Asteroid Impact und Winslow/Arizona

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Wir übernachten in Winslow, Arizona im Navajo County. Bei der Anfahrt über die Interstate 40 hören wir den passenden Song dazu: „Take it easy“ von Jackson Brown bzw. den Eagles.

Die Stadt ist echt ein Nest, auf der Kreuzung der IS 40 mit der Eisenbahntrasse. Schienenstränge und Verladebahnhof lassen die Ansiedlung mit den geduckten kleinen Häusern (oder Hütten?) noch unscheinbarer wirken. Jedenfalls sind viele wohl seit ungefähr 1880 nicht mehr renoviert worden, etliche sind vernagelt. In den meisten Gärten kämpfen ein paar armselige Gewächse um ihr Überleben in Sand und Wüstenwind. Fußgänger sind in der staubigen Tristesse unterwegs. Ich möchte gar nicht wissen, wie es hier im Sommer aussieht.

Irgendwie wirkt die Stadt so klischeehaft, als ob hier gleich ein Western gedreht wird. Man müsste nur die Autos gegen Pferde und Kutschen austauschen.
Im Geiste höre ich die Mundharmonika aus „Spiel` mir das Lied vom Tod“.
Aber ich bin musikalisch mal wieder total auf dem Holzweg.
Hier heißt es nämlich „Take it easy“.

Noch in den 1960er Jahren war Winslow die größte Stadt im Norden Arizonas, eben wegen der Lage sowohl an der Bahntrasse als auch an der Route 66 (vor dem Bau der IS 40 als Zubringer bzw. Umgehung). Hier sollen 10.000 Leute gelebt haben. Zusätzlich brachte die Nähe zu den Navajo- und Hopi-Nationen einen besonderen Hauch des authentischen Amerikas. Darum kamen hier regelmäßig Promis vorbei.

Nach dem Bau der I-40, die die wichtigsten Haltestellen der historischen Route 66 umging, schwand Winslow dahin, genauso wie der Verkehr auf der Hauptstraße. Erst als 1997 die Standin‘ on the Corner Foundation die ersten Schritte zu einem Denkmal und einer Wiederbelebung des Herzens von Winslowe begann, kamen die Touristen zurück.
Dazu gleich mehr.

Das Abendessen nehmen wir in einem der einladenderen Restaurant sein, im RelicRoad Brewing Co.

RelicRoad Brewing in Winslowe, Arizona
RelicRoad Brewing in Winslowe, Arizona ((c) Bettina Wurche)

Durch die Tür trete ich mal wieder in eine andere Welt.
Es ist Freitagabend, so sind alle Plätze besetzt und wir warten an der Bar. Bei der Speisenauswahl geht es um frittiert, doppelt frittiert oder zwischen zwei Brothälften geklemmt. Wenigstens haben sie eine anständige Limonade. Ich bin sicherlich die einzige Erwachsene, die Limo ordert und muss darauf auch sehr lange warten. Bier geht schneller, das fließt in Strömen.

Interieur des RoadRelic in Winslow, Arizona
Interieur des RoadRelic in Winslow, Arizona

Dafür bekomme ich nicht genug davon, die Gäste zu beobachten. Die meisten tragen Jeans. Ich muss mich zusammenreißen, einige der Menschen nicht anzuglotzen. Mehrere der Gäste sind offensichtlich Navajos. Ihre bronzefarbenen Gesichter und der reiche Silber-Türkis-Jaspis-Schmuck wirken schon fast folkloristisch.
Der Themenkomplex Alkohol und First Nations ist eine Sammlung schlimmer Geschichten von Alkohol-Mißbrauch, manche sprechen sogar von flüssigem Genozid. Darum ist der Alkoholverkauf in manchen Stammesgebieten verboten, die Tribal Nations dürfen in ihren Gebieten eigene Gesetze erlassen.

Nach einer Nacht im scrappiest Hotel der gesamten Reise mit dem absolut scrappiest Frühstück überhaupt aus pappsüßen Waffeln und Cornflakes in Müllbergen geht es weiter.
Auf dem Weg zur berühmtesten Straßenecke des Orts kommen wir an einer Hinterhof-Ausstellung vorbei, die die Geschichte des Eisenbahnbaus durch Myriaden chinesischer Arbeiter und der Besiedlung der Gegend durch weiße Siedler erzählt. Zu der Zeit war hier richtig was los.
Die Jahrtausende alten reichen indianischen Kulturen dieser Gegend und der mit dem Eisenbahnbau verbundene Genozid füllen von den vielen Info-Tafeln gerade mal zwei. Ich bin mal wieder fassungslos, wie souverän hier alles vor der Landnahme der weißen Siedler ausgeblendet wird.

Dann stehen wir an der berühmtesten Ecke des Orts. Die ist so dermaßen berühmt, dass sie sogar ihre eigene Website hat.
Die Geschichte hinter dem Denkmal ist, dass Jackson Browne hier einst wegen einer Autopanne strandete. Als er seinen Song “Take It Easy” schrieb, hatte er Probleme, den Text zu Ende zu bringen. Also half ihm sein Freund und Nachbar Glenn Frey, der im gleichen Gebäude im Echo Park, California lebte. Browne spielte ihm die unfertige Strophe vor: “Well, I’m a-standin’ on a corner in Winslow, Arizona…” und Frey spann den Vers weiter: “Such a fine sight to see. It’s a girl, my lord, in a flatbed Ford, slowin’ down to take a look at me.” Browne war damit total happy und gab das Werk als ihr gemeinsames aus.
So wurde “Take it easy” sowohl von Browne gesungen, als auch Bestandteil des Eagles-Debut-Albums.

An der Straßenecke sind Skulpturen von Browne und Frey zu sehen sowie wunderschöne Wandbilder. Ich bin ja ohnehin ein großer Fan von Wandbildern, die in Städten herrliche Geschichten erzählen können.

Standin at the corner in Winslowe, Arizona
“Standin at the corner in Winslowe, Arizona” – die Ecke mit den Skulpturen von Jackson Browne und Glenn Frey ((c)Bettina Wurche)
Smallest Church in Winslowe, Arizona
Smallest Church in Winslowe, Arizona. Im Hof ist die Mini-Ausstellung zur Geschichte Winslowes zu ahnen. ((c) Bettina Wurche)

Nächster Halt: Asteroiden-Einschlag

Mit „Take it eeeaaasy“ im Ohr geht´s zum Barringer-Krater, Arizona. Er ist sehenswert, weil er mitten in der Wüste liegt und der Einschlag einen tiefen Blick in die Erdgeschichte erlaubt. Der Einschlag erfolgte erst vor 50.000 Jahren, er ist also noch sehr frisch und wenig verwittert oder abgetragen. Der Meteorkrater liegt in 1.719 m Höhe. Mit seinem Durchmesser von 1.200 m ist er eher klein. Heute ist er 170 m tief und das ausgeworfene Gestein hat eine Kraterrand von 45 m Höhe aufgeworfen. Verglichen mit dem Krater des Nördlinger Ries ist er klein und jung, dadurch sind die geologischen Strukturen wesentlich einfacher zu überblicken. Im Rieskrater muss man ja schon etwas Phantasie mitbringen, um vom Kirchturm aus die gigantische Fläche zu realisieren.

Ein sehr guter Guide nahm uns mit auf den Kraterrand und erklärte sachkundig die Geologie und wie die NASA den Krater für das Astronautentraining nutzt. Zuletzt 2023, beim Training der Artemis-Mond-Mission.
Der Krater ist kein Nationalpark, sondern gehört einer Familie, die auch das Infozentrum betreibt. Die Erforschungsgeschichte ist spannend: der Geologe Eugene Shoemaker (US Geological Service) erstellte die erste geologische Karte davon, was eine wichtige Vorarbeit für seine Mondkarten wurde.

Gene Shoemaker, USGS deceased, constructed the first geologic map of Meteor Crater (a.k.a. Barringer Crater) in 1960. The lessons learned were applied to Shoemaker’s mapping of the lunar surface.

In der ausgezeichneten Ausstellung tauchen viele weitere heute berühmte Namen von Pionieren der Kraterforschung auf.
Der Stopp lohnt sich unbedingt!
Ich schreibe hier nicht mehr darüber, dazu findet sich genug Online-Info. Z B dieses e-book “Guidebook to the Geology of Barringer Meteorite Crater, Arizona (a.k.a. Meteor Crater)” und diese Publikation zur ungewöhnlichen Form des Kraters (Danke, @Spritkopf!).

Dafür hier noch ein Blick in den Krater:

Blick in den Barringer-Krater
Blick in den Barringer-Krater – die 170 Meter Tiefe kann man nur erahnen ((c) Bettina Wurche)

Angesichts dieser Szenerie musste ich die ganze Zeit an Wes Andersons skurrilen Film „Asteroid City“ denken, der diese Szenerie in Pappmaché und mit echten Aliens wiedergibt. Was für Nerds.

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Auf dem Science-Blog „Meertext“ schreibe ich über meine Lieblingsthemen: Biologie, Zoologie, Paläontologie und das Meer. Wale, Fische und andere Meeresgetüme. Tot oder lebendig. Fossile Meere, heutige Meere und Meere der Zukunft. Die Erforschung, nachhaltige Nutzung und den Schutz der Ozeane. Auf der Erde und anderen Welten. Ich berichte regelmäßig über Forschung und Wissenschaft, hinterfrage Publikationen und Statements und publiziere eigene Erlebnisse und Ergebnisse. Außerdem schreibe ich über ausgewählte Ausstellungen, Vorträge, Bücher, Filme und Events zu den Themen. Mehr über meine Arbeit als Biologin und Journalistin gibt´s auf meiner Homepage “Meertext”.

7 Kommentare

  1. Zum Barringer-Krater habe ich mal irgendwann in der Steinzeit dieses Ebook ausfindig gemacht. Da steht dann auch erläutert, warum er nicht rund, sondern eher viereckig ist.

  2. 1987 bin ich ziemlich planlos durch den Süden Arizonas gefahren. Erst habe ich in Fort Apache mitbekommen, dass es im Wilden Westen Eismaschinen für ein kühles Blondes gab. Karl May hat das nirgends erwähnt. Dann war plötzlich am Straßenrand ein unglaublich tiefes Loch, 400 m tief, die Morenci Mine.
    Später habe ich laut Kreditkartenbeleg in Winslow übernachtet, habe aber keine Erinnerung an den Ort.

    • @Omnivor: Ja, an Karl May musste ich auch dauernd denken : )))) Solches Geheimwissen zu dieser Straßenecke in Winslowe habe ich ich meinen Mitreisenden zu verdanken. Ohne unsere Freunde wäre diese Tour nicht möglich gewesen, und die hatten zu so vielen Sachen noch Insider-Infos. Für uns war das `ne Bildungsreise.

  3. Dein Bericht aus Winslow holt bei mir die allerangenehmsten Erinnerungen an ebendieses Winslow bei mir hervor. Ich habe dort 2017 eines der schönsten und spannendsten Hotels der USA gesehen und im eingegliederten Restaurant hervorragend gegessen. Einen zeitnah – nämlich noch im Hotel – aufgeschriebenen Reisebericht findest du in meinem Blog: http://karsten-seiferlin.ch/?p=2217

    Schade, dass du das verpasst hast! Lohnt definitiv eine Reise, wenn man gerade im Southwest/Canyonland/FourCorners Gebiet unterwegs ist.

  4. @Karsten Seiferlin: Über das Hotel habe ich einiges gelesen, das hört sich mit all diesen Geschichten superspannend an!
    Danke fürs Teilen deiner Reiseerinnerung!

    Ich fand Winslow interessant, weil man der Stadt ihre vergangene Größe so stark ansah. Auch die Bedeutung der Eisenbahn/Route 66-Kreuzung ist voller Geschichten, eigentlich der ideale Platz für einen schrägen Film von Wes Anderson, den Coen Brothers oder jemanden dieses Kalibers.
    Überhaupt stecken im Mittleren Westen viele seltsame Geschichten. Mir war das Leben dort so fremd und pittoresk, dass ich teilweise das Gefühl hatte, in einem klischeelastigen Film zu stecken.

    Dass ich als Vegetarierin und Frischgemüsefetischistin im Mittleren Westen beim Essen nicht glücklich werden würde, war mir schon vorher klar – aber darum ging es ja auch nicht in diesem Urlaub : )

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