Buckelwal-Blasennetze sind Werkzeuge

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Dass Buckelwale Blasenvorhänge ins Wasser blubbern und diese wie Netze zum Fischfang einsetzen, ist schon länger bekannt. Eine neue Studie bringt jetzt allerdings neue Details, und zeigt, wie kunstfertig die Meeressäuger dabei vorgehen: Die Wale setzen die Blasen sehr gezielt und kontrolliert – die Anzahl der Ringe, die Größe des Blasenvorhangs und seine Tiefe sowie den horizontalen Abstand zwischen den einzelnen Blasen. Darum sprechen die Wissenschaftler sprechen von Manufaktur – das bedeutet eigentlich Handarbeit, auch wenn die Wale tatsächlich ihre Blaslöcher dafür einsetzen. Es geht also um Werkzeuggebrauch. Die neue Publikation “Solitary humpback whales manufacture bubble-nets as tools to increase prey intake” von A. Szabo, L. Bejder, H. Warick et al ist eine sehr detaillierte Untersuchung dieses Verhaltens aus den fisch- und walreichen Gewässern im Golf von Alaska.

Was ist „Werkzeug“?

Die Publikation beginnt mit einer komplexen Definition von „Werkzeug“, die ich hier teilen möchte:
“Tool use can be broadly defined as ‘the external employment of an unattached environmental object to alter more efficiently the form, position, or condition of another object, another organism, or the user itself when the user holds or carries the tool during or just prior to use and is responsible for the proper and effective orientation of the tool’ [1]. While this definition is widely used, some researchers have also emphasized the purposeful nature of tool use [2] and the way tools serve as extensions of the body to solve problems for which evolution has not provided a specific morphological adaptation [3] as alternative perspectives on the phenomenon. This emphasis on intent and problem-solving highlights the role that animal cognition, innovation and ingenuity play in the evolution of tool use.”

Grob übersetzt bedeutet das:

Der Einsatz von Werkzeugen kann im weitesten Sinne als „externer Einsatz eines unabhängigen Umgebungsobjekts“ definiert werden, „um Form, Position oder Zustand eines anderen Objekts, eines anderen Organismus oder des Benutzers selbst, effizienter zu verändern, während der Benutzer das Werkzeug während oder kurz vor der Verwendung hält oder trägt, darauf reagiert und für die richtige und effektive Ausrichtung des Werkzeugs verantwortlich ist“.
[…] Einige Forschende meinen, dass das Werkzeuge als “Erweiterungen des Körpers, verwendet werden müsse, um Probleme zu lösen, für die die Evolution keine spezifische Lösung bereitgestellt hat – wie morphologische (körperliche) Anpassung.  Diese Betonung der Absicht und Problemlösung unterstreicht die Rolle, die tierisches Wissen, Innovation und Einfallsreichtum bei der Entwicklung des Werkzeuggebrauchs spielen.

Mittlerweile ist Werkzeug-Gebrauch von verschiedenen Säugetieren, Vögeln, Fischen und Insekten bekannt, und natürlich auch von Meeressäugern wie von Delfinen. Dabei geht es meistens um die Nutzung eines in der Natur gefundenen Objekts – Krähen stochern mit Zweigen nach Insekten und Delfine stupsen mit Schwämmen nach im Sand verbuddelten Fischen (vermutlich ohne die Einwilligung der Schwämme).
Seltener kommt es vor, dass die Tiere ein Werkzeug selbst modifizieren. Das ist bisher nur von Schimpansen sowie neukaledonische Krähen und Gossens Kakadus bekannt (Quellen in der Publikation). Sie alle bearbeiten Holzwerkzeuge mit den Händen bzw. den Schnäbeln, um besser an ihre Nahrung zu kommen. Solch eine Werkzeug-Bearbeitung ist natürlich ein wesentlich komplexerer Vorgang als einfach der Einsatz eines gefundenen Stocks.

Gasblasen als „Ringwade“

Die Wal-Experten ordnen die Buckelwal-Gasblasen nun auch als Werkzeug ein: Die Bartenwale lassen unter Wasser sehr kontrolliert Luft aus dem Blasloch ab, und schwimmen dabei gleichzeitig im Kreis. Dadurch wird der Blasenvorhang zu einem runden Netz, ähnlich einer Ringwade. Die Meeressäuger produzieren diese Netze gezielt für den Fang von Beute. Diese Vorgehensweise wird nicht nur vor Alaska beobachtet, sondern auch in antarktischen Gewässern und anderen Meeresgebieten.
Mit Drohnen haben einige Forscher im Golf von Alaska jetzt ganz genau hingeschaut und die Netzfeatures wie die Blasennetzgröße, Form und den horizontalen Blasenabstand (der der Maschenweite eines Netzes entspricht) verglichen. Ihre Bubble-Ringwade setzen Buckelwale gezielt für den effektiven Fang kleiner Meeresbewohner wie dem pazifischen Hering, kleinen Lachsen oder Krill ein. Weder Fische noch Krill trauen sich, durch solch einen Blasenvorhang hindurch zu schwimmen. Gasblasen sind also eine wirksame Barriere zum Zusammentreiben der kleinen Beute (Corralling). Dafür haben Biologen zwischen 2019 und 2021 systematisch 53 Drohneneinsätze vom Forschungsschiff aus durchgeführt. Dabei haben sie 1073 hoch aufgelöste Videos von 742 allein fischenden erwachsenen Buckelwalen zwischen 10,4 und 13,2 Metern Länge aufgenommen. Nur 21 dieser Wale, 2,8%, waren gerade mit Blasennetz-Jagd beschäftigt. Buckelwale halten sich zwar gerne in Gruppen auf und sind sehr sozial, allerdings jagen sie offenbar lieber allein, jeder mit dem eigenen Blasennetz.

Viele Merkmale der Blasennetze sind bei allen Walen offenbar gleich: Die Netze werden immer im Uhrzeigersinn gelegt und bestehen aus mehreren Ringen, die  vom Zentrum bis nach außen immer größer werden. Für den innersten Ring schwammen die Wale deutlich langsamer und erhöhten dabei die Blasenproduktionsgeschwindigkeit. Die Biologen beobachteten, dass diese sphärischen Gas-Konstrukte vor allem zum Fang von Krill eingesetzt wurden, die Krilldichte konnten sie vom Schiff aus mit dem Fisch-Echolot nachweisen – Fischer orten damit üblicherweise Schwärme. Sowie die Beute zusammen getrieben ist und der Krillschwarm möglichst dicht gedrängt im Wasser steht (bait ball), schwimmt der Wal hindurch und nimmt die konzentrierte Biomasse mit einem riesigen Haps möglichst vollständig auf. Der englische Begriff „engulfment“ beschreibt perfekt, wie ein Wal mit dem Maul einen Schwarm umschließt.
Bei diesen Buckelwalen war deutlich zu beobachten, dass sie eine viel geringere Geschwindigkeit beim Zustoßen auf die Beute hatten, als üblich. Normalerweise beschleunigen die Wale zum Schluss, direkt bevor sie die Beute packen bzw. “engulfen”. Die Netzfischer hingegen schwammen relativ gemächlich. Freß-Kinetik nennen die Wissenschaftler diesen komplexen dreidimensionalen Bewegungsablauf, der mit Sendern zur Geschwindigkeitsmessung und Drehbeschleunigung (Accelerometer und Gyrometer) gut analysiert und abgebildet werden kann.
Das ist eine wichtige Beobachtung, da die Schwimmgeschwindigkeit direkt mit den Energiekosten korreliert – schneller schwimmende Tiere haben einen wesentlich höheren Energieverbrauch, ein Buckelwal muss immerhin 30 bis 40 Tonnen beschleunigen. Das bedeutet, dass diese Netze das Fressen offenbar viel energieeffizienter für die großen Meeressäuger machen.

Buckelwale sind wendig

Dass dennoch nur eine geringe Anzahl der Wale solche Netze nutzt, interpretieren die Forscher so, dass die Meeressäuger trotz der Benefits dieser Jagdmethode nicht sehr oft Gelegenheit haben, sie anzuwenden. Normalerweise fressen sie wohl eher ohne einfach so – mit einem direkten Riesenhaps.
Allerdings könnten Buckelwale, indem sie Krillschwärme erst einmal dicht zusammentreiben (Corralling) auch in Gebieten mit geringerer Beutedichte, wo sonst das energetische Kosten-Nutzenverhältnis zu schlecht wäre, erfolgreich fressen. So könnten die Meeresriesen mit ihrem Einfallsreichtum und ihrer Geschicklichkeit  eine breitere ökologische Nische nutzen, als andere Bartenwalarten. Gerade in Zeiten der schnellen Veränderungen der Meeresumwelt wie jetzt in der Klimakrise ist das ein entscheidender Vorteil.

Buckelwale sind die einzigen Bartenwale, die solche Werkzeuge einsetzen, was neben ihrer Kultur auch am Körperbau liegen könnte: Sie sind trotz ihrer Größe besonders gelenkig. Ihren flexiblen, spindelförmigen Körper können sie mit den sehr langen, beweglichen Flippern und der sehr großen Fluke extrem gut manövrieren. Diese Meeressäuger sind offenbar geistig und körperlich besonders wendig.

Ich finde diese neue Einschätzung der Gasblasen-Ringe als Werkzeug vor allem darum so interessant, weil sie ein geändertes Mensch-Tier-Verhältnis zeigt.
Buckelwale gehören neben Orcas, Pottwalen und Großen Tümmlern zu den vier Walarten mit sowohl Kultur als auch Sprache. Das ist ein wichtiger Schritt von der rein anthropozentrischen Betrachtung, dass der Mensch im Zentrum steht, hin zu Multi-Spezies-Perspektiven – darin ist der Menschen eine von vielen Spezies, die alle in einem Beziehungsgeflecht stehen. Das ist gerade in verschiedenen Wissenschaftsbereichen zu sehen und sicherlich eine realistischere Einschätzung, als die bisher übliche “Krone der Schöpfung”-Haltung.

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Auf dem Science-Blog „Meertext“ schreibe ich über meine Lieblingsthemen: Biologie, Zoologie, Paläontologie und das Meer. Wale, Fische und andere Meeresgetüme. Tot oder lebendig. Fossile Meere, heutige Meere und Meere der Zukunft. Die Erforschung, nachhaltige Nutzung und den Schutz der Ozeane. Auf der Erde und anderen Welten. Ich berichte regelmäßig über Forschung und Wissenschaft, hinterfrage Publikationen und Statements und publiziere eigene Erlebnisse und Ergebnisse. Außerdem schreibe ich über ausgewählte Ausstellungen, Vorträge, Bücher, Filme und Events zu den Themen. Mehr über meine Arbeit als Biologin und Journalistin gibt´s auf meiner Homepage “Meertext”.

7 Kommentare

  1. Dass dennoch nur eine geringe Anzahl der Wale solche Netze nutzt, interpretieren die Forscher so, dass die Meeressäuger trotz der Benefits dieser Jagdmethode nicht sehr oft Gelegenheit haben, sie anzuwenden.

    Zeigt für mich auch eine wesentliche Charakteristik des Werkzeuggebrauchs, nämlich das Wissen darum, wann seine Anwendung sinnvoll ist und wann nicht. Wären diese Netze rein instinktgetrieben, also eine genetisch verankerte Verhaltensweise wie bei Spinnen der Bau ihrer Netze, dann würden wir diese Blasennetze viel öfter sehen.

  2. @Spritkopf: Ja, allerdings.
    mich treibt ja auch die Frage um, wie diese Kulturtechnik sich von Bestand zu Bestand verbreitet. Bei den Gesangsmoden kann ich mir das vorstellen, die kann man ja hören. Aber wie läuft das bei diesen Netzen? Gibt es Wanderer zwischen den Beständen?

  3. Wenn das Gene Roddenberry 1986 gewusst hätte. Vielleicht wäre die Erkenntnis dann auch in Star Trek IV: The Voyage Home eingeflossen. 😀

  4. Sehr geehrte Frau Wurche,
    es ist zwar leider off topic (dafür entschuldige ich mich!) und hat mit Ihrem aktuellen Artikel nichts zu tun, ich möchte Sie, bzw. Ihre sehr lebendige Community hier, aber gerne zu einem meeresbiologischen Thema befragen:
    Vor ziemlich genau einem Jahr war in vielen Medien zu lesen, dass Wissenschafter der NOAA bei einer Expedition im Golf von Alaska ein gold-gelbliches Objekt, das an einem Felsen in der Tiefsee befestigt war, entdeckt und mit dem Roboter-Arm des ROV geborgen hatten. Die Bilder vom “golden orb” gingen damals um die Welt. Es war zu diesem Zeitpunkt nicht klar, worum es sich bei dem Objekt handelte; Überreste einer Ei-Hülle oder Schwamm standen u.a. zur Diskussion. Eventuell sogar eine neue Spezies.
    Ich habe das eigentlich als sehr spannend empfunden, und habe mich auf Ergebnisse gefreut.
    Nun ist ein ganzes Jahr vergangen und es gibt immer noch keine veröffentlichten Ergebnisse dazu, zumindest konnte ich bei meiner Recherche keine Publikation oder dergleichen finden.
    In meiner Naivität, aber von Neugierde getrieben, habe ich mich sogar an die NOAA gewandt, aber natürlich keine Antwort erhalten. 😉
    Als Studentin der Biologie würde es mich sehr interessieren, was Sie als Biologin und Wissenschafts-Journalistin denken, was der Grund sein könnte, dass eine Identifikation so lange dauert? Oder ist es sogar üblich, dass derartige Analysen so viel Zeit in Anspruch nehmen?
    Ich hoffe sehr, Sie nehmen es mir nicht übel, dass ich meine Frage hier unter Ihren letzten Artikel geschrieben habe!
    Ich bedanke mich im Voraus für Ihre Zeit und Mühe. Ihre begeisterte Leserin, Manuela

    • @Manuela: Genau dieses Thema habe ich gerade vorbereitet und warte seit einer Woche auf eine Antwort von NOAA. Ich denke, da kommt wohl nichts mehr. Trotz längerer Recherche habe ich keine Publikation dazu gefunden. Ich stelle den Beitrag in den nächsten Tagen online, mit oder ohne Update.

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