
„Der perfekte Sturm“ für die Delphine des Golf von Mexiko: Kritische Diskussion der Publikation
Zusammenhang zwischen der Ölpest in 2010 und Delphinsterben in 2011 im Golf von Mexiko?
Ölpest: Wie schadet Erdöl den Meerestieren?
Pottwale meiden Deepwater Horizon
Deepwater Horizon Oilspill: 10 Jahre nach dem Blowout
10 Jahre danach, 2020, hatte ich für die Landeszentrale für Politische Bildung Thüringen (Verlag) das Heft „Deepwater Horizon: Blowout!” geschrieben, das man hier bestellen kann
Interessanter und informativer Beitrag. Danke.
Eine Parallele zum Stichwort “Stint” bzw. “smelt”: im Zusammenhang mit den Bränden in Kalifornien formulieren Donald Trump und seine Unterstützer Schuldzuweisungen der Art: “die Brände in Kalifornien sind so schlimm, weil sich die Behörden um den kleinen Fisch smelt kümmern”. Vom Verursacher und Verschlimmerer Klimawandel wird von Trump & Co gerne abgelenkt. Siehe z.B. Beiträge im MTN (Meidas Touch Network) auf YouTube.
@Harald Andresen: Ja, das ist wirklich bizarr. Typischer Fake News-Verschwörungsmythos der Öl-Lobby: Solche Ökosystem-Monitorings, die Verursacher von Ölpesten u a Verschmutzungen verursachen, sind Trump & Co natürlich ein Dorn im Auge. Nach dem Deepwater Horizon Oil Spill hatten solche Behörden dem Ölkonzern ganz schön zugesetzt, um Schäden zumindest teilweise zu kompensieren. Auch die Zusammenhänge der Erkrankungen von Tieren und Menschen durch das Rohöl wollen Ölkonzerne natürlich gern ausblenden. Ohne Krankenversicherung war für viele Menschen, die nach der Ölbekämpfung schwer erkrankten, der Ölkonzern die einzige Möglichkeit, überhaupt ärztlcihe hIlfe zu bekommen – dafür mussten sie Schweigeabkommen unterzeichnen.
Außerdem gibt es nach solchen Katastrophen immer neue Umwelt- und Sicherheits-Auflagen für Ölkonzerne bzw andere Konzerne, solche “bösen” Regulierungen mögen Tump & Co natürlich auch gar nicht.
Solche Industrie-Lügen gibt es in Europa natürlich auch: Heute kam die Publikation eines Recherche-Netzwerks von u.a. SZ, WDR/NDR, u a raus, wie die Industrie-Lobby jetzt die Gefahren der PFAS leugnet, verharmlost und dabei auch Fake News einsetzt. Diese sogenannten Ewigkeitschemikalien sollten reduziert werden, da sie sehr schlecht abbubar sind und schwere gesundheitlcihe Auswirkungen auf Menschen und Tiere haben. Im hoch belasteten Nord-Atlantik führen sie wohl u a zur Sterilität einiger Orca-Familien.