Tiefsee-Bergbau: Moratorium oder Ausbeutung?
BLOG: Meertext
Der Abbau von Multimetall-Knollen aus Mangan und anderen Metallen in der Tiefsee soll neue Rohstoff-Bonanzas erschließen. Nur damit sei die Dekarbonisierung und der Ausstieg aus den fossilen Rohstoffen zu schaffen, so das gängige Narrativ.
So soll etwa der Mangan-Knollen-Abbau in der Clarion-Clipperton-Zone (CCZ) möglichst bald beginnen.
MeereswissenschaftlerInnen, MeeresschützerInnen und viele Anwohner der betroffenen Meeresgebiete halten diesen Tiefseebergbau für eine fatale Idee, da er nicht nur die Lebensgemeinschaften der Meeresböden und ihre Kohlestoffspeicherung bedroht, sondern auch viele Tiere in den darüber liegenden Wasserschichten und damit die Ernährungsgrundlage auch vieler Menschen sind. Längst ist experimentell nachgewiesen, dass die tonnenschweren Förderroboter den Meeresboden und seine in Jahrmillionen gewachsenen Ökosysteme mindestens für Jahrtausende, vermutlich eher irreparabel zerstören werden.
Diese Graphik zeigt die Claims in der CCZ und die am Rand liegenden Schutzgebiete, die verschont bleiben sollen:
Ohne Knollen keine “Wohnung”
Detaillierte Untersuchungen in der Clarion-Clipperton-Zone durch internationale Expeditionen auch mit deutscher Beteiligung haben mittlerweile nachgewiesen, dass die langsam enstandenen Knollen mit ihren Schichten und Labyrinthen der eigentliche Lebensraum sind: Schwämme, Korallen und andere Tiefseebewohner brauchen einen festen Untergrund, um sich darauf anzusiedeln. Da die riesigen Tiefseeebenen überwiegend aus weichem Schlamm bestehen, sind feste Substrate wie Metallknollen ein unersetzlicher Lebensraum für ganze Tiergruppen. Hat sich eine Larve auf so einem Ankerplatz erst einmal angesiedelt, wächst sie dort zum erwachsenen Tier heran. Gerade Schwämme und Korallen brauchen dafür Jahrhunderte, in der kalten nahrungsarmen Tiefsee gehen die Uhren viel langsamer.
Auch in den Knollen wuseln Organismen umher, wie Würmer u a Lebensformen.
Damit finden größere, mobile Tiefseetiere in diesen Knollenfeldern reichlich Nahrung, wie die in Tiefseeströmen über den Boden surfende zitronengelbe Seegurke namens “Gummi-Hörnchen” oder die außergewöhnlich schwebende rosa Seegurke namens “Headless Chicken”. Die Tiefsee ist das Reich der Seegurken, die dort winzige Organismen von Tiefsee-Sediment-Körnchen lutschen.
Mit dem Manganknollen-Abbau würde ihr Lebensraum verschwinden.
Gleichzeitig würden die gewaltigen Bergbauroboter und die Förderung den weichen, feinen Tiefseeschlamm bis in mittlere Wassertiefen den Ozean trüben und von Sedimentschleppen wie Leichentücher das Leben unter sich begraben.
Weder die Tiefseeorganismen noch die gelatinösen Tiere der Twilight zone sind darauf eingerichtet. Selbst wenn sie daran nicht unmittelbar sterben, würde der daraus für sie entstehende Stress ihr Wachstum und die Fortpflanzung beeinträchtigen. Da sie wichtige Nahrungsquellen für Tiere der Ozean-Oberfläche sind, würden alle Meeresschichten durch den Tiefseebergbau empfindlich und anhaltend gestört.
Damit sind auch die Nahrungsressourcen für Millionen von Menschen, die in dem riesigen Abbaugebiet leben, gefährdet.
Neue Entdeckungen versus unwägbare Risiken
Längst ist klar, dass die negativen Auswirkungen des Tiefseebergbaus den Ozean in einem weiten Bereich für lange Zeit schädigen würden. Wie weit und für wie lange, kann niemand abschätzen, die wissenschaftlichen Experimente sind dafür zu kleinskalig gewesen.
Jede Expedition in die Clarion-Clipperton-Zone entdeckt große Mengen neuer Organismen, neue Ökosysteme und macht bahnbrechende Entdeckungen. Wie die Entdeckung großer Mengen von Tiefseebakterien in Jahrmillionen alten Schwamm-Ökosystemen, deren Aktivitäten überhaupt noch nicht abschätzbar sind.
Oder die Produktion von “dunklem Sauerstoff” (dark oxygene) durch Manganknollen, die erst letzen Monat einen bis dahin vollkommen unbekannten geologischen Prozeß in den abyssalen Tiefen offenbarte: Die verschiedenen Metalle innnerhalb der Knollen erzeugten eine überraschend hohe elektrische Spannung. Mehrere nebeneinander liegenden Metallknollen reagieren sogar wie in Reihe geschaltete Batterien. Durch Elektrolyse spalten die Metallreaktionen dann Meerwasser auf und setzen dabei Sauerstoff frei.
Diese nicht-biologische Form der Sauerstoffproduktion in einem lichtlosen Lebensraum ohne Pflanzen und ihre Photosyntheseleistung eröffnet auch neue Perspektiven auf die frühe Evolution des Lebens: Die Sauerstoffproduktion durch einen nicht-photosynthetischen Prozess über solche „Geobatterien“ am Meeresgrund könnte nämlich schon vor der Ausbreitung von Cyanobakterien und anderen photosynthesefähigen Organismen Sauerstoff für die ersten aeroben Lebensformen geliefert haben.
Solche Lebensräume mit so einem Potential für bahnbrechende Neuentdeckungen, die unser Weltbild in Frage stellen, sollte man schützen und nicht für die Zerstörung für kurzfristige Gewinne freigeben. Die nicht absehbaren Folgen sind ein nicht zu rechtfertigendes Risiko, wie nicht nur Forschende und UmweltschützerInnen, sondern auch immer mehr Regierungen meinen.
Das Argument, der Tiefseebergabu sei essenziell wichtig für die Dekarboniserung ist ein Narrativ, das man besser kritisch hinterfragen sollte.
Längst gibt es viele Vorschläge, die terrestrisch abbaubaren Ressourcen sparsamer einzusetzen, mit neuen Verfahren aus alten Minen und Vulkanschloten noch mehr seltene Metalle herauszubekommen und sie aus alten Geräten und Instrumenten zu recyceln. Oder auch insgesamt weniger verschwenderisch damit umzugehen – Nachhaltigkeit basiert auf Kreislaufwirtschaft. Nicht auf der Zerstörung noch unbekannter Ökosysteme und Unterwasserlandschaften voller Leben zum Schutz anderer Lebesnräume.
Stand der Tiefseebergbau-Verhandlungen
Aktuell wird immer noch verhandelt, wann und unter welchen Umständen der Tiefseebergbau beginnen kann. Die dafür zuständige ISA (International Seabed Authority, Tiefseeboden-Behörde) hatte ein Moratorium ausgerufen, das nun ausgelaufen ist. Manche Staaten stehen in den Startlöchern, darunter natürlich China und Russland, aber eine wachsende Gruppe von Staaten spricht sich dagegen aus und will das Moratorium verlängern.
Darunter die deutsche Bundesregierung, das EU-Parlament, die EU-Kommission, der Hohe Kommissar der Vereinten Nationen für Menschenrechte, Wissenschaftler*innen, Finanzinstitute, indigene Gemeinschaften, Umweltorganisationen und Unternehmen wie BMW, VW, SAP, Samsung und Google. Zuletzt schlossen sich Malta, Tuvalu, Honduras und Guatemala sowie Österreich an.
Ein aktueller EJF-Bericht zeigt: “Durch fortschrittliche Batterietechnologien für Elektrofahrzeuge in Kombination mit verstärkten Investitionen in Strategien der Kreislaufwirtschaft, verbesserten Recyclingraten und einer Verringerung von Bedarfen kann die Energiewende umgesetzt und die Ziele des Pariser Klimaabkommens erreicht werden, ohne dass die Ökosysteme der Tiefsee irreversibel zerstört werden müssen.”
Bei der Abstimmung um die Zukunft der Tiefsee geht es nicht nur um die Zukunft der dort lebenden Tiere, sondern auch um Gerechtigkeit, Rechte von nicht nur indigenen Völkern, Seerecht und andere ethische Fragen. Es ist die gleiche Diskussion wie in der Klimagerechtigkeit – ein Machtkampf zwischen zerstörerischen Ausbeutern der letzten Ressourcen, unter denen alle anderen leiden müssen und Menschen, die Ressourcen nachhaltiger und schonender nutzen und sie mit anderen teilen wollen.
Zum Weiterlesen:
Sehr gute Übersicht des CarbonBrief mit Q&A Pro und Contra Tiefseebergbau und den unterschiedlcihen Interessen.
Update:
Die brasilianische Ozeanographin Dr. Leticia Carvalho wurde zur ISA-Generalsekretärin für 2025-2028 ernannt – mit 79 zu 34 Stimmen. Ihrem Vorgänger Michael Lodge warfen die Delegierten bei der Tagung in Kingston Intransparenz, ethische und finanzielle Unregelmäßigkeiten und einiges mehr vor, wie der Tiefsee-Biologe Andrew Thaler berichtet. Leticia Carvalho hingegen hat u a für das brasilianische Umweltministerium an Gesetzen zur Regulierung der Öl- und Gas-Industrie mitgearbeitet, wie auf ihrem Linked-In-Profil zu erfahren ist. Die Ozeanographin dürfte ihre Aufgabe ganz anders angehen und industriekritischer sein. Gleichzeitig ist sie erfahren, Umweltschutz in Gesetzwerke umzusetzen. Das sind gute Nachrichten für die Tiefsee. Andrew Thalers Blog-Beitrag lohnt sich zu lesen, er ist in der Tiefseebergbau-Diskussion schon sehr lange ´drin.
Für mich bleibt allerdings die Frage, wie man die Regulierung des Tiefseebergabus international durchsetzen will, gerade gegen Staaten, die sich bereits jetzt nicht an internationale Gesetze und Vereinbarungen halten.
Spanndender Text. Vielen Dank. Allerdings haben sich ein mindestens zwei – teilweise sinnentstellende – Fehler eingeschlichen:
MeereswissenschaftlerInnen, MeeresschützerInnen und viele Anwohner der betroffenen Meeresgebiete halten diesen Tiefseebergbau eine fatale gute Idee, da …
Weder die Tiefseeorganismen noch die gelatinösen Tiere der Twilight zone sind darauf nicht eingerichtet.
@niko: Herzlichen Dank! Ich habe auch noch ein fehlendes Komma gesetzt. Das Korrekturlesen in meinen eigenen Texten finde ich sehr schwierig, nur bei anderen Leuten finde ich immer alles.
Man kann nur hoffen, dass der gesunde Umweltverstand sich gegen die Raffgier durchsetzt und die Knollen weiterhin friedlich am Meeresboden vor sich hin oxygenerieren dürfen.
@Sascha: Ich hoffe es sehr, befürchte aber das Gegenteil. in internationalen Gewässern gibt es eigentlich kein Konzept, das Recht durchzusetzen : (