Emo und Punk: Zwei uralte Mollusken rocken die Paläontologie

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Der britische Paläontologe Mark Sutton und ein Team machen gerade mit zwei frühen Mollusken-Fossilien namens Punk und Emo Schlagzeilen. Die Namen hatten die Paläontologen diesen beiden Urviechern zunächst als Arbeitstitel verpaßt, dann wurden daraus die Artnamen: Punk ferox und Emo vorticaudum.
Beide geben einen Einblick in die frühe Evolution und Ökologie der Weichtiere. Das Problem bei Weichtieren ist ja, dass meist nur ihre kalkigen Anhänge wie Schalen fossilisieren, während der größere Teil des weichen Körpers verwest. Bei Punk und Emo hingegen kam es zur perfekten Erhaltung der Körperoberfläche – ihre Namen haben sie durch die borstenartigen Körperanhänge bekommen, die an Punk-Frisuren erinnern.

3 D-Rekonstruktion des Fossils Punk ferox (Skeet Julia Sigwart; 08. Januar 2025 auf BlueSky)

The Herefordshire Lagerstätte – Schaufenster ins Silur

Das Silur ist ein Abschnitt aus dem Erdaltertum und in Wales in der Herefordshire Lagerstätte erhalten. Die 430 Millionen Jahre alten Bewohner dieses uralten Meeresbodens des subtropischen Mikrokontinents Avalonia sind dort dreidimensional erhalten: Sie wurden als kalzitische Hohlraumfüllungen in Karbonatkonkretionen erhalten, die Konkretionen sind in einem vulkanoklastischen Horizont aus Bentonit eingebettet. Diese Erhaltung ist so ungewöhnlich, dass sie bis heute nicht vollständig erklärt werden kann. Dass diese Fossilfundstelle etwas Besonderes ist, sagt ihre Bezeichnung als „Lagerstätte“ aus: Nur Fundorte mit Fossilien in herausragender Erhaltung erhalten dieses Premiumlabel.
Von den 3 D-Fossilien dieser uralten Silur-Meerestiere sind bislang 32 Arten beschrieben und mindestens 29 weitere warten noch darauf. Die meisten Arten gehören zu den Arthropoden und Schwämmen, daneben gibt es Stachelhäuter und wenige Mollusken.

Die jetzt publizierte Arbeit hat zwei altertümliche Mollusken davon untersucht – zwei Aculifera. Unter Aculifera werden heute Polyplacophora mit ihrem Rückenpanzer aus einer Reihe von acht beweglichen Spangen – diese Käferschnecken gelten als lebende Fossilien – und Aplacophora mit ihren wurmförmigen, schalenlosen Körpern zusammengefaßt.
Emo vorticaudum und Punk ferox gehören zu den Aculifera – wurmartige Mollusken, die über auf einer Sohle den Boden krochen und auf dem Rücken kalkige Stacheln trugen.
Luke Parry (Universität Oxford) bezeichnete die Herefordshire Lagerstätte mit ihren herausragenden Weichteilerhaltung zutreffend als „Schatzgrube“ und „wurmiges Weichtier-Pompeji.“

Unansehnliche Fossilien in 3 D und neonschrill

Diese Silur-Fossilien sind durch ihre seltsame Erhaltung und metamorphe Vorgänge unansehnlich. Erst im Anschnitt offenbart sich ihr Inhalt. Allerdings macht die Einbettung der Fossilien es unmöglich, sie aus den Konkretionen einfach freizupräparieren, sie lassen sich nicht klar vom umliegenden Gestein trennen (wie auf dieser Abbildung erkennbar). Nur mit reichlich technischem Aufwand und paläontologischem Fingerspitzengefühl konnten die Paläontologen den wurmartigen Klumpen ihre Geheimnisse entlocken:
Zunächst führten sie Röntgenscans durch, um einen detaillierten Blick auf die inneren Strukturen zu erhalten, ohne äußere Schäden zu verursachen.
Danach schnitten sie die Fossilien in ihrem Umgebungsgestein in sehr dünne Schichten   und machten bei jedem Schritt Fotos, um ein 3D-Bild der äußeren Merkmale zu erstellen.

Schließlich erstellten die Forschenden durch eine Kombination aus physikalisch-optischer Tomographie und Phasenkontrast-Synchrotron-Röntgen-Mikrotomographie (SXMT) dreidimensionale Rekonstruktionen der uralten Weichtiere.  
Beide Fossilien hatten glatte Unterseiten – das deutet auf ein Leben und Kriechen am Meeresboden hin.
Außerdem konnten die Paläontologen aus der Haltung Emos gekrümmter Haltung Rückschlüsse auf dessen Fortbewegung ziehen: er hat sich vermutlich wie eine Spannerraupe bewegte und die Stacheln dabei zum „Greifen“ und Vorwärtsschieben verwendete. Außerdem war der Körper länglich-wurmartig und zusammengedrückt, wie bei Käferschnecken.
Bei Punk bleibt die Fortbewegung unklar, allerdings hatte auch dieses Tier eine Sohle wie heutige Käferschnecken und auch deren Kiemenanordnung. Er trug außerdem lange Stacheln, die die Forscher an die Irokesenfrisur von Punkern erinnerte – so kam er zu seinem Namen.

Hinweise auf Verwandtschaftsverhältnisse und Ökologie

Mit den Seriendünnschliffe und dem Rundum-Rendering konnten die beiden Weichtiere als „virtuelle Fossilien“ am Computer untersucht werden
Aufgrund der wenigen festen Körperbestandteile ist über die Aculifera dieser frühen Erdgeschichte weniger bekannt, als über Schnecken, Muscheln und Kopffüßer, deren kompakte Außenschalen gut fossilisieren. Darum tragen die Analyse von Emo und Punk nun sehr viel zum Verständnis der Paläobiologie und Frühgeschichte der Aculifera bei. der vertretenen Gruppen bei: Sie zeigen die besondere Merkmalskombination aus Kriechsohle, wurmartigem Körper und kalkigen Stacheln, de wichtig für weitere Verwandtschaftsanalysen ist. Außerdem können die Forschenden mit diesen Funden die molekularen Uhren zur Molluskenevolution kalibrieren.

So haben die PaläontologInnen aus unscheinbaren Fossilien, die wie Steinknollen aussehen, mit Hilfe moderner Bildgebungsverfahren eine überraschende Fülle von Details herausbekommen. Es sollte allerdings nicht unerwähnt bleiben, dass Emo und Punk keinesfalls Pink und Neongrün waren – die schrillen Farben kamen durch die Analyse, um die Stacheln und Fäden besser hervorzuheben.
Da zu dieser Zeit aber längst Augensysteme entwickelt waren, spricht alles dafür, dass auch diese Urkriecher des flachen Silurmeeres farbig gemustert waren. Nur vielleicht nicht gerade in Neonfarben

PS: Punk ist offensichtlich doch tot. Macht sich aber auch als Fossil sehr gut.

Sutton, M.D., Sigwart, J.D., Briggs, D.E.G. et al. New Silurian aculiferan fossils reveal complex early history of Mollusca. Nature (2025). https://doi.org/10.1038/s41586-024-08312-0

Bettina Wurche in Portsmouth

Veröffentlicht von

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Auf dem Science-Blog „Meertext“ schreibe ich über meine Lieblingsthemen: Biologie, Zoologie, Paläontologie und das Meer. Wale, Fische und andere Meeresgetüme. Tot oder lebendig. Fossile Meere, heutige Meere und Meere der Zukunft. Die Erforschung, nachhaltige Nutzung und den Schutz der Ozeane. Auf der Erde und anderen Welten. Ich berichte regelmäßig über Forschung und Wissenschaft, hinterfrage Publikationen und Statements und publiziere eigene Erlebnisse und Ergebnisse. Außerdem schreibe ich über ausgewählte Ausstellungen, Vorträge, Bücher, Filme und Events zu den Themen. Mehr über meine Arbeit als Biologin und Journalistin gibt´s auf meiner Homepage “Meertext”.

6 Kommentare

    • @RPGNo1: Ja, die sind wirklich sehr schräg. Bei silurischen Fossilien hatte ich das erwartet, darum hatte ich mir das auch gleich abgespeichert : )
      Noch ne Ergänzung: Gerade diese englischen Fundstellen bieten Einblicke in Bereiche der Erdgeschichte, die nicht nur wissenschaftlich, sondern auch wissenschaftshistorisch sehr wichtig sind. Schließlich ist dort beim Eisenbahnbau die Geologie entwickelt worden, und damit auch die Paläontologie.

  1. Die Einteilung der Mollusken ist ja etwas unintuitiv. Als ich jetzt von den Poly- und Aplacophora las (von denen ich bis jetzt noch nichts gehört hatte), fiel mir sofort ein, dass es auch die Monoplacophora gibt. Von denen las ich schon vor Jahrzehnten in einem Buch, weil man sie in den 1950er Jahren als lebende Fossilien entdeckt hatte. Man kannte sie schon lange, aber dachte, dass sie schon im Devon ausgestorben waren. Die Entdeckung war nicht ganz so spektakulär wie beim Quastenflosser, aber immerhin.

    Meine Vermutung, dass A-, Mono- und Polyplacophora eng zusammengehören, wurde aber von Wikipedia sofort widerlegt:

    https://de.wikipedia.org/wiki/Stachelweichtiere

    Die “Monisten” sind also viel enger mit den Schnecken verwandt als mit den anderen beiden Gruppen. Zu allem Überfluss heißen sie auf Deutsch nicht nur Einschaler, sondern auch Napfschaler, womit man sie mit den Napfschnecken verwechseln könnte, aber das ist wieder was anderes … 🙂

    • @Manfred Polak: Diese Bemerkung fasst den aktuellen Stand der Mollusken-Systematik wohl ganz gut zusammen : )
      Aculifera waren mir auch neu. Diese Einteilung muss innerhalb der letzten 5 Jahre passiert sein. In der von mir verlinkten Publikation zur Herefordshire-Lagerstätte taucht der Begriff nämlich noch nicht auf. Dort sind die jetzt beschriebenen beiden Fossilien unter Aplacophora aufgeführt.
      Ich hatte überlegt, darauf kurz einzugehen. Dachte mir dann aber, dass solche systematischen Spitzfindigkeiten vielleicht etwas zu weit gehen.
      Da habe ich mich offenbar getäuscht : )
      Die Publikation “The Herefordshire Lagerstätte: fleshing out Silurian marine life” kann ich jedenfalls sehr empfehlen. Sutton hat daran mitgeschrieben und auch das Paläontologie-“Urgestein” Derek Briggs. Vor allem die Abbildungen sind der Hammer – dass in solcher Lehm-Matschepampe mit solch unansehnlichen Konkretionen erdgeschichtlich derartig wichtige Fossilien stecken, ist schon krass. Und was für technische Klimmzüge für deren Untersuchung nötig waren, ist wirklich beeindruckend

      Diese Publikation von 2024 Biyang Xu: “Molluscan systematics: historical perspectivesand the way ahead” (ich kann sie über ResearchGate lesen) ist schon ziemlich detailliert, lässt aber dennoch so einiges offen.

  2. Interessant, dass das deutsche Wort “Lagerstätte” auch im Englischen ein Fachbegriff ist. So wie “Kindergarten”. 🙂

    • @Manfred Polak: Das liegt daran, dass Prof. Adolf Seilacher diesen Begriff um 1985 auch in englische Publikationen eingeführt hatte. Dabe ging es zunächst um die herausragende Fossilerhaltung in den Posidonienschiefern in Holzmaden und Dotternhausen. In den stark geschichteten warmen Urmeeren waren Ichthyosaurier und viele andere Meeresbewohner in die anoxischen Tiefen abgesunken und dort komplett mit Weichteilen versteinert.
      Die Museen in Holzmaden, Stuttgart und Dotternhausen lohnen sich unbedingt!

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