#CephalopodFriday: Glas-Kalmare

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Durch meine BlueSky-Timeline (@meertext.bsky.social) flattern gerade mal wieder Gallert-Kalmare (Cranchiidae), deren englischer Name Glass Squids mir wesentlich besser gefällt. Gallerte ist etwas puddingartig Wabbeliges wie Agar Agar oder Gelatine in Sülze oder Bakteriennährboden. “Glas-Kalmar” hingegen hat die Assoziation eines kostbaren gläsernen Artefakts – wie Aschenputtels gläserner Zauberschuh. Das erscheint mir angemessener für solche märchenhaften Wesen der kaum erforschten Twilight-Zone der Ozeane.

Die Twilight-Zone ist der gigantische, um den Globus reichende Raum des Mesopelagials, wo Tiefseekreaturen mit großen lichtempfindlichen Augen noch einen Rest Licht von der Oberfläche einfangen können, wir Menschen aber nur noch in die samtige Schwärze blicken. Wenn wir diesen Meeresbereich zwischen 200 und 1000 Metern überhaupt zu sehen bekommen – wir Menschen können diese Meeresgeheimnisse meist nur durch Kamera-Augen von Tauch-Robotern sehen, nur wenige auserwählte Tiefseeforschende erleben sie direkt beim Tauchgang.

Der Ende April 2025 erstmals in der Tiefsee gefilmte Koloss-Kalmar (Mesonychoteuthis hamiltoni) ist nicht nur das derzeit größte bekannte wirbellose Tier, sondern gehört auch zu dieser Familien der Gallert-Kalmare Cranchiidae. Dieser Koloss war tatsächlich transparent! Allerdings wohl eher ein Kolösschen…

Der gläserne Baby-Koloß

Erwachsene Koloss-Kalmare sind bisher nur aus seltenen Zufallsfängen bekannt. Besonders bekannt wurde ein Exemplar, das 2014 im antarktischen Ross-Meer ins Netz eines Antarktischen Seehecht-Fischereiboots ging. Dessen Kapitän John Bennet beschrieb , dass das Tier zunächst noch lebte und der Mantel mit Wasser aufgebläht war. Der riesige Kalmar saß mitten auf dem Antarktischen Seehecht und plumpste dann an Deck – Kalmar und Fischer waren auf die gleiche Beute aus. Mit zwei Metern Größe sind diese Fische die größten der Antarktis und definitiv eine lohnende Beute. John Bennett war klar, dass dieser Fang außergewöhnlich war, darum posierte er nicht nur neben dem 350 Kilogramm schweren blobartig erscheinenden Tentakeltier, sondern fror ihn auch acht Monate lang ein und übergab ihn schließlich in Neuseeland an Tintenfisch-Experten.
Kat Bolstad (Auckland University of Technology) leitete dann die Untersuchung der Tiefseekreatur, der per Livestream über 140.000 Menschen aus aller Welt fasziniert folgten.

Hier ist das Video:

Der frische Kalmar war dunkelrot und schimmerte nur ein bißchen transparent. Die zarte rote Außenhaut hatte schon im Netz gelitten und sah nach dem Einfrieren recht schäbig aus. Das Tier war ein erwachsenes Weibchen und Kat Bolstad freute sich sehr über die relativ wenig ramponierte weiche Riesin.

Ende April 2025 schwamm dann erstmals ein lebender Koloßkalmar vor die Kameralinse des Remotely Operated Vehicle (ROV) SuBastian des Schmidt Oceans-Forschungsschiffes RV Falkor: In 600 Metern Tiefe schwamm ein nur 30 Zentimeter winziges Exemplar vorbei. Die Expedition war gerade südlich der South Sandwich Inseln im Südatlantik. Diese Aufnahme war, so die Forschenden, das schönste Geschenk zum 100-jährigen Geburtstag der Benennung und Beschreibung des Koloss-Kalmars. Schon 2022 war eine per Crowdfunding unterstützte Expedition dort auf der Suche nach lebenden Exemplaren, allerdings vergeblich. Mesonychoteuthis hamiltonis Lebensraum wurde schon länger in der abgelegenen Weite der nahrungsreichen zirkumantarktischen Strömung vermutet, wie sich nun als richtig herausstellte.

Im Gegensatz zu seinem erwachsenen Verwandten war dieser winzige gefilmte Tintenfisch, der erst noch zu einem Koloß heranwachsen möchte, transparent! Die Identifikation wurde durch Dr. Kat Bolstad bestätigt: “It’s exciting to see the first in situ footage of a juvenile colossal and humbling to think that they have no idea that humans exist,” […] “For 100 years, we have mainly encountered them as prey remains in whale and seabird stomachs and as predators of harvested toothfish.”

Sowohl Rot als auch Transparent sind Tarnfarben in diesen mittleren Schichten der Ozeane, dem Mesopelagial. Irgendwann auf seinem Weg zum Erwachsenwerden wird aus dem transparenten Jungtier ein pupurroter Koloß. Wann und warum, weiß noch niemand.

Gletscher-Kalmar

Bereits Ende Januar hatte ein Team der vorangegangenen Falkor-Expedition ebenfalls im Südpolarmeer auch erstmals einen Gletscher-Kalmar (Glacial Glass Squid, Galiteuthis glacialis) gefilmt. Auch diese Glastintenfischart wurde noch nie zuvor lebend beobachtet.

Die ersten bestätigten Aufnahmen von G. glacialis wurden in der Bellingshausen-See in der Nähe der Antarktis während der Januar-Expedition des Schmidt Ocean Institute gefilmt, die den Meeresboden untersuchte, nachdem ein Eisberg von der Größe Chicagos vom George-VI-Schelfeis abgegangen war. Mit an Bord war der Tiefseeexperte Thom Linley vom neuseeländischen Museum Te Papa Tongarewa, der seine Kollegin Bolstad alarmierte, als er die ROV-Aufnahmen vom Kontrollraum des Schiffes aus betrachtete. Auf den Aufnahmen, die in einer Tiefe von 687 Metern gemacht wurden, positioniert der transparente G. glacialis seine Arme locker über dem Kopf, ähnlich der Kakadu-Pose, die häufig bei anderen Glastintenfischen beobachtet wird.

Durch die sehr guten Filmaufnahmen konnten Tintenfisch-Expertinnen die beiden gläsernen Kopffüßer genau identifizieren, auch wenn sie bei der Expedition nicht an Bord waren.

Transparenz ist Trumpf – Kakadu- oder Glas-Kalmar

Bei vielen Glas-Kalmar-Arten wird Durchsichtigkeit zur Tarnkappe.

Der Kakadu- oder Glas-Kalmar (Cockatoo squid, Leachia sp.) ist gläsern durchsichtig, nur die flirrenden Flossensäume bewegen sich. Die großen rötlich geränderten Augen und die über der Mundöffnung nach oben gefalteten ebenfalls rötlichen Tentakel erinnern tatsächlich an Augen und Kopfputz eines Kakadus.  Im Innern des Tieres ist eine zigarrenförmige dunkle Drüse des Verdauungstrakts zu sehen. Die Augen enthalten pigmentgefüllte Zellen, Chromatophoren, mit denen Tintenfische ihre schnellen Farbveränderungen durchführen. Bei genauem Hinsehen aus der Nähe sind viele kleine weitere Punkte zu sehen – “polka dots” – die ebenfalls Chromatophoren sind.
Die Transparenz und die Chromatophoren dienen der Tarnung im offenen Ozean, in dem ein Kalmar keine andere Deckung findet, als zu verschwinden. Für viele Tiere des Mesopelagials ist das ganz typisch, gerade für die Arten ohne Panzer und große Zähne.

Dabei ist dieser Kalmar, wie viele andere der 10-armigen Tintenfische des offenen Ozeans, mitnichten ein Leckerbissen. Für einen neutralen Auftrieb lagern diese Tiere Ammoniumverbindungen ein, die mit ihrer geringeren Dichte leichter als Wasser sind. Das ganze Tier soll daher recht streng riechen. Die Ammoniumverbindungen befinden sich nicht, wie manche Medien schrieben, in der Schwimmblase des Kalmars. So etwas haben Kalmare nicht. Stattdessen speichern die Cranchiiden ihre Ammoniakflüssigkeit in einer einzigartigen Leibeshöhle. Andere Kalmar-Familien speichern ihre Auftriebsflüssigkeit entweder in Vakuolen im Körpergewebe oder in einer gallertartigen Außenschicht.

Auch diese Filmaufnahmen des Kakadu- oder Glaskalmars wurden von einer privaten Expedition gemacht: Nautilus Live Expedition Trust, die ihre ROV-Kameras meistens im Livestream öffentlich teilen. 2017 hatte eine Nautilus-Expedition im Östlichen Pazifik bis dahin unerforschte Seegebiete zwischen British Columbia, Kanada, und der Baja California, Mexiko, erkundet. Dafür erkundeten sie auch erstmals drei Unterwasser-Canyons im Olympic Coast National Marine SanctuaryQuinault Canyon, Quileute Canyon und Juan de Fuca Canyon. Die Aufnahmen des Cockatoo squid stammt aus dem Quinault Canyon.
Dass Meeresschutzgebiete in den USA “Sanctuary”, also “Heiligtum” heißen, unterstreicht ihre ökologische, ökonomische und emotionale Bedeutung. Die Trump-Junta öffnet solche Meeresschutzgebiete jetzt unter anderem für kommerzielle Fischerei. Zurzeit sind sie wichtige Refugien, in denen sich bereits zu stark ausgebeutete Fischbestände erholen können. Außerdem sind sie wichtig für den Erhalt von Wal- und Korallenbeständen sowie aller marinen Nahrungsketten. Sie erhalten die marinen Nahrungsketten und damit auch die Versorgung vieler Menschen, außerdem garantieren sie langfristige Ausnahmen aus dem Öko-Tourismus gerade für lokale Communities.
Die Trump-Junta gefährdet mit ihrer Gier nach schneller und maximaler Ausbeutung und ihrem Krieg gegen die Natur auch in diesem Fall das langfristige Management natürlicher Ressourcen. Darunter leiden nicht nur die Ozeanbewohner, sondern auch die Menschen.

Bettina Wurche in Portsmouth

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Auf dem Science-Blog „Meertext“ schreibe ich über meine Lieblingsthemen: Biologie, Zoologie, Paläontologie und das Meer. Wale, Fische und andere Meeresgetüme. Tot oder lebendig. Fossile Meere, heutige Meere und Meere der Zukunft. Die Erforschung, nachhaltige Nutzung und den Schutz der Ozeane. Auf der Erde und anderen Welten. Ich berichte regelmäßig über Forschung und Wissenschaft, hinterfrage Publikationen und Statements und publiziere eigene Erlebnisse und Ergebnisse. Außerdem schreibe ich über ausgewählte Ausstellungen, Vorträge, Bücher, Filme und Events zu den Themen. Mehr über meine Arbeit als Biologin und Journalistin gibt´s auf meiner Homepage “Meertext”.

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