CephalopodFriday: Pottwal frisst Riesenkalmar – und wird dabei gefilmt
BLOG: Meertext
Prof. Rebecca R Helm teilte gerade in ihrer BlueSky-Timeline ein SPEKTAKULÄRES Video: Ein Pottwal verschlingt einen Riesenkalmar, der sich mit sämtlichen Tentakeln dagegen wehrt.
Dass Pottwale, die größten aller Zahnwale, neben vielen kleineren Kopffüßern auch Riesenkalmare (giant squid) erbeuten, ist nicht neu. In Mageninhalten fanden sich immer wieder die Reste des legendären Architeuthys. Ein harpunierter Pottwal erbrach vor den Augen der Walfänger sogar solch einen Mollusken-Moloch.
Ein Architeuthys ist kein leichter Gegner. Zu der Mantellänge von bis zu 2 Metern hat er noch 8 Tentakel und 2 besonders lange Jagdtentakel von bis zu 10 Metern Länge (das weiche Fleisch lässt sich auch weiter ausdehnen und führt dann zu sensationellen Längen – die hier angegebenen Messungen sind wissenschaftlicher Konsens). Die Innenflächen der Arme und Tentakel sind mit Hunderten von runden Saugnäpfen mit einem Durchmesser von 2 bis 5 cm bedeckt. Jeder gewölbte Saugnapf sitzt auf einem Stiel, der Außenrand ist mit scharfen, fein gezackten Ringen aus Chitin gesäumt. Pottwale tragen oft weißliche Narben solcher Saugnäpfe auf dem dunkelgrauen Körper, die von Titanenkämpfen in der lichtlosen Tiefe erzählen.
Dazu hat der Kalmar an der Mundöffnung inmitten des Tentakelkranzes einen scharfen papageienartigen Schnabel, mit dem er Fleischwunden beißen kann. Außerdem sind Weichtiere dieser Größe sehr stark, ihre 10 Arme bestehen nur aus zäher Muskulatur.
So wissen Naturforscher und andere Meeresbegeisterte seit Jahrhunderten um solche Duelle zweiter Top-Prädatoren in den Tiefen der Meere. Aber bisher gab es nur Indizien dafür. Jetzt sind Taucher erstmals Augenzeugen eines Pottwal-Jagderfolgs geworden: In den warmen Gewässern von Mauritius kam ein junger Pottwal (erkennbar an den typischen Körperproportionen mit dem relativ kleinen Kopf) aus der Tiefe zurück ins durchlichtete Meer nahe der Oberfläche. In der kalten lichtlosen Tiefsee hatte er den Kalmar mit seinem Sonar geortet und ihn sich dann genau passend geschnappt: Mit dem Kopf voran.
Im Hintergrund ist ein anderer Pottwal zu sehen. Bei beiden Walen fallen die weißen Unterkiefer auf und die eng an den Körper gelegten Brustflossen. Hier wirken die Körper der grauen Riesen wie Tauchboote, keinesfalls wie Säugetiere.
Näher an der helleren, durchlichteten Oberfläche beendet der junge Physeter seinen vertikalen Aufstieg und legt sich horizontal. Dabei hat er seine Beute fest ins Maul geklemmt und versucht sichtbar, das wehrhafte Weichtier weiter zu schlucken. In einem Comic würde diese Szene vermutlich mit einem lautmalerischen „CHOMP“ unterlegt. Der aus dem Maul hängende Kalmar versucht währenddessen verzweifelt, zu entkommen und streckt Tentakel aus dem Walmaul, um sie um den grauen, walzenförmigen Walkörper zu schlingen. Außerdem stößt er Schwaden schwarzer Tinte aus, die die Jagdszene dramatisch umwabern
Zum Größenvergleich: Der Unterkiefer des jungen Wals soll ca 2 Meter lang sein (ohne Quellenangabe, aus der Diskussion unter Rebeccas BlueSky Post).
Auch wenn Tintenfische keine Dekompressionskrankheit durch Druckunterschiede bekommen, dürfte der schnelle Aufstieg (Pottwale tauchen bis zu 100 Meter pro Minute ab und auf) ihn doch schwächen.
Dieses Video fängt diese Jagdszene genauso dramatisch ein, wie ich es mir immer vorgestellt habe!
Dieses Video nahm “Ludo” (so sein Instagram-Name) vor der Küste von Mauritius auf, wo Pottwal-Familien leben. Diese Sozialverbunde (social units) sind sehr stabil, die meisten von ihnen sind miteinander verwandt, wie genetische Studien zeigen. Die Mütter und „Tanten“ lehren den Nachwuchs, zu jagen – offenbar sehr erfolgreich. Da die Mütter zum Jagen abtauchen und ihre Kälber dann allein lassen müssen, haben sie engste Freundinnen, die dann auf den Nachwuchs aufpassen. Diese Sozialverbände haben also sehr enge Beziehungen zueinander, um den kostbaren Nachwuchs zu beschützen. Ein Walkalb kann sonst schnell Beute von Orcas oder großen Haien werden. Da Pottwalmütter nur sehr wenig Nachwuchs bekommen und sich dann sehr lange darum kümmern, behüten sie ihre Kälber.
Der Pottwalbestand um Mauritius ist, wie derjenige aus der Karibik, das ganze Jahr über ortsfest.
Dass es sich um einen Architheutys dux handelt, hat der exzellente Tintenfisch-Experte Mike Vecchione (NOAA) bestätigt (Ich kenne Mike sogar persönlich von einer Antarktis-Reise mit RV Polarstern). Dass es ein junger Pottwal ist, haben andere bestätigt und auch ich kann das nur unterstreichen. Das ältere Tier im Hintergrund ist vermutlich die Mutter oder eine nahe Verwandte.
Da auf BlueSky sofort einige Personen das von Rebecca vorgestellte und kommentierte Video als Fake abtaten: Rebecca ist selbst Meeresbiologie-Professorin. Sie hat Mike Vecchione (NOAA) um die ID des Kalmars gebeten, der Architeuthys dux identifizierte. Dann ließ sie eine Pottwal- Expertin das Video bewerten: Die flippte auch aus und bestätigte ebenfalls die Echtheit.
Und ich kenne mich mit Pottwalen auch ziemlich gut aus – auch ich habe keinen Hinweis auf Fake gefunden. Außerdem meldeten sich in den Kommentaren unter dem Video weitere Wal- und Kalmar-Forschende zu Wort – von denen hat auch niemand die Echtheit bezweifelt. Darum gehen wir davon aus, dass das Video echt ist.
Diese Aufnahmen sind eine Sensation!
Das Video stammt von einem Taucher, der jede Menge Pottwale in Bild und Video postet. Mehr kann ich zu seiner Identität nicht sagen, ich bin nicht mehr auf Instagram. Es gibt zurzeit auch noch keine wissenschaftliche Publikation dazu, es ist ein allerdings sachkundiges Amateurvideo. Da ich ihn nicht um Erlaubnis zum Teilen des Videos fragen konnte, gibt es hier nur ein Standbild von Rebeccas Instagram-Post – der Link zum ganzen Video ist hier: Pottwal frisst Riesenkalmar.

Biologen sind keine AI-Experten. Warum sind die Ausschnitte so kurz, warum wechselt mehrfach die Perspektive, warum ist es nicht ordentlich referenziert, wer sind „…“ und wo ist deren erste Veröffentlichung? Genug red flags aus meiner Sicht.
@Peter Köhler: Das steht alles im Artikel. Wie der link zum Original-Video.
@Bettina Wurche: ja, es soll von einem Instagrammer namens “Ludo” kommen – der hat es auch vor zwei Wochen gepostet, https://www.instagram.com/reel/DOeEt_hjBx9/?igsh=ajRvOWtyOW9zcW5u. Andererseits habe ich auch etwas ältere Postings gefunden zB hier vier Wochen alt auf Facebook https://www.facebook.com/reel/787884620524868 , und bei Reddit wird das Video auch schon mehrere Wochen diskutiert. Es scheint vor etwa 6 Wochen aus dem Nichts aufgetaucht zu sein, vielleicht bei TikTok (das würde die kurze Laufzeit und die bizarre Tonspur erklären). Tut mir leid für die Meeresforscher, aber m.E. ist der dokumentarische Wert des Videos Null, solange die Umstände der Herstellung so im Dunkeln liegen.
@Peter Köhler: Wichtig zur Identifikation ist die Plausibilität. Ludo postet ständig hervorragende Bilder und Videos auch von Pottwalen der Mauritius-Population mit ihren Familien. Jede einzelne Einstellung ist plausibel, wir haben an den abgebildeten Tieren keine Fehler entdeckt. Weder an der Anatomie (wie bei den vielen kursierenden Fake-Wal-Videos), noch am Lichteinfall im Ozean (passt exakt zur Lebensweise der Pottwale), noch an der abgebildeten Szene. Auch die Überraschung, diese Jagdszene nicht an einem erwachsenen Bullen, sondern einem Jugendlichen, mit Mama im Hintergrund, zu sehen, spricht für die Authentizität. Ich kenne bisher kein Fake-Video, auf dem jemand dann noch den Tintenausstoß so echt hinbekommen hätte.
Für mich und andere ZoologInnen spricht alles dafür, dass dieses Video authentisch ist.
Ich hoffe, dass Ludo aus seiner Anonymität heraustritt und gemeinsam mit Forschenden diese spektakuläre Szene korrekt publiziert.
Ich werde jetzt noch einen Digital-Forensiker hinzuziehen, mal sehen, was der sagt.
Biologen sind keine AI-Experten
Hat niemand behauptet.
Wir bekommen allerdings mittlerweile sehr viele AI-Produkte als Dokus zu sehen.
Die fallen fast immer durch die Plausibilitätsprüfung.
Mittlerweile habe ich von einem Digital-Forensiker eine Einschätzung bekommen: Er hält die Aufnahme für echt.
Auch Ozeanographen schätzen das Video (Lichteinfall, Farben der Meerestiefen, …) als plausibel und echt ein.
Insofern spricht also sehr viel für die Authentizität.
Was stört Sie denn konkret an der Aufnahme?
Sie ist so gestückelt mit Schnipseln aus mehreren Perspektiven, und irgendwie “zu scharf”. Ich bin nicht ganz überzeugt. Aber vielen Dank für den Digitalforensiker. Das war gründlich, mehr kann man wohl nicht tun. — Gibt es eigentlich Details im Video, die neue Erkenntnisse über das Verhalten dieser Wale liefern würden? Die “Ausbildung” des Jungtiers etwa?
@Peter Köhler: Ja. Wir hoffen schon lange, dass irgendeine Kamera zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort ist und so eine Pottwal-Jagd auf einen Architeuthys mal einfängt. Absolut niemand hat aber damit gerechnet, dass nun ausgerechnet ein Pottwal im “Grundschulalter” mit einem Riesenkalmar auftaucht. Die Mutter-Kind-Gruppen leben ja in flacheren Gewässern und jagen nicht in so großen Tiefen wie die Bullen.
Und dass der kleine Pottwal mit dem Kalmar sichtlich kämpft und sich fast verschluckt, während Mama oder eine “Tante” neben ihm ist, hat auch niemand erwartet. Der Nachwuchs übt ganz offensichtlich noch.
Das habe ich im Beitrag ja auch so beschrieben. Genau diese Sachverhalte meinte ich mit “Plausibilitätsprüfung”.
Alle bisherigen graphischen Rekonstruktionen einer solchen Jagd zeigen, wie ein großer Bulle sich souverän und überlegen einen Architeuthys schnappt. Bei einem Fake-Video hätten wir genau solch eine Szene erwartet.
Dass das nun ganz anders ist, unterstützt die Echtheit des Videos.
Ich verstehe. Nochmals vielen Dank für das interessante Eingangsposting und das Gespräch!
@Peter Köhler: Gern – danke für Ihr Interesse!