#Weltkrebstag: Der Mensch und sein virales Erbe
Sie vermehren sich rasend schnell, dringen in fremdes Gewebe ein, bilden neue Blutgefäße aus und verändern das Immunsystem ihres Wirtes. Eigentlich können das nur Krebszellen. Und die Zellen des Mutterkuchens (Plazenta). Über die Vor- und Nachteile dieser Jahrmillionen alten Symbiose, die einst mit einer retroviralen Infektion begann.
Der Mutterkuchen und seine Folgen
Zu den Schlüsselinnovationen der Säugetiere zählen sowohl die Milchdrüsen als auch die Plazenta (lat. Placenta “Kuchen”), auch Mutterkuchen. Für die Ausbildung der Plazenta werden Gene nach einem Muster ein- und ausgeschaltet, wie es in der Entwicklung ansonsten nur bei der Entstehung von Krebs geschieht. Vor einiger Zeit hatte ich diese Mechanismen bereits etwas näher erläutert (hier der Link zum Artikel “Krebs – der Preis, ein Säugetier zu sein“).
Zum heutigen Weltkrebstag nun ein wenig mehr zu dieser faszinierenden Symbiose, die unser Leben ermöglicht, uns aber auch anfällig für Krebserkrankungen macht.
Eine folgenschwere Symbiose
Zu Beginn eines Säugetierlebens stülpt der Embryo einige Tage nach der Befruchtung ein Gewebe aus, das sich später zum extraembryonalen Gewebe Plazenta, Fruchtblase und Nabelschnur entwickelt. Diese Strukturen nähren und schützen den Embryo. Die Plazenta ist ein neues Organ, das es bei eierlegenden Tieren zur Zeit der Dinosaurier vor etwa 160 Millionen Jahren noch nicht gab.
Wichtigstes Gen für die Ausbildung der Plazenta ist das Paternally Expressed Gene 10 (Peg10). Dieses Gen wurde vermutlich durch ein Retrovirus in das Erbgutmolekül DNS der Keimzellen früher Säugetiere kodiert. Dies geschah in Form einer viralen Invasion. Fehlt Peg 10, kommt es zum Stillstand des Wachstums der Plazenta und zum frühen Tod des Embryos. Die Aktivität von Peg10 sorgt dafür, die Immunabwehr der Mutter zu unterbinden. Somit ermöglicht es den Aufbau der Mutter-Kind-Verbindung.
Der Mensch und seine Viren
Wie innig die Beziehung von Mensch und Viren ist, also dem Wirt und seinen Parasiten, zeigte die vollständige Sequenzierung des menschlichen Genoms. Hier fanden die Forscher zur allgemeinen Überraschung, dass etwa neun Prozent unseres Genoms von Viren stammen. Diese viralen Sequenzen nehmen etwa fünfmal soviel Platz ein wie die für Eiweiße kodierenden Abschnitte. Sie stammen hauptsächlich von Retroviren, die es vor etwa 40 bis 70 Millionen Jahren schafften, ihr Erbgut dauerhaft in das Genom ihrer Wirte einzubauen.
Nur so können sich Retroviren übrigens vermehren, indem sie ihr eigenes RNS-Erbgut in das Wirtsgenom integrieren. Die Viren schreiben ihr einzelsträngiges RNS-Genom mithilfe des viralen Enzyms Reverse Transkriptase eine doppelsträngige DNS-Kopie um. Das Enzym Integrase baut es dann in das Wirtsgenom ein. Somit ist ein “Provirus” enstanden.
Während exogene Retroviren, wie das HI-Virus, in der Regel Körperzellen infizieren, können manche Erreger auch Keimzellen infizieren. In letzterem Fall wird das so eingeschleuste Genom von Generation zu Generation vererbt. Damit wird es zu einem humanen endogenen Retrovirus (HERV): eine DNS-Sequenz, die aus den viralen Elementen gag, pol und env besteht, welche von zweit Long Terminal Repeat (LTR)-Endstücken eingefasst sind. Es gibt verschiedene Familien von HERV – manche sind funktionslos, manche kodieren für nützliche Proteine und manche für potenziell pathogene Proteine.
Ein weiteres Beispiel ist das Protein Syncitin, dass für den Aufbau der Plazenta nötig ist. Hierfür produzieren fetale Zellen das Hüllprotein env des humanen endogenen Retrovirus HERV-W, welches für die Bildung einer Zellschicht in der Plazenta benötigt wird, die durch Zellfusion entsteht. So hat ein kleiner Teil der Sequenzen im Laufe der Evolution eine nützliche Funktion übernommen. Zumindest meistens.
Vorsicht, Nachsicht, Einsicht…
Bis sich aus diesen spannenden Erkenntnissen ein kurativ wirksamer Nutzen gegen Krebserkrankungen ziehen lässt, wird wohl noch einige Zeit vergehen. Bis dahin bleiben uns als beste Mittel die Prävention in Form einer möglichst gesunden, sprich artgerechten Lebensweise, gefolgt von Früherkennung und verbesserten Therapien. Auch hierüber schreibe ich ja immer wieder. Sehr empfehlenswert zum aktuellen Anlass der Artikel meiner Blognachbarin Anna Müllner: “Spahn im Wahn: Krebs bald heilbar?”
Quellen / weiterführende Literatur:
- David Haig: Retroviruses and the Placenta. Minireview. Current Biology Vol 22 (15), 7 Aug 2012, pages R609-R613. https://doi.org/10.1016/j.cub.2012.06.002
- Ryuichi Onoa, Shin Kobayashi, Hirotaka Wagatsuma, Kohzo Aisaka, Takashi Kohda, Tomoko Kaneko-Ishino, Fumitoshi Ishino. A Retrotransposon-Derived Gene, Peg10, Is a Novel Imprinted Gene Located on Human Chromosome 7q21. Genomics. Volume 73, Issue 2, 15 April 2001, Pages 232–237. https://doi.org/10.1006/geno.2001.6494
- Zachary D. Smith, Jiantao Shi, Hongcang Gu, Julie Donaghey, Kendell Clement, Davide Cacchiarelli, Andreas Gnirke, Franziska Michor & Alexander Meissner: Epigenetic restriction of extraembryonic lineages mirrors the somatic transition to cancer. Nature volume 549, pages 543–547 (28 September 2017) doi:10.1038/nature23891
Die Nacktmulle sind durch ihre Resistenz gegen den Krebs und auch durch ihre lange Lebensdauer besonders begünstigte Säugetiere.
Diese genetischen Tricks sollten wir unbedingt auch lernen.