Die Multifunktions-Beine des Knurrhahns

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Ein Roter Knurrhahn (Northern Sea Robin, Prionotus carolinus) hat gerade Schlagzeilen gemacht – als „bizarrer“ Fisch, der „mit den Beinen schmeckt“. Diese anthropozentrische Form der Berichterstattung wird dem stacheligen, knurrenden Bodenbewohner nicht gerecht. Statt bizarr sollte man ihn eher als perfekt angepasst an seinen Lebensraum und besonders sensitiv sehen.

Dieser Knurrhahn lebt im westlichen Atlantik, sein Artname carolinus weist auf einen Fundort vor der Küste des US-Staats hin. Der deutsche Name Knurrhahn (auch in der Nordsee leben drei Arten – Roter sowie Gestreifter Knurrhahn und Seekuckuck) kommt von seiner Lautgebung: Er knurrt deutlich hörbar! Das Knurren entsteht, indem er mit einem Muskel auf der Schwimmblase trommelt.

BARKING SEA ROBIN

Brustflossen werden „Beine“

Den englischen Namen Sea Robin hat der Fisch aufgrund seiner roten Färbung und der sehr großen Brustflossen bekommen, die eher an Vogelschwingen als an Brustflossen erinnern. Diese Brustflossen sind auch schon bei den Jungfischen erkennbar (hier sind ausgezeichnete Photos von Prionotus). Zunächst sind sie transparent, wie der ganze im Plankton mitschwimmende Jungfisch und damit im offenen Meer perfekt getarnt. Mit dem Übergang zum Bodenleben nimmt der erwachsene Fisch dann seine artspezifische Färbung – Grau, Ocker oder Rot. Die zusammengefalteten Brustflossen werden erst beim Schwimmen sichtbar – bunt und rund werden sie aufgefächert wie japanische Papierschirmchen.
Beim jugendlichen Fisch sind noch alle Flossenstrahlen mit der Membran als Flosse verbunden, aber irgendwann trennen sich die ersten drei Strahlen jeder Flosse ab (hier ist eine gute Abbildung dazu, von der Larve über den Jungfisch zum Erwachsenen). Sie verlieren die Membran und werden stattdessen zu beinartigen, recht stabilen Tastern, die wie stelzenförmige Beinchen aussehen. Genauer gesagt, sind es die Vorderbeine oder Armen – und genauso benutzt der erwachsene Knurrhahn sie auch, und stakt damit langsam über den Sandboden. Der Rest des Körpers bleibt durch Auftrieb einige Zentimeter über dem Sand.
Damit lag die Vermutung nahe, dass diese extrem stark ans Bodenleben angepassten Fische mit diesen hochspezialisierten Flossenstrahlen ihre Beute im sandigen Untergrund aufspüren können.

Aber bis zur wissenschaftlichen Beschreibung dieser Sinnesleistung brauchte es einige Biologen, die den Fischen im Aquarium zuguckten und dann begannen, die passenden Fragen zu stellen – in diesem Fall entstand daraus ein ganzes Forschungsprojekt, dessen Publikation im September durch die Medien ging.

Der Zellbiologe und Elektrophysiologe Corey Allard (Harvard University), kannte Knurrhähne, weil sein Vater und seine Brüder sie häufig angelten. Ihre „Beine“ fielen ihm allerdings erstmals bewusst auf, als er sie im Marine Biological Laboratory in Woods Hole, Massachusetts, beobachtete.

Knurrhähne schmecken exzellent, darum werden sie gern geangelt. Wegen ihrer schauderhaften Stacheln in den Flossenstrahlen der 1. Rückenflosse und der fiesen Dornen auf den Kiemendeckeln sind sie allerdings schwierig zu filetieren. Um die kleinen Filets zu bekommen, muss man den Fisch fast umkrempeln, die Verletzungsgefahr für Menschen ist dabei groß (dafür sollten Pflaster parat sein). Und da die Filets klein und oft fragmentarisch sind, werden sie oft zu Klößchen verarbeitet.

Was man nicht am Kopf hat, muss man an den (Vorder-)Beinen haben

Da Fisch-Experten ohnehin schon aufgrund ihrer Beobachtungen vermuteten, dass Knurrhähne vergrabene Beute finden könnten, startete Corey Allard im Labor von  Professor Nicholas Bellono (Department of Molecular and Cellular Biology, Harvard) mit anderen KollegInnen ein Forschungsprojekt. So wurde der kleine Knurrhahn mit seinen außergewöhnlichen Flossen zum Modellorganismus für die Frage: „Wie baut man ein neues Organ?“.
Das mehrjährige Forschungsprojekt untersuchte den genetischen Ursprung und die Entwicklung der stark umgeformten „Arme“ der Knurrhähne und erbrachte neue Erkenntnisse dafür, wie ein Tier ein völlig neues Organ bildet. Ihre Arbeit wurde heute in zwei Artikeln in Current Biology veröffentlicht, einer konzentriert sich auf die Sinnesbiologie und der andere auf die Genetik.
Im ersten Teil des Projekts erforschten sie die Frage “Evolution of novel sensory organs in fish with legs”.
Dafür führte Allard zunächst Experimente durch, bei denen er gefangene Prionotus-Exemplare  im Aquarium bei der Jagd auf Beute beobachtete, wie sie zwischen kurzen Schwimm- und „Laufphasen“ abwechselten. Gelegentlich scharrten sie auch an der Sandoberfläche nach vergrabener Beute wie Muscheln und andere Schalentiere. Dafür vergruben die Forscher Leckerbissen wie Muscheln oder sogar nur Kapseln mit bestimmten Geruchsstoffen im Sand. Da auf der Sandoberfläche von der dort eingegrabenen Beute nichts zu sehen war, mussten die Knurrhähne ihre Essen offenbar anders aufspüren. So fanden die Forscher heraus, dass die tastenden Fischbeine sowohl auf mechanische als auch auf chemische Reize empfindlich reagierten.

Der Zufall führte zu einer weiteren Entdeckung. Als das Forscher-Team einige neue Knurrhähne in die Aquarien setzte, verhielten die sich anders: Diese neuen Fische fanden vergrabene Beute oder Kapseln nicht. Die Physiologen überlegten, ob die Fische krank oder ihnen beim Experiment ein Fehler unterlaufen sein könnte. Schließlich stellte sich heraus, dass eine andere Knurrhahnart geliefert worden war.  Statt Prionotus carolinus, der gräbt, um vergrabene Beute zu finden, und hochempfindlich auf Berührung und chemische Signale reagiert, hatten sie den ähnlich aussehenden P. evolans bekommen, der seine Beine nur zur Fortbewegung und zum Sondieren benutzt, aber nicht zum Aufspüren und Graben. Die „Beine“ beider Fischarten wiesen einige Unterschiede auf:  Der grabende P. carolinus hatte schaufelförmig und mit Papillen – ähnlich unseren Geschmacksknospen – bedeckte Beinchen. Die Beine des nicht grabenden P. evolans hingegen waren stabförmig und trugen keine Papillen.

Allard untersuchte daraufhin auch die Tast-Flossenstrahlen anderer Knurrhahn-Arten aus dem Bestand des Museum of Comparative Zoology und fand heraus: Die grabenden Arten sind auf nur wenige Standorte beschränkt, was auf eine relativ junge Evolution dieses Merkmals hindeutet. Damit sind die diese laufenden Fische definitiv ein potenziell leistungsfähiger Modellorganismus, wie die Evolution einzelner Merkmale die Anpassung an sehr spezifische Umgebungen ermöglicht.

Welche Gene lassen einen Fisch laufen?

Die zweite Studie befasste sich mit der Genetik: „Ancient developmental genes underlie evolutionary novelties in walking fish.“
Mit Techniken wie transkriptomische und Genom-Editierung fanden die Forscher heraus, welche Transkriptionsfaktoren die Beinbildung und ihre sensorischen Funktionen der Knurrhähne bewirken. Dafür hatten die WissenschaftlerInnen auch Hybriden zwischen den beiden Knurrhahnarten mit unterschiedlichen Beinformen erzeugt.
So konnten sie durch die Nutzung von Transkriptomik und CRISPR-Cas9-Genombearbeitung im Vergleich der beiden Knurrhahnarten das Gen tbx3a als entscheidenden Treiber der Beinbildung identifizieren.
Genau dieses Gen namens tbx3a ist auch für die Bildung von Gliedmaßen bei anderen Tieren wichtig – sogar bei Menschen! Dies deutet darauf hin, dass Fische ähnliche genetische Programme verwenden wie wir, um Gliedmaßen zu bilden, damit ihre Flossen zu Beinen werden.
Als Nächstes untersuchte das Team die funktionellen Folgen einer tbx3a-Störung. Damit fanden sie mehr über die evolutionären Mechanismen der Genregulation der beiden Fischarten heraus, die durch eine Evolution von etwa 18 Millionen Jahren getrennt sind. Und seitdem ihre langen Beinchen unterschiedlich verwenden.

Diese Entdeckung an Fischen ist auch für die Evolution des menschlichen aufrechten Gangs interessant: Vor etwa 6 Millionen Jahren entwickelten Hominiden die Fähigkeit zum aufrechten Gang und trennten sich damit von den Primatenvorfahren. Obwohl dieser zweibeinige Gang ein bestimmendes Merkmal unserer Spezies ist, ist noch nicht vollständig erforscht, wie, wann und warum diese Veränderung stattfand.

Es ist schon ungewöhnlich, dass heutige kleine Knochenfische, die wir bis dahin höchstens als leckeres Häppchen  und skurrilen Meeresbewohner einschätzten, zur Klärung unserer eigenen Evolution etwas beiträgt.

Publikationen

Corey A.H. Allard, ∙ Amy L. Herbert,David M. Kingsley,∙ Nicholas W. Bellono: “Sea robins
Volume 33, Issue 13pR704-R706July 10, 2023; DOI: 10.1016/j.cub.2023.04.015

Corey A.H. Allard1,6Amy L. Herbert2,6Stephanie P. Krueger1,6 ∙ … ∙ Maude W. Baldwin3David M. Kingsley2, Nicholas W. Bellono1,7 : Evolution of novel sensory organs in fish with legs; Volume 34, Issue 19p4349-4356.e7October 07, 2024

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Auf dem Science-Blog „Meertext“ schreibe ich über meine Lieblingsthemen: Biologie, Zoologie, Paläontologie und das Meer. Wale, Fische und andere Meeresgetüme. Tot oder lebendig. Fossile Meere, heutige Meere und Meere der Zukunft. Die Erforschung, nachhaltige Nutzung und den Schutz der Ozeane. Auf der Erde und anderen Welten. Ich berichte regelmäßig über Forschung und Wissenschaft, hinterfrage Publikationen und Statements und publiziere eigene Erlebnisse und Ergebnisse. Außerdem schreibe ich über ausgewählte Ausstellungen, Vorträge, Bücher, Filme und Events zu den Themen. Mehr über meine Arbeit als Biologin und Journalistin gibt´s auf meiner Homepage “Meertext”.

5 Kommentare

  1. Vor etwa 6 Millionen Jahren entwickelten Hominiden die Fähigkeit zum aufrechten Gang und trennten sich damit von den Primatenvorfahren. Obwohl dieser zweibeinige Gang ein bestimmendes Merkmal unserer Spezies ist, ist noch nicht vollständig erforscht, wie, wann und warum diese Veränderung stattfand.

    Wenn ich mich recht erinnere, habe ich vor nicht allzulanger Zeit irgendwo gehört, dass einige Paläoanthropologen die Meinung vertreten, dass der aufrechte Gang schon beim gemeinsamen Vorfahren von Schimpanse und Mensch ausgebildet war und der Schimpanse sich aufgrund seines Lebensraums (Waldumgebung) zum “Knucklewalker” zurückentwickelt hat. Ich weiß allerdings nicht, ob die das an Merkmalen von Sahelanthropus tchadensis festmachten, der ja evolutionär nicht weit weg von diesem Vorfahren gewesen sein muss oder an was anderem.

    Ich gucke mal, ob ich ein Paper dazu finde.

  2. @Spritkopf: Es fehlt sicherlich nicht an Hypothesen für Erklärungen, warum wir heute aufrecht auf den Hinterbeinen herumlaufen : )
    Falls ein gemeinsamer Vorfahre von Hominiden und Schimpansen den aufrechten Gang bereits hatte, müssten, auch wenn Schimpansen ihn heute nicht mehr haben, Spuren im Genom geblieben sein. Dann müssten die entsprechenden Gensequenzen fehlerhaft, aber erhalten sein – wie etwa tbx3a-Fragmente (Ich hatte mich gerade für einen Artikel zur Federevolution (Natur 10/24) tief in auch genetische evolutive Prozesse eingelesen, wie das mit der Gen-Evolution und dem Ausknipsen von Gen-Sequenzen funktioniert – war sehr aufschlußreich)
    Davon habe ich noch nie gelesen oder gehört, halte es eher für eine steile These.
    Schimpansen haben einen ganz anderen Beckengürtel und anders eingesetzten Oberschenkel als wir, der wesentlich affenähnlicher ist Ich habe mal alle Pongiden und einen Homo nebeneinander stehen sehen – trotz der Ähnlichkeiten liegen dazwischen Universen. Darum halte ich das auch aus anatomischer Sicht für extrem unwahrscheinlich.
    Aber ich bin zuversichtlich, dass das großartige Max Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie unter dem genialen Svante Pääbö da früher oder später noch etwas herausfindet : )

    Und was weiß ich schon von Hominiden, ich bleibe besser bei meinen Fischen und Walen : )

  3. Es war tatsächlich Sahelanthropus tchadensis, bei dem man aufrechten Gang (oder zumindest “habitual bipedalism”, also zeitweilig aufrechten Gang) meint identifiziert zu haben. Das hatte ich also richtig in Erinnerung.

    Was ich leider nicht mehr gefunden habe, ist die Diskussion darum, welche Bedeutung dies für die Evolution des Schimpansen haben würde und ob deren Vorfahren ebenfalls mal Aufrechtgänger waren. Falls nicht, dann hieße das ja, dass entweder Sahelanthropus tchadensis weit entfernt von sowohl der Vorfahrenlinie des Menschen als auch des Schimpansen war. Oder dass der gemeinsame Vorfahr von Mensch und Schimpanse noch deutlich weiter in der Vergangenheit lebte als die 7 Millionen Jahre, die man im Moment annimmt (und die auch S. tchadensis alt ist).

    Und inwieweit der aufrechte Gang auch Spuren im Genom hinterlassen haben muss, davon habe ich leider ungefähr soviel Ahnung wie eine Kuh vom Sonntag. 😉

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